Juli

Freitag 1ten
Stürmisches Wetter; R. arbeitet. Nachmittags der »Fürsprech« ;[1] er denkt, daß noch alles in Ordnung diesen Monat kommen kann. Mich stimmt dies stets ernst, ja beinahe wehmütig, und ich fühle mich leidend. Vom Spaziergang bringt R. eine Depesche aus Weimar mit 46 Unterschriften, die vier Vorstellungen sind vorüber, und sie schicken R. einen silbernen Lorbeerkranz. - Viele Freude an Fidi, »man muß alt geworden sein wie ich, um zu wissen, was das für ein Glück ist«, sagt R. zu Richter. Und »wenn dieser Junge nicht besser und größer wird als ich, dann lügt alle Physiognomik«. - Abends spiele ich mit Richter aus den Quartetten von Beethoven, dann liest R. die zwei ersten Akte von »Macbeth«, wobei uns die sehr schlechte Übersetzung (Tieck, nicht Schlegel) auffällt.
Samstag 2ten
Regenwetter, eine vorgenommene Partie auf den Pilatus dadurch vereitelt. R. arbeitet und beendigt die Skizze des ersten Aktes.[2] Gleichzeitig mit der großen Freude über dieses Resultat muß ich in der A.A.Z. eine nichtswürdige Besprechung der Walküre erleben; ich zerreiße das elende Ding. Pohl schreibt auch in den Signalen; sehr schwach und matt. Abermaligen Brief des Verlegers Lucca, der R. sehr verdrießt; abends wieder Quartette. - R. spricht von seinem Aufsatz Beethoven und die deutsche Nation, dann von seinen drei heroischen Lustspielen, Luther's Hochzeit, Bernhard von Weimar und Friedrich der Große. Brief von Claire.
Sonntag 3ten
Ich bin nicht wohl; schreibe an Lucca für R., R. selbst an Härtels einen Brief, den ich für Lucca übersetze. Zur Stadt nach dem Kindertisch. Abends »Macbeth«, dessen Eindruck wieder ein zermalmender ist. »Wie in Antonius, im Hamlet, im Othello, zeigt uns Shakespeare im Macbeth ein durch das Schicksal ganz aufgeriebenes Wesen. Es ist keine Spur mehr von dem Macbeth, wie er in der Erzählung geschildert und anfänglich verehrt wird, das Dämonium waltet, und das Individuum hört gänzlich auf. Das ist das Große, das Tragische.« Bei Tisch zum Dessert wird durch Jakob der silberne Lorbeerkranz aus Weimar gebracht. Er ist recht hübsch. - Brief vom armen C. Frantz mit der Zusendung der »Naturlehre des Staats«, er hatte sie R. widmen wollen und angefragt, da dieser nicht darauf geantwortet, hat er nicht die Widmung gewagt! Der Tod seines Sohnes hat alle seine Lebensfreude auf ewig vernichtet.
Montag 4ten
R. schreibt Briefe; ich befinde mich sehr unwohl, beständige Übligkeiten, die mich in einen ganz ohnmächtigen Zustand versetzen. Ich kämpfe so gut ich kann und gebe den Kindern ihre Stunden.
Nachmittags Ausfahrt. Es kommt eine Citation vom Stadtgericht für den 18ten Juli. Allerlei Zeitungen mit Torheiten über die Walküre; der König richtig weder der Generalprobe noch den zwei ersten Vorstellungen beigewohnt, dafür aber 40 000 Gulden ausgegeben und R.'s Herz gekränkt. R. meint, er sei nicht hineingegangen, weil in seinem Brief an Esser R. gesagt habe, der König wünsche die Aufführung, nun galt es sich den Spaß zu machen, ihm ein Dementi zu geben. Abends beginnen wir das »Dichterleben«[3] von Tieck.
Dienstag 5ten
Wunderschöner Tag, doch befinde ich mich sehr unwohl; mit Mühe den Kindern ihren Unterricht gegeben. R. schreibt verschiedne Briefe, ich an Herrn Simson in Berlin.[4] Nach Tisch Ausfahrt nach Hergeschwyl, wir beschließen für morgen die Partie auf den Pilatus, weil ich glaube, daß eine Luftveränderung mir einzig helfen kann. Im Wagen spricht R. von der Zusammensetzung mehrerer Themen in der Musik; das Ohr vernimmt nur eines, aber die Beifügung der andren als Begleitung schärft und erhöht den Eindruck dieser einen gehörten Melodie ungeheuer. In der Dichtkunst gäbe es keine ähnliche Wirkung, außer vielleicht durch die Äquivoque, den Humor, die Ironie, wie z. B. wir im »Don Carlos« vieles bewundert hätten (Scene von Don C. mit Alba) und der ganze »Tasso« auf eine ähnliche Wirkung basiert ist. Allein in der Dichtkunst erreicht man den Zweck durch das, was verschwiegen wird, in der Musik durch Positives; nur müßte man es verstehen, die Themen aufzubauen, so daß wirklich die Hauptmelodie durchklinge; Berlioz z. B. sei es nicht gelungen in der Scene au Bai, das Liebesmotiv klingt wie der Baß. - Am Morgen liest mir R. aus Schopenhauer den Passus, wo er Platon's Ideen mit Kant's Ding an sich vergleicht und zugleich die Kritik des Mißverständnisses macht, welches die Nachfolger Kant's hier begangen. - Am Abend bin ich so leidend, daß ich mich bald legen muß.
Mittwoch 6ten
R. hat einiges in meinem Tagebuch gelesen und mißverstanden, was mich tief schmerzt. - Der Dr. kommt und verbietet mir die Pilatus-Partie. Furchtbare Schwüle, die Kinder in Nachthemden herumlaufend. Besuch des Grafen B. Der König scheint die Gräfin nicht zu empfangen, wie er überhaupt keine Frauen sehen mag. Nachmittags fahre ich aus, abends Fortsetzung des »Dichterlebens«. Recht viel Bedeutendes, nur daß Tieck alles ist, nur kein Dichter.
Donnerstag 7ten
Ich bin immer leidend und kann seit bereits vier Tagen gar nichts essen; doch lassen die Schmerzen etwas nach. Kindertisch; die Illustrirte Zeitung mit den Modenbildern bringt R. auf die Bemerkung, die Pariser Welt wenigstens drückt in ihren Trachten sich vollständig aus wie sie ist, der Mann in seiner rohen Schlaffheit, die Frau in ihrer provokanten Frechheit. Es ist das vollendete Bild einer Welt, mit welcher wir freilich nichts zu tun haben. Aber die Deutschen, die diese Moden nachmachen! Die Pariserin weiß auf ein Haar, was sie ist, wie sie ist, und zieht sich danach an, die Deutsche aber, die schaut zu ihrer Nachbarin, beneidet sie und will es ihr nachmachen, wenn es ihr noch so schlecht steht. Die Schönheit ist wohl von unsrer Welt auf ewig fort; wir werden noch den Gedanken haben und die religiöse Welt der Musik, aber die Schönheit, die sich in Trachten und Bauten kund gibt, die kann nur von einer hochsinnigen Aristokratie, die sich eines fühlt mit dem Volk, ausgehen, und die ist dahin. Nach den Befreiungskriegen wäre der Augenblick gewesen, wo der ganzen Nation ein Schwung zu geben war, allein da haben sie alle das Wort deutsch gefürchtet wie die rote Republik. Brief eines enthusiastischen Bildhauers (Natter),[5] der erst jetzt den Ring des Nibelungen gelesen hat und ganz davon erfüllt ist, er schickt eine Statuette Brünnhilde. Besuch des Kmeisters Herbeck; R. ärgert sich, ihm noch Dinge zu sagen [zu] haben, die er in der Broschüre zur Reform des deutschen Operntheaters ausführlich behandelt hat. R. nimmt die Nornenscene mit Richter durch; abends Spaziergang im Garten im Mondenschein bis elf Uhr.
Freitag 8ten
Gerüchte vom Krieg, wegen der spanischen Thronbesteigung eines preußischen Prinzen;[6] die Franzosen wie immer lächerlich aufgeregt, daß etwas ohne sie geschehen soll. Loulou unwohl, unsre Pilatuspartie wieder in Frage; großes Gewitter, R. spielt mit Richter die A dur Symphonie und sagt: »Man muß von Zeit zu Zeit sich immer wieder diese wunderbaren Dinge vorführen, um immer mehr dieses Walten des Willens zu erkennen, das so sicher ausspricht, was jeder versteht und keiner deuten kann.« - Abends bringt Richter den Studenten zur Besprechung der Partie mit, und da dieser in dummer Weise mit der Feier der Schlacht bei Sempach sich wichtig macht, wird R. sehr böse und sagt ihm, wie traurig sich solche Spielereien ausnehmen bei einer gänzlich demoralisierten Population, die nichts weiß als die Fremden prellen und den Jesuiten freies Spiel lassen. Hinterher bereut R. sehr seine Heftigkeit.
Samstag 9ten
Ich bin wieder wohl, aber Lusch liegt zu Bett, so ersetzt eine Sorge ein Leiden, das [ist] das Leben! Die Statuette ist angekommen; sie ist ganz artig gearbeitet, nur tut es mir leid, daß der Bildhauer nicht die barmherzige liebende Walküre Brünnhilde - die eigentlich Schöpfung R.'s - gewählt hat, sondern die düstre Rachebrütende, die ebensogut die Geibel'sche[7] oder Hebbel'sche sein könnte; denn in dieser Empfindung ist - sie in R.'s Dichtung nicht mehr sie selbst. Loulou erholt sich im Bett, ich lese ihr aus »1001 Nacht« vor. - Gestern beglückte mich wiederum R., indem er sagte: »Wie glücklich ich doch bin! Nur 15 Jahre jünger möchte ich sein, und wie manche Verirrung wäre mir erspart gewesen, hätte ich dich gehabt. Und eines ist sicher, nicht einen Ton würde ich ohne dich mehr geschrieben haben.« Er schreibt kategorisch dem Verleger Kahnt seine Bedingungen. Im übrigen bereitet er seinen Aufsatz über Beethoven vor. - Abends Fortsetzung von »Dichterleben«, die Puritanerscenen machen uns Vergnügen. -
Sonntag 10ten
Da Loulou erholt ist, beschließen wir die Partie. Hübscher italienischer Aufsatz über die MSinger in Weimar. Kindertisch. Um 4 Uhr bei schönstem Wetter die Fahrt nach Hergeschwyl, von dort Besteigung des Pilatus, eine förmliche Caravane, Führer, Träger, Chaisenleute, der Student, Richter, Jakob, wir zwei und die zwei Großen. Heiterer Ritt; mit dem Emporkommen allmähliche Befreiung der Lasten, nur die Liebe waltet und bekundet sich im hohen reinen Äther. Erhabener Eindruck der Stille und Einsamkeit; solche Eindrücke haben ihn bestimmt zu dem Götterleben im Ring des Nibelungen.Herrlicher Mondschein auf dem Pilatus. Die Kinder lustig.
Montag 11ten
Den Sonnenaufgang allein betrachtet, großer ruhiger Eindruck. - Sonst sind wir sehr müde, der Ritt hat uns angestrengt, und die Ruhe war nachts nicht möglich der vielen Passagiere wegen. Wir machen einen Gang über Geröll zu einer mit Alpenrosen bedeckten Alp, lagern uns darauf, dann vergeht der Tag in Versuchen des Ausschlafens. »Dichterleben« 1ter Teil ausgelesen; wenn auch die Form durchgehend plump und ungeschickt ist, so interessiert uns nichtsdestoweniger die ganze Anlage sehr. - Früh zu Bett.
Dienstag 12ten
Das Wetter ist unsicher und ich bin unwohl, doch beschließen wir die Besteigung des »Esels«, nachdem wir in dem Tempel einiges aus Schopenhauer gelesen (Was einer vorstellt).[8] Ich schreibe noch in der Gaststube meine Notizen auf. - Mit Sturm und Regen angelangt, ich lege mich leidend zu Bett.
Mittwoch 13ten
Ich bringe den ganzen Tag zu Bett zu, in großem Unwohlsein. In seiner Liebe und Güte liest mir R. vor; der zweite Teil von »Dichterleben« fesselt uns sehr, die Geschichte der Heirat erinnert an R.'s Ehebündnis und scheint durchaus glaubwürdig, und in Southampton finden wir den König von Bayern wieder. - Ein Führer bringt die Notiz, daß von Paris aus an den König von Preußen ein Ultimatum ergangen ist, er solle seinem Verwandten die Thronannahme untersagen, widrigenfalls Krieg!! Ich bin ganz außer mir über diese französische Unverschämtheit; dieses Volk verdient eine unbarmherzige Züchtigung.
Donnerstag 14ten
Regen. Ich bin etwas wohler und stehe auf. R. sagt mir, es sei ungerecht von uns, Zerstreuungen zu suchen, wie sie die andren Leute brauchen, uns würde so eine Partie nie glücken; dafür hätten wir unser Glück. Er wolle zwanzig Jahre so leben, ohne sich zu rühren, mit mir und den Kindern. - Wie ich ihn gestern kindisch f rüg, ob er mich liebe, antwortete er: »Ich möchte wissen, was ich anders tue als dich lieben.« -Wir lesen im »Dichterleben« weiter, und ich schreibe den gestrigen Tag in dem Buch auf. Der Abend klärt sich auf und wir können auf den Esel klettern. Depesche Richter's, sie meldet die Anwesenheit Karl Klind-worth's in Luzern. (Richter ist nämlich am Morgen mit dem Studenten fortgewandert).
Freitag 15ten
Am Morgen höre ich die Morgentraumdeutweise,[9] bald hierauf tritt R. zu mir und sagt, Karl Klindworth sei da und zwar mit Richter, der wirklich kaum hinunter, wieder hinauf. Wir rüsten uns zum Abschied von der Höhe. Klindworth hat Hans in Berlin gesehen. Diesem gehe es wohl, er sei mit seinem Aufenthalte in Florenz sehr zufrieden, projektiere eine Reise nach Amerika. Soll mir der Trost noch beschieden sein, daß es Hans wirklich gut gehe, dann, o Gott, hat es wohl nie eine Glücklichere als mich gegeben! - K. Kl. hat die Walküre in München gesehen, und der Eindruck soll überwältigend gewesen sein; durch ihn erfahre ich auch, daß der Vater mit einem Troß von Bekannten zu der Aufführung der Walküre reist und dann nach dem Oberammergauer Passionsspiel. Wie verschieden dieses Leben von dem unsrigen, wie nach außen gekehrt, zerstreuungsbedürftig, wie groß die Kluft zwischen uns! - Heimgang über Alpnach bei sehr schönem Wetter; heitre Ankunft, gute Kinder! Fidi bleich; Loldi hat den Stall der Zuchthäusler gesehen (das Zuchthaus); Eva verschlafen. In den Zeitungen aber die Verkündigung des Unfehlbarkeits-Dogmas und der Krieg! Die übermütigen frevelhaften Franzosen begnügen sich nicht mit der Verzichtleistung des Prinzen von Hohenzollern, sie fordern durch den Gesandten Benedetti vom König von Preußen ein Versprechen, daß derselbe niemals seine Zustimmung zu der Annahme der spanischen Krone seitens eines preußischen Prinzen geben wolle. Der König, wie sich gebührt, empfängt den Gesandten nicht. Nun wird gerüstet! Diese Nachricht bringt uns ganz außer uns.
Samstag 16ten
Kein Auge geschlossen, die Aufregung ist zu groß! Nach einem Brief Catulle Mendes' werden uns die Freunde wahrscheinlich nicht besuchen, und das ist uns recht, denn einen Franzosen jetzt zu sehen wäre sehr unangenehm. Noch dazu bringt die Zeitung die aufklärende Notiz, daß der Kaiser sehr wohl von der Thronkandidatur des Prinzen H. gewußt und nur empört sei, weil derselbe sich geweigert habe, eine Nichte der Kaiserin, Frl. d'Alne [?] zu heiraten. Das haben nun die Minister nicht gewußt, sind von ihrem eigenen Kaiser düpiert!! Wegen einer Gaunerbande wird der Brand in Europa geworfen. Und dazu singt das Volk in Paris die Marseillaise, und à bâs la Prusse! - Ich schreibe an Hofrat Düfflipp, weil uns unter andrem K. Kl. die sonderbare Nachricht gebracht, daß sie nicht recht wüßten, ob sie die Walküre den Intendanzen verweigern sollen, die sie anzukaufen fordern. In München soll alles derart drunter und drüber gehen, daß sie gern Bülow wieder dort hätten und alles dort umändern möchten. R. erklärt, nie wieder einen Fuß nach München setzen zu wollen. - Gestern Besuch der Gräfin B., welche mir sagt, alle Hoffnungen, die sie in Bezug auf ihre Angelegenheit hätte, verdankte sie mir. Brief des Pr. Nietzsche, der aus Rücksicht gegen uns nicht nach München zur Walküre gegangen, ich antworte ihm und suche ihn möglichst für das deutsche Recht der Preußen zu begeistern. - (Viele Zeitungen - fremde - über die Weimarischen Aufführungen, alles unerquicklichstes Lob.) - Was steht uns bevor, wie soll, wie kann der furchtbare Krieg enden? - Der König von Bayern krank, hat keiner Vorstellung der Walküre beigewohnt. - Die Zeitungen lassen einen Hoffnungsschimmer für den Frieden durchblicken. Dritter Akt vom Siegfried vorgenommen; abends Biographie.
Sonntag 17ten
Furchtbares Gewitter; ich behaupte, die Götter zürnen den Franzosen. Der Krieg ist erklärt; in Paris nichts als Phrasen. Die Preußen ruhig fest und geschlossen. R. sagt: »Das Charakteristische des    Franzosen ist, er hält kein Wort, aber wenn man ihn daran gemahnt, muß man sich mit ihm schießen.« Und: »Die Franzosen sind die Fäulnis der    Renaissance.« - Ich bin derart außer mir, daß ich befürchte, R. eigentlich zu belästigen, doch nannte er mich seine Lebensspenderin, gütig und liebevoll wie er immer immer ist. - Vertrauliches Gespräch mit Herrn Klindworth, der nach Deutschland abgeht und dort Hans sehen wird. Ich ersuche ihn, Hans alles zu sagen, was ich mir vorgenommen hatte ihm zu schreiben. Ich bin von der Unterredung sehr ergriffen. — Klindworth findet, daß R. verjüngt und in seiner Stimmung nicht zu erkennen wäre; Hans hatte ihm gesagt, daß, wenn R. nur einen Ton noch schrieb, es mir zu verdanken sei. - Brief des Herrn Villiers, welcher sein Stück schickt und mit ächter französischer Unverschämtheit über die excellents Prussiens sich lustig macht. R. verbittet sich den Besuch und sagt, daß mit all unsrer Sympathie wir mit den Preußen wären. Wir bringen Klindworth zum Bahnhof, wehmütiger Abschied. - Am Morgen habe ich an Claire und L. Bucher geschrieben. Letzterem, um meine unbedingte Sympathie mit Preußen auszusprechen. Luzern in Aufregung; alles in Sorge, wie hassenswürdig erscheint die französische Nation.
Montag 18ter
Immer empörender enthüllt sich das Benehmen der Franzosen; ein Gewebe von Lüge, Unwissenheit, Unverschämtheit und Eitelkeit. Gramont[10] und Ollivier geben als Grund des Krieges die Circularnote, welche Bismarck an alle fremde Höfe soll abgesendet haben, an. Nun existiert keine solche Note, und nur das Telegramm, wie es in der Zeitung auch stand, und so ist alles, alles Lug und Trug. Ich sage zu R., der Krieg ist die Beethovenfeier, am 17. VII. 1870 istdie Kriegserklärung abgegangen, am 17ten Dezember 1770 ist B. geboren. Gott gebe, daß eine gute Sieben hier ihr Spiel hat. R. sagt, er beginne zu hoffen; der Krieg sei erhaben, er zeigte die Nichtigkeit des Individuums; bei St. Jakob hätten 2 000 Leichen die 40 000 gefürchteten Armagnacs besiegt, die Idee zeigte sich da mächtig über alles; es ist ein förmlicher Tanz, der aufgespielt wird mit dem Furchtbarsten, wie ein Beethoven'sches Finale, wo er alle Daimonen entfesselt zu einem großartigen Tanz. Wir gehen nachmittags zur Stadt, um etwas zu erfahren, doch sind keine Nachrichten da. In den Zeitungen die Begeisterung, welche dem König von Preußen überall folgt. - R. schreibt an Herrn Villiers, daß wir nicht gut unsere französischen Freunde werden sehen können. - Außer der Beschäftigung mit den Kindern bin ich unfähig etwas zu beginnen. Brief des Pr. Nietzsche, welcher, wie es scheint, um den Franzosen wie den Deutschen zu entrinnen, nach dem Axenstein wandert.
Dienstag 19ten
Die Bayern, Gott sei Dank, gehen mit Preußen, die Österreicher aber in gewohnter Schmach mit Frankreich. Mein Herz ist gedrückt; R. aber eher wohlgemut; die Zustände in Deutschland waren zu arg, dieser Krieg[11] kann noch einmal zeigen, was an den Deutschen ist. Ich gedenke des Auftrages, den ich Herrn Klindworth für Hans gegeben; welche harte Schule muß der arme Mensch durchmachen, um das Rätsel des Lebens sich zu lösen! - R., welcher seinen Aufsatz Beethoven und die deutsche Nation beinahe in sich vollendet hatte, findet jetzt nicht mehr die Stimmung, um ihn zu beginnen. An dem Kern der Sache verändern die äußeren Ereignisse nichts, allein sie nehmen die Ruhe der Stimmung, und die innere Laterne will nicht mehr leuchten, der Schicksals-Wind treibt die Flamme hin und her. - Nachmittags Besuch des Baron zu Weichs, welcher mir vieles Günstige über den Stand der deutschen Armee und unter andrem mitteilt, daß Oberst Rüstow bereits seit 4 Wochen im Auftrage des Grafen Bismarck in Paris sei. Depesche an Richter; Mendes, Villiers etc. kommen an; wirklich sind sie abends bei uns. Sehr peinliche Empfindung, trotzdem die Leutchen freundlich sind. Es wird musiziert.
Mittwoch 20ten
Am Morgen ruft mir R. zu: »Weißt du, was ich mir bei dem großen Arpegge beim Erwachen der Brünnhilde gedacht habe? Deine Fingerbewegungen im Traum, wenn deine Hand durch die Luft fährt. Darum bin ich noch immer nicht zufrieden damit.« - Kinderunterricht, während R. seinen »Beethoven« beginnt. Ich erkläre bündig einem der Franzosen meine Ansicht über den Krieg. - Große Tafel; vorher die Nornenscene, später abends Wotan und Fricka; dazwischen Vorstellung von Siegfried. - Sehr schöner Brief des Dr. Herrig, welcher in ächt deutscher Weise den Krieg hochherzig begrüßt und doch mit Beklommenheit ihm entgegensieht. R. antwortet ihm gleich.
Donnerstag 21ten
R. und ich, wir sind sehr müde und beschließen, so viel wie möglich uns zurückzuziehen. Da Lulu an Kopfschmerzen leidet, laß ich sie anstatt zu arbeiten in »1001 Nacht« lesen (Sindbad). Kindertisch, dann Spazierfahrt mit Judith Mendes, abends Tee mit ihr und ihrem Gatten; die andren hatten wir uns verbeten. - Deutschland ist einig, Gott segne seine Waffen! - Nachmittags sagte mir R.: »Seitdem du bei mir, habe ich ein grenzenloses Vertrauen, einen unverschämten Glauben an mich; selbst dieses Schrecklichste, dieser Krieg, wird nach meinem Glauben segensreich für mich ausfallen.« Er hat an seinem »Beethoven« gearbeitet und behauptet, er genieße jeden Tag tiefer das Glück unseres Lebens. Wie er gestern aus der Walküre spielte, gedachte er des letzten Males, als er sie mir vorgeführt, in Biebrich (1862), »das waren traurige Zeiten«, ruft er aus. Wie ich mit Judith heimkehre, finde ich R. eigentlich ganz verstört und kann es nicht begreifen. Wie die Fremden fort sind, erfahre ich, daß die Haushälterin sich ungebührlich gegen R. benommen. Einer derartigen Roheit gegenüber ist er wehrlos, und er kann den Eindruck kaum überwinden, weil er gegen die Leute unaussprechlich gütig ist.
Freitag 22ten
Beginn unsrer Brunnenkur; wir wandern in der Frühe im Garten, R. und ich, und besprechen den Krieg. Auf einmal fühlt man, wo man hingehört und einen Zusammenhang, der in den Friedenszeiten gar nicht bemerklich sein kann, da nur das Schlechte ob der Oberfläche schwimmt. Etwas, das nicht zur Sprache kommt, doch in allen sich regt, fühlt man, und mit allen seinen Wünschen und Hoffnungen begleitet man diese Regung. So spricht R. - Die Kieler Universität will in Bausch und Bogen mitziehen; der Handelsstand bringt große Opfer, und die Klerikalen müssen schweigen. Dafür wird in Frankreich tüchtig gelogen und geprahlt. Bismarck sagt der Kammer, er habe den Bericht über die Unterredung Gramont's mit Werther dem König gar nicht mitgeteilt, weil er die Forderung des Entschuldigungsbriefs lächerlich gefunden habe. Die Wiener Studenten wollen mit Deutschland; die ultramontanen Kammern in Bayern ganz schamlos. - Plötzlich bekommt Eva Krämpfe und wird krank. Wie ich bei ihrem Bette bin, bringt mir Vreneli die Nachricht, daß unser Meier, der den Fisch uns brachte, ertrunken sei, und vor unsrem Hause; was kann man vom Leben haben, sagt trocken und richtig Vreneli. - Abends Mendes; R. spielt mit Richter die F dur Symphonie[12] und den letzten Satz der Eroica.
Samstag 23ten
Eva immer unwohl; Brief Claire's, ihr Sohn muß fort als Seemann. Mich drückt die Notiz des Bundes, daß die Franzosen so im Vorteil durch ihre Lage, ihre Eisenbahnnetze, ihre Flotte seien; R. schilt mich, so wenig ideal zu sein. Ich antworte Claire. Judith bei uns zu Tisch, später übersetze ich mit ihr Damayanti und Nala.[13] Abends musiziert aus den MSingern. (Brief der Mutter.)
Sonntag 24ten
Ich bin traurig, traurig, der Dr., welcher meldet, daß zwei Dörfer bei Offenburg durch die Turcos abgebrannt worden sind, erheitert mich nicht. Ich übersetze weiter an Eva's Bett; Kindertisch; wir trinken auf die Gesundheit des Gal Moltke.[14] Nachmittags Judith, abends Kahnfahrt beim »Schweigen des Lichts«, wie R. sagt. Feuerwerk auf dem Pilatus, später Quartette von Beethoven. Eva immer unwohl. Die Notiz von 6 000 Österreichern, welche sich bei den Franzosen engagiert haben, Notiz von den Franzosen uns gebracht, empört uns tief, und R. verlangt von unsren Freunden, daß sie verstehen, wie wir dieses französische Wesen hassen.
Montag 25ten
Traurig bis in den Tod! - Jakob kommt von der Beerdigung des Meiers und meldet, daß ein Telegramm das Zusammentreffen der Truppen ankündigt, ich bete mit meinen Kindern für die Deutschen. Nach Tisch zur Gr. Bassenheim. Abends unsre Freunde. R. sagte bei Tisch, er baue seinen ganzen Aufsatz auf ein Wort, das mir entschlüpft wäre: die Musik ging weit über die Schönheit hinaus. - Nachmittags Fidi im blauen Cabinet, dann R.
26ten Dienstag
Es hat kein Gefecht stattgefunden. Große Freude von uns über das Benehmen des Herzogs von Nassau; Napoleon hatte ihm versprochen, ihm sein Herzogtum zurückzugeben, er dankt und nimmt für den Krieg Dienste in Preußen an. Mit den Kindern gearbeitet, Eva gesund, die Übersetzung vorwärts gebracht. Wie die Franzosen kommen, entsteht seitens R. eine lange Rede über das deutsche Wesen, und wie schwierig es für uns sei, gerade jetzt mit Franzosen zu verkehren. Ich erschrecke sehr über die Nachricht, daß 50 000 Franzosen in St. Louis stehen, und überhaupt, daß die Franzosen fertig sein sollen und die Deutschen nicht. R. arbeitet an seinem »Beethoven«. (Ich schreibe der Mutter.)
27ten Mittwoch
R. immer an seinem »Beethoven«; ich mit den Kindern. Keine Kriegsnachrichten. Nachmittags mit R. zu unsern Freunden gefahren; heimgekehrt gibt Richter einen Brief, er ist von Hallwachs und meldet, daß am 18ten die Ehescheidung ausgesprochen wurde. Kein Glück gibt es auf Erden, meine Kinder, denn bei dieser Nachricht hatte ich nur Tränen.
28ten Donnerstag
Mit den Kindern gearbeitet. Die Zeitungen bringen die schönsten Enthüllungen Bismarck's; er läßt der Times melden, welche Vorschläge ihm Benedetti unaufhörlich gemacht (Einfallen der Franzosen in Österreich, damit sie dann Belgien erobern konnten, dann die Südstaaten-Lieferung, um die französische Schweiz sich anzueignen, und derlei Schönes mehr). Die Franzosen wissen nichts anders zu sagen, als daß der Kaiser nichts hiervon gewußt, oder daß Bismarck alles dies provoziert habe. - Besuch von Pr. Nietzsche, abends die Franzosen, es wird musiziert, die Nornenscene und aus Tristan.
Freitag 29ten
Den Vormittag mit Pr. N. zugebracht, R. liest aus seinem Aufsatz über Beethoven, ich wundre mich, daß ich ihm so folgen kann, da ich keine philosophischen Studien gemacht habe. Nach Tisch stellt mir Herr N. seine Schwester[15] vor, ein bescheidnes artiges Mädchen. Später plötzliche Ankunft unseres Freundes R. Pohl, welcher auf der Flucht aus dem Badenschen begriffen ist. Richard vergleicht unsre bunte Gesellschaft mit dem »Decamerone«; wie die vor der Pest fliehen, so wir vor dem Krieg. Die Franzosen kommen wie gewöhnlich, und das Gespräch ist lebhaft bewegt. (Sowohl Österreich als England, Italien und die Schweiz benehmen sich erbärmlich, die gewisse kluge Objektivität, wo ein ehrlicher Mensch - Bismarck - mit einem Gauner - Napoleon - gleichmäßig behandelt wird.)
Samstag 30ten
Es verschwindet die kleine Gesellschaft; die Franzosen, da sie durch R.'s Besuch bei unsrem Advokaten belehrt sind, daß die Trauung höchstens in vier bis fünf Wochen stattfinden kann, besuchen einen Freund in Avignon,[16] um dann zurückzukommen. R. Pohl sieht sich nach Pensionen um, Pr. Nietzsche geht mit seiner Schwester in's Maderaner Tal. Letztes Diner mit den Franzosen; am Schluß des Abends großes Gespräch zwischen Catulle M. mit R. in Folge einer Vorlesung des Herrn Villiers, dessen gleißnerische Tendenz, bombastische Durchführung und komödiantische Darstellung uns geradewegs empört haben. R. macht sie aufmerksam auf das Verwerfliche ihrer rhetorischen Poesie, sehr ergriffen und verständnisvoll hört Catulle zu, den wir wegen seiner feinfühligen Art und schönen Bildung wirklich liebgewonnen haben, während sein Freund uns immer unausstehlicher wird. Abschied von dem guten tief bedrängten Paar Catulle und Judith, die beide wirkliche Schönheit der Seele haben. - Am Vormittag wanderte ich mit R. unter der Linde am See, und deutlich empfanden wir wieder, daß wir uns alles sind.    
Sonntag 31ten
Ruhe wieder im Haus; in mir zittern die vorhergegangnen Unruhen in bösen Träumen nach. - Ich habe vergessen zu notieren, daß am Donnerstag wir unsren Kindern eine große Freude durch den Besuch auf Tribschen von 15 gelehrigen Hunden, meist Pudel, [machten]. Ich hatte ihnen Tags vorher eine Gesellschaft Kinder angemeldet mit schönen Jacken und rosa Hüten, wie nun die aufgeputzten sehr schönen Hunde mit Leiter und Leierkasten im Karren ankamen, war der Jubel groß. Die Großen des Hauses freuten sich nicht minder, und Hunde, denen Zucker gegeben wurde, und Italiener, die sie zeigten, kamen nicht schlecht weg. - Frankreich braucht eine Moltkenkur, sagt R., wie wir die unglaubliche Unverschämtheit und Lügenhaftigkeit des franz. Benehmens besprechen. Schöne Tages- und Abendruhe, R. trinkt sein Bier im Garten vor dem Haus, und die leise Erwähnung eines Wortes aus »Hamlet« bringt ihn zu einem Vergleich zwischen Sh. und Beethoven; wie die Gestalten bei Shakespeare, so treten bei Beethoven die Melodien auf, unverkennbar, unvergleichlich, eine ganze unbegreifliche Welt.