Solange die körperliche Liebe das bevorzugte
Vergnügen des Mannes ist, wird er versuchen,
die Frau zu versklaven.
Mary Wollstonecraft
»Ausgeschlossen, eingeschüchtert und geschlagen«
Mit Beginn des 18. Jahrhunderts gehörte der Puritanismus in England der Vergangenheit an. Er war in der Geschichte des Volkes ein Alptraum gewesen, eine Verirrung, die England nur noch zu vergessen wünschte. Doch seine kurze Herrschaft hatte auf die Stellung der Frauen lang andauernde Auswirkungen. Jetzt endlich hatte das patristische Christentum sein schon seit tausend Jahren verfolgtes Ziel erreicht, und die Frauen selbst hatten sich in ihre Erniedrigung gefügt und den Mythos von ihrer eigenen Unterlegenheit hingenommen.
Das 17. Jahrhundert war für die Frauen eine grausame Lektion, und die Mütter der nächsten Generation, Frauen wie Anne Clifford und Elizabeth Jocelyn, trachteten danach, daß ihre Töchter nicht dasselbe erleiden mußten, was sie wegen ihres Verstandes zu erdulden hatten. So wurde die Bildung der Frauen für die nächsten zwei Jahrhunderte auf Handarbeit, Gesang, Zeichnen und Cembalospielen beschränkt.
Doch es gab abweichende Meinungen, und diese kamen zum ersten Mal von Frauen. Bis zum 18. Jahrhundert hatte es mit Ausnahme der wahnsinnigen Verteidigerinnen Jeanne d'Arcs keine christliche Frau gewagt, öffentlich für ihr Geschlecht einzutreten. 1706 jedoch warf Mary Astell, eine geistreiche Autodidaktin, mit ihrem Buch Reflections on Marriage (Betrachtungen über die Ehe) den ersten großen Stein in den Teich der männlichen Selbstgefälligkeit: »Für die Erziehung der Knaben wendet man viel Zeit, Mühe und Geld auf, für die der Mädchen wenig oder gar nichts. Die ersteren werden frühzeitig mit den Wissenschaften vertraut gemacht, studieren Bücher und Männer und haben jede erdenkliche Ermutigung: nicht nur Ruhm, sondern auch Ansehen, Macht und Reichtum.« (Über zweihundert Jahre später sollte Virginia Woolf die mangelhafte Ausstattung im Frauencollege zu Oxford im Vergleich zur luxuriösen Annehmlichkeit in dem der Männer feststellen. In A room of one's own (Ein Zimmer für sich) schrieb sie: »Die Sicherheit und der Wohlstand des männlichen Geschlechts und die Armut und Unsicherheit des anderen!«)
»Das andere Geschlecht«, fährt Mary Astell fort, »wird ausgeschlossen, eingeschüchtert und geschlagen (...). Von Kindheit an wird es von jenen Vorteilen ferngehalten, für deren Mangel man es später zur Rechenschaft zieht. Und es wird in jener weiblichen Kleinlichkeit erzogen, die ihm nachher vorgeworfen wird (...). Kein Mann kann eine Frau mit überlegenem Verstand ertragen, und keiner wird eine Frau höflich behandeln, weil er meint, er stehe über ihr, und sie sei einsichtig genug, sich entsprechend seinen Anordnungen zu verhalten.«[1]
Im selben Buch rät Astell, offensichtlich ironisch, Ehefrauen zu folgendem: »Diejenige, welche heiratet, sollte es als feststehenden Grundsatz anerkennen, daß ihr Gatte unumschränkt und ganz und gar herrschen muß, daß sie nichts anderes zu tun hat als zu bitten und zu gehorchen. Sie darf seine Autorität nicht anzweifeln, denn sich dem Joch widersetzen, bedeutet nur, sich noch mehr wundzureiben. Sie muß ihn für in jeder Hinsicht weise und gut halten. Wer das nicht kann, ist vollkommen ungeeignet, eine Ehefrau zu werden.«[2]
Mit typisch männlicher Dummheit führt Maurice Ashley diese Stelle, die er fälschlicherweise Damaris, Lady Masham zuschreibt, als Beweis dafür an, daß selbst intelligente Frauen mit den männlichen Vorstellungen von der den Ehefrauen zukommenden Rolle übereimtimmten und »sich in ihre eigene Unterlegenheit fügten«.[3]
Obwohl er seine geistreiche und gebildete Stella liebte, schrieb Jonathan Swift: »Ein klein wenig Verstand schätzen wir bei einer Frau so, wie wir uns über die wenigen Worte eines Papageien freuen.« Samuel Johnson verglich eine predigende Frau mit einem Hund, der auf seinen Hinterbeinen läuft: Wir fragen nicht, wie gut das geschieht, sondern wundern uns, daß es überhaupt möglich ist.
Damals wie heute erwartete man von der Frau, all diese Beschimpfungen und Herabsetzungen wie ein guter Kerl hinzunehmen, der sich nie rächt, nie zeigt, daß er verletzt oder verärgert wurde, sondern tapfer lächelt und in seiner Treue und Zuneigung zu seinen Verfolgern nie schwankend wird.
Johnsons Vorbehalte Frauen gegenüber wurde durch die uralte Frauenfurcht angefacht, die dem Mann zu schaffen machte, seit die patriarchale Revolution ihren Anfang nahm; so berichtet Boswell über ihn, daß er in einem freimütigen Augenblick gesagt habe: »Die Männer wissen, daß die Frauen ihnen etwas voraus haben. Sonst hätten sie nicht eine derartige Angst vor Frauen, die ebensoviel wissen wie sie.«[4]
Alexander Pope war ein großer Frauenanhänger, solange er Lady Mary Wortley Montagu liebte, doch als sie ihn zurückwies, wurde er zu einem rasenden Weiberfeind. »Die meisten Frauen haben überhaupt keinen Charakter«, schrieb er, und »Jede Frau ist in ihrem Innersten ein Wüstling.«
Wie Bischof Burnet, der gebildete Frauen ablehnte und trotzdem drei von ihnen hintereinander heiratete, liebten und bewunderten alle diese Männer einzelne geistig hochstehende Frauen, doch »sie verachteten jeden Plan für eine allgemeine weibliche Erziehung«,[5] wie Myra Reynolds hervorhebt.
Der begeistertste Befürworter der Frauen im 18. Jahrhundert oder, wenn man so will, in der gesamten Geschichte des christlichen Europa, war George Ballard. Er kam aus ärmlichen Verhältnissen, war der Sohn eines Schneiders, und ohne jede eigentliche Bildung. Trotzdem entwickelten sich er und seine Schwester zu Gelehrten von nationaler Bedeutung. 1752 veröffentlichte er, inzwischen ein Graduierter in Cambridge, ein zweibändiges Werk, das er Memoirs of Several Ladies of Great Britain (Memoiren einiger Damen Großbritanniens) nannte. In der Einleitung zu diesem Buch, dessentwegen er viele Jahre staubige vergessene Akten und Dokumente durchforscht hatte, schrieb er:
»Dieses Zeitalter hat eine große Zahl außerordentlicher Biographien hervorgebracht. Und dennoch, ich weiß nicht, wie es geschehen ist, sind viele Frauen dieser Nation, die (...) in ihren Tagen berühmt waren, heute der allgemeinen Öffentlichkeit nicht nur unbekannt, sondern sie wurden auch von allen unseren größten Biographen mit Schweigen übergangen.«[6]
»Mit Schweigen übergangen«. Wie naiv und weltfern muß dieser Schneidersohn gewesen sein, daß er die Methoden der patriarchalen Welt nicht kannte und nicht wußte, »wie es geschehen ist«, daß so sehr viele große Frauen von den männlichen Historikern und Biographen der Christenheit »mit Schweigen übergangen« worden waren.
»Ich fordere zum Kampf heraus!«
Die weitaus bemerkenswerteste Frauenrechtlerin des 18. Jahrhunderts war Mary Wollstonecraft Godwin. »Ich fordere zum Kampf heraus!« verkündete sie 1791 in ihrem Buch A Vindication of the Rights of Women (Die Verteidigung der Rechte der Frauen).[7] »Es ist Zeit, den Frauen ihre verlorene Würde zurückzugeben und sie (...) zu einem Teil des Menschengeschlechts zu machen.«[8]
Mary Wollstonecrafts Buch fand einen überraschend großen Leserkreis. Die Autorin dieses Buches fand bei Recherchen für einen Vortrag über die Kultur im Mittelwesten heraus, daß Wollstonecrafts Buch im Jahre 1796 unter den zehn oder zwölf Titeln gewesen war, die der erste Buchladen westlich der Alleghenies bestellt hatte und der John Bradford in Lexington, Kentucky gehörte. Es wurde mit Segelbooten und Lastkähnen befördert und auch auf Pferdewagen über den Cumberland Gap in die Wildnis gebracht, zusammen mit Gibbons Decline und Fall of the Roman Empire (Aufstieg und Fall des Römischen Reiches), der Bibel und Thomas Paines The Rights of Man (Die Menschenrechte). Heute erscheinen Wollstonecrafts Forderungen sehr milde. Bemerkenswert an ihrem Buch ist, daß sie schon im 18. Jahrhundert die Tatsache der grundlegenden Furcht des Mannes vor den Frauen erkannte, eine psychologische Tatsache, die erst im 20. Jahrhundert wissenschaftlich bekräftigt wurde. Sie fragte, warum Männer, die zugeben, von den Frauen »ihr hauptsächliches Vergnügen« zu erlangen, diese so sehr haßten. Die moderne Psychologie hat ihre vorausschauende Entdeckung nicht nur bestätigt, sondern sie auch erklärt: Die Männer hassen tatsächlich Frauen, und zwar teilweise deswegen, weil sie von ihnen wegen ihres »hauptsächlichen Vergnügens« abhängig sind.
Drüben in Frankreich hatte der Philosoph Jean Jacques Rousseau gerade seinen Emile veröffentlicht, ein Buch, das angefüllt war mit alttestamentarischem Patriarchalismus und jüdisch-christlicher Frauenfeindlichkeit. Darüber geriet Wollstonecraft in Wut, und so ist ein Teil ihres Buches dazu angelegt, Rousseau zu widerlegen:
- Rousseau (im Emile):
»Die Erziehung der Frauen sollte sich immer auf den Mann beziehen. Zu gefallen, für uns nützlich zu sein, uns zu lieben und unser Leben leicht und angenehm zu machen: das sind die Pflichten der Frauen zu allen Zeiten, und das sollten sie in ihrer Kindheit gelehrt werden.«[9] - Wollstonecraft:
»Die Frau wurde nicht geschaffen, um ausschließlich der Trost des Mannes zu sein. (...) Auf diesem sexuellen Irrtum wurde die gesamte falsche Ordnung errichtet, die unser ganzes Geschlecht seiner Würde beraubt (...). Solange der Mann (...) der Sklave seiner Begierden (...) ist (...), bleibt unser Geschlecht notwendigerweise entwürdigt.«[10] - Rousseau:
»Mädchen müssen ihr ganzes Leben beständiger und strenger Zucht unterworfen werden, (...) damit sie um so eher lernen, sich dem Willen anderer unterzuordnen (...). Ist es dann nicht gerecht, daß dieses Geschlecht an den Leiden teilhabe, die es für uns verursacht hat?«[11]
(Taucht hier wieder Eva auf?)[12] - Wollstonecraft:
»Wie kann eine Frau glauben, daß sie geschaffen wurde, sich dem Manne unterzuordnen, einem Wesen wie sie selbst?«[12] - Rousseau:
»Frauen sollten nur wenige Freiheiten haben. Sie neigen dazu, auch in den kleinsten ihnen gewährten Dingen ausschweifend zu sein. Mädchen lassen sich von ihren Neigungen viel mehr hinreißen als Knaben.«[13] - Wollstonecraft:
»Bei Sklaven und Pöbelhaufen kam es stets zu Ausschreitungen, wenn sie sich einmal aus ihrem Joch befreit haben. Der gekrümmte Bogen schnellt mit Kraft zurück, wenn plötzlich die Hand nachläßt, die ihn bisher stark gespannt hat.«[14] - Rousseau:
»Knaben lieben Spiele und Lärm und Betriebsamkeit: Sie treiben den Kreisel, schlagen die Trommel und ziehen ihre kleinen Wagen umher. Die Mädchen hingegen lieben äußerliche Dinge und Zierrat: Flitterkram, Spiegel und Puppen.«[15] - Wollstonecraft:
»Kleine Mädchen werden gezwungen, stillzusitzen und mit Flitterkram zu spielen.« Wer kann sagen, daß sie ihn lieben oder nicht?[16]
Mary Wollstonecraft erkannte vor 200 Jahren klar, welche Auswirkungen auf die weibliche Seele diese Art von Erziehung hatte. Die moderne Psychologie wird sich dessen jedoch eben erst bewußt.
Am meisten war Mary Wollstonecraft darüber verbittert, wie die Herrschaft des Mannes den Verstand der Frauen beeinflußt hatte: »Die Männer haben der Frau Vernunft abgesprochen. Der Instinkt, der zum Zwecke des Überlebens vom Verstand erhöht wurde, trat an ihre Stelle.«[17] 1860 bemerkte John Stuart Mill, daß alle offensichtlichen Unterschiede zwischen Männern und Frauen, »besonders jene, die weibliche Unterlegenheit einschließen«, das Ergebnis gesellschaftlicher Forderungen sind, die die Männer an die Frauen richten. »Es gibt keine rechtmäßigen Sklaven mehr (im ganzen Britischen Empire), außer den Frauen im Hause jedes Mannes.«[18]
Viel schändlicher als die körperliche war für Wollstonecraft die Versklavung der Persönlichkeit der Frau, der Zwang, den »Herrn« zufriedenzustellen, ohne Rücksicht auf die eigene Unbescholtenheit oder den eigenen Stolz. Und das war Sklaverei, wie sie unzüchtiger nicht mehr sein konnte. »Wie können Männer Tugend von einem Sklaven erwarten«, fragt sie, »von einem Wesen, das die (männliche) Gesellschaft entkräftet hat!*[19] »Oh seid doch gerecht, ihr Männer, und nehmt den Frauen das, was sie falsch machen, nicht mehr übel als eurem Pferd seine hinterhältigen Angewohnheiten, sondern gestattet ihnen, denen ihr die Rechte der Vernunft absprecht, dieselben Vorrechte der Unwissenheit«.[20]
Mary Wollstonecraft, die William Godwin [12] heiratete, nachdem sie ihre Verteidigung beendet hatte, erhielt nicht den Beifall, den sie verdiente. Sie war der Tom Paine ihres Geschlechts, mit dem einen großen Unterschied, daß Paines Buch über »Die Menschenrechte« mithalf, in der Neuen Welt eine Kolonie von Engländern zu befreien, die schon freier waren als ihre Schwestern jemals seit tausend Jahren. Und Marys Buch hat auch heute noch nicht sein Ziel erreicht. Selbst in Amerika stellten sich die Gründungsväter taub gegenüber den Frauen, und sogar 1789 gab es deren schon viele, die darum baten, in die neue Verfassung mit eingeschlossen zu werden und in der neuen Republik die Bürgerrechte gewährt zu bekommen.
Sprechen wir nun genauso über unsere frauenfeindlichen Gründungsväter wie Wollstonecraft über ihren Feind Rousseau. »Friede ihrer Asche! Wir bekämpfen nicht diese, sondern ihre »Empfindsamkeit«, die sie dazu brachte, die Frau zu entwürdigen indem sie sie zu einer Sklavin der Sexualität (...) machten.«[22]
Verbrechen und Strafe
Wollstonecrafts halb ernst gemeinte Bitte, daß Frauen, da sie als stumme Tiere betrachtet wurden, dasselbe Recht auf Straffreiheit haben sollten wie unvernünftige Pferde ist verständlich. Warum sollten jene Nichtbürger, die keine bürgerlichen Rechte hatten, nicht wählen und kein Eigentum haben konnten, die weder ein Testament verfassen, noch vor Gericht bezeugen, noch Geschworene sein, noch sich scheiden lassen konnten, deren Kinder ausschließlich dem Vater gehörten und die nicht einmal ihren Namen unter einen Scheck setzen oder ein Bankkonto unterhalten durften — denn so weit war es mit den Rechten der Frauen im 18. Jahrhundert gekommen, — warum sollte diese Habe denselben Gesetzen unterworfen sein wie die Bürger, die Männer?
Doch eben das war der Fall. Das Gesetz forderte für die Frauen sogar viel härtere Strafen als für die Männer. Wir haben schon erwähnt, daß im mittelalterlichen Europa mehr Frauen gesetzlich hingerichtet wurden als Männer. Und diese Vorliebe, Frauen brutal und gnadenlos zu bestrafen, hörte mit dem Mittelalter nicht auf. Im England des 18. Jahrhunderts, im Zeitalter der Aufklärung, der Kaffeehäuser, der wissenschaftlichen Entdeckungen, der mechanischen Erfindungen, der Zeitungen, der Straßenbeleuchtung, des Thomas Paine und Benjamin Franklin und der Encyklopaedia Britannica wurden Frauen immer noch lebendig verbrannt.
Im aufgeklärten Jahre 1752 unseres Herrn, vor nur 200 Jahren, wurde eine gewisse Anna Whale im Alter von 21 Jahren in England lebendig verbrannt. Sie hatte das in den Augen der Männer schrecklichste aller Verbrechen begangen: Mittäterschaft bei der Ermordung ihres Mannes. Der Gattenmord wurde, wie es Havelock Ellis im 19. Jahrhundert ausdrückte, vom Gesetz für mehr als Mord angesehen: Es war eine Art von Verrat, verbunden mit Gottesmord.
Anna Whale war eine unschuldige junge Frau, die ihr Gatte so schamlos mißbrauchte, daß eine Nachbarin, Sarah Pledge, sich gezwungen sah, einzugreifen und den Gatten zu bitten, seine Frau nicht mehr so gewalttätig zu behandeln. Diese wohlmeinende Vermittlung verstärkte nur noch die Grausamkeit des Mannes. Da sie wußte, daß es keine gesetzliche Möglichkeit gab — denn die Ehefrau zu quälen, war kein Verbrechen - entschloß sich Sarah Pledge, selbst zu handeln. Wenige Tage danach starb Mr. Whale ziemlich plötzlich. Dieser Vorfall und die allgemein bekannte Tatsache, daß Anna Whale guten Grund hatte, ihrem Mann den Tod zu wünschen, erregten den Argwohn des örtlichen Leichenbeschauers. Der Tote wurde untersucht und eine große Menge Arsen gefunden. Also band man am 14. August 1752 die kleine Anna auf einem Scheiterhaufen fest und entzündete das Feuer. Das Mädchen ging langsam und unter fürchterlichen Qualen in einen unverdienten Tod.
Sarah Pledge, die gestand, den Mord ohne Mithilfe begangen zu haben, wurde am Halse aufgehängt, bis sie tot war. Ihr blieb das schlimmere Schicksal erspart, da das Opfer nicht ihr Gatte war.[23]
Im gleichen Jahr wurde ein anderes unschuldiges, junges englisches Mädchen wegen Mittäterschaft bei der Ermordung ihres Vaters gehängt. Der Schuldige war in diesem Fall, wie er zugab, der Liebhaber, ein junger Medizinstudent, den der Vater von Mary Blandy, so war ihr Name, nicht dulden wollte. Wenn er auch den jungen Mann nicht leiden mochte, so nahm er doch von ihm verschriebene Medizin, wovon ihn eine, die ihm Mary verabreichte, tötete. Die Diener und Nachbarn schworen, daß Mary ihrem Vater sehr zugeneigt gewesen sei, sie selbst erklärte, von dem Gift nichts gewußt zu haben, der Medizinstudent floh verdächtigerweise aus dem Lande, und die >Gerechtigkeit< nahm ihren Lauf. Mary Blandy wurde am 6. April 1752 zum Galgen geführt. Sie war 18 Jahre alt. Ihr Geliebter durfte wieder zurückkehren, und man klagte ihn nicht an. Er lebte als Arzt bis zu seinem Tode, ohne daß seinem Namen der Geruch eines schweren Verbrechens anhing, obwohl er zugegeben hatte, ohne Mary's Wissen in Mr. Blandys Medizin Arsen gemischt zu haben.
Ein noch traurigerer Fall war der von Margaret Harvey, die am 6. Juli 1750 im Alter von 17 Jahren gehängt wurde. Schon sehr jung mit einem brutalen Mann verheiratet, der älter war als sie, rannte sie ihm bald davon und suchte Zuflucht bei ihren Eltern. Doch ihr Vater weigerte sich in echt patriarchaler Haltung, sie aufzunehmen und befahl ihr, zu ihrem Gatten zurückzukehren. Um dieser Art von Selbstmord zu entgehen, zog sie in die Stadt, um Arbeit zu suchen. Bald stahl sie, vom Hunger getrieben, auf der Straße einem Mann ein kleines Geldstück. Dieser rief den Schutzmann, das Mädchen wurde festgenommen, die Gerechtigkeit nahm ihren Lauf, und Margaret mußte für ihren kleinen Diebstahl mit dem Leben bezahlen.
Martha Tracy, 16 Jahre alt, von ihrem Vater von zu Hause fortgejagt, da sie schwanger geworden war, folgte ihrem treulosen Liebhaber nach London, wurde von ihm zurückgestoßen, bekam Hunger, stahl die Tasche eines Mannes, wurde festgenommen, und, schwanger wie sie war, 1745 in Tyburn gehängt.[24]
Dann war da noch der Fall einer Mrs. Brownrigg, einer älteren Dame, die schon jahrelang Waisenkinder aus dem Arbeitshaus angenommen und ihnen Unterkunft, Verpflegung und Anstellung verschafft hatte. Nie wurden Klagen über sie laut, bis ihr Sohn von der See zurückkehrte und bei ihr Wohnung nahm. Nun verbreiteten sich Gerüchte, die Brownriggs mißbrauchten die ihnen anvertrauten jungen Mädchen. Geschichten von sadistischen Folterungen, von Auspeitschungen, finsteren Verließen und noch Schlimmeres kam den Behörden zu Ohren, so daß die Brownriggs vor Gericht gestellt wurden. Mr. Brownrigg und sein Sohn wälzten alle Schuld auf die Frau ab, doch die geschändeten Mädchen klagten den Sohn an. Trotzdem wurde Mrs. Brownrigg, würdevoll bis zuletzt, in Tyburn 1767 gehängt. Die beiden Männer erhielten jeder sechs Monate und wurden dann entlassen.[25]
Im selben Jahrzehnt wurden Sarah Meteyard und ihre Tochter, Kurzwarenhändlerinnen in der Bruton-Street, gehängt, weil sie den Tod ihres Lehrlings verursacht hatten. Nur wenige Jahre vorher war der Weber James Duran freigesprochen worden, nachdem er seinen 13 Jahre alten Lehrling mit einem Schrubberstiel totgeschlagen hatte. Auch John Bennett, ein Fischer aus Hammersmith, kam mit einer leichten Strafe davon, nachdem er seinen 11 Jahre alten Lehrling mit einem Seil erschlagen hatte. »Der Junge starb an seinen Wunden, an der mangelnden Pflege und an Hunger und Kälte«, hieß es im ärztlichen Bericht bei der Verhandlung.[26]
Diese Fälle von Morden an Lehrlingen enthüllen nicht nur, wie wenig man sich im 18. Jahrhundert um die Kinder der Armen kümmerte, sondern sie verdeutlichen auch, was uns hier mehr angeht, den doppelten Maßstab, den das Gesetz bei weiblichen und männlichen Tätern anlegte. Ein Fall, der beide Mängel der Gesellschaftsordnung jener Zeit bezeugt, ist der der kleinen Mary Wotton, die von ihrer Herrin Schmuck gestohlen hatte und deshalb 1735 gehängt wurde. Sie war gerade neun Jahre alt. [27]