Montag 1ten
Üble Nacht; Verfolgungsträume; ich zwinge mich, um meine Kur mit R. fortzusetzen, aber es bekommt mir schlecht. Brief von Frl. v. Meysenbug, sie ist auf dem Sonnenberg. Um elf bei Sturmesnahen fährt R. zum protestantischen Pfarrer Tschudi, von welchem er sehr zufrieden scheidet. Wenn der Akt meiner Scheidung hier angelangt sein wird, werden [wir] wahrscheinlich keinerlei Schwierigkeiten haben. R. sagt, wie ich ihn frage, ob ihm dies alles denn auch recht sei: Er wisse kein Wesen auf der Welt, mit dem er sich außer mir verbunden haben würde! Ohne mich wäre er in's Kloster gegangen. -Nachmittags bestelle ich die Trauringe in alter Luzerner Form. Abends Brief des Herrn Praeger aus London,[1] welcher die dortige Aufführung des Fl. Holländers (italienisch) und dessen Erfolg meldet.
Dienstag 2ten
Wilde Nacht für R. und mich, er träumt von seiner Frau, die frech und böse gegen uns gewesen und gegen welche er sich nur wehren konnte, indem er ihr zuschrie, du bist ja tot; mit diesem Schrei wachte er auf; ich hörte ihn auch, doch noch in einem Traum befangen, welcher mir die deutsche Sprache versagte, und französisch schrie ich ihm zu: j'ai bien dormi,[2] indem ich ihn nur fragen wollte, was ist dir? Er bereits erwacht: Warum sprichst du französisch? Ich halb erwacht: Du hast ja französisch geschrien. Sein Traum aber wiederholt sich die ganze Nacht durch. Am Morgen mußten wir viel lachen. Und wie gewöhnlich fiel der Traum von R. mit meinen Gedanken am Tag zusammen. - R. liest mir seine Fortsetzung des »Beethoven«: »Dir zulieb habe ich Palestrina erwähnt.« - Bei Saarbrücken sind die Franzosen von den Deutschen zurückgewiesen. Große Nachmittagsfreude, R. liest das »Gastmahl« von Xenophon vor. Dann geht er auf den Sonnenberg, Frl. v. M. zu besuchen. Ich verbleibe mit den Kindern.
Mittwoch 3ten
Sehr unerquicklicher Brief des Neffen R. Avenarius,[3] welcher für seine Cousine Rosalie 100 Thaler vom Onkel verlangt; der Brief ist töricht und zudringlich. - In der Illustrirten Zeit, lese ich noch den
Bericht über die Promulgation der Unfehlbarkeit; wie das Ergebnis der Abstimmung [ihm] in die Hände gelegt war und er nun die eigene Unfehlbarkeit proklamieren wollte, kam durch Regen und Gewitter eine derartige Finsternis über die Aula, daß zwei Kerzen dem Papst gebracht werden mußten, damit derselbe seine Gottwerdung vorlesen könne. Mit den Kindern gearbeitet, um ein Uhr Frl. v. M. mit Frl. Herzen; angenehmer sympathischer Besuch. Bei Tisch erhalte ich das Dokument meiner Scheidung. -
Nachricht, daß Saarbrücken öfters vergebens von den Franzosen attackiert, von ihnen endlich eingenommen sei. Unbedeutender Posten. - Große Kindervorstellung; unsre Freundin findet die Kleinen anmutig und artig.
Donnerstag 4ten
Immer größere Freude über Bismarck, dessen Enthüllungen immer deutlicher zeigen, wie klug zugleich und rechtschaffen er gehandelt; er sagt, er habe die Franzosen wohl hinhalten müssen, um nur einige Jahre Frieden zu haben. Die bornierteste Diplomatie nennt er die französische, welche einem deutschen Minister solche Vorschläge machen konnte. Ein deutscher Minister! Zum ersten Male hört man die Worte, und wie vornehm und stolz steht dieser Minister da! Auch hat er endlich England durch unausgesetztes Schmähen auf dessen Handlungsweise gezwungen, keine Kohlen und keine Patronen mehr an Frankreich zu liefern. - Wie erhebend muß das doch für Bayern, Sachsen, Württemberger [sein], nun als deutsche Armee zu kämpfen. - Besuch der Graf. Bassenheim, welche doch besorgt um unsre Armee ist. Die Franzosen haben wirklich Saarbrücken eingenommen; nichtswürdig klingen die fr. Berichte über die vortreffliche Bewährung der Mitrailleusen. - Abends lesen wir Byron'sche Gedichte.[4]
Freitag 5ten
Fidi in seiner Wagenburg; R. sagt: Es ist ein Traum, man glaubt an solches Glück nicht! Dann fügt er hinzu: Wie wohl der Meysenbug neulich zu Mut gewesen sein muß, als sie dich neulich eintreten sah,
sie, die vor zehn Jahren mich in Paris mit meiner Frau gesehen! - Bei Tisch werden unsre Herzen schwer; ein Bericht im Bund spricht von den Mitrailleusen, auf 1600 metres treffen und verheeren sie; und der abscheuliche französische Bericht über die Affaire von Saarbrücken lobt diese fürchterlichen Dinge! Die Mitrailleusen für unsre Männer, ihren Putz für unsre Frauen, das ist's, was die Franzosen für uns haben, sagt R. - Nach Tisch aber bringt Jost, der Knecht Am Rhyn's, die Nachricht, die Österreicher hätten die Franzosen geschlagen; aufgeregt fahren wir zur Stadt, und wahrhaftig, sie sind geschlagen, Preußen und Bayern aber haben sie geschlagen, die Festung Weißenburg eingenommen, der Feind in [die] Flucht geschlagen, Gal Douay[5] tot; einfach lautet der Bericht: Glänzender, aber blutiger Sieg; während der französische prahlerisch von Saarbrücken zugleich die »Wunder der Mitrailleusen«, »den Schwung der Truppen« meldet. Napoleon der III. (letzte) schreibt an Eugenie von Louis, der die Feuertaufe erhalten, die Soldaten hätten über seine Kaltblütigkeit geweint!! Die Rente stieg auch. O die Elenden, Schlechten. - Still wollen wir sein, still und andächtig, daß die guten Geister bei der guten Sache weilen! Weinend sahen R. und ich uns an und wollten nichts sagen. Die Lage ist zu groß, zu furchtbar, gesegnet sei Deutschland, das deutsche Heer, wie es jetzt heißt! - Die Kaiserin Eugenie geht jeden Tag beten, vor dem Bild der Notre Dame des Victoires (Notre Dame des Mitrailleuses, sagt R.), und der Papst wendet sich an diese Frau, daß ihn die Franzosen ja nicht verlassen möchten. Wir wagen kaum an die Bedeutung unsrer Sache zu denken.
Samstag 6ten
Brief von Judith. - Wir lesen in der Zeitung, daß die Weißenburger Population selbst zu den Waffen gegriffen habe, gegen die Deutschen, gegen ihre Brüder, o Scham! Ich möchte den ganzen Tag beten; bei jeder Nachricht sammelt sich mein Herz zur Andacht - wie herrlich die Verbrüderung von Nord- und Süddeutschland! - R. erzählte uns gestern abend, daß, wie er aus der Stadt heimkehrte, er dem Landjäger, welcher die Zuchthäusler bewacht, begegnete; dieser hielt ihn an und frug, wie es stände; Richter meldete den Sieg der Preußen, worauf der Landjäger: Ja der König von Preußen ist ein guter Herr, er ist der einzige, der dem Papst zu Hülfe kommen wird, der Papst hat es gesagt: es wird noch dazu kommen, er wird einen Protestanten um Hülfe bitten! Wie Richter dies heute Leuten in der Stadt erzählt, sagen sie ihm: Alle Zuchthäusler in Luzern schwärmen für Louis Napoleon; der Pfarrer, der sie besucht und ihnen fromme Vorträge halten soll, redet ihnen nur von Politik. - Im »Bund«[6] wird ein Auszug eines Aufsatzes Charles Hugo's (Sohn des Dichters) gegeben, worin dieser die preußische Armee beschreibt und mit der französischen vergleicht, in einer Weise, daß man dies selbst nicht einem Franzosen zugemutet hätte. Die preußischen Obersten werden von Heiducken mit Turban gefolgt, und derlei mehr!!! Was verdient ein solches Volk? Jetzt aber, in diesem Augenblick, kämpfen und bluten unsre Soldaten; seien sie gesegnet und gestärkt, o Gott des Rechtes steh ihnen bei! Für meine Kinder schrieb ich ein Gebet auf. - (Brief aus Graz mit 100 Gulden; der Fl. Holländer hat dort großen Erfolg gehabt; das Geld ist willkommen, denn wir sind sehr knapp daran.) Zweimal schon hat R. die Gelegenheit gehabt, sich gegen die sogenannte Schweizer Neutralität heftig zu erheben, einmal gegen unsren Fürsprech, welchem er den Sieg bei Weißenburg meldete und der ihm erwiderte: Das sei ihm alles einerlei; und gestern gegen den (im neapolitanischen Heer!) General Schuhmacher; im Cigarrenladen, wo alles auf Depeschen wartete, traf ihn R., und wie R. die endlich angekommenen Depeschen las, sagte der General: Ja, man wird nicht draus klug, und als Stratege setzte er auseinander, daß die Preußen unmöglich die Festung hätten einnehmen können, wenn sie die Franzosen hätten verteidigen wollen, und derlei mehr, worauf R. einfach sagt: Alles schön und gut, doch eines erkenne ich, wer lügt und wer die Wahrheit sagt, ersteres tun die Franzosen, zweites die Deutschen. - Darauf ging er, kam zum Laden seines Buchhändlers, wo eine englische Familie sich den Totentanz, welcher hier auf der Brücke gemalt ist, sich zeigen ließ: Totentanz, Franzosentanz, sagte R. zu Richter. Wie er auf dem Heimweg durch das Postgebäude ging, kommt ihm der Buchhändler nach und sagt, sich die Hände reibend: Sie haben mir zu 40 Franken verholten; der englische Knabe, welcher deutsch kann, mußte Ihren Scherz seinen Eltern erklären, die frugen mich, wer Sie seien, ich nannte Sie, und lachend kauften sie gleich das Bilderbuch. - Wir besprechen lebhaft, was Deutschland alles dem Grafen Bismarck verdankt; wenn man an die vorigen Minister Preußens denkt, und jetzt an Beust und Konsorten! Er ist ein wahrer Deutscher; deshalb hassen ihn die Franzosen so. - Die franz. Zeitungen sagen, der König von Preußen habe telegraphiert: Blutiger, bedauerlicher Sieg!!! (Statt: Glänzender aber blutiger Sieg.)
Sonntag 7ten
Montag erst schreibe ich diese Zeilen, der gestrige Tag ging in Tränen der höchsten Ergriffenheit vorüber; um die Mittagszeit eilte der gute Graf Bassenheim herbei und meldete einen Sieg der deutschen Armee bei Wörth; der Kronprinz hat Mac Mahon[7] geschlagen, die franz. Truppen haben die Flucht ergriffen, man spricht von einem Aufstand in Paris. Abends sendet die Gräfin ihre Jungfer, auch Marechal Bazaine sei geschlagen, allein dies ist noch nicht verbürgt. Gehobenste Stimmung! Siegfried, unser Siegfried wird eine andre Welt finden.
Montag 8ter
Unruhige Nacht; gestern abend noch fuhr Richter zur Stadt, allein die Depeschen, die er brachte, waren unverständlich, nur so viel glauben wir daraus entnehmen zu können, daß die nördliche Armee auch vorgerückt ist; ich wage kaum, dies alles zu glauben. Uns lasten die furchtbaren Verluste auf der Seele; von 3 000 Mann sind 180 lebendig geblieben, vor dem Mitrailleusenfeuer! - Von Bismarck hörten wir folgendes: nach der Kriegserklärung war er abends bei der Königin geladen, dieselbe sagte ihm: Wir gehen wieder einer furchtbaren Zeit entgegen, was wird dieser Krieg noch kosten? »Majestät, ein paar Napoleons«, war Bismarcks Antwort! - Nachmittags zur Gr. B., um ihr meine Charpie, Binden, Leinwand etc. zu bringen. Die Zeitungen (schweizerische, alle französisch gesinnt) melden, die fr. Truppen konzentrierten sich wieder und seien in bester Fassung. Nicht Bazaine, aber Frossard[8] ist geschlagen worden, als er Mac Mahon zu Hülfe kommen wollte; Napoleon telegraphiert es und meldet, alles sei zu reparieren. Doch Paris kommt in Belagerungszustand. Graf. B. erzählt mir, daß der Wiener Banquier Todesco bei ihr war, als die Nachricht des Sieges von Wörth gekommen; er sei bleich geworden, habe von den 30 Millionen gesprochen, die verloren seien, daß gewiß die Österreicher die »Talgerei« machen würden, doch in [den] Krieg zu gehen u.s.w.; was die Gr. auf den Verdacht bringt, daß Beust unter der Hand Geld aufgenommen und nun Österreich mit Frankreich gehen würde. Der Herr Todesco ist nämlich ein Intimus von Beust. Unter andrem sagt er auch: Und dieser Bray, was der nur macht! Wir haben alle geglaubt, er habe eine gute Gesinnung!!! Gute Gesinnung, d. h. französisch! - Wir fahren zum Laden, wo die Nachrichten erteilt werden, es läuft ein Gerücht von einer Niederlage der Deutschen bei Metz, es ist durchaus unbegründet, doch genügt das Wort, um einem bang und weh zu machen. Das Glück ist tückisch, wird es unsrem Heere treu bleiben? In Wehmut und Sorge arbeite ich weiter und sammle mich dann zur Andacht eines tiefen Wunsches.
Dienstag 9ten
Die Luft ist lau, der Himmel grau, das Herz gedrückt, der Geist gebückt, der Busen gepreßt, die Augen genäßt, wer bringt die Kunde, daß alles gesunde? — R. rettete Fidi heute vor großem Unglück; Glasscherben hatte man auf dem Boden gelassen, er kroch darauf und hatte eine große in der Hand. Wollte eben zum Mund damit, als R. zufällig es bemerkte. So ist die stete Gefahr unser Himmel und das Leiden unser Boden, die Luft, die uns ein wenig erfrischt, ist die Hoffnung! - Der Tag behält diese Stimmung, es regnet, vergebens harren wir auf Nachrichten; Loulou wird mir unwohl, und bei Fidi melden sich die geimpften Blattern. - Brief des Pr. Nietzsche, welcher beschlossen hat, sich zur Armee zu begeben. Ich antworte ihm, daß jetzt noch nicht der Moment da sei. Mit Richter haben wir Not, denn dieser möchte am liebsten auch ziehen. Unsre einzige Erholung gestern waren Scenen aus »Heinrich V.« von Shakespeare. - Brief von Claire, ihr Sohn ist fort, ohne ihr habe Adieu sagen [zu] können! - Am Morgen las mir R. Herrliches aus seinem Aufsatz über Beethoven.
Mittwoch 10ten
Loulou zu Bett, keine Nachrichten; trübes Wetter, Fidi leidend, ich verbringe mit Charpie-Zupfen den Tag. Abends gehe ich R. entgegen; von Paris konfuse Nachrichten, man spricht von der Thronabsetzung des Kaisers, Flucht der Kaiserin, Zustand der Marine, nach welchem 120 Schiffe notwendig wären und bloß 23 da sind; wiederum aber Nachrichten, daß die fr. Armee sich konzentriert, die Kaiserin ein Ministerium (Palikao)[9] bildet, Gal Changarnier den Oberbefehl erhält. Keiner kann darin klar sehen. - Nach dem Abendessen lesen wir das ausgezeichnete Kapitel von C. Frantz über die Napoleonische Propaganda. R. voller Vertrauen in [den] Sieg der Deutschen. - Die Schlacht bei Wörth stellt sich immer bedeutender heraus.
Donnerstag 11ten
Stete Besprechung der Lage, R. überzeugt, daß die Deutschen siegen; ich habe den Glauben und dazu die Bangigkeit. R. sagt: Wie die Inder glauben, daß ein unerfülltes Verlangen der Grund ist zum Leben einer andren Seele, so bildet das Verlangen aller Guten nach dem endlichen Aufblühen des deutschen Wesens den Grund zu unsrem Sieg über dieses so gefürchtete Frankreich und seine unglaublich* (In der Handschrift: »scheinenden unglaublichen«) scheinende Organisation -. Wie vorgestern R. Richter abredete (wegen Nutzlosigkeit) in [den] Krieg zu ziehen, sagte er ihm: »Sie werden dadurch zum Abenteurer; aus Liebe zu mir haben Sie Ihre Stellung aufgegeben, jetzt halten Sie aus. Wie Sie in Brüssel waren, erhielt ich einen Brief, unterzeichnet: les mânes de Meyerbeer et de Mendelssohn, und worin mir gesagt wurde, jetzt hätte ich wiederum einen ergebenen Freund, ich sollte ihn nur verheiraten, um seine Frau zu verführen, nachdem ich sein Leben ihm vernichtet.«Ich denke über diese Bosheit nach; keine Schuld fällt auf R.; ist eine Schuld da, so fällt sie einzig auf mich; wie ich diese zu sühnen habe, habe ich mit meinem Gott abzumachen. Richard aber ist unschuldig wie ein Kind. - Ich schreibe an Claire, dann Kindertisch, später beim schlechtesten Wetter Ausfahrt, R. zum Pfarrer, ich zur Besichtigung der Ampel. - Keine Nachrichten, außer daß die von der Geistlichkeit fanatisierten Elsässer auf die verwundeten Deutschen schießen und die Weiber heißes Wasser auf die Köpfe unsrer Soldaten gießen; auch Ärzte sind von den Franzosen umgebracht worden. 26 Bauern aber haben die Deutschen in Folge dessen erschossen. (Gr. Bassenheim plötzlich vornehm gegen Richard!)
Freitag12ten
Mein liebes langes Leben, ruft R. Fidi, der nun beginnt zu gehen! Wie er mich umarmt, sagt er: Ja! Ein holdes Weib, das hat der arme Beethoven nicht gehabt. Mir armem Alten war es vorbehalten, darum hab ich den unsinnigsten Glauben an mich. - Brief von Hans Herrig, bedeutend und originell wie immer. Keine Nachrichten vom Krieg, nur immer schauderhaftes Wetter; die Märsche unsrer guten Soldaten müssen dadurch sehr erschwert sein. Gott sei mit ihnen. - Die Zeitungen bringen Gedichte von Herrn Freiligrath[10] und Bodenstedt etc. etc., da bemerkt R., es sollte in solchen Zeiten den Dichtern wie dem Poeten Cinna in »Julius Caesar« [ ].* (* Satz unvollständig) - Die Ampel wird aufgehängt, zu Fidi's Taufe aber soll sie eingeweiht werden. Sie macht R. Freude und ist wirklich schön. R. oben auf dem Sonnenberg, ich gehe ihm entgegen bei einem rechten Schweizerabend; Jodeln, Kuh- und Glockengeläute, dabei große Stille und Ruhe. Das Wetter hat sich etwas erhellt, und spät abends leuchtet uns der herrlichste Mondschein. - R. arbeitet an seinem »Beethoven«; wir sind ohne Nachrichten.** (** Heft II der Tagebücher schließt hier mit dem »Gebet für das Christkindchen 1869«, entworfen für den 24. Dezember 1869, siehe dort)
13. August 1870 Samstag
Ein neues Heft, beinahe ein Jahr wiederum vollbracht. Sei mir die Gnade vergönnt, nur Besseres von mir hier aufzuzeichnen. Immer tiefere Einsicht in den eigenen Unwert, immer freiere frohere Abbüßung dieses Unwertes, vollständigere Brechung des Eigenwillen, Abwendung von jeder Lebenseitelkeit, Zurückziehung auf das Eine. Sei es mir gewährt, in Liebe die Kinder zu bilden, daß ihre Liebe dereinst meine holde Fürsprecherin, und das einzige Glück möge mir werden, sie in Frieden und Freude gedeihen zu sehen! - Als Nachricht nur das Gerücht, daß der k. Prinz nach London gebracht worden ist; sollte sich dies bestätigen, dann steht es arg mit den Napoleoniden. Unsere Truppen rücken immer weiter voran, Gott sei mit ihnen. Die schrecklichsten Dinge lesen wir von der Unmenschlichkeit der Franzosen, Verwundete, Ärzte sind umgebracht worden, einem der ersteren sind von einem 14jährigen Buben die Augen ausgestochen! Es ist fürchterlich. Wie gestern abend Richter mir von Eva sprach, sagte er, sie würde sicher eine schöne Stimme haben und müsse dann zur idealen Bühne gehen. Ich kann nicht umhin, meinen entschiedenen Widerwillen kund zu geben, und erkläre, daß dann meine Tochter für mich verloren wäre. Ich halte es nicht für möglich für eine Frau, der Öffentlichkeit anzugehören und zugleich ihren weiblichen Beruf zu erfüllen; noch dazu eine Kunst, die ihr aufbürdet, die schrecklichsten Dinge zu spielen. Ist Eva vom Schicksal dafür bestimmt, so werde ich sie als ein Opfer betrachten und mich dazu. - Freude an Loulou und Boni, weil sie lieber nicht spielen, um für die Soldaten zu arbeiten. Loldi fällt R. auf durch einen hübschen Zug um die Wange, dabei bemerkt er: Schon als Kind habe ich immer die Schönheit in den Wangen gesucht, ich wußte nicht, daß das, was ich meinte, das gütige Lächeln ist, das sich über das ganze Antlitz verbreitet; ich schaute mich einmal im Spiegel, um zu sehen, ob ich nicht zu garstig sei: Schön bist du nicht,
dachte ich, aber durchaus häßlich doch auch nicht, denn deine Wangen sind ja nicht häßlich. - Abends jetzt immer die Zeitung; die heroischen wehmütigen Einzelheiten unsrer Siege.
Sonntag 14ten
Diese Stiefmütterchen hat mir R. heute bei der Brunnenpromenade gepflückt, nachdem er mir gesagt: Ich dachte über unsre Liebe; wie man es nennen soll, weiß ich nicht, aber ich weiß, es ist das innigste nicht von einander lassen Können. - Gegen Mittag Gräfin Bassenheim, Frl. Meysenbug und Frl. Herzen zu Tisch. Natürlich bildet die Lage den Gegenstand des Gesprächs; immer entsetzlicher sind die Einzelheiten über die Scheußlichkeit der fr. Soldaten (Turcos und Zuaven). Abends ein Telegramm, daß Nancy von den Unsrigen besetzt ist.
Montag 15ten
Beim Charpiezupfen am Morgen mit Frl. von Meysenbug, welche mit Olga Herzen die Nacht bei uns geschlafen, sprechen wir von Hans; alles, was sie von seiner Stellung in Florenz berichtet, ist höchst erfreulich. Er soll selbst gesagt haben, wenn ich noch ein liebenswürdiger Mensch werde, so habe ich es Florenz zu verdanken. Fidi hat diese Nacht bei mir geschlafen (Frl. Olga nahm seine Stube ein), als ich in der Dunkelheit die kleine Wiege fühlte und den Atem des schlafenden Kindes hörte, war mir selig träumerisch! - Heute ist Napoleonstag, wir denken daran und fragen uns, wie er diesen wohl feiern wird, da kommt Gr. B. mit einer Depesche seines Sohnes aus München; Marechal Bazaine von den Preußen geschlagen, König Wilhelm hat selbst die Kavallerie kommandiert. Furchtbares Weltgericht, wohin wird es kommen mit den Franzosen, wohin? Und Napoleon? Ham, Boulogne,[11] Straßburg, Mexico; muß ihm das alles nicht jetzt erscheinen wie der Kern seines Schicksals und die Kaiserwürde wie die nichtige, jetzt lächerliche Schale?... Marie Muchanoff schrieb gestern, daß der Vater bei der Walküre in einem fort geschluchzt hätte, und daß sie die Scene zwischen Brünnhilde und Siegmund nicht zum 3ten [Mal] hätte sehen können, derart wäre sie ergriffen gewesen. - Neulich, wie ich mit Hoffnung von dem bald entstehenden Kaiser von Deutschland [sprach], sagte R., nicht Kaiser sollte er sich nennen, aber Herzog von Deutschland. Gestern sehe ich nun in der Zeitung, daß der Rektor der Universität zu Berlin, Herr Du Bois-Reymond, auf denselben Gedanken gekommen ist, der uns sehr kühn schien. - Abends bringt das Gespräch uns auf Minna, die erste Frau R.'s; einige Mitteilungen von Frl. Meysenbug hatten mich da in einen völligen Abgrund von Gemeinheit blicken lassen. Mit Tränen in [den] Augen spricht R. mir weiter davon: »So der Hauptbestand meines früheren Lebens, und alles, was ich außerdem angeknüpft, in einer völligen Derision endigend.« Ich müsse mit ihm Geduld und Nachsicht haben, denn ich könne keinen Begriff mir machen von der Atmosphäre, in der er gelebt, »der erste, der mir den Eindruck des Edlen gemacht, war dein Vater«. Wie erscheinen mir solche Worte, mir, die ich ihn nur beständig bewundre und verehre.
Dienstag 16ten
Napoleon behauptet, bei Dougeville die Preußen zurückgeschlagen zu haben, doch ist er auf dem Rückzug nach Verdun, und König Wilhelm meldet seiner Gemahlin: Sieg bei Metz. Es scheint ein Vorposten-Gefecht gewesen zu sein. Ich erhalte zwei Briefe von Pr. Nietzsche, der eine verspätet aus Basel, der andere aus Erlangen, wo er bereits Verwundete pflegt. In ein paar Tagen geht er nach Metz. Mich dünkt, Richter sollte auch gehen, allein es fehlt ihm an Mitteln, und wir können ihn auch nicht genügend unterstützen, das ist traurig und will ertragen sein! - 40 000 Deutsche sind von Paris in unerhörter Weise ausgewiesen, und kein Ende gibt es in der Barbarei des Vorgehens fr. Truppen.
Mittwoch 17ten
Ein Bericht des Bruders macht mich wiederum besorgt, es scheint, die Franzosen gedenken die Deutschen immer mehr zu schwächen, dadurch, daß sie sich zurückziehen und die Deutschen Truppen in den Provinzen (Elsaß, Lothringen etc.) lassen müssen. Auch spricht man von einem bevorstehenden Gefecht zur See! Der Präfekt von Verdun meldete von 10 000 Preußen, die in einer Affaire gefallen waren, und Lyoner glauben und bejubeln diese! Für den Augenblick können wir die Bewegungen der Unsrigen nicht begreifen; sie haben, wie es scheint, Bazaine den Rückzug abschneiden wollen, doch dieser ist vor sich gegangen. Ein Korrespondent der Times, welcher die Schlacht bei Wörth von einem Turm aus angesehen hat, sagte einem Herrn von Loe,[12] daß die Deutschen, wenn sie zurückgeworfen werden, stets in musterhafter Ordnung, wie auf Kommando den Rückzug antraten, während die Franz. Kopf über Kragen, jeder womöglich den vor ihm stehenden Landsmann erstechend, um eiliger davon zu kommen; R. sagt, jede Truppe habe etwas, das sie auszeichne, die Macedonier ihre Phalanx, die Napoleonischen Franzosen die begeisterte Attacke, diese Ruhe und Sicherheit sei das Kennzeichen unsrer Armee, was aber besäße die jetzige französische? Es wird behauptet, die Österreicher hätten sich bei weitem mehr ausgezeichnet (66). Doch ich bin sehr besorgt, denn die ganze französische Nation will sich bewaffnen. Gott sei mit unsren Deutschen! - R. war gestern unwohl, er hatte am Morgen zu viel an seinem »Beethoven« gearbeitet, nachmittags viel mit Richter musiziert, und abends die aufregenden Zeitungsberichte. Wir befürchten, daß die Deutschen den Fr. zu viel Zeit lassen. (Brief von Peter Cornelius an mich.)
Donnerstag 18ten
Richter, den ich zum Sonnenberg geschickt, bringt mir 50 Fr. für die Verwundeten, ich sammle selbst und kann Gräfin B. 137 Fr. zustellen. In der Stadt wiederum zwei widersprechende Nachrichten: die Franzosen behaupten, bei Gravelotte gesiegt zu haben, dagegen von Pont à Mousson die Nachricht, daß nach 12stündiger verlustreicher Schlacht die Franzosen zurückgeworfen und also die gewünschte beabsichtigte Trennung der fr. Armee bewerkstelligt sei. Seit Sonntag sind die Nachrichten so widersprechend, doch glaube ich eher den Deutschen. - Kindertisch; (Loulou beginnt heute das Schwimmen), R. sagt, er hoffe, daß Paris, »diese Femme entretenue der Welt«, verbrannt würde, er
habe Blücher[13] in der Jugend nicht verstanden, der das gewollt, und habe es mißbilligt, jetzt verstünde er ihn, der Brand von Paris würde das Symbol der endlichen Befreiung der Welt von dem Druck alles Schlechten. 1815 hätten es die Alliierten recht vermieden, dieser Stadt etwas anzutun, denn sie wollten sich bald da wieder amüsieren. R. möchte an Bismarck schreiben, um ihn zu bitten, Paris niederzuschießen. - Wie ich von der Stadt heimkomme, ist Dr. Pohl da, und R. singt die letzte
Scene des ersten Aktes der Götterdämmerung. Besprechung der Lage, R. glaubt unbedingt an die deutschen Nachrichten. Es heißt auch, Preußen habe Bayern die 66 geforderten Millionen zurückgegeben. - Wie mich R. sah, sagte er mir: Du kommst, ich bin so glücklich, wenn du wieder
kommst, die Krone meines Lebens genieße ich, indem ich dich wiedersehe - und mir unterwegs brannte der Boden unter den Füßen aus Sehnsucht, ihn wiederzusehen, zu wissen, wie es ihm gehe. R. ist sehr ungeduldig, von Cl. Brockhaus keine Nachricht zu haben, er wünscht sehr, unsre Trauung könnte am 25ten vollzogen werden. In Geduld erinnerte ich alles, denn die Gedanken an das Allgemeine sind zu schwerwiegend. - Wie ich heimkam, traf ich die Witwe des vor kurzem ertrunkenen Meiers, ich redete sie an und war sehr gerührt von der Art und Weise, wie sie über ihr Unglück sprach, und von ihrem Denken. Das Gesicht, verwüstet durch Landarbeit, hat schöne regelmäßige Züge, und ihr Kindchen sah frisch und schlau darein.
Freitag 19ten
Heute vor 13 Jahren bei gleich regnerischem Wetter meine Trauung; [14]ich wußte nicht, was ich da versprach, denn ich habe es nicht gehalten, wenn ich auch weiß, was mich beherrscht hat, nie will ich die Sünde vergessen und ihr beständig in das Antlitz schauen, um Demut zu lernen und Ergebung. Vormittag liest mir R. aus seinem »Beethoven« vor; herrlich ist die Besprechung des eis moll Quartetts und die Parallele mit Shakespeare. Der Rest des Tages geht in Besprechung der Lage vorüber; seit 4 Tagen fechten unsre Truppen; die Franzosen berichten immer von Siegen, doch melden sie nicht die Erfolge, die die Siege ihnen bringen. In Paris darf man den Namen des Kaisers nicht mehr nennen, und die Unwürdigkeit, mit welcher die vorhin bejubelten Menschen [behandelt werden], ist geradeswegs ekelhaft; sonderbar ist, daß diese Pariser Zustände, die früher alles interessierten, jetzt so grenzenlos gleichgültig geworden sind. Sie mögen tun und lassen was sie wollen, wenn sie nur gedemütigt sind. Wie R. zur Stadt geht, wird er angesprochen von einem Herrn, den er nicht erkennt, endlich kommt es heraus, daß es Metzdorf ist, ein Dresdner Revolutionär, welcher die 20 Jahre in Paris gelebt, sich dort mit Stundengeben ernährt hat und jetzt auch ausgewiesen ist! Immer im Namen der Zivilisation! - Wir verstehen die Meldungen von den Gefechten nicht, doch glaubt R., daß alles darauf ankommt, der Kronprinzlichen Armee Zeit zu lassen, nachzukommen. Ich verbiete förmlich, daß man nach Nachrichten geht; es sei ein Frevel, aus solchen Ereignissen einen Gegenstand der Neugierde zu machen. R. gibt mir recht, er sagt: An den großen Zeiten verhunzen die Einzelnen; unter dem Vorwand der Aufregung und der Nachrichten verbringen sie die Zeiten in den Cafes und bummeln auf der Straße herum. - Großen Spaß gestern über Richter, der uns das Duett der zwei Pharaone, jung und alt, aus »Moses« von Rossini vorsingt und damit den Nerv der Lächerlichkeit dieser Kunst trifft. Er hat mitgespielt (Horn) in Wien, wobei R. sagt, es sei eine Schändlichkeit, einem deutschen Musiker zuzumuten, dabei zu spielen. - R. sehr aufgebracht darüber, daß sein Neffe ihm nicht antwortet, setzt eine Depesche auf (an Ottilie), ich bitte ihn zu warten, allein er will nicht.
Samstag 20ten
Gestern schon hatte mich eine Korrespondenz des Bundes sehr aufgeregt, es hieß, der Guerilla-Krieg stünde den Deutschen bevor, und heute heißt es in der A.A.Z., wenn die Deutschen nicht bald Bazaine vernichten und nach Paris eiligst marschieren, können alle ihre Siege verscherzt sein. - Wie die Sorge mich ganz übermannt, meldet man mir die Gräfin B., und diese meldet einen Sieg vor Metz, die Franzosen von Paris abgeschnitten. Das ist offiziell. Nun Gnade Gott unsrer herrlichen deutschen Festigkeit, daß der Preis diesen furchtbar herrlichen Kämpfen entspreche. - (Brief Clemens Brockhaus' heut doch angekommen, da sieht man, daß man immer und immer sich gedulden muß, sagt R.) Ich schreibe an Mathilde M. und an Judith Mendes; letztere werden wir wohl nicht wiedersehen. - Jakob bringt die Nachricht, daß all unsere Papiere in der Pfarrei liegen, daß nur der Pfarrer Tschudi ein Türle (kleine Tour) mache, und wir deshalb nichts von ihm gehört! - Die Nachricht des Sieges bestätigt sich; R. entwirft ein schönes Gedicht für den König,[15] welches er auf dem Titelblatt des 1ten Aktes der Götterdämmerung aufschreibt, die er zum Geburtstag abschickt. Ein guter Tag ist heute, doch ist man wie im Traum, einzig sehe ich das Schlachtfeld. David Strauß schreibt einen offenen Brief an Renan, in welchem er ihm die ganze Lage Deutschlands Frankreich gegenüber auseinandersetzt; einige Geschmacklosigkeiten abgerechnet ist die Darstellung vortrefflich. Eine Depesche meldet, daß Napoleon von der Mobilgarde beschimpft, beinahe mißhandelt worden ist, ohne bei der Armee Schutz zu finden. Mac Mahon hat ihn als Gefangenen nach Reims gebracht!! Das ist das Volk, das auf Deutschland sich werfen wollte! Sehr unanständig erscheint es, daß die deutschen Frauen am liebsten fr. Verwundete pflegen, um ihr bißchen Französisch anzubringen. - Spät abends ein Brief von Judith M., sie wollen doch kommen, was allerdings sehr merkwürdig ist. - Wiederum ein Gedicht Freiligrath's; es ist doch wirklich elend, diese Reimmacherei in der furchtbaren Zeit, wo das Herz krampfhaft zuckt bei jeder Botschaft. - Mazzini ist gefangen; so sind denn die drei Gestalten, welche mein Vater verehrte, in unbeneidenswürdiger Lage, Mazzini im Gefängnis, der Papst in 1000 Ängsten, und L. Napoleon — in der Gosse, wie Dr. Wille es vor langen langen Jahren zu des Vaters
Empörung prophezeite. - >Sein guter Geist<, nennt mich R. zu wiederholten Malen am Abend, indem er gerührt an unsre bevorstehende Trauung denkt.
Sonntag 21ten
Heute werden wir in der Kirche verkündigt; und Donnerstag, am Geburtstag des Königs, wird die Trauung vollzogen werden. Loldi liegt zu Bett unwohl. Hübscher Brief von Marie Muchanoff, dem ich sogleich antworte. Dr. Suiter[16]meldet, der König von Preußen habe Friedensvorschläge gemacht; Gott weiß, werden dieselben angenommen werden? (Briefe an R.'s Schwestern, an E. Ollivier, an Claire, an Mme Schure etc.). Nachmittags Besuch des Malers Pecht, der uns recht freut. (Brief von Pr. Nietzsche; er komponiert im Lazarette.)
Montag 22
Die Heimatscheine der älteren Kinder kommen an, was sehr wichtig ist, um hier ruhig zu leben. Die Friedensnachrichten bestätigen sich nicht; in völliger Unkenntnis aller Ereignisse leben die Franzosen, welchen der Kriegsminister stets freudige mysteriöse Gesichter zeigt. 50 000 Leute sind von jeder Seite gefallen. R. schreibt einen herrlichen Brief an die Mutter; ich schreibe an Frau Wesendonck und frage R., ob er mit dem Brief zufrieden; dieser meint, es sei zu viel, er habe auch poetisch dieses Verhältnis verschleiert, um dessen Trivialität nicht zuzugeben, doch sei ihm selbst das Poetische erstorben, und er würde nicht gerne daran erinnert. Er meint, ich würde eine unschöne Antwort bekommen, ich glaube es aber nicht, denn ich glaube nicht unzart mich benommen zu haben. - Herr Pecht speist mit uns, und wir freuen uns herzlich, ihm Tribschen zu zeigen. Die Trauringe kommen an. R. sagt, er müsse wie ein Kind hell laut lachen, wenn er meine Unterschrift lese: Cosima Wagner, es sei ihm wie ein Traum. Ich bitte Gott, mir zu Gnaden in der Freude der Trauernden, Leidenden nicht zu vergessen. (Abends gestern und heute »König Johann« gelesen, allein man ist beinahe unfähig, selbst Shakespeare zu folgen, in dieser aufgeregten Zeit.) Brief Claire's.
Dienstag 23ten
Die Franzosen haben bei Metz auf den Parlamentair und seinen Trompeter gefeuert; so fahren sie in ihrer Unmenschlichkeit fort. Ich schreibe an Claire und erkläre ihr den Unterschied zwischen den Deutschen und Franzosen. Loldi immer unwohl, ja kränker als gestern, was in uns die Besorgnis erweckt, wir werden uns Donnerstag nicht trauen lassen, da ich keine der Kinder dabei entbehren will. Ich schreibe an Elisabeth Krockow. Nachmittags liest uns R. aus Beethoven's Briefen; mir ist, als ob ich jetzt alles verstünde. Wir sprechen über den gestrigen Besuch; von da ab sprechen wir von der Überraschung der meisten, wenn sie unser Leben auf Tribschen sehen, »was die meisten sich nur vorstellen!« »Ja«, sagt R., »so erhielt ich vor 5 Monaten ungefähr einen Brief von einer anonymen Frau, die mir sagte, sie habe sich verwettet, ich würde dich nicht heiraten, ich möchte ihr in den N. Nachrichten ein Ja oder Nein wissen lassen, meine Freunde seien hierüber in Sorge, du seiest eine Intrigantin, und der König sei sehr ungehalten über das Gerücht.« Die Bosheit der Menschen erschreckt einen immer; was hat eine solche Frau, der ich gewiß nichts zu Leide getan, was hat sie davon, mich also zu schmähen? Hat denn nicht eine jede ihren Kreis, in welchem sie sich bewegt, für den sie schafft, wie kommt eine dazu, eine Unbekannte so zu beschmutzen? - Der Neid kann es nicht sein, denn in der Welt wird mich niemand beneiden, die ich aus der Welt geschieden bin.
Mittwoch 24
Daß der Ernst des Lebens niemals uns vom Gedächtnis schwinde, ist meine Loldi so unwohl, daß sie morgen der Trauung nicht wird beiwohnen können; wir lassen ihr Eva zur Gesellschaft, und somit ist ein Flor über die liebe Feierlichkeit geworfen. R. fährt zur Stadt, um die letzten Vorbereitungen zu treffen, und ich erkläre den Kindern den morgen stattfindenden Vorgang. Sie weinen mit mir und lächeln dann auch mit mir, schließlich lacht Boni beinahe laut: »Du heiratest Onkel Richard.« - Sehr ergriffen sind wir von der Beschreibung der Schlacht bei Wörth und deren Ausgang mit dem Gesang: »Nun danket alle Gott.« -Die fr. Zeitungen fahren fort zu lügen, sie sagen, daß die Deutschen die Verwundeten mißhandeln und alle jungen fr. Leute aufnehmen und zwingen, in erster Reihe zu kämpfen; von diesen Lügen aus gehen die schauderhaften Repressalien aus, die die Franzosen ausüben. Napoleon hat verlangt, nach Paris zurückzukehren, um unter den Mauern dieser Stadt zu sterben, Palikao hat geantwortet, man könne ihn nicht brauchen, und wenn es ihm mit dem Sterben ernst wäre, so könne er es in Reims ebenso gut vollbringen. R. erklärt uns die ganze Operation gegen Bazaine, und wir müssen die Genialität dieses Planes bewundern. Das fühlt auch der Soldat, sagt R., wenn er gut geführt wird, wie die Mitglieder des Orchesters unter einem guten Dirigenten, jeder Einzelne findet den Vortrag dann von selbst, aber das richtige Tempo muß angegeben werden. Besuch von Frl. Meysenbug mit einem außerordentlich deutsch gesinnten Palermitanischen Professor (Baierna?).[17] - R. sagt mir scherzend, ich würde mich ärgern über diesen Mangel alter Symbolik in der protestantischen Trauung;[18] wir besprechen weiter diese häßliche Sitte der Hochzeitsgafferei; alles kommt hier auf Mein und Dein für die Gesellschaft an, und auch die Kirche bekümmert sich nur um dieses Thema, du hast und du hast nicht, dafür kriegst du im Himmel! - Die Zeitungen sind immer voll empörender Notizen über die Artigkeiten der deutschen Frauen gegen fr. Offiziere, um ihr bißchen Französisch anzubringen. »Es ist sehr schade«, sagt R., »daß die Deutschen ihre Frauen nicht mehr prügeln, wenn das wieder der Fall würde, erlebten wir am Ende eine Revolution in unsrer jetzigen Literatur.« Ich schlage vor ein Autodafe von Chignons, Crinolines etc. auf dem Odeonplatz in München. - R. erzählte bei Tisch, bei der Einweihung der Julisäule in Paris (zu welcher Feierlichkeit Berlioz die Musik komponierte) hörte er hinter sich einen sonderbaren Dialekt, den er sofort für Deutsch erkannte, doch nicht recht verstand; ein lotharingischer Bauer war es, der sprach, »also doch noch Deutsche sind's, dachte ich, doch stimmte es mich traurig wie ein Vogelgesang im Herbst«. (Ich schreibe dies alles nieder an Loldi's Bett, sie macht mir Sorge; der gute Richter ist schuld an ihrem Unwohlsein, dadurch, daß er sie hat schwimmen lassen und zu lang im kalten Wasser gehalten. Ich muß R. sehr halten, daß er ihm keinen Unwillen über die Unvorsichtigkeit zeigt. Mir ist jeder Kummer ein Fingerzeig, und ich weiß, so muß es sein, Gnade mir Gott, nur niemandem mehr wissentlich oder unwissentlich ein Leid zu bereiten!
25ten Donnerstag
Um 8 Uhr fand unsere Trauung statt; möge ich würdig sein, R.'s Namen zu tragen! Meine Andacht hat sich auf zwei Punkte gesammelt, R.'s Wohl, daß ich es stets befördern konnte; Hansen's Glück, daß es ihm fern von mir beschieden sei, ein heitres Leben zu führen. Mendes' sind nicht gekommen, haben auch nichts gemeldet. Wir sind um sie in Sorge. Nachmittags Brief Judith's, Catulle würde als Deserteur betrachtet werden, wenn er jetzt Paris verließe. Dann Depesche Marie Muchanoff's, von Tausig und Lenbach unterschrieben, sie beglückwünschen uns. Nachmittags geraten wir in große Sorge um Loldi, welche ihr Fiebern nicht verliert. Wir verlegen die Taufe, welche nächsten Sonntag sein sollte! Große Sorge! Mich beängstigt nebenbei auch ein Bericht des Bundes, welcher die großen Gefahren darlegt, die für die Deutschen das Vorgehen vor Paris hat. In schwermütigen Sorgen, doch glückbewußt, trennen wir uns abends.
26ten Freitag
Der Doktor, den ich auf das Gewissen frage, wie es mit Loldi steht, beruhigt mich unbedingt. Erheiterte Stimmung hierüber. Brief von Herrn Lenbach, der mir ein Portrait schenkt, was mich R.'s wegen ungemein freut. Glückwünschende Depesche des Königs. Wir machen unsre Besuche (bei Frau Am Rhyn, Bassenheims, dem Pfarrer und Frl. Meysenbug). Heimgekehrt versenden wir die 120 »faire part«; Bouquet von Edelweiß, von Frau Wesendonck mir zugeschickt. Dagegen unerquicklicher Briefverkehr mit Dr. Wille, dessen Frau uns lieb und wert ist, der sich aber mit gewisser Roheit in den Verkehr mischt. Abends Frl. Meysenbug, Pr. Blazerna und das Frl. Herzen zum Tee (Loldi etwas wohler).
Samstag 27ten
Gänzliche schlaflose Nacht, ich kann gar keine Gesellschaft mehr ertragen. Loldi schläft bei mir, ich bewache ihren ziemlich ruhigen Schlaf. Brief von Schures, die Straßburg brennen sehen und als gute Elsässer eigentlich nicht wissen, was sie denken. Gratulationsbrief des Hofrat Düfflipp. Hübscher Brief der Mutter an R., ich danke ihr dafür. Die drei gesunden Kinder bei Frl. v. M. (gestern zeichnete sich Loulou aus durch sehr nettes Menuett-Tanzen); ich hole sie ab. Abends Brief von M. Maier, der ich auch sofort schreibe. R. schreibt an Schure und ermahnt ihn, Deutscher zu sein. Louis Blanc[19] ist der einzige Franzose, der in diesen Zeiten ein vernünftiges Wort gesprochen, er rät zur Republik und dann zur Alliance mit Deutschland. - Gestern abend spielte Richter aus Lohengrin, und ich empfand, wie das eigentlich mein Schicksal entschieden hat; wie ich dem Lande angehören wollte, das einzig solches hervorbringen konnte. - (Loldi immer krank.)
Sonntag 28ten
Am Morgen ruft mir R. zu: »Cosima Helferica[20] Wagner, so mußt du heißen, denn du hast in Wahrheit geholfen.« Um 10 Uhr machen wir uns auf und kommen gegen zwei Uhr in Mariafeld an. Sehr freundlicher Empfang der ganzen Familie; die Frau Dr.* (Eliza Wille) sagt mir: »Mit wahrer Teilnahme bin ich Ihnen gefolgt; Sie haben Enormes auf sich genommen und ertragen und sind dabei so jung.« Vom Vater teilt sie mir mit, er habe gesagt: »Jetzt hat meine Tochter den Mann, der ihrer würdig ist.« Wir bringen dort einen hübschen Tag zu. Gar mancherlei weiß Dr. W. zu erzählen, unter anderem von Napoleon III.: daß, wenn einer seiner Schützlinge Geld braucht, er sich zu Bett lege, was dann eine Baisse gebe, wobei der Günstling sein Geschäft mache. - Den Dichter Georg Herwegh vergleicht er mit einem eingeschlafenen Fuß. Vieles Witzige kommt vor, und vor allem freut es R., mich immer Frau Wagner nennen zu können. Mich beglückt es zu sehen, daß eine alte bewährte Freundin R. sein Schicksal gern in meine Hände [legen] sieht.
Montag 29ten
Ich befürchtete für R. eine üble Nacht, weil er nicht gegangen und das Mahl ein wenig reichlicher, als wir es gewohnt sind, war; zu meiner Freude sagte er mir am Morgen, er habe gut geschlafen: »Ich glaube, daß es dein ruhiger sanfter Schlaf, lieber guter Engel, der mich so beruhigt hat«, sagt er. Wir nehmen Abschied von der guten Familie und kommen hier an. Loldi ist etwas wohler, und die übrigen Kinder munter und gesund; außer Gratulations-Karten finden wir nichts vor. Aber am Züricher Bahnhof hat mir R. eine fr. Zeitung gebracht, Paris-Journal, dessen Lektüre mich in grenzenloses Staunen versetzt hat! Von der Eifersucht des Kronprinzen auf den Prinzen Friedrich Karl werden die Pläne des Feldzuges hergeleitet, dann die fr. Siege verherrlicht, endlich von der Disharmonie zwischen Württembergern, Preußen, Badensern berichtet, dann von den Räubereien der Deutschen erzählt, schließlich auf die Deutschen gehetzt! Es ist nicht zu glauben, und die deutschen Berichte geben nicht entfernt eine Idee von diesem Zustand. Immer lächeln die Minister siegesbewußt. Die fr. Regierung hat es nicht gestattet, daß die Verwundeten über Luxemburg transportiert werden; infolgedessen müssen ihre eigenen Verwundeten liegen bleiben, da die Deutschen die ihrigen zuerst besorgen. - Entsetzliches Wetter. (Brief des Pr. Nietzsche aus Maximiliansau.) Abends Frl. v. M. Wie wir zu Bett gehen, betrachten wir noch, bevor wir uns trennen, Loldchen im Bett bei mir; rührender Anblick, wir müssen weinen vor dem schlafenden Kind! »Daß sie nur keine Heilige wird«, sagt R. »Die dulde ich nicht im Hause.«
Dienstag 30ten
Brief von Elisabeth Krockow, die sich herzlich über meine Trauung freut. Loldchen hat eine gute Nacht gehabt, doch ist sie immer fiebrig. Lungenkatarrh nennt der Doktor die Krankheit. Richter erzählt mir zu Mittag, daß er es gesehen hat, wie ein kleiner Zaunkönig von einer Krähe gepackt wurde, auch den kläglichen Schrei hat er vernommen. Nachmittags bis Abend Besuch von Frl. M.; R. liest uns aus »Was ist deutsch« vor und wundert sich, daß ich es eigentlich auswendig weiß. Auch wird musiziert. Wir nehmen Abschied von der vortrefflichen Freundin. - Mir gute Nacht wünschend, sagt R.: »Du bist mein gutes Dasein«, und lieblich übermütig sagt er zur M.: »Ach! Ich bin so glücklich!« Mir ist es wie ein Traum, daß ich ihm wirklich genügen, ja ihn beglücken darf! - Wir erzählen unsrer Freundin die Anekdote, die uns Dr. Wille von Gottfried Kinkel[21] und dem polnischen Grafen Plater erzählte; letzterer hatte ersteren ganz für die polnische Sache gewonnen; sie kamen bei Dr. W. zusammen und baten, sich aus der Gesellschaft zurückziehen zu dürfen, wichtiger Besprechungen wegen. Da geht Frau W. einmal hinein, um etwas anzubieten, und hört, wie Kinkel zu Plater sagt: »Nein, sehen Sie, Danzig können wir Ihnen nicht geben.« Frl. v. M. lacht sehr, indem sie die Demokraten alle daran erkennt; sie sagt, wie oft habe sie über Triest verhandeln hören.
Mittwoch 31ten
Der Doktor sagt, man erwarte für heute oder morgen eine Schlacht zwischen M. Mahon und dem Kronprinzen, Gott bleibe bei den Unsrigen! Sehr schöner rührender Brief von der Schwester Ottilie, welcher bezeugt, daß sie unsäglich mit uns gelitten hat. R. sagt, sie habe von der Mutter den wahrhaft frommen Sinn geerbt. Loldi immer sehr leidend. Ich schreibe an Claire und Judith, Gott weiß, ob da Briefe ankommen! R. entgegen spazierend. Abends liest er uns die Einnahme von der Festung Ismail von Byron; höchst merkwürdig und fesselnd, R. sagt: Er ist der einzige wirkliche Dichter des Jahrhunderts, der die Zeitereignisse beschaut und wiedergegeben; Goethe und Schiller haben sich davon abgewendet.