Du hast mich nie kennen gelernt ...
Ich bin nicht mehr die, die ich war
Ein glückliches Fest
Voller Hoffnung ...
Sogar mitten in meinem Leid
Kamst du, um zu fordern
Maha al-Fahd
Wenn du dir einen Mann oder eine Frau sehr genau vorstelltest,
konntest du einen Anflug von Mitleid spüren ... das war
eine Fähigkeit, die Gottes Ebenbild in sich trug ... wenn du die
Fältchen um die Augen, die Form des Mundes und des Haars betrachtetest,
war es unmöglich, zu hassen. Haß war ein Mangel an Vorstellungskraft.
Graham Greene
Zeig mir das Angesicht, das du hattest, noch ehe deine Eltern
geboren waren.
Zen köan
Es ist am logischsten, dort anzufangen, wo jede/r von uns begann: im Körper. Was immer die Zukunft an Entwicklung künstlicher Gen-Strukturen oder des Retortenbabies bringen mag, bis heute sind wir Menschen in einem menschlichen Körper empfangen und ausgetragen worden, und zwar in dem spezifisch weiblichen Körper. Es ist bitterste Ironie, daß der Körper der Frau dann, wenn er einen anderen potentiellen Körper in sich trägt, als die archetypische Vollendung von FRAU gesehen wird — denn FRAU wird ja grundsätzlich als nicht-MANN (und deshalb nicht-menschlich) definiert. Eine schwangere Frau jedoch ist wohl über alle Maßen menschlich, ohne ihre Arbeit, ihre Wehen existierte die »Menschheit« nicht. Doch würde das Gebaren als eine fundamental menschliche Tätigkeit begriffen, so ergäben sich natürlich alle möglichen gefährlichen Fragen — Fragen nach dem Recht dieses Menschen auf Wahlfreiheit und Terminplanung, nach seinem Recht, seine Fähigkeiten und Eignungen zu beurteilen, nach dem Menschenrecht der Selbstbestimmung. Diese Fragen, die bei jeder anderen menschlichen Tätigkeit völlig normal und akzeptabel sind, wurden auf diesem Gebiet weitgehend ausgeblendet, denn ließe man sie hier zu, so riskierte man, jeder Frau ihre individuelle Menschlichkeit zugestehen und damit ihre authentischen Menschenrechte und -fähigkeiten anerkennen zu müssen. Wieviel bequemer ist es doch, die Geburt als eine mystische Fähigkeit von FRAU zu betrachten — und diese Vorstellung auszuweiten, bis diese eine Tätigkeit zum wichtigsten Bestimmungsmerkmal weiblicher Menschen wird und damit tatsächlich zur vorrangigen Begründung unserer Existenz.
Ganze Bibliotheksbestände wurden mit der lächerlichen Vorstellung gefüllt, Frauen hätten einen »Penisneid«. Und erst jetzt hört man wenigstens ein bißchen auf uns Frauen, wenn wir zum tausendstenmal erklären, daß wir den Männern nicht ihre Genitalien neideten, sondern die Privilegien, die in einer patriarchalen Gesellschaft mit ihnen einhergehen. Erst jetzt ist auch die Vorstellung vom männlichen »Gebärneid« näher untersucht worden — obgleich auch diese sich teilweise aufs merkwürdigste gegen Frauen gekehrt hat: »Es ist doch klar, daß sich die Männer angesichts der Gebärfähigkeit der Frauen zurückgesetzt fühlen müssen, und das ist natürlich der Grund, warum die Männer jahrtausendelang versucht haben, die Dinge ins Gleichgewicht zu bringen und auf allen anderen Gebieten die ehrfurchtgebietende Fähigkeit, die Frauen seit jeher besessen haben, zu kompensieren.« Solch intellektuelles Geschleime kommt von scheinbar so weit voneinander entfernten Menschen wie Norman Mailer und gewissen extremen Matriarchats-Anhängerinnen in der Frauenbewegung, die eine Vogel-Strauß-Politik zu verfolgen scheinen (schließt sich da wieder der Kreis zwischen Rechten und Linken?).
Bei dieser Art von Nicht-Denken wird außer acht gelassen, daß heute — mehr als je zuvor in der uns bekannten Geschichte — (männlich-kontrollierte) Religionsgemeinschaften und (männlich-kontrollierte) Regierungen in bösartigen Kampagnen darauf bestehen, daß eine Frau Kinder zu kriegen hat, ob sie will oder nicht. Da die gleiche uns bekannte Geschichte deutlich zeigt, daß, was in den Augen eines patriarchalen Systems Macht oder Privileg von Frauen ist, abgeschafft gehört, ist kaum verständlich, warum dieses System nun dafür eintritt, daß Frauen behalten und ausüben sollten, was es eigentlich für eine »ehrfurchtgebietende Macht« hält. Im Gegenteil: vielleicht spielt der »Gebärneid« zwar wirklich für einzelne Männer oder vielleicht sogar, auf einer bestimmten psychologischen Ebene, bei allen Männern eine Rolle, die Realität ist jedoch, daß die männlichen Menschen schon allein die Fähigkeit zur Schwangerschaft als ungeheure Verpflichtung, Verantwortlichkeit, als eine Lebensaufgabe und Einengung betrachten. Natürlich mag es bequem für sie sein, den Vorgang zu mystifizieren, doch scheint es ihnen völlig zu genügen, ihren Neid auf diese Mystifikation zu beschränken — während sie gleichzeitig in jedem anderen uns bekannten Bereich des Lebens nach »kompensatorischer« Macht grapschen. Sie sind keine Dummköpfe, sie riechen ein Privileg von weitem, und sei es noch so unsichtbar.
So sind wir mit unserem Anfang also wieder da, wo jede/r von uns anfing: im weiblichen menschlichen Körper, dem »ersten Zuhause« jedes menschlichen Wesens. Und damit sind wir auch wieder beim Körper selbst, bei unserem eigenen Körper, letztendlich dem lebenslangen Zuhause unseres Selbst. Das ist alles, mit dem jede/r von uns, männlich oder weiblich, geboren wurde, da wurden wir hineingeboren und darin werden wir leben bis wir sterben. Letztlich ist es das einzige, was wir wirklich besitzen — und auch dieser Besitz ist zeitlich begrenzt.
Und dennoch: obgleich sie in ihrem eigenen Körper wohnt, besitzt ihn eine Frau nie so, wie ein Mann im Patriarchat seinen eigenen Körper besitzt. Sie kann ihn nicht besitzen, denn er gehört ihm (zusammen mit seinem eigenen Körper).* (*Zwei von Myriaden von Beispielen, die diesen bizarren Zustand illustrieren, fallen mir sofort ein: der spiegelverkehrte Schöpfungsmythos, in dem Eva aus Adams Rippe geschaffen wird, und der noch immer viel zu häufig verwendete Trautext, der verkündet: »Die Ehefrau und der Ehemann sind eines, und das eine ist der Ehemann.« Weitere Beispiele zu sammeln ist ein leichtes, jedoch etwas deprimierendes Gesellschaftsspiel.) Dieses Leben in der Entfremdung von ihrem ureigensten Fleisch kann mit der Zeit dazu führen, daß eine Frau in gewisser Weise nicht mehr ihren Körper bewohnt. Sie ist ganz wörtlich »besessen« — doch nicht von irgend etwas Geisterhaftem wie Dämonen oder Dybbuks. Sie ist aus ihrem Körper »enteignet«, lebt weit fort von ihm, im Exil. Wie lebt sie? Wie kann sie ohne Haut und Blut und Knochen überhaupt sichtbar werden? Welches Bild kann sie von ihrer eigenen Authentizität haben? Wenn es ihr gelingt ein Selbstbild zu haben, wie kann es mit der Doppelgängerpuppe, von der man ihr eingeredet hat, das sei sie, konkurrieren? Wenn sie durch Enteignung körperlos gemacht wurde — kann sie dann glauben, daß sie wirklich existiert, daß sie überhaupt auf der Welt ist?
Vielleicht besteht die einfachste und klarste Form feministischen Bewußtseins aus Millionen von Frauen, die Jahrhunderte hindurch mit einer Stimme sagten:
»Sieh her. Ich versuche, dir das Angesicht zu zeigen, das ich hatte, noch ehe meine Eltern geboren waren.«
* * *
Dieses Leben in der Entfremdung von ihrem ureigensten Fleisch kann mit der Zeit dazu führen, daß eine Frau in gewisser Weise nicht mehr ihren Körper bewohnt. Eine Frau, die in dieser Kultur ihr eigenes Körperbild sehen und begreifen möchte, wagt sich an ein so paradoxes Unterfangen, wie das Kind, das gern wissen möchte, wie sein Gesicht im Schlaf aussieht. Diese Wünsche können nicht durch ein Foto oder irgendein anderes zweidimensionales Bild des Selbst befriedigt werden.
DER VERLEUGNETE KÖRPER
Ich glaube, für ein menschliches Wesen, das einen männlichen Körper bewohnt, muß die existentielle Befindlichkeit sehr unterschiedlich sein. Auf die Gefahr hin, daß mich einige meiner Schwestern in der feministischen Gemeinschaft für halbherzig übervorsichtig halten, muß ich den vorhergehenden Satz mit »ich glaube« beginnen, — denn ich bin ein menschliches Wesen, das in einem weiblichen Körper wohnt und weiß einfach nicht, wie es sich in einem männlichen wohnt. Und ich will mich auch nicht auf billige Annahmen einlassen, wenngleich sie momentan meine Dauerempörung über das, was MANN den Männern gestattet den Frauen im Namen von FRAU anzutun, etwas mildern könnte. Doch Haß ist und bleibt ein Mangel an Vorstellungskraft, und eine biologisch deterministische Theorie bedeutet einen Mangel an Intelligenz.
Wenn ich versuche, mir das menschliche Bewußtsein in einem männlichen Körper vorzustellen, dann taste ich mich an einen Zustand heran, der meiner eigenen menschlichen Erfahrung ganz fremd ist. Lassen wir im Augenblick dahingestellt, ob und bis zu welchem Grade dieser Unterschied in physiologischen Strukturen oder in gesellschaftlich normiertem Verhalten oder in beidem begründet ist. Lassen wir gewisse, erkennbare beruhigende Ahnungen von »den tausend natürlichen Schrecken, denen (alles) Fleisch ausgesetzt ist« — Angst, Aufregung, Hochstimmung, körperliche Lust und Pein etc. — beiseite, — mir bleibt, schattenhaft, immer noch eine andere Art von Unterschied spürbar.
Ich glaube, es ist der Schatten, den MANN über einen Mann wirft. Ich glaube, es ist das Echo der überkommenen Geschichte, das diesem Bewußtsein einflüstert, eben weil es einen männlichen Körper bewohnt, sei es schlechthin menschlich. Wie vollkommen anders muß die Erfahrung von Existenz schließlich aussehen, wenn mann, direkt oder durch Osmose, in dem sicheren, von den Vätern ererbten Bewußtsein leben kann, daß alle Worte, die verwendet werden, um Menschlichkeit und mit dem Menschen in Zusammenhang stehende Formen zu studieren und zu definieren — Anthropologie, Androide, Humanismus, um nur einige zu nennen —, von den griechischen und lateinischen Wurzeln des Wortes »Mann« abstammen!
Selbst der gutwilligste, antisexistischste Mann kann sich sicher nicht dem Einfluß der Tatsache entziehen, daß die von Carl Sagan entworfene Darstellung des Lebens auf diesem Planeten von Voyager I über unser Sonnensystem hinaus in die Galaxis getragen wird; und daß diese Metallplakette jeder hypothetischen Form von Leben dort draußen nicht nur bestimmte mathematische Symbole und astronomische Schlüssel übermitteln wird, sondern auch das eingravierte Bild eines männlichen menschlichen Wesens, das im Vordergrund steht, die Hand zum Gruß erhoben, während der Umriß eines weiblichen menschlichen Wesens nur weniger als halb so groß im Hintergrund steht (kleiner wegen der Perspektive, wer wollte das nicht verstehen), die Arme passiv herabhängend. Damit hat MANN es nun mit Hilfe von Carl Sagan und NASA geschafft, die Infektion des androzentrischen Denkens wie eine ansteckende Viruskette ins gesamte Weltall hinauszuschicken. Natürlich hat eine solche Botschaft auch ihre Auswirkungen auf das individuelle Bewußtsein,das in männlichen Körpern auf unserem Planeten wohnt. Die Botschaft lautet nach wie vor und immer wieder: Männer sind gleich MANN ist gleich Mensch. In diesem Fall geht die Botschaft noch einen Schritt weiter: Mensch (MANN) ist gleich Leben auf dem von der Sonne aus gerechneten dritten Planeten in diesem Winkel unserer Galaxis.
Frauen, das schrieb Simone de Beauvoir vor nunmehr fast vierzig Jahren in ihrem Klassiker »Das andere Geschlecht«, sind Das Andere. Eine Frau ist in erster Linie einmal FRAU, jenes ihr aufgezwungene Bild, das ihre individuellen menschlichen Fähigkeiten einschränkt, während das Bild MANN genau dem entgegengesetzten Zweck dient: es fordert die menschlichen Fähigkeiten der individuellen Männer und läßt sie expandieren. Zweitens wird eine Frau, wenn sie unter FRAU subsumiert ist, zu allem anderen, was nicht menschlich ist.
Häufig wird uns FRAU als Geographie präsentiert: FRAU als der Ozean, der »jungfräuliche Wald«, Acker für den »husband-man« (Landwirt, Bauer, A. d. Ü.), wovon das Wort »husband« (Ehemann, A. d. Ü.) abgeleitet ist. Wir sprechen von der »Vergewaltigung der Landschaft«, vom »Tal der Venus« und vom »Venushügel«, wir bezeichnen im angelsächsischen Sprachgebrauch Flüsse, Berge und ganze Länder als »sie«. Der Chefgeologe Robert Christiansen von der offiziellen geologischen Untersuchungskommission der Regierung der Vereinigten Staaten wies 1980 bei der Untersuchung der Erschütterungen, die dem Ausbruch des Mount St. Helen im Staate Washington vorangingen, jede Gefahr geringschätzig weit von sich: »Die ist einfach noch nicht so weit, auszubrechen«, meinte er. »Man könnte sagen: sie hat eine Midlife Crisis.«[1] (Aufgrund dieser Worte konnten Feministinnen überall in den Vereinigten Staaten ein angenehm süffisantes Gefühl der Solidarität mit einem Stück Landschaft entwickeln, als nämlich der Vulkan ein paar Tage später eine Reihe massiver Ausbrüche hatte.) Doch es ist natürlich absurd, den Vulkan überhaupt zu anthropomorphisieren — oder besser: zu gynomorphisieren —: »sie« war weder wütend noch rachsüchtig. Sie war nur ihr eigenes, authentisches, aktives Selbst. Doch genau diese Art von Aktivität ist einer Frau nicht gestattet — und vielleicht erzählt man ihr deshalb, als Warnung, daß sie sie bereits, wenn auch nur stellvertretend, als Berg erlebt hat.
In den USA zeigte die feministische Theorie in den letzten Jahren zuweilen die Tendenz, sich diesem »Frauen-gleich-Natur«-Argument anzuschließen. In gewissem Sinne sind solche Denkansätze als notwendige Phase unserer laufenden politischen Entwicklung unvermeidlich: in jedem Befreiungsprozeß machen die Unterdrückten, des ständigen Zurückweisens der ihnen von ihren Unterdrückern aufgezwungenen Klischees müde, eine Kehrtwendung und bestätigen genau jene Klischees in einer Art trotzigem Stolz (»verdammt wahr, schwarze Amerikaner haben mehr Rhythmus im Blut« oder das »Bitch-Manifesto« von Joreen,[2] beispielsweise). Dies entspringt teilweise dem vernünftigen Wunsch, dem widerlichen Unterdrücker so unähnlich wie möglich zu sein und dabei sogar die zweifelhaften Unterscheidungsmerkmale, mit denen er die anderen brandmarkt, für sich selbst zu übernehmen.
Bleibt diese Tendenz als Etappe in einer Bewußtwerdungsphase fließend, dann ist es gut. Wird sie aber als ein permanenter, ernsthafter Argumentationsstrang im theoretischen Denken institutionalisiert, dann ist das letzten Endes unproduktiv und zerstörerisch, denn im Kern bestätigt ein solches Denken nicht individuelle Einmaligkeit in einem Spektrum menschlicher Gemeinsamkeiten, sondern Gruppen-Unterscheidungen. Und das ist immer ein höchst gefährliches Kästchendenken, das zwangsläufig zu Rassismus, Sexismus, Klassismus und allen möglichen anderen Ismen führt.
Das zweite Problem mit dem Argument »Frau-ist-gleich-Natur-wie-der-Mann-ist-gleich-Kultur« ist, daß es nicht stimmt. Es kommt darauf an, von welcher Frau, von welcher Kultur, von welchem Mann die Rede ist, und wie Gleichheit und besonders »Natur« definiert werden. »Die Große Erdmutter... Ich lehne es ab, in einem solchen landwirtschaftlichen Licht gesehen zu werden«, schreibt die Schriftstellerin Ama Ata Aidoo aus Ghana. »Jede Fehlgeburt des symbolischen Prozesses bedeutet Aufhebung unserer menschlichen Freiheit ... (und) kann das freie Arbeiten des Geistes blockieren«, sagt Susanne K. Langer.3 Natürlich sind Frauen Teil der Natur — genau wie die Männer. Natürlich sind Männer Teil der Natur — genau wie die Frauen. Ziehen wir die Natur als eine Art mystische Schwester speziell der Frauen und nicht auch der Männer an uns, dann stellen wir die weiblichen Menschen auf die andere Seite jener unsinnigen Schranke, die MANN bereits aufgerichtet hat. Weiter: wenn die Männer nicht endlich dahin gebracht werden können, daß sie sich selbst auch als Teil der Natur verstehen (und was ist eigentlich kein Teil der Natur?), dann werden sie weiterhin in unverantwortlicher Gemütsruhe die Erde als Das Andere objektivieren und ausbeuten. Und wenn es je einen Anlaß für »aufgeklärtes Eigeninteresse« gab, dann ist es wohl dies: den Männern klarzumachen, daß das, was sie der Natur — und den Frauen — an Negativem antun, ihnen vielleicht kurzfristig Macht gibt, jedoch über kurz oder gar nicht sehr lang auch sie selbst total zerstören wird.
Inzwischen hat MANN FRAU als Unterabteilung nicht der Geographie, sondern auch für alles andere, das nicht-MANN, nicht-menschlich ist, definiert. Die weibliche Anatomie ist eine biologische Einheit, eine physikalische Einheit (die sich jedoch nicht im Besitz der tatsächlich existierenden Frauen befindet); sie ist gesellschaftlich ein Phänomen, religiös ein Numinosum, politisch ein Pfand, metaphysisch ein Zustand, philosophisch eine Kategorie, ästhetisch eine Metapher, sie ist Symbol, Witz, spirituelle Versuchung, ein Haufen fetischisierter Teile, ein Mittel zur Reproduktion und Produktion. Die weibliche Anatomie wird auf zerstörerische Weise als Unterschied angesehen, gerade weil man ihre intuitiv als gefährlich empfundene Ähnlichkeit ahnt.
Doch das menschliche Bewußtsein, das mein Ich darstellt, lebt in einer weiblichen Anatomie, was bedeutet: ich existiere als Metapher. Ich atme täglich ein und aus und sehe die Welt durch ein metaphorisches Selbst. Ich begegne mir (oder besser: verliere mich) in den Metaphern für Nationen und Kontinente, Fabriken, Bergwerke, Autos, Schiffe, Flugzeuge und andere Fahrzeuge, für Sturmfluten und Wirbelstürme* (*Erst seit 1978 gibt das Internationale Wetterbüro den Wirbelstürmen neben weiblichen auch männliche Namen — und dies nur auf Druck der Frauenbewegung.), den Mond und den Planeten Erde selbst. Ich denke, deshalb bin ich. Doch Männer denken mich, deshalb bin ich nicht. Für sie existiere ich nur als Metapher für Vergewaltigung und Eroberung, für die Versuchung der Hölle oder den Glanz der Erlösung, als Metapher für fruchtbar machen und pflügen, reifen, brennen, vergraben, erodieren, aus der Erde holen.
Und das hat Konsequenzen für mich.
Wie kann ich mich über Regeln und Gesetze, gesellschaftliche und physikalische, so hinwegsetzen, daß das ganze Ausmaß dieser Konsequenzen klar wird? Wie kann der Geist, der sich von Zeit zu Zeit der Tatsache bewußt wird, daß er eine weibliche Anatomie, nämlich meinen Körper, bewohnt, die Entfernung und das Schweigen überwinden? Wie kann er durch gebundene Papierblätter und Druckerschwärze hindurch zu dem Geist vordringen, der in dem Körper wohnt, der dieses liest? Wie — dieses eine Mal — zur Anatomie einer Frau als dem Ding an sich vordringen, und nicht auf dem Umweg von Vergleichen, Reaktionen, Gegensätzen?
Eines Tages werde ich in dem Körper, der heute diese Worte niederschreibt, sterben.
Eines Tages wirst du in dem Körper, der diese Worte liest, sterben.
Ist dies nicht letztlich der intimste Teil unserer Gemeinsamkeiten?
Hier in dem runden Turm, dem Dachstübchen, der Elfenbeinfestung, wo wir, du und ich, sitzen und miteinander reden als seien wir wirklich — hier, sage ich, gelobe ich dir: ich will versuchen, dich verrückt zu machen, dich zu ver-rücken. Wir werden diesen Ort zusammen verlassen, werden Schritt um gefährlichen Schritt hinabsteigen, von der Wirbelsäule bis zum haltsuchenden geäderten Fuß. Dies ist der weibliche Körper, ein organisches System, die Anatomie der Unfreiheit, die Anatomie einer Frau, dieses eine Mal nicht als Das Andere — als die Hilfskonstruktion, der auch-Körper, die Ergänzung —, sondern als das Ding an sich. Auch ich war noch nie hier, bin noch nie so weit gegangen; der Weg ist unsicher, es gibt keine Antworten, und irgendwo unterwegs wartet der Tod (die einzige Frage ist natürlich immer nur, wartet er wirklich am Ende?).
Doch was haben wir, so spät, noch zu verlieren? Nimm nur einen Tag, irgendeinen Tag. Heute, zum Beispiel, haben die neuen religiös-fundamentalistischen Führer in der Theokratie des Iran die Musik auf den Straßen und in den Häusern verboten. Die Schlagzeilen sprechen von einer Cholera-Epidemie in Zentralafrika. Ein Mann auf der Straße, ganz in der Nähe meiner Wohnung, grapschte meine Brust — ein völlig Fremder, so schnell verschwunden, wie er aufgetaucht war. (Wollte er fürsorglich nach Knoten suchen?) Sie sagten, die Bucht von San Francisco ist tot; ich spüre, wie sich die von Abwässern vergifteten Krabben in die Vergessenheit ausstrecken. Ein neunjähriges ziegelsteinschleppendes Sklavenmädchen aus Mauretanien starrt mich aus ihrem grobkörnigen Zeitungsbild-Käfig an. Was haben wir also zu verlieren?
Hier ist dieser Körper. Nimm, sieh und iß. Der christliche Mythos bietet den in männlicher Form inkarnierten Geist als Opfermahl, den Leib und das Blut. Doch wurde in Wahrheit der weibliche Körper zum Opfer, der weibliche Körper, der wirkliche Nahrung in Form von Milch geben kann, der weibliche Körper, dessen Menstruationsfluß sogar voller Erbarmen das Geboren-werden-müssen erläßt. Die Philosophin Mary Daly würde sagen, die christliche Transsubstantion, die Wandlung, ist eine Transsubstitution, ein Ersatz — nicht mehr und nicht weniger. So nimm, sieh und iß. Vielleicht verläßt du diesen Ort nicht ungeboren, ich warne dich.
Wie sitzt du jetzt gerade? Hör auf zu lesen und mach es dir bewußt.
Du da, Frau: meinst du, du könntest dich in all diesen Arterien, die viel zu universell und zugleich viel zu speziell sind, finden?
Du da, Mann: meinst du, du könntest dich hier zur Abwechslung einmal als der Antikörper, der auch-Körper, als Das — verglichen mit einem Menschen — Andere verlieren?
Du da, der Geist in einer Frau oder in einem Mann: hier kannst du dich weder finden noch verlieren; ich bin schon jetzt viel zu überfüllt. Doch vielleicht erinnerst du eine nie zuvor erlebte Qualität; vielleicht erinnerst du dich an ein nie zuvor erspähtes Bild; vielleicht versöhnst du dich mit einem Selbst, dem du nie zuvor begegnet bist.
* * *
Schau genau in den Zweiweg-Spiegel, während ich von der anderen Seite hineinblicke. Es ist deshalb ein Zweiweg-Spiegel, weil wir uns gegenseitig durch die Linse dessen, was für jede von uns persönlich abläuft, beobachten. Doch noch aus einem anderen Grunde ist es ein Zweiweg-Spiegel.
Kein Spiegel wirft je das Bild von dir selbst so zurück, wie es den anderen erscheint. Im Gegenteil, er kehrt das Bild um. Willst du dich also so sehen, wie andere dich wahrnehmen, dann mußt du in einen Spiegel schauen, der dein Gesicht aus einem zweiten Spiegel spiegelt — um die erste Umkehrung wieder umzukehren. Sogar eineiige Zwillinge sind nicht gleich, sondern sind Spiegelbilder voneinander, fast unmerklich spiegelverkehrt die Windungen des Fingerabdrucks, das etwas größere Auge, die etwas dickere Seite der Nase. Die Moleküle selbst, auch wenn sie chemisch gleich sind, erscheinen aufgrund struktureller Unterschiede als Spiegelbilder voneinander, so wie rechte und linke Hände. Die Chemiker nennen dies Phänomen »Chiralität«, nach dem griechischen Wort für »Hand«.
Eine Frau — wie ein Spiegel mit Silberdämpfen beschlagen (und niedergeschlagen), damit sie ein ganzes Leben lang die Gestalt von MANN in (wie Virginia Woolf in »Ein Zimmer für mich allein« schrieb) »doppelter Lebensgröße« spiegeln kann, — muß sich überhaupt erst einmal selbst sehen können. Nicht nur der Nonne, auch dem Mannequin wurde ihr Spiegelbild vorenthalten. Der ruhelosen, ungeliebten, im wahrsten Sinn verlorenen Seele des Vampirs, der Vorvolika, des Gespenstes gleich, mußte die Frau ihr Spiegelbild in leerem, in Form eines Männergesichts geschliffenem Glas suchen. Es geht noch gar nicht um Details, erst muß überhaupt einmal ein Bild gefunden werden.
»Ich bin halb überzeugt«, schrieb Nathaniel Hawthorne, »daß das Spiegelbild die Realität ist.« Sowohl die affirmative Symbolik des Spiegels in den vorpatriarchalen esoterischen Mysterien-Religionen und Mythen wie auch die spätere negative Symbolik — die griechischen Mythen von Medusa und von Narziß, die orthodox-hebräischen und die islamischen Verbote figürlicher Kunst, der Glaube der australischen Ureinwohner, daß ein Foto tabu ist, weil es das Wesen des Menschen einfängt, — das alles weist in unterschiedlicher Form auf ein gefürchtetes Wissen hin, daß nämlich, wenn man sich nicht sehen, man auch nicht sicher sein kann, daß man eine »Seele« hat, daß man existiert, eine Realität ist. »Das Selbst entsteht in dem Augenblick, in dem es fähig ist, sich selbst zu reflektieren.«[4] Einer Geistererscheinung gleich, sucht so die Frau die Konturen ihrer selbst in Männeraugen
und glasüberzogenen Metallscheiben. Beide werfen ihr ein Bild zurück, das ihre Realität verkehrt. »Ich bin für sie wichtig. Sie
kommt und geht«, sagt der Spiegel in Sylvia Plaths gleichnamigen Gedicht. Da sie dem, was sie sieht, nicht trauen kann, muß sie
immer weiter hineinschauen. Man nennt sie deshalb eitel.
Vorpatriarchale nahöstliche Mythen preisen die Göttin Asteroth oder Tamar, die sich selbst im, Spiegel betrachtete und damit Leben erschuf. Im vor-Jahweschen Mythos wurde die Shekinah verehrt, die Kraft kosmischer Energie, die als weiblich-grenzenloses Licht gesehen wurde, das zu Kether wurde, die aus sich selbst wieder eine Schwester namens Chochma schuf, in deren Augen sich Kether spiegeln und alles Existierende erfinden konnte. In den eleusinischen Mysterien war ein runder Spiegel ein wichtiges Symbol und Requisit. Fast jede Kultur birgt in ihren Ursprüngen einen solchen Mythos. Doch Jahrhunderte nachdem Perseus nur Medusas Spiegelbild anzusehen wagte, weil er fürchtete, von ihrem wirklichen Antlitz in Stein verwandelt zu werden, (und um sie töten zu können), nachdem man uns moralistisch vor dem bösen Ende des Narziß gewarnt hat, nachdem die Kirchenväter im Mittelalter verkündeten, der Spiegel sei ein Werkzeug des Teufels und die Tore der Hölle gähnten weit zwischen den Schenkeln der Frauen — wer weiß heute noch von Ta-mar, oder Kether, oder Köre? Wo können wir einen Zweiweg-Spiegel finden, mit dem wir die Umkehrungen umkehren können?
Und wenn eine Frau einen fände und wagte, hineinzuschauen — würde sie ein menschliches Gesicht sehen oder eine Maske?
Und wie wollte sie überhaupt das eine vom anderen unterscheiden?
DER KÖRPER ALS MASKE
V.d.B. (vor der Bewußtwerdung): So waren wir in vorfeministischen Zeiten: wir leugneten, daß es da irgendein Problem gäbe, waren insgeheim jedoch sicher, daß jede von uns selbst das Problem sei: »Ich hasse mich selbst, darum bin ich.« Darüber bestand kein Zweifel, dennoch kannten wir alle die geheime Antwort: das Äußere war trotz allem wichtig, wenn Mutter auch dagegen sprach (und dabei mit dem Finger drohte, um ihrer Ansicht Nachdruck zu verleihen, während sie zugleich mit der anderen Hand unser Haar gefällig aufbauschte, um ihre Doppelbotschaft zu unterstreichen). Also waren wir dauernd am Haareaufdrehen und Haareglätten, am Wimpernzupfen, Abnehmen, Härchen-bleichen, Härchen-rasieren, am Hochschnüren oder uns sonst irgendwie zurechtmachen. Denn jede von uns wollte dazugehören. Zu wem?
Eines Tages verglichen wir unsere Erfahrungen, machten — ständig von Heul- und Lachanfällen unterbrochen — einen langen Erkenntnisprozeß durch, und gebaren schließlich — uns selbst, wie wir meinten.
N.d.T. (nach der Trotzphase): Da waren wir, feministisch des Problems (des Sexismus) bewußt und in der Lage, erwachsene Bezeichnungen über seine Funktionsweise auszutauschen (Sozialisation, Objektivierung, Kommerzialisierung, Internalisierung und viele andere -ierungen). Kollektiv und außer Zweifel hatten wir die Antwort gefunden. Das Äußere war nun politisiert, — was hieß: nun spielte es wirklich eine Rolle. Das Haar zum Beispiel war Maßstab für Bewußtsein. Kurzes Haar — viel Bewußtsein und umgekehrt. Demnach gehörte logischerweise Yul Brynner zur feministischen Vorhut, während auch die militanteste Gorgone für die Bewegung disqualifiziert war, doch lassen wir das. Dennoch, wir gehörten wenigstens dazu. Zu wem? Zu einer neuen feministischen Version von FRAU? Doch nicht dazugehören hieß zu-wem-dann-gehören? Zu nicht-FRAU ebenso wie zu nicht-MANN, nicht-menschlich, zu nichts. Die Vorstellung von »dazugehören« als solche stellten wir noch nicht in Frage.
Eines Tages merkten wir, daß ein verdächtiger uniformer Nonkonformismus uns tatsächlich zum Gebären getrickst hatte: wir hatten uns gegenseitig geboren, in Würfen, aber noch nicht uns selbst.
* * *
Körperbild? Welcher Körper?
Etwa dieses etwas merkwürdige Gerüst, das die taugliche Trägerkonstruktion für den Schädel mit jenem traulichen Dachstübchen, in dem das »wahre« Ich wohnt, abgibt?
Bild? Welches Bild und wann?
Eine Klo-Meditation mit vierzehn — bei der wir gramvoll unsere kläglichen Schenkel inspizierten, die sich platt den Konturen des Klositzes anpaßten?
Oder das Gefühl sinnlicher Fülle in der Schwangerschaft, durch die Erschöpfung vom Herumschleppen des eigenen Übermaßes gesteigert und unterminiert zugleich?
Oder die heitere Leere nach der Geburt, wenn wir spüren, wie die Wirbelsäule ihr Zentrum wiederfindet, wenn sich der Bauch, zuerst durch die Anwesenheit des Kindes herausgewölbt, nach dem Urknall der Geburt allmählich wieder zusammenzieht — während sich unsere Brüste in ihrer rhythmischen Fülle selbständig machen und bereits spüren, wenn das Kind nur tief Luft holt vor seinem nächtlichen Gebrüll, um darauf sofort mit tropfender Milch zu reagieren? Die Erfahrung, eßbar zu sein?
Ist es die chthonische Ehrfurcht vor der Menarche — wie gut oder wie schlecht wir auch auf dieses erste Blut vorbereitet sind? Ist es das sanfte Herannahen der Menopause — ferne und dann nähere Echos, doch Echos, die widersprüchlicherweise dem Ton voraneilen?
Wenn ein einziger menschlicher Körper derart dramatische Veränderungen erleben kann, was ist dann sein Bild? Gibt es überhaupt irgendwo hinter oder jenseits dieser Aspekte ein festes Bild? Gibt es ein unversehrbares physisches Selbst, das vielleicht nur im Orgasmus erahnt wird? Welch ganzheitliches Bild könnte gleichzeitig in sich bergen:
den konzentrierten Blick einer Wissenschaftlerin, wenn sie ihr nachdenkliches Profil über das Mikroskop neigt,
einen Schorf, der sich allmählich auf der mit Milchblasen bedeckten Brustwarze einer Mutter bildet,
den starren Blick einer Frau, deren Körper in den Armen ihres Liebhabers Leidenschaft vortäuscht, während ihr von jeglichem Ausdruck entleertes Gesicht über seine Schulter hinweg zur Zimmerdecke gerichtet ist?
Nicht zu reden von:
den zerfetzten Membranen der Vagina, bis aufs rohe Fleisch geschändet durch die (statistisch erwiesene) übliche Unfähigkeit des sexuellen Angreifers, in sein Opfer einzudringen?
die Halbmondform eines menschlichen Fußes, der auf eine Länge von neun Zentimetern zusammengekrümmt und -gewickelt wurde?
der grünliche Schimmer von hochinfektiösem Fleisch nach dem Schlachtfest einer illegalen Abtreibung im Hinterzimmer?
die glattgeschabte und plangenähte Fläche weiblicher Genitalien, die klitoridektomiert und infibuliert wurden?[5]
die nachoperative »Heilung« nach der chirurgischen Wiederherstellung eines zufällig oder absichtlich zerrissenen Jungfernhäutchens (oder die chirurgische Herstellung eines solchen, da viele Frauen ohne geboren sind), — um so sicherzustellen, daß die Braut nach der »Entjungferung« auch blutet, weil sie sonst riskierte, verstoßen oder getötet zu werden?* (*Eine Operation, die im Mittleren Osten nicht ungewöhnlich ist, vgl. Nawal El Saadawi: »Shador«, (Edition Con, Bremen, 1980), Kapitel 5.)
Körperbild?
In den Vereinigten Staaten wird jede dritte Frau Opfer einer Vergewaltigung; die Hälfte aller Ehefrauen wird von ihren Ehemännern geschlagen; alle drei Sekunden wird eine Frau vergewaltigt; alle achtzehn Sekunden wird eine Frau geschlagen; jede vierte Frau wird sexuell mißbraucht, ehe sie achtzehn Jahre alt ist; neun von zehn Frauen sind an ihrem Arbeitsplatz sexuellen Belästigungen ausgesetzt. Diese Statistik beruht auf Informationen, die das feministische Netzwerk der Zentren für Vergewaltigungsopfer, der Häuser für geschlagene Frauen, der Zufluchtsstätten für mißbrauchte Kinder und der Kliniken für sexuelle Belästigte zusammengetragen hat. Die offiziellen Quellen sind jedoch kaum »beruhigender«. So hat zum Beispiel das FBI eine vorläufige Statistik veröffentlicht, aus der hervorgeht, daß die aktenkundigen Vergewaltigungsfälle in den Vereinigten Staaten im Jahre 1980 um 9% stiegen — im Durchschnitt alle sechs Minuten eine Vergewaltigung. Nach Schätzung des FBI werden jedoch nur 60% aller Vergewaltigungen angezeigt. Aus der FBI-Statistik war nicht ersichtlich, ob sie auch Vergewaltigungen in der Ehe umfaßt, doch ist dies unwahrscheinlich, da die Vergewaltigung in der Ehe zur Zeit nur in neun Staaten als Verbrechen gilt.* (*Kalifornien, Connecticut, Florida, Massachusetts, Minnesota, Nebraska, New Hamshire, New Jersey und Oregon. Was Vergewaltigung in der Ehe ist und wie hoch die Strafe sein muß, wird in den einzelnen Staaten unterschiedlich beurteilt. (In der BRD gibt es derzeit kein Gesetz, nach dem Vergewaltigung in der Ehe strafrechtlich verfolgt werden kann. A.d.Red.)
Körperbild?
* * *
Unsere neuen Erkenntnisse und Überzeugungen hatten uns neugierig gemacht.
Wir gestanden unsere Unwissenheit ein, hantierten mit Spekula, Taschenlampe und Spiegeln, untersuchten unsere Körper, gründeten Gesundheitszentren, schrieben und lasen Bücher.
Wir forderten unser Recht auf Masturbation zurück als Liebe mit dem Menschen, dem wir am meisten trauen. Einige von uns sagten, eine Frau könne ihren eigenen Körper nur wirklich kennenlernen, wenn sie eine andere Frau körperlich liebte. Einige von uns meinten, daß — wegen der ganzen ambivalenten Geheimnisse der Mutterschaft — nur eine Frau, die ein Kind geboren habe, eine wirkliche körperliche Bestätigung erleben könne. Einige von uns proklamierten die Menopause als das gelobte Land. Einige von uns feierten eine freiere Sexualität mit Männern und andere die Freiheit von jeglicher Sinnlichkeit und wieder andere ritualisierten den Körper durch spirituelle Übungen.
Mit einigen dieser Ansätze war es uns wirklich ernst.
Dennoch ist der häufigste Alptraum, der ein Vergewaltigungsopfer heimsucht, der, daß ihr Körper wie Wachs dahinschmilzt.
Zünden wir die Kerze an beiden Enden an? Lebende Voodoo-Puppen als Fetische für Männer, die ihren Zauberbann noch nicht einmal über uns, sondern über andere Männer werfen wollen? Die böse Märchenhexe d-a-h-i-n-s-c-h-m-e-l-z-e-n-d? Die bösen Hexen des Mittelalters, der Renaissance, der Inquisition, der Aufklärung — d-a-h-i-n-s-c-h-m-e-l-z-e-n-d zu Hunderten und Hunderttausenden? Die Endlösung des Frauenproblems?
Wir sollten eines Tages einen feministischen Workshop über unsere eigene Sterblichkeit machen.
Der Tod scheint einen mächtigen Einfluß auf das Körperbild zu haben.
* * *
An anderer Stelle[6] habe ich einen detaillierten Vergleich zwischen Frauen und kolonisierten Völkern angestellt. Dort sagte ich, daß zur Kolonisation die Kontrolle über das Land, den Boden gehört (damit die Bodenschätze gehoben werden können), ferner die gezwungene Entfremdung der Kolonisierten von ihrem eigenen Territorium durch ein System von Ausschluß und Mystifikation, und schließlich die Entschlossenheit der Kolonisatoren, alle Forderungen nach Selbstbestimmung mit einem Repertoire von Unterdrückung — von Spott und Hohn über Alibifunktionen bis zur offenen Brutalität — zu beantworten. In der androzentrischen Kultur, in der wir leben, haben wir Frauen ganz bestimmt keine Selbstbestimmung über unser ureigenstes »Land« — unsere Körper, unser eigenes Fleisch; diese Körper wurden als ausbeutbare Ressourcen für Sex und Kinder angesehen und dabei zum Mysterium erhoben. Und unserem Kampf um Homerule* (*Auch im Deutschen gebräuchliches Wort für Autonomie von Kolonialvölkern A.d.D.) sozusagen wird nach wie vor mit passiver Gleichgültigkeit, mit sentimentaler und vereinnahmender »Bewunderung« und, wenn das alles nichts nützt, mit aktiver Härte begegnet. Wenn Frauen ein kolonisiertes Volk sind, dann ist beispielsweise das von Männern kontrollierte medizinische Establishment***418.2.*** die koloniale Geheimpolizei.
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Also: wir Frauen sollten keinen Geist, keine Seele haben, weil unsere Körper von so großer Bedeutung sind. Aber wir haben auch keine Körper, denn die werden von Männern definiert, besessen, mißhandelt, verschleiert, entblößt, mit Farbe besprüht oder als Metaphern benutzt.
Natürlich sind auch Männer von der Spaltung Körper/Seele betroffen. Sie errichteten um diesen mißlichen Zustand (von dem sie behaupten, daß er einzig und allein sie beträfe) riesige philosophische, poetische und religiöse Gebäude. Möglicherweise ist eine solche Spaltung lediglich eine Frage des Empfindungsvermögens. Doch dann müßten wir Frauen empfindungsfähiger sein, denn dies war immer unsere Bestimmung, unsere Existenz.
Simone de Beauvoir hat als erste moderne Feministin und Dorothy Dinnerstein erst kürzlich unsere Körperlosigkeit angesprochen. [8] Doch wie viel Arbeit wird noch nötig sein, um die Motivationen nur einer einzigen all der von Haß-aufs-eigene-Fleisch-Botschaften überschütteten Frauen zu erforschen — einer Frau, die bereit, sogar begierig darauf ist, das Leiden, die Zeit und die Kosten mehrerer Operationen — sagen wir zur Busenkorrektur — dranzuwenden, — nicht wegen ihrer Gesundheit, sondern wegen der äußeren Erscheinung. Ihr Schmerz und ihr Stolz werden nur noch übertroffen von dem Horror, in dem sie lebt, und von den Lügen, die man ihr über ihre eigenen Unzulänglichkeiten sowie die Abhilfen dafür erzählt hat.
Sie ist nicht erreichbar durch ein Traktat, das sie drängt ihren Körper zu bejahen und sich selbst zu lieben. Doch sie muß erreicht werden, ehe ich an ihr vorbeigehe — ehe du mich nicht erkennst.
Und jetzt brauchen wir erst einmal ein paar Fragen. Fragen statt Antworten. Worin besteht unsere Körperpolitik — als Frauen, als Männer? Wie kann das Körperbild vom Bild der Intelligenz, der Seele oder des Geistes getrennt sein? Wie erkennt ein Mensch sein Selbst — diesen individuellen Kern, der nicht als Reaktion auf irgendein äußeres Übel oder gar als Bestätigung irgendeines objektiven Guten existiert, sondern einfach als Wesen an sich? Wie, speziell wenn dieser Mensch eine Frau ist — also ein menschliches Wesen, dessen bloße Anwesenheit in die Subkategorie »nicht-menschlich«, »Objekt« oder »Das Andere« eingeordnet worden ist? Durch Selbstbewußtseins-Erweiterung? Und was, wenn ich unterwegs auf der Suche an mir selbst vorbeikomme? »Verzeihung — sind Sie vielleicht mein Körperbild?«
Freue ich mich beispielsweise meiner Kontaktlinsen, weil:
1. (v.d.B.) ich eitel bin?
2. (n.d.B.) ich gegen Jahre vom Brillenrand eingeengter Perspektiven, verschmierter Brillengläser und tiefer Einschnitte auf dem Nasenrücken rebelliere?
3. ich die Macht der peripheren Sicht, mit der ich meine unmittelbare Umgebung viel besser erfassen kann, genieße?
4. all das zusammen?
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Schritt um gefährlichen Schritt, sagte ich, von der Wirbelsäule bis zum haltsuchenden geäderten Fuß. Ich selbst bin noch nie so weit gegangen. Unsicherer Grund, sagte ich (nach der nächsten Umleitung tastend).
Nimm mich bei der Hand, wir wollen es nochmal versuchen.
Letzten Endes kenne ich nur den Körper, in dem ich wohne, und sogar da bin ich manchmal eine Fremde, manchmal eine Hochstaplerin, manchmal ein Gast, manchmal eine Siedlerin. Es gibt keine Antworten, sagte ich, und sogar die Fragen, die wir brauchen, verändern sich von Augenblick zu Augenblick, von Stunde zu Monat zu Dekade. Nur diese Anhaltspunkte stehen:
Ich bin ein Mensch, ein weiblicher Mensch, eine Frau.
Ich stehe, während ich dies schreibe, einen Monat vor meinem einundvierzigsten Geburtstag — was heißt, mein Mietvertrag für diesen Körper ist bestenfalls bereits zur Hälfte abgelaufen. Merkwürdigerweise macht mir das nicht so viel zu schaffen wie es das nach Meinung anderer tun sollte.
Ich bin, was man witzigerweise »weiß« nennt in einer Welt, die glaubt, der Anteil von Melanin in der Hautpigmentation sei ein vernünftiger Indikator für die Anlagen eines Menschen, für Genie, Intellekt, Energie und Gefühle, und ebenso für sein Recht auf Brot, Unterkunft, Bildung, Liebe und Freiheit. (Wann wird wohl mal ein Drogist darauf kommen, die Bräunungs- und die Bleichcremes direkt nebeneinander auszustellen? Oder ist der Gedanke, eine Absurdität zu entlarven, zu absurd?) Genauer beschrieben ist die Oberfläche meines Fleisches eine Art Olive-Beige-Rosa. Auf meinem Handrücken, meinem Brustansatz und meinen Schultern zeigen sich die ersten blassen sienabraunen Flecken, — ein Zeichen, daß meine Miete hier halb abgelaufen ist.
Ich bin, was man in meinem Land klein nennt — in Teilen Asiens würde man mich als durchschnittlich oder gar ein wenig groß empfinden: ich messe 1,56 m. Innerhalb meiner Kultur wurde mir das zum Problem. Als Frau mußte ich so reizende Bezeichnungen wie »petite« oder »winzig« hinnehmen, die mir den Magen umdrehten. Als Künstlerin halte ich mich nun zum Trost an bestimmte Vorbilder (George Sand 1,53, Emily Bronte 1,50). Als politische Aktivistin hat mich meine (mangelnde) Größe mehr zu militanten Kleingruppenaktionen denn zu großen Demonstrationen getrieben; obgleich mir die Notwendigkeit für die letzteren einleuchtet und ich auch oft daran teilgenommen habe, kann ich nie sehen, was jenseits der Schultern der Person vor mir passiert. In der Bürgerrechts- und Antikriegsbewegung der sechziger Jahre fürchtete ich den unvermeidlichen Augenblick, wenn eine Stimme aus der Menge ertönte: »Achtung — jetzt kommt die taktische Polizei! Achtung, Pferde — sie reiten in die Leute! Achtung — jetzt kommen Tränengas und Wasserwerfer!« Es war schlimm genug von aufrührerischer Polizei angegriffen zu werden, nur weil man die Sünde begangen hatte, seine mit dem Ersten Amendment* (*1. Zusatz zur Verfassung der Vereinigten Staaten, der das Recht der freien Rede schützt, A.d.Ü.) garantierten Rechte auszuüben, doch noch schlimmer war, von Mitdemonstranten niedergetrampelt zu werden, wenn sie hierhin und dorthin stürmten, während ich völlig sinnlos »Wo? Wo?« in den Lärm brüllte. Ist es ein Wunder, daß ich mehr Interesse an kleinen »Neigungsgruppen« oder »Kadern« von fünf oder sechs Frauen hatte, die elegant eine Stinkbombe bei den Festlichkeiten der Miss-Amerika-Wahl hinterlegten, um vier Uhr früh sorgfältig Alleskleber in die Türschlösser der Haupteingänge der Börse füllten oder dem örtlichen Pornographen ein Geschenk in Form eines Ziegelsteins durch die Schaufensterscheibe verehrten? Bei meiner Größe schienen diese und gewisse andere Aktionen (die ich in einem ungewöhnlichen Anfall von Diskretion nicht erwähnen will), verglichen mit einem friedlichen Marsch, ironischerweise sicherer. Die Napoleons dieser Welt haben vielleicht das Bedürfnis überzukompensieren, weil MANN ein riesiger, ungeschlachter Koloß sein soll, doch eine Frau wird wegen ihrer Kleinheit entweder Guerillakämpferin oder Pazifistin. Als normaler Mensch, der versucht, einigermaßen zu funktionieren, stehe ich natürlich ewig auf Hockern, verrenke mich nach hohen Bücherborden oder Lebensmittelregalen, putze (obgleich selten) die Vorderfront des Kühlschranks und vergesse, daß auf seiner Oberseite der Staub drei Zentimeter hoch liegt, und leide an chronischer Halsverrenkung. Dies alles hat die begrüßenswerte Folge, meine Haltung sehr zu bessern, andererseits aber auch, als Reaktion, die Versuchung zu rückschrittlich hohen (wenn auch nicht spitzen) Absätzen, besonders wenn ich mich auf den Weg zu einem Treffen mit jemandem oder etwas mache, von dem ich eine einschüchternde Wirkung erwarte, — trotz meines feministischen Bewußtseins, das mich anschreit, ich würde so meine Wirbelsäule aus dem Gleichgewicht bringen, meine Zehen verkrampfen, den Vergleich mit dem Stolpergang eines mit Fußketten gefesselten Sklaven oder einer Frau mit eingebundenen Füßen heraufbeschwören und an meiner eigenen Unterdrückung mitwirken.
Ich bin auf beiden Augen kurzsichtig, auf dem rechten extrem, und außerdem astigmatisch. Der Vorteil dieses Zustands besteht darin, daß er mich zu einer liebevollen Hinwendung zum Detail gebracht hat, sein Nachteil in meiner alten sorglosen Einstellung gegenüber eventuellen Folgen — eine Neigung, an deren Überwindung ich bewußt gearbeitet habe. Als ich zwanzig war, verband sich mein »kurzsichtiges Temperament« aufs angenehmste mit der Leichtlebigkeit der radikalen politischen Taktik jener Zeit, die in den verzweifelten Slogan »erst alles gleichmachen, dann reden wir über Politik« mündete. Als ich dreißig war, mühte ich mich intensiv um eine historisch »weitsichtige« Perspektive — und bei dieser monumentalen Aufgabe, politisch zu reifen, haben mir sicher die Kontaktlinsen geholfen, von denen wir schon gehört haben. Jetzt, mit vierzig, hoffe ich auf eine Synthese zwischen Ungeduld und Liebe zum Detail (notwendig geworden durch das wiederum hoffnungslose politische Klima), verbunden mit einem Sinn für Zusammenhänge, mit Einsicht in die Wirkungen und mit Perspektive. Das würde bedeuten, das Leben gelassen und als ein Ganzes zu sehen, um Matthew Arnold zu variieren. Ein derartiger Zustand vollkommenen Gleichgewichts wird wahrscheinlich durch die Tatsache, daß sich Kurzsichtigkeit mit dem Alter selbst korrigiert, bewerkstelligt werden — eine erfreuliche biologische Tatsache mit weiteren auf der Hand liegenden Folgen.* (* Hier irrt Robin Morgan, Kurzsichtigkeit korrigiert sich im Alter nicht, frau braucht dann drei Brillen statt einer. Anmerkung der Übersetzerin aus dem reichen Schatz ihrer Erfahrung.)
Ich habe eine kurze Taille, und in extremen Momenten von Körperhaß habe ich behauptet, mein Nabel säße direkt unter dem Kinn. »Einige meiner besten Freundinnen« sind zufällig Frauen, die groß und/oder mit langen Taillen begnadet sind. Zu sehen, wie sie sich graziös durchs Leben schlängeln, stellt meine schwesterlichen Gefühle auf eine harte Probe.
Meine Brüste wären wohl nach patriarchal-fetischistischen Maßstäben »durchaus passabel«: sie sind voll und, obwohl ich vor zehn Jahren fast ein Jahr lang ein Kind stillte, noch immer fest. Die Brustwarzen und die Höfe sind zimtfarben, und um sie herum breitet sich hier und da ein feines Netz violetter Äderchen aus. Zwei oder drei Haare sprießen aus jedem Hof. Meine Großmutter und eine Tante mütterlicherseits sind an (verschlepptem) Brustkrebs gestorben; ich taste mindestens einmal im Monat jede Brust vorsichtig ab und habe gelernt zu unterscheiden, welche Verdickungen Muskeln, welche kleine Knoten, und was normale Fülle ist, die sich während meines Menstruationszyklus' verändert. Erst in den letzten zehn Jahren habe ich ein so intimes Verhältnis zu meinen Brüsten gefunden und sie scheinen für diese Nähe dankbar zu sein. Sollte ich eines Tages eine befremdliche Verdickung fühlen, so würde mir das sofort auffallen.
Mein Nabel war mein ganzes Leben lang eingezogen, nur in den drei letzten Monaten meiner Schwangerschaft hüpfte er heraus, um nach der Geburt wieder seinen Weg zurück zu finden. Es war ein hübscher, wenn auch kurzer Besuch.
Auf meinem Unterbauch wächst eine Fülle schwarzes lockiges Haar, hinab zu meinen Genitalien. Die Kurve des Beckenknochens ist sehr schön. Vor der seismographisch meßbaren Bewußtseinsveränderung, bewirkt von den feministischen Frauen-Gesundheitszentren, die uns Frauen ermutigten, unsere eigene Cervix mit Taschenlampe, Spiegel und Spekulum zu untersuchen, hatte ich — wie Millionen andere Frauen — meine Genitalien nie richtig angeschaut. Jetzt stehe ich mit diesem Teil meines Körpers auf du und du. Ich kenne meine äußere (»große«) und meine innere (»kleine«) Schamlippe, ich weiß, wie eine bestimmte Falte links die eine Lippe größer macht als die rechte, wie Farbe und Gewebe sich mit meinem Zyklus leicht doch sichtbar verändern. Eine noch revolutionärere Erkenntnis ist, daß sich meine Vagina (die Höhle, von der ich insgeheim fürchtete, sie sei eine dämmrige Zone von Stalagmiten und Stalaktiten) auf dem von der Taschenlampe bestrahlten Spiegel meinen Augen als ein glitzernder Tunnel darbietet — runde glatte Wände mit einem mattrosa perlmutternem Schimmer — am Ende schaut, wie ein molliges Doughnut*,(*Typisch amerikanisches krapfenförmiges Hefegebäck, A.d.Ü.) der Gebärmuttermund heraus, ein bißchen schräg, wie ein schiefes Lächeln. Zurück zur Oberfläche: dort kenne ich das Muster der Labialzysten, zu denen ich hin und wieder neige. Ich weiß, wann und wo sie gelegentlich auftauchen, durch was sie ausgelöst werden (zu enge Kleidung, zu wenig Schlaf oder das leichte Ödem, kurz bevor die Menstruation einsetzt), und was ich dagegen tun muß. Auch bei diesen Zysten genaueste Beobachtung — da es ja bei den Frauen meiner Familie Krebs gab. Das kurze Stück Haut zwischen dem Ende meiner Vagina und meinem After zeigt immer noch das leichte Band einer Narbe vom Dammschnitt, der bei der Geburt meines Kindes möglicherweise völlig unbegründet ausgeführt wurde. (Feministinnen, die auf dem Gebiet Frauengesundheit arbeiten, schätzen, daß ganze 70 % der in den Vereinigten Staaten durchgeführten Dammschnitte unnötig sind. Dieser Eingriff, der dem Geburtshelfer, aber nicht der Mutter die Arbeit erleichtert, ist bei amerikanischen Entbindungen fast ein Ritual).
Auf meinen Oberschenkeln und Hinterbacken zeigen sich feine Dehnungsnarben, einige stammen von meiner Schwangerschaft, die anderen hatte ich bereits vorher, denn seit meiner Pubertät schwanke ich zwischen Gewichtszu- und -abnahme. Meine Mutter und die Tanten mütterlicherseits neigten alle zu Übergewicht. Wie in vielen Emigrantenfamilien der ersten Generation war bei uns Essen gleich Reichtum gleich Liebe. Und so habe ich in meiner Kindheit gelernt: Essen macht dich fröhlich, wenn du deprimiert bist, und bist du fröhlich, so kann man das mit Essen aufs Beste feiern. Und dazwischen gab es auch noch genügend Ausreden: du bist nervös, du mußt schnell ein bißchen Energie tanken oder brauchst irgendein Schmankerl, du bist gesellig, du willst nichts verkommen lassen, und du mußt abschmecken, was du kochst. Positiv daran ist, daß ich eine ausgezeichnete Köchin wurde, die gern und gut kocht; schlecht ist, daß ich (da ich eine Frau bin) mich zu gewissen Zeiten meines Lebens dreimal täglich am Herd wiederfand — was einen enormen Zeitverlust bedeutet, den Supermarkt und die Kochplatte ins Zentrum existentieller Krisen rückt und dazu verführt, ständig die Ergebnisse der eigenen Arbeit mitzugenießen, damit frau sich nicht als ein Vollzeit-Dienstbote fühlen muß. Schlecht ist natürlich, daß mein Gewicht zeitweise auf über 120 Pfund hinaufgeschossen ist (bei, wie gesagt, 1,56) und ich mich wie ein in Kleider gezwängtes Cocktailwürstchen fühlte — und die Kleider schnürten mich ein, und das wiederum rief die Labialzysten auf den Plan undsoweiter undsoweiter. Gut daran ist schließlich, daß ich mit Ende dreißig endlich dieses Verhaltensmuster durchbrach, meine Eß-und Bewegungsgewohnheiten änderte (ersteres bestand aus Vollstopfen, letzteres existierte nicht) und nun ein ausgeglichenes und einhaltbares Gewicht zwischen 84 und 91 Pfund erreicht habe. Das bedeutet: ich fühle mich viel wohler, sehe besser aus und erlebe die Vorgänge in meinem ganzen Körper viel bewußter. Das heißt auch, daß ich weniger koche, das Essen jedoch mehr genieße als damals, als ich besinnungslos alles in mich hineinstopfte. Natürlich denke ich noch immer ständig ans Essen, muß ich gestehen — außer ich bin mit der glückseligmachenden Tätigkeit des Schreibens beschäftigt, die mich mit mehr Befriedigung erfüllt als Essen, Sex oder sogar Revolution. Wenn das Schreiben gut von der Hand geht, vergesse ich sogar zu essen — außer ich schreibe unglückseligerweise einen solchen Abschnitt wie diesen hier.
Meine Glieder sind brauchbare Geschöpfe in annehmbaren Proportionen zu meinem Rumpf. Zu meinen Knien habe ich ein sehr gutes Verhältnis, doch meine Ellbogen sind mir noch kaum vorgestellt worden. Meine Knöchel sind leicht einwärts gedreht — Folge meiner Teenager-Besessenheit mit Capazio-Ballerina-Schuhen, die ich dauernd trug, weil ich überzeugt war, daß sie mir die kleinen Füße einer Tänzerin verschafften. Meine Handgelenke sind schmal aber stark, von früheren Klavierspielzeiten und früheren und laufenden Jahren des Schreibmaschineschreibens. Meine Finger sind ebenfalls stark und an den Gelenken leicht verdickt von der lebenslangen Gewohnheit, die Fingergelenke knacken zu lassen, obgleich alle — von meiner Mutter bis zu meiner feministischen Bewußtseinserweiterungsgruppe — sagen, daß ich diese so angenehm knirschende Tätigkeit endlich lassen soll. Die Fingernägel sind kurz, früher abgebissen, heute abgefeilt. Nachdem ich es einmal zu prächtigen langen Fingernägeln gebracht hatte, merkte ich, daß sie mir beim Schreibmaschineschreiben im Wege waren.
Meine Schultern sind schmal und erfreulich, meinen Hals und meine Schlüsselbeine habe ich seit jeher geliebt, denn mit ihrer Hilfe konnte ich immer noch den Eindruck von Schlankheit erwecken, wenn auch das übrige unförmig war — ich nahm Zuflucht zu U- und V-Ausschnitten, zu viereckigen und Matrosen-Ausschnitten, um ein bißchen Dekolleté zu zeigen, während sich das übrige Problem unter weiten Röcken — in den fünfziger Jahren — und später unter ausgebeulten Hosen verbarg.
Mein Gesicht ist rund, bei Übergewicht habe ich Hamsterbacken, erst jetzt erfreut es mich mit den Andeutungen einer Knochenstruktur. Die Augen sind dunkelbraun, Wimpern und ungezupfte Brauen haben ein sanftes, volles, helleres Braun. Mit meiner Nase stehe ich, seit ich denken kann, auf Kriegsfuß. Mit zwölf hatte ich die Ängste des Pinocchio; mit fünfzehn glaubte ich, meine Nase sei mir direkt vom Gesicht des Cyrano de Bergerac zugeflogen — zu groß, zu fleischig, weder klassisch gebogen noch eine modisch freche Stupsnase. Um das Maß meines Ärgers vollzumachen, hat meine Nase auch noch empfindliche Schleimhäute, das heißt: sie niest, tropft und rötet sich, und hat vermutlich mehr Kleenex verbraucht als jede andere Nase auf dem Festland der Vereinigten Staaten. In den vergangenen zwei oder drei Jahren habe ich mich, wenn auch mit gemischten Gefühlen, mit meiner Nase arrangiert, teilweise mit der Hilfe von Antihistaminen, teilweise durch die Ernährungsumstellung — die wiederum die Gewichtsabnahme verursachte, was wiederum archäologisch die Knochen-Struktur des Gesichts zutage förderte, wonach wiederum die Nase nicht ganz so schlimm aussah. Dennoch bin ich immer noch nicht ganz so weit, mit meiner Nase Schwesterschaft zu schließen.
Die Lippen sind völlig in Ordnung — außer wenn die Haut abpellt oder sich Fieberbläschen zeigen, was nicht oft der Fall ist.
Auch vor den feministischen Zeiten habe ich nie Lippenstift benutzt, ich mochte weder das Aussehen noch den Geschmack; das war eine der sehr wenigen »Freiheiten«, die ich ganz allein errungen hatte. Meine Zähne sind ein bißchen krumm (trotz verhaßter Zahnspangen in der Kindheit) und haben mittlerweile die Schmerzen von vier Wurzelbehandlungen überstanden, — die ersten drei, als ich etwa zehn war. Der sadistische Zahnarzt hielt bei Kindern noch nicht einmal eine örtliche Betäubung angebracht, und so pflegte ich, wenn ich in seinem Folterstuhl saß, in meinem Kopf Multiplikationsreihen, Bibelverse, Kinderreime und Hauptstädte der Einzelstaaten vorwärts und rückwärts aufzusagen, um zu überleben, — eine meditative Technik, die mich niemand gelehrt hatte. Jetzt sind die Zähne gut und werden von mir sogar mit Zahnseide behandelt. Doch am hinteren linken Horizont lauert offenbar ein Weisheitszahn, zwar schmeichelhaft (angesichts seines Namens), aber dennoch eine ständige untergründige Angstquelle.
Mein Haar zeigt ein mittleres Hellbraun, mit ein paar grauen Fäden drin. Im Sommer fabriziert es ganz von selbst hübsche goldene Strähnchen. Das einzelne Haar ist sehr dünn (der gängige Euphemismus lautet »fein«) und gerade, doch bei feuchtem Wetter gelingt ihm sogar eine schwache Andeutung von Fülle und manchmal sogar ein ferner Anklang an Wellen. Klar, daß mir meine Haare an einem Regentag im August am besten gefallen. Meine Kopfhaut kann in zwei Tagen soviel Öl wie ganz Kuwait produzieren. Im Alter von zehn bis achtzehn wurde mein nachdunkelndes Haar auf seine Kinderfarbe — ein fast silbernes Blond — zurückgebleicht; ich arbeitete damals als Kinderdarstellerin und die Erwachsenen, mit denen ich es zu tun hatte, fanden mich so ansprechender. Nie habe ich den Geruch und das Beißen auf der Kopfhaut vergessen. Zweimal im Monat mußte ich mich dieser Prozedur unterziehen, und sobald ich einen Zustand relativer Selbstbestimmung erreicht hatte, kehrte ich zu meiner erwachsenen Naturfarbe zurück und bin davon nicht mehr abgewichen. Die Länge meines Haares habe ich allerdings oft geändert, von ganz lang (junge Renaissance-Ehefrau), zurück zu etwas länger als schulterlang (persönliche Neuzeit), und jetzt noch ein bißchen länger (individualistische zeitgenössische Eklektik). Manchmal trage ich es hochgesteckt — wenn's draußen heiß ist oder wenn ich glaube, ich müßte wie eine seriöse Schriftstellerin aussehen. Meine Ponies lasse ich gerade langsam rauswachsen. Das bedeutet, daß sie das Muttermal auf meiner Stirn nicht mehr verbergen werden, ein kleiner brauner Fleck, der, zum Rasendwerden, knapp neben der Mitte sitzt und mit dem ich mich seit meinem neunten Lebensjahr herumärgere. An guten Tagen versuche ich, mich zu dem Mal zu bekennen, an schlechten Tagen schneide ich mir wieder Ponies oder spiele sogar mit dem Gedanken, das Mal entfernen zu lassen. Offenbar habe ich auch mit diesem Muttermal noch nicht Schwesterschaft geschlossen.
Meine Stimme mag ich: sie ist tief, voll und ausdrucksfähig. Ich mag meinen Magen-Darm-Trakt: er hat mich immer vor gefährlichen oder spannungsgeladenen Situationen, die mein Bewußtsein nicht zur Kenntnis nehmen wollte, mit lauten und deutlichen Signalen von Übelkeit gewarnt. Meine Sexualität schätze ich mehr und mehr, doch das begann erst mit Ende dreißig, und der Sexualität ist ein eigenes Kapitel gewidmet (vgl. Kapitel IV). Ich mag die neuerrungene Elastizität meines bewegungsfreudigen Selbst, die neuerrungene Kompaktheit der Muskeln, das neue Gefühl der Beweglichkeit. Zu meiner Überraschung fühle ich mich mit vierzig wirklich besser als mit zwanzig oder dreißig.
Doch muß ich gestehen, daß ich schon immer zwei Organe am besten leiden konnte, die nie in meinem Spiegel zu sehen waren — geschlechtslos, rasselos, alterslos und für das Leben des Körpers am entscheidendsten: das Herz und das Gehirn. Ich liebe sie nicht wegen ihres Äußeren, sondern wegen ihrer realen und ihrer symbolischen Funktionen — was sie tun und wofür sie stehen. Ich habe mein Herz sehr lieb, oder besser: die Metapher — wegen seines großen Reichtums an Empfindungen, weil es Tränen des Mitgefühls oder der Wut auslösen kann, und wegen seiner im wahrsten Sinne unermüdlichen unverbrüchlichen Treue gegenüber der größten Arterien und den kleinsten Kapillaren, die jene Galaxis, die ich bin, netzartig durchziehen, seine im wahrsten Sinne unermüdliche Energie, die es mir für mein Wagnis, täglich mehr und tiefer und weiter zu fühlen, zur Verfügung stellt. Und mein Gehirn — mein wunderbarer, walnußartig gefalteter, zweihälftiger, noch-nicht-voll-ausgenutzter lebender Computer, angefüllt mit Neutronen, Nervengewebe, Axonen, Synapsen, Stromkreisen und elektrochemisch beförderten Ionen-Botschaften, die es auslösen, abschießen, senden, kanalisieren, empfangen, aufbereiten, zurückhalten, aufbewahren, übersetzen, spalten und hinaussingen kann — in eine Million Nervenenden und Zellen und Gedichte und Strategien — ich habe mein Gehirn sehr lieb.
Schritt um gefährlichen Schritt, von der Wirbelsäule bis zum haltsuchenden geäderten Fuß, — ja, unsicherer Grund. Ich vergaß das freundliche Kinn, zum Beispiel, die allumfassenden Ohren, das Lust-Schmerz-Prinzip bei den Rückenschmerzen der Schriftstellerin. Ich habe die Haarzyste am Ende meines Rückgrats übergangen, die durch den etwas vorstehenden Knubbel, der nach meiner Theorie ein Überrest des Schwanzknochens ist, verschlimmert wird. Ich habe nicht erwähnt, wie das Einnehmen bestimmter Antibiotika — wenn sich die Zyste rührt — unweigerlich Pilze in der Vagina hervorruft, — da muß dann die Große Joghurt-Kur her, um das bakterielle Gleichgewicht wiederherzustellen. (Das ist die innerliche und äußerliche Anwendung von Joghurt, zuerst von den feministischen Gesundheitszentren verschrieben und später, mit dummem Gesicht, vom medizinischen Establishment bestätigt.) Ich vergaß die samtige Oberfläche meiner Haut nach dem Dampfbad oder der Sauna. Ich vergaß das Schweregefühl vor der Menstruation und die Leichtigkeit danach, vergaß, wie ich keine Melodie halten kann, vergaß den neuentdeckten Genuß beim Riechen meiner eigenen Duftstoffe. Ich habe sicher noch viel viel mehr vergessen...
Die Maske blättert nicht so schnell ab. Da gibt es Masken in den Masken, wie Schichten einer Zwiebelschale, wie ineinander-gesteckte chinesische Schachteln: Verwirrung verbirgt sich in Hinnahme, Hinnahme in Trotz, Trotz in Verteidigung, Verteidigung in Kapitulation, Kapitulation in Experimenten. Jede Frau schichtet und verbindet auf ihre ureigne Weise: Unsicherheit unter Humor unter Ekel unter Angst unter Wut unter Kompromiß. Die radikale Feministin klammert sich an ihre langen spitzen Fingernägel als letzte Zuflucht; manchmal behauptet sie, damit könne sie sich gut gegen einen Vergewaltiger verteidigen — doch sie könnte nur kratzen, denn mit diesen Nägeln kann sie die Hand nicht zur Faust ballen. Die andere Feministin belastet ihr Herz mit großem Übergewicht; bereits bei der Anstrengung, eine Straße entlangzugehen, ist ihr Gesicht von leichten Schweißperlen betaut; so verteidigt sie sich dagegen, zum Objekt gemacht zu werden. Eine andere fängt in mittlerem Alter an, berüschte Kleinmädchenkleider zu tragen. Eine andere wiederum färbt ihr ergrauendes Haar feuerrot. Ich, die ich meistens Hosen trage, habe entdeckt, daß an heißen Sommertagen ein Rock eine wahre Erleichterung sein kann. Und dann diese verdammten hohen Absätze, die mich größer und damit selbstbewußter machen ... Ich, die ich mit Mitte zwanzig aufhörte, meine Beine und Achselhöhlen zu rasieren (feministische Aufklärung, erinnert ihr euch?) habe kürzlich wieder damit angefangen. Ich kann noch nicht einmal richtig sagen, warum -, gehört es zur allgemeinen Verherrlichung der neugewonnenen Schlankheit und Geschmeidigkeit? Oder sind die ultrarechten fleischverachtenden Fundamentalisten in meinen eigenen Poren wiederauferstanden? Oder die Domino-Theorie (aha — auf hohe Absätze folgen Röcke folgt rasieren...)? Oder ein grilliger Anfall von Selbstbehauptung — einmal tun, was ich will und nicht irgendein feministisches Zentralkomitee? Oder eine erschöpfte Kapitulation vor dem internalisierten Standard von FRAU, der mir vor so langer Zeit — als ich damals ins Patriarchat hineingeboren wurde — eingepflanzt und seither Tag für Tag eingehämmert wurde?
Immerhin haben wir begonnen, unsere ganzen Verteidigungsmechanismen voller Mitgefühl zu sehen, die Maske der Anderen nicht zu verurteilen, auf daß auch wir nicht durch ihr Abbild in unserem eigenen Spiegel verurteilt werden, — haben begonnen, Geduld mit uns selbst als Frau und jeder anderen Frau zu entwickeln, während jede von uns weiter den Feministischen Walzer tanzt — drei Schritte vor, ein Schritt zurück — um die Haut von FRAU abzuschütteln und die Masken abzulegen, ohne die wir nicht hätten überleben können.
* * *
Wenn sich eine Frau, damit sie überleben kann, eine Maske macht, muß sie sie dann so lange tragen, wie sie überleben will? Wenn die Maske bionisch mit ihrem Fleisch verwächst, wird dann ihr einstiges Selbst zum Trugbild? Verschmilzt es mit der Maske? Wird es zur Maske? (»Meine Liebe, wie. gut dir diese Frisur steht!«) Wird es total erstickt? Oder ist die Existenz dieser Maske die bislang einzige Möglichkeit, das verborgene Selbst am Leben zu erhalten? Und wenn ja, heiligt der Zweck die Mittel — oder verändern sich die Mittel erst in ihrer Ausdrucksform und schließlich in ihrer Substanz?
Das Chamäleon quält sich nicht mit solchen Fragen — auch nicht die Tintenfische, Plattfische, Maskenkrebse, Falltür-Spinnen, oder Seeteufel, die sich, wenn sich ihr Freßfeind nähert, jedem Hintergrund, vor dem sie sich befinden, anpassen und deshalb überleben können. Die jahreszeitlichen Anpasser, wie das Hermelin und bestimmte Kaninchen, brauchen für die Umwandlung länger, doch vollziehen sie sie, wie wir annehmen können, ohne Angst. Warum sollten wir Frauen also diese Technik bei uns in Frage stellen? Denn wir sind, was immer auch unsere Freßfeinde uns einzureden versuchen, Menschen — nicht Medusen (eine Tintenfisch-Art), Schwarze Witwen (Spinnen) oder Playboy-Häschen. Dazu kommt: keines der Tiere, die sich maskieren, um am Leben zu bleiben, tut das aus Angst vor der eigenen Spezies. Ein derart tragisches Verhalten scheint ausschließlich Menschen vorbehalten und mußte von den weiblichen Menschen not-gedrungen zu hoher Kunstfertigkeit entwickelt werden.
Keine Maskierung ist jedoch so simpel wie sie aussieht, und ihre Komplexität hängt von der jeweiligen Kultur ab. Bei uns im Westen, wo wir im Wahn der offenen und ehrlichen Darstellung leben (eine der trügerischsten aller Tarnungen) wird jede Art von Verkleidung als verlogen empfunden. In anderen Kulturen jedoch sieht man in der Maske weder Täuschung, noch Falschheit oder Illusion — sondern vielmehr einen anderen Aspekt oder eine andere Schicht der Wahrheit, eine andere Dimension der Realität, nicht weniger normal und solide wie jede andere.
Beim japanischen Kabuki-Theater und bei No-Spielen ist der Wechsel der Kostüme, Masken und Bühnenausstattung Teil des Spiels. Bei den Voodoo-Priesterinnen auf Haiti und den Condomble-Priesterinnen in Brasilien scheinen sich in Trance die Gesichtszüge total zu verändern, genau wie bei den ekstatischen Sufi-Derwischen, den Sassu und den Karlinern, chassidische Sekten des Judaismus, die sich in einen Zustand religiöser Verzückung hineintanzen. In so unterschiedlichen Kulturen wie denen der Irokesen in Nordamerika, der Dahomes in Afrika und der Ceylonesen in Asien werden bei den Heilungszeremonien Masken verwendet, angeblich um die Krankheits-Dämonen zu verscheuchen, doch sicher auch als weise psychologische Technik (die in den meisten Fällen erfolgreich ist). Beim balinesischen Masken-Theater wird die Leistung eines Schauspielers nach seiner Fähigkeit, eine unbewegliche Holzmaske lebendig zu machen, beurteilt; von dem Schauspieler, dem dies gelingt, sagt man, er habe
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taksu, das heißt »die Fähigkeit, Licht zu empfangen«.
Die konstruktive Verwendung einer Maske hängt jedoch davon ab, inwieweit ein Zuschauer oder ein Publikum sich darauf einläßt, daß hier eine Maske getragen wird, und damit zugleich den Grad von Kunstfertigkeit, mit der sie, und den Grund, warum sie getragen wird, einzuschätzen und zu würdigen weiß. In Bali beispielsweise versteht man die Maske als ,,Grenzbereich zwischen der zeitlosen Welt der Mythen und der gegenwärtigen Welt der Fakten ... Die Maske wird zum Zweiweg-Spiegel, der Bilder der Vergangenheit und der Gegenwart auf einer gemeinsamen Fläche spiegelt ... (Seine) Macht besteht im Paradoxon, in der Vereinigung von Gegensätzen. Sie bringt Ich und Umwelt zusammen, indem sie uns in die Lage versetzt, die Welt durch das Gesicht eines anderen zu sehen.«9 (Hervorhebungen R. M.)
Dem, was sich (manchmal euphemistisch) moderne westliche Kultur nennt, ist dieses Verständnis, diese Komplexität verloren gegangen. Das Clownsgesicht im Zirkus, die Halloween-Schreckensmaske, die Ski-Masken, die heute fast zur Terroristen-Uniform geworden sind, und die Ku-Klux-Klan-Kapuzen sind fast das einzige, was von einer westlichen Tradition übriggeblieben ist, zu der einst die großen komischen und tragischen Masken der griechischen Theater, die archetypischen Masken des mittelalterlichen Karnevals, und später die Comedia dell'Arte-Masken der italienischen Renaissance gehörten. Patriarchale Gesellschaften scheinen es sich zur Maxime gemacht zu haben, alles, an das man sich nicht zu erinnern wagt, zu vergessen, was nicht vergessen werden kann, zu begraben, und was sich nicht begraben lassen will, herabzusetzen oder zu verdrehen.
Bei den Dogonen am Niger-Strom gibt es einen Mythos, der berichtet, wie die Masken in die Welt kamen. Früher einmal, so heißt es, gab es keinen Tod. Wenn die Menschen alt wurden, verwandelten sie sich in Schlangen, die nicht in Worten, sondern in einer Geistersprache redeten. Zu dieser Zeit war die Schöpfungskraft in einem Rock aufbewahrt, den der Gott der Geister der Erdgöttin geschenkt hatte, als sie sich liebten — und dieser Rock wurde nur von Frauen getragen. Doch dann wurde der Rock der Schöpfung den Frauen von einigen jungen Männern gestohlen, und diese wurden auf der Flucht von einem alten Mann, der eine Schlange geworden war, entdeckt. Der alte Mann/Schlange war über diesen Frevel so empört, daß er vergaß, die Geistersprache zu sprechen und sie in Worten anschrie. In diesem Augenblick verließ ihn seine Seele, und nur eine Leiche blieb übrig. Niemand hatte je eine Leiche gesehen und niemand konnte sich vorstellen, wo seine Seele geblieben war — bis einige Zeit später ein Kind geboren wurde, das schlangenhautartige Zeichen auf seiner Haut trug. Da wußten die Leute, daß die Seele des alten Mannes in das Kind geschlüpft war, und um sie auszutreiben und ihr Frieden zu geben erfanden sie eine Maske, die die Darstellung einer Schlange war. Sie sangen, tanzten und fasteten — und hatten damit das erste Begräbnis erfunden. Die Seele des alten Mannes verließ das Kind (dessen Haut sich wieder in ein gesundes Braun verwandelte) und fand ihre friedliche Ruhestätte in der Maske. So also, sagen die Dogonen, weil den Frauen die Macht gestohlen wurde und die Männer nun in Röcken tanzen, kam der Tod in die Welt und entstand die erste Maske. In jeder Maske, sagen die Dogonen, wohnt eine tote Seele.[10]
In diesem Zusammenhang fällt uns unweigerlich das religiöse Transvestitentum ein, das sich in den Gewändern, Talaren, und anderen bestickten Kutten des römisch-katholischen Papstes, des griechisch-orthodoxen Patriarchen und diverser anderer Priester, Mullahs, Rabbinen und dergleichen zeigt. Doch wenn sich — wie es Virginia Woolf schon vor einigen Jahrzehnten beschrieben hat[11] — Männer in lächerlichen Verkleidungen zeigen, erwartet man von uns, daß wir sie ernst nehmen. Die Uniformen der Militärs, der Fez des Freimaurers*, (*Robin Morgan spricht von den »Shriners«, einer besonderen US-amerikanischen Gruppe von Freimaurern, A.d.Ü.) die Gewänder der Prälaten, die Gucci-Mokassins des Managers und die alte Schulkrawatte — all dies sind äußerst wichtige Symbole, über die nicht gekichert werden darf. Frauen jedoch werden auf sanft bevormundende Weise der Lächerlichkeit preisgegeben oder sind gar Gegenstand offener Verachtung, nur weil wir jene Kosmetika und Moden tragen, die die Männer, wie uns dauernd versichert wird, sehen wollen — und die uns von Männern erbarmungslos angepriesen und verkauft werden. Wenn die Krieger der Pikten ihre Körper vor der Schlacht blau anmalten, wenn die Männer der Hamar in Südwest-Äthiopien ihren Kopfputz mit Straußenfedern verzieren, wenn der tapfere Apache Stunden mit seiner Kriegsbemalung zubrachte, wenn der linke Student sein blaues Baumwollhemd als Zeichen der Solidarität mit der »Arbeiterklasse« vorzeigt, wenn die Ledernacken oder Sondereinheiten aufgeregt in ihre Tarnanzüge schlüpfen — dann sind das alles ernsthafte Angelegenheiten. Wenn eine Frau ihr Haar färbt (und dabei sogar ein Krebsrisiko auf sich nehmen kann — alles nur, damit sie in einer Gesellschaft, die das Alter generell fürchtet und bei Frauen verachtet, noch jung erscheinen mag), so wird dies nicht als verzweifelter Versuch, mit ihrem Aussehen »im Geschäft« zu bleiben, gewertet, sondern vielmehr als Zeichen für die hoffnungslose Eitelkeit der Frauen begrinst. Und dieser Doppelstandard ist nicht nur eine Äußerlichkeit. Vielleicht wird damit die Realität verdreht, doch ganz sicher spiegelt er — verdoppelt tatsächlich — objektive Machtverhältnisse.
Die Ureinwohner im Nordwesten der pazifischen Küste der Vereinigten Staaten kennen die Verbindung zwischen Maske und Macht sehr gut. Bei ihnen gibt es die Legende von der Kannibalenfrau (Tsonoquah, oder Dash-Kayah, oder At'at'lia sind nur einige ihrer Namen). Sie ist bösartig aber auch gütig, ein Symbol für Furcht und Status. Sie spricht, indem sie pfeift, und wer ihre schöne und schreckliche Maske trägt, »tanzt in der Fülle und Kraft, verwandelt sich«.[12] Ihr Begleiter, der Wilde Mann der Wälder, »trägt bei den Kwakiutl eine Maske, hinter der für Augenblicke ein menschenähnliches Gesicht zu sehen ist«.[13] Doch ist dies Gesicht eine weitere Maske. Sie werden manchmal als Transformationsmasken bezeichnet, weil sie »alle gängigen Dualismen enthalten: vom Unbekannten zum Vertrauen, vom Uneingeweihten zum Eingeweihten, vom Machtlosen zum Machtbesessenen, vom Kind zum Erwachsenen«.[14]
Die Maske, die von den Männern in der modernen Welt (in der alle wissen, daß es keine Masken gibt) getragen wird, ist die MANN-Maske. Die Maske, die die Frauen tragen, ist die FRAU-Maske.
»Aber das ist doch keine Maske«, sagen die Männer. »Das sind wir!«
»Aber das ist eine Maske«, sagen die Frauen. »Das sind wir nichtl«
Die Männer, die an ihre eigene Macht glauben, weil sie sie in die Realität gezwungen haben, behaupten, sie sagten die Wahrheit. Wenn sie die Wahrheit sagen, dann lügen natürlich die Frauen.
Vielleicht müßte die Frau — wie die religiösen Neophyten bei den Eskimos — die Fähigkeit erlernen, sich selbst als Skelett zu sehen und sich dann, indem sie alle Teile ihres Körpers benennt, jeden Knochen, jede Zelle, jedes Blutmolekül, jeden Muskel, jede Drüse, jedes Gewebe, selbst wieder zusammensetzen. Der Eskimo benennt diese Teile nicht in der gewöhnlichen, sondern in einer heiligen schamanistischen Sprache, in der er (sie!) unterwiesen wurde.[15] Es gibt niemanden, der uns als Frauen unterweist, außer uns, die wir uns gegenseitig als Frauen unterweisen — und wir haben keine heilige Sprache mehr, nur noch die Sprache unserer Wahrheit und unserer Erfahrung. Wahrheit und Erfahrung, vereinzelt ausgesprochen, werden oft als Wahnsinn bezeichnet. Wahrheit und Erfahrung, in einen Spiegel hineingesprochen, werden meist als Egoismus bezeichnet. Wahrheit und Erfahrung, im Chor gesungen, kontrapunktisch wie harmonisch, werden schließlich als Geschichte bezeichnet werden.
* * *
Die gebrechliche alte Frau wollte nicht brav ihr Süppchen essen. Als sie darauf bestanden, verweigerte sie jegliche Nahrungsaufnahme. Je mehr die Schwestern im Pflegeheim auf sie eindrangen, desto störrischer wurde sie, beschimpfte sie als »Folterer« und »Gefängniswärter«, bis die erschöpften Pflegerinnen ihr das Etikett »schwierige Patientin« verpaßten.
Dieser Situation konnte erst abgeholfen werden, als eine Besucherin Zeugin einer solchen Essensszene geworden war und den Schwestern erklären konnte, wie verständlich das Verhalten ihrer Patientin im Kontext mit ihrer Vergangenheit war — jene andere Dimension gelebter Realität, die für die Alten so lebendig und für ihre Betreuer so unbequem ist. Von da an stellten ihr die Pflegerinnen einfach das Essenstablett hin und ließen sie allein, und die Patientin reagierte, indem sie aß.
Die alte Frau, um die es sich hier handelte, war fast ein Jahrhundert lang unentwegt »schwierig« gewesen. Sie war keineswegs vergeßlich, sondern litt vielmehr an einem zu lebendigen Gedächtnis, das sich an Gefängnis, Hungerstreiks und die gräßliche Erfahrung der Zwangsernährung erinnerte. Sie war die Mutter des Verfassungszusatzes der Gleichberechtigung, Alice Paul, zweiundneunzig Jahre alt, Demonstrantin, Lobbyistin bei den Wahlvorversammlungen und Inhaberin akademischer Grade in Sozialarbeit und Jura von Swarthmore, der Universität von Pennsylvania, vom Washington College of Law und der American University. Das wichtigste jedoch war der Strategie-Unterricht, den sie von der englischen Suffragette Emmeline Pankhurst bekommen hatte. Sie sollte einige Wochen später, am 9. Juli 1977, in dem Pflegeheim in Moorestown, New Jersey, sterben. Doch in der Zeit, die ihr noch blieb, war ihr Körper immer noch die Festung, die er einst für sie sein mußte, damit sie Mundsperren, Schläuche und Metallklammern überstehen konnte. Die einst von Nährlösung verstopfte Lunge, das mit Blasen bedeckte Septum, die Narbe am Gaumen — können sie je heilen?
Doch ihre Besucherin war eine Fremde — sie kannte nur die »Geschichte«, nicht das »Selbst« der alten Frau — eine Fremde, die das Bild in dem Körper erkannte, ihm — für einen Augenblick — innerhalb seiner Geschichte begegnete.
Wie kann ein Körperbild so viel Schmerz empfinden?
* * *
Der Körper bewegt sich durch Zeit und Raum, er stellt sich vor, wie er altert, wie er geboren wurde, wie er stirbt, wie er sich bewegt.
Doch was ist mit dem Raum, in dem wir uns unsere Körper vorstellen, — was bedeutet der Raum besonders für uns Frauen, deren Körperbild immer von anderen für uns entworfen wurde und noch heute gegen unsere Realität, unseren Willen, unsere eigene Vorstellungskraft entworfen wird?
Wenn einige beispielsweise Fett für eine Beschwörung von (oder Antwort auf) Entfremdung halten, könnte dies nicht ein Weg sein, wie Frauen ihr Bedürfnis nach Raum realisieren — indem sie im wahrsten Sinne mehr Raum in Anspruch nehmen? Indem sie ihn zu sich nehmen, enthalten, umfassen, beanspruchen)
Je mehr konkreten Raum sie jedoch mit ihrem Körper beansprucht, desto mehr abstrakten Raum (sprich: Macht) muß sie gewöhnlich dafür opfern, denn in einer patriarchalen Welt ist ein bestimmtes Maß von physischer Raumbeanspruchung der Gradmesser für Anziehungskraft, und Anziehungskraft ist die eigentliche Münze, die man Frauen zugesteht.
Doch hat dann die bewußt magere Frau ihren konkreten Raumanspruch aufgegeben, um dafür den von Männern kontrollierten Raum benutzen zu dürfen? Haben wir nur die Wahl a) entweder den uns unmittelbar umgebenden Raum zu besitzen, doch ohne Erlaubnis, auch etwas damit anzufangen, oder b) fröhlich einen Teil des allgemeinen und beweglichen Raums, der Männern zusteht, zu borgen und dafür den ständigen Besitz an dem uns unmittelbar umgebenden Raum verweigert zu bekommen?
Wenn das so ist, dann ist keine der beiden Möglichkeiten tragbar: die erste bedeutet Tod durch Herzinfarkt, die andere Tod durch zwanghafte Unterernährung. Keine der Möglichkeiten bietet das Recht Raum einzunehmen und sich zugleich darin zu bewegen.
Dennoch wird mit der ersten Möglichkeit, der Fettrolle, a), eine Art von beschützender Sicherheit, Unempfindlichkeit, die Illusion von etwas Bleibendem garantiert, mit der zweiten, b), wird hingegen eine Art taktischer Zynismus gewonnen, eine zerbrechliche Weisheit, die Illusion der Mobilität.
Natürlich kann man Raum nicht wirklich besitzen, das ist der schwache Punkt der ersten Position. Doch auch die zweite hat einen schwachen Punkt, denn die (dünne) Frau, die weise genug ist zu wissen, daß Raum bestenfalls genutzt, niemals jedoch besessen werden kann, gewinnt diese Erkenntnis zwangsläufig in einer Welt, in der ihr täglich vor Augen geführt wird, daß Männer dies nicht zu wissen scheinen; im Gegenteil, sie scheinen zu glauben, daß sie Raum besitzen. Sie können Land besitzen, Zeit kontrollieren und haben das Recht, diese »Ware« zu vermieten, zu verpachten, herzugeben, vorzuenthalten oder ganz zu verweigern — wie es ihnen gerade paßt. Natürlich ist das deren Illusion, der Zauberbann, den MANN über sie ausgesprochen hat. Doch indem sie sich so verhalten, als sei es Realität, machen sie es zu einer Realität — vielleicht nicht unbedingt für sich selbst, doch ganz bestimmt für diejenigen, über die sie Macht haben. (Man könnte sagen, daß Macht selbst eine Illusion ist, nur nicht für die Machtlosen, — und daraus bezieht die Illusion ihre Kraft. Natürlich wissen das die Mächtigen.)
Also trägt nicht die (dünne) Frau, die weise genug zu sein scheint, die Illusion des Eigentums an Raum mitzumachen, obgleich sie weiß, daß es eine Illusion ist, mit dazu bei, dieser Illusion noch mehr Realität zu verleihen? Und die (dicke) Frau, die für ihre eigene Sicherheit Eigentum an etwas in Anspruch nimmt, das nur in den Köpfen der Männer existiert, die in der Lage sind, es zu definieren — ist nicht auch sie, indem sie deren Definition bestätigt, eine Kollaborateurin? Schließlich ist Sicherheit nicht immer weise, und Weisheit ist fast niemals sicher.
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DER KÖRPER ALS SPANNUNGSFELD
Die neue Physik hat uns gelehrt, daß der Raum untrennbar mit der Zeit verbunden ist — daß Zeit und Raum eines sind. Sie hat uns gelehrt, daß Zeit/Raum durch Masse verlagert oder »gekrümmt« wird, und daß das, was wir »Raum« nennen, tatsächlich keineswegs leer ist — kein leerer Raum also, sondern ein Feld, in dem in einem endlosen dynamischen Tanz Teilchen und Wellen entstehen und vergehen. Weiterhin beginnen wir jetzt zu entdecken, daß »Masse« als solche gar nicht existiert; Masse ist lediglich eine Form von Energie. Ihre Teilchen wiederum können nur relativistisch, dynamisch verstanden werden, als Muster, die einen Raumaspekt und einen Zeitaspekt haben. »Der Raumaspekt läßt sie als Objekt mit einer gewissen Masse erscheinen, ihr Zeitaspekt als Prozesse mit der entsprechenden Energie ... Es gibt keinen absoluten, vom Beobachter unabhängigen Raum.«[16] Abhängig vom Raum/Zeit-Aspekt erscheint uns die »Materie« fest oder halbfest — das ist der Grund, warum wir beispielsweise nicht mit den wirbelnden Elektronen unserer Hand die wirbelnden Elektronen einer Tischplatte durchdringen können.
In einer Welt der Mikrowirklichkeiten ist also die physische Existenz nur eine im wahrsten Sinne rührende Illusion, eine Vorstellung, die von einigen östlichen Philosophien schon seit Jahrhunderten belächelt wird. Könnten wir uns zum Beispiel ein Mikroskop mit so ungeheurer Vergrößerung vorstellen, daß damit auch einzelne Atome erkennbar würden, dann würden wir beim Beobachten des Körpers etwa folgendes erleben:
- Beginnend mit einer geringen Vergrößerung lebenden Gewebes würden wir ein Stück Knochen, ein Netz von Blutgefäßen, etwas Muskelgewebe sehen;
- bei stärkerer Vergrößerung des Muskelgewebes sähen wir aneinanderliegende, wohlgeordnete Muskelfasern;
- noch intensiver vergrößert würde sich zeigen, daß diese Fasern aus gleichmäßig angeordneten, langen spiraligen Molekülen bestehen;
- bei noch stärkerer Vergrößerung würde ein streng gegliedertes, fast kristallinisches Material sichtbar werden;
- noch eine Stufe weiter würden sich dann Atome in ihrer Einzel- wie auch Gruppen-Vibration innerhalb der Moleküle zeigen; alles, die Atome und Moleküle, würde vibrieren, sich in Wellen bewegen, mitschwingen, kurz, einen Tanz aufführen, in wohlgeordneten Formationen, millionenfach in jeder Sekunde;
- und eine noch stärkere Vergrößerung würde die Atome sichtbar machen: winzige Kugeln aus Licht und Schatten, die in der Mandala des Moleküls um einen Mittelpunkt wirbeln, den nur sie zu sehen scheinen;
- mit noch intensiverem Focus würden wir ein Atom sehen, würden durch die Elektronen,.schale« hindurchsehen, darin ein riesiges Vakuum entdecken, inmitten dessen sich der unendlich kleine Kern befindet;
- und am äußersten Rande dieser sich ausweitenden Sicht würde dann der Kern selbst (ebenfalls vibrierend) sich in einen pulsierenden Schatten aufzulösen scheinen, in einen Energie-Impuls, ein Feld, ein Materiepartikel, das in Wirklichkeit reine Bewegung ist, ein Zentrum von Zentren, die zusammen eine Welle bilden, die mit ihren ständigen Schwingungen, mit all den in-einandervernetzten Feldern — Licht, Ton, Schwerkraft, elektromagnetische und reine Energiefelder all das umgibt, durchdringt, ja überhaupt erst hervorbringt, was wir sind, sehen, hören, fühlen, sprechen, schmecken, denken, wissen, vermuten und uns vorstellen.[17] Und dieses Wunder ist kein Mystizismus. Es ist Naturwissenschaft.
* * *
Die Neue Physik ist wesentlich schneller als die Politik in den Bereich der Philosophie und des Bewußtseins eingetreten. Das liegt daran, daß die neuen Physiker mit dem Durchbruch der Quanten- und Relativitätstheorie anfingen zu begreifen, daß nichts im Universum unabhängig von irgend etwas anderem existiert — daß alle Prozesse miteinander verknüpft sind, daß die Energie als solche (das einzige, was wirklich existiert) in diesen Verknüpfungen existiert.
Die jüngste medizinische Forschung hat auch mit der Illusion des Unterschieds und der Trennung aufgeräumt. In dem Buch »The Male front Infancy to Age«[18] zeigt uns Dr. Sherman J. Silver in einer Abhandlung über neue Techniken der Prostata-Operation (bei der ein Schnitt in den Penis dadurch verhindert wird, daß man mit mikrochirurgischen Instrumenten in die natürliche Penisöffnung eindringt) ein für allemal das Innere des Penis, aufgenommen mit einer Mikrokamera.- die Innenflächen sind praktisch die gleichen wie bei der Vagina, und ganz hinten am Grunde sind Überreste von etwas zu entdecken, das sich zu einem Uterus hätte entwickeln können.
Entsprechend werden in »A New View of a Woman's Body«, herausgegeben von den feministischen Gesundheitszentren,[19] die Ergebnisse neuer Forschung[20] vorgelegt, die in der ersten genauen Darstellung einer Klitoris zeigen, daß dieses Organ einen Schaft und eine Eichel besitzt und sich bei Erregung aufrichtet, womit anatomisch bewiesen ist, daß die Klitoris im Ruhe- und im Erregungszustand eine hochgradige Ähnlichkeit mit dem Penis hat.
Für das, was wir schon seit einiger Zeit wissen — daß alle männlichen Wesen Überreste der weiblichen Anatomie in sich tragen und alle weiblichen Überreste von männlicher Anatomie (beides aus der bisexuellen Phase des Embryo bis zur fünften Schwangerschaftswoche) gibt es nun einen objektiven Beweis, den wir mit unseren eigenen Augen sehen können.
Der »Zukunftsschock« ist nur für diejenigen ein Schock, die ihren Blick fest in die Vergangenheit gerichtet haben. Wir stehen jetzt in einer geöffneten Tür des Bewußtseins, wo alle bisherigen Vorstellungen in der frischen Luft von Fragen und total neuen Konzepten (oder Konzepten, die so alt sind, daß man sie für magisches Denken hielt) aufgehoben worden sind.
Der Gedanke einer Gewebe-Regeneration wurde wieder durch einen neuen Forschungsansatz aufgenommen, den Carl T. Brighton, ein orthopädischer Chirurg an der Universität der Medizinischen Hochschule von Pennsylvania in Philadelphia, und C. Andrew Bassett, Direktor der orthopädischen Forschungslaboratorien des Presbyterianischen Medizinischen Zentrums der Columbia Universität, New York, durchführen. Bei beiden Projekten geht es, vereinfacht gesagt, um schmerzlose Techniken, mit denen ohne chirurgischen Eingriff elektrische Energie in durch einen Knochenbruch beschädigtes Knochengewebe herangeführt wird; der Strom schafft ein pulsierendes elektromagnetisches Feld, das in dem Knochen einen winzigen pulsierenden elektrischen Strom hervorruft und damit die Regeneration des Knochengewebes anregt und beschleunigt. Ein Heilungserfolg von 80 Prozent bei über zweitausend Patienten veranlaßte die Food und Drug Administration der Vereinigten Staaten* (* Behörde, die alle Medikamente und medizinische Techniken vor ihrer Zulassung zu überprüfen hat. A.d.Ü.) diese Technik für den allgemeinen ärztlichen Gebrauch zuzulassen. Die Theorie ist keineswegs neu. 1961 veröffentlichte Robert O. Becker eine Studie, in der er aufzeigt, daß die Fähigkeit des Salamanders, ganze Gliedmaßen wieder herzustellen, darauf zurückzuführen ist, daß dieses Tier kleine aber meßbare elektrische Ströme erzeugen kann, mit denen die örtlichen Zellen zur Produktion von Kopien abgetrennter Glieder angeregt werden. Die jetzt praktisch angewendeten Ergebnisse dieser Forschung haben weitreichende Folgen: die mögliche Heilung von durchtrenntem Rückenmark oder geschädigtem Herzmuskel, und, in fernerer Zukunft, die Möglichkeit, daß auch bei Menschen verlorene Gliedmaßen wieder nachwachsen.** (**Bassett und sein Kollege an der Columbia Universität, der Elektromechaniker Art Pilla, glauben, daß der pulsierende Strom, der in dem Gewebe durch elektromagnetische Felder hervorgerufen wird, bestimmte Informationen vermittelt, die von der Qualität des Impulses abhängt; beispielsweise könnte eine Zelle aus einem Impuls bestimmter Form, Frequenz und Wellenlänge die Aufforderung zur Produktion eines bestimmten Enzyms ablesen. Zu den begrenzten Heilungsmöglichkeiten des Körpers könnte durchaus bereits jetzt ein solcher selbst erzeugter Schwachstrom gehören; die pulsierenden elektromagnetischen Felder könnten irgendwie auf die DNS und RNS einwirken. Vgl. Neal O'Callaghan »Cross Currents«, Science 71, Dezember 1981.) Dies wäre wirklich ein Anlaß, die Hymne der »Körper-Spannungsfelder« zu singen. Doch nimmt es wunder, daß wir diesen Wohltaten gegenüber mißtrauisch sind in einer Welt, in der wir durch lebendiges Fleisch geschickte Elektrizität nur von Hinrichtungen, Schockbehandlungen, politischer Folter her kennen? Der feste, aus Materie bestehende Körper, sagt die neue Physik, ist eine Illusion, alles besteht aus Energie. Das gebrochene oder amputierte Glied ist ein vorübergehendes Problem, sagt die neue medizinische Forschung, es ist alles eine Frage der Energie. Doch wenn dieser Körper zur Heilung Energie braucht, dann müssen wir uns in die Enerige der Illusion hineinbegeben, daß der Körper existiert — hineinbegeben, und das heißt nicht, ihn verleugnen oder ihn brutalisieren oder sich an ihn, als einzige Realität, klammern.
DER KÖRPER - ZU FLEISCH GEWORDEN
Der am meisten betretene Pfad zur Seligkeit war seit Jahrtausenden die Verleugnung des Körpers, die Verleugnung des Ich und des Selbst: Antonius, Simeon der Säulenheilige, Origines, die Märtyrer, die Asketen, die Yogies, die Propheten. Dieser Pfad wurde, natürlich, von Männern erfunden, und zwar von Männern, die im Patriarchat lebten. Merkwürdigerweise war dieser Weg ein versteckter Versuch dieser Männer, die selbst oft (im wahrsten Sinne des Wortes) Patriarchen waren, dem androzentrischen Weltbild von MANN etwas entgegenzusetzen — denn für Männer im Patriarchat war es, wenn sie etwas Größeres suchen, geschweige denn finden wollten, notwendig, ja unabdingbar, daß sie sich von dem allmächtigen Selbst abwandten.
Die Ironie besteht jedoch darin, daß auch Frauen diesem Pfad zur »Heiligkeit« folgten, indem sie blindlings eine Schicht eigener Selbstverleugnung über die bereits vorhandene Schicht der Verleugnung ihres Selbst durch andere legten: die Anachoretinnen, die Agathen, Katherinen, Margareten, Cäcilien, die Isotta Nogarolas. (Die sogenannten Märtyrerjungfrauen waren vielleicht auf etwas anderes aus, das müßte im einzelnen genauer untersucht werden: sie starben meist fröhlich durch eigene Hand oder ließen sich freiwillig ermorden, statt sich dem Befehl unterzuordnen, einen Mann zu heiraten, den sie nicht mochten — oder überhaupt zu heiraten). Uns hier im Westen ist die bösartige Frauenfeindlichkeit der jüdisch-christlichen Geschichte am besten vertraut, doch haben die anderen wichtigsten »Glaubensrichtungen« — Islam, Konfuzianismus, Hinduismus —, alle ebenfalls ihren Beitrag zur Verachtung des Fleisches und zum Abscheu gegenüber der Materie als solcher geleistet, und das häufig speziell gegen Fleisch und Materie in der menschlichen weiblichen Form äußerst intensiv zum Ausdruck gebracht.
Ich möchte hier nicht zu sehr vereinfachen, um nicht die Versuche zur Veränderung eines Zustands mit dem bis heute triumphierenden Zustand selbst in einen Topf zu werfen: zu ihren Zeiten waren die einzelnen Gestalten wie Moses, Jesus und Mohammed alle, wie es scheint, Revolutionäre, — Führer und Lehrer, die versuchten, der Menschheit zu einem vernünftigen Mitgefühl in ihrem Verhalten und einer sensiblen Ehrfurcht in ihrer Wahrnehmung zu verhelfen.* (*Von Jesus sind (für seine Zeit) bemerkenswerte anti-sexistische Aussagen überliefert, und Mohammed kämpfte, unter dem militanten Einfluß seiner Frau Khadisha, gegen Genitalverstümmelungen und für religiöse, politische, Besitz- und Scheidungs-Rechte für Frauen.) Die verschiedenen Hindu-Traditionen haben auch einen Strang der Verehrung von Fleisch und Geschlechtlichkeit, und ein Wissen von der Heiligkeit sowohl des männlichen als auch des weiblichen Körpers. Dieses Verständnis vom Körper ist in vielen ursprünglichen natürlichen Religionen — manchmal fälschlicherweise als »animistische Religionen« bezeichnet — enthalten, und dazu ein noch weitreichenderes Bewußtsein, wie menschliches mit tierischem und pflanzlichem Leben verbunden ist. Taoismus und Buddhismus haben gewöhnlich — wenn auch nicht in der äußeren religiösen, so doch in der philosophischen Ausprägung — keinen großen Unterschied zwischen männlich und weiblich, Materie und Energie, Leben und Tod gesehen, sondern sie vielmehr als einander ähnliche und wechselnde Formen des Gleichen aufgefaßt. Dennoch sind mehr »heilige« Kriege im Namen des Friedensfürsten als für irgendeine andere Sache geführt worden; wurden mehr einfache Gesetze der Menschlichkeit im Namen von Moses, dem Gesetzgeber, gebrochen denn gehalten, wurden mehr Rechte im Namen des (fehlinterpretierten) Islam den Frauen genommen als der Prophet ihnen zugestand, wurden mehr Frauen auf den Scheiterhaufen des Sati verbrannt denn als Sita* (* Sati: indische Zeremonie der Witwenverbrennung; Sita: Gemahlin des Rama, Ideal der Gattentreue und der Frauentugend. A.d.Ü.) verehrt, haben sich mehr Menschen, die sich Buddhisten nennen, vor Buddha-Statuen verneigt als auf dem achtfachen Weg meditiert, waren mehr Taoisten am rein okkulten Spiritualismus interessiert als an den Schriften von Lao-Tse oder Tchuang-Tse.
Der entscheidende kritische Punkt für den »Sündenfall« des radikalen spirituellen Denkens in unterdrückerische religiöse Praxis ist die Verhärtung dieses Denkens zum Dogma — und zwar fast immer zu einem Dogma, das dem patriarchalen Status quo dient. Dieses wiederum setzt voraus, daß der Haß auf alles Fleischliche verbreitet wird, (da die meisten Menschen in diesem Leben unter den Bedingungen des Status quo unglücklich sind), und erfordert speziell Furcht und Abscheu vor den Geschöpfen, die den Menschen in diese widerwärtige Existenz hineingebracht haben: die Frauen. Es ist typisch für die patriarchale Religion, daß die Idee von FRAU durch die unausweichliche Notwendigkeit gefestigt wurde, alle Frauen als fehlerhaft, als schuldig anzusehen (Eva, Jesebel, Kali usw.), schuldig von Natur aus, wozu noch eine Tendenz zu Ungehorsam und Fleischlichkeit kommt — »denn der Ungehorsam ist eine Zaubereisünde« (1. Sam. 15,23); »denn alle Fleischlichkeit ist eine Sünde der Frauen.«[21] Diese Regel hat nur einen mildernden Umstand, besser, eine Kehrseite: Frauen als Mittlerinnen zur Erlösung (Maria, Beatrice usw.). Man kann sich schon fragen, wie sich der menschliche Geist auf so kindische Kategorien wie den langweiligen Gegensatz Jungfrau/Hure festlegen konnte, und das über einen so ermüdend und grausam langen Zeitraum. Doch da haben wir es: je größer die Lüge, desto wirksamer. Wenn einer Frau die Freude an ihrem eigenen Körper gestattet wird, dann könnte sie Mittel und Wege finden, dieses Vergnügen zu genießen, ohne daß daraus unvermeidbar eine Schwangerschaft wird (und diese Mittel und Wege hatte sie auch jahrhundertelang, ehe die moderne Medizin Verhütungsmittel erfand). Gilt andererseits nur die Frau, die — ohne sich vorher »freizulaufen« — direkt von der Jungfräulichkeit zur Mutterschaft kommt, als tugendhaft, dann kann ihr Reproduktionsverhalten kontrolliert werden — von Männern, vom Staat, von MANN -, so umwerfend einfach ist das.
Weniger einfach ist die Art und Weise, in der einige Frauen mit starken spirituellen oder philosophischen Neigungen den gleichen Weg der Selbstverleugnung einschlugen (oder sich in ihn flüchteten?), wie die asketischen »heiligen« Männer. Die Abtötung des Fleisches, von einer Frau praktiziert, erscheint mir ausgesprochen überflüssig angesichts der täglich vollzogenen Abtötung des Fleisches von Frauen im patriarchalen Lauf der Dinge.
Es stimmt natürlich, daß in bestimmten Geschichtsperioden ein der Religion gewidmetes Leben oft die einzige Möglichkeit für die Frauen war, a) der Ehe und dem Kinderkriegen zu entgehen (die ihr vermutlich einen frühen Tod beschert hätten), b) Belesenheit und Wissen zu erwerben und c) in einer Gemeinschaft mit ebenbürtigen Frauen zu leben. In der Tat scheint das religiöse Leben von Frauen in der Vergangenheit und heute eine Form von Verschlüsselung zu sein — säkulare politische Rebellion, die sich durch das (manchmal) erlaubte Ventil der Religiosität ausdrückt. Das soll nicht heißen, daß es diesem Leben an echter spiritueller Qualität fehlte oder diese heuchlerisch vorgetäuscht wurde; es scheint vielmehr einem Muster zu folgen, nach dem Frauen Stärke und relative Freiheit aus ihren religiösen Aktivitäten bezogen und es ihnen gelang, diese irgendwie in das säkulare Leben zu integrieren, so daß sie auch dort ein gewisses Maß an Stärke und Freiheit errangen. (Ein ähnlicher Vorgang wie beim zuerst aufgezwungenen, später jedoch transformierten Christentum, das Mittelpunkt und Quelle der Kraft für die schwarzen Amerikaner im Süden der Vereinigten Staaten wurde.[22] ) Dennoch bleibt die Tatsache bestehen, daß einige Frauen sich aus keinem der oben genannten Gründe bewußt der Religion verschrieben haben und sich mit großer Inbrunst dem strengen Asketentum hingaben.
Doch ist das schließlich so verwunderlich? Wenn die ganze kosmische Schöpfungsmacht in der Gestalt eines menschlichen Mannes trivialisiert wurde, mußte Frau da nicht glauben, daß die männlichen Anhänger schon am besten wissen würden, wie sie mit einem der ihren umgehen mußten? Und wenn dies eine Abscheu vor dem eigenen Körper bedeutet, so war einer Frau diese Abscheu bereits Zeit ihres Lebens, täglich, eingebleut worden — Abscheu vor seiner ärgerlichen Unzuverlässigkeit, seinen Wechseln und Veränderungen, seinen verbotenen Freuden und aufgezwungenen Schmerzen, seinem schmutzigen Blut und seiner Fähigkeit zu erstaunlichen Verwandlungen?
Genau dieses Charakteristikum der Veränderung, der Dynamik, kommt in allen vorpatriarchalen Religionen zum Ausdruck: die dreifache Göttin in Form der Jungfrau, der Mutter, der Alten (als die, die alle Möglichkeiten in sich trägt, als die Lebenspendende, als die Weise), die zyklische Natur alles Lebens, die Spontaneität sinnlichen Genusses, das Gesetz der fehlenden Gesetzmäßigkeit, der nicht vorhandenen Stabilität, — durch die Neue Physik als moderne wissenschaftliche Realität bestätigt.
Als die vor-keltische Bevölkerung der britischen Inseln beispielsweise ausgedehnte Landschafts-Skulpturen ihrer Großen Göttin errichteten, bauten sie die Gestalt eines weiblichen Körpers ein und benutzten als Material dazu Seen, Täler und aufgeworfene Hügel.[23] Sie verwendeten die Erde als Metapher für das schöpferische Prinzip, das sich im Körper der Frauen ausdrückt — und das ist etwas ganz anderes, als wenn Frauen als Metapher für die Erde benutzt werden. Ihre Herangehensweise war zweifellos bestimmt von religiöser Verehrung des weiblichen Prinzips und dem säkularen Respekt vor Frauen.
Ich glaubte einmal, daß eine maßvolle Rückkehr zu neu belebten Formen matriarchaler Rituale für Frauen heute eine Inspiration sein, ihnen Kraft geben könnte, sich von einer andro-zentrischen Kosmologie abzuwenden, eine Metapher für eine neue Form der Existenz. Für mich selbst hatten sie einmal diesen Zweck erfüllt, hatten in mir eine erstaunliche und kraftvolle Freude an meinem eigenen Körper geweckt, hatten mir die patriarchalen Feiertage und Rituale mit ihrer dröhnenden Wichtigtuerei und ihrem kommerziellen Müll mehr als ersetzt. Ich hatte die (allzu) menschlichen Neigungen der Frauen unterschätzt.
Innerhalb von zwei, drei Jahren ließen Frauen Ausbildung und politische Aktivitäten sein, um »die Göttin zu verehren«, Frauen verschrieben und tranken Kräutertee, um Krebs zu heilen, Frauen verkauften und kauften Wintersonnenwende-T-Shirts, Samhain-Glückwunschkarten* (* Samhain ist in der keltischen Mythologie der Beginn des mythologischen Jahreslaufs, A.d.Ü.), magische Kerzen für die Walpurgisnacht, und Versandhaus-Zaubersprüche für die feministische Revolution. Offenbar war die Botschaft, daß — obgleich Rituale tröstlich sind und Spaß machen — das nackte Selbst oder die nackte »Seele« ganz allein dem nackten Universum gegenübersteht, nicht ganz durchgedrungen. Die Botschaft, daß niemand die Seele irgendwohin führen, sondern daß einzig die Seele selbst sich dem Universum nähern kann, einsam und in sich selbst, wurde mißachtet zugunsten einer neuen »Bewegungsindustrie«, die aus Konferenzen, religiösen Versammlungen und Kursen, geleitet von aus dem Boden geschossenen Priesterinnen, heiligen Jungfrauen und anderen selbst gestrickten »Expertinnen« der Neuen Wicca** (** Den Namen Wicca, nach dem alten keltischen Wort für Hexe, gaben sich Frauengruppen in den USA, die eine neue Frauenreligion praktizieren, A.d.Ü.) mit vermarktbarer Spiritualität besteht. Immerhin, könnte man sagen, folgten diesmal Frauen auf dem spirituellen Pfad anderen Frauen und nicht mehr Männern. Das stimmt — doch geht das an der Sache vorbei und ist vielleicht sogar — zumindest in spiritueller Hinsicht — gefährlicher, weil es nicht so leicht durchschaut werden kann. (Wer mag schon laut sagen, daß die Kaiserin keine Kleider anhat,[24] besonders wenn so viele Pornographen herumlungern?)
»Demut ist die Sünde der Frauen«, sagt die Pastorin Alison Cheek. Das ist ein interessanter Gedanke. Ein noch interessanterer Gedanke wäre eine Frau, die sich weigert, zu einer (patriarchalen oder matriarchalen) Vergangenheits-Spiritualität zurückzukehren, die die Verleugnung des Fleisches (ob nun mit härenem Gewande oder Kräutertee) verweigert, die niemandem (sei es Priester oder Priesterin) nachfolgen will; die nur in der einfachen Erkenntnis ihrer eigenen vollen und strahlenden Menschlichkeit in den Kosmos hinaus- und hineinsieht.
Niemand hat das Recht, billige Voraussagen darüber zu treffen, wie sich dies, innerlich, auf ihren Geist auswirken würde. Es ist sowohl fairer als auch einfacher, sich die Veränderungen vorzustellen, die es tatsächlich, äußerlich, in ihrem Körper hervorrufen würde — und die beiden sind schließlich nicht so streng zu trennen. Ein solcher Pfad der Bestätigung würde genau das Gegenteil dessen verlangen, was die Spiritualität herkömmlicherweise fordert — nicht eine Auslöschung des Ego, sondern seine Stärkung, nicht Zerstörung, sondern Geburt und Wachsen des Selbst.
Vielleicht waren die männlichen »Heiligen« heiliger als wir dachten, indem sie versuchten, sich selbst zu verleugnen und auszulöschen — allerdings wäre es nett gewesen, wenn sich nicht so viele von ihnen gezwungen gesehen hätten, auch andere Menschen zu zerstören und auszulöschen. Für die weiblichen Menschen jedoch, die ihre eigene Heiligkeit begreifen wollen, geht der Weg wohl genau in die entgegengesetzte Richtung, denn die Ausgangspunkte sind total verschieden: Er beginnt ganz als Ego, sie beginnt ohne jedes Ego. Zum Weg der spirituellen Weisheit scheint auf die eine oder andere Weise zu gehören, daß der Mensch in ein anderes Bewußtsein »wiedergeboren« wird, und die abgestreifte Haut des alten Ich hinter sich läßt. Bei Frauen sieht diese abgestreifte Haut verdächtig nach der Haut von FRAU aus, und das neue Bewußtsein wird zweifellos die Ebene »menschlich« durchlaufen müssen, ehe es zum Heiligen fortschreitet.
Bestand die Heiligkeit der Männer hauptsächlich darin, den Körper hinter sich zu lassen, so könnte die Heiligkeit von Frauen darin bestehen, daß wir erst einmal in unseren Körper hineingehen, ihn begreifen, uns zu ihm bekennen. Ich selbst bin dann die frömmste Atheistin, wenn ich mir klar mache, daß es eine Heiligkeit gibt, die nicht unser Ende bestimmt, sondern unseren Anfang.
DER KÖRPER ALS POLITIK
Wie fangen wir es an, im Hier und Jetzt — was man witzigerweise die reale Welt nennt — diese ganze Illusion von Materie und Illusion von Schmerz und Illusion von Unterdrückung in (zumindest eine Illusion von) Freude, Gleichheit, Frieden zu verwandeln?
Frauen haben die von MANN erdachten »Lösungen« durchschaut, jedoch — in dieser Phase des Feminismus — noch nicht die Lösungen von FRAU. Schließlich konnte sich MANN in seiner Machtfülle mit offener Unverschämtheit bewegen, während FRAU in ihrer Machtlosigkeit verschlagen sein mußte. Als Bewegung haben wir uns, in unterschiedlichen Stadien, verschiedenen als Lösungen getarnten Fallen verschrieben, darunter: die Lösung (neue) Erdmutter (Wohngemeinschaften, Frau-ist-gleich-Natur, Selbstlosigkeit gegenüber Der Sache, freigiebige Fürsorge, die nicht aus einer Position kommt, in der wir genug haben, um mit anderen zu teilen, sondern aus einer Position, in der wir uns für das wenige, was wir haben, schuldig fühlen); die (neue) Lösung Frau-als-Spiegel (eine Frau kann ihren eigenen Körper nur verstehen und annehmen über den Körper einer anderen Frau, indem sie lesbisch wird — wie immer ihre individuellen Bedürfnisse auch aussehen mögen), und die (neue) Lösung Frau-als-Maske (wir müssen nach ihren — der Männer — Spielregeln spielen, müssen uns auf Erfolg im Geschäftsleben hin anziehen, müssen das Cosmopolitan Girl sein, müssen jetzt nicht unsere Körper, sondern unsere Gehirne verkaufen — und das für die feministische Sache.)
Keine dieser Positionen — wie berechtigt sie unter bestimmten Gesichtspunkten auch immer sein mögen — haben für sich oder zusammengenommen die Gleichung gelöst, mit der Frauen Menschen gleichgestellt würden. Währenddessen fühlt sich der Würgegriff des Vergewaltigers an unserem Hals — auch wenn wir wissen, wieviel Illusionen wir über die Festigkeit der Materie haben — ausgesprochen massiv an; und wenn wir alle auch nur ein absurdes Stäubchen in der kosmischen Dimension der Dinge sind, so wissen wir doch, daß wir als Frauen weniger Zugang zu dieser Absurdität haben als Männer; und mögen wir den Tanz atomarer Energie in einem Stein oder einem Stern oder einer Rundung warmen Fleisches noch so sehr wie ein echtes Wunder betrachten, wir wissen zugleich, daß der von MANN ausgebrütete Atompilz uns — mit wachsender Wahrscheinlichkeit — alle auf immer vergiften wird.
Dies führt uns unweigerlich zur Frage der Macht. Ein Thema, ein Wort, das wir immer wieder und wieder aufgreifen müssen (und Frauen tun das sehr widerwillig, denn MANN hat ihr mit der Art, wie er von ihr Gebrauch macht, wirklich einen sehr schlechten Ruf verpaßt). Und wir können noch so oft wiederholen, daß wir nicht von der bekannten Form oder dem gängigen Gebrauch sprechen, daß wir nicht Macht über sondern Macht um zu meinen, daß wir nicht von Macht im Sinne von Herrschaft, sondern im Sinne eines Energie produzierenden Kraftwerks sprechen; trotz dieser klärenden Vorbehalte ist eine Diskussion ohne die Frage nach den Mitteln und Wegen, dem Wie, den Strategien, immer noch nicht denkbar.
Doch ehe wir uns bestimmten Strategien zuwenden, müssen wir unbedingt eine Vision haben, müssen Akzente setzen. Wann auch immer Frauen versucht haben, mit MANN zu wetteifern (entweder direkt, indem sie männliches Verhalten imitierten, oder indirekt, indem sie das Verhalten von FRAU imitierten), sind wir nicht viel weitergekommen als bis zur Alibi-Frau, und meistens noch nicht einmal das.
Diejenigen unter uns, die in den sechziger Jahren die jetzige Welle des Feminismus aus einer tiefen Enttäuschung über die Neue Linke ins Leben riefen, kennen bis ins Mark den fatalen Fehler, in den Testosteron-getränkten Stil, den ich als »Ejakulations-Taktik« bezeichnet habe, zu verfallen — den Hauruck-Typ der Konfrontation-um-der-Konfrontation-willen-,,Revolution«. Wir wissen auch, daß dies erstens das gebräuchlichste Muster für »ernsthafte« revolutionäre Veränderung ist, und zweitens, daß es sich immer als ein Handstreich unter Männern herausgestellt hat.
Würden wir uns jedoch die Verhaltensweisen des patriarchalen Establishments aneignen, uns ein Stück aus dem großen Kuchen herausschneiden, uns der Vereinigung oder der Kirche oder den Traditionen von MANN anpassen — ein Prozeß, der manchmal ebenso von Betty Friedan wie von den Ultra-Rechten empfohlen wird —, so hieße das, um die Metapher noch einen Schritt weiter zu führen, »Orgasmus vortäuschen«, hieße, wie ein braves Mädchen lächelnd so zu tun, als sei alles in Ordnung.
Metaphern sind etwas wunderbares. Die Dichter wissen, daß sie die Sprache komprimieren und zugleich das Denken erweitern können, wie der mathematische Code bei den Physikern. Es wurde also Zeit, daß wir Frauen dieses Handwerkszeug aufgriffen, das immer gegen uns benutzt wurde, benutzt, um uns als alles mögliche Unmenschliche zu bezeichnen, von Mond bis Hühnchen, und daß wir es für unsere Zwecke nutzen. Wir können mit dem vertrauten Terrain unserer eigenen Körper und, mehr noch, mit ihrer großen und unterdrückten Fähigkeit zu strahlender Energie beginnen. In einem der folgenden Kapitel werden wir mehr ins Detail der Aspekte dessen gehen, was Audre Lord »Die Macht der Erotik«[25] genannt hat, doch — da der größte Teil der Geschichte von MANN darin bestand, unsere weiblichen Körper zu kontrollieren, um sich so in den Besitz unserer reproduktiven Fähigkeiten zu bringen und jene Macht der Erotik in uns einzudämmen und uns zu begrenzen, — wollen wir hier, mit Hilfe des Werkzeugs Metapher, eine Beziehung zwischen unseren eigenen sexuellen menschlichen Körpern und den Fragen von Strategie und Aspekten herstellen.
Wir kommen damit vielleicht zu einer völlig anderen Form von radikaler Veränderung, »Revolution«, wenn wir so wollen. Da die Revolutionen von MANN immer übereilt in ihren Ansätzen, ejakulatorisch in ihrem abrupten Stil und meistens impotent im Erreichen wirklicher Veränderung waren, könnte dagegen der Stil von Frauen sein:
- Lange, zärtliche, langsam sich steigernde Aufmerksamkeit zu einem ins Einzelne gehenden Vorspiel — wir könnten das auch gründliche Organisation nennen. Dazu gehört: Achtung vor uns selbst und vor unserem/r Partner/in (unseren Partnern); lernen, was wünschenswert ist und was gewünscht wird; lernen, was funktionieren wird, lernen, die Initiative zu ergreifen, lernen, sich zurückzuhalten, allen Experimenten gegenüber offen sein. Dazu gehört auch die Freude am Kommunikationsprozeß um seiner selbst als Hohes Ernstes Spiel, und nicht nur um irgendwelcher in der Ferne liegender Ziele willen.
- Handeln nur, wenn alle Betroffenen dazu bereit sind (oder sich gar kaum bremsen können); die Sache nicht mit vorgegebenen Zeitplänen gewaltsam beschleunigen, sondern sensibel auf den organischen Rhythmus der Situation selbst reagieren.
- Die Tatsache begreifen (und genießen), daß das, was Höhepunkt genannt wurde, in Wirklichkeit eine wellenförmige Folge von aufregenden Bewegungen, Veränderungen und Strukturen ist, mehr eine vielstimmige Kadenz, denn ein Trompetenstoß; verstehen, daß diese Veränderungen am tiefgreifendsten (und lustvollsten) sind, wenn wir sie wie Lichtwellen ausklingen lassen, die alles was sie berühren, verändern — und verstehen, daß wir uns, wird dieser Prozeß abgekürzt, mit einer reinen Spannungsentladung (Handstreich) statt einer tief bewegenden Befriedigung (Revolution) zufriedengeben.
- Diesen Wellen so weit wie möglich in allen ihren Umsetzungen, in Berührung, Sehen, Riechen, Hören, Schmecken und in die Landschaften des Gefühls, Intellekts und Geistes — zu folgen; eine durchgreifende Revolution, die nichts beim Alten läßt und die ohne Bedürfnis nach Kontrolle, sondern mit Vertrauen und im Idealfall mit Liebe, sowohl zu sich selbst als auch zu jeder/allen anderen beteiligten Person/en erlebt wird.
- In vollen Zügen die Nachstimmung von Frieden, Nähe, guter Stimmung und Zuwendung genießen, so daß die Erregung der soeben praktizierten physiologischen (radikalen) Veränderungen die Möglichkeit hat, sich in der Beziehung (Gesellschaft) in ihrer tiefsten und positivsten Form auszubreiten und Wurzeln zu schlagen, und damit alles was und alle die davon berührt werden, mit Wohlbefinden erfüllt.
- Daran denken, daß dieser Akt (der wahren Revolution) immer und immer wieder wiederholt werden kann und sollte, und mit Genuß an der Dynamik der Veränderung daran denken, nicht mit Gleichgültigkeit oder Furcht; sich voll darüber klar sein, daß neue Situationen ständig neue Herausforderungen darstellen; daß unsere Geschicklichkeit und Geduld mit jeder Gelegenheit, sie anzuwenden, wachsen, genau wie sich unsere Fähigkeit, echtes Begehren (das authentische Bedürfnis nach weiterer Veränderung) wahrzunehmen, entsprechend und ohne Druck oder Gewalt entwickelt.
Jahrhundertelang haben Frauen die berüchtigte Unfähigkeit von MANN, ein guter Liebhaber zu sein, beklagt, unabhängig davon, wieweit es einzelnen Männern gelang zu lernen, was (und wie) lieben ist. Ist diese allbekannte Unfähigkeit der Grund, warum sich männliche Revolutionen stets mit reinen Machtwechseln zufrieden gegeben haben?
DER KÖRPER - ALS SCHÖNHEIT
Eine Frau steht vor dem Zweiweg-Spiegel und versucht, die Unzulänglichkeiten und Verteidigungsmechanismen, die sie ihr ganzes Leben lang tragen mußte, von sich abfallen zu lassen. Hier, wo sich die Elektronen ihrer menschlichen Seele in ihrem Energietanz zeigen, wo ihre ganz fern erinnerte Geschichte und ihre undeutlich antizipierte Zukunft innerhalb der Raum-Zeit ihrer unmittelbaren Gegenwart vibrieren; wo sich die Illusion der Furcht und die Realität des Terrors ständig in ihre Einzelatome zerlegen und sich zu irgend etwas Drittem, das von beidem überlagert wird, zusammensetzen; hier haben wir es mit einem individuellen Akt von Risiko-Eingehen auf jeder Ebene zu tun — politisch, physisch, emotional, psychologisch, ökonomisch, intellektuell, taktisch, metaphorisch, spirituell.
Könnten wir diesen Körper zergliedern— nicht durch Zerlegen, sondern durch kreatives Begreifen —, dann wären wir vielleicht auch in der Lage, mit den gleichen Mitteln die Freiheit zu zergliedern, oder besser, mit den gleichen Mitteln die Freiheit zusammenzusetzen. Die Evolution selbst steht schwankend am Rande des Abgrunds dieser Aufgabe, vielleicht trägt sie als ihre Maske die Revolution, wenn sie in den Zweiweg-Spiegel des Kosmos blickt. Hier und nirgendwo sonst müssen wir anfangen, sonst ist uns das Ende gewiß. Das ist der Punkt, wo alle Anfänge anfangen.
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Die Frau, die das Bild ihres Körpers in unserer Kultur erfassen will, läßt sich auf ein Unterfangen ein, das so paradox ist wie das des Kindes, das sehen will, wie sein Gesicht aussieht, wenn es schläft.
Beides kann nur im Traum gelingen.