Februar

Dienstag 1ten
Sende Pr. N. seine Bücher (Gervinus und Hartmann) zurück. Kinderunterricht, Boni macht Fortschritte im Französischen. Zur Stadt nach Tisch mit R. und den Kindern. Gedrückte Stimmung R.'s. »Die Walküre« hängt wie ein Fluch über unseren Häuptern. Nebenbei stehen die Dinge in Bayern schlimm, die Ultramontanen, welche die Mehrheit in der Kammer besitzen, wollen den Fürsten Hohenlohe stürzen; [1]der K. hält seinen Minister, will die Adresse nicht empfangen und verbietet seiner Familie den Hof; wer mag dies ihm geraten haben? Ob es eine Falle?? Ich lese das Buch von Janus über die Päpste und das Konzil.
Mittwoch 2ten
Lichtmeß; wunderschönes Wetter, die Sonne im hellsten Glanz, Frühlingsnahen; die Kinder viel draußen; R. auch am Vormittag. Er ist sehr schwermütig; »wenn du nicht wärst, ich würde mir einfach überlegen, wie ich aus dieser Welt mich schaffte, um nicht mehr in sie zu schauen«. Nachmittags zur Gr. B. mit Lusch gefahren; sie haben Hoffnung, endlich ihre Lage [sich] verbessern zu sehen. Herzliche Freude hierüber. Abends, wie ich R. von einem Tanz für die Kinder spreche, wird R. ärgerlich; der Abend geht betrübt dahin. Am Morgen kommt er zu mir und sagt, >ich möchte ihm vergeben (!!), er sei so schwer, so traurig, wenn [er] noch gar gegen mich die Traurigkeit auslasse, sei er trostlose Er umarmt mich und sagt lächelnd, »il toujours à son seul amour«.[2] - Er sagte am Tage, er habe dem Sekretär der Akademie (Grupe) geschrieben; wie ich ihn frage: »Warum?« sagt er: »Gott, der Versinkende hält sich an den Strohhalm; vielleicht vernehme ich von Gott eine verständnisvolle Stimme.«
Donnerstag 3ten
Briefe des Pr. N., dazu Sendung seines Vortrages über Sokrates.[3] Mit den Kindern zum Photographen. Briefe heimgebracht (R. Pohl, Kietz, Klindworth etc.), R. gearbeitet. Etwas erheiterte Stimmung, wie er vom Spaziergang heimkehrt, ruft er mich und zeigt mir den Mond im ersten Viertel mit dem Abendstern, die in heller Dämmerung freundlich leuchten. »Immer wieder sieht es wie Hoffnung aus.« Abends liest mir R. den Vortrag vor, was uns sehr anregt. »Traute Musik«, der Traum Sokrates' bringt R. wiederum auf das Thema des Musikers. »Wie kommt einem ein solches Thema gegenüber jedem gesprochenen Gedanken aus. Schopenhauer hat recht, die Musik ist eine Welt für sich, die andren Künste aber sprechen nur eine Welt aus.«
Freitag 4ten
R. arbeitet wieder mit Freude; er arbeitet das Orchester-Vorspiel zu der Götterdämmerung aus (Begleitung der Violinen zu dem Siegfried-Thema). Wir spielen es und freuen uns dessen. - Freude
an dem König von Bayern, weil er den Fürsten Hohenlohe unterstützt und die Adresse der Reichsräte refüsiert. Abends liest mir R. »Die Frösche«[4] von Aristophanes vor, in Folge unsrer Gespräche über den Vortrag (Sokrates und die gr. Tragödie).
Samstag 5ten
Munteres Erwachen zur Arbeit für R., ich bei den Kindern; das Rudern auf dem Rhein, von Siegfried durch das breite Thema der Rheintöchter, die sich über ihn freuen, kundgegeben, macht uns viel schöne Laune. R. spricht über den Gesang »o heiige Götter« von Siegfried und Brünnhilde und sagt mir: »Wenn du wüßtest, was mir dabei in den Sinn gekommen ist! In Magdeburg, am Schluß einer lustgen Auber'schen Ouvertüre, war mein Pudel, der auf mich draußen wartete, ins Orchester gekommen, er lief zum Fagott, hielt sich ganz still, plötzlich aber erhob er einen klagenden lauten Ton; alles lachte, mich ergriff es furchtbar, und ewig höre ich den melancholischen Gesang zu dem heitren Orchester.« Abends griechische Geschichts-Stunde, ich bezahle den Studenten (16 Frcs), was ich mir notiere, weil er mir unehrlich vorkommt. Abends »Die Frösche« beendigt.
Sonntag 6ten
An Pr. N. geschrieben, während die Kinder spielen. R. arbeitet. Kindertisch, nachher Theater, das ich den Kindern vorspiele. Abends Beschäftigung mit der g moll Symphonie Mozarts, dessen »wimmelnde Wunderbarkeiten« R. mir zeigt. Er erzählt mir von M.* (* Mozart, [5]) in Leipzig, wo er zuerst von Bach etwas hörte; hernach spielen wir die zwei ersten Sätze. Abends die Acharner von Aristophanes.
Montag 7ten
Ob der König von Bayern seinen Thron verliert? In Rom drohen sie damit, und die Klerikalen sagen in der Kammer: Wir haben die Bauern. Gleichviel, wir freuen uns, daß er sich gut benimmt und den Fürsten H. unterstützt. - Es ist heute Richard-Tag nach dem protestantischen Kalender; ich feiere ihn aber im stillen, denn der Einrahmen ist nicht fertig geworden. - Mit den Kindern; wie ich zu R. hinunterkomme, spielt er mir das Gibichungenthema, das ihm so sicher eingefallen ist, daß er es sofort mit Tinte aufschrieb. Große Freude daran; Gespräch über diese Typen Gunther, Hagen - letzterer grauenvoll geheimnisvoll, unbeweglich, kurz. Über die verlorene Naivität; »mir sind alle diese Helden wie eine Versammlung von Tieren vorgekommen, der Löwe, der Tiger etc.; sie fressen sich auch untereinander, aber es tritt keine ekelhafte Konvention, Hofetiquette u.s.w. dazu, es ist alles naiv«. - Wir fahren zur Stadt, dort bitte ich R. mich beim Photographen abzuholen - wie er kommt, sieht er ganz verstört aus. Als ich ihn abends nach der Ursache frage, erzählt er mir, er habe unterwegs einen verwundeten jämmerlichen Hund gesehen; dieser Anblick und vor allem die Unfähigkeit zu helfen, habe ihn elend gemacht; da sei ihm der Gedanke Goethe's, seinen W. Meister Wundarzt werden zu lassen, plötzlich in seiner göttlichen Größe erschienen; »ein Metier muß ein jeder haben, neben der idealen Richtung, kein schöneres, menschlicheres kann es geben als das des Wundarztes«. Er spricht so aufgeregt, daß die Kinder meinen, er sei böse. - In der Stadt Gr. B. getroffen, der mir einen langen Besuch macht, während dem die Stunde des Studenten, es verdrießt mich ein wenig, ihr nicht beizuwohnen, weil mein Mißtrauen leider wächst. Möglich, daß ich jetzt der katholisch geistlichen Erziehung sehr abgeneigt bin. Die Zeitung erzählt: Der Patriarch von Jerusalem habe für die Neutralisation der Kirche gesprochen, hierauf sei er ohne Begleitung zum Papst befohlen worden, dort hat der Bischof Valerga ihm zwei Schriften zu unterzeichnen gegeben, entweder die Widerrufung oder die Verzichtleistung auf alle Freiheiten seiner Kirche, der alte Mann bat heim zu gehen, um sich zu beraten, doch kein Gedanke daran, er war in Haft, nach zweistündiger Zögerung hat endlich der 70jährige die Verzichtleistung unterzeichnet! Ist das wahr? — Abends bringt R. Fidi zum Kindersalon, dann trägt er ihn in seine Denkstube, »ich bin so glücklich«, sagt er mir, als ich zu ihm komme. »Fidi ist das Siegel unsrer Liebe.« Er schreibt an Pr. N., welcher ihm und mir sehr hübsche Briefe über seinen Vortrag [sandte]*.(* Fälschlich: »haben«) Nach dem Tee Schluß der »Acharner«; und am Schluß des Abends, bei Besprechung einer Trauerkantate Bach's,[6] sagt R.: »Bach und Dürer, das sind zwei ähnliche Wesen, das Schmerzlich-Innige haben sie in gleichem Grad und auch denselben Sinn für die mysteriös phantastische Ornamentik. Nur ist bei Bach leider noch zu viel, was von der Mode abhing, die Zeichen einer schlechten Zeit.« - Wie R. in seiner Stube bereits war, hörte ich ihn rufen: »Nun verbitte ich mir aber einen Besuch bei Wesendoncks -« (er hatte vorige Nacht geträumt, er sei dort gewesen und habe »eingemachte«, lang vorgehaltene Notizen über eine Broschüre von sich anhören müssen, wobei er immer seinen Hut suchte und nicht finden konnte!). -
Dienstag 8ten
Wie ich Fidi in meinem Bett begrüße, bemerkt Fidi eine Spinne darauf und entfernt dieselbe rasch; Spinne am Morgen Sorgen, muß ich laut sagen; R. verwehrt mir den Aberglauben, im Inneren lägen die Mächte, die Sorgen uns weben. Allein die Sorgen haben sich eingestellt, meine älteren Kinder gaben zum Kummer Veranlassung; doch will ich das gern tragen und darüber schweigen. - R. arbeitet, er will mir dann das Gemachte vorspielen, es gelingt ihm aber nicht, was ihn betrübt; bei Tisch erzählt er mir, während er komponiert, habe er gedacht, seine Reise nach Paris, wo er mich zuerst gesehen habe[7] (r. Casimir Perier 9-10ten Oktober 1853), sei seine Brautschau gewesen; dann, daß ich eigentlich der Tristan gewesen sei, der nichts gemerkt hatte. - Auf Mozart kommt er zurück und sagt, er wolle die ganze Philosophie der Musik aus einem Satz einer Mt.'sehen Symphonie konstruieren; gerade weil sie so einfach sind und in der Melodik so unendlich frei. Beethoven sei schwieriger als Beispiel - der erste Satz der Eroica sei gar nicht zu definieren.-Briefe über das Konzil, die Geschichte des Patriarchen von Chaldäa bestätigt sich! -
Mittwoch 9ten
Die Spinne spinnt die Sorgen weiter! Brief des Hofrats Düfflipp, welchem R. nicht geantwortet hatte, der K. verlangt eine Antwort. Ich werde nun für R. erwidern müssen. R. leidend. Ich schreibe nach München, daß er nichts mehr sagen kann. An Claire geschrieben. Viel Schnee draußen.
Donnerstag 10ten
R. schreibt an Kapellmeister Eckert nach Berlin; ich habe ihm geraten, die Aufführung der MSinger dort zu unterstützen; vielleicht geht er hin. Bei Tisch erzählt er, daß zum Geburtstag Eva's (17ten Februar) die MSinger zum erstenmal in Wien gegeben werden, was uns freut. - Nachmittags bespreche ich mit ihm das Buch von Janus, welches zu lesen mich gereut, weil es einen zu trostlosen Blick in die Weltgeschichte werfen läßt. Darauf R.: »Das Verbrennen und Foltern ist doch nicht mehr möglich, allein wenn man von den Menschen in London hört, welche vor Hunger sterben, kann man da von Fortschritt reden, und hat der erste beste Jesuit nicht recht, welcher sagt: Was helfen eure Parlamente und eure Bills und alle eure schönen Institutionen, die Leute verhungern auf der Straße. Die Menschen«-fährt R. fort-, »sind noch dümmer als schlechter; daß sie boshaft sind, das liegt nun einmal in dem Trugbild, welches dem Individuum vorspiegelt, es sei alles und die übrige Welt nichts, aber daß, wenn einmal solch ein gutes Wesen entsteht wie Peabody,[8] er mit all seiner Mildtätigkeit nicht abhilft und nichts anders weiß als den Aldermann von London seine Schenkungen zu verteilen zu geben, so daß nach wie vor die Menschen verhungern - das ist zum Verzweifeln.« Brief des Pr. Grupe aus Berlin, welcher meldet, daß es der Akademie sehr recht sein wird, wenn R. dort einen Vortrag hält. - Kindertisch und nachher Kinderspiele. (Brief Richter's, Lohengrin verzögert wegen Dekorationen).
Freitag 11ten
Die Arbeitslaune bei R. verschwunden, Kummer hierüber; mir vergeht dann das Lebenslicht. Die Besprechungen über das Konzil, die Lage in Bayern nehmen den größten Teil des Gespräches [ein], wobei R. aus Scherz sagt, »Gott ist der, der stets das Gute will und stets das Böse schafft«, im Gegensatz zu Mephisto. Dann: »Das Leben ist da für die Philosophie, nicht die Philosophie für das Leben.« Schlittenfahrt mit Lusch. Abends Ion von Euripides; [9]großer Widerwillen gegen dessen Form und Inhalt.
Samstag 12ten
Lusch wieder krank, was mich sehr ängstigt. Die Stunden aufgegeben. Nachmittags, wie wir aus den alten vierhändigen Arrangements Beethoven-Symphonien [spielen], kommt Pr. Nietzsche an. Eingehendes Gespräch über dessen Vortrag. Dann spielt R. uns aus Mo-zart's »Entführung« und »Figaro« - die alten Ausgaben von Simrock machen ihm Freude-; wie Pr. N. bemerkt, man sagte, Mozart habe die Intrigen-Musik erfunden, sagt R., im Gegenteil, er hat die Intrigen in Melodie aufgelöst. Man muß nur das übrigens ausgezeichnete Stück von Beaumarchais[10] mit den Opern Mozart's vergleichen, dort sind es schlaue witzige, berechnende Menschen, die geistvoll miteinander handeln und reden, bei Mozart sind es verklärte, leidende, klagende Wesen.
Sonntag 13ten
Den Vormittag mit Pr. Nietzsche verbracht; vielerlei besprochen, u.a. erzählt er, Kapellmeister Dorn[11] habe ein Buch herausgegeben, dessen ganzer Sinn eigentlich ein Schmähen auf R. sei. Die Schurkerei, die Dorn in Riga ausgeübt, sucht er damit zu verdecken, daß er allerlei Lügen erzählt. Leider hat [er] manch einen Brief aus der Jugend R.'s, welchen er veröffentlicht, R. spricht als Kind förmlich zu ihm - wie schnöde dies preisgegeben! Ich bitte Pr. N., nichts davon R. zu sagen. Kindertisch. Nachdem Abschied von Pr. N. - Wie vereinsamt ist doch R. in dieser Welt! - Nachricht, daß der König von Bayern dem Thron entsagt. - Nachts träumte mir, ich verriegelte mich mit Blandine im Kindersalon und sagte, trotzdem wird der Tod doch herein können, und dann zu ihr: Ich werde dich rufen in meiner Todesstunde. Gespräch mit R. über die Thronentsagung des Königs, welche die materielle Grundlage unsrem Leben nehmen würde.
Montag 14ten
R. wieder an die Arbeit; schönes Wetter, Schlittenfahrt, Zuckerkant- und Marzipan-Landschaft. Wie wir heim kommen, einen Brief Claire's, welcher meldet, Mama habe ihr gesagt: Hans wolle die Scheidung nicht, sie wisse es durch Frau Ollivier. Dazu viel Unheilsames von der Mutter. Ich schreibe beiden und bekämpfe die bittren Empfindungen.
Dienstag 15ten
R. träumte von Goethe, daß er mit ihm wandelte, sich mit ihm unterhielt und bei ihm bleiben wollte, »da habe ich meine Bestimmung gefunden im Umgange mit einem solchen Menschen«. Gute Laune, er arbeitet, ich bei den Kindern. Bei Tisch erzählt er, er habe im »Käthchen von H.«[12] gelesen und sei in Tränen zerflossen, gedenkend meiner Träume, daß Loldi wahrscheinlich eine Art Käthchen werden würde. Gestern erzählte er mir, daß die fürchterlichsten Vorstellungen, die er als Kind gehabt, seien die einer Trennung ohne Wiedersehen durch Reisen und die unheilbare Krankheit eines geliebten Wesens. Er sei oft nachsichtig gegen schlechte Produkte der Literatur oder Malerei, wenn diese Gegenstände berührt werden. - Nachmittags Brief von Frau Ollivier, sehr freundlich, ich erwidre augenblicklich. (Gestern seufzte R. plötzlich inmitten des Spazierganges, später sagte mir, er habe an die Schmerzen meiner Entbindung gedacht). Depesche Herbeck's, daß die Msinger wirklich Donnerstag sind und daß das ganze Personal begeistert sei und daß man R.'s Besuch erwarte. R. lacht und sagt, was er wäre ohne mich und die Kinder. Immer größere Freude an Fidi, der gut schön glänzend ist. »Du wünschest wohl, daß er so eine Art Parzival wird?« Ich: »Ja.« Abends im »Käthchen von Heilbronn« auch gelesen, wie ich R. sage, wie merkwürdig es sei, daß man am Schluß noch so ergriffen sei, da man alles wisse, so erwidert R., weil hier alles musikalisch ist, es nicht ankommt auf Überraschung, sondern auf Erfüllung.
Mittwoch 16ten
Am Morgen zur Stadt geschlittert mit Loldi. Einkäufe zu Loldi's Geburtstag. Nach Tisch den Advokaten, er soll nach Florenz schreiben. Der Fürsprech meint, die Sache sei soweit gediehen, daß sie eigentlich von heut zu morgen geschlossen sein könnte. Großer Unwille R.'s. Ich bin dabei stumm; wenn nur R. gesund bleibt, Arbeitslust behält, die Kinder gedeihen, ich will gern büßen und meine Person nach außen hin preisgeben! - Die trübe Stimmung wird auch nicht erhellt durch die äußeren Ereignisse; »in der Weltgeschichte kann man sich nur freuen an denen, welche untergehen«. - Die französischen Blätter freuen sich über den Sturz des Ministers Hohenlohe, ein großer Konflikt kann aus alledem entstehen.
Donnerstag 17ten
Eva's Geburtstag; die Weise wird gespielt! Große Freude unter den Kleinen. Nach Tisch Kinder, kostümierte Gesellschaft. Abends Brief von Pr. Nietzsche, welcher uns freut, da seine Stimmung uns Besorgnis eingeflößt hatte. In Bezug hierauf sagt R., er besorge, daß die Philosophie Schopenhauer's am Ende einen schlimmen Einfluß auf solche jungen Leute habe, weil sie den Pessimismus, welcher eine Form des Denkens, der Anschauung sei, auf das Leben nun wenden und sich daraus eine praktische Hoffnungslosigkeit bilden. - Ich schreibe an M.M.* (* Marie Muchanoff oder Mathilde Maier, s. 16. März) - Abends ein Schreck, Fidi fiel vom Sofa!
Freitag 18ten
Heute, Kinder, habe ich ein großes Unrecht begangen; ich habe den Freund gekränkt, und da ich das nimmer mehr will und als schwärzeste Sünde ansehe, erkenne ich an diesem Fall die Erbärmlichkeit unsrer Natur. Von Beethoven's C moll Symphonie[13] sprachen wir, und ich bestand eigensinnig auf einem von mir gut befundenen Tempo. Das wunderte und kränkte R., und nun leiden wir, ich, daß ich dies getan, er, daß er von mir Eigenwilligkeit erfahren. Nach Tisch mit den Kindern zur Gr. B., deren schweres Los und großartiges Naturell mich immer rühren.
Samstag 19ten
R. wieder erheitert; er sagt mir: »Ich bin nichts mehr auf der Welt als dir gut, darum, wenn die mindeste Verstimmung zwischen uns entsteht, alles für mich aufhört.« Kindermorgen und Nachmittag. Abends Parmenides.[14] Brief von Claire. Mit Lusch aus »1001 Nacht« gelesen. An L. Bucher geschrieben und ihn gebeten, den Advokaten von Hans zu besuchen, um dort zu erfahren, was den Fortgang der Scheidung hemmt.
Sonntag 20ten
R. wohl, arbeitet. Kindertag, ich spiele, lese, singe mit ihnen. Abends, während ich ihnen ein Spaß-Diner gebe, spielt R. zwischen höchstem Ergötzen die »Gazza-Ladra«-Ouvertüre.[15] Dann, für uns, nehmen wir den Choral von Luther vor in einer Kantate von Bach: »Das Wort sie sollen lassen stahn«. R. wie immer mächtig ergriffen davon, »ein Volk, das solches aufzuweisen hat, ist ein respektables Volk, und ein Jude macht daraus eine französische Oper, damit ist alles gesagt«. Und doch - sage ich - sind es noch diese Klänge, entweiht und verballhornt, welche den Erfolg dieser Oper gemacht. »Und Bach ist Luther«, fuhr R. fort, »sieh nur den Gleichmut, mit welchem er die kühnsten gewagtesten Sachen schreibt.«-Abends in Nohl gelesen »Gluck und Wagner«, einzelnes sehr gut (über Tristan z. B.), vieles aber unangenehm schwülstig.
Montag 21ten
Ein Aufsatz aus der A.A.Z. über Londoner Zustände bringt R. auf folgende Worte beim Frühstück: »Die Welt ist so furchtbar und die Täuschung durch die Individuation des Willens ist in jedem so groß, daß sich jeder für das Ganze hält, daß keiner der Schuld des Daseins entfliehen kann und daß auch keiner der Welt auf radikalem Weg beikommen kann; so muß ein jeder auf seiner angefressenen Stellung sich zu behaupten suchen und die Schuld, die er durch Bekümmerung der andren geübt, abbüßen durch große Güte des Herzens und durch die Taten des Geistes, welche so vielen zugute kommen.« Und dann weiter von London: »So eine Stadt ist der Cancer eines Volks, er saugt es aus; wenn Bismarck wirklich die großen Städte ausrotten möchte, so hat er einen wirklich deutschen Gedanken.« »Das Elend, wie wir es vor uns sehen, haben die Griechen nicht gekannt.« Gestern freuten wir uns, daß Tischbein[16] Schiller auf dem Portrait Purpur umgetan hätte, »von allen Dichtern«, sagte ich, »ist er der einzige, welchen ich mir gern mit dem Purpur vorstelle«. R.: »Weil er gar kein persönliches Leben mehr führt, er wußte, daß er jung sterben würde, wollte seine Aufgabe vollbringen und bekommt dadurch etwas Erhabenes, Heroisches.« »Die Spanier hatten recht«, sagt er scherzend, »Cervantes sehe ich als Krüppel, alten Soldat[en] im braunen Mantel, von seiner Wachstube aus die Welt betrachtend.« Abends die Astronomie-Stunde der Kinder und nachher noch in Nohl's »Gluck und Wagner«. R. war heute durch das Arbeiten etwas ermüdet und meinte, das Leben, das wir führten, sei insofern vielleicht erschöpfend, als es immer auf das Höchste der Gefühle wie des Schaffens ausgehe.
Dienstag 22ten
Wir wundern uns, keine Notizen aus Wien über die Msinger zu erhalten (ob Krankheit oder Bosheit?). Am Morgen sagt mir R.: »Du Arme mußt für so vieles sorgen, zuerst komme ich, die Komponier-Maschine, da mußt du sorgen, daß sie richtig eingeölt sei und nicht knarre, dann das Dutzend Kinder, die alle erzogen werden müssen.« - Lulu liest mir den »Robinson Crusoe«; und das ausgezeichnete Buch bringt mich wieder auf das Schicksal der großen Menschen, Daniel Defoe[17] am Pranger, wie furchtbar! - Abends »Die Wespen« von Aristophanes.
Mittwoch 23ten
Am Morgen komme ich in Folge einer aufgeregten Nacht, wo alle Verstorbenen mir wiederum nahe standen, auf Blandinen's Tod zu sprechen, »Gott«, sagt R., »man wird ein ganz andres Wesen, wenn man solche Dinge erlebt hat. Sich sagen zu müssen, daß ein solches Geschöpf wie Blandine verschwunden ist. Ach! und Schnorr's Tod,[18] es war doch furchtbar, man hat es überlebt, aber man wird ein andrer. Wenn Schnorr nicht gestorben wäre, wahrscheinlich hätte sich unser Schicksal anders gestaltet, wir hätten uns aufgeopfert, wie wir es begonnen hatten. Ohne ihn war für unsre Kunst keine Hoffnung. Für Schnorr haben wir nun Fidi«, beschloß er lächelnd die nachmittägige Betrachtung. Er arbeitet dann emsig, eine Stelle hat er ausgestrichen, »habe mir es leicht machen wollen, nun läßt es mir aber keine Ruhe«. - Nach Tisch zur Gr. B., deren Tochter krank ist. Der Sohn, soeben zurückgekehrt, erzählt mir manches aus Wien; ein adeliger Vetter habe ihm erzählt: >Die jetzigen Fürsten seien so schwach, weil sie von den Freimaurern eingeschüchtert seien!< -Abends Schluß der »Wespen«.
Donnerstag 24ten
Große Aufregung in der Kinder-Welt, heute ist Fritschi-Zug. Wir fahren zum Hotel du Lac, dort speisen wir und sehen von dort den sehr hübschen Zug an. Ich komme neben dem Erzherzog Heinrich zu stehen, der eine Schauspielerin geheiratet hat und nun in einer Art Exil in Luzern lebt. Nachmittags bringt R. von der Post einen Brief meines Freundes L. Bucher, der mir bezeugt, daß Simson der Advokat ehrlich ist, dann einen Brief Hans' an unseren Advokaten, er will Ende März nach Berlin. Mich bewegt es furchtbar, kaum kann ich die Handschrift ansehen. Gott erspare euch, Kinder, solche Empfindungen - Diese Nacht, als ich nicht schlief, erblickte ich den Mond, der soeben aufging (V2 vier), »Stern der stillen Nächte«, ruf ich den freundlichen an und versank in tiefer Betrachtung! Das Schwerste, Kinder, ist einem Menschen ein Leid angetan, Gott bewahre euch vor diesem Schicksal. - Es freute die Kinder vor allem die Betrachtung von ausgestopften Vögeln Eine Ente erregte auch R.'s Aufmerksamkeit, »Gott dieser Blick, Tristan und Isolde, die ganze Melancholie des Daseins«. Abends »Hermes Odysseus«[19] als Frühlingsgott. (Der Haupttänzer im gestrigen Karneval-Ball soll der Rattner [?] gewesen sein!)
Freitag 25ten
R. arbeitet fleißig, »so ein Musiker, während er komponiert, verfällt eigentlich einem wahnsinnigen somnambulen Zustand Wie anders mit den schriftstellerischen Arbeiten, die Begriffe sind die Götter, die in einer Konvention leben, die Töne aber die Dämonen.« Nachmittags die Kinder zur Klavierstunde, ich schreibe an L. Bucher. Am Morgen Brief des Münchner »Schäfer«, welcher, nach Wien gereist, um die Msinger zu sehen, nun berichtet, daß wegen Heiserkeit der Sänger die Aufführung aufgeschoben sei.
Samstag 26ten
Nichts von außen und innen nichts, denn R. ist unwohl und kann nicht arbeiten; ich bin auch leidend, doch geb' ich den Kindern ihren Unterricht. Nachmittags Brief der Mutter; ich fahre aus, um einiges zu R.'s Geburtstag zu bestellen. Das Frühjahr kommt an, »fangt an«; wie ich R. meine Freude über unsre blühenden Hyacinthen ausspreche und ihm sage, daß das Beobachten des Wachsens einer Blume mir beinahe Über das Betrachten eines Kunstwerkes geht, lacht er und sagt: »Ja, neben den Hyacinthen, wie sieht da der Kopf von Schiller aus? Wie der Blumentopf.« - Viel Freude an »Robinson Crusoe« mit Loulou.
Sonntag 27ten
Briefe an Claire und Judith. Plötzliche Ankunft Heinrich Porges', der mancherlei Lächerliches über die musikalischen Zustände in München erzählt. Der Tannhäuser unter des »Stümpers« Wüllner Leitung soll gar nicht erkenntlich gewesen sein. - Da R. ein wenig heftig war, sagt er: »All das Musikmachen macht dumm oder bös.« Sehr hübscher Brief des Korrepetitor Eberle aus Berlin, der sich über die »Energielosigkeit« der Sänger in Berlin ärgert. R. sagt von ihm, das ist der deutsche Musiker, fanatisch und pedantisch, grob, oft versoffen, der sich allen verhaßt macht durch sein lästiges Wesen, lästig aber nur für die Sache. Spaziergang zu dreien. Abends liest uns H. Porges seinen Aufsatz über Lohengrin, worin sehr viele gute Sachen sind. (Herrliches Frühjahrs-Wetter).
Montag 28ten
R. leider eine schlechte Nacht gehabt, in Folge welcher er nicht arbeiten kann. Ich bei den Kindern, R. schenkt mir ein schönes Halsband, welches mir zu Eva's Geburtstag bestimmt war. Nach Tisch Depeschen aus Wien, »trotz Israel« großer Erfolg. Ich zur Stadt mit Porges, heimgekommen finde ich größte Aufregung in der Kinderwelt; vermeinend die Bauernbuben hätten ein Lamm getötet, ist ihnen Loldi nachgelaufen, hat sie geschlagen, ihnen die Zunge gestreckt und von R. unter Fußstampfen gefordert, daß er die Buben »schlachten« soll. - Brief der Gr. Krockow, sehr freundlich, einzig bekümmert mich darin, daß meine alte Freundin Marenholtz-Bülow trotz »großer ewiger Freundschaft« es vermeint, mir nicht mehr schreiben zu müssen. Abends Fortsetzung des Lohengrin-Aufsatzes von Porges (bei ihm tritt das Jüdische nur darin zum Vorschein, daß er nicht ruhig zuhören kann).