Da Frauen Ketten tragen müssen,
höre ich sie gerne ein wenig rasseln.
George Farquhar
Kurze Blüte: Das 16. Jahrhundert
Die protestantische Reformation versprach am Anfang, die Bürde der Frauen zu erleichtern, indem sie sie von der verdummenden und verkrüppelnden Unterdrückung befreite, in der das verachtete Geschlecht für so lange Zeit gehalten worden war. Man könnte sagen, die Reformation habe die Renaissance bewirkt, denn jene Wiederbelebung des Intellektualismus und der alten Bildung forderte eine Sprengung der Ketten, in die die Kirche den menschlichen Geist seit vielen Jahrhunderten gelegt hatte. Die Reformation bedeutete auch für die protestantischen Länder das Ende der Inquisition, jener blutigen Decke, unter deren alles einschließendem Machtanspruch so viele Frauen wegen zahlloser Gründe, die mit Ketzerei überhaupt nichts zu tun hatten, grausam vernichtet wurden. Die puritanischen Hexenjagden, die für das weibliche Geschlecht an die Stelle der Schrecken der Inquisition treten sollten, lagen noch in der Zukunft, und die unumschränkte Gewaltherrschaft der Geistlichkeit mit ihren Gefahren für so viele Generationen von Frauen war nicht mehr. Für Millionen Frauen bedeutete diese kurze Frist eine Verringerung von Furcht und Anspannung, und vorübergehend schien es, als erweitere sich die allgemeine Renaissance beständig, um auch die weibliche Hälfte der europäischen Bevölkerung einzuschließen.
Die kurze Periode der Aufklärung wurde jedoch im 17. Jahrhundert plötzlich beendet: In protestantischen Ländern durch das Emporkommen des fanatischen und die Frauen unterdrückenden Puritanismus und in den katholischen durch das Papsttum, das durch den Aderlaß der Zweifler, Intellektuellen und höher Gebildeten neu bestärkt wurde. Aber in der kurzen Zeit zwischen Luther und Calvin erfreuten sich die Frauen einer lebenspendenden Erholung von dem Mißbrauch und der Knechtschaft der letzten tausend Jahre. Vorübergehend war es den Frauen auch nicht mehr verboten, sich geistig zu betätigen, mit dem Ergebnis, daß das 16. Jahrhundert Zeuge einer beachtenswerten Blüte hervorragender Frauen wurde, einer echten Wiedergeburt weiblichen Intellektualismus' und Schöpfergeistes, der die Renaissance vergleichsweise weit überstrahlte.
»Niemals seit der Zeit der weiblichen Dichter, Philosophen und Denker des alten Griechenland und Rom hatten die Frauen in geistigen Dingen mehr Handlungsfreiheit als im 16. Jahrhundert«, schreibt John Augustus Zahm. »Der geistige Bereich stand ihnen überall in gleichem Maße offen wie den Männern.«[1] Die Frauen des 16. Jahrhunderts verhielten sich wie Pflanzen, die nach langem Aufenthalt in der Dunkelheit an die Sonne gebracht werden: Sie antworteten auf das ungewohnte Licht und die unbekannte Wärme in einer Weise, die man nur als wunderbar beschreiben kann.
Nicht einmal eine Generation nach der Zeit, in der es Mädchen nicht gestattet war, Lesen zu lernen, »hatte jede bedeutende Stadt Frauen, deren Ruhm eine Quelle bürgerlichen Stolzes war. Frauen besuchten die großen Universitäten und hatten sogar wichtige Lehrstühle in den bedeutendsten Fakultäten inne«.[2]
Vor England erreichte die weibliche Renaissance Spanien. Im späten 15. Jahrhundert hielt die Königin Isabella von Spanien am dortigen Hofe zwei hervorragende weibliche Gelehrte, die ihre Töchter und sie selbst in der wiederentdeckten Bildung der alten Griechen und Römer unterwies. Die eine dieser Lehrerinnen war die bekannte Beatrix Galindo, eine Professorin an der Universität von Salamanca, die andere Francisca de Lebrixa von der Universität Alcalä. Diese beiden Frauen schufen am spanischen Hof eine gelehrte und geistige Umgebung, eine anregende Atmosphäre, in der die Königstochter Katharina von Aragon heranwuchs. Dieses hochbegabte Mädchen, von dem berühmten Desiderius Erasmus egregia docta (»eine sehr gelehrte Dame«) genannt, wurde als Gemahlin des damaligen Prinzen von Wales nach England gesandt. Mit sich nahm sie die Gelehrsamkeit und die Wißbegierde des spanischen Hofes der Königin Isabella. Und mit dem Jahre 1501 war die Bildung von Damen in England genauso modisch geworden wie in Spanien. Zur Zeit Königin Marys, der Tochter Katharinas und Heinrichs VIII., fand man in England sehr viele gebildete und geniale Frauen.
Eine der geistreichsten war Königin Mary selbst, eine Enkelin der gebildeten Isabella, deren Übersetzung von Erasmus' Paraphrase on the Gospel ofSt. John internationalen Beifall fand. Anne Bacon, eine Zeitgenossin Marys, die Tochter von Sir Anthony Coke und Mutter des großen Genies der elisabethanischen Zeit, Sir Francis Bacon, wurde von Heinrich VIII. zur Hauptlehrerin seines Sohnes Edward gewählt, Marys Halbbruder. Die kleine Jane Grey, die Enkelin von Heinrich VII., die die Thronfolge nach Edward für neun kurze und tragische Tage antrat, war eine glänzende Schülerin. Auf Befehl Heinrichs VII. hin, wurde sie zusammen mit ihrem Cousin Edward, dem zukünftigen König Edward VI., unterrichtet, der dem Vernehmen nach .ein ausgezeichneter Schüler und äußerst klug für sein Alter war. Doch den Lehrern der zwei Kinder zufolge, war Lady Jane König Edward in ihreät Wissen und in Sprachen überlegen.[3]
Aber die größte dieser gebildeten vor-elisabethanischen TudorFrauen war Margaret Roper, die Tochter von Sir Thomas More. Sir Thomas setzte sich nachdrücklich für die weibliche Erziehung ein, und seine Töchter erhielten dieselbe Unterstützung wie sein Sohn John. »Ich verstehe nicht, warum gleiche Bildung für beide Geschlechter nicht gleich förderlich, sein sollte«, schrieb er und wiederholte damit die Worte, die Piaton 2000 Jahre vorher gesprochen hatte. Und Sir Thomas bewies die Richtigkeit seiner Anschauung, indem er Töchter hervorbrachte, deren Bildung weit und breit gerühmt wurde und die die ihres einzigen Bruders John überragte.
Die gelehrteste von ihnen war Margaret, seine »sweete Megg«, die er sanft in einem Brief schalt, »daß sie zu zaghaft ihren Vater um Geld bat, der sowohl wünscht, es dir zu geben, als du es auch verdient hast«.[4] In einem anderen Brief sprach er mit ihr über das uralte Problem, unter dem geistreiche Frauen heute noch leiden: »daß Männer, die deine Schriftstücke lesen, vermuten, du hättest Hilfe von einem Mann in dir bekommen«.[5]
1661, als die Frauen durch den neuen Puritanismus wieder zurück in die Knechtschaft geworfen worden waren, fühlte sich Thomas Füller verpflichtet, sich zu entschuldigen, daß er Margaret More Roper zu den großen Persönlichkeiten zählte. »Der Leser möge mich dafür entschuldigen«, schrieb er, »daß ich eine Frau mit Männern gleichgestellt habe (...) doch Margaret Roper erreichte eine solche Vollendung in ihrer Bildung und in den Sprachen, daß sie ein Wunder ihrer Zeit wurde. Ausländer schenkten dem so viel Aufmerksamkeit, daß Erasmus ihr einige Episteln gewidmet hat (...). Sie korrigierte eine zweifelhafte Stelle in Sankt Cyprians Werken und übersetzte Eusebius aus dem Griechischen.«.[6] Es braucht wohl kaum gesagt zu werden, daß Margarets Eusebius nie gedruckt wurde, denn ein »I. Christopherson«, so erklärt Füller, »hat das gleiche getan« und kam ihr beim Druck zuvor.[7]
1524 wurde Margarets Übersetzung von Erasmus' Abhandlung über das Gebet des Herrn gedruckt, mit einer Einführung von Richard Hyrde, der Margarets Leistungen als Argument für die höhere Bildung der Frauen benützte, »die erste in Englisch geschriebene Begründung für eine Universitätsausbildung der Frauoft«.[8]
Bis zur Mitte des Jahrhunderts folgten Hyrde viele berühmte Männer, die eine höhere Ausbildung der Frauen befürworteten. Zu ihnen gehörten Edward Coke, der Graf von Arundel, der Herzog von Somerset, More und König Heinrich. Selbst Erasmus wurde schließlich gewonnen, überzeugt, wie er sagte, von den zahlreichen Beispielen weiblichen Geistes und weiblicher Bildung unter den jungen Damen Englands. In dem Versuch, die allgemein männliche Abneigung gegenüber gebildeten Frauen abzubauen, riet er den Männern, sich an die neuen Gedanken zu gewöhnen, ähnlich wie Hamlet seiner Mutter riet, sich mit der Tugend zu befreunden, so daß am Ende all das, was »jetzt unangenehm erscheint, angenehm wird und alles Unschickliche würdevoll sein wird.«[9]
Königin Elisabeth war eine der größten Gelehrten des ausgehenden 16. Jahrhunderts. John Ascham, einer der größten Gelehrten aller Zeiten und der Elisabeth unterwies, hielt sie schon als junges Mädchen für gebildeter als sechs Herren des Hofes zusammengenommen.[10] Sie sprach und schrieb ohne Schwierigkeiten griechisch und lateinisch ebenso wie französisch, italienisch und spanisch und übersetzte Piaton, Aristoteles und Xenophon. Sie schrieb leidliche Gedichte, wobei eines ihrer Sonnette, Ironie des Schicksals, der »lieblichen Tochter des Wortstreits«, ihrer Cousine Mary, der schottischen Königin, gewidmet war, gegen die sie später so grausam war.
Einige große Zeitgenossinnen Elizabeths waren Jane Weston die zu den besten Dichterinnen ihrer Zeit gehörteidElizabeth Danviers, eine Chaucer-Autorität; Elizabeth Melville, eine Dichterin, und vor allen anderen Mary Sidney, Gräfin von Pembroke, die Schwester von Sir Philip Sidney und die Mutter jenes William Herbert, dem Shakespeares Liebe galt und auf den wahrscheinlich eines seiner zärtlichsten Sonette geschrieben ist. Mary Sidney war nicht nur eine außergewöhnlich gute Dichterin, sondern ihr verdanken wir auch die meisten Werke ihres Bruders, Sir Philip Sidneys, Königin Elisabeth »vollkommenen Ritters«. Denn es war Mary, die nach seinem frühen Tod sein Werk sichtete, auf Hochglanz brachte und veröffentlichte. Es wird behauptet, daß sein Arcadia, das schönste seiner langen Gedichte, zum großen Teil von ihr verfaßt wurde, da ihr Bruder es nicht vollenden konnte.
Es ist ziemlich wahrscheinlich, daß das gesamte Arcadia das Werk Mary Sidneys und nicht das Philips ist. Das Titelblatt der ersten Ausgabe von Arcadia, die 1590 erschien, weist es deutlich als das Werk der Gräfin von Pembroke, Mary Sidney Herbert, aus. In den späteren Ausgaben ging der Ruhm mehr und mehr auf Sir Philip über. In ihren kürzeren Gedichten kommen sich Philip und Mary sehr gleich; beide sind also als Autoren von Arcadia gleichermaßen glaubwürdig. In heutigen Seminaren über englische Literatur jedoch ist Sir Philip der Autor.
John Aubrey, ein Plauderer des 17. Jahrhunderts und Verfasser von Brief Lives, meint, daß Mary Sidney eine beachtenswerte Chemikerin gewesen sei, deren Kenntnisse auf diesem Gebiet die Bewunderung Adrian Gilberts fand, des bedeutendsten Chemikers jener Zeit.[11] Mary Sidney, die Gräfin von Pembroke, war nicht nur eine geistreiche und gebildete Dame, sie war auch wegen ihres großen Charmes und ihrer Schönheit berühmt. Sie war die Gönnerin von Ben Jonson und über ihren Sohn auch von William Shakespeare. Jonson's Huldigung für sie ist immer noch in allen Anthologien enthalten, jedoch wird sie in einigen auch William Browne zugeschrieben:
Unter diesem Leichentuche
Liegt die Angebetete der Dichtkunst —
Sidneys Schwester, Pembrokes Mutter.
Tod, bevor du eine andere dahinraffst,
So gelehrt, so lieblich und gut wie sie,
Soll der Pfeil der Zeit dich treffen.[12]
Mary Sidney Herbert, die Gräfin von Pembroke, die im Jahre 1621 starb, war die letzte eines Schauspiels großer, geistreicher, gebildeter und bezaubernder Frauen, die das England des 16. Jahrhunderts zierten. »Die Geschichte berichtet uns von keiner Zeit, in der so viele wahrhaft große Frauen anzutreffen waren, wie zwischen 1500 und 1600«, schrieb William Wotton im Jahre 1697.[13]
Und dann war beinahe genau mit der Jahrhundertwende das Zwischenspiel der weiblichen Wiederauferstehung plötzlich zu Ende. Königin Elisabeth starb, der Puritanismus regte sein häßliches Haupt, Bildung wurde nicht mehr geschätzt, und die Frauen warf man zurück in die Dunkelheit, aus der sie die Reformation für leider all zu kurze Zeit befreit hatte.
Zurück in die Knechtschaft: das 17. Jahrhundert
Man hat gemeint, der Puritanismus hätte wegen seiner Betonung des Individualismus das Los der Frauen erleichtern und zu ihrer Emanzipation beitragen müssen. Die Tatsache, daß männliche Autoren so beiläufig von >Emanzipation< im Zusammenhang mit Frauen reden, der Hälfte der Menschheit, ist sehr verräterisch. Denn Emanzipation schließt Sklaverei ein. Die Ansicht, der Puritanismus habe die Frauen emanzipiert, ist von vielen Männern vertreten worden. Doch die Begründung ist schwer zu verstehen, denn diese Religion war eine Rückkehr zur Frauenfeindlichkeit des Alten Testamentes, das vse? allen anderen die Versklavung der abendländischen Frauen bewirkt hat. Der Individualismus wurde zwar von den Puritanern nachdrücklich betont, aber wie die amerikanische Unabhängigkeitserklärung mit ihrem »Alle Männer sind gleich geschaffen« (all men are created equal) (das englische Wort >men< bedeutet Menschen und Männer, Anm. d. Übers.), wandte sich die puritanische Erklärung nur an die Männer. Den puritanischen Frauen wurde die Gleichheit dreifach verweigert: durch das weltliche Gesetz, das Gesetz der Staatskirche und nun durch die puritanische Überbetonung der jüdischen >Moral<, die bestimmte, daß sich die Frauen stets den Männern unterordnen mußten.
Wenn die katholische Kirche dem Alten Testament wegen der irrigen Vorstellung, es sei ein sittliches Zeugnis, übermäßiges Gewicht verliehen hatte, so waren die Puritaner noch einfältiger. Die harte Unmenschlichkeit und der mitleidlose Opportunismus der alten Hebräer hatten es ihnen so angetan, daß sie das Ritual der anglikanischen und der katholischen Kirche als verderbt und sündhaft frivol ansahen. »Die Rituale, die sich auf das Leben und Sterben unseres Herrn beziehen, bleiben bei den Puritanern leer«, sagt die Katholische Enzyklopädie. »Sie hielten nur den Sabbat in einem Geist jüdischer Gesetzestreue.«[14] Weihnachten wurde im 17. Jahrhundert des puritanischen England oder in der Plymouth-Kolonie der Pilgerväter Nordamerikas nie gefeiert, in einem Land, wo es heute der wichtigste Handelskarneval des Jahres ist. Und was die Jungfrau Maria, die Mutter Jesu, angeht, so ist es besser, je weniger man von ihr spricht!
Die Frauen hatten unter dem Katholizismus brutale Erfahrungen gemacht, und ihr Los linderte sich unter dem Protestantismus keineswegs. Denn die Protestanten waren es, die mit den Hexenjagden begannen, welche im 17. Jahrhundert den gewaltsamen Tod vieler Tausender unschuldiger junger und alter Frauen verursachten. Die Hexenverbrennung als Gegensatz zur Ketzerverbrennung war keine Eigentümlichkeit des Mittelalters. Sie stellte eine Neueinführung der Protestanten dar, und obwohl viele >Hexen< in katholischen Ländern während der Hexenzeit leiden mußten, so entstand doch der Wahn dort, wo er auch die größten Auswüchse zeitigte: im protestantischen Deutschland, jener Wiege des Extremismus und der Gewalttätigkeit.
Im Gegensatz zur weitverbreiteten Meinung wurden weder in England noch in der englischen Kolonie von Massachusetts jemals Hexen verbrannt. In England wurden einige Männer und Frauen als Hexen gehängt, und in Massachusetts waren es genau fünf Frauen und 15 Männer, und ein Mann wurde zwischen Brettern zu Tode gequetscht. Das bekannte amerikanische Märchen von alten Frauen, die zu Hunderten in Salem verbrannt wurden, ist reine Erfindung. Von den 21 Menschen, die dort wegen Hexerei hingerichtet wurden, waren mehr als Dreiviertel Männer, und weder ein Mann noch eine Frau wurden verbrannt.
Wenn auch in England die Hinrichtung wegen Hexerei selten war, so unterwarf doch die Suche nach möglichen Hexen allzu viele Frauen jeden Alters dem Schmerz und der Entwürdigung der Suche nach >Hexenmalen<.
Diese Untersuchungen wurden von Laien ausgeführt, die der Staat dazu bestimmte. Und viel öfter als nötig dehnten sie sich auch auf die privatesten und empfindlichsten Teile der Frau aus. Es war schon schlimm genug, überall mit langen Nadeln gestochen zu werden, um vielleicht gefühllose Stellen, die .Hexenmale' zu finden, noch übler war es aber, wenn einem die große, schmutzige, schwielige Hand des Untersuchenden die Scheide hinauffuhr, um angeblich verborgene Hexenmerkmale zu finden. Ebenso wie die Priester und Geistlichen Brüder des Mittelalters dieses Vorrecht bei ihrer angeblichen Suche nach Huren ausgenützt hatten, so taten dies auch die puritanischen Hexenjäger des 17. Jahrhunderts.[15]
Damals mußten sich in England alle Frauen, ob nun verwahrlostes Straßenmädchen oder Grundherrin, dieser entwürdigenden und schmerzhaften Prüfung unterziehen, je nachdem, wie es dem Hexenjäger einfiel. Und man kann sicher sein, daß diese Männer dabei nicht rücksichtsvoller vorgingen, als es sein mußte.
Die Frauen lebten in diesem dunklen Jahrhundert in einer neuen, seelenvernichtenden, häßlichen Umwelt, was Frauen und Künstler stets stärker empfinden als Männer.
Trotz all ihrer Grausamkeiten und Unterdrückungsmaßnahmen hatte die katholische Kirche doch zumindest Tanz und Lustbarkeiten auf der Dorf wiese und, in Grenzen, sexuelle Freuden zwischen den Ehepartnern geduldet, vielleicht die einzigen Lichtblicke in der stumpfsinnigen Plackerei und dem verdummenden Elend der Welt der mittelalterlichen Frau. Doch jetzt wurden selbst diese kleineren Vergnügungen von den strengen und puritanischen Pastoren der Reformation verboten.
Darüber hinaus hatten die Gottesdienstbesucher in den katholischen Kirchen, ob sie nun überzeugte Gläubige waren oder nicht, in der Schönheit der Kirche selbst, in den farbenprächtigen Gewändern der Priester, den herrlichen Bildern der Glasfenster, dem Duft des Weihrauchs, dem Funkeln der Altargeräte, den Abbildungen der Heiligen und dem ganzen Drum und Dran des lateinischen Ritus wenigstens vorübergehende Erleichterung und kurzzeitigen Trost gefunden. Doch was an wenigem Schönem in ihrem tragischen Leben noch gestattet war, wurde jetzt auch ausgemerzt. Das Tanzen wurde verboten, Sex nur mehr sehr widerwillig geduldet und die Ehemänner wurden ermahnt, sich nur mit der Absicht der Fortpflanzung sexuell zu betätigen und bei allem, was heilig war, auf keinen Fall die Frau zum Orgasmus kommen zu lassen.
Aus den Kapellen und Kirchen wurde alles Schöne und Geheimnisvolle als Werk des Teufels hinausgeworfen. Verschwunden waren die farbenfrohen Gewänder aus Samt, Satin und Gold, verschwunden die Glasmalereien, verschwunden die Heiligenstatuen, der Weihrauch, die silbernen Altargeräte, die Kreuze mit ihren kraftlosen und blutenden Jesusfiguren, und vor allem die Madonna mit ihre blauen Mantel, ihrem rosigen Kindchen und ihrer rosigen, offenen Brust. Und verschwunden war auch der Hokuspokus des lateinischen Gottesdienstes, der einst die Leere und Rohheit der traditionellen Worte verborgen hatte. Nunc dimittis bedeutete jetzt »Ihr seid entlassen!«, und nichts Geheimnisvolles war mehr daran. Die Reformation hatte den einzigen erlösenden Wesenszug des organisierten Christentums beseitigt: die mystische, heidnische, griechische Schönheit seines Rituals.
Doch was die Seelen in dem neuen calvinistischen Protestantismus am stärksten erschütterte, war die Verkündung der Vorherbestimmung: daß des Menschen Schicksal festgelegt war, und daß all seine Frömmigkeit und all seine geistigen Fähigkeiten nicht das Mindeste daran ändern konnten. Vor allem für Frauen mußte diese neue Hoffnungslosigkeit besonders verheerend gewesen sein. Tausend Jahre lang in der Gewißheit erzogen, daß sie Gottes niederste Kreaturen waren, Sünderinnen von Geburt an, wegen Evas Ungehorsam für immer verflucht, hatten die Frauen dem Himmel entgegengeblickt, wo ihre Sünden von der barmherzigen und mitfühlenden Jungfrau vergeben werden würden. Jetzt aber gab es keine Hoffnung mehr. Die Jungfrau war beseitigt worden, und das Geschick der Frau war unausweichlich und furchtbar. Niemals konnte sie erlöst werden. Die Ermahnungen des Hl. Paulus an die Frauen wurden von diesen eifriger gelesen als je zuvor, in der vergeblichen Hoffnung, daß, wenn sie ihnen nachkämen, sie in des Mannes Himmel vielleicht freundlicher behandelt würden als auf seiner Erde.
Ein unerwartetes Ergebnis all dieses paulinischen Studiums war, daß Maria, die Prinzessin von Oranien, die Tochter Jakob IL, sich weigerte, die Krone anzunehmen, als man sie 1688 nach England zurückrief, um den Thron zu besteigen, Und das alles deswegen, weil sie sich Paulus' Spruch ,,Man gestatte keiner Frau, Macht über einen Mann zu haben!« zu Herzen genommen hatte. Noch so inständiges Bitten der englischen Regierung, des Parlaments und der kurz zuvor wieder eingesetzten Kirche konnten sie nicht von ihrem paulinischen Standpunkt abbringen. Schließlich willigte sie nur unter der Bedingung ein, daß ihr unausstehlicher kleiner Gatte Wilhelm von Oranien gleichberechtigt mir ihr den Thron teilte, daß er aber ihr, der Erbin gegenüber, den Vorrang hatte. Die Obrigkeit mußte sich fügen. So besaßen die Engländer zum ersten Mal in ihrer Geschichte zwei gleichberechtigte Monarchen.
Den neubestärkten Antifeminismus jener Zeit hatte zu Beginn des 17. Jahrhunderts Marias Urgroßvater Jakob I. bestätigt, von dem frauenfeindlichen puritanischen Fanatiker John Knox beeinflußt, der Jakobs eigene Mutter Maria, die Königin von Schottland, in den Tod getrieben hatte. Ein Mann schuldete seiner Mutter nichts, mit Ausnahme seiner Existenz, verkündete Jakob. Der Vater war der einzige Ursprung, die Mutter nur ein Brutapparat. Dies war eine unerwartete Rückkehr zu dem von Aristoteles abgeleiteten Glauben, daß des Mannes Sperma einen »homunculus« einen vollständigen kleinen Menschen enthielte, der nur eine entsprechende Umgebung brauche, um zu einem fertigen menschlichen Wesen heranreifen zu können. Dieser Aberglaube ist zwar vorausschauend im Hinblick auf «He genetische Erkenntnis, daß das neue menschliche Wesen bei der Befruchtung alles zur Bildung eines Mannes oder einer Frau Nötige mitbekommt. Der Irrtum liegt aber in der alten Ansicht, nur des Vaters Sperma enthalte die Baustoffe, daß nach Aeschylos' Worten »der Ursprung derjenige ist, der obenauf liegt«. Es ist jetzt bekannt, daß die Mutter dem ungeborenen Kind weit mehr mitgibt als der Vaters,' Nicht nur übermittelt sie ihm bei gleicher Chromosomenzahl mehr Gene,[16] sondern da sie das Kind neun Monate in ihrem Leib trägt, ist sie in der Lage, dem neuen Menschen bestimmte Merkmale seiner Psyche, seines Temperamentes und seiner nervlichen und körperlichen Verfassung zu verleihen. Hierin kann sich der Vater nicht mit ihr messen.
Während des ganzen finsteren Mittelalters war man so fest davon überzeugt, daß nur der Vater Natur und Aussehen des Kindes bestimmen könnte, daß manche Frauen wegen Untreue getötet wurden, wenn ihr Sohn bei der Geburt ihrem Vetter oder irgendeinem unbekannten Vorfahren ähnlich sah, anstatt dem Vater »wie aus dem Gesicht geschnitten« zu sein. Die Frauen, die sich sicher waren, weder Ehebruch noch Blutschande begangen zu haben, ließen sich die Bestrafung gefallen, in dem Glauben daß vielleicht ein Alp, der dem Bruder, Vater oder Vetter ähnlich sah, während des Schlafes mit ihnen Geschlechtsverkehr gehabt hatte. Viele Frauen >gestanden< sogar solch seltsame seelische Verführungen.
»Die Frau bereitet nur den Boden, in dem der Samen des Mannes die erforderlichen Entwicklungsbedingungen findet«, hatte Theophrastus Bombastus (Paracelsus) geschrieben. »Sie hegt den Samen und läßt ihn heranreifen, ohne selbst irgendeinen Samen hinzuzufügen. So stammt also der Mensch nie von der Frau, sondern immer nur vom Mann ab.«[17]
So sehr glaubte man an diesen Irrtum, daß man von einem Wissenschaftler des 17. Jahrhunderts, dem Grafen Johann von Kueffstein, erzählte, er habe wirkliche lebende Wesen geschaffen, indem er männlichen Samen neun Monate warm und feucht gehalten und mit Monatsblut genährt habe.[18]
Der erneute Nachdruck, mit dem der weibliche Intellekt geächtet wurde, stellte jedoch den größten Rückschritt des Jahrhunderts dar. Wie die jüdischen Christen der ersten beiden Jahrhunderte beim Anblick der Freiheit und Macht der römischen Frauen sich entschlossen, sie zu erniedrigen und zu versklaven, so wollten auch die alttestamentarischen Puritaner des 17. Jahrhunderts die Neigung des 16. Jahrhunderts zügeln und die Frauen in die ihnen zukommende gottgewollte Knechtschaft zurückversetzen.
»Nach Art und Wesen sind das 16. und das 17. Jahrhundert mehr als hundert Jahre voneinander getrennt«, schreibt Myra Reynolds. »Betrachten wir das eifrige geistige Leben der englischen Frauen der Tudor-Zeit mit all seinen mannigfaltigen Möglichkeiten, und sehen wir uns dann an, was im 17. Jahrhundert neben einer äußerst oberflächlichen häuslichen und schulischen Erziehung für die Mädchen noch übrigblieb.«[19]
Der Geist der mächtigen Frauenfeinde des Mittelalters, angefangen beim Hl. Clemens bis hin zu Gratian, wurde neu belebt.
Mit seinen Zeilen aus Paradise Lost (Das verlorene Paradies), gab John Milton, der erste Dichter des Puritanismus, Thomas von Aquin aus dem 13. Jahrhundert wieder, der die Frau ein »Ungeheuer der Natur« genannt hatte:
Ach, warum hat Gott,
der weise Schöpfer, der die höchsten Himmel
mit männlichen Geistern bevölkerte, zuletzt
auf Erden diese Neuheit geschaffen, diese
schöne Unvollkommenheit der Natur?[20]
In einem 1631 veröffentlichten Buch ermahnt der Verfasser, ein gewisser Thomas Powell, die Frauen, Musik und Bücher sein zu lassen und »das Kochen und Wäschewaschen und die Grundlagen für eine gute Haushaltsführung zu lernen«. Sir Ralph Verney erfreut sich in seinen Memoirs of tbe Verney Family (Erinnerungen der Familie Verney) darüber, daß seine Tochter »Pegg sehr zurückgeblieben ist«, doch sei »sie für eine Frau genug gebildet«.[21]
Anne Clifford, die Frau eines Enkels von Mary Sidney, der berühmten elisabethanischen Gräfin von Pembroke, litt in diesem düsteren Jahrhundert grausam unter ihren geistigen Fähigkeiten. Ihr war das Mißgeschick widerfahren, nach der elisabethanischen Tradition ihrer Mutter und Großmutter erzogen worden zu sein. Ihre spätere Ehe mit einem Adligen, der, ganz ein Mann seiner Zeit, jegliche Bildung, ob der Männer oder Frauen, verachtete und verschmähte, war eine »einzige Qual«. 1638 schrieb diese bemitleidenswerte Frau an eine Freundin, daß sie sich fürchte, sie ohne Zustimmung ihres Gatten zu besuchen, »damit er mich nicht aus diesem Haus wirft wie damals in Whitehall, so daß ich dann nicht weiß, wohin ich mein Haupt legen soll«.[22] Doch diese Grafentochter hatte für ihren brutalen Mann einen großen Landbesitz und eine Menge Geld mit in die Ehe gebracht.
Eine andere bedauernswerte, gebildete Frau dieses Jahrhunderts war Elizabeth Jocelyn, die Enkelin des Bischofs von Lincoln. Dieser war von der Wichtigkeit der weiblichen Erziehung überzeugt und hatte sich deshalb um seine kleine, vielversprechende und intelligente Enkelin sehr bemüht. Daß all seine Mühe und Sorgfalt ihr später nur Kummer bescherten, wird durch einen Brief bestätigt, den sie auf ihrem Totenbett im frühen Alter von 25 Jahren schrieb. Sie hatte eben eine Tochter geboren, und ihr letzter Brief an ihren Gatten drückte ihre schmerzliche Sorge um das zukünftige Glück dieses armen kleinen Mädchens aus: »Ich wünsche, daß sie erzogen wird, die Bibel zu lernen, den Haushalt ordentlich zu führen und gute Werke zu tun. Mehr braucht sie nicht zu können. Denn ich habe erkannt, daß einer Frau Bildung nicht mehr nützt, als ein Hauptsegel einem Boot, das voll Wasser läuft.«[23]
Mit dem Ende des 17. Jahrhunderts »hält man eine Frau in dieser Zeit für genügend gebildet, wenn sie das Bett ihres Mannes von dem eines anderen unterscheiden kann«.[24]
Zwischen 1670 und 1680 erschien The Ladies Calling (Die Bestimmung der Frau), ein von einem Mann verfaßtes Buch, das die wütende Frauenfeindlichkeit des achtzehnten, neunzehnten und zwanzigsten Jahrhunderts bereits ankündigte. Zu seinen Glanzstellen zählte diese: »Da Gott bestimmt hat, daß es das Los der Frauen sei, unterworfen zu werden, brauchen wir uns nicht weiter darüber aufhalten, ob das schicklich ist, oder ob sie sich fügen.«[25]
Mit diesem argumentum ex deo war die männliche Auseinandersetzung über die Rechte und Fähigkeiten der Frauen abgeschlossen, und zwar für zweihundert Jahre. Der Feldzug »Unterdrückt die Elende!« war in diesem rückschrittlichen Jahrhundert so erfolgreich, daß an seinem Ende ein gewisser J. Richards, dessen Manuskript jetzt im Britischen Museum liegt, von den Frauen seiner Tage tatsächlich schreiben konnte: »Diese erbärmlichen Kreaturen, die nichts anderes wissen, als daß sie zum Nutzen des Mannes gemacht wurden!«**399.20.26***