Wie viele wunderbare Taten von
Frauen bleiben ungerühmt!
Seneca
Die heilige Johanna
Unser Inquisitor Johann Nieder, der so mitleidlos die Qualen der armen, namenlosen, alten Frau beschrieb, deren Gliedmaßen er gebrochen und deren Gelenke er auf der Folter ausgerenkt hatte, durfte einmal Jeanne d'Arc >befragen<. Und hier ist sein Bericht:
»In den letzten zehn Jahren lebte in Frankreich ein Mädchen namens Johanna, ausgezeichnet, wie man dachte, wegen seines prophetischen Geistes und auch wegen seiner Kraft, Wunder zu wirken. Denn es trug ständig Männerkleidung, und alle Bemühungen der Heiligen Kirchenväter konnten es nicht dazu bewegen, sie abzulegen und sich mit Frauengewändern zufriedenzugeben, besonders, da es doch öffentlich bekannte, eine Frau und Jungfrau zu sein.
>In diesen männlichen Kleidern als Zeichen des bevorstehenden Sieges bin ich von Gott gesandt worden<, sagte sie, <um Karl, dem rechtmäßigen König von Frankreich, seinen Thron zu sichern, von dem ihn der König von England und der Herzog von Burgund verjagen wollen.< Denn zu jener Zeit waren diese beiden miteinander verbündet und bedrängten Frankreich außerordentlich mit Krieg und Totschlag. Johanna ritt deshalb beständig wie ein Ritter mit ihrem Herrn, sagte viel Erfolg voraus und vollbrachte andere ähnliche Wunder, worüber sich nicht nur Frankreich, sondern die ganze Christenheit wunderte.
Johanna wurde schließlich so vermessen, daß Laien und Geistliche in Zweifel kamen, ob sie vom Geiste Gottes oder des Teufels geleitet wurde. Dann schrieben einige sehr gelehrte Männer Abhandlungen über sie, worin sie gegensätzliche Meinungen bezüglich der Jungfrau darlegten. Nachdem sie dem König Karl sehr geholfen und ihm seinen Thron gesichert hatte, wurde sie nach dem Willen Gottes gefangengenommen und ins Gefängnis geworfen. Zahlreiche Meister des kirchlichen und weltlichen Rechts wurden daraufhin befragt, und sie wurde viele Tage vernommen. Sie bekannte endlich, daß sie ständig von einem Engel Gottes begleitet werde, den man auf Grund vieler Vermutungen und Beweise und nach der Meinung der meisten gelehrten Männer für einen bösen Geist hielt, der sie zu einer Zauberin machte. Deshalb gestattete man ihr, vom öffentlichen Henker auf dem Scheiterhaufen verbrannt zu werden.«[1]
»Man gestattete ihr: Es ist anzunehmen, daß der öffentliche Henker darauf bestand, sie auf dem Scheiterhaufen zu verbrennen, und daß die Geistlichen und die im kirchlichen und bürgerlichen Recht Kundigsten ihm dies zugestanden. Wenn ein männlicher Ritter den französischen Thron seinem rechtmäßigen König gesichert und einen Feind geschlagen hätte, der »Frankreich mit Krieg und Totschlag außerordentlich bedrängte«, hätte der öffentliche Henker dann sein Ziel auch so leicht erreicht? Wohl kaum!
Während sich (mit Ausnahme eines einzigen) kein Mann zur Verteidigung Johannas erhob — nicht einmal der König, dem sie Thron und Land erhalten hatte — so taten es doch zwei Frauen, die dafür ebenfalls gefoltert und verbrannt wurden.
Der einzige unter den männlichen Nutznießern, den Johannas Schicksal nicht gleichgültig ließ, war der echte Blaubart, der berüchtigte Gilles de Rais. Dieser Edelmann war Johannas Leutnant in ihrem Krieg gegen die Engländer gewesen, und er hatte eine starke und beständige Zuneigung zu ihr als seiner Führerin und Kommandantin entwickelt. Er machte all seinen Einfluß geltend, um sie vor den Flammen zu retten, doch vergeblich. Als er von Johannas schwelendem Scheiterhaufen fortging und seinen Fall verloren sah, verwandelte er sich in den Teufel, als den ihn die Geschichte kennt. Er wurde schließlich wegen vielfachen Mordes gefangengenommen, nachdem er auf die schrecklichste Weise buchstäblich Hunderte von kleinen Mädchen und Jungen zur Befriedigung seines perversen Geschlechtstriebes getötet hatte. Das Interessante an dem Fall ist, daß, obwohl er das Schicksal der Heiligen teilte und auf dem Scheiterhaufen verbrannt wurde, sein Tod eintrat, bevor das Feuer entzündet wurde. Wie allen männlichen Verbrechern gewährte man ihm die Gnade, vor dem Verbrennen gehängt zu werden, während die Heilige Johanna, wie alle Frauen, .schnell', d.h. lebendig verbrannt wurde.[2]
Nider drückt im Zusammenhang mit der ganzen Angelegenheit nur einmal ein Bedauern aus, und zwar darüber, daß einige Jahre später der Macht des Inquisitors eine Jungfrau entgangen war, die behauptete, eine Wiederverkörperung Jeanne d'Arcs zu sein. Die Frauen müssen durch Johannas grauenvolles Schicksal sehr beunruhigt worden sein, da sich so viele von ihnen scheinbar so verwirrt verhalten haben, wie ein Flug von Tauben, wenn eine von ihnen, vom Pfeil des Jägers getroffen, blutend zu Boden SÄzt. Doch wir haben keinen Bericht von einer Frau aus dieser Zeit. Sehr viel, wie man 400 Jahre später entdeckte, wurde darüber von Männern geschrieben, die alle Johanna verdammten und sehr darüber erfreut waren, daß sie ihr wohlverdientes Geschick ereilt hatte.
Unmittelbar nach Johannas Märtyrertod begann die Kirche mit allem Nachdruck, sie zu mythologisieren, und zwar so erfolgreich, daß sie mit dem 18. Jahrhundert bereits ein halbmythisches Wesen geworden war, an das man in der Öffentlichkeit nur teilweise glaubte und das von den Gläubigen strikt abgelehnt wurde. Erst als man im 19. Jahrhundert in Paris echte Abschriften von ihrem Prozeß fand, wurde Johanna allgemein als die geschichtliche Person anerkannt, die sie tatsächlich war. 500 Jahre nach ihrer Opferung wurde sie von der schamroten Kirche 1920 widerstrebend, aber dem allgemeinen Verlangen entsprechend, heiliggesprochen.
Päpstin Johanna
Der Versuch, Jeanne d'Arc in den mythischen Bereich zu versetzen, erinnert an eine andere Johanna, die erfolgreich von ihrer Kirche mythologisiert wurde, nämlich die Päpstin Johanna. Die Kirche war mit ihrem Bemühen, diese aus der Geschichte zu tilgen, tatsächlich so erfolgreich, daß die große Mehrzahl der heute lebenden Menschen von einem weiblichen Papst überhaupt noch nie etwas gehört hat. Und für die wenigen, die davon wissen, ist sie selbstverständlich nur ein Mythos, so wie es die katholische Kirche behauptet.
Aber ist die Päpstin Johanna nur eine mittelalterliche Legende? Wenn ja, so erscheint es sehr seltsam, daß die Kirche beinahe 800 Jahre wartete, um sie für legendär zu erklären. In der langen Zeit von 855, als sie starb bis 1601, als man sie auslöschte und mit dem Bann belegte, hielt man Johanna für echt. Während all dieser Jahrhunderte, sagt die Katholische Enzyklopädie, »war Johanna eine historische Persönlichkeit, deren Existenz niemand bezweifelte.«[3] Die Kirche zählte sie zu den Päpsten als Johannes VIII., und auch für sie wurden in der Kathedrale zuSiena und im Petersdom in Rom Standbilder errichtet.
Scheinbar hat sich Johanna, ein »hübsches«, junges, englisches Mädchen, als Mönch verkleidet, auf den Weg nach Athen begeben. Nach der Katholischen Enzyklopädie tat sie sich dort »in der Gelehrsamkeit so sehr hervor, daß ihr kein Mann gleichkam«. Ausgestattet mit einem philosophischen Titel, kam sie nach Rom, wo sie Papst Leo IV. zum Kardinal ernannte. Nach dessen Tod wurde sie im Jahre 853 zum Papst gewählt. Die Katholische Enzyklopädie fährt fort: »Sie diente als Papst zwei Jahre, vier Monate und acht Tage, bis man entdeckte, daß sie eine Frau war, und sie steinigte.«[4]
Die Legende erzählt, man habe Johannas Geschlecht erkannt, als sie bei einer päpstlichen Prozession ein Kind geboren habe, und habe das Baby in ihren Armen zu Tode gesteinigt. Als Bestätigung dieser Überlieferung sagt die Katholische Enzyklopädie, daß in den Jahrhunderten vor 1600 in der Straße, in der Johanna gesteinigt worden sein soll, lange eine Statue zu finden war, die eine Gestalt in päpstlichen Gewändern darstellte, mit einer Mitra auf dem Haupt und einem Kind in den Armen. Dieses Bildnis ging schon vor langer Zeit verloren, doch der Weg der päpstlichen Prozession wurde für viele Jahrhunderte geändert, um den Platz zu umgehen, wo es gestanden hatte. Was auch immer geschehen sein mag, »Johannes VIII., eine Frau aus England«, zierte die Liste der Päpste von 855 bis 1601. In diesem Jahr erklärte sie Papst Clemens VIII. für mythisch und befahl, all ihre Abbildungen, Büsten, Statuen, Altäre und alle Berichte über sie vollkommen zu zerstören und ihren Namen aus den päpstlichen Urkunden zu löschen. Es waren die Angriffe der deutschen Reformation auf diese »Absurdität« eines weiblichen Papstes, sagt die Katholische Enzyklopädie, die Clemens dazu veranlaßte, diese extremen Maßnahmen zu ergreifen.
Man kann nur hoffen, daß die Kirche bei der Vernichtung aller Erinnerungen an Päpstin Johanna genauso nachlässig war wie im Falle der Heiligen Johanna, und daß eines Tages schriftliche Beweise für ihre Existenz aufgefunden werden. Zwei Dinge im Falle der Päpstin Johanna sind noch nicht hinreichend geklärt. Erstens: Wo war Papst Johannes VIII. während all der Jahrhunderte bis 1601? Denn der Papst Johannes (872882), der jetzt als VIII. geführt wird, war für sieben Jahrhunderte der neunte. Es gab einen Papst Johannes VII. von 705 bis 708 und dann keinen mehr bis zur Weihe Leo IV. im Jahre 847. Nach dem offiziellen Annuario Pontificio der katholischen Kirche wurde Benedikt III. 855 geweiht. Doch Leo war 853 gestorben, zwei Jahre vor Benedikts Weihe. Die Kirche geht über diese Lücke hinweg, indem sie murmelt, Leo habe bis 855 gelebt, was jeder leicht widerlegen kann, der sich um die Tatsachen bemüht.
Der nächste offizielle Johannes, der Papst werden sollte, war im Jahre 872 Papst Johannes IX. Wo blieb dann Johannes VIII.? Und warum wurde Johannes IX. plötzlich der achte, als die Kirche 700 Jahre später Johanna amtlich mythologisierte? Bis dahin hatte es seit Johannes IX. nicht weniger als 14 Päpste gleichen Namens gegeben, und alle mußten eine Nummer zurückgestuft werden, so daß Papst Johannes XX. (1024-1032) der XIX. wurde. Den zwanzigsten ließ man einfach aus. Denn der nächste Johannes blieb der einundzwanzigste, und ihm folgten der zweiundzwanzigste und dreiundzwanzigste noch vor 1600.
Und dann haben wir seltsamerweise im Jahre 1958 noch einen Johannes XXIII.! Bedeutet das, daß sie alle stillschweigend vom Annuario Pontificio um einen Platz zurückversetzt wurden, um die freie Stelle Johannes' XX. auszufüllen, den man beim ersten Mal ausgelassen hatte?
Zweitens bleibt noch zu erklären, warum erst seit der Päpstin Johanna, und nicht vorher, während 700 Jahren alle Bewerber um den Stuhl Petri ihr Geschlecht überprüfen lassen mußten. Warum?
Die Kirche erklärt das damit, daß man habe verhindern wollen, einen Eunuchen zum Papst zu wählen.[5] Sehr aufschlußreich ist die Tatsache, daß die Untersuchung zum ersten Mal 855 durchgeführt wurde, in dem Jahr, als Benedikt geweiht wurde, der sich auch als erster Papst überprüfen lassen mußte. Wenn Benedikt unmittelbar auf Leo folgte, wie die Kirche heute behauptet, warum wurde dann bei keinem vor ihm das Geschlecht festgestellt? Nur Benedikts unmittelbarer Vorgänger Johanna konnte der Grund für diese Neuerung gewesen sein.
Päpstin Johanna wurde von ihrem Zeitgenossen, Anastasius dem Bibliothekar, in sein Lives ofthePopes aufgenommen. Auch andere Hinweise auf sie wurden in der allgemeinen »Nieder mit Johanna«-Kampagne des sechzehnten Jahrhunderts nicht völlig ausgemerzt. Sie erscheint als eine wirkliche Person und eine historische Päpstin in den Schriften von Marianus Scotus im elften Jahrhundert. Otto von Freising, Gottfried von Viterbo, Martinus Polonus, William von Ockham, Thomas Elmham, Jan Hus, Gulielmus Jacobus und Stephen Blanch haben sie alle in ihre Geschichte der Päpste der darauffolgenden vier Jahrhunderte als wirkliche Päpstin aufgenommen.
In seiner unmittelbar vor der amtlichen Auslöschung Johannas verfaßten Kirchengeschichte schreibt Johann Lorenz von Mosheim: »Zwischen Leo IV. und Benedikt III. ebnete sich eine Frau, die ihr Geschlecht verheimlichte und den Namen Johannes angenommen hatte, durch ihre Bildung und ihren Geist den Weg zum päpstlichen Thron und leitete die Kirche. Sie wird gewöhnlich die Päpstin Johanna genannt. Während der folgenden fünf Jahrhunderte finden sich hierfür zahllose Zeugnisse. Vor der Reformation Luthers hielt diese Geschichte auch niemand für unglaublich oder für die Kirche abträglich.«[6]
Im letzten Jahrhundert glaubte Sabine Baring-Gould, der das verwerfliche militaristische Kirchenlied »Vorwärts, christliche Soldaten!« geschrieben hat, die Päpstin Johanna sei der Antichrist gewesen. »Ich selbst bezweifle kaum, daß Päpstin Johanna die Große Hure der Offenbarung war, die auf den Sieben Hügeln sitzt.«[7]
So wird die Geschichte von »echten Männern« neu geschrieben.
»Gynikomnemonikothanasie«
Der Eifer männlicher Geschichtsschreiber und Enzyklopädisten, die Erinnerung selbst an große Frauen auszulöschen (was das oben angegebene Wort bedeuten soll), hat die Untersuchung der Geschichte von Frauen außerordentlich schwierig gemacht. Wenn der Sinn der Geschichte den Einschluß einer Frau verlangt, so wird sie nur als jemands Frau, Mutter, Tochter oder Schwester erwähnt, und im Index findet man sie nie. Die Archäologie hat kürzlich die historische Existenz einst großer Frauen enthüllt, deren Namen aus den Geschichtsbüchern so gründlich ausgelöscht worden waren, als hätte es sie nie gegeben.
Im 18. Jahrhundert wunderte sich George Ballard, daß so viele große Frauen Englands von den Historikern übergangen worden waren, während zahlreiche weniger bedeutende Männer in den Annalen des Landes einen dauernden Platz gewonnen hatten.[8] Natürlich wurden die Frauen absichtlich nicht beachtet. Die Männer haben die Geschichte nicht geschrieben, »als ob Frauen kaum zählten«, wie Dingwall beklagt,[9] sondern als ob sie kaum vorhanden waren. Doch die Rolle der Frauen in der Formung der Geschichte und ihr Einfluß auf die Ereignisse, die das Geschick des Menschen bestimmten, sind unermeßlich. Gelehrte sind sich dieser Tatsache bewußt, und doch, jedesmal, wenn sie gezwungen sind, um der Genauigkeit oder Logik eines nationalen Geschehens willen, den Namen einer Frau anzuführen, wird dieser mit einem verkleinernden Adjektiv verbunden, das nicht nur die Frau selbst herabsetzen, sondern auch die weiblichen Leser versichern soll, daß solche Frauen unerwünscht und »unweiblich« seien. So werden alle hervorragenden Frauen in den Geschichtsbüchern zu »Mannweibern«, (Boadicea), »Weibsbildern« (Mathilde von Flandern), »hysterische Frauenzimmer« (Jeanne d'Arc), »Ungeheuer« (Tomyris) oder reine Mythen (Martia und Päpstin Johanna).
Arnold Toynbee, dessen A Study of History vor einer Generation als großes geistiges Werk anerkannt, das aber inzwischen als veraltet zum Abfall geworfen wurde, und von dessen Philosophie Toynbee sogar selbst abgerückt ist, drückte darin die männliche Absicht über große Frauen aus. Bei dem Versuch, die Frauenherrschaft in der minoisch-mykenischen Kultur zu erklären, gesteht er unbeabsichtigt die grundlegende Gleichheit der Geschlechter ein, wenn er ausführt, daß in jenem »sozial unorganisierten Zeitalter (...) der Individualismus so unumschränkt herrschte, daß er die eigentlichen Unterschiede zwischen den Geschlechtern beseitigte«. Dieser »ungezügelte Individualismus trug Früchte, die von jenen eines doktrinären Feminismus kaum zu unterscheiden sind«.[10]
Kurz, Toynbee sagt, daß dort, wo die Gesellschaft nicht ein Geschlecht dem anderen unterworfen hat, sich diese gleich entwickeln: Gleiche Behandlung und gleiche Möglichkeit, sich selbst auszudrücken, beseitigen die augenscheinliche Ungleichheit, »die eigentlichen Unterschiede« zwischen den Geschlechtern. Doch das ist natürlich vom männlichen Standpunkt aus unerwünscht. »Die a priori-Logik« von der »Unfähigkeit« der schwachen Frau, »sich gegenüber dem körperlich überlegenen Geschlecht zu behaupten,« wird »durch die Tatsachen der Geschichte« widerlegt. Toynbee gibt zu, daß die Frauen überlegen waren, doch wie war das möglich? Wie konnte die unzulängliche, schwache Frau zu irgendeiner Zeit in der Geschichte den Mann, den muskelstarken Herrn der Schöpfung, jemals beherrscht haben? Der nach der Bibel erzogene Toynbee mit seinem viktorianischen Geist, ein echtes Ergebnis männlichen Materialismus', gerät durch diese Ungereimtheit in rührende Verwirrung. Für Toynbee kann die frühere Überlegenheit der Frau nur auf ihre »größere Hartnäckigkeit, Rachsucht, Unversöhnlichkeit, Verschlagenheit und Falschheit« zurückgeführt werden.[11]
Die den abendländischen Männern für nahezu 2000 Jahre immer wieder vorgepredigte Lehre von der Schlechtigkeit der Töchter Evas und von den nach David Hume, jenem ehrenwerten, englisch-schottischen christlichen Philosophen, »ganz und gar unheilbaren Gebrechen und der Minderwertigkeit des weiblichen Geschlechts«, hatte er so gut gelernt, wie die Mehrzahl seiner im Geist des 19. Jahrhunderts erzogenen Zeitgenossen. Es ist verwunderlich, daß sich Männer wie Hume und Toynbee jemals überwinden konnten, solch ekelhafte Geschöpfe überhaupt zu heiraten!
Emily James Putnam schrieb vor etwa 60 Jahren von der »immerwährenden Unruhe des Mannes in der Gegenwart der aufrührerischen Frau«.[12] Vor mehr als 2000 Jahren warnte Cato die übrigen Mitglieder des römischen Senats vor den aufrührerischen Frauen des republikanischen Rom: »In dem Augenblick, in dem sie euch gleichgekommen sind, werden sie eure Herrn und Meister sein«, wütete er. Und im 18. Jahrhundert gestand der berühmte Dr. Samuel Johnson, daß die Männer den Frauen Ausbildung deswegen vorenthielten, weil sie wüßten, daß die Frauen, wenn sie so viel lernten wie sie, die Männer »überflügelten«.[13]
Der Hauptgrund für den männlichen Widerstand, die Frauen an den Geheimnissen der Bildung teilhaben zu lassen, ist dieselbe Furcht vor der »aufrührerischen« oder »wiederauferstehenden« Frau: Wenn man den Frauen gestattete, sich nach eigenem Gutdünken auf den verschiedenen Pfaden der Wissenschaft und Bildung zu bewegen, könnten sie vielleicht des Mannes bestgehütetes Geheimnis enthüllen: die Tatsache, daß die Frau in der Geschichte der Menschheit« eine größere Rolle gespielt, und die Wahrheit, daß der Mann diese Tatsache absichtlich verheimlicht hat.
Die böswillige Tilgung weiblicher Namen aus den geschichtlichen Zeugnissen begann vor zwei- bis dreitausend Jahren und wird auch in unserer Zeit noch fortgesetzt.
Das Risiko der Anonymität ist für Frauen genauso groß, ob sie nun ihren Namen mit Männern in schriftstellerischer Arbeit verbinden oder in der Ehe. Dr. Mary Leakey entdeckte in Afrika jene bedeutenden päläontologischen Beweisstücke, doch alle Anerkennung zollt man Dr. Louis Leakey. Genauso hinterlistig verhält man sich nun gegen Eve Curie. Ein kürzlich für junge Leute geschriebenes Buch behauptet, das Radium sei von Pierre Curie unter Mithilfe von Eve, seiner Assistentin und späteren Frau, entdeckt worden.
Aspasia schrieb die berühmte feierliche Rede an die Athener, wie Sokrates wußte, doch in allen Geschichtsbüchern ist sie Perikles' Werk. Corinna lehrte Pindar und verbesserte seine Gedichte für die Nachwelt, doch wer hörte je von Corinna? Peter Abelard erhielt seine besten Ideen von Heloise, die ihm, wie zugestanden wird, geistig überlegen war, doch Abelard gilt als der große mittelalterliche Gelehrte und Philosoph. Nausicaa schrieb die Odyssee, wie Samuel Butler in seinem Buch The Authoress of the Odyssey beweist, zumindest zur Zufriedenheit der Autorin dieses Buches und Robert Graves', der bemerkt, daß »keine andere Alternative recht sinnvoll ist«.[14]
Nofretete, die ägyptische Königin des vierzehnten Jahrhunderts v. Chr. kann sehr wohl die Autorin des 104. Psalms sein; und der weibliche Apostel Thekla kann die Epistel an die Hebräer verfaßt haben. Wer hat jedoch in den letzten tausend Jahren überhaupt auch nur von einem weiblichen Apostel erfahren?
Der weibliche Apostel Thekla ist wahrscheinlich nach der Päpstin Johanna das beste Beispiel für »Gynikomnemonikothanasie« in der christlichen Kirche. Die Hl.«Thekla von Iconium war eine geschichtliche Persönlichkeit und nach der Katholischen Enzyklopädie wurde sie als »bona fide Apostel« von der Kirche in frühen Zeiten anerkannt: und ist es in der Ostkirche heute noch. Sie war eine Gefährtin des Hl. Paulus, der sie zur Predigerin des Evangeliums und zum Apostel Christi weihte. Ein Buch mit dem Titel Die Taten Paulus und Theklas war in den ersten vier Jahrhunderten des Christentums weit verbreitet, und noch im Jahre 590 wurde es als ein authentisches Dokument des Apostelzeitalters bezeichnet. Es ist jetzt in den Apokryphen enthalten.
Niemand stellte seine Glaubwürdigkeit in Frage, bis es im Jahre 367 aus dem offiziellen Kanon des Neuen Testaments verbannt wurde, obwohl Tertullian im dritten Jahrhundert den Versuch unternommen hatte, es in zweifelhaftem Licht erscheinen zu lassen. Siebzehn Jahre danach verbürgte sich jedoch der Hl. Hieronymus »der gelehrteste Latinerpater« immer noch sowohl für die Glaubwürdigkeit des Buches als auch für die historisch belegte Existenz Theklas, des weiblichen Apostels selbst. Soviel ist Tatsache.
Die Feministin Philippa
»Philippa war, wie üblich unter den hervorragendsten Vertreterinnen weiblicher Außerordentlichkeit, eine Freundin ihres eigenen Geschlechts«, schreibt Agnes Strickland.[15] Philippa, die Königin Edwards III. aus dem England des 14. Jahrhunderts, war tatsächlich eine der wenigen aktiven Feministinnen des Mittelalters. Sie hatte eine Stellung inne, um nicht nur Frauen zu ehren, sondern auch Männer hervorzuheben, die Frauen wertschätzten. Weil Philippa sein Eintreten für unterdrückte Frauen achtete, wurde der französische Ritter Bertrand du Guesclin freigelassen, nachdem er in der Schlacht von Poitiers gefangengenommen worden war. Sie zahlte das ungeheure Lösegeld von ihrem eigenen Vermögen, »weil ein Ritter, der dafür bekannt ist, Frauen zu unterstützen, meinen Beistand verdient, auch wenn er ein Feind meines Gatten ist.«[16]
Philippa wurde in ganz Europa wegen ihrer und ihrer Söhne und Töchter Schönheit und auch wegen des Edelmutes ihres ältesten Sohnes Edward, des Schwarzen Prinzen, gerühmt, in dem man den mittelalterlichen Ritter schlechthin und das Vorbild für viele folgende Rittergenerationen sah. Darüber hinaus pries man sie auch wegen ihrer umwälzenden Erneuerungen auf dem Gebiet der sozialen Wohlfahrt und wegen ihres erfolgreichen Bemühens, die Lebensbedingungen der Armen, und hier besonders der Frauen, zu verbessern.
Nachdem sie im Alter von 16 Jahren zur Königin gekrönt worden war, bestand eine ihrer ersten Amtshandlungen darin, die Wollindustrie von Norwich zu gründen, die zusammen mit der von ihr später bei Tyndale ins Leben gerufenen Kohlenindustrie für Jahrhunderte die Grundlage von Englands Wohlstand und Wirtschaft bildete. Als Teil ihrer Mitgift hatte Philippa Norwich erhalten, ein Mittelpunkt der Schafzucht und der für die Ausfuhr bestimmten Wollerzeugung. Bei ihrem ersten Besuch wenige Monate nach ihrer Hochzeit stellte Philippa fest, daß dort zu viele Menschen gezwungen waren, von dieser einzigen Einkommensgrundlage zu leben. Gleich ließ sie aus ihrem Heimatland Flandern Wollkämmer, Weber und Färber kommen, um die Bewohner Norwichs, besonders die Frauen, in der Kunst zu unterweisen, aus roher Wolle Kleider zu fertigen.
Wie zu erwarten, schrieben spätere Historiker, einschließlich Henry Hallam, Charles Dickens und jene der Cambridge Mediaeval History, die englische Wollindustrie Edward III. zu und erwähnten in diesem Zusammenhang nicht einmal Philippas Namen. Doch ihre eigenen Zeitgenossen John Froissart und ein ungenannter klösterlicher Chronist ebenso wie die Foedera erkennen Philippa das alleinige Verdienst an diesem Segen für England zu. »Geehrt seien der Name und das Gedenken der Königin Philippa, die das englische Tuch erfand,« schrieb ein Klosterchronist später.[17] Denn dank Philippa war es für den Durchschnittsengländer seit der Zeit möglich, gute wollene Kleidung »made in England« zu tragen, die unter geringen Kosten zu erwerben und die von dauerhaftem Nutzen für die englische Wirtschaft waren.
Philippas Wollfabriken waren weit von den Ausbeuterbetrieben entfernt, zu denen sie im 18. und 19. Jahrhundert absanken. Norwichs »Fabriken« waren im 14. Jahrhundert angenehme, offene Plätze, wo Männer und Frauen ohne Maschinen glücklich arbeiteten, kämmten, webten, färbten. »Wie die wohltätige Bienenkönigin umsorgte und beschützte sie ihre Arbeitsbienen. Auch hielt sie es nicht für unter ihrer Würde, all die Pracht der Ritterlichkeit mit ihrer Schutzherrschaft über die produktiven Künste zu verbinden.« Sie veranstaltete Turniere und Wettkämpfe in Norwich, auf denen die Edelleute und Ritter die Arbeiter mit Prunk wie Reiterkünsten und Schwertkampfspielen unterhielten. »Diese Feste stellten die verteidigende Klasse und die produktive Klasse in bewundernswerter Einheit dar, während das Beispiel der Königin den gegenseitigen Respekt untereinander förderte. Während eines Lebensabschnitts, der im allgemeinen als Mädchenzeit gilt, bereicherte und adelte Philippa ihr Königreich.«[18]
Um die Wertschätzung für ihre Königin zu zeigen, sollten die Kaufleute und Arbeiter von Norwich später freiwillig die gewaltige Summe von 2500 englischen Pfund Sterling unter sich aufbringen, um Philippas »schönste Krone« auszulösen, die sie in Köln gegen Geld für die schottischen Kriege verpfändet hatte.
Gerade als König Edward und der 16-jährige Schwarze Prinz (so genannt, weil er, obgleich blond wie alle Plantagenets, eine schwarze Rüstung trug) im Jahre 1346 in der Schlacht von Crecy standen, fielen die von König David Bruce geführten Schotten vom Norden ein und bedrohten England. Philippa führte in der Abwesenheit des Königs die Regentschaft, so daß »es nun ihre Aufgabe war, mit einem König einen königlichen Kampf zu führen«, und sie zauderte nicht. Sie versammelte ihre Armee bei Neville's Cross, und während sie zwischen ihren Männern auf einem weißen Schlachtroß ritt, feuerte sie sie an, »um der Liebe Gottes willen tapfer für ihren König zu kämpfen«. »Sie versicherten sie«, wie Froissart berichtet, »daß sie sich gut schlagen würden, sogar noch besser, als wenn der König selbst zugegen wäre.«[19] Und die Schlacht begann. In wenigen Stunden war alles vorüber. Der schottische König war gefangen, und seine Truppen flohen in heillosem Durcheinander zurück über die Grenzen. Für das englische Volk war Philippa erneut die Heldin des Tages.
»Als Kompliment für die erfolgreiche militärische Führung der Königin begannen die englischen Damen, sich den Anstrich von Kriegern zu geben.« Wie Ritterhelme geformte Hüte wurden Mode, und die vornehmen Frauen schmückten sich mit edelsteinbesetzten Dolchen. »Die Kirche bereitete geeignete Maßnahmen gegen diese Mode vor, als aller Stolz plötzlich wie auf ein Signal hin von der Pest zunichte gemacht wurde, die die Küsten Englands im Jahre 1348 erreichte.«[20]
Philippas Zweitälteste Tochter, die damals vierzehnjährige Johanna, war eine der ersten, die jenen schrecklichen Tod starb, der die Bevölkerung Europas während der nächsten Monate dezimierte. Der Cambridge Mediaeval History zufolge kam ein Drittel der Bevölkerung Englands bei der Pest um.
Philippa war die Mutter von 12 schönen und großgewachsenen Kindern, alle außergewöhnlich begabt und intelligent. Acht von ihnen überlebten sie, auch ihr Lieblingskind Edward, der Prinz von Wales. Doch keines bestieg je den englischen Thron. Merlin der Weise hatte achthundert Jahre vorher prophezeit, daß keines der Kinder Edwards und Philippas regieren würde. Und Merlin behielt recht. Edward, der Schwarze Prinz, »gebildet, elegant und geistreich und mit dem Genius (...) der provencalischen Plantagenets (Kelten) ausgezeichnet,«[21] starb vor seinem Vater; und so wurde nach dem Tod des Königs der kleine Sohn des Schwarzen Prinzen, Richard, der König Englands.
Philippa starb 1369, in ihren Mitfünzigern, und Froissart, ihr Sekretär und Günstling, schrieb: »Ich muß jetzt vom Tod der liebreichsten, weitherzigsten und edelsten Dame sprechen, die je lebte, von Philippa von Hainault, der Königin von England.«[22]
Philippa war nicht nur die Gönnerin von Froissart, dem Chronisten gewesen, sondern, was noch bemerkenswerter ist, auch von Chaucer, den ihr Tod, so wird berichtet, dermaßen schmerzte, daß er sich ganz und gar zurückzog, »und nicht einmal die Heirat der Schwester seiner Frau mit dem Herzog von Lancaster (Philippas Sohn) konnte ihn aus seiner Zurückgezogenheit hervorlocken.«[23] (Es war der Sohn dieses Herzogs, der dem jungen Richard in der nächsten Generation die Krone entriß und das Haus von Lancaster als Heinrich IV. gründete.) Philippa hatte das Queen's College in Oxford gegründet und gestiftet und war eine Gönnerin und Patientin der berühmten Caecelia von Oxford, der hervorragenden Ärztin ihrer Zeit.
Philippa hatte die Schotten aus England vertrieben, die großen, den Wohlstand steigernde Tuch- und Kohlenindustrien errichtet, die berühmtesten Männer und Frauen ihrer Zeit gefördert und ein College in Oxford gegründet. Doch in dem wunderlichen mittelalterlichen Bewußtsein blieb sie einfach deswegen besonders und am längsten haften, weil sie ihren Sohn, den Schwarzen Prinzen, an ihrer Brust genährt hatte. Die Madonna mit dem Kind wurde zu ihren Lebzeiten und später »nach Philippa mit ihrem kleinen Prinzen von Wales an der Brust gestaltet«.[24] Philippa war groß gewachsen, wohl proportioniert und in ihrer Jugend überwältigend schön. Und der kleine Edward war ein junger Herkules. Man kann ihn immer noch als Jesuskind in den Armen seiner Mutter in vielen Fenstern mittelalterlicher Kirchen und Kathedralen Englands und des Kontinents sehen.
Es ist ein merkwürdiger Zufall, daß diese gute Königin, das Modell für so viele Bildnisse der Jungfrau Maria, am Tag der himmlischen Auferstehung der Jungfrau starb, am 15. August. Und wie bei Maria, schreibt Froissart, »so wurde auch bei dieser großartigen Lady, die soviel Gutes getan hatte und voller Barmherzigkeit für die ganze Menschheit gewesen war (...) ihr Geist, als er sie verließ, von den Heiligen Engeln aufgenommen und zur Herrlichkeit des Himmels getragen.«[25]
Königin Philippa blieb es erspart, das Siechtum ihres geliebten Sohnes miterleben zu müssen, der sieben Jahre nach ihr »an einer Wassersucht« starb. Nach ihrem Tod verfielen Verstand und Sitten ihres Gatten Edward III., der Staatsgelder für seine Geliebte Alice Perrers verschwendete und sogar allen Erbberechtigten seiner Königin befahl, ihre Erbschaften auf Alice zu übertragen.[26]
»Wer die Geschichte genau untersucht, wird sicherlich feststellen, daß mit dem Leben der Königin Philippa auch Glück und Ansehen Edwards III. und seiner Familie vergingen, und daß Streit, Kummer und Torheiten den Hof zerrütteten, wo sie einst Tugend, Gerechtigkeit und geordnete Freigiebigkeit gefördert hatte.«[27]
Die Sozialreformerinnen
Britannien hatte mit seinen Königinnen stets besonderes Glück. Sie zeigten, ob nun als Herrscherinnen oder als Gemahlinnen, größeres Regierungsgeschick, wie Mills sagt, als die Könige. Seit undenklichen Zeiten haben britische Königinnen an vorderster Stelle für soziale und bürgerliche Reformen gekämpft. Das englische Common Law (Gewohnheitsrecht), auf das die anglikanische Rechtsordnung gründet, Und das den Ursprung des Bill of Rights der Vereinigten Staaten bildet, wurde von der keltischen Königin Martia Proba verfaßt und erlassen, die in Britannien im 3. Jahrhundert v. Chr. regierte.
»Martia, die den Beinamen Proba, >die Gerechte<, erhielt«, schreibt Raphael Holinshed, »die viel verstand von der Führung ihrer Amtsgeschäfte, die reformiert werden mußten, erließ mehrere Gesetze, die die Briten nach ihrem Tode Martianische Verordnungen nannten. Alfred der Große verfügte, daß die Gesetze dieser hervorragend gebildeten Prinzessin (...) für ganz England rechtswirksam wurden.«[28] Geoffrey von Monmouth schreibt im 12. Jahrhundert von Martia: »Nach dem Tode König Guithelens regierte Martia, eine adelige Frau, die in allen Künsten sehr geschickt und überaus intelligent, gleichzeitig aber auch sehr erfahren war, über dieses ganze Land (...). Unter den vielen außerordentlichen Dingen, zu deren Erfindung sie ihre natürlichen Gaben benutzte, gehörte auch ein Gesetz, das sie verfaßte und das von den Briten Lex Martiana genannt wurde. König Alfred übersetzte dieses zusammen mit anderen. Nach der sächsischen Sprache nannte er es Mercianisches Gesetz.«[29]
So wurde also das Gewohnheitsrecht, das allgemein König Alfred dem Großen zugeschrieben wird, ein Jahrtausend vor seiner Herrschaft von einer keltisch-britischen Königin erlassen, deren Name in den Nachschlagewerken nicht mehr zu finden ist. Zu ihren großen Reformen, von denen viele zweifellos vom Brehon-Recht der Kelten abgeleitet waren, zählte auch das Recht auf ein Geschworenengericht, ein Begriff, den es im Römischen Recht nicht gab. Es ist eine Ironie, daß man das standesgemäße Geschworenengericht, das in der modernen Rechtswissenschaft so heilig ist und zum erstenmal von einer Frau eingesetzt wurde, den Frauen fast von Anfang an verweigerte. Heute noch werden in England und in den Vereinigten Staaten Frauen vor Geschworenen, die nicht ihresgleichen sind, verhandelt und von ihnen zum Tode verurteilt. Nur die Frau erhält mehr Recht als Gerechtigkeit. Doch im Falle des Geschworenengerichts erfahren die Frauen weder Recht noch Gerechtigkeit. Selbst heute noch sind weibliche Geschworene bei Verhandlungen gegen Frauen nicht in der Mehrzahl, wie es an sich dem Gesetze nach sein sollte.
Eine weitere übergangene Königin im alten England war Aethelflaed, die Tochter desselben Alfreds des Großen, der die Gesetze Martias weiterführte. Bei seinem Tod im Jahre 906 n. Chr. hinterließ Alfred seinem Sohn Edward das Königreich Wessex und seiner Tochter Aethelflaed sein Königreich Mercia. »Eine Generation lang gab Aethelflaed Mercia eine äußerst sorgfältige und wirksame Regierung,« schreibt William von Malmesbury.[30] Das Anglo-Saxon Chronicle schreibt ihr den Bau und die Besiedelung beinahe eines Dutzends Städte zu, die Planung von Militärstreifzügen und die Rückeroberung von ganz Leicester, Derby und York von den Dänen, Gebiete, die zu König Alfreds Zeiten von ihnen eingenommen worden waren. Die meisten ihrer Siege errang sie auf friedlichem Weg, berichtet die Chronik, eher durch Überzeugungskraft als durch Gewalt. Zum Zeitpunkt ihres Todes im Jahre 918, »hatten alle Bewohner Yorks ihr versprochen, daß sie sich unter ihre Führung begeben würden. Bald nachdem sie dem zugestimmt hatten, starb die Königin jedoch zwölf Tage vor Sonnenwend in Tamworth, im zwölften Jahr ihrer rechtmäßigen Herrschaft über Mercia. Ihr Leichnam liegt in Gloucester in der Ostkapelle der St. Peterskirche begraben.«[31] Ihr Bruder Edward fiel daraufhin in Mercia ein, und »alle Leute, die Aethelflaed unterstanden hatten, ergaben sich ihm (...)und der Tochter Aethelflaeds entzog man jegliche Herrschaftsgewalt in Mercia und brachte sie nach Wessex. Sie hieß Aelfwyn.«[32] Und so wurde die kleine Königin von ihrem hinterhältigen Onkel Edward entthront, der es nicht gewagt hatte, sich zu Lebzeiten Aethelfleads in die Angelegenheiten des Königreichs einzumischen.
Aethelflaed bleibt mit einer Bemerkung im Gedächtnis, die sie William von Malmesbury zufolge am Hofe ihres Vaters Alfred kurz nach ihrer Heirat mit Ethelred, ihrem zukünftigen Gemahl, in Mercia gemacht haben soll. Auf die Frage, warum sie sich ihrem Gatten verweigere, antwortete Aethelflaed, daß »es einer Königstochter nicht zustehe, einem Vergnügen nachzugeben, das so unangenehme Folgen hat.«[33] Ihre Tochter Aelfwyn ist jedoch der Beweis, daß die Königstochter einmal einem Vergnügen nachgab, das Folgen hatte.
Es war ebenfalls eine Königin, die die Bürgerrechte für das britische Volk nach der Normannischen Eroberung wieder in Kraft setzte. Die Normannen hatten im elften Jahrhundert die fränkisch-christliche Rechtsordnung des Festlandes mit nach England gebracht, die weit weniger demokratisch war und den Gleichheitsgrundsatz lange nicht in dem Maße berücksichtigte wie die der beiden großen Gesetzgebenden Martia und Alfred. Die Engländer waren entrüstet über die Einschränkung ihrer Freiheiten unter Wilhelm dem Eroberer und seinem Sohn Rufus. Nachdem dieser beim Jagen auf geheimnisvolle Weise erschossen worden war, bestieg sein jüngerer Bruder Heinrich, der erste der normannischen Erben, der auf englischem Boden geboren war, als Heinrich I. den Thron. Dessen Liebe zu einer Prinzessin und seine Bereitwilligkeit, sich von ihr beeinflussen zu lassen, bewirkten, daß das englische Volk seine alte Freiheit>*urückgewann.
Die Prinzessin war Mathilda von Schottland, die Tochter der sächsischen Erbin von England, Margaret the Aetheling. Margaret, die nach der Eroberung mit ihrer Mutter und ihrem Bruder aus England floh, hatte Malcolm, Macbeths Widersacher, geheiratet und war so Königin der Schotten geworden. Sie hatte ihre älteste Tochter Mathilda, oder Maud, nach Wilton geschickt, wohin die englische Königsfamilie schon jahrhundertelang ihre Töchter zur Erziehung sandten, und dort hatte Heinrich sie gesehen. Bei der Thronbesteigung bat Heinrich Mathildas Eltern, Malcolm und Margaret, um die Hand ihrer Tochter. Sie stimmten zu, doch sonderbarerweise widersetzte sich Mathilda. Sie war ihrem englischen Erbe treu geblieben, und die Leiden ihres Volkes unter den Normannen hatten sie tief beeindruckt und beunruhigt. Auf Drängen ihrer Eltern und in dem Glauben, als Königin vielleicht das harte Los ihres Volkes lindern zu können .willigte sie schließlich unter der Bedingung ein, daß Heinrich als König versprechen mußte, »dem englischen Volk seine alten Rechte und Privilegien zurückzugeben, wie sie von König Alfred erlassen und von König Eduard dem Bekenner bestätigt wurden«.[34]
Nach Heinrichs feierlichem Eid, diese Bedingungen anzunehmen, »war die Tochter der königlichen Linie Alfreds bereit, den Thron mit ihm zu teilen«.[35] Heinrich widerrief unmittelbar danach all die einschneidenden Gesetze, die seine beiden Vorgänger erlassen hatten, und ordnete an, einen Abriß von Alfreds Gesetzen anzufertigen und Abschriften davon in alle Städte Englands zu senden, »um eine den Bedürfnissen des Volkes entsprechende gesetzmäßige Autorität zu schaffen«.[36] Nach diesem ersten Vertrauensbeweis von Seiten Heinrichs heiratete ihn die Prinzessin Mathilda am 11. November des Jahres 1100.
»Viele gute Gesetze wurden in England unter der Guten Königin Maud erlassen«, schrieb der Chronist Robert von Gloucester. Sie bestimmte, daß auch schwangere Frauen unter den Armen regelmäßig unterstützt wurden, und gründete für die Benachteiligten zwei freie Krankenhäuser, St. Giles in the Fields und Christ Church. Brücken und Straßen, die unter den Normannen verfallen waren, ließ sie wieder instandsetzen.
Doch vor allem können wir nach Stricklands Worten »Auf diese Königin englischer Abstammung, englischer Erziehung und englischen Herzens alle verfassungsmäßigen Segnungen zurückführen, die dieses freie Land in der Gegenwart genießt. Auf Grund ihres Einflusses gestand Heinrich die wichtige Urkunde zu, die das Vorbild und den Vorläufer jenes großen Hortes der englischen Freiheit, der Magna Charta, darstellt«.[37]
Diese gute Königin, Generationen von Engländern als Heilige Maud bekannt, starb 1118 im Alter von 41 Jahren. Und mit ihr starben viele Vorrechte, die sie für das Volk hart erkämpft hatte. Heinrich wurde wieder ein normannischer Tyrann wie sein Vater und Bruder. Als 100 Jahre nach der Guten Königin Maud unter der Herrschaft König Johns der Abriß der Gesetze Heinrichs und Mathildas gesucht wurde, konnte man nur eine einzige Abschrift finden. »Man nahm an, daß Heinrich nach dem Tod seiner Königin alle sichergestellten Abschriften einer Übereinkunft zerstörte, die zugestanden zu haben er später bedauerte. Nach dieser einzigen übriggebliebenen Abschrift wurde die Magna Charta verfaßt.«[38]
So stammte die Magna Charta, jener bedeutende Meilenstein des menschlichen Fortschrittes, wie auch das englische Common Law, in gerader Linie über Alfred den Großen, Eduard den Bekenner und den >Abriß< Heinrichs und Mathildas von den Martianischen Verordnungen der keltischen Königin Martia ab. Und diese wiederum entsprangen dem Brehon-Recht der alten Kelten, jenen entschlossenen Vorkämpfern der Freiheit und Gerechtigkeit.
Der keltische Einfluß blieb eine Kraft, mit der man rechnen mußte, und die Kelten waren damals und sind auch heute noch keineswegs eine sterbende oder tote Rasse.