Donnerstag 1ten
Frau Wille sendet einige Photographien nach Wandgemälden aus Pompeji. Herrliche Sachen, gegen welche unsre ganze Kunst so absichtlich erscheint. R. hat einen hübschen Gratulationsbrief von P. Cornelius. Loldi etwas wohler, doch R. leidend. In der Stadt erfahren wir, daß Mac Mahon in Beaumont geschlagen worden ist. Herrliches Gefühl, einzig durch einige ZeIIen von Pr. Nietzsche (aus Hagenau) niedergedrückt, welcher den gräßlichen Zustand und die Ungenügendheit der Verpflegung auf den Schlachtfeldern mitTeiIt. Ist es nun endlich vorbei? Pr. N. berichtet, die Franzosen redeten noch immer von der Eroberung des Rheins!
Freitag 2ten
Das Ereignis des Tribschner Hauses ist das Zulaufen einer Gans, von der wir nicht wissen, woher sie kommt; die Kinder sehr erfreut, die Hunde sehr erstaunt. Kinderunterricht; Loldi steht auf ein paar Stündchen auf; der Dr. kommt und wird von R. furchtbar heftig angefahren, weil er meint, es sei doch nit gut, wenn man Elsaß und Lotharingen den Franzosen wegnehme! R. beleuchtet ihm die demoralisierende Schändlichkeit der neutralen Politik. Besuch von Gräfin B., sie meldet, die Franzosen berichteten von ihrem Sieg! (Ich schreibe an E. Krockow, an M. M., an Pr. N. etc.) Indessen erfahren wir in der Stadt, daß die Verfolgung der Franzosen fortdauert, und daß Bazaine auch, der einen Versuch gemacht hat, aus Metz fortzuziehen, darin zurückgeworfen worden ist. Ich erhalte einen hübschen Brief von Dr. Alfred Meißner,[1] welcher mir sagt, daß er schon im Mai 1865, wie er mich besuchte, geahnt habe, wie es mit mir stünde. Wir lesen abends nichts, weil wir von den Nachrichten viel zu aufgeregt sind.
Samstag 3ten
Tag der unerquicklichen Briefe; Freund Kietz ist in Zürich und weiß nicht, was mit sich anfangen; er ist ausgewiesen! Herr Müller von der Werra[2] schickt ein Siegesgedicht, das R. komponieren möchte, und verspricht für Verbreitung des Werkes durch Korrespondenz in den amerikanischen Zeitungen zu sorgen! Schure entpuppt sich als fanatischer Franzose, und das in wahrem Gymnasiasten-StII. (Von Hans Herrig und Dr. Pusinelli aber sehr hübsche Glückwünsche; nach dem ersteren zu urTeiIen, scheint überall in Deutschland man gesagt zu haben, daß R. mich nicht heiraten würde.) - Für die Unerfreulichkeiten erhalten wir durch Oberst Am Rhyn abends die Nachricht, daß Mac Mahon verwundet, die ganze Armee unter Wimpffen kapituliert, Napoleon III. sich dem König ergeben!!! Das ist ein Taufgeschenk für Fidi! 9 Schlachten seit einem Monat, alle siegreich, und dieser Abschluß!
Sonntag 4ten
Die Nachricht ist wahr, wir bekommen das Bulletin.[3] Gott im Himmel, welches Schicksal! »Ich bin den Napoleons verderblich«, sagt R., »wie ich sechs Monate war, kam die Schlacht bei Leipzig, und Fidi manscht das ganze Frankreich zusammen.« Brief von Schwester Luise, ihr 18jähriger Enkel ist gestorben. R. erwartet in Paris einen Staatsstreich. Gestern sagte mir R., er möchte die Trauermusik für die Gefallenen schreiben, er wünsche wohl, daß ihm dies bestellt würde, keine Siegeshymne, das verstünde er nicht. Ich schreibe dies an Marie Muchanoff, damit sie ihren Einfluß dahin gebrauche, daß ihm die Bestellung werde. Um 3 Uhr Ankunft der FamIIie wille, dann Bassenheims, um 4 Uhr geht die Taufe vor sich. Helferich Siegfried Richard Wagner benimmt sich leidlich. Heiteres Zusammensein nachher. Die Semper'sche Ampel wird eingeweiht. Einen sIIbernen Becher bringt Dr. wille, verliert ihn aber unterwegs, kommt demnach verstimmt an, plötzlich erscheint eine alte Frau und bringt ihn zurück. Hierauf ein furchtbarer Donnerschlag zum Beginn der Taufe.
Montag 5ten
Gratulationsbriefe von Dr. Sulzer,[4] Nuitter aus Paris u.s.w. Ich fahre des Morgens zum Bahnhof, um willes noch einmal zu begrüßen, dann bringe ich unserem Pfarrer die Bibel von Dore. Mit Gräfin B. sehe ich nach den Depeschen; in Paris Republik! Der Kaiser in WIIhelmshöhe, die Kaiserin geflüchtet nach Belgien. Wie gleichgültig dies alles! Dieses ewige Einerlei von Rathaus und TuIIerienbestürmen, und dabei kein vernünftiges Wort gesprochen. - Nachmittags hatte ich ein großes Ärgernis, indem mein hübsches Kleidungsstück (Sammetmantel mit Pelz) durch Vernachlässigung der Dienerin mir gänzlich verdorben ist. Der Kummer betraf nicht den Wert, sondern die Bedeutung dieses Gegenstandes, von R. mir geschenkt. Ich bezwinge aber meinen Kummer und Ärger und gelange endlich so weit, dieses Unglück als ein Opfer zu betrachten, das ich willig bringe, um anderes Leid zu vermeiden. Die IIlustrirte Zeitung bringt Bilder von fr. Soldaten (nach der Natur), in welchen mir das ganze Elend und die Verkommenheit der Nation, ja der ganze Jammer der Menschheit entgegenstarrt. Vollständiger Cretinismus blickt aus den sinnlichen, bestialischen, vom Trunk verdummten Gesichtern. Ein Bild der elsässer Bauern, die fliehen, ergriff mich zu Tränen. O Wahn! Sie fliehen vor ihren deutschen Brüdern! - Die Post brachte einen Brief von dem Justizrat Simson, dieser sagt auf meine Anfrage nach meinem Schuldbetrag, daß Herr von B. beschlossen habe, sämtliche Prozeßkosten zu tragen. Es betrübt mich dies, doch kann ich es nicht ändern! - Meine Verbindung mit R. ist mir wie eine Palingenesis, eine Wiedergeburt, die mich der Vollkommenheit näher bringt, eine Erlösung von früherem irrenden Dasein; allein ich fühle und sage es ihm, daß unsere vollkommene Vereinigung erst in dem Tod, in der Erlösung von den Schranken der Individualität sein wird. Wenn ich ihm sagen will, wie ich ihn liebe, fühle ich die ganze Ohnmacht des Seins, und daß ich erst in der Todesumarmung es ihm werde sagen können! Darum weine ich stets, wenn ich mich ihm nähern will und ihm sagen, wie meine Seele ihn anbetet. Vor Schlafengehen bittet er mich nochmals, mich nicht so sehr der Kindererziehung zu widmen, er sagt: »Keine Mutter erzieht ihre Kinder allein.« »AHein ich glaube, daß meine Kinder es mir Dank wissen werden, ihnen so viel gewesen zu sein.« »Du bist ja auch nicht von deiner Mutter erzogen worden.« »Ich wäre auch besser ausgefallen, hätte ich eine Mutter um mich gehabt.« Das will er nicht hören und wird böse. In Weinen und Lächeln trennen wir uns.
Dienstag 6ten
»Liebst du mich?« ruf ich R. noch halb träumend am Morgen zu; von seiner Stube aus antwortet er: »Ich habe ja kein anderes Geschäft, kein bisogno,[5] als dich einzig auf der Welt zu lieben.« Viele Glückwunschbriefe; »die Gratulation quIIlt, die Erde hat uns wieder«, sagt R. - Die Besetzung der prov. Regierung in Paris ist rein lächerlich, und das erste, was sie tun, ist redlich zu schwatzen und zu erklären, daß die Welt staunend auf sie blickt. Dabei fällt es niemandem ein, daß Deutschland sie von Napoleon befreit hat! - R. sagt, dieses alte Einerlei von Zug nach dem Hotel de vIIle, den TuIIerien etc. mache ihm den Eindruck einer alten Arie aus »Norma«, auf dem Leierkasten gedreht. Ich gehe mit R. zur Stadt, nachdem ich am Morgen mit den Kindern im Garten gearbeitet. Abends lesen wir »Richard II«; einzig hält jetzt Shakespeare Stich.
Mittwoch 7ten
Heftiges Fieber, ich muß zu Bett bleiben, der Arzt kommt und glaubt an Blattern, da ich großes Kopfweh habe. Ohne die Kinder zu sehen, unter der himmlischen Pflege R.'s, verbringe ich den Tag in großen Schmerzen. R. beendigt seinen Beethoven.
Donnerstag 8ten
Ich bin wohler, nur ein starker Husten ist mir verblieben. Die Kinder sehe ich wieder, und R. liest abends aus »R. II« weiter vor. (Loulou und Boni bei Graf. B., wo sie zu einem lebenden Bild Studien machen sollen. Zu Gunsten von Verwundeten soll der kleine Unsinn in Luzern stattfinden.) Brief Marie Muchanoff's; sie meldet, daß bei der patriotischen Demonstration in Folge der ungeheuren Nachricht der Kapitulation der fr. Armee der König nicht zugegen war, so daß der preußische Gesandte der Gegenstand der berauschtesten Ovationen war. Wie töricht doch dies vom König!! - Ferner meldet sie, der Vater habe sehr traurig geschrieben, er hätte zu den Verwundeten gewollt, allein Weltrücksichten hätten ihn abgehalten, was er jetzt tief bedaure. Sie sagt, er sei isolierter, als er es selbst wisse. Wer stets nach außen geblickt und für außen gewirkt, dem entsteht gar bald die innere Leere, und [ich] glaube nicht, daß der Unfehlbarkeitsglauben diese Leere füllen kann. (R. liest mir den Schluß seines »Beethoven's«.)* (* Neben der Tageseintragung an den Rand geschrieben)
Freitag 9ten
Üble Nacht mit beständigem Husten. Ich habe mir gestern doch zu viel zugemutet. Die Berichte, Proklamationen etc. aus Paris sind geradezu lächerlich und widerwärtig. Aber wie und wann soll der Krieg seinen Abschluß finden. R. erzählt mir, in Paris berichteten sie von St. Louis (bei Basel), daß die [Verteidiger von] Straßburg einen Ausfall gemacht und 10 000 Preußen gefangen, getötet, weiß Gott noch was. Nun weiß in Basel aber keiner ein Wort hiervon, also immer wieder die alten Lügen, man wird es recht müde. Abends liest R. mir und Richter »Die Aufgeregten«[6] vor, er erinnerte sich, daß Heine Frau Laube, die sich über schlaflose Nächte beklagte, dieses Stück von Goethe empfahl. Es ist unglaublich platt. Gegen Gräfin B. bin ich in Verstimmung geraten; sie hatte mich um die Kinder gebeten, zur Aufstellung von lebendigen Bildern zum Besten der Verwundeten; ich willigte ein. Nun wurde ich krank und erfuhr, daß während Marie als Edelfräulein und kleine Elisabeth fungieren soll, meine Kinder als Bettelkinder dazustehen haben. Es wäre nun ganz gleichgültig, und, Gott Lob, merkten Boni und Loulou gar nichts; ich aber verstehe, was damit gesagt ist, und tut es mir leid, daß die mütterliche Eitelkeit eine so großherzige Frau wie die Gräfin [veranlaßt], sich so rücksichtslos zu benehmen. Schon bei der Taufe merkte ich, daß es ihr nahe ging, daß meine Kinder mit ihren Löckchen hübsch aussahen. Ich nehme mir vor, ihr ruhig meine Meinung zu sagen. - Ich habe große Freude darüber, daß Boni und Loulou gar nichts merken und nichts verstehen, den Aufputz und die wichtigen Rollen von Marie bewunderten und ganz zufrieden waren, als arme Kinder mitzuwirken. - General Holk ist wieder da, macht unsren Kamin im oberen Salon.
Samstag 10ten
Heute habe ich die Stimme gänzlich verloren; es scheint so ein kleiner Durchmarsch durch meinen ganzen Leib. Ich stehe jedoch auf und setze mich an [den] Tisch mit R. und Richter. Bald wieder zu Bett, wo ich »Die Aufgeregten« beendige und auch den »Groß-Cophta«[7] lese. Abends liest mir R. den Schluß von »R. II« vor; jedes Wort eine Welt. Die Kinder, die ich zur Besichtigung der lebenden Bilder geschickt, kamen erst um elf Uhr zurück, was mich ängstigt. Mich erfreut dann aber die Unbefangenheit, mit welcher sie, ohne im mindesten an sich zu denken, die anderen Kinder bewundern, wie schön sie gekleidet waren und schöner gemacht. Als sie aber fort waren, bin ich so töricht zu weinen; ich sage zu R., daß ich hier wiederum erkenne, daß ich an der Gr.* (* Gräfin Bassenheim) weit mehr Anteil genommen als sie an mir; denn sie wüßte, wie bang und besorgt ich darum bin, daß meine Kinder nicht möchten weniger freundlich behandelt werden als andre. Nun, Gott helfe meinen guten Kleinen. R. ist himmlisch, tröstet mich, ermahnt mich zur Ruhe und übergibt mir zur Zerstreuung einen Brief von Claire.
Sonntag 11ten
Ich stehe früh auf und schreibe an Marie M., indem ich sie im Namen R.'s auffordere, bald zu kommen, um Bayreuth zu besprechen. Dann an Dr. Heigel,[8] der uns beglückwünscht hat; da er Redakteur des Bazar ist, habe ich ihn aufgefordert, eine neue Tracht anzugeben. Die Nachrichten aus Paris sind immer persönlich possierlich konfus, Phrasen, nichts als Phrasen. Die Möglichkeit, daß Frankreich zu Belgien geschlagen wird, d. h. die Dynastie Belgiens beide Länder regiert, taucht auf, ein herrlicher Gedanke, allein ein wenig kühn. Kindertisch, zum ersten Mal seit langer Zeit alle wieder beisammen. Abends »Heinrich IV.«.
Montag 12ten
Briefe von C. Mendes, sehr elegisch, er denkt zu sterben unter den Wällen von Paris; von Dr. Pusinelli, dessen Bruder jetzt 30 Jahre in Havre Geschäfte mit Schiffern machte, mit 10 Kindern ausgewiesen sich einen neuen Lebensberuf zu suchen hat. (Claire's Köchin sollte auch ausgewiesen werden!) R. überarbeitet seinen »Beethoven« und schreibt energisch an Catulle, immer wiederholend: Ihr habt es verdient. C. schickte eine Proklamation V. Hugo's an die Deutschen, der reine Unsinn, den die Franzosen nun schön finden. Besuch der Gräfin B., durch R.'s gütiges Zureden bin ich soweit gänzlich beruhigt, sie zu empfangen, und wenn wir von den lebenden Bildern zu sprechen anfangen, sage ich zu ihr: »Ich habe meine Kinder Ihnen nicht geschickt, erstens weil ich nicht dabei sein konnte, zweitens weil ich befürchtete, den Vater würde es verwundern zu hören, daß bei der ersten kleinen Gelegenheit, wo die Kinder sich zu zeigen hatten, ihne keine günstigere Rolle zugedacht war als die von Bettelkindern.« Wir glitten dann über den Gegenstand hinweg. - Sehr hübschen Brief von Regierungsrat Hagenbuch,[9] der uns beglückwünscht. - Auf ein Wort, das ich R. sage, antwortet er mir: »Nur gesund mußt du sein und keine Heiligengedanken haben, denn ich will mein Glück bis auf das letzte Und genießen.« - Abends Schluß von »Heinrich IV.«. Vorher mit den Kindern Märchen gelesen.
Dienstag 13ten
Immer leidend, doch kann ich den Kindern den Unterricht geben. Pr. Nietzsche schreibt an R., er ist zurück nach Erlangen und krank. Ich schreibe an Rothschild um mein Geld, Gott weiß, ob ich irgend etwas noch erhalte. R. arbeitet an seinem »Beethoven« und zwar zuviel, so daß er Augenflimmern bekommt. Brief von M. Meysenbug, welche das Bombardement von Paris bedauert, was R. entrüstet. Wir kommen überein, daß da geschehen wird was muß, und daß es die größte Torheit, über diese Dinge zu faseln.
Mittwoch 14ten
Es wird ernstlich von einem Verrat der Franzosen bei der Kapitulation von Laon gesprochen, ich halte sie zu allem Schlechten fähig. Arbeit mit den Kindern, R. an seinem »Beethoven«. Wir sind etwas gedrückt durch fortwährendes schlechtes Wetter. Abends »Heinrich IV.« zweiter TeiI.
Donnerstag 15ten
Briefe von den Schwestern R.'s, sie freuen sich (Claire[10] und Cäcilie) beide über R.'s Verheiratung mit mir. Brief von Karl Tausig an mich. Wir lesen die Broschüre von Wolfgang Menzel: Elsaß und Lothringen; sie stimmt mit R.'s Ansichten überein. Die große Frage ist jetzt: was werden die Deutschen tun, Napoleon wieder einsetzen, dessen schmutzige Geldgeschichten (eigentlicher Grund des Krieges) nach und nach an das Licht traten? Mit der Republik verhandeln, die ganz feindselig sich immer benimmt? R. ist für eine lange Okkupation und Entwaffnung Frankreichs und freut sich, daß die Sache solche Dimensionen genommen hat; »die Franzosen«, sagt er, »werden durch ihr Schicksal getrieben, und die Deutschen getragen«. Große Freude an Fidi, der während dem Kindertisch überall herumkriecht; nachher gehe ich mit R., ihm einen Winterhut auszusuchen, alle für seinen Kopf zu eng! - Wie R. mir gute Nacht bietet, sagt er, »von deiner Liebe lebe ich«, ich legte mich, und mir war es, als ob das einzige Wahrhaftige im Leben meine Vereinigung mit ihm wäre; alles übrige, was ich getan, was ich erlitten, was ich erlebt, wie einen schweren Traum schleppe ich es nach, oder wie Ketten der Gefangenschaft, nachdem ich befreit bin; ein ewiges Mahnen, ein Erinnern, was das Leben furchtbar und der Mensch erbärmlich ist, in Paradieses Seligkeit. Diese Betrachtungen endigen mit einem Gebet, Gebet des Dankes, Gebet um Verzeihung, tiefstes Erkennen meines Unwertes.
Freitag 16ten
Brief von Pr. Nietzsche, der schwer erschüttert zu sein scheint; dann von der Mutter, die mein freimütiges Urteil über Frankreich etwas verletzt hat. R. hat einen Brief vom Verleger Fritzsch[11] aus Leipzig, er wird den Beethoven drucken. Immer kaltes unfreundliches Wetter, mit den Kindern gearbeitet. Abends Gratulationsbrief von der Ministerin von Schleinitz an R.; an mich einen von der armen Claire, die ganz trostlos ist. - Paris ist jetzt abgeschnitten, wir werden einige Zeit nichts erfahren. - Gestern kamen wir wieder auf das Wesen der Franzosen zu reden und R. sagte, man müsse bloß ihren Volkstanz, den Cancan sehen, um zu wissen, was an diesem Volk wäre. Das, was der Tanz ausdrückt, die Liebeswerbung des Mannes, das Fliehen und wiederum Aufreizen des Weibes, das sich reizend naiv in den spanischen Tänzen ausspreche, müsse man in diesem Volkstanz sehen; er behauptet, einiges vom Cancan in der Quadrille wiedererkannt zu haben. - Plötzlich am Abend verschwand R. und kam lange nicht wieder, dann kam er, schickte aber Richter hinaus, und so ging es heimlich den ganzen Abend her; ich erfuhr dann, daß fünf Fledermäuse in R.'s Stube gewesen, alles hatte sich gefürchtet, und R. wollte mir davon nichts sagen, weil er weiß, daß ich in diesem Bezug abergläubisch bin. Es hat mich erschrocken, wie ich es erfahren habe, dann, mich fassend, habe ich gebetet, daß, was auch für ein Unheil mir drohen möchte, ich meine Aufgabe als Christin, als Weib, als Mutter erfüllen möchte.
Samstag 17ten
An die Mutter und an Claire geschrieben. Kinder unterrichtet, dann Besorgungen für Fidi's Garderobe und zu Loulou's Geburtstag. Gott sei Dank ist alles so ziemlich gesund und klärt sich der Himmel auf. Nichts von außen, und im Innern Liebe und Eintracht! Gott segne alles Leidende.
Sonntag 18ten
Am Morgen freut sich R., die Kinder auf der Treppe sich tummeln zu hören, »ach«, ruft er aus, »ich bin zu glücklich, gar zu glücklich!« - In der Zeitung steht, daß Paris sich noch lange halten wird, auch verteidigen sich Toul und Straßburg noch fest, und es heißt, Bazaine sei noch mit vielen Lebensmitteln versehen. Wann ein Ende, wieviele Opfer müssen die Unsrigen noch bringen? - - Ich schreibe an Pr. Nietzsche. Kindertisch - wobei unser guter Richter, wie die Rede auf »Wallenstein« kommt, erklärt: Ja, es sei ein wunderschönes Gedicht, wenn die langweilige Geschichte mitThekla und Max nicht wäre; R. läßt ihn zuerst reden, dann aber verweist er ihm streng, ja heftig solche Roheiten. Wie neulich er auch von Mozart gesagt, es sei so gut, daß er starb, er würde in Manier verfallen sein, oder seine einschmeichelnden Melodien hätten die Leute auf ewig unfähig gemacht, Beethoven'sche Kunst zu fassen; R. verwies ihm dies ernstlich, ihm beweisend, daß Mozart eben erst Meister geworden war und daß wir gar nicht absehen könnten, welcher Schatz uns durch ihn noch geworden wäre: »Man muß sich es nicht so leicht machen und obenhin sagen, ein jeder stirbt zu seiner Zeit; was gäbe ich nicht um die zehnte Symphonie von Beethoven; wenn ich auch im ganzen glaube, daß ein jeder dazu gelangt, zu zeigen was er ist, so stirbt ein wirklich großer Genius immer zu früh, da ist es nicht wie mit Mendelssohn, Schubert, Schumann, Geister zweiten dritten vierten Ranges.« - Ich lese im Manuskript seines »Beethoven« und bin ganz erfüllt von der Gedankentiefe und Klarheit; R. sagt mir: »Ich bedaure doch, Beethoven nicht mit Schopenhauer verglichen zu haben, es hätte alles geschrien, und doch ist er die Vernunft der Beethoven'schen Welt. Neulich wiederum bin ich ganz überwältigt von der Genialität Seh.'s gewesen, als ich las, was er über den Unterschied der Menschen[12] sagt und es als eine Ungeschicktheit der Natur bezeichnet, nicht noch eine Gattung geschaffen zu haben, da doch zwischen den begabten und unbegabten Menschen ein größerer Unterschied besteht als zwischen gewissen Menschen und Tieren. Man braucht bloß ein Theaterpublikum zu betrachten, wo der eine ganz ergriffen und gesammelt, der andre zerstreut, unruhig, läppisch; zwischen diesen beiden ist kein Verständnis möglich, und daher die Tortur des begabten Menschen in dieser Welt, wo er als seinesgleichen ein Wesen betrachten muß, das ihm nicht mehr ähnelt als der Affe.« - Abends lesen wir im Ovid, tags vorher in Lucrez; R. sagt: Es ist so recht die Literatur von vornehmen Leuten auf ihren VIIlen, es hat nichts Volkstümliches, ist aber anziehend durch Bildung, Witz, kurz durch Vornehmheit.
Montag 19ten
Gestern sprach Richard davon, daß er diesen Winter eine Reise nach Berlin machen wollte, um in der Akademie einen Vortrag zu halten zur Beförderung unserer Aufführung in Bayreuth. Er wünscht, daß ich mitgehe, und mißversteht mich, als ich ihm sage, daß ich besser hier bliebe. Er glaubt, daß Weltrücksichten, frühere Verhältnisse mit Hans' FamIIie mich zurückhalten, während einzig meine innere Stimme mir sagt: »Du hast nichts mehr in der Welt zu tun; indem du ein schweres Leid zufügtest, hast du dich entschlossen, nur noch den Kindern und im Innern des Hauses dem Einen zu leben.« Ich will das R. nicht auseinandersetzen, um ihn nicht zu betrüben, und Gott wird helfen, daß ich recht handle!
Dienstag und Mittwoch 20ten, 21ten
Sehr schönes Wetter, ich lasse die Kinder spielen und lese im »Beethoven«, welchen R. beendigt hat. - Wir haben im Hause eine Betrübnis, der arme Jakob hat einen so schlimmen Finger, daß es sich fragt, wie er nur heIIen wird. Auch bringt ein Mißverständnis R.'s mir Kummer; bei Tisch sagte ich scherzend, daß ich nun gar kein Geld habe; R. verstand dies als einen Vorwurf und wurde hart und bitter. Ich konnte mich erklären, doch wie bald ist der Schmerz da! - Am Mittwoch abend lasen wir in Schopenhauer; wie ergreift mich diese Lehre! Beim Schlafengehen frug ich mich, ob ich nicht im Leben viel besser gehandelt hätte, wäre mir solches in der Jugend an das Gemüt geführt worden; bald aber mußte ich mir sagen: Du hattest die Lehre Jesu, die genügte, wenn du nicht eben schwach und sündig warst, als mea culpa aus tiefster Seele, und die Akzeptation jedes Leidens als Buße des Daseins!
Donnerstag 22ten
Der Brief einer armen Witwe an R. rührt mich namentlich auch dadurch, daß sie im Namen unserer Vermählung ihn anfleht, ich schreibe für sie an Düfflipp. R. sucht einen Verleger für seinen »Beethoven«. Nach langer Zeit zum ersten Male wieder deutsche Berichte, Paris ist cerniert, und bei Lagny ist das Corps Vinoy von den Preußen geschlagen worden. Auch sind die Italiener in Rom. Die Franzosen verheeren ihre Wälder, reißen ihre Villen nieder; wie Kinder bezeigen sie ihren Mut im Vandalisieren. - Unser armer Jakob ist leidend, ich spreche
mit dem Arzt, der jedoch ohne Sorge ist; Fidi erkältet, heiser und fiebrig. - Nachmittags Besuch von Mme Stockar-Escher,[13] Schwester des in der Schweiz sehr bekannten Alfred Escher; sie ist eine der ältesten Freundinnen R.'s, der bei ihr in Zürich gewohnt hat und in ihrem Garten seinen Peps begraben hat. R. freut sich, mich ihr vorzustellen, doch wie sie fort ist, sagt er: »Es kommt mir so trivial vor, bloß von dir zu sagen >meine Frau<, und ich denke mir, wie es den Leuten zumute sein soll, die mich früher auch mit meiner Frau gesehen haben.« Mir dagegen erscheint es als der höchste Stolz, mich seine Frau nennen zu hören, und dem Gefühl meines Unwertes kann ich nur dadurch begegnen, daß ich am Morgen mit inniger Dankbarkeit alles dessen gedenke, das mir geworden, und abends in der Betrachtung meines Unwertes in Reuesandacht mich versenke. - In Schopenhauer gelesen. (R. schreibt an Frau v. Schleinitz, an Pusinelli, etc. etc.)
Freitag 23ten
Arbeit mit den Kindern, weil das Wetter kalt und trübe ist. R. schreibt Briefe (J. J. Weber etc.) und korrigiert den »Beethoven«. Bei Tisch sagt er, daß soeben erhaltene TeiIe der Biographie ihn an die Ostsee wieder geführt hätten, und er schlägt mir vor, die Erzählung von E. T. A. Hoffmann: »Das Majorat«, abends zu lesen. Das Wetter hat sich erhellt, und wir machen einen herrlichen Spaziergang nach Winkel zu, durch viele Bauernhöfe durch, in der idyllisch reizenden Hügellandschaft. Wie ein Meerbusen liegt der See vor uns, und sein blauer Spiegel (»der Himmel zu den Füßen«) verklärt das ganze Bild. Am »Fontaine de Soif«[14] (so hatten wir einen kleinen Bach in früheren Zeiten getauft) gehen wir - zum ersten Mal seit der Trauung - vorbei. Innige Freude an unserer Abgeschlossenheit, dankend dabei der Kinderchen gedacht: »Ohne sie«, meint R., »würden wir zu ernst, sie lenken ab und ziehen uns in den Kreis ihres heitren Daseins hinein.« Abends liest R. »Das Majorat«, wobei es mir seltsam erging. R. hatte mich am Tage gefragt, ob mich schaurige Geschichten nicht ängstigten, ich verneinte dies lächelnd, dachte dann über Geister und Geistererscheinungen nach, an Tote, zuletzt an Daniel, und dies mit einem Gefühl des Vorwurfes; ist er dadurch geopfert worden, daß der Vater [ihn] auf Anraten der Fürstin Wittgenstein nach Wien geschickt, so beschuldige ich mich jetzt, ihn nicht dadurch gerettet zu haben, daß ich mit ihm nach Cairo ging, auch befürchte ich den rechten Arzt nicht befragt zu haben, wie er bei mir krank lag; alles dies beschäftigt meinen Sinn, und nun will der Zufall, daß bei der ersten Geistererscheinung in der Novelle zweimal der Name: Daniel gerufen wird, welchen R. mit seinem eigenen bedeutenden durchdringenden Ton sprach. Ich bebte, nicht vor Angst, sondern vor unsäglichem Weh. Die Erzählung selbst fesselte mich durch die prägnante Darstellung und das schöne Kolorit. Ich bitte R., mir zu gestatten, in seiner Stube schlafen zu dürfen, weil ich befürchte, sonst vor den wehmütigen Gedanken nicht schlafen zu können. Ich soll ruhig geschlafen haben, doch war mir die Nacht schmerzlich. - (Glückwünschende Depesche von Prinz Georg von Preußen.)
Samstag 24ten
Der Verleger Fritzsch aus Leipzig verlangt sehr nach dem »Beethoven«, und R. wird ihn ihm geben. R. meint, daß vor dem 2ten Oktober die Deutschen in Paris sein werden. Der Himmel geb' ein Ende!... Schöner Tag, die Kinder spielen und ich arbeite im Gemüsegarten. Wir beschließen eine Partie nach Stanz und führen sie aus; hübsche Fahrt im Wagen und reizende Heimfahrt im Dampfschiff, nach einem feierlichen Kinderkaffee in Winkelried; große Freude der Kinder über die Wellen, die unser Dampfschiff und ein daneben laufendes erzeugt; R. bemerkt, wie die Bogen mit uns zu gehen scheinen, während sie nur immer wieder durch die Gegebenheiten hervorgebracht werden, das Ganze ist ein Zustand und ein Bild des Lebens. In Luzern erfahren [wir] beim Ci-garrenhändler die Nachricht von der Einnahme von Toul, dazu in den fr. Zeitungen immerwährende Notizen von erschöpften Preußen, zurückgeworfenen Deutschen, Bestärkung Touls u.s.w.! Renan hat nun auch D. Strauß erwidert; sehr kleinlich ist der Brief ausgefallen, er spricht davon, daß Frankreich nicht die IIlusionen Deutschlands habe, stellt gleichsam Frankreich als ältestes Kulturland dar, scheint also nicht zu wissen, welche Geschichte Deutschland hinter sich hat, und macht eine sehr engsichtige Kritik der preußischen Monarchie. - Abends lesen wir »Ritter Gluck«,[15] mit vielem Vergnügen. Leider ist R. nicht ganz wohl.
Sonntag 25ten
Ich hatte einen einzig schönen Traum von dir, ruft mir R. zu; später erzählte er mir ihn: »Wir waren mit Ritters in Hannover angekommen und wohnten mit ihnen zusammen; in der Idee, daß du mich streng behandelt habest, ging ich verstimmt aus, hatte auf der Straße ein Abenteuer mit einem Mann zu Pferd, wurde aber überall mit den Zeichen der tiefsten Verehrung begrüßt und behandelt, das war jedoch dein Werk, ich kehrte zurück und besah das Haus, das du mir eingerichtet hattest, es war einfach, aber sinnig alles, für alles war gesorgt, die Tapete meiner Stube rot mit kleinen weißen Streifen, die Vorhänge gleich, bei dir war das Klavier, bei dir sollte ich arbeiten, da bemerkte ich, daß die Stube ein großer Saal war, hier wird Cosima empfangen, dachte ich, und wie wird sie das verstehen, wie ich deine Liebe und Fürsorge überall erkannte, voll des innigsten Dankgefühles wollte ich zu dir, mich dir zu Füßen werfen, da wachte ich auf.« Gestern erzählte er, er habe von Minna geträumt, daß sie boshaft gegen mich gewesen, ich sagte ihm, diese eine Prüfung würde mir, wäre sie eingetroffen, sehr gleichgültig gewesen sein, denn das Herz wäre dabei nicht berührt worden. »Ach!« sagtR., »es wäre schlimm genug gewesen, uns nicht angehören zu sollen, und zwar vor aller Welt; die geheimen Verhältnisse zeigen, wenn sie Stich halten, daß es doch nur eine Art Spielerei war.« - R. spricht von unsrer bevorstehenden Reise, ich möchte dieselbe gern verschieben, wenn nicht aufgeben, doch sagt R., es würde ihm wohltun, und das entscheidet. Er berichtet von seinem Verleger Schott, der sich gut benommen habe, ihm die Zahlung der Ms. vorgeschossen habe. »Das macht mir insofern Freude, als es beweist, wie man steht, und zeigt, daß man es doch nicht gern mit mir verdirbt. So hat mir auch Fritzsch's Eifer für den >Beethoven< Freude gemacht.«* (* An dieser Stelle Datierung des gleichen Tags nochmals eingefügt.) Schöner Tag, Kinder spielen im Garten. Spaziergang mit R. nach dem Kindertisch. Brief von Marie Muchanoff, sie will kommen, spricht es aber in einer Weise aus, die herabstimmt, ich zweifle beinahe an meinem ganzen Unternehmen, wenn ich annehmen muß, daß ein solches uns doch so fremdes Wesen ein bedeutendes Glied darin sein soll. Ich berufe mich immer auf die Grandiosität dieser Natur und die Unbedingtheit ihres Enthusiasmus und glaube, daß R. nur die französische [Art] so unangenehm in der Besprechung von ihm tief am Herzen liegenden Dingen ist. - Abends werden wir von den Kindern gerufen; sie stellen aus eigenem Antrieb lebende Bilder in der Galerie auf; in der Speisestube haben sie Stühle hergerichtet und das ganze Haus eingeladen, was sich dann auch wirklich eingefunden hatte und einen heitren Demos Bildete. Alles nun von Loulou angegeben, wurde zu unserer großen Überraschung von den Kinderchen ausnehmend gut ausgeführt; mit tiefer Rührung, ja mit Tränen in den Augen; das Spiel verschwindet für mich, den Ernst des Lebens, der über diesen vier Köpfen hängt, sehe ich allein, o Kinder, meine Kinder, möcht' ich euch helfen können! Loulou tut sich hervor durch vielen Eifer und Geschick, sie ist sehr aufgeregt, Boni durch sicheres Benehmen, Eva durch Freundlichkeit und Witz, Loldi aber durch ungemeinen Ernst, der sie selbst nicht beim »Knicks« verläßt, den sie mit den drei Schwestern beim Hervorruf beim Schluß uns macht. Als Bauernkinder hatten sie sich unter sich mit viel Geschick kostümiert und Gruppen aus ihren Bilderbogen ausgeführt. - Später am Abend bringt das Gespräch über den Krieg wieder die Betrachtungen über das Elend des Lebens; »und doch«, sagt R., »trete ich hier herein und betrachte das Goethe-Bild in dem schönen Rahmen, von der Liebe mir beschert, fühle ich mich glücklich und glaube an das Glück hienieden«; - wie ich darüber lächle, sagte er nur weiter: »Ich versichere dich, daß solche Empfindungen mich zum völligen Skeptiker am Pessimismus machen, indem ich mir sage, ohne die große Not wäre diese Entzückung nicht möglich. Die wahre Liebe ist auch in diesem Leben so selten wie das Genie. Das beste ist, wir erkennen das Leben als eine Aufgabe, ein Pensum an; das, was uns darin entzückt, das kommt von wo anders.«
Montag 26ten
Übles Wetter, kalt und rauh, und Fidi krank. Überall Hemmnisse, wie R. sagt. Ich schreibe an Marie M. und gebe ihr Rendezvous in Bayreuth. Gott weiß, was daraus wird, ohne viel Glauben gehen wir daran. Nachrichten von einem Gefecht in L'Isle de Dame, welches noch dauert! Große Anarchie, wie soll's, und wann, enden? - R. wird durch die »Wacht am Rhein«[16] entsetzt; die IIlustrirte Zeitung bringt sie als BeIIage, »ich wünsche den Franzosen Sieg«, ruft er aus, »es ist zu elend«! Wenn ein geistvoller Franzose das sehe, mit mIIde ironischem Lächeln würde er unser deutsches Vaterland betrachten, das mit solcher Melodie zum Schlachtfeld zieht; R. bis zu Tränen von dieser Vorstellung erfüllt: »Wir sind zu tief gesunken, nur unsre Truppen, die retten uns, die sind groß, und Bismarck«, fügt er lächelnd hinzu, »der wird wohl nicht die >Wacht am Rhein< singen!«Ich weiß nicht, wie ich auf Sappho zu sprechen komme, und R. sagt mir, daß ich diese Gedichte gar nicht begreifen könne, und kommt auf das Thema der Unmöglichkeit für uns, uns die griechische Welt nur vorzustellen, das Christentum hat uns zu etwas ganz anderem gestempelt, und zwischen diesen Welten ist eine Kluft, eine unüberbrückbare. - »Noch einmal wollen wir es versuchen mit dem deutschen Vaterland, mit Bayreuth, gelingt es nicht, dann leb wohl Norden und Kunst und Kälte, wir ziehen nach Italien und vergessen alles.« Abends beginnt R. den »Magnetiseur«, der ihm als Kind viel Eindruck gemacht hat; ich bitte ihn aber bald aufzuhören, weil der Gegenstand und die Darstellung mir sehr mißfallen; abends vorher hatte mir der »Don Juan« viel Freude gemacht, die Donna Anna und ihr Tod gemahnte mich Tristan's und Schnorr's. Und wie scharf hat Hoffmann die Trivialität des bewußten Publikums einer großen Kunsterscheinung gegenüber empfunden! -
Dienstag 27ten
Cosmas' Tag; ich sage zu R., daß ich gespannt bin, ob der Vater wie stets mir telegraphieren wird. - Fidi noch unwohl, wahrscheinlich Zahn-Bildung. Außerdem bin ich sehr betreten darüber, daß mein Bild seit drei Wochen, wie mir gemeldet wurde, abgegangen, noch nicht angekommen, und daß Lenbach, an den ich deswegen geschrieben, mir gar nicht geantwortet, stattdessen erhalte ich für die Kinder eine Schachtel voller Kleinigkeiten, welche der Papa ihnen in Venedig gekauft hat. Die Großmama schickt sie mit einem Brief. Große Freude der Kinder, mich rührt, daß auf der Schachtel von Loulou steht: 25ten August 1870, von Hans geschrieben. Besuch bei Mme Stockar-Escher, Heimgang bei schönstem Wetter. Sehr guter Aufsatz vom Ästhetiker Vischer[17] über Deutsche und Franzosen, derbe Wahrheiten. R. sagt: »Ja so ein Deutscher, der noch seine Pfeife raucht, der hat Gesinnung.« Dagegen in allen deutschen Blättern wahnsinnige Agitation für Herrn Jakoby; R. sagt: »Daß dem Juden nichts an Form und Bildung des Deutschen Reiches liegt, daß er dagegen das Kosmopolitische gern aufbringen möchte, wissen wir.« Abends im Schopenhauer gelesen (Tod und Unsterblichkeit).
Mittwoch 28ten
Brief des Vaters an Loulou; für mich ein rührender Brief Karl Klindworth's, der mir meldet, daß Hans sehr glücklich über die Nachrichten gewesen ist, die er ihm von Tribschen gegeben hat. Der Tag gehört einer übermäßigen Sorge um Fidi an, welcher sehr matt und angegriffen ist; er hat bis jetzt nur noch vier Zähne, und das Kommen der anderen scheint ihn so zu quälen. - Straßburg hat kapituliert; dagegen hat die Unterredung zwischen Favre[18] und Bismarck zu nichts geführt, die Franzosen fürchten sich vor einander, keiner wagte es, die Situation anzuerkennen wie sie ist, jetzt wollen sie sich aufs Messer verteidigen. Nach ihren Berichten haben sie bereits die Preußen drei Mal zurückgeworfen! Doch die Berichte der englischen Zeitungen melden die größte Unordnung in Paris selbst. Gott weiß wie das noch endet. Abends spielt R. mit Richter die Es dur Symphonie von Mozart, dann Gespräch über Bayreuth. - (»Beethoven« abgeschickt.)
Donnerstag 29ten
Fidi immer leidend, hat aber doch eine bessere Nacht gehabt. Die Wirrsale in Frankreich hören nicht auf; keiner kennt dort die Wahrheit mehr noch kann sie vertragen. Depesche an Herrn Lenbach, nachdem ich R. meine Not wegen dem Bild anvertraut. Keine Nachrichten von außen. Spaziergang mit R., Brief vonM. Meysenbug. Ich schreibe an Karl Klindworth. Abends Fortsetzung des Kapitels: Tod und Unzerstörbarkeit. Vor dem Einschlafen ruft mir R. zu: »Ich bin froh, daß du da bist.« Wir hatten lange darüber gesprochen, daß wir sicher seien, daß unsre Liebe nicht sterblich sein könne. »Das sind Dinge, so sicher und gewiß, und doch sind sie nicht zu definieren, man kann ihnen nur beikommen durch Sophismen, durch Spiel, wie im Tristan: Stürbe ich für meine Liebe, wie könnte meine Liebe sterben etc.« - Unterwegs mußte ich sehr lachen, wie wir von wärmeren Klimaten sprachen und der Unsinnigkeit, nach dem kalten Deutschland sich zu wenden, sagte R.: »Cosima, wenn das Kunstwerk der Zukunft eine Chimäre wäre!«
Freitag 30ten
Depesche von L., das Bild ist gestern abgeschickt worden. R. bekommt von seinem Freunde Herrig die Antwort, daß der Verleger StiIke in[19] Berlin den »Beethoven« nicht will, trotzdem, wie StIIke sagt, jetzt seit der Judenbroschüre die Sachen gekauft werden würden, weil die Juden sehen wollten, ob nichts gegen sie darin vorkäme. Brief des Gesangslehrers Fr. Schmitt, roh und unerfreulich, doch bleibt ihm R. gut, weil Schmitt sich einst gegen ihn gut benahm; R. antwortet ihm gütig aber entschieden und erklärt ihm, er habe das Vertrauen zu seinen Methoden verloren. - R. unterhält und interessiert die von Fr. v. Meysenbug uns gegebene Notiz, daß Bakunin in Lyon die Arbeiter organisiert. Dort ist nämlich eine rote Regierung, die sich gar nicht um die Pariser bekümmert; R. meint, wir würden von dort seltsame Dinge hören, ganz anders, als man es sich denke, denn »Frankreich ist reif für Experimente«. Schöner Spaziergang durch den Wald. Fidi etwas wohler, doch von Husten noch gequält und immer noch Fieber. Abends am »Magnetiseur«, ausgelesen; der Gegenstand fesselt, allein die Darstellung ist schwach.