Die Sexualität hat in ihr (noch) nicht
sehr tiefe Spuren hinterlassen. Sie ist nicht nur Frau,
sondern ein menschliches Wesen.
Emily James Putnam
Die Frauen des klassischen Griechenland
Nach Marcus Terentius Varro (116-27 v. Chr.) stürzten die Athener die Macht der Frau aus eifersüchtigem Ärger zur Zeit der Herrschaft von Ägeus etwa 300 Jahre vor dem Trojanischen Krieg. Erst damals verfügten die Männer Athens, indem sie auf ihre körperliche Überlegenheit pochten, daß Frauen nicht mehr in die Versammlung gewählt werden, Kinder nicht mehr den Namen ihrer Mutter, sondern den ihres Vaters[1] tragen sollten, und daß die stolze Bezeichnung »athenisch«, Kind der Göttin, nicht mehr ausschließlich weiblichen Bewohnern Athens vorbehalten blieb. Die Männer Athens behielten natürlich Athene als ihre Schutzgöttin; aber viel später, nach der dorischen Eroberung und der Erfindung von Zeus mußten sie für Athene eine ungeheuerliche, mutterlose Geburt aus dem Haupt des Zeus ausdenken und aus ihr jene abscheuliche Absonderlichkeit machen: ein »Mannweib«, eine Verräterin ihres Geschlechts.
Nach Aeschylos im 5. Jahrhundert v. Chr. siegte das Vaterrecht erst nach dem Trojanischen Krieg über das Mutterrecht. Als Agamemnon von diesem Krieg zurückkehrte und von seiner Königin Klytemnestra ermordet wurde, tötete Orestes, wie jeder weiß, seine Mutter, um seinen Vater zu rächen. Er wurde von den alten Göttinnen, den Erinnyen, verfolgt, aber von Apollon, der die neuen männlichen Götter vertrat, verteidigt. In den Eumeniden dramatisiert Aeschylos den Kampf zwischen diesen Erinnyen (den Eumeniden) und Apollon wegen Orestes' Mord. Die Eumeniden sehen nichts Schlimmes in Klytemnestras Mord an ihrem Gatten, denn »der Mann, den sie ermordete, war mit ihr nicht blutsverwandt«. Doch Orestes' Mord ist abscheulich und unverzeihlich. »Wie, der Mutter Blut verleugnest du?«, fragen sie und verlangen die uralte Strafe für Muttermord.
Dann spricht Apollon und verkündet in seiner ganz neuen Politik des Vaterrechtes einen Irrtum bezüglich der Vererbung, an dem bis hinein in die Zeit der Wiedergeburt der wissenschaftlichen Erblehre im 20. Jahrhundert festgehalten wurde.
Auch das noch sag ich; merke du, wie wahr das Wort. Nichts ist die Mutter denen, die sie Kinder nennt, Des Lebens Ursprung; nein, sie pflegt den frischen Keim. Das Leben gibt der Zeuger, sie bewahrt das Pfand.
Trotz dieser fehlerhaften, aber wirkungsvollen Begründung von Seiten Apollons hätten die Erinnyen doch noch gewonnen, wenn nicht Athene selbst die Seiten gewechselt hätte:
Mein Amt gebeut mir End-Entscheidung dieses Streits; Und diesen Stimmstein soll Orestes noch empfahn. Denn keine Mutter gibt es, welche mich gebar; Den Männern freund auch ist in allem mein Gemüt Bis auf den Ehbund, und des Vaters bin ich ganz. Diese Gans!
Diese Verräterin! Da gibt sie vor, das Märchen von ihrer Geburt aus dem Haupt des Zeus zu glauben! »Den Männern freund! (...)«, tatsächlich! Doch selbst in diesem lebenswichtigen Augenblick gesteht sie ein, daß sie nie einen heiraten würde.
Dies ist wahrscheinlich der erste festgehaltene Bericht davon, wie der Mann die Feindin, die er der Gehirnwäsche unterzogen hat, dazu benützt, ihrerseits bei ihren Genossinnen die Gehirnwäsche anzuwenden. Die Fernsehwerbung und die Frauenzeitschriften haben hieraus eine Kunst gemacht.
Doch obwohl Aeschylos Athenes Verrat in die mykenische Zeit zurückverlegt hat (d.h. lange bevor Zeus und der Mythos von der seltsamen Geburt Athenes erfunden worden waren), ist es eine Tatsache, daß die griechischen Frauen ihren Einfluß und ihre Macht erst nach der dorischen Eroberung verloren haben. Selbst dann behielten sie noch eine hohe Stellung, bis Rom im 5. Jahrhundert n. Chr. die Christianisierung Griechenlands abgeschlossen hatte, sechzehnhundert Jahre nach Orestes' Verhandlung wegen Mordes.
Es ist eine geschichtliche Tatsache, daß die griechischen Frauen des Altertums unter dem athenischen Gesetz Rechte und Vorrechte genossen, die den Frauen der Vereinigten Staaten in diesen letzten Jahren des 20. Jahrhunderts immer noch vorenthalten werden. Zu diesen Rechten gehörten:
- Das Recht der Abtreibung und der Geburtenkontrolle. Platon empfiehlt in den »Gesetzen«, daß die griechischen Frauen wenigstens zwei Kinder gebären sollten, »eine Zahl, die vom Gesetz als angemessen angesehen wird«, um die Bevölkerung zu erhalten. Und in seiner »Politik« rät Aristoteles den Frauen, die die Schwangerschaft unterbrechen, dies zu tun, »bevor der Fötus Leben erhält«, das heißt, vor dem sechsten Monat. Diese beiden Stellen beweisen die Rechtmäßigkeit und die Anwendung von Geburtenkontrolle und Abtreibung.
- Das Recht der einseitigen Scheidung. »Das athenische Gesetz«, schreibt Montesquieu, »gab das Recht der Zurückweisung (der einseitigen Scheidung) ohne Strafe der Frau. Aber ein Mann, der seine Frau verstoßen wollte, mußte eine Hälfte seines gesamten Vermögens seiner Frau, die andere der Göttin Ceres übergeben«.[3]
- Das Recht, ihr Eigentum zu besitzen und zu verwalten. »Nach athenischem Recht gingen Geld und Eigentum der Frau nicht in die Kontrolle des Mannes über, aber nichts hinderte sie daran, sie auf ihn zu übertragen.«[4]
Dieses Gesetz unterscheidet sich von dem Roms, wonach der Gatte selbst mit der Zustimmung seiner Frau deren Geld nicht anrühren durfte.
Das Märchen von der untergeordneten Stellung der griechischen Frauen der Klassik wird von Robert Flaceliere 1959 wiederholt[5], so, als hätte er es zu Füßen seines Professors auswendig gelernt. Nachdem er erneut die alte Behauptung ausspricht, daß die griechischen Frauen mit den Sklaven auf einer Stufe standen, fährt er sozusagen unbewußt fort zu veranschaulichen, wie frei die griechischen Frauen tatsächlich gewesen sein müssen.
Zunächst behauptet er, daß im 5. Jahrhundert »die traditionelle Ausschließung der Frauen zahlreichen Ausnahmen gewichen ist«.[6] Wenn sie im 5. Jahrhundert »wich«, wann herrschte sie dann? Sicherlich nicht im 7. Jahrhundert, als Sappho lebte, und sicherlich auch nicht im Heldenzeitalter (dem mykenischen), als, wie Flaceliere selbst zugibt, »die Frauen sich aller Freiheiten und Vorrechte der kretischen Frauen erfreuten«. Was war also diese traditionelle Ausschließung und wie traditionell war sie? Wir haben hier einen eindeutigen Fall eines professoralen Syndroms, eine papageienartige Wiederholung von »Tatsachen«, die von Gelehrten des prä-archäologischen neunzehnten Jahrhunderts vorgebracht worden waren.
Flaceliere gesteht im Licht seiner eigenen Studien und im klaren Widerspruch zu seinen Lehrern ein, daß »es vielleicht teilweise wahr sein kann, daß die griechische Frau ganz und gar des unterwürfigen und zurückhaltenden Wesens entbehrte«, das man ihr zugesprochen hat.[7]
The Oxford Companion to Classical Literature geht unter dem Stichwort, »Frauen, Stellung, der,« denselben falschen Weg zur selben Schlußfolgerung: Erst wird behauptet, die griechischen Frauen der Klassik hätten ihre »Stellung und Unabhängigkeit« verloren, die sie im Heldenzeitalter innehatten. Und dann wird offensichtlich unbewußt ihre tatsächliche Stellung dargelegt:
»In historischen Zeiten waren die Frauen Spartas unabhängig und einflußreich (...). In Athen konnte sich eine Ehefrau durch richterliches Urteil scheiden lassen (...). Im 5. Jahrhundert verbreiteten sich neue Ideen hinsichtlich der Frauenemanzipation (...). Während des hellenistischen Zeitalters spielten die Frauen eine wichtige Rolle (...). Die Erziehung lag im Bereich der Frauen, und es wird uns von Frauen unter den Schülern großer Philosophen berichtet.« Es gab »weibliche Gelehrte, Malerinnen und Dichterinnen«. »Andere Städte verliehen Frauen für erwiesene Dienste die Ehrenbürgerschaft; und eine Frau war Vorsitzende des Magistrates von Priene.«[8] Wenn das nicht weibliche Emanzipation ist, so kommt es doch dieser näher als alles, was wir seit der Gründung von Jamestown im Jahre 1607 in den Vereinigten Staaten erlebt haben.
In Griechenland wie auch in Rom, war eine Heirat zwischen Bruder und Schwester, die verschiedene Mütter hatten, erlaubt; stammten sie von der gleichen Mutter, aber von verschiedenen Vätern ab, so wurde eine Heirat zwischen ihnen als Blutschande angesehen. Dies war natürlich ein Rest des alten Tabus gegen sexuelle Beziehungen zur Stammutter und ihren Töchtern. Die Vaterschaft bewirkte keine Verwandtschaft, weder in Griechenland, noch in Rom oder Palästina, oder in Polynesien vor der Ankunft der christlichen Missionare im 19. Jahrhundert.
Flaceliere erklärt mit bemerkenswerter Dummheit die Tatsache, daß Bruder-Schwester-Heiraten zwischen väterlicherseits Verwandten gesetzlich erlaubt waren, damit, daß es »nötig war, den Familienkult fortzusetzen«, besonders, wenn eine Frau die Erbin war.[9]
Dieselbe Erklärung gab 1842 ein gewisser Charles Anthon. In seinem »Lexikon der griechischen und römischen Sitten« sagte er: »Bruder und Schwester, die von der selben Mutter abstammen, durften nicht heiraten; aber Ehen zwischen Verwandten väterlicherseits wurden unterstützt, um den Besitz in der Familie zu bewahren«, wenn »die weibliche Verwandte die Erbin war.«[10] So schreitet die Wissenschaft fort.
Es scheint unmöglich, daß die Griechen, eines der kultiviertesten Völker, in diesem »einen wichtigsten Merkmal der Kultur, der Würde der Frau«[11] versagt haben sollten. Und die schriftlichen Zeugnisse der alten Griechen selbst weisen auf keine Unterdrückung der Frauenrechte hin. Die zeitgenössischen griechischen Schriftsteller, ebenso wie Plutarch ein wenig später, bezeugen die bedeutende Freiheit der griechischen Frauen bei ihren gelegentlichen Aussagen über das tägliche Leben. Hieraus geht klar hervor, daß die griechischen Frauen in hohem Maße unabhängig waren.
Griechische Frauen besuchten mit ihren Männern Salons, hielten Besäufnisse »nur für Frauen« ab, sehr zur Mißbilligung ihrer Männer, die aber nicht wagten, Einwände zu erheben,[12] und bildeten einen großen Teil des Publikums bei den Theatervorstellungen der schlüpfrigen Stücke des Aristophanes. Diese Tatsachen stimmen nicht mit dem Bild der unterwürfigen, ans Haus gebundenen griechischen Ehefrauen überein, das von Wissenschaftlern des 19. Jahrhunderts gezeichnet wurde.
Der allgemeine Glaube von der Unterdrückung der Frauen im klassischen Griechenland muß den Weg aller Theorien gehen, die sich auf eine Fehlauslegung gründen. »Die Unterwürfigkeit griechischer Frauen«, schreibt Jacquetta Hawkes, ist durch die Vorurteile der Wissenschaft im 19. Jahrhundert stark übertrieben worden.[13]) Das Mißverständnis scheint entstanden zu sein, weil Homosexualität sehr häufig war. Der Schlußsatz im 19. Jahrhundert verlief etwa folgendermaßen:
Frauen sind nichts ohne die Liebe des Mannes;
griechische Männer liebten griechische Knaben
unter Ausschluß der Frauen;
also waren die griechischen Frauen nichts.
Aber die Knabenliebe war, wie A.J.Symonds hervorhebt, besonders unter den Studenten, Intellektuellen und Soldaten üblich. Der Durchschnittsbürger war davon nicht berührt. »Aus der griechischen Männerliebe folgt nicht«, schreibt er, »daß die Frauen in Athen oder Sparta von wichtigen Stellungen ausgeschlossen waren. Wenn wir an die Frauen des Sophokles und Euripides und an die vornehmen Damen Plutarchs denken, müssen wir bei unseren Schlußfolgerungen zu diesem Punkt vorsichtig sein.«[14]
Die Lustspiele des Aristophanes drücken ein weibliches Gefallen an reichem und auf die Sexualität bezogenen Humor aus. »Frauen, die frei waren, sich an dieser Art von Dingen zu erfreuen«, bemerkt Hawkes, »befanden sich nicht in einem Zustand schrecklicher Frustration«[15] und, so möchte man hinzufügen, haremartiger Unterdrückung. Die übermütigen und entschlossenen Frauen in Lysistrata verkörpern sicher nicht unterdrückte oder eingeschüchterte Ehefrauen!
In der griechischen Kunst, fährt Symonds fort, nimmt Aphrodite, die Göttin der romantischen Liebe, neben Eros, dem Gott der Knabenliebe oder Homosexualität, ihren Platz ein. Und Artemis, die ewige göttliche Jungfrau, finden wir so häufig wie Ganymed, den Gott der passiven Knabenliebe, der von Zeus geliebt wird.
Wenn zwei so hervorragende Männer wie Sokrates und Platon die Gleichheit der Frauen verkündeten, so wäre es für den einfachen Bürger schwer gewesen, sie zu widerlegen. »Platons und Pythagoras' Eintreten für die Frauen mußte einfach starken Einfluß haben«, schreibt Hawkes.[16] Platon sagt in seiner »Republik«: »Kein Bereich im Leben der Stadt fällt der Frau als Frau oder dem Mann als Mann zu. Von Natur aus hat die Frau an allen praktischen Tätigkeiten teil, und so auch der Mann. Denn um das Wächteramt zu bekleiden (ein öffentliches Amt), braucht eine Frau keine besondere Ausbildung. Wir haben es bei Mann und Frau mit derselben Natur zu tun, und sie brauchen beide dieselbe Erziehung.«[17] Der einzige Geschlechtsunterschied besteht darin, daß »der Mann die Kinder zeugt und die Frau sie austrägt«. [18])
Dieses Vertrauen in die weiblichen Fähigkeiten, für das neunzehnte Jahrhundert unvorstellbar, wurde von einem Griechen vertreten, der nicht nur selbst Knaben liebte, sondern dessen Name sogar eine bestimmte Art homosexueller Liebe bezeichnet. Ungeachtet des Trugschlusses aus dem neunzehnten Jahrhundert folgt daraus nicht, daß die körperliche Liebe für Knaben einen Mann von vornherein dazu bringt, Frauen zu verachten. Perikles liebte Knaben, aber er liebte und bewunderte auch Aspasia, die er für seine weiseste Ratgeberin hielt. »Er liebte sie in wunderbarster Zuneigung«, schreibt Plutarch. »Perikles machte Aspasia wegen ihres großen Wissens und politischen Geschicks den Hof. Sokrates fragte sie ebenfalls wegen ihrer Weisheit um Rat und veranlaßte seine Studenten, sie zu besuchen. Männer, die ihren Salon besuchten, brachten ihre Frauen mit, damit sie ihr zuhörten.«[19]
Die meisten, die heute über das griechische Leben berichten, lassen diese letzte Stelle Plutarchs weg, weil die Tatsache, daß Frauen ihre Gatten in literarische Salons begleiten, nicht mit dem übernommenen Mythos von der geistigen Unterlegenheit der Frau übereinstimmt.
Die unsterbliche Begräbnisrede des Perikles für die im Peloponnesischen Krieg gefallenen Athener wurde nach Platons Zeugnis in seinem Menexenus, der in diesem Zusammenhang Sokrates zitiert, in Wirklichkeit von Aspasia verfaßt. Sokrates bekannte sich offen als ein Schüler Aspasias, und in einem ihrer Salons traf er zum ersten Mal Alcibiades, den Schützling des Perikles, und verliebte sich in ihn. »Aspasia sah, wie sehr Sokrates den Jungen bewunderte und gab ihm in Versen Unterweisungen in der Kunst der Knabenliebe.«[20] Die geistreiche Aspasia war bezeichnenderweise Ionierin aus Milet in Karien (eine Keltin?). Alcibiades, der vom großen Sokrates persönlich leidenschaftlich geliebt wurde, liebte seine Frau Hipparete. Plutarch berichtet uns, daß Alcibiades Hipparete entführte und ihre Liebe während des Scheidungsverfahrens wiedergewann, das sie gegen ihn angestrengt hatte und daß er seine Sache so gut gemacht hatte, daß sie bis an ihr Lebensende bei ihm blieb.*[21] Trotz ihrer romantischen Liebe für Knaben nahmen sowohl Sokrates als auch Platon Mädchen als Studentinnen an, genauso wie Epikur und Pythagoras. Dieser hatte viele Schülerinnen, von denen die berühmteste Theoklea war, die Vorsteherin der Priesterschaft Apollos auf Delphi. Theano, eine hervorragende Mathematikerin aus Italien, hielt er für seine beste Studentin und ernannte sie zu seiner Nachfolgerin an der berühmten Philosophenschule, die er in Kroton gegründet hatte. In hohem Alter heiratete er sie, und so wurde sie das Haupt des pythagoräischen Ordens.
Das Pythagoräische Gebet verdeutlicht viel mehr die griechische Haltung gegenüber den Frauen als alle Forschung des 19. Jahrhunderts zusammen:
Ehre sei der Frau auf Erden und im Himmel,
sie werde geheiligt und helfe uns,
zur Großen Weltseele aufzusteigen, die Leben gibt,
erhält und erneuert die himmlische Göttin,
die alle Seelen mit sich trägt in ihrem Mantel von Licht. (...)[22].
Die Christen waren es, nicht die heidnischen Griechen, die darüber stritten, ob die Frauen Seelen hatten, und zwar in vollem Ernst, wie z.B. auf dem Konzil in Macon im 6. Jahrhundert. Bei diesem berüchtigten Konzil waren es übrigens die keltischen Bischöfe Britanniens, die vor-augustinischen, apostolischen Prälaten des keltischen Glastonbury, die die Sache für die Frauen und somit die Seelen der Hälfte der Menschheit retteten.
Sparta war bekanntlich eine vom weiblichen Einfluß mehr geprägte Stadt als ihre Schwester Athen. Als eine Spartanerin hörte, die spartanischen Frauen stünden in dem Ruf, ihre Männer zu beherrschen, antwortete sie, die Frauen brächten ja auch die Männer zur Welt! Eine gute Erwiderung. In Sparta wurden Mädchen und Knaben von Geburt an miteinander erzogen, und sie schwammen, übten und lernten miteinander. Plutarch berichtet in seinem Leben des Lykurg von der Erziehung der Kinder in Sparta: »die Mädchen nehmen wie die Knaben nackt an den Umzügen, Tänzen, feierlichen Festen und am Sport teil. Diese Nacktheit der jungen Frauen besitzt nichts Unanständiges; Sittsamkeit begleitet sie, und jede Ausschweifung ist ausgeschlossen.«[23]
Im ionischen Attika ebenso wie im dorischen Lazedämonien rannten, rangen, jagten und wetteiferten die Mädchen und Frauen in den Spielen mit den Knaben und Männern. Bei den Olympischen Spielen hatten sie ihre eigenen der Hera geweihten Veranstaltungen, die mehr als einmal denen der Männer den Rang abliefen.
Der moderne Fimmel von der »geschlechtlichen Identität«, nach dem kleine Mädchen mit rosa Schleifen und kleine Buben mit Cowboyhüten und Gewehrhalftern versehen werden, war glücklicherweise als ein ganz offener Versuch übernommen worden, nicht den geschlechtlichen, sondern den »Kasten«-Unterschied zwischen dem heutigen männlichen und weiblichen Geschlecht zu verdeutlichen eine Verschwörung, um im Knaben Überlegenheitsund im Mädchen Unterlegenheitsgefühle zu erzeugen.
Schure, ein französischer Gelehrter des letzten Jahrhunderts, stellt fest: »Hinter der offiziellen griechischen Geschichte erscheinen so viele halbverhüllte, aber dennoch deutliche Frauengestalten: Da war Theoklea, die Pythagoras begeisterte, und Corinna, die unter den berühmtesten griechischen Dichtern mit Pindar wetteiferte; da war die geheimnisvolle Diotima, die bei Platons Gastmahl erschien, um die höchste Offenbarung der Liebe zu geben.« Und da waren auch Aspasia, Theano, Sappho, Aristoklea, Nausikaa und Erinna, von denen viele heute vergessen sind. Ihre Namen aber, wären sie Männer gewesen, wären sicher heute genauso »Wörter des Hausgebrauchs« wie die Homers und Platons.
Neben diesen außerordentlichen Frauen übte die gewöhnliche griechische Frau ein wahrhaftes Priesteramt am häuslichen Herd und im Frauengemach aus. »Sie schuf tatsächlich jene berühmten Dichter und Künstler, die wir so sehr bewundern, denn deren Erziehung lag ganz in ihren Händen.« Bis zum achten Lebensjahr blieben die griechischen Knaben und Mädchen im Frauenhaushalt, zu dem kein Mann Zutritt hatte, nicht einmal der Ehemann oder Vater. »Die Weisheit des Altertums betrachtete das Kind als eine empfindliche Pflanze, die der größten umfassenden Liebe der Mutter und des Schutzes gegen den Einfluß des Vaters bedurfte, dessen gröbere Natur die Entwicklung des Kindes hätte beeinträchtigen und die erwachende und wachsende Seele verkümmern lassen können.«[24]
»Niemand kann leugnen, daß die hellenische Kultur dem weiblichen Prinzip höchste Beachtung schenkte. Die Große Mutter und die anderen Verkörperungen der Göttin wurden weit mehr verehrt und verherrlicht als Zeus, selbst mehr als die JungfrauMutter heute in katholischen Ländern. Über die Stadt herrschte Athene. Die schönsten Dinge des Lebens waren als Grazien und Musen, als Gerechtigkeit, Weisheit und Frieden verkörpert, und alle, alle waren sie weiblich. Kein anderes Volk hat dem weiblichen Prinzip mehr Achtung bezeugt.«[25] Und sicherlich auch kein Volk der neueren christlichen Zeit.
Die etruskischen Frauen
Als im sechsten Jahrhundert v. Chr., etwa 200 Jahre nach Romulus, die etruskischen Prinzen, die Tarquinen, nach Rom ritten, um Lukretia, die Frau eines der ihren, zu besuchen, fanden sie sie »mit ihrer Wolle beschäftigt, inmitten ihrer Dienerinnen sitzend«.[26] Sie waren betroffen von dem Unterschied zwischen dieser häuslichen römischen Matrone und ihren etruskischen Schwestern und Frauen, die sie in Latium bei einer echt kretischen, ausgelassenen Cocktailparty zurückgelassen hatten, und die sich um häusliche Angelegenheiten nicht im mindesten kümmerten.
Zweifellos waren es diese Geschichte und der Gegensatz zwischen den umsichtigen und prüden römischen Matronen und den glücklichen Frauen von Tuskulum, die letzteren ihren schlechten Ruf in der römischen Gesellschaft einbrachten. Jeder weiß, was mit der armen Lukretia nach diesem berühmten mitternächtlichen Besuch ihres Mannes und dessen Angehörigen passierte wie einer ihrer tarquinischen angeheirateten Verwandten später zurückkehrte und sie vergewaltigte und wie sie sich wegen dieser Schande das Leben nahm. William Shakespeare erzählte diese traurige Geschichte von der Vergewaltigung der Lukretia, ebenso Thomas Macaulay in Lays of Ancient Rome.
Jacques Heurgeon schreibt: »Nach Meinung der Römer hatten die etruskischen Frauen einen ziemlich schlechten Ruf.« Doch »die etruskische Frau genoß in ihrem Land ein überragendes Ansehen. Künstlerisch, kultiviert, an hellenischer Bildung interessiert, war sie die Kulturbringerin für ihr Heimatland. Im Grab schließlich als Ausstrahlung göttlicher Macht verehrt, hatte sie eine bevorrechtigte Stellung inne, die an die Ariadnes im minoischen Kreta erinnert«.[27]
Die etruskische Frau war auf sozialem wie politischem Gebiet sehr aktiv. Auf den Freskos und Basreliefs von Umbrien wurde sie immer im Vordergrund dargestellt. Wie die Frauen von Mykene, wird sie abgebildet, wie sie in öffentlichen Ämtern wirkt, die besten Plätze bei sportlichen Veranstaltungen besetzt, wie sie mit Männern bei Gastmählern liegt, sich an Konzerten und Theatervorstellungen erfreut, stets ausgeglichen und selbstsicher, wie Frauen eben nur in einer von Frauen bestimmten Gesellschaft sein können.
Zwischen 1820 und 1830, lange vor den letzten bemerkenswerten, »die Vorurteile erschütternden« Entdeckungen der Archäologie in unserem Jahrhundert, in einer Zeit, in der nur die etruskischen Gräber auf die Wahrheit der begrabenen Vergangenheit hinwiesen, schrieb J.A. Cramer: »Es ist ungewöhnlich, daß zwei Bräuche, die nur den Etruskern eigen waren, wie wir aus ihren Grabmälern erkennen können, nach Herodot für die Lykier und die Lydier kennzeichnend sein sollen. Der erste besteht darin daß die Etrusker unterschiedslos ihre Abstammung von ihrer Mutter und nicht von ihrem Vater herleiten. Der andere, daß sie ihren Frauen gestatteten, an ihren Gastmählern und an öffentlichen Veranstaltungen teilzunehmen.«[28]
Etwa hundert Jahre später, 1964, schrieb Heurgeon: »Eines der sichersten Kennzeichen der alten Kultur war ,die außerordentliche Würde und die Autorität, die der mater familias, dem Haupt der Familie, eigen war (...). Die weibliche Prägung der etruskischen Kultur, so fremdartig sie uns auch anmuten mag, ist keine etruskische Erscheinung, sondern Rest einer alten weltweiten Lebensweise «, als die Frauen noch die führende Stellung innehatten.[29]
Wie in anderen modifizierten Gynaikokratien, so herrschten auch in Italien Könige, hier aber als Vizekönige der Frauen. Sie herrschten mit der Erlaubnis ihrer Frauen oder Mütter, die die Thronerbinnen waren, wie in Ägypten, Persien, und Mykene und sogar im vor-republikanischen Rom. Livius erzählt empört von Tullia, der Frau Lucius Tarquinus, daß »sie mit ihrem Wagen auf das Forum Romanum fuhr, ohne Furcht vor der anwesenden Menge Männer, ihren Gatten aus dem Hause des Senates rief und ihn als erste als König grüßte«.[30] Tullia, eine etruskische Edelfrau, erfüllte nur die von ihr erwartete Aufgabe als königliche Frau. Denn sie war die Tochter des alten Königspaares, und deshalb stand es in ihrer Macht, einen neuen König zu küren. Doch Livius, als patriarchaler Römer des ersten Jahrhunderts, der alte Bräuche nicht kannte, war über diesen Vorfall entsetzt.
»Diese Worte, >Sie war die erste, die ihn König nannte<«, stellt Heurgeon fest, »sind eines jener Fossilien, die in sehr alter Überlieferung begraben liegen (...) ein uralter Brauch, nach dem die etruskische Frau genauso wie in der kretischen und ägyptischen Gesellschaft die für Livius unfaßliche Stellung einer »Königsmacherin« innehatte, nach der die gesetzmäßige Monarchie davon abhängig war, wen die Königin zum Monarchen bestimmte und weihte«, wie das in allen alten Gesellschaften der Fall war.[31]
Raymond Bloch schreibt: »Die Stellung der etruskischen Frau war eine privilegierte und hatte nichts gemein mit der bescheidenen und untergeordneten Lage der Griechin. Dies jedoch ist ein Merkmal einer Zivilisation, das wir auch in der gesellschaftlichen Struktur Kretas und Mykenes beobachten (...). Inschriften bestätigen die Stellung der etruskischen Frau. Häufig nennt derjenige, der die Widmung verfaßt, den Namen seiner Mutter, wobei er manchmal auch den seines Vaters erwähnt, ihn öfter aber wegläßt. Es gibt Zeugnisse für den Gebrauch des mütterlichen Namens in Anatolien und besonders in Lydien (...). «Vielleicht«, schränkt Bloch ein, »sehen wir hierin Spuren eines alten Matriarchates.«[32] Vielleicht? Tatsächlich!
Im Gegensatz zur vorsichtigen Stellungnahme Blochs sieht Heurgeon eine deutliche Frauenherrschaft, die sich in den etruskischen Bräuchen ausdrückt, von der alten Kultur über das anatolische Lydien unmittelbar ererbt. Die Begräbnisbräuche der Etrusker erinnern einen tatsächlich nachdrücklich an jene von Catal Hüyük, wo die Gräber alle nur Frauen vorbehalten waren und die Überreste der Männer im Beinhaus zuhauf lagen. In Etrurien hatte sich die Stellung der Männer insoweit verbessert, als sie mit ihren Frauen oder Müttern begraben wurden, wenn auch nicht am Ehrenplatz. Man fand heraus, daß in Umbrien der große Sarkophag in jedem Grabmal einer Frau gehörte. Die Körper rings um sie mögen ihrem Gatten und ihren Kindern gehört haben, doch nur ihr Name steht auf dem Grab. Gelegentlich teilt eine kleine Tochter mit ihr die Ehre des Sarkophages, aber nie ein Sohn.
»Es ist, als ob die Etrusker die Frauen für höhere Wesen hielten«, schreibt Heurgeon. ,,Man betrachtet die Frau, als habe sie von Natur aus unmittelbaren Anteil an der Gottheit, die in allen Tempeln regierte.«[33]
Claudius, der mildeste und den Frauen am meisten geneigte unter den römischen Kaisern, wurde im Knabenalter mit Urgulanilla, einem etruskischen Mädchen, verheiratet. Ihretwegen befaßte sich der gelehrte Claudius mit dem etruskischen Volk, über das er ein, bedauerlicherweise heute verlorenes, zwölfbändiges Geschichtswerk schrieb. Zweifellos sind diese Forschungen der Grund für Claudius' edle Haltung und lebenslange Achtung den Frauen gegenüber. Möglicherweise verschwand auch wegen des Ausdrucks dieser Frauenliebe sein gesamtes gewaltiges Geschichtswerk in früher christlicher Zeit.
Übrigens war es Claudius' etruskische Schwiegermutter Urgulania, von der Tacitus in seinen Annalen berichtet, daß sie großen Einfluß auf den Kaiser Augustus hatte. Während der Regierungszeit des Tiberius hatte diese herrische alte Dame ihrem eigenen römischen Enkel wortlos einen Dolch als Hinweis gesandt, sich eher zu töten, als einer Verhandlung wegen Mordverdachts an seiner Frau zu unterwerfen. Der Enkel Marcus Plautius Silvanus erstach sich demütig mit dem Dolch; um der Verhandlung zu entgehen oder aus Furcht, seiner Großmutter nicht zu gehorchen, das wird man nie herausfinden.[34]
Selbst in den Tagen des Kaiserreichs, als die etruskische Nation schon nicht mehr bestand und seine vergangene Größe von den Römern bereits vergessen worden war, verbreitete diese etruskische Witwe immer noch Schrecken unter den römischen Männern.
Die römischen Frauen
Wir besitzen das Zeugnis von Livius, daß die ursprünglichen römischen Stämme, oder Kurien, nach Frauen benannt waren. Romulus, der Gründer Roms im 8. Jahrhundert v. Chr., »gab bei der Einteilung des Volkes in dreißig Kurien diesen die Namen von Frauen«.[35] Es könnte keinen überzeugenderen Beweis als diesen dafür geben, daß die Römer ursprünglich eine Gemeinschaft matriarchaler Stämme waren, die die Namen ihrer Mütter trugen.
Weitere Hinweise auf die gynaikokratische soziale Struktur des frühen Roms findet man sogar in den Wörtern, die den Verwandtschaftsgrad kennzeichnen: Die Verwandtschaft durch die Mutter war co-gnatus, d.h. im Stamm geboren, während Verwandtschaft durch den Vater agnatus — ad-gnatus — ist, d.h. dem Stamm hinzugefügt oder außerhalb des Stammes geboren. Das weist auf eine praktizierte Exogamie hin, nach der die Männer zum Stamm der Frau hinzukamen und auf Grund ihrer Heirat alle Verbindungen zu ihrem eigenen verloren. Die Rechtsprechung in der römischen Republik setzte diesen Unterschied zwischen väterlicher und mütterlicher Verwandtschaft fort, indem sie die Heirat zwischen Vettern und sogar Geschwistern väterlicherseits gesetzlich erlaubte, aber eine eheliche Verbindung zwischen einem Halbbruder und einer Schwester, die von derselben Mutter abstammten, und eine zwischen Vettern mütterlicherseits verboten. In Rom konnte man die Nichte, Tante oder Tochter des Vaters, aber nicht der Mutter heiraten, da man glaubte, die Beziehung über die Mutter sei die einzige Verbindung — der Ursprung aus dem gleichen Schoß die einzige Verwandtschaft.
Der berühmte Anthropologe Malinowski war nicht wenig überrascht, als er entdeckte, daß man im 20. Jahrhundert an derselben Sitte noch auf den Trobriand-Inseln im fernen Pazifik festhält: »Für Verwandtschaft haben sie nur ein Wort, nämlich veiola. Es bedeutet nur Verwandtschaft in mütterlicher Linie, und es schließt weder die Verwandtschaft zwischen einem Vater und seinen Kindern ein, noch die zwischen irgendwelchen väterlicherseits verwandten Personen (...). So entspricht die Begrenzungslinie zwischen väterlicherund mütterlicher Verwandtschaft der Unterscheidung zwischen jenen, die vom selben, (...) und jenen, die nicht vom selben Körper abstammen.«[36]
Ursprünglich trugen, wie bei den Etruskern in historischen Zeiten, die römischen Kinder den Namen ihrer Mutter, und erst später in der Republik wurde der Name des Vaters als »Zuname« hinzugefügt. Bis heute tragen die Kinder in vielen lateinischen Ländern, vor allem in Spanien und Lateinamerika, die Familiennamen beider Elternteile, wie das einst überall in der zivilisierten Welt üblich war.
Wie in Griechenland, waren die römischen Frauen die einzigen Erzieher ihrer jungen Kinder. Tacitus, Plutarch und Cicero erwähnen alle die wichtige Rolle, die die römische Matrone bei der Erziehung gespielt hat. Cornelia, die Mutter der Gracchen, (»diese sind meine Juwelen«) war ein typisches Beispiel; aber Aurelia, die Mutter Julius Cäsars, und Atia, die Mutter des Augustus, widmeten ihr ganzes Leben der Erziehung ihrer vaterlosen Söhne. Es ist eine fesselnde Tatsache, daß die meisten Männer, die die Geschichte geprägt haben, das Ergebnis ausschließlich weiblicher Erziehung waren. Bei einigen Stämmen der Kelten war die Erziehung der Knaben und auch der Mädchen Akademien übertragen, die von Frauen geleitet waren, die nicht nur die Künste des Friedens, von der Philosophie bis zur Dichtung, sondern auch die des Krieges lehrten, wie Reiten, Schwert- und Lanzenkampf usw. [37]
Die römischen Frauen waren, wie in Griechenland, auf den verschiedensten Gebieten des Sportes tätig; und Juvenal, der Erznörgler, hält mit seinem Tadel an den Frauen, die ,,an der Jagd in Männerkleidung teilnehmen« und die »sich dem Fechten und Ringen widmen«, nicht zurück. »Kann man Sittsamkeit von einer Frau erwarten«, fragt er recht männlich, »die ihrem Geschlecht entsagt und sich an Krafttaten erfreut?«[38]
Freiwillige Geburtenkontrolle und gesetzliche Abtreibung, stets ein Hinweis auf die weibliche Emanzipation, wurden von den römischen und den griechischen Frauen gehandhabt, wie aus Martials Lob der Claudia Rufina zu entnehmen ist.[39] Hier ist es angebracht, die Lüge der Kindesaussetzung unter den Römern zu entlarven. Unsere Bücher lehren uns, daß jene ruchlosen Heiden ihre unerwünschten Kinder, vor allem ihre kleinen Töchter, ausgesetzt und dem Hungertod überlassen haben. Studentinnen der alten Geschichte werden gewöhnlich etwas kleiner bei diesem Beweis der Wertlosigkeit ihres verachteten und erbärmlichen Geschlechts, während sich die Studenten aufplustern und ihre weniger wertvollen Kommilitoninnen mit mitleidigen Blicken bedenken.
Doch dieses Gerücht besitzt genauso wenig Glaubwürdigkeit wie jenes ähnliche von den Frauenopfern unter den alten Europäern. Beide Märchen wurden von männlichen Geschichtsschreibern der christlichen Zeit erfunden, deren Absicht es war, die beiden größten Hindernisse für die Annahme des Christentums in Verruf zu bringen: daß die Heiden zum einen zufrieden waren und zum anderen die Frauen in hohen Ehren hielten. Die Lüge von der Kindesaussetzung hatte sich jedoch so festgesetzt, daß im 18. Jahrhundert selbst der sehr christliche Herr Montesquieu bei der Abfassung seiner klassischen Rechtsgeschichte überrascht war, keinen rechtlichen oder geschichtlichen Beweis hierfür zu finden. »Wir finden kein römisches Gesetz,« schreibt er, »das die Kindesaussetzung gestattet.[40]
Montesquieu entdeckte aber ein Gesetz aus dem Jahre 485 v. Chr., nach dem alle Kinder gleich erzogen werden sollten, unabhängig von ihrem Geschlecht oder ihrer gesellschaftlichen Herkunft.[41] Im Jahre 450 erlaubte ein Gesetz der Zwölf Tafeln, daß stark mißgebildete Kinder bei der Geburt »erstickt« wurden, vorausgesetzt, daß 5 unbeteiligte Personen in der Lage waren, des Kindes hoffnungslose Mißbildung zu bestätigen.[42] Und das ist etwas ganz anderes als »Aussetzung«.
Forscher römischer gesellschaftlicher Sitten gestehen in jüngster Zeit ein, daß man an dem Glauben von der Aussetzung kleiner Mädchen deswegen so lange festhielt, weil es in den römischen Familien der Republik und des Kaiserreichs so wenige Töchter gab. Aber es gab in römischen Familien auch sehr wenige Söhne. Der Grund hierfür ist einfach: Geburtenkontrolle und gesetzliche Abtreibung begrenzten die Größe der Familie auf durchschnittlich weniger als zwei Kinder je Familie.
Wir haben gesehen, daß Platon die griechischen Frauen bat, wenigstens zwei Kinder zu gebären; und Martial pries über die Maßen eine römische Matrone, die, was noch nie dagewesen war, insgesamt drei Kinder zur Welt gebracht hatte.
Ohne Zweifel war es der Zorn der frühen Kirchen-, «Väter« gegen diesen Ausdruck weiblichen Vorrechts in Rom, der Konstantin, den ersten christlichen Kaiser, im 4. Jahrhundert veranlaßte, freiwillige Abtreibung zu einem Schwerverbrechen zu erklären. Seither beharrt die Kirche, und mit ihr die moderne Gesellschaft, darauf, daß der formlose, ungeborene und leblose Fötus für die Gesellschaft wertvoller ist als das Leben der Mutter, in deren Körper er gedeiht.
Die Bestrafung für eine Schwangerschaftsunterbrechung wurde unter den Christen eine solch allgemein beliebte Quälerei für Frauen, daß der Heilige Römische Kaiser Heinrich II. (973-1024) im 11. Jahrhundert selbst eine unbeabsichtigte Fehlgeburt für eine Frau zu einem Schwerverbrechen erklärte. Jede Frau die ihr Kind durch Fehlgeburt verlor, wurde zum Tode durch Verbrennen verurteilt.[43]
Wir verbrennen sie nicht mehr lebend, aber in den meisten Staaten verlangen heute die Gesetze von den Frauen, daß sie ihr Leben riskieren, um jede Frucht, die unbekümmert in sie gelegt wurde, heranzuziehen, ganz gleich, wie gesellschaftlich unerwünscht der gereifte Organismus sicherlich sein wird, oder welche körperlichen oder seelischen Gefahren für die Mutter sich daraus ergeben. In der Ausgabe der Zeitschrift Look vom 4. November 1969 fragt eine Frau, deren Leben, dem Gesetz entsprechend, von der Medizin in Gefahr gebracht wurde: »Warum war das Leben des Fötus so viel wichtiger als das meine?« Das ist eine alte Frage unter christlichen Frauen. Die Antwort liegt in dem barbarischen und frauenfeindlichen Geist der Kirchenväter und der von uns vertretenen jüdisch-christlichen »Moral«.
Die zivilisierteren Römer waren, wie die Griechen, der Meinung, der Körper der Frau sei ihr eigener Besitz, und es sei ihr eigenes Recht, ein Kind auszutragen oder nicht, je nachdem, ob sie es für zweckmäßig hielt.
Aus vielen Gründen zogen die römischen und griechischen Frauen kleine Familien vor, und mit Hilfe der Geburtenkontrolle und der leicht erreichbaren sicheren Abtreibung waren sie dazu in der Lage. Die Alten hielten die Erziehung ihrer Kinder für so wichtig wie deren Leben, und die Nachkommen kleinerer Familien konnten besser erzogen werden als solche größerer.In Rom wurden die Töchter in der griechisch-römischen Literatur, der Philosophie, der Redekunst, der Geschichte und der Logik genauso sorgfältig unterwiesen wie die Söhne.
Plinius der Jüngere bewundert in seinen »Briefen« die Gelehrsamkeit der Frauen seiner Freunde und überhäuft seine eigene Frau Calpurnia mit Lob wegen ihres literarischen Geschmackes und ihrer umfassenden Bildung. Gaius Musonius Rufus, ein Gelehrter und Philosoph unter der Herrschaft von Claudius und Nero, verkündete, wie Platon in Griechenland, die sittliche und geistige Gleichheit der beiden Geschlechter und betonte das Recht aller Frauen auf persönliche Würde und Unabhängigkeit.
Die Scheidungsgesetze, ein weiteres Kennzeichen der Frauenemanzipation, waren für die Frauen in Rom genauso günstig wie in Griechenland. Plutarch weist auf die Leichtigkeit hin, mit der sich Frauen in Athen im 5. Jahrhundert v. Chr. von ihren Gatten scheiden lassen konnten.[44] In Rom waren die Gesetze nicht weniger nachsichtig. Juvenal schimpft über die Frau, die ihren Mann, nachdem sie ihn jahrelang beherrscht hat, in einer Augenblickslaune davonjagt und ihn in seinem hohen Alter einsam und hilflos zurückläßt.[45] Scheidungsgründe gab es viele, z.B. hohes Alter oder schlechter Gesundheitszustand des Gatten oder sogar seine Abwesenheit an der Front. Keiner davon wird heute selbst in den aufgeklärtesten Staaten anerkannt.
»Die Frauen gelangten zu großer Macht und zu starkem Einfluß im römischen Kaiserreich«, schreibt P. Donaldson. »Sie erfreuten sich der Freiheit des gesellschaftlichen Verkehrs; sie studierten Literatur und Philosophie; sie nahmen an den politischen Geschehnissen teil; wenn sie es wünschten, verteidigten sie sich selbst bei Gericht; und sie hatten teil an der Regierung von Provinzen und schrieben Bücher (...). Doch all das wurde von der Flut des Christentums hinweggespült.«[46]
Acht Jahrhunderte hindurch war es Brauch christlicher Geschichtsschreiber, die Freiheit der römischen Frauen zu beklagen und sie für den Untergang des Römischen Reiches verantwortlich zu machen. Aber diese Anschuldigung hält den Tatsachen nicht stand. Rom fiel erst, nachdem es das Christentum angenommen hatte, was den »ketzerischen« Gedanken nahelegt, der auch von Dante, Gibbon und anderen vertreten wurde, daß das Christentum selbst den Niedergang und Fall des Reiches und das darauffolgende Dunkle Zeitalter hervorgerufen hat, »als diese Macht der Zerstörung und des Zerfalls wie ein Gespenst auf dem Thron der Cäsaren saß«[47]
Der übertriebene Patriarchalismus der paulinisch-semitischen Christen wurde von der Freiheit und Macht der römischen Frauen bis ins Mark getroffen. Die semitischen Frauen waren für Jahrhunderte die Sklavinnen und die Ware der Männer, und die Kirchenväter beabsichtigten, alle Frauen in ähnlicher Weise zu unterwerfen, wie es Paulus verfügt hatte, »der kleine, glatzköpfige, krummbeinige, abtrünnige Jude« aus Tarsus, wie ihn James Cleugh beschreibt.[48] Paulus' Frauenfeindlichkeit steigerte sich bis zu einer Feindseligkeit gegenüber allem Weiblichen. Moderne Psychologen führen Paulus Frauenfeindlichkeit auf alles von der Homosexualität bis zum Groll über die weibliche Ablehnung seines eignen mißgestalteten Körpers und seiner häßlichen Gesichtszüge zurück.[49] Was auch immer der Grund gewesen sein mag, Paulus' Verachtung der Frauen führte gerade dann zu verhängnisvollen Folgen, als die patriarchale Revolution begann, sich zu einer echten Gleichheit der Geschlechter zu entwickeln. Die Frauen und die Zivilisation des Abendlandes leiden immer noch unter Paulus' und der Kirchenväter wütender Frauenfeindlichkeit. Man braucht nur ihre donnernden Reden zu lesen, um einerseits das bissige Unbehagen zu erkennen, mit dem die christliche Kirche die Frauen betrachtete, und andererseits die Tiefen der psychopathischen Entschlossenheit der Kirche zu ermessen, mit der sie das weibliche Geschlecht herabsetzen und seine Seele vernichten wollte.
Ein moderner französischer Geschichtsforscher des alten Rom, der sicherlich nicht als Frauenrechtler angesehen werden kann, hat eine würdige Grabschrift für diese römischen Frauen geschrieben, die die frühe Kirche so haßte und fürchtete:
»Eins der leuchtendsten Beispiele menschlicher Größe war die römische Frau. Ihr, so stolz und frei wie Arria, ist es zu verdanken, daß das alte Rom selbst noch in den Jahren, als es gerade die blutige Taufe des Christentums erhält, eine der höchsten moralischen Höhen erklimmt, die die Menschheit erobert hat.«[50]
Doch die am meisten zutreffende Grabschrift für die römischen und alle vorchristlichen Frauen wurde von einer römischen Dichterin der Kaiserzeit geschrieben, die damit für alle Frauen aller Zeiten sprach:
Clames licet et mare caelo
Confundasl Homo sum![51]
Was, frei übersetzt, bedeutet:
Ihr Männer mögt Himmel und Hölle aufbieten!
Auch ich bin ein Mensch!
Die Kaiserinnen Roms, und schon die allererste von ihnen, Livia, die mächtige 3. Gattin des Augustus, gehörten zu den ersten Zielscheiben der christlichen Väter. Mit ihrer befreiten Libido gehörten sie zur Vorhut der »Frauenrechts«-bewegung des kaiserlichen Rom. Sie suchten und gewannen leicht die Gleichberechtigung mit den Männer, vor allem auf geistigem, politischem und sexuellem Gebiet. Ihre republikanischen Vorgängerinnen, nämlich Augustus' allgemein bekannte Tochter Julia und die berühmte Clodia, Catulls geliebte »Lesbia«, hatten den Weg bereitet, und so gab es im kaiserlichen Rom nie einen doppelten Maßstab. Die älteren noch lebenden Konservativen, wie Seneca und Juvenal, mochten zwar über die »neue Frau« schimpfen und die altmodischen Tugenden Cornelias und Aurelias preisen, doch die neuen Männer, wie z.B. der jüngere Plinius, besangen mit Ovid und Catull die Anmut und geistige Schönheit der befreiten Frauen.
»Es ist sicher, daß sich die römische Frau (des Kaiserreiches) einer Würde und Unabhängigkeit erfreute, die denen von heutigen Feministinnen geforderten zumindest gleichkommen, wenn sie sie nicht sogar übertreffen.«[52] Die Kaiserinnen der ersten drei Jahrhunderte, gerade vor dem Sieg des Christentums, strahlten wie Leuchtfeuer des wiedererstandenen Frauentums, wie die Reinkarnation der edlen Frauen Etrunens, die sie zu ihren Vorfahrinnen zählten. Plotina teilte den Ruhm und die Verantwortung mit ihrem Gatten Trajan (98-117 n. Chr.) und begleitete ihn sogar während des ganzen Parthischen Krieges. Bei seinem Tod war sie es, die das Reich durch den Aufruhr der Nachfolge steuerte und dafür sogte, daß Hadrian, der von Trajan erwählte Nachfolger, seine Herrschaft friedlich und ohne Bürgerkrieg antreten konnte.
Julia Domna, die erste Frau des Reiches von 197 bis 217, leitete zuerst als Frau des Septimus Severus und dann als Mutter von Caracalla »während ihres Sohnes Regierung die Geschicke des Reiches mit einer Klugheit, die sein Ansehen mehrte, und mit einer Mäßigung, die seine wilde Zügellosigkeit ausglich (...). Julia Domna besaß selbst noch im fortgeschrittenen Alter (sie starb
durch Selbstmord mit 50) die Anziehungskraft der Schönheit und vereinigte Verstandeskraft und Urteilsschärfe mit einem lebendigen Ideenreichtum, wie man sie bei ihrem Geschlecht selten antrifft (...)• Sie widmete sich mit einigem Erfolg den schönen Künsten und der Philosophie und hatte hierfür einen hervorragenden Namen. Sie förderte alle Künste und war die Freundin jedes begabten Mannes.«[53]) Soweit Gibbon. Julia Domna haben wir alles zu verdanken, was wir über Apollonius von Tyana wissen, den großen Philosophen des ersten Jahrhunderts und Rivalen Christi. Denn es war Julia, die ihren Schützling Philostratus beauftragte, Apollonius' Lebensgeschichte zu erforschen und aufzuschreiben.[54]
Als Caracalla im Jahre 217 von dem Thronräuber Macrinus ermordet und das Reich ins Chaos gestürzt wurde, da war es eine Frau Julia Maesa, die Schwester Julia Domnas, die »die Initiative ergriff«[55] und die Ordnung wieder herstellte. Sie setzte den tyrannischen Macrinus ab und brachte ihren eigenen Enkel Elagabalus, den Sohn ihrer Tochter Julia Soaemias »durch eine Frauenverschwörung, die mit Klugheit geplant und mit rascher Durchschlagskraft ausgeführt wurde«,[56] auf den Thron. Während Elagabalus' Regierungszeit saß seine Mutter im römischen Senat auf dem Platz des Konsuls.[57] Als Elagabalus von der Prätorischen Wache im Jahre 222 ermordet wurde, griff Maesa erneut ein und leitete das Kaiserreich durch das chaotische Interregnum, indem sie ihren Enkel Alexander Severus, den Sohn ihrer Tochter Julia Mammaea, zum Kaiser unter der Regentschaft seiner Mutter ernannte.[58]
Julia Mammaea ragt als eine der größten Herrscherinnen aller Zeiten hervor. Wie die Herrschaft von Königin Hatschepsut in Ägypten, so kennzeichnete auch ihre (von 222 bis 235) eine Zeit des Friedens, der Gerechtigkeit und des Wohlstandes, wie sie in der gesamten vorherigen römischen Geschichte kaum zu finden ist. Als Alexander Severus noch minderjährig war, errichtete diese bemerkenswerte Frau, die Nichte und Tochter bemerkenswerter Frauen, eine strenge demokratische Regierungsform, die während der meisten Zeit der späteren Herrschaft ihres Sohnes wirksam blieb.
Ihre Regierung richtete sich im allgemeinen gleichermaßen auf das Wohl ihres Sohnes und das des Reiches. Mit Zustimmung des Senats wählte sie aus ihm die 16 Weisesten und Tüchtigsten, die den ständigen Staatsrat bildeten, vor dem jede wichtige öffentliche Angelegenheit erörtert und entschieden wurde (...). Die umsichtige Entschlossenheit dieser Adelsherrschaft verhalf der Regierung wieder zu Ordnung und Ansehen. Sobald sie die Stadt von fremdem Aberglauben befreit hatten, (...) machten sie sich daran, unwürdige Geschöpfe aus der Verwaltung zu entfernen und sie durch tugendhafte und fähige Männer ftu ersetzen. Bildung und Gerechtigkeitsliebe wurden der einzige Befähigungsnachweis für öffentliche Ämter.
Doch an der Charakterbildung des jungen Kaisers waren Mammaea und ihren weisen Ratgebern am meisten gelegen. Denn von seinem Wesen mußte letztlich das Glück der römischen Welt abhängen (...). Ein hervorragender Verstand überzeugte Alexander bald von den Vorteilen der Tugend, der Wissensfreude und der Notwendigkeit der Arbeit (...). Seine beständige Achtung vor seiner Mutter schittfte seine unerfahrene (!) Jugend vor dem Gift der Schmeichelei (...)[59] Sie forderte von ihm in seinen reiferen Jahren denselben pflichtbewußten Gehorsam, wie sie ihn während seiner unerfahrenen Jugend verlangt hatte.«[60]
Und Alexander entwickelte sich zu einem klugen und gerechten Herrscher, der der Habsucht, Grausamkeit und Begierlichkeit, den beruflichen Gefahren der römischen Kaiser, erst nach dem Tod seiner geachteten Mutter unterlag.
Vielleicht verhalf die enge Verbindung mit den Kelten Galliens und Britanniens, die durch die Eroberungen und Niederlagen des Julius und des Claudius Cäsar und der Feldhenm Agricola und Cerialis entstanden war, den Frauen des kaiserlichen Rom dazu, die Freiheit und Herrschaft wiederzugewinnen, die sie während des Königtums und der Republik vor Cato gekannt hatten. Denn die Römer bewunderten außerordentlich die keltischen Frauen und waren von deren audax muliebris, deren Fähigkeiten auf allen Gebieten, deren unbeschränkter Freiheit und deren Seelenadel beeindruckt.