April

Freitag 1ten
Die Musik hat mich so angegriffen, daß ich kein Auge schließen konnte. Ich bin äußerst geschwächt und »mein Geist« taugt nur noch dazu, den Erziehungskarren zu ziehen (R. erzählte mir von einem sächsischen Bauern, der ihm einst sagte: Dieser Hund hat keenen Gest, der wird nie den Karren ziehen). Am Morgen sehr hübscher Brief der Frau Dr. Wille, welcher R. seine Broschüre zugesendet hatte. Sie spricht freundlich wohlwollend von mir. R. sagt, »weswegen freuen wir uns nur, ist es etwa, um von dieser Güte etwas zu haben, oder weil es für uns eine Vergeltung oder etwas derart ist, doch gewiß nicht, rein die Freude für die Freundin, daß sie gut ist und man sie ehren kann«. - Brief des Theaterdirektor aus Magdeburg, er hat der Generalprobe der Meistersinger in Berlin beigewohnt, der König, der ganze Hof und fürstliche Gäste seien anwesend gewesen, der Eindruck ein tiefer. - Aber wir erfahren nichts von der Aufführung. - Zur Stadt; Richter besorgt mir die Unterhandlungen wegen dem Ständchen. Abends 3ter Akt von Siegfried; gestern die Götterdämmerung (R. sagte, ich glaube, Gutrune ist mir gelungen, sie ist kindlich heidnisch).
Samstag 2ten
Erste wirkliche Frühlingsankunft, dazu R. zum ersten Mal in seinem Leben Papa genannt! Fidi sagt und wiederholt es deutlich. Depesche aus Berlin von der Ministerin Schleinitz und dem Regisseur Hallwachs, sie spricht von vollständig besiegter tendenziöser Opposition, er von großem Triumph trotz kolossaler Mängel der Aufführung. Unser guter Richter geht fort. Es tut uns leid; er hat Aussichten, nach Pest zu kommen. Nach Tisch Brief Louis Köhler's[1] aus Königsberg, wo die MSin-ger nun auch gegeben worden sind und einen großen Eindruck gemacht (hübscher Brief eines belgischen Journalisten - dort scheinen die Zeitungen ganz und gar für unsre Sache). Dem guten Richter gab ich als Hoffnung die Aussicht auf unsere Bayreuther Kunstblüte mit. Wie ich mit R. bei herrlichstem Wetter ausging, sagte ich zu Richard: »Wir geben die Alpen nurfür die Bayreuther Kunstblüte auf.« »Wir werden bereuter«, sagt R. lachend; das erinnert uns, daß Richter uns erzählt hat, der König habe bereits seine Stallknechte für die Walküren bestimmt, während R. diese nur als Nebelbilder dargestellt haben will! Abends liest mir R. aus der Ilias vor und kommt mit mir über das tiefe religiöse Gefühl der Griechen zu sprechen (trotzdem sie keine eigentliche Religion hatten), welches viel zu wenig beachtet wird; wie z. B. bei Alexander, der über den Tod des Kleitos nur zu beruhigen war, wie es ihm als eine Strafe des Dionysos dargestellt wurde. - Am Morgen las ich von der Verstümmelung, welche das Papsttum den Monumenten der Kunst antut; da sagt R.: »Anstatt daß die Franzosen eine Garnison in Rom unterhalten, um den Papst zu verteidigen, sollten die verschiedenen Nationen eine Garnison dort hinstellen, um die Kunstwerke zu beschützen.«
Sonntag 3ten
Brief des Advokaten aus Berlin, daß ich nichts zu tun und bloß zu warten habe. R. arbeitet, ich sticke. Beim Frühstück sprechen wir vom Hamlet, und R. sagt mir, er hielte dafür, daß Hamlet nach der Erscheinung des Geistes komplett wahnsinnig ist, nicht etwa sofort den Wahnsinn spielt, sondern wirklich es geworden. - Ob Fidi dem Zauber der Musik verfallen wird? »Wenn er es nicht würde, wäre er ein Vieh!« »Beethoven unsrer Welt gegenüber ungefähr ein Mensch wie Eberle, durch sein Genie aber in einer Welt zu Hause, von welcher er jeden Winkel kennt und von der wir keine Ahnung haben.« »Darum hassen und fürchten [sie] die Musik so sehr, weil sie wissen, daß nichts gegen sie Stich hält. Es ist nicht die Darstellung einer Idee, sondern die Idee selbst.« »Das ganze Schönheitsgefühl der Menschheit hat sich in die Musik geflüchtet«, sagt ich zu R., und er gab mir Recht. - Der Brief Richard's an Richter steht in der Zeitung und ein Bericht aus Florenz, laut welchem Hans in Florenz mit großem Beifall dirigiert und gespielt hat und der König von Italien[2] den Orden der Corona d'Italia ihm verliehen. Im Garten mit den Kindern gespielt; herrliches Wetter!
Montag 4ten
Übel begonnener Tag mit einem Brief H. Porges', welcher wahrhaftig Unterhandlungen wegen der Walküre zwischen Herrn v. Perfall und R. vermitteln will. Kummervolles Gespräch mit R. hierüber. Wie wird dies enden? - Kinder im Garten, ich sticke. Nach Tisch nimmt R. mir den Kopf und sagt: »Du letzter Halt -, du einziger Halt.« - Brief Herrn von Gersdorff's[3] aus Berlin über die MSinger; wie in Wien ist Beck-messer's Ständchen das Signal für die Zischer gewesen, welche jedoch vollständig besiegt wurden. Brief des Pr. Nietzsche. Wir telegraphieren Richter zu seinem Geburtstag; ich schreibe - zurechtweisend an Porges. Abends »Symposion«. (Sendung einer franz. Zeitung »Le Diable« mit hübschem Aufsatz von Cat. Mendes über Lohengrin. Aber das ganze ekelt unüberwindlich an).
Dienstag 5ten
Immer Walküren-Sorgen; was tun, was sagen, und wie in solcher Atmosphäre Arbeitslaune gewinnen? R. zwingt sich, allein er ist ohne Heiterkeit. R. liest in der Zeitung, daß Hans in Mailand Konzert gegeben. Langer Brief des Hofrat Düfflipp, R. soll doch kommen, aber versöhnlich! Wir gehen aus bei herrlichem Wetter, begegnen dicht beim Haus einem unbekannten geistlichen Herrn, es ist der Nuntius; Sorge um den ungetauften Fidi. Die Schweizer protestieren gegen das Konzil und schließen den Protest mit den Schiller'schen Versen: »Wir wollen sein etc.«[4] R. antwortet noch abends an D. sehr ruhig und bestimmt, sie möchten tun, was sie möchten. (Brief Schure's und seiner Frau; man will in Paris ein Konzert [für] Wagner organisieren). Lange Betrachtung des Sonnenuntergangs auf den Bergen (gestern), heftige Brise peitscht den blauen See, ruhig leuchten die Gipfel; so unsre Liebe über Weltentaumel, sie wird leuchten bis in den Tod. R. erzählt mir von seinem Aufenthalt in Blasewitz (als Kind), wie er die Burschenschaftler zum ersten Mal in ihrer altdeutschen Tracht gesehen.
Mittwoch 6ten
Fidi heute 10 Monate. Brief aus Wien von dem Herrn Horawitz,[5] die 6te Vorstellung der MS. hat stattgefunden und ist sehr gut gegangen. Aus Berlin nichts außer einem boshaft zugesendeten Schmähartikel. Die Kinder im Garten, dann zur Tanzstunde (Turn-und-Tanz-Stunde, wie R. sagt). Gr. Bassenheim scheint aus den Zeitungen entnommen zu haben, daß die Aufführung in Berlin schlecht ging. Abends bringt ein Zitat das Gespräch auf die Scene im Kerker (Faust); »das nicht vom Flecke Gehen, dieses nicht Weichen, das Merkmal des Wahnsinns, tritt bei Gretchen ein, um sie von Faust zu trennen und sie zu befähigen, seine Erlöserin zu werden. Was bei der Heiligen die besonnene Erkenntnis getan, tritt hier ein als pathologisches Moment«. Darauf das »Symposion« bis Mitternacht gelesen; einer der tiefsten Eindrücke meines Lebens, als hätte ich die Urschönheit, von welcher Diotima spricht, erblickt. Tränen der Verzückung erfüllen unsre Augen, wie das herrliche Gedicht beendigt ist.
Donnerstag 7ten
Zu Richard am Morgen mit Fidi auf dem Arm. »Im Schönen das Schöne zu erzeugen«, ruft R. mir dabei entgegen. Das »Symposion« bildet das Hauptsächliche unsrer Gespräche. R. arbeitet und freut sich am Abend; er hat den »Eid« komponiert und ist zufrieden. »Das Schwierige war«, sagt er, »kein neues Tempo in die Scene zu bringen, alles sollte immer fortlaufend sein, und doch sollte es bedeutend wirken, wie eine schwere Gewitter-Wolke« - es ist ihm herrlich gelungen. »Liebe Un-entbehrlichkeit«, nannte er mich heute, wie süß ist es mir, zu hören das, was ich weiß, daß er mich liebt! - Kindertisch, Lulu empfindlich, muß bestraft werden. Abends arge Ungezogenheit des Am Rhyn'schen Knaben gegen die Kinder, ich lehre die Kinder Demut gegen das Gute, furchtbarsten Stolz gegen das Schlechte. Abends »Memorabilien«[6] des Xenophon. (Brief Claire's). Erste Veilchen.
Freitag 8ten
Freundlicher Morgen, die Kinder beständig im Garten, des Wetters wegen. R. arbeitet, ich sticke und besorge Sommeranzüge. Brief Heinrich Porges', welcher sich in Bezug auf die Walküren-Vermit-telung entschuldigt. Mit Gr. Bassenheim zusammen bei der Tanzstunde. Auf der Holzbrücke Begegnung des ehemaligen Lieutenant Müller,[7] welchen ich seit Zürich bei R. (1857) nicht wieder gesehen hatte; das machte mich verlegen. - »Du mußt nicht weinen, weil wir so glücklich sind«, sagte mir gestern R., wie er mich umarmte und ich wie gewöhnlich nur weinen konnte. » Unter solch einem Eindruck wie dem des >Symposion< jetzt habe ich >Kunst und Revolution geschrieben«, sagt mir R., und wie ich ihm sage, wie schwer es mir würde, mit den Leuten zu reden, welche doch alle nur von Erfolg oder Nicht-Erfolg wissen, sagt er: »Du hast recht, alles ist Konzession, selbst daß ich Lohengrin und Tannhäuser als Opern gehen lasse, es ist furchtbar; wäre ich frei, Rentier, keinem Theater würde ich die Sachen geben.« »Es sollte eigentlich ein Prytaneum in Deutschland gebildet werden, welches zum B. zu mir sagte: Deine Sachen werden überall gegeben, dafür sollst du die und die Rente haben, die Werke gehören dafür der Nation an, denn es ist eine Schande, für so etwas Geld zu empfangen, das als Ware betrachtet zu sehen«, sagt mir R., wie er aus Hamburg Honorar für den Fl. Holländer erhielt.
Samstag 9ten
Immer Garten, Stickerei und Komposition. Bei Tisch wieder das Gespräch auf das »Symposion« gebracht; über alles stellt R. diese Dichtung; »bei Shakespeare sehen wir die Natur wie sie ist, hier tritt das künstlerische Bewußtsein des Wohltäters hinzu; was wüßte die Welt von der erlösenden Schönheit ohne Platon? Und welcher Instinkt der Menschheit liegt darin, daß gerade Platon uns aufbewahrt worden ist!« - Wie ich mich zum Ausruhen nach Tisch lege, höre ich R. rufen: »Wie bin ich glücklich!« R. zeigt mir ein wunderschönes Gedicht, das er aus Berlin von einem Unbekannten erhielt, welcher sich dafür trösten wollte, daß er für die 2te Aufführung der MSinger kein Billet bekommen hatte.* (* Zeichen im Text, verweist auf die hier folgende Stelle, die am Ende von »Sonntag lOten« als besonderer Abschnitt nachgetragen ist, s. Stern dort) Vor einem Jahre sind die älteren Kinder zu mir gekommen; ich glaube, sie sind hier glücklich, und das ist das Beste; möchten sie dereinst dem Vater dieses Glück zu Gute kommen lassen. - Abends spielte R. einen kleinen Satz aus Tristan (As dur zweiter Akt), das tat mir so weh am Herzen, daß ich ein Briefchen (an Porges) gar nicht schreiben konnte; »wie die Natter beißt mich das Herz«, sagte ich zu R. »Ja«, sagte er, »das >Symposion<, ich habe heute auch an Tristan und >Symposion< gedacht, in Tristan herrscht auch der Eros, und was dort die Philosophie ist, ist hier die Musik.« Ich mußte ihm gestehen, daß, wenn ich seine Musik gehört hätte, alles, was mich im Leben beschäftigt, ja tief bekümmert und erschüttert hätte, plötzlich weggescheucht gewesen »wie Tagesgespenster«, wie böse leere Träume, und ich nur eine Empfindung gehabt, zu ihm, zu ihm! (zum 9ten gehörig).
Sonntag 10ten
Palmsonntag und Loldi's Geburtstag, dazu der erste Frühjahrsregen, der befruchtende, welcher uns aber um eine Landpartie bringt. Brief Richter's, welcher den Vater in München gesehen hat und mit ihm nach Ungarn reisen wird. Im übrigen schauderhafte Berichte über die künstlerischen Zustände in München; an der Walküre aber wird — gemalt und maschiniert. R.ist nicht wohl und kann nicht arbeiten, er nimmt nur die Korrekturen seiner Biographie vor. Ich ausschließlich mit den Kindern und dem Stickrahmen. Brief des Pr. Nietzsche, welcher seine Ernennung zum Pr. Ordinarius meldet und von Zeitungsnotizen spricht, welche R. zum Generalmusikdirektor in Berlin machen.
Montag 11ten
Plötzliche Ankunft Heinrich Porges', welcher erschrocken über die Zumutung des Königs, die Walküre zu dirigieren, R. um seine Unvorsichtigkeit um Entschuldigung bittet. Er hat den Vater in München gesehen. Abends Brief von Frl. Meysenbug. Tanzstunde, R. erkennt in dem Lehrer den Sohn einer uralten Bekannten von Königsberg her, einer Choristin, Freundin seiner Frau.
Dienstag 12ten
R. arbeitet, ich sticke, die Kinder spielen. Nachmittags Spaziergang zum Milchhaus, dort Milch getrunken, herrliches Wetter; ich glaube, wir werden die Alpen nicht mehr entbehren können. Brief des Herrn Horawitz, welcher erzählt, von Berlin aus sei eine lügenhafte auto-graphierte Korrespondenz an alle Wiener Blätter abgegangen und mit Jubel aufgenommen worden (über die Aufführung der MS.). R. hatte Freude an Bismarck, welcher ganz einfach seinem Gesandten befahl, Rom zu verlassen, und erklärte, die preuß. Bischöfe nicht mehr auf ihre Sitze kommen lassen zu wollen, wenn der Passus über den Protestantismus bliebe. - Abschied von H. Porges.
Mittwoch 13ten
In der A.A. Zeitung ein Bericht über die musikalischen Zustände in Florenz; Hans wird darin rühmlich erwähnt, und es heißt, in Mailand habe man ihn aufgefordert, die Beethoven-Feier zu dirigieren. R. dichtet an den König (dernier effort!),[8] er meint, es sei gut, dem König so etwas zuzurufen. - Gestern sagte mir R., »nur nicht zu sehr Makarie, ich fürchte von dir mir immer ein heiliges Unheil«. »So unschuldig bist du«, sagt er mir. Kann ich ihm nur die Ruhe bereiten, deren er bedarf! Ausfahrt mit den Kindern zur Gr. Bassenheim, prachtvoller Sonnenuntergang. R. sagt mir lachend, der einzige Mann, der mir gefällt, ist Fidi! Beginn von »Oedipus auf Kolonos«.
Donnerstag 14ten
An die Arbeit und Kindertisch. Besprechung des gestern erhaltenen Briefes von Const. Frantz über die MSinger in Berlin, zu welchen ihm R. hat ein Billet zukommen lassen. Dieser Brief ist gar wenig erfreulich, er meint, daß es schade sei, daß so wenig für den Leierkasten darin vorkäme! Doch bin ich zufrieden, daß er kam, denn er meldet, daß Daniel's Grab besorgt ist. Zur Stadt mit R. zur Besorgung der Ostereier. Brief des Pr. N., welcher meldet, daß Doris B.'s Bräutigam sich selbst ermordet hat. Wie ich heimgefahren komme, sagt mir R., wenn du wüßtest, was ich gedacht habe, wie du so heimrolltest, »da kommt das einzige Wesen auf der Welt, das dir etwas zu sagen hatte«. Ich lese etwas an seinem Arbeitstisch, da sagt er, »so lange ich dein liebes Gesicht sehe, sterbe ich nicht «.Abends »Oedipus« beendet; großartiger Eindruck, wobei R. bemerkt: »Ein besondrer Zug der Griechen, der, glaube ich, nicht bei uns sich wieder findet, ist die Heiligkeit und Göttlichkeit des Fluchbeladenen, der für ein ganzes Geschlecht büßt. Oedipus ist ganz gottähnlich in seiner Härte gegen Polyneikes,[9] so könnte Zeus selbst reden, darum wird er auch augenblicklich, nachdem er die letzte irdische Schwäche abgelegt, von den Göttern gerufen. Uns erscheint das als Härte, weil wir die Religiosität der Griechen nicht empfinden.« - Am Morgen sagte ich, daß ich es wohl gern hätte, wie früher die altitalienischen Kirchenwerke zu hören, »in unsrer Schule in Bayreuth wird das kommen«. »In dieser Schule«, sage ich, »muß aber kein Klavier gelehrt werden, die Schüler müssen so viel Klavier wissen, wie es sein muß, um gute Musiker zu werden, aber keinen Unterricht in unsrer Schule bekommen, denn die Virtuosität überwuchert dann alles.« »Du hast recht«, sagt R., »aber wie du kühn bist!« -
Freitag 15ten
Loulou den ganzen Tag zur Gr. B., welche sie zu den Gräbern führt. Von außen eine Zeitung aus Berlin, nach welcher die Rezensionen alle* (*Irrtümlich: »über alle«) Grenzen des Anstandes gegen die MSinger sollen überschritten haben. Dieser Aufsatz war schwach aber günstig, demnach wäre die Zeitungs-Partei für das Werk eingetreten; auch wird erzählt, daß bei der ersten Aufführung das Parkett voll von »markanten Physiognomien« gewesen, »welche sich gegen den Autor des Judentum hätten rächen wollen«. - Ich bespreche mit R. meine Hoffnung, daß Hans sich in Florenz wohl befinden werde, da ihm Deutschland sehr zuwider und München insbesondre unausstehlich war. - Nachmittags Brief eines Herrn Brayer aus Chartres, welcher sich als Kapellmeister für München und die Walküre anbietet!! Nicht viel Freude von außen, einzig unsre Kinderchen sind uns Trost und Halt; sonst, glaube ich, möchten wir wohl sterben. »Alles Mögliche haben die Leute sich bei unsrer Vereinigung gedacht, daß aber eine ungeheure Liebe da waltete, und daß unser Finden keine Sache des Zufalls gewesen ist, fällt ihnen kaum ein.« - R. heute trübe gestimmt, weil er in seiner Arbeit gestört wurde und nicht vorwärts kam. (Es ist die Abfahrt von Siegfried mit Günther). »Da meint man«, sagt er, »man würde es nie machen können.« Am Morgen, wie ich ihm zurief, »bist du freundlich mir gesinnt?« erwiderte er: »Nichts als freundlich, und alle Tage liebe ich dich mehr.« - Abends in der Revue des deux Mondes gelesen, welche Schure mir zugeschickt; R. früh zu Bett.
Samstag 16ten
Wir sprechen über die Frauen, R. sagt: »Wenn sie eine gewisse ängstliche Bescheidenheit verlieren, etwas andres sein wollen als Gattinnen und Mütter, wie unangenehm steif werden sie da.« Ostereier-Gespräch, R. erzählt, daß, wie er in Eisleben war, ihm von Freunden seines Onkels »grüne Eier für Richard Geyer«,[10] zugeschickt wurden, große Krähen-Eier in einem Körbchen, deren Farbe ihn sehr erfreut hatte. Brief Judith's, sie wollen uns besuchen. Eine milde Hand, wie R. sagt, sendet einen sehr häßlichen Aufsatz von Heinrich Dorn über die MSinger; elendes und erbärmliches Volk! Ein lächerlich verhimmelndes Gedicht an R. mit der Bitte, unter der Chiffre A. v. T. einige Worte zu schreiben, dünkt uns eine jener groben Fallen, welchen eben R. ausgesetzt ist, weil er ach! als Opernkomponist angesehen wird! Der turbulente Enthusiasmus der Franzosen dagegen macht uns auch nicht viel Vergnügen. So behält denn Schopenhauer vollständig recht! Wir lasen gestern einen Aufsatz, betitelt »un bouddhiste contemporain« über Sch., in welchem einzig einige Worte Schopenhauer's über den Fortschritt uns sehr viel Freude machten. Die Jesuiten nähern sich den Juden, amüsanter Bericht einer Unterhaltung des Papstes mit den Gebrüdern Lehmann! - R. immer nicht ganz wohl. - Wir verbrennen den Winter unter der Form eines Popanzes, welcher unsren Weihnachtsbaum auf dem Kopf trug, große Freude der Kinder daran. Marie Bassenheim bei uns zu Nacht.
Sonntag 17ten
Osterfreuden, Osterleiden und geputztes Osterlamm. Ich verstecke die Eier und muß mich dann zurückziehen, weil ich schon von dem Wenigen sehr angegriffen bin. R. kommt zu mir und sagt, »Hagen's Wachtlied wird kolossal«, gegen Mittag spielt er mir das soeben Komponierte, Prachtvolle mit. In einer neuen Musikzeitung[11] sehr guter Bericht über die MSinger-Aufführung in Berlin, die vielen Gerüchte, die verbreitet wurden, der Unsinn, der keinen Menschen zur Anhörung der Sache kommen lassen konnte. Brief an R. des Kapellmeisters Schmidt in Leipzig, welcher sagt, nachdem er die MS. in Berlin gehört, sei es für ihn keine Frage, sondern eine Pflicht gegen die Kunst und das Publikum, das Werk in Leipzig aufzuführen. Brief E. Schure's an mich, er meldet von einer Matinee bei der Mutter. - Ich hatte an M. Maier bereits geschrieben, als mir R. von dieser meldet, sie habe ihm von Notizen über Hans' bedürftigen Zustand in Florenz [geschrieben], welchen Mutter und Schwester berichtet hätten. Ich glaube kaum, daß dies wahr sein kann, denn alle Berichte lauten ganz anders, doch die Ruhe ist wieder verscheucht. »O dieses Menschenleben!« R. empfing die Korrektur-Bogen des Walküren-Textes! Wie jammervoll. - R. sagte über seine Biographie: »Ich glaube, eine entsetzliche Monotonie wird sich für den Leser herausstellen; ewige Ansätze, und es kommt immer zu nichts.«
Montag 18ten
Sehr üble Nacht, ich muß R. rufen und diesen Tag zu Bett zubringen wegen einer Art Hals-Entzündung. In der A.A.Z. eine Korrespondenz aus Berlin (Julius Cohen Rodenberg)[12] über die MSinger,
darin man sich über die applaudierenden »blonden Germanen« lustig macht, den Meister als Scheusal dahinstellt, das Werk selbst aber lobt. - (Gestern deutete mir R. mit einem Bleistift die Scenerie seiner Götterdämmerung an.) - R. bringt einen Brief des Dichters Hans Herrig, welcher wirklich von R.'s Ideen bis zur Besessenheit erfüllt zu sein scheint. R. hatte durch ein Inserat in der Norddeutschen Allgemeinen um seine Adresse gebeten. Er erzählt mit Empörung, daß bei der 3ten Vorstellung bereits Striche sich eingestellt haben, worüber denn R. an Eckert schreibt. R. speist bei mir; R. erzählt von vielen Aufführungen, die er in kleinen Städten musterhaft zu Stande gebracht, und daß die Schröder-Devrient einst humoristisch gesagt, Reißiger müsse um Zulage für Turnstunden bitten; da R. immer vom Orchester auf die Bühne sprang, um dort zu helfen, wollte Reißiger das auch nachmachen, er konnte es aber nicht, daher die Notwendigkeit der Turnstunden. - Wie R. bei mir speist, entsinnt er sich meines Wochenbettes und weint, indem er mir seinen Zustand schildert und dann sein Glück. - Auf die MSinger in Berlin zurückkommend sagt er: »Es bleibt dabei, was ich Hans in München zu seinem Geburtstage sagte, wir werden Erfolg haben, wenn wir nur jeder Freude daran entsagen.« - Ich erzähle, daß ich an Judith geschrieben und ihr gesagt, wie es mich kränkt, Lohengrin loben zu sehen in einem Blatt, welches voll von schamlosen Geschichten steht. R.: »Ob sie dich verstehen wird; sie hat so gute tiefe Anlagen, doch sind es alles so fragmentarische Wesen, du bist das einzige komplette Wesen, das mir begegnet ist, du bist kompletter noch als ich«, worauf ich natürlich lachen muß. Abends in »Heinrich IV.« gelesen.
Dienstag 19ten
Immer unwohl; an Pr. Nietzsche geschrieben. Sonst den Tag über gestickt. R. arbeitet. Es ist schönes Wetter, die Kinder sind im Garten.
Mittwoch 20ten
Die Kinder wieder bei mir zum Studium. Wir hören immer [noch] nichts von Berlin. Auch in München wird geschwiegen. Doch ist das Wetter prachtvoll, wir freuen uns an Tribschen. Kaffee im Garten. -
Donnerstag 21ten
Mit den Kindern; R. erhielt einen Brief von Hofrat Düfflipp, welcher ihm sagt, der König sei durch das letzte Schreiben unangenehm überrascht, und ihn bittet, doch Heinrich Porges zu erwählen. Unser Non Possumus hierauf. Dann macht R. sein Warte-Lied Hagen's fertig. Nachmittags im Garten. R. macht einen großen Spaziergang. Ausfahrt im grünen Anzug zur Freude der Kinder.
Freitag 22ten
Brief eines unbekannten enthusiastischen Lieutenants aus Berlin (Schöning), welcher meldet, daß die Intendanz in Berlin die MSinger bis zum Herbst bei Seite gelegt, damit die Leidenschaften sich legen sollten. Großer Schrecken hierüber. So hätten denn ein paar Judenjungen das Ziel erreicht. R. ist gedrückt zuerst, doch erheitert er sich bald, und wir genießen einen herrlichen Nachmittag im Garten, Fidi bei uns! Abends fuhr' ich die Großen zur Tanzstunde. (Berlioz' [13]Memoiren gelesen.)
Samstag 23ten
Trübe Stimmung R.'s. Ich sticke und lehre. Bei Tisch liest mir R. einen Passus von Tieck über die altitalienische Musik, den er sehr bedeutend findet. »Wir haben die Zauberformel gefunden, dieses Dilemma zu lösen, das große Orchester, das wie die Natur alles in sich faßt und worin der Mensch sich bewegt.« - Freude an einem Igel, der sein Nest unter einer Bank bei uns gemacht. Erstes Spielzeug Fidi's, das R. ihm heimbringt. (Briefe Claire).
Sonntag 24ten
Trübes Wetter, Frühjahrsregen; dumpfe Stimmung R.'s hierüber. Er schreibt an Düfflipp, um ihm zu sagen, daß er keine Bitterkeit empfände und nur wünsche, der König möge einige Freude an der Walküre haben. Ich erschrecke heftig über einige Ausdrücke dieses Briefes, was wiederum R. bekümmert. Rasch fasse ich mich - weiß ich doch, daß jeder Kummer ein erlösender Segen ist, und gilt es vor allem, R. nicht zu betrüben. Der Kindertisch wird dann freundlich begangen. Aber die Sorge schwebt schwer über uns. Den Kindern Raphael und die Bibel von Dore gezeigt. Lusch das Rotkäppchen von Tieck zu lesen gegeben. Abends »Heinrich IV.« 2ter Teil.
Montag 25ten
R. hatte einen wehmütigen Traum von unsrer Trennung. Unsre Stimmung ist melancholisch; ich habe mich bewältigt und bin froh darüber. Boni wegen kleiner Heiserkeit zu Bett. Der Kuckuck ruft, der Igel ist fort, die Katze bringt mühsam ihre Jungen in das Bett der Fremdenstube. Nach Tisch mit R. aus, er erzählt mir, daß ihm das Frühjahr in der Jugend immer Schreckliches bedeutet, die Stadttheater wurden leer, das Publikum blieb aus, der arme Musikdirektor an die Luft gesetzt. Wie er mir das sagt, steht ein Mann vor uns, welcher eine gerichtliche Aufforderung mir einhändigt. Binnen 4 Wochen soll ich nach Berlin zurückkehren oder es wird auf Ehescheidung — geklagt. Erst geklagt! - Am Morgen hat R. einen andren Brief an Hofrat Düffl. abgesendet, obgleich ich ihn bat, den ersten zu schicken. Der letzte scheint mir der Lage und den Menschen angemessener. Brief des Musikdirektors Schmidt aus Leipzig; Honorar für die MSinger. Tanzstunde; Lusch die erste Zurücksetzung erfahren; sie hat sie gut ertragen - Vor der Lektüre noch sagte R.: »Ich wünsche nichts, ich will nur erhalten, und das ist der furchtbarste Zustand der Sorge, wie Calderon in seinem Sonett so schön sagt. Wer etwas verlangt, hat Wunsch und Hoffnung; wer sein Glück besitzt, kennt nur die Sorge, es zu verlieren. Der Glückliche kann beinahe nur ängstliche Träume haben, daß er das verliert, was er hat.«
Dienstag 26ten
R. begann den Tag mit einem Gespräch über die Liebe bei den Griechen, von welcher wir uns keine Vorstellung machen könnten und die, wenn sie nicht in Lasterhaftigkeit unterging, die höchste ästhetische Tendenz bezeugte. »Die Anbetung des Weibes dagegen ist ein ganz neues Moment und trennt uns durchaus von der antiken Welt. Die Germanen verehrten das Weib als etwas Geheimnisvolles, der Natur Näheres - wie ungefähr die Ägypter die Tiere vergötterten -, und um ihnen die ganze Heiligkeit zu lassen, wollten sie sie nicht berühren. Was aus diesem Kultus geworden ist heute, wo die Frauen seit Avignon[14] und Bibi-Hut sie fordern und daraus den ganzen Emanzipationsunsinn herleiten - wissen wir.« - Er geht wieder zur Arbeit, zum ersten Mal seit vielen Tagen - ich bei den Kindern. Nachmittags Spaziergang mit Loulou und Loldi, welche in [den] See gefallen ist, wie sie wichtig sagt. Halt im Milchhaus; die Kinder berichten vom ersten Maikäfer. Abends Phaidros. (Brief meiner Mutter).
Mittwoch 27ten
Gar üble Nacht, drei-, viermal erwache ich wie aus dem Schlafe geschreckt, und geschrien; ich muß endlich aufstehen, R. steht mir bei. Ich denke mit Angst daran, daß beim Tod Blandinen's ich so heftig geweckt wurde. Wer leidet, wer stirbt, der Vater, der arme Hans, Gott beschütze uns! An R. kann und will ich hierbei nicht denken, den Kuckuck höre ich schon nicht gern, weil er vor drei Jahren ihn befrug und drei Rufe zur Antwort erhielt. O ewige Sorge, wann schwindest du? Mit dem Leben. - Häßlicher stürmischer Tag, Lusch muß wegen Husten das Bett hüten, und R. muß Briefe schreiben! - Gestern sagte R., daß er gern drei Bändchen seiner Aufsätze hätte, wo »Kunst und Revolution« dabei wäre. Er sagte auch, er habe Lust, an Ollivier zu schreiben, »alles was sie tun gegen Jesuiten, sei es noch so tyrannisch, noch so despotisch, ist heilbringend, alles was sie mit diesen verwirklichen, ist verderblich«. Er meint, aus diesem Plebiszit könnte etwas Großes kommen, wenn man dem ewigen Kammergerede ein Ende machte, sie schlösse, auch die Preßfreiheit zurück nehme, denn von alledem lebten »die Pfaffen«; und nun sie ernstlich ausrottete. Die Schule frei machte; niederschießen ließ, was durch den Klerus aufgehetzt würde, u.s.w. Mit den Kindern sizilianische Märchen gelesen und abends mit R. den »Phaidros«. R. bemerkt hierbei, »daß die Leute so leicht von den Griechen und von der platonischen Liebe sprechen, während diese Welt uns einfach unfaßlich und unbegreiflich ist, wenn wir nicht in unserem Gedankenkreis eine völlige Umkehr bewirken, wie beim Studium der Philosophie«.
Donnerstag 28
Brief des Kmeisters Levi [15](»Ich achte ihn«, sagt R. »weil er sich wirklich Levi nennt wie in der Bibel, nicht Löwe, Lewy etc.«); die Direktion der Walküre sei ihm angetragen, er bäte um R.'s Meinung. R. antwortet ruhig und aufrichtig. - Lusch immer zu Bett. Ich besorgt um Unbekanntes, dabei glücklich. Ich frug R., ob er nichts mehr aufschriebe, kein Tagebuch? »Nein, das hat aufgehört, jetzt genieße ich mein Glück. Ich schwöre dir zu, ich wundre mich über mich, indem ich sehe, daß der alte Sanguinismus durchaus nicht aufgehört hat, die Phantasie vielleicht mehr als gut, immer geneigt zu schaffen. Wem verdanke ich dies?« »Dem König von Bayern«, falle ich scherzend ein. »Aha! das ist die Antwort auf das neuliche Schreiben. Glaube mir, diese Gunst hätte ich ermüdet fallen lassen, hätte ich dich nicht gefunden.« - Gestern, wie er sich wunderte, keinen Brief aus Hannover von unsrem Freund v. Bronsart zu erhalten, sagte ich, er wäre wohl unter dem Schreck unsrer Verbindung. Nach einigem Nachsinnen sagte er, »daß die Menschen sich nicht sagen, daß wir alles gewußt haben, was über uns kommen werde, da ich doch kein Fahrhans bin und du doch auch genügende Kenntnis der Welt hattest; daß wir also allem getrotzt haben und alles übernommen, um uns anzugehören, das sollte ihnen doch Respekt einflößen«. »Wenn ich die Kinder gut erzogen haben werde und du die Nibelungen beendigt, wird vielleicht Respekt da sein.« - Bei Tisch (gestern) antwortete er mir auf meine Frage, wie die Seele des Platon sich zum Willen des Schopenhauer verhalte; ich habe ihn verstanden, nur kann [ich] es nicht aufschreiben. - Sehr schöner origineller Brief unsres neuen Freundes Hans Herrig. Ein Schopenhauerianer (versteht sich) und Wagnerianer, wie es sich gehört. - Abends in »Ivanhoe« mit vieler Bewunderung gelesen.
Freitag 29ten
Die Post bringt nichts, und R. kann etwas arbeiten. Die Kinder immer [noch] nicht ganz wohl, und - draußen Schnee. Dabei sieht es unruhig in der ganzen Welt aus, so daß R. mir sagte, in seinem Gedanken sei er so weit gegangen, sich die Jesuiten selbst zurecht zu legen, die wenigstens Frieden der Welt geben würden; »ihre Macht beruht nicht auf ihren schauderhaften Mitteln, sondern auf der Idee, die ihnen zugrunde liegt, die Erkenntnis der Schlechtigkeit und der Torheit der Menschheit«. - »Das Tierisch-Göttliche der Griechen ist uns so fremdartig«, sagt er auch, wie wir wiederum auf den Gegenstand zu sprechen kommen. - Briefe (abends) aus Darmstadt, Kmeister Marpurg,[16] welcher seine Begeisterung für die Walküre meldet, dann aus Köln Zeitungen, worin Herr Hiller wegen seiner Direktion geschmäht wird (daß man uns so etwas schickt!), dann 5 Thaler für die Aufführung der MSinger-Ouvertüre in Köln.
Samstag 30ten
Erkältungen, übles Wetter, doch arbeitet R. und beendigt das Zwischenspiel (Hagen auf der Warte - Brünnhilde den Ring beschauend), das, wie er sagt, eher eine Art Kadenz ist, wie eine Parenthese, kein Zwischenstück. - Unser Knecht verläßt uns, außer seinem Knecht Ruprecht war nichts an ihm gut, doch der war vortrefflich. Abends liest mir R. aus »Ivanhoe« vor. Brief des Herrn Simson aus Berlin, in 4 Wochen soll ich also zu dem Pfarrer mich begeben, und dann wird die Klage beginnen. Hans ist nach Florenz zurückgekehrt.