März

Dienstag 1ter
Brief des Pr. Nietzsche mit Einschluß eines andren vom Buchhändler Lesimple,[1] dieser meldet, daß auf seine Anregung (durch Pr. N.) in Bonn die Frage lebhaft diskutiert wird, R. die Direktion des Musikfestes zu geben. R. sagt mir, daß er sie annehmen wird, wenn ich mit ihm hingehe. Herrliches Wetter, die Kinder im Garten, R. macht mit Porges[2] einen langen Spaziergang, der ihm wohl bekommt. Abends nehmen wir die zweihändigen Arrangements der Beethoven'schen Symphonien vom Vater durch, dann fragt R. Porges nach sokratischer Weise nach der Deutung der philosophischen Ausdrücke, mit denen leider sein Aufsatz vollgespickt ist; es kommt nicht viel bei den Antworten P.'s heraus, und da erklärt ihm R., in welcher Weise der Gral als die Freiheit gedacht werden könnte. Die Entsagung, die Verneinung des Willens, das Gelübde der Keuschheit trennt die Ritterschaft des Grals von der Welt des Scheines. Der Ritter darf das Gelübde brechen mit der Bedingung, die er dem Weib auferlegt, denn gleichsam, wenn ein Weib derart die Naturnotwendigkeit beherrschte und nicht früge, wäre sie wert, im Gral einzuziehen, um der Möglichkeit dieser Erlösung willen darf der Ritter freien. Göttlich und frei ist der Gralsritter, weil er nicht für sich handelt, nur für andre. Er verlangt nicht mehr. - Abends sagt mir R.: »Gerechtigkeit herrscht auf dieser Welt, nur ist sie schwer zu erkennen.«
Mittwoch 2ten
Immer herrliches Wetter, spiele mit den Kindern Reifen und Springen. Dann schreib ich Gr. Krockow. R. arbeitet. Er findet mich wehmütig traurig, während nur, was er mir gestern über Lohengrin gesagt, mich tief ergriffen hat und weiter in mir nachhallt. Nach Tisch spielt er Porges die Scene der Erweckung der Wala durch Wotan. Brief des Bruders Fritz Porges, welcher meldet, daß die Aufführung in Wien eine ganz abscheuliche war. Gestern erzählte P. mancherlei über Semper in Wien, was mir bewies, daß er sich dort ebenso kindisch unzuverlässig benommen hat als gegen uns in München.
Donnerstag 3ten
Herrliches Wetter, Spiel im Garten mit den Kindern. R. arbeitet. In der Einsiedelei bespreche ich einzelnes aus der Vergangenheit mit Heinrich Porges, dieser macht mich ganz glücklich, wie er mir sagt, daß er niemals R. so gesehen, wie er jetzt ist, so ruhig und so lebendig, und daß er überzeugt sei, sein Nibelungenwerk würde er niemals aufgenommen haben, wenn nicht der große Umschwung in sein Leben getreten wäre. Mich ergreift das so, daß ich weinen muß. Wie ich R. das erzähle: »Nichts, nicht einen Ton hätte ich mehr von mir gegeben, wenn ich dich nicht gefunden hätte. Jetzt habe ich ein Leben.« - Bei Tisch besprechen wir den sonderbaren Unterschied zwischen der österreichischen Aussprache und der übrigen deutschen, und auch, daß sie griechische Wörter wie Zeus, Zeous aussprechen. R. erklärt es daher, daß die Gymnasien den Jesuiten übergeben worden sind, welche von Italien kamen und ihre italienische Aussprache auf das Deutsche übertrugen. Das Wienerische ist nicht Dialekt, sondern fremdländisch. Nachmittags große Ausfahrt nach Stanzstad, schönste Stimmung. Abends spielt R. die A dur Symphonie von Beethoven (vierhändig mit P.). Er schickt eine Depesche an Herbeck, um ihn aufzufordern, die Aufführung zu verbessern.
Freitag 4ten
R. arbeitet und ist heitrer Dinge; Brief seines Freundes Champfleury, welcher eine Zeitung für Kunst gründet und die Biographie Mehul's[3] zuerst geben will, weil er von R. immer schon von Mehul hat sprechen hören. Ich soll für R. die Antwort aufsetzen. Am Morgen ein Gedichtchen für Frau Schure, um Loulou einen Brief zu ersparen. Nachmittags zur Stadt mit Loldi, Besorgungen. Abends lese ich die Rede Bis-marck's über die Todesstrafe, worauf R.: »Sie wissen immer nichts andres als den Schutz des Bürgers, wie wenn sie gegen Tierquälerei sprechen, sagen sie: Die Tiere sind so nützlich. Ich sage, der Mensch, der einen umgebracht hat und selbst noch leben will, der ist mir ein höchst bedenkliches Subjekt; je edler seine Motive des Mordes waren, um so eifriger muß er den Tod wünschen. Da sollte die Religion eintreten, der Priester sollte sich dem gesellen, mit ihm im Gefängnis darben und leiden, bis er den Tod ersehnte. Am Tag der Hinrichtung, die geheim gehalten würde, müßte die Stadt mit Schwarz beflaggt, die Läden geschlossen, die Glocken tönen und einzig sollten die Richter der Exekution beiwohnen. An der Todesstrafe wäre noch ein ethisches Moment gegeben, um die Welt ernst zu machen. Aber die Menschen wollen keinen Ernst. Keine bezahlten Pfaffen, aber Klöster, Zufluchtsorte, deren einzige Aufgabe das Leiden mit den Verbrechern wäre.« Von da zu seinen Lieblingen: »Ich glaube, ich werde mich nur noch mit Alexander [beschäftigen], Bernhard von W., Luther, Friedrich dem Großen«, und Cromwell, füge ich hinzu. »Ja! Wenn ich denke, daß seichte Menschen diesen zum Heuchler gemacht haben, dessen ganze Wucht der Gottesglauben war, der fühlte, ich bin ein gottgeliebter Mensch und du, Karl, bist ein gottvergeßner; ein solcher muß seine Gespräche mit seinem Gott haben.« - Neunfache Depesche Herbeck's, behauptend, die Aufführung sei nicht so schlecht gewesen, wie man gesagt. -
Samstag 5ten
Depesche über die zweite Aufführung der MS. in Wien, »glänzendste Aufnahme, unzählige Hervorrufe etc.«. R. arbeitet, ich mit den Kindern. Nach Tisch spreche ich vom Hund, welchen Tristan Isolde geschenkt, und Petitcriu[4] macht uns - von R. vorgelesen — den allermächtigsten Eindruck. Abends Walküre. Wie wir nachher von der Aufführung dieser Dinge sprechen, sage ich R., er solle doch im Conversationslexikon nachschauen, Artikel Baireuth; diesen Ort hatte R. genannt als den, den er wählen wollte, zu unsrer Freude lesen wir unter den Gebäuden ein prachtvolles altes Opernhaus darin aufgeführt! Er unterhielt uns durch die Erzählung, wie seine Schwester Rosalie das Gretchen gespielt habe, habe das Dienstmädchen, welches, wenn sie sie abholte, immer den Schlußscenen im Parterre beigewohnt, furchtbar geschluchzt. Da habe ihr ein Nachbar gesagt: »Warum weinen Sie so, das ist ja alles nicht wahr.« »Verzeihen Sie, ich werde es wohl besser wissen, ich diene bei der Mamsell.«
Sonntag 6ten
Ein Militärarzt aus Braunschweig schickt schöne Würste! Wir lachen sehr, denn wir hatten vor einigen Tagen gesagt, indem wir uns der Wurst entsannen, die Richter uns mitbrachte, als er den Sänger für Walther Stolzing suchte - »solche Wurst bekommen wir nie wieder«. Diesmal ist es für Lohengrin. R. schickt sein Portrait mit einem Verschen darunter.* (* Dieser Seite beigelegt der handschriftliche Entwurf Richard Wagners zum Wurst-Gedicht, siehe Anm.[5]) Bei Tisch erzählt R. die Freude, die er wiederum am Buche Droysen's über Alexander habe. »Wenn ich eingesperrt würde, würde ich mir einzig griechische Literatur und alles, was auf Griechenland Bezug hat, erbitten. Aus diesem Volk bezieht man die Freude; ich weiß sehr wohl, daß sie nicht den letzten Tupf auf's i gesetzt, aber aus ihnen gewinnen wir Glück, sie sind sündenlos.« (Bei einer sentimentalen Miene Herminen's frag er: »Welche ist die gottgefälligste Nation? Die Resignation«). Nach Tisch Walküre, auch abends (Wotan's Scene mit Fricka und Brünnhilde). Da lachte er laut auf, »Kindermann und Wüllner werden das in München zu Stande bringen, das fängt an, mich zu unterhalten« Abends sagt er: »Du wirst begreifen, daß ich das Bedürfnis hatte, wie ich diese Nibelungenteile geschrieben hatte, dieses furchtbare Element zu verlassen und Tristan und Isolde zu schreiben, das gleichsam nur eine Lie-besscene war, ja die mir wie eine italienische Oper vorkam, d. h. von italienischen Sängern zu singen und in - Rio de Janeiro.«
Montag 7ten
Die Mappe mit dem Geyer[6] angekommen, ich überreiche sie Richard mit dem Gedichtchen (gerade einen Monat früher hätte sie da sein sollen). R. macht sie große Freude. »Alles, was du tust, hat Sinn und Klang«, sagt er, »wie deine liebe Stimme und deine helle Seele.« - Viele sonderbare Nöte wegen der jüdischen Abstammung Porges', jeder Augenblick bringt den Herrn Jesus auf unsere Lippen! Nachmittags zur Stadt. Abends die Walküre vorgenommen. R. hat große Freude an der Mappe. (Von Karlsruhe schreibt der neue Direktor Kaiser um den Rienzi. Seiner Zeit hatte der Freund E. Devrient R. abgeschlagen, ihn aufzuführen, angeblich aus Prinzip, dafür gab er aber - »Catarina Cornaro« von Lachner!)
Dienstag 8ten
Rich, arbeitet an seiner »Höllendämmerung« (wie die Zeitungen sagen) weiter; ich mit den Kindern. Gegen Mittag kommt ein Brief des Herrn Wesendonck, welcher sowohl R. als mich unangenehm berührt. R. hatte ihn zu Weihnachten um die Kopie von den Papieren, die die Familie besaß, gebeten, dafür sendeten sie die Originale zurück. R., darüber in Verlegenheit, wollte eine Gegengabe machen und sendete die gedruckten Bogen der Biographie mit einem ausführlichen Brief über die Bedeutung derselben. Hierauf erwidert Herr W. so ungeschickt mit Ratschlägen, nicht so minuziös fortzufahren u.s.w. - große Verstimmung R.'s darüber. Ich bin nachmittags mit Wehmut erfüllt, immer und immer wieder kommt mir der alte Kanon in [den] Sinn: Einziges Weltglück liegt in der Aufopferung. Kinder, es sieht nicht danach aus, als hätte ich entsagt; Gott weiß, wie mein Leben zu beurteilen, doch meine durch Leid und Freude gewonnene Erkenntnis, möchtet ihr sie euch einprägen: Es gibt kein Glück auf Erden als das Opfer. Nichts für sich selbst wollen, nichts suchen, sich hingeben und dem Kleinsten, Geringsten dienen, wohltun, das, meine Kinder, ist unsre Befreiung, o glaubt mir! - Abends teilen wir Porges einiges mit, was mich zum Bruch bestimmt hat - da sagt R.: »Die Menschen sind so verstellt und betrügerisch, daß keiner an Offenherzigkeit und Wahrhaftigkeit, kein Mensch hat dir glauben wollen!« - Abends aus dem zweiten Teil des »Faust« mit Entzücken gelesen. Dann in Osterwald:[7] »Hermes Odysseus«. - Spät spricht R. noch eingehend darüber, wie unangenehm ihm diese Erfahrung mit O.W.* (* Otto Wesendonck) sei, dem er nur aus Gutmütigkeit sich vertraulich genähert und der ihm so unverschämt geantwortet.
Mittwoch 9ten
Nicht nur »ich liebe dich, sondern ich lebe dich«, sagt mir R. heute früh, »wenn du im mindesten betrübt und bekümmert bist, bin ich lahm wie ein Vogel, der am Flügel verwundet ist«. Große Freude an Fidi, der nur zu weiß und zu gut ist! Mittags ist R. sehr unwohl, der gestrige Brief ärgert ihn noch. Er bleibt zu Hause, ich gehe mit Loulou zur Gr. Bassenheim (Stunde), dort erfahre ich, daß ihre Verwandten aus Wien ihr enthusiastisch über die MSinger geschrieben haben. Brief Eckert's - die Ministerin Schleinitz[8] bewacht mit Enthusiasmus die Proben der MSinger.
Donnerstag 10ten
Großer Schrecken durch die Notiz, welche H. Porges R. gibt, daß Düfflipp an Hans geschrieben und ihn um die Beschleunigung der Ehescheidung gebeten habe! Gewiß werden sie in München mit der Walküre nicht fertig und wünscht der König, R. könne nach München wieder kommen. Deshalb dieser Brief, der vielleicht - nach Hans' Charakter - unsre ganze Angelegenheit in Grund und Boden richtet! Ich schreibe augenblicklich an Düfflipp, spreche ihm meine Empörung aus und sende eine Kopie dieses Briefes an Hans durch meinen Advokaten. - Porges reist ab; gewiß war er in der Idee gekommen, von W. als Dirigenten für die Walküre sich aussuchen zu lassen. - Die heutige Notiz drückt auf meine Stimmung sehr; immer wieder und immer wieder kehrt mir das Bild von Hans' traurigem Leben; die einzige Weise, dies zu büßen, ist niemanden, vor allem den Geliebten nicht ahnen zu lassen, wie weh mir ist. -Abends legte ich die Papiere zurecht; R. ist etwas wohler; als ich ihm sage, es täte mir sehr leid, daß der W.'sche Brief ihn []** (** Ein oder zwei Wörter durch Fleck zerstört), »doch nur, weil ich sah, daß es dich verstimmte, das ist das einzige, woran mir liegt, das übrige ist mir gleichgiltig«. - Schnee.
Freitag 11 ten
Gestern abend, während ich die Papiere ordnete, las R. im »Faust«; heute früh sagte er: »Allerdings mit dieser Kerkerscene des ersten Teiles läßt sich nichts vergleichen; das behaupte ich, das ist deutsch, diese große Milde, was allerdings mit dem schönen Zustand der deutschen Nation nichts zu tun hat«, darauf holt er aus dem Heldenbuch Simrock's ein Gedicht herauf, wo eine Sünderin durch das Schöffengericht freigesprochen wird. Mächtiger rührender Eindruck. - R. trägt heute den Türkis, den ich ihm gegeben, »möchte er dir Glück bringen«, sage ich ihm, »das Glück hat mir ihn gebracht«, antwortete er mir. Er geht aus, ich spiele und arbeite mit den Kindern. Abends überkommt mich eine solche Wehmut, daß, wie mir R. von den Kindern spricht, die Tränen mir aus den Augen strömen und ich mich entfernen muß, damit R. nicht meine Stimmung merke. Hans wird nie wissen, wie ich um ihn gelitten! R. liest mir aus dem »Alexander« von Droysen.
Samstag 12ten
Sehr wehmütige Empfindungen. Gedanken an den Tod. Ob der das Bewußtsein der Schuld tilgt? Die vier Verse von Gottfried von Straßburg prägen sich mir ein: »Trug jemals einer stetes Leid bei währender Glückseligkeit so trug Tristan dieses stäte Leid« -. Denn ich bin glücklich, und doch kann ich es nicht vergessen, daß einer gelitten hat und vielleicht noch leidet. Immer mit den Kindern; Robinson gelesen, gesungen etc. Abends liest mir R. aus »Tristan und Isolde« von Gottfried vor.
Sonntag 13ten
Unruhige Nacht mit Herzklopfen, ich rief fünf, sechs Mal: »Obag, Obag, hilf mir«, indem ich Richard meinte. Wir spaßen viel über den »Obag«. Schöner Märztag, nach Tisch gehen wir mit den Kindern zum Milchhaus. Schöne heitre Stimmung, heimkehrend bemerken wir zwei Bäume voller Stare, ein ganzer Schwärm ist jetzt angekommen. Sie beraten sich, verteilen sich auf die Bäume, ein ganz unmäßiges Zwitschern umkreist unser Haus, unterwegs die ersten Gänseblümchen gesehen. - Viel mit R. wieder über den »Faust« von Goethe, dessen 2ten Teil er eine vollständige Palingenesis[9] nennt. Abends das Quartett »Es muß sein« mit R. Viel viel Freude daran.
Montag 14ten
Wiederum Schnee! unsere armen Vögelchen! Wir wollen ihnen Brot schicken, allein sie sind fortgeflogen, »das beweist wieder so recht die Idealität von Zeit und Raum, daß die Vögel hier und dort leben«. - In der Musikalischen Zeitung ist ein Bericht über die Aufführung der MSinger in Wien. Unter anderem hattendie J.* (* Gemeint: die Juden) dort verbreitet, das Lied von Beckmesser sei ein altes jüdisches Lied, welches R. habe persiflieren wollen. Hierauf Zischen im 2ten Akt und die Rufe, wir wollen es nicht weiter hören, jedoch vollständiger Sieg der Deutschen. R. sagt: »Das bemerkt keiner unsrer Herren Kulturhistoriker, daß es jetzt so weit ist, daß die Juden im kaiserlichen Theater zu sagen wagen: Das wollen wir nicht hören.« - In den Zeitungen steht, daß der Bei von Tunis einen Orden mit Diamanten R. zugesendet habe, so wird die Geschichte geschrieben! - Fidi unwohl, das Zahnen wird ihm schwer. - Abends Ankunft der »trois Melodies«,[10] auf welchen zu unserem Staunen und [unserer] Unzufriedenheit sich eine Widmung an die B°nin de Caters, welche R. gar nicht kennt. Er schreibt sofort und fordert die Zurücknahme der Widmung. - Abends in Tr. und Ie.* (*Tristan und Isolde) gelesen, wobei mir immer deutlicher erhellt, wie großartig und ihm eigen R.'s Konzeption ist. - Große Wehmut hält bei mir an; was gäbe ich darum, [wenn] ich erführe, Hans sei zufrieden und tätig. Alles Böse der Vergangenheit ist mir geschwunden, und ich sehe und empfinde nur, daß ich ihn verlassen mußte. Könnte ich meinen Kindern nur solche Leiden ersparen.
Dienstag 15ten
Große Kälte. Brief des Pr. Nietzsche, in Bonn haben sie einstimmig F. Hiller zum Dirigenten des Musikfestes erwählt! So ist es gut und vollständig, R. heitrer Stimmung, geht an seine Ankunft Siegfriede, welche ihm viel Arbeit gemacht hat. Er wollte nämlich kein Effektstück daraus machen, und er nimmt an, daß das Vorspiel die Grundstimmung gegeben hat, daß man weiß, daß Siegfried auf dem Rhein ist, und daß das Gibichungengespräch nur eine Parenthese bildet. Nachmittags Briefe Schure's und seiner Frau, sehr hübsch und freundlich. Abends schreiben wir Briefe, R. und ich (an Champfleury, Villot, Schure, Eckert u.s.w.).
Mittwoch 16ten
Schönes Wetter, wenn auch noch kalt. Kinder im Garten. Ich schreibe an Pr. Nietzsche. R. an der Arbeit, doch nicht zufrieden, sagt: >Der Aufenthalt Porges' habe ihm keinen Nutzen gebrachte - Ich führe Loulou zur Stunde. Abends liest mir R. einiges aus »Hamlet«[11] vor; furchtbarer Eindruck; zum erstenmal begreife ich, daß Hamlet durch die Erkenntnis der Welt weit über die Rache, ja über den Selbstmord [gelangt]; die scheußliche Tat, die ihn zur Rache anspornen soll, läßt ihn zugleich das Wesen der Welt erkennen und daher auch, daß kein Tod da etwas sühnen kann. Dazu der Geistersehende, dem die Wirklichkeit nur wie ein furchtbarer Traum erscheinen kann. - (Briefe von Mathilde Maier und Claire).
Donnerstag 17ten
R. arbeitet immer und ist leidlich wohl. Von außen nur die sehr widerwärtige Angelegenheit der Widmung der drei Lieder; ich schreibe für R. der Dame und ersuche sie, dem Verleger zu erklären, daß sie diese aufgedrungene Widmung nicht wollte. Der Verleger hat das »im Interesse der Sache« getan, wie er sagt. Abends »Hamlet« von vorne wieder gelesen. - Großer Eindruck von den Mitteilungen eines Missionars über seine Bekehrungsversuche eines buddhistischen Minister in Siam. Ganz erhaben stand der Buddhist da. R. spricht von dem Jammer, daß die jüdische Religion dem Christentum aufgepfropft worden ist und dieselbe ganz verdorben hat. -
Freitag 18ten
Beginne die Mappe mit großen Schwierigkeiten. R. arbeitet. Brief des Rat Düfflipp, es sei nicht wahr, daß er an Hans in Bezug auf die Scheidung geschrieben; Gott weiß, wer da lügt. Wie gewöhnlich Kinderunterricht. R. liest den Tod Alexander's und möchte ein Drama darüber schreiben, »wäre ich nur nicht Musiker, diese elende Notenschreiberei, in welche Kategorie von ungebildeten Menschen hat sie mich geworfen«.
Samstag 19ten
Briefe geschrieben (an Düfflipp, ihn zu beruhigen, der Mutter). Am Morgen spricht R. wieder von der Religion, »dieses Bedürfnis der Religion zeigt, daß der Mensch eigentlich zum Guten angelegt ist. Welch ein tröstliches Beispiel ist doch die Möglichkeit einer solchen Religion wie des Buddha, wo die Belohnung das sanfte Herz selbst und die Strafe das heftige Herz selbst ist«. R. liest Lusch die Thermopylen-Schlacht vor. Hoffentlich bleibt der Eindruck dem Kinde. Nach Tisch R. sehr trübe; die MSinger in Wien so schlecht aufgeführt, der Lohengrin in Brüssel, der nicht vom Stapel läuft, dazu der mißglückte Rienzi in Paris und in München das vergangene Rheingold und die bevorstehende Walküre, alles das ist unerfreulich, und unsere persönlichen Verhältnisse, die sich nicht aufklären. Er sagt, er sollte wohl dafür sorgen, daß seine Sachen besser aufgeführt werden, und er spricht von der Möglichkeit, nach Berlin zu reisen. Indessen fragt er bei Betz telegraphisch an, ob er dafür stehen kann, daß die Aufführung gut wird. -
Sonntag 20ten
Boni's Geburtstag, er wird von uns allen gefeiert, Kinder sind eingeladen, schönes Frühjahrswetter. Kindergesellschaft, sehr lustig. - R. ist sehr aufgeregt. Abends sagt er: »Ich werde nun 57 Jahre, es ist Zeit, daß ich vernünftig werde oder wenigstens dafür gelte.« - Brief des Sängers Betz, welcher eine sehr gute Aufführung in Berlin prophezeit, dann einen des ehemaligen Kapellmeisters Esser, welcher von der Wiener Aufführung das Kläglichste meldet. Kein Wort des Textes zu verstehen, das Nachtwächter-Horn durch eine Posaune, die Laute durch eine Guitarre Das erheitert R. eben nicht.
Montag 21ten
Brief Heinrich Porges', nach welchem sie in München nicht recht wissen, was sie in Betreff der Walküre machen sollen. Wie seltsam ist doch mein Schicksal, das mich ewig unter einer drohenden
Wolke sein läßt, immer steht etwas Schlimmes, nicht Abzuwendendes bevor. »Wie glaubst du, daß es mit dem König und mir endet.« An Kant's berühmte Anekdote denkend sage ich: »Das ist zu vergessen!« »Ja, wenn ich deinen schönen Gleichmut hätte«, dann scherzend: »Du ziehst gewiß die Kinder zu Heiligen auf, den ältesten gibst du die Rente, und die andren müssen mit selig blassen Mienen herumlaufen!« - Nach seiner Arbeit sagt er, er sei so aufgeregt gewesen, doch nach dem Spaziergang berichtet er, er sei in guter, bürgerlich behaglicher Stimmung, was mich sehr beruhigt. - Ankunft von Geschenken und einem Briefe der Tante Isa; eine Photographie von Hans, welche dabei ist, ergreift mich sehr. Der Ton des Briefes der Tante ist nicht der rechte, er geht von der Schmeichelei der Kinder aus, und mit der Zeit kann dies sehr schädlich wirken. Abends »Wie es euch gefällt«, wobei vor allem die Gegenwärtigkeit der Bühne bei Shakespeare uns auffällt.
Dienstag 22ten
Brief des Sekretärs Düfflipp an mich; wiederum Walkürenanschläge, ein Jammer. R. antwortet*,(* Dieser Seite liegt ein kurzer, mehrfach verbesserter und mit Streichungen versehener Briefentwurf in der Handschrift Richard Wagners bei; siehe Anm.[12]) indem er wiederum sein ganzes Münchner Leben zusammenfaßt und den König nur bittet, wenigstens privatim die Walküre sich aufführen zu lassen. Ich schreibe ihm auch und nehme Abschied, indem ich die ganze Münchner Vergangenheit mir überlege und resümiere. Auch sage ich dem Sekretär, was eine große Kunstblüte würde für Bayern jetzt bedeuten können, wo alles aufgelöst, chaotisch ist.
Mittwoch 23ten
Depeschen aus Brüssel, großer Erfolg des Lohengrin und große Aufregung unter unsren Freunden. - Hier abscheuliches Wetter, Schnee-Gestöber etc. Ich fahre mit den Kindern zur Tanz-Stunde. - Am Morgen Brief des Advokaten; Hans reist jetzt nach Berlin; allein es wird erfordert, daß er dort ein bis zwei Monate bleibt, und er sagt, am ersten Mai wieder in Florenz sein zu müssen. Nun, wie Gott will.
Donnerstag 24ten
Immer Schnee. Kindertisch nach der Arbeit. Brief R. Pohl's, welcher mir einige Hoffnung für den Becher gibt. Ich schreibe nach Brüssel, an Dr. Pohl und an Porges. Abends in Gottfried's »Tristan« gelesen, mit Empörung (Kapitel Brangäne)! - Kapellmeister Hagen[13] bietet sich telegraphisch an, um die Walküre zu dirigieren!
Freitag 25ten
Brief von C. Mendes; Erfolg Lohengrin's ganz riesig; Richter in die Loge des Königs gerufen, einen goldnen Lorbeerkranz erhalten usw. Haupterfolg 2ter Akt. Dazu ein Brief eines Dozenten an der Universität Wien, welcher sagt, daß alle Gelehrten und die ganze Schuljugend Wiens für die MSinger Partei nehmen, während die Juden die heftigste Opposition machen. R. besorgt, seine Antworten nach Brüssel u.s.w. (leider!). Ankunft der Broschüre über das Dirigieren. Depesche von Wien, daß die fünfte MSinger-Vorstellung am selben Abend dort stattfindet. R. schickt einen französischen Brief zur Veröffentlichung. Abends fragt mich R., wie ich wohl glaube, daß sein Verhältnis zum König von B. enden würde. In einen Abgrund schaut man da und kann nichts voraussehen. (Nachmittags die Kinder zur Turn- und Tanzstunde gebracht). Durch die Vermittlung des Dr. Pohl kann ich R. eine Zeichnung seines Onkels Adolph im vorgerückten Alter (wie er ihn gekannt) darreichen, was R. sehr freut. (»Der Papst proklamiert seine Infallibilität,[14] ich proklamiere deine Infatigabilität«). Eva nicht ganz wohl.
Samstag 26ten
R. versendet seine Broschüre nach allen Seiten. Brief des Pr. Nietzsche. Viel Freude an Fidi, R. will ihn die Kappe tragen lassen, welche sein Vater Geyer auch von der Jugend an ihn selbst hat tragen lassen. R. sagt, daran erkenne er, ob man ihn liebe, ob man ihm das Glück, einen Sohn zu haben, gönnt. Die Kinder schreiben unter meiner Aufsicht (an den Vater zu seinem Namenstag - Boni der Tante Isa, Lulu einen Stundenplan für ihren Vater). R. heiter, trotzdem er nicht gearbeitet hat.
Wir gehen zur Stadt, herrliches Wetter, wir erblicken die ersten Knospen an den Bäumen. Die Kinder wieder im Garten. Freude an ihnen; die Turmglocke schallt, R.: »Es ist mir immer, als ob so ein Turm ein Wesen, das - wenn es schlägt - mir faul und phlegmatisch etwas zu sagen hat.« Loldi sagt: »Du Lulu, du wirst doch zum Weihnachten deinen Vögeln einen Baum machen.« - R. hatte daran gedacht, eine französische Abhandlung zu schreiben, um dort vielleicht das zu gründen, was in Deutschland nicht möglich ist. Heute sagte er mir plötzlich: »Ich gebe es auf; ich könnte den Franzosen nicht die ganze Wahrheit sagen und zum Ziel kommen; ich müßte vertuschen. Da will ich lieber in die Luft und für mich auf Deutsch alles sagen, was ich denke.« Brief aus Kassel, daß dort Rienzi einen großen Erfolg gehabt. (In der Zeitung war die Rede von einer musikalischen Unternehmung, an welcher Hans sich beteiligte, Gott gebe Gelingen und Befriedigung). Abends den »Kaufmann von Venedig«[15] bis Mitternacht.
Sonntag 27ten
R. wieder an seine Arbeit. Ich an meinem Stickrahmen. Kindertisch. Nachher Gespräch R.'s über den »Kaufmann«. Shylock ein ganz axiomiertes Wesen; die andren stehen unter einem Gesetz, in einer Harmonie, welche durch den 5ten Akt, die Nachtstimmung, die Musikbegeisterung ausgedrückt wird, was macht sich aber Shylock aus Musik? Bei keinem aber wird dies Bewußtsein ausgesprochen, sie stecken
alle drin, vergessen Shylock, sobald er überwunden ist, wir aber sehen zu und empfinden so - Lusch spielt uns Komödie und erwähnt darin zu meinem Schrecken den »Prinzen Bonaparte, welcher mordet, das ist französisch«. - Abends große Müdigkeit.
Montag 28ten
Ich sehr müde, zum Weinen aufgelegt, muß sehr kämpfen, lehren und sticken. Besorgung der Sommertoilette. Kinder gebadet. Pr. Nietzsche geschrieben. Gestern abend sagte R., wie wir in der Ilias lasen: »Daß Alexander keinen Dichter gefunden hat, zeigt, wie der Dichter sich zu der Erfahrung verhält, und wie alles bei ihm nur Intuition ist.« (Doris Brockhaus' Bräutigam[16] plötzlich gestorben). - Abends ist R. in großer Aufregung, weil er meint, daß die beständige Kinderpflege mich aufreibt. In seiner Schwarzsichtigkeit will er darin erkennen, daß ich mir eine Buße aufgelegt habe; »von der einen Seite sollen die Nibelungen vollendet werden, von der andren Seite die Kinder einzig durch dich gepflegt, wenn du darüber zu Grunde gehst, da meinst du, es sei Schicksal«. - Viel Kummer über diese Erörterung.
Dienstag 29.
Brief von C. Mendes, der Erfolg des Lohengrin in Brüssel ist wachsend. Eines ärgert R. in dem Brief, daß Catulle von dem Direktor der großen Oper spricht und sagt: »Er hat die Absicht ausgesprochen, L. zu geben, allein mit solchen guten Absichten ist die Hölle gepflastert.« »Da sieht man immer, mit wem man zu tun hat«, sagt R. -, »ich habe Perrin[17] den Lohengrin abgeschlagen, trotzdem er mir 10 000 Fs im voraus bezahlen und sich verpflichten wollte, binnen einem Jahr ihn aufzuführen. Aber das halten die Leute immer für die größte Gnade, an der Pariser Oper anzukommen.« Abends liest mir R. den Beginn seiner Arbeit über das internationale Theater vor. Wir besprechen es und entscheiden uns für das Nicht, höchstens in der Form eines Memoire an Ollivier. Abends mit den Kindern in »1001 Nacht« gelesen. (Brief Richter's, welcher übermorgen ankommt).
Mittwoch 30ten
Am Morgen über das Memoire wieder gesprochen, ich soll an Mendes schreiben, warum es R. nicht aufsetzt. R. arbeitet und spielt mir das herrlich rührende Vergessen der Brünnhilde durch Siegfried. Nach Tisch die Kinder zur Tanzstunde geführt; R. besucht uns dort und improvisiert eine Chocolade! — Abends geplaudert. Langer Brief Herbeck's, daß alles eigentlich so sein mußte, wie es in Wien war, weil das Publikum »so und so« - eigentlich dummes Zeug.
Donnerstag 31ten
Arbeit mit den Kindern (neulich große Freude an Loldi, welcher ich sagte: »Alle Kinder lassen sich die Ohren stechen, um Ohrringe zu tragen«, und die mir antwortete: »Auch die Armen? Wenn wir groß sind, schenken wir alles den Armen!«). R., dem ich das erzähle, sagt, ich solle mich hierüber nicht wundern, da ich doch stets die Aufmerksamkeit der Kinder auf die Bedürftigen lenke. Kurz fügt er lächelnd hinzu: »Ich sehe mich schon in Marburg unter [dem] Szepter h. Elisabeth's.« Die Geschichte des h. Alexis,[18] welche Goethe so gefesselt und die er so schön der Frau nacherzählt hat, lesen wir zusammen. R. arbeitet. Nach dem Kindertisch Ankunft Richter's, welcher uns die Mühsale der Brüsseler Zeit erzählt. Manches Drollige wie Fetis' 86. Geburtstagsfeier, welche bald nach dem Lohengrin ausfiel, läuft mit unter (seine Fetis-Rede lautete: »M. He., es wäre besser, ich liege im Grabe, der Realismus siegt und ich bin ein Vertreter des Idealismus; ich respektiere die Konsequenz, mit welcher Wagner den Realismus verficht, aber ich bin eher Idealist u.s.w.«). Am Schluß dieser Rede soll sich keine Hand gerührt haben und kein Zeichen des Beifalls laut geworden sein, nur bei den Worten »ich sollte lieber im Grabe sein« ein negierendes »sooo«. - Von der Mallinger erfahren wir durch Richter, daß sie für die Tochter des weiland in Rom so viel beklingelten Bischof Stroßmayer gilt. - Abends Musik; R. spielt die fertiggewordene Komposition der Götterdämmerung. Wie glücklich fühle ich mich doch, gar nichts mehr persönlich zu sein und einzig meine Freuden aus R.'s Gedeihen und der Kinder Wohl zu schöpfen. Richter findet, daß die Kinder sehr gut aussehen. - Vom alten Moscheies erzählt er uns sehr Belustigendes, das er in Brüssel durch Schüler desselben erfahren. Da er von seinem Musikverleger kleine Prozente für den Mehr-Absatz der Noten erhielt, fingierte er immer die größte Entrüstung über lose Musikhefte und hatte immer Zwirn und Nadel bei der Hand, um dieselben zuzunähen, so daß der arme Schüler das Heft nicht zurückgeben konnte und anstatt leihen alles kaufen mußte.