Mittwoch 1ten
Mit R. komme ich oft auf die Franzosen zu sprechen deren sonderbaren Einfluß auf die Trachten, die sie alle verdorben haben, die Unfähigkeit ihrer heutigen Schauspieler, das mittelalterliche oder antike Kostüm zu tragen; am besten stehe ihnen der Louis XIV.-Anzug, mit der Perücke, den Schabracken etc. »Merkwürdig ist es, daß bereits zur Zeit Shakespeare's die Franzosen als Mr Pardonnez-moi und als lächerlich zierlich galten. Es ist, als ob vom Anfang an diese gallische Race alles bepudert und niedlich gemacht hätte; alle barbarischen Säfte und Kräfte arten bei ihr aus.« - Wie ich zum Frühstück eintrete, empfängt mich R. singend mit dem Thema der 9ten Symphonie. »Wem der große Wurf gelungen, dieses Weibes Mann zu sein, ja wer gar von ihr einen Jungen« u.s.w., »das ist mein Hymnus an die Freude«, sagt er. - Wie ich gestern vor dem Einschlafen mein Glück beschaute, fiel mir das Leiden andrer in den Sinn, mir schauderte, und wie ich schon lange dem sinnlichen Ausdruck der Liebe entsag, nahm ich mir vor, jedwede kleine Freude, ja nur Annehmlichkeit zu opfern, um dieses eine namenlose Glück in kleinlichster Münze abzuzahlen, R.'s Gedeihen zu erschauen und zu teilen! - Gestern kam aus Rußland ein Brief ohne Angabe des Ortes noch des Namens; ein enthusiastisches heimliches Liebespaar dankt R. für die Entzückungen, die seine Musik ihnen gewährt. - Keine Antwort vom Dr. P.* (* Pusinelli, vgl. 25. Mai) noch vom Notar; beides macht mich besorgt. - Nachmittags Schreck wegen Rus' Verschwinden, er wird aber im »Adler« wiedergefunden. Regenwetter, Herr Kietz macht seine Dampfschiffpartie; abends Erinnerungen an R.'s Hunde. (Ankunft des Geldbriefes, welchen ich gleich der Dampfschiffgesellschaft zusende, so habe ich seit einem Jahre 5500 Fcs. bei Seite für die Kinder gelegt).
Donnerstag 2ten
Ich höre nachts R. aus der Nebenstube ausrufen, »keiner will's glauben, daß ich so glücklich bin, dich zum Weibe zu haben« . - Am Morgen gestern trat ich in seine Stube, und er spielte und sang die soeben entworfene Skizze von der Ankunft des verkappten Siegfried's bei Brünnhilde. Furchtbar wirkt die unmenschliche Apostrophe des Helden an sein Weib, und durch das große Themengewebe, welches durch die vier Werke waltet, ist allerdings eine Sprache geschaffen, die die Welt noch gar nicht ahnt. - Kindertisch mit Herrn Kietz, welcher um 4 Uhr abreist, sein Besuch hat R. wenig Freude gemacht, er fand ihn sehr versunken und verkommen. Abends Schluß der »Jungfrau von O.« Wir hatten vorher mit R. die Episode mit Lionel eigentlich als eine Schwäche des Werkes besprochen, nun waren wir ganz erstaunt und voller Bewunderung dafür. »Keine sinnliche Liebe ist es, die Johanna überkommt, sondern ihr schrecklich heiliger Beruf ist gebrochen, das ist alles sehr gut motiviert durch die vorangehenden Scenen, wo die Helden um sie werben, und das ganze Hofleben. Es ist aber dieser Zug so zart und tief, daß die meisten ihn gar nicht nachfühlen können. Es lebt für sie nicht.« - Wunderschöner Abend im Garten beim Sonnenuntergang - Lusch als Sennerin; der gute Herr Kietz hat das schlechte Wetter gebracht und wieder mitgenommen. Akazienblütenduft, Kindertummeln, Leute hin und her, die Sonne, der sterbende Held grüßt uns alle scheidend.
Freitag 3ten
»Das Wort gibt einzig das Gespenstische der Erscheinung, die Musik klingt immer unschuldig klagend dazu«, sagte gestern R., nachdem er ausgerufen: »Wenn ich diesen ersten Akt fertig habe, habe ich ein furchtbares Stück Arbeit von mir gewälzt. Das merkwürdigste ist mir immer, daß ich die Nornen-Scene zu meiner Zufriedenheit zu Stande gebracht.« Ich: »Und dabei ist es ein liebliches Stück!« »Das ist die Musik«, sagt er u.s.w. Brief des neuen Freundes Hans Herrig, dem das »Musikdrama« viel Not macht, der aber sehr bedeutend erscheint. R. antwortet ihm. Brief des Km. Marpurg, welcher ganz entrüstet ist, daß man ihm zugemutet hat, die Walküre ohne R. in München zu dirigieren. - R. arbeitet; wir sind froh, wieder allein zu sein. Nachmittags Besuch der Gräfin B. mit ihrer Tochter, das Kind benimmt sich häßlich gegen Loulou, erste Kränkung für diese, ich entnehme für sie die Lehre, daß sie alles in der Liebe ihrer Geschwister suchen muß, nichts von außen erwarten. - Abends die »Bezähmte Widerspenstige«:[1] »Wie wir gesunken sind, zeigt, was sie aus diesem Stück für die deutschen Theater gemacht haben.« - Der Jude Herr Strausberg hat die A.A. Zeitung gekauft, es war das letzte Blatt, welches nicht in den Händen der Juden war und einem alten deutschen Geschäftshaus angehörte!!
Samstag 4ten
Brief von Herrn Kietz. »Das beste an ihm ist der dumme Junge«, sagt R., »der Mann ist schauderhaft.« - R. bei seinen Skizzen, ich mit den Kindern abwechselnd badend, lehrend, spielend. R. zeigt mir in der Skizze das Thema der Liebesscene von Br. und Siegfried, welches wie ein Nebelbild erscheint, als S. Br. überwältigt und sie ihn unbewußt erkennt. R. sagte: »Wie ihr der Ring entrissen wird, gedachte ich Alberich's, das edelste Wesen leidet dasselbe wie der Unedle, der Wille ist in jedem Geschöpf eins.« - Bei Tisch klagt er wiederum über den Beruf der Musik, »jede Arbeit, die nicht mit der Vernunft zusammenhängt, ist Scherz dagegen; hier kann nichts erzwungen werden, ebenso wenig als
man durch den Willen einen Traum wieder anspinnen kann, man muß warten, bis es einen förmlich anfliegt«. - Nachmittags Briefe von R. an: Nietzsche, Eckert etc., Unsinn erhalten: ein Theologe will nach Österreich empfohlen werden, ein Rigaer will eine Konzertmeisterstelle, ein Gesandtschaftssekretär will eine Empfehlung über eine Komposition etc. - Abends verlasse ich plötzlich die Kinder und wandre ans Klavier, was ich sonst nie mehr tue, R., der von dem Spaziergang heim gekommen, ist ganz betroffen, weil er selbst an das Klavier wollte oder vielmehr mußte, die musikalische Ausarbeitung des Schwert-Herausziehens von Siegfried ging ihm durch den Kopf; lachend über unsren Zusammenhang verließ ich die Stube, er zeichnete auf, ich brachte die Kinderchen zu Bett. Abends die »Bezähmte Widerspenstige« weiter.
Sonntag 5ten
Schwere, Herz gequälte Nacht, in meiner Seele erwäge ich stets, welche Kränkung ich angetan, und vertiefe mich darin, da ich es nicht anders zu büßen weiß. - Brief des Musikhändlers Kahnt,[2] über die Herausgabe, so kleinlich und unsauber aber, daß R. ihm nicht antworten will. R. wird heute mit der Bleistift-Skizze des ersten Aktes der Götterdämmerung fertig. Ihn schaudert aber, wie er sagt, vor der Ausführung »mit der Tinte«. Kindertisch; nachher Kinderdiner, Mansch und Pansch; R. spielt seine Skizze der Götterdämmerung durch und beklagt es, so ganz ohne Musik zu leben, dann wiederum überlegt er: anhören könnte er keine Musik, wie sie jetzt gemacht wird, er müßte selbst ausführen, und dann würde wieder das Schaffen nicht möglich sein. - Abends Schluß der »Bezähmten«. - Rückerinnerungen an voriges Jahr!
Montag 6ten
Mein Kind, mein Sohn, deine Geburt - mein höchstes Glück - hängt mit der tiefsten Kränkung eines andren zusammen, dies war meine Daseins-Schuld, vergiß dieses nie, erkenne darin das Bild des Lebens und büße es ab, wie du kannst. Sei aber gesegnet von mir als die Verwirklichung des seligsten Traumes! — Um 41/2 Uhr werde ich geweckt durch süße Töne, auf dem Klavier kündigt mir R. die Geburtsstunde an. Durch Loldi und Eva werden mir dann Blumen und Sterne (im goldenen Rähmchen) gebracht; später empfängt Fidi in Weiß auf der roten Decke die Gratulationen seiner Schwestern und beschenkt sie; am Fuß der »Opferaltars« wie an einer Pagode, gleicht er einem kleinen Buddha, dem beglückenden angebeteten. R. ruft aus: »Welch ein schöner Morgen! Wie bin ich glücklich!« - (Dritter Brief des Freundes Kietz dazu!!) - Lulu erfreut uns durch ihre Herzlichkeit gegen Fidi, ein warmes Herz hat das gute Kind, möge der Lebenslauf es ihr nicht knicken. —
6ten Juni
Wenn von der Sonne Abschiedskosen
Die Erde die süße Traube gewinnt,
Da haben in Lust und Leid wir geminnt,
Und erblüht bist Du mit den Rosen.Die um das Grab von Tristan und Isolden,
Sich üppig umschlingend erheben,
Die Rosen so hold, die Reben so golden,
umschlingen sie sich um Dein Leben!Dein Bild, urewig, segnete Tristan's Nacht,
Als in Todeswahn wir uns fanden,
Siegfried's Sonne hat der Geburt gelacht,
Wie Vater und Mutter neu erstanden.Bei den Rosen und Reben, Tristan' und Isolden's
Ruh Bei Sonnen und Erden Abschieds-Kuß,
Stürme, mein Siegfried, was da stürmen muß,
Hell wie der Tag, tief wie die Nacht seiest Du.
Übles Wetter zu Fidi's Geburtstag, die Kinder kümmert's nicht; aber R. ist unwohl. Gestern abend sprach er noch lange über Philosophie und sagte, daß von Platon bis Kant kein eigentlicher Fortschritt entstanden sei; daß z. B. Spinoza,[3] der die Schlechtigkeit der Welt eingesehen, doch diese Welt, wie sie uns erscheint, für eine Wirklichkeit erachtet habe. - Im »Wallenstein« von Ranke liest er und lobt Ranke, weil er ohne Affekt sei. - Ich spiele mit den Kindern Komödie. - Abends lese ich R. einiges aus Schiller und Goethe's Briefwechsel vor.
Dienstag 7ten
»Wie viel mir doch erstorben ist«, sagt R., »wenn ich an dieses Zürich denke, wo ich 9 Jahre zugebracht und nichts gehaftet hat; die Symphonien von Beethoven habe ich dort aufgeführt, alles ist weggewischt, das ist nun gegenseitig.« - Der Kupferstecher Lindner[4] ist angekommen und wir beginnen unsre Arbeit; beinahe alles ist an seinem Stich zu verändern, doch hoffe ich, daß er gut wird; der Mann selbst, Bauernsohn, behagt uns durch die schlichte Wahrhaftigkeit seiner Natur. - Gestern kam zur großen Freude der Kinder ein italienischer Knabe mit einem Murmeltier; R. sprach etwas italienisch mit ihm, »wie das klingt, wenn so ein Bube einem Si signor sagt, dieser Adel, diese Wehmut, Mignon, kennst du das Land, fällt einem ein, und die Tränen treten ins Auge«. Abends beginnen wir »Wilhelm Meister«, leider aber ohne Befriedigung mit dem ersten Buch. - Brief des Königs an R.; für mich Brief des Hofrats Pusinelli, welcher mich freut.
Mittwoch 8ten
»Du bist nichts als Seele, Liebe, Güte«, sagt mir R. gestern, mir geht es dabei wie Gretchen,[5] weiß nicht was er an mir find't. - Den Kindern Unterricht gegeben; R. leider unwohl und in trüber Stimmung. Sehr ungelegen kommt uns das Ehepaar Friedrich Porges aus Wien, da R. wenig zur Unterhaltung aufgelegt ist und sie lange bleiben. Übles kaltes Wetter, ein Tag, den man tragen muß. - Spätes Nachtessen, da R. noch die Korrektur der Biographie zu korrigieren hat. Auch lesen wir nichts abends.
Donnerstag 9ten
Übles Wetter, wie denn der Monat Juni hier preisgegeben ist. R. unwohl, gelangt nicht zur Arbeit. Kindertisch; Loldi sehr schön, wie aus einer andren Welt, sagt R., Sacountala[6] oder Cenerentola. Nach Tisch Ausfahrt. Abends in »Wilhelm Meister« gelesen. (R. schreibt an Herrn Kietz, welcher immer [noch] in Zürich »klebt«).
Freitag 10ten
Viele Freude an Fidi, der sehr munter und prächtig wird. - Gestern las ich in der Zeitung, daß Hans in Nürnberg und Würzburg für das Denkmal Hans Sachsen's,[7] und zwar zum letzten Male in Deutschland, spielen wird. - Lulu's Brief an ihre Tante abgegeben und eine Photographie der Kinder beigelegt; der Ton der Tante gegen die Kinder mißfällt mir zwar sehr, und ich überlegte, ob ich den Verkehr nicht abbrechen sollte, allein es kann später im Interesse der Kinder sein, diese Beziehung zu haben, und gern habe ich jeden persönlichen Stolz unterdrückt. - Gestern morgen schenkten wir einem Gastwirt mehrere Fasanen-Eier, um sie ausbrüten zu lassen; wie ich frug, warum unsre Fasanin nicht selbst sie ausbrüte, erfuhr ich: sie brüte sie nicht in der Voliere! Das stimmte mich wehmütig, des armen Finken gedachte ich. - Ich bin sehr unwohl und kann nur mit Mühe die Kinder unterrichten. R. arbeitet etwas, doch ist er düster gestimmt in Gedanken an die Aufführung der Walküre. - Nach Tisch fahren wir aus trotz unsicherem Wetter; unterwegs sprechen wir über die Häßlichkeit der jetzigen Trachten. »Was soll ein junger Mann jetzt für einen Eindruck der Weiblichkeit erhalten, die er jetzt mit diesen Chignons sieht, wie kann da die männliche Entwickelung gedeihen?« sagt R. - Ein Buch A. Stahr's über die Frauen-Gestalten Goethe's zeigt uns das ganze Elend der jetzigen Bücher-Macherei. Abends Fortsetzung »W. Meister's«; viel Freude. Wir kommen dann auf Beethoven zu sprechen, und R. sagt: »Das einzige Mal, wo Beethoven nicht konzis gewesen, das ist im Finale der großen B dur Sonate, das einzig dein Vater spielen kann und wobei ich mehr über die Virtuosität mich freute, als über das Ausgeführte selbst. Die Konzision scheint das Geheimnis der Musik zu sein; wenn die Melodie aufhört und durch irgendeine Arbeit ersetzt werden soll, hört die Wirkung auf. Beethoven ist der erste, bei welchem alles Melodie ist und der es gezeigt hat, wie aus einem und demselben Thema immer neue Themen entstehen, die ganz etwas für sich sind.«
Samstag 11ten Brief
des Kmeisters Esser aus Salzburg, welcher meldet, daß die Walküre in München am 26ten aufgeführt werden soll. R. lacht und sagt: »Mit dem vom Theater zurückgezogenen Esser und dessen Verkehr komme ich mir vor wie vor Zeiten mit Pohlenz,[8] wo wir die >Neuzeit< unter Mendelssohn's Anführung beklagten und ich mit Pohlenz den alten biedren Kunstsinn Leipzigs repräsentierte.« Ich befinde mich plötzlich sehr unwohl und fahre mit den Kindern aus, um mich ein wenig zu erholen. Heimgekommen finde ich Pr. Nietzsche und seinen Freund Herrn Rohde, auch Philologe, welche sich gestern bereits angemeldet haben. Heiter ernste Unterhaltung, Pr. N. liest uns abends seinen Vortrag über das griechische Musikdrama, über welche Benennung R. ihn anhält und sie ihm mit Gründen verweist. Der Vortrag ist schön und zeigt, daß er das griechische Kunstwerk recht empfunden hat. (Pr. N. hat mir die »Melancholie« von Dürer gebracht).
Sonntag 12ten
Allgemeines Frühstück; dann mit den Gästen zum Löwen, während R. arbeitet. Bei Tisch ist R. sehr munter und gut gelaunt, er kommt auf die Musiker zu sprechen, »die wilde Bestien sind, keine gebildeten Wesen, und dem Schauspieler eigentlich sehr nah. Verlangen, daß unsere heutigen Musiker mit ihren Quintetten, Trios, Kantaten etc. dirigieren sollen, das ist, als ob wir von einem Novellenschriftsteller verlangten, er solle auf einmal Komödie spielen«. Um fünf Uhr bringen wir die Gäste zum Bahnhof; dann heim; prachtvolles Wetter, schöner Mondschein; nach dem Abendessen »W. Meister«, wunderbar schön liest mir R. die Scene zwischen Mignon und Wilhelm (Eiertanz).
Montag 13ten
Nichts von außen als schönes Wetter, was uns sehr erfrischt. Arbeit mit den Kindern; R. bei seinen Skizzen. Nachmittags gibt eine ungeschickte Bemerkung von mir Veranlassung zu einer kleinen Verstimmung; beinahe möchte ich den Zwischenfall preisen, da bei solchen Gelegenheiten wir noch heftiger empfinden, daß wir nicht die geringste Uneinigkeit zwischen uns vertragen können. - Der Student teilt mir mit, daß er nach langen Kämpfen der Theologie und somit auch seinem Stipendium entsagt habe, um sich der Naturwissenschaft zu widmen, ein für seine Umstände beinahe heroischer Entschluß. - Abends zur Gräfin B., der Fürst geht dem Ende entgegen. - Zu Haus »W. Meister«.
Dienstag 14ten
Am Morgen langes Gespräch über »W. Meister«, der uns entzückt. Die Kinder beim Hauswirt, so daß ich an Judith [schreiben] und einige Geschäftsbriefe besorgen kann; große Schwüle. Nachmittags in »W. Meister« mit R. gelesen; abends bringt uns die Betrachtung des Blattes »Die Melancholie«, welches Pr. Nietzsche mir geschenkt, auf die Vergleichung zwischen A. Dürer und S. Bach. »Beide«, sagt R., »sind eigentlich als der Abschluß des Mittelalters zu betrachten, denn Bach als zu uns gehörig zu betrachten, ist ein Unsinn. Beide mit dieser reichen geheimnisvollen Phantasie ausgestattet, der Schönheit entbehrend, aber das Erhabene treffend, das alle Schönheit überragt. Zu ihnen müßte man als Dichter Dante gesellen, der uns weniger sympathisch ist, weil nicht so human, eben nicht Protestant.« Die A.A.Z. kommt und enthält eine schnöde Notiz über die Walküre, >es sei früher das Interesse für die W.'schen Sachen groß gewesen, jetzt spräche kein Mensch davon<. R. sehr angegriffen von dieser boshaften Verdrehung aller Dinge, »nicht die Bosheit ist es, die einen immer wieder in Staunen setzt, sondern die neue Form, in die sie sich immer wieder mit völliger Genialität kleidet«. Wie ich Vreneli sage, mir immer die Zeitungen zuerst einzuhändigen, teilt sie mir mit, daß im Frühjahr aus München nichtswürdige Karikaturen, deren Inhalt sie mir gar nicht anvertrauen kann, zugeschickt worden wären, sie habe sie verbrannt! (Brief von Claire).
Mittwoch 15ten
Ankunft meines Hochzeitkleides, Pläne für Fidi's Zukunft, R. spielt ihm vor, er horcht ernsthaft zu; R. arbeitet; in einem langen Gespräch am Morgen untersucht er das Wesen der Welt, »die Natur hat die Menschen nicht höher angelegt, als wie ungefähr sich einzurichten wie ein Ameisenhaufen; große Geister sind Anomalien, und man darf nicht nach ihnen die Masse beurteilen; wo die Völker selbst mit Phantasie begabt sind, dann bringen sie es nicht zum Ameisenhaufen wie die Engländer und Schweizer, die phantasielosen, sondern bringen unter lauter Unordnungen interessante Erscheinungen hervor«. - Zu unsrem Plan der Aufführung der Nibelungen übergehend, »was ist Dank, was ist Zeit, wenn es nur einmal da war, so existiert es ewig für die Menschheit; wenn ich auch weiß, daß ich die Masse nicht verändern werde, nichts Bestehendes umwandeln, so verlange ich nur, daß das Gute auch seinen Platz, seine Zufluchtsstätte habe. Das Gemeine und das Schlechte muß die Breite einnehmen und behalten, allein ein Asyl kann das Gute vielleicht noch finden«. »Du wirst sehen«, rief er gestern aus, »du wirst sehen, die Walküre wird noch zu meinen Gunsten ausfallen; freilich kann ich damit nichts zu tun haben, aber irgend etwas wird sich dabei finden, das mir, meinem Plane vielleicht günstiger ist, als wenn jetzt ein völliges Schweigen wäre.« - Am Ende des dritten Buches von »W. M.«, wie er den Band aus der Hand legte, sagte er: »Wie ist es denn uns gegangen? Haben wir gewußt, wie wir vereint waren? Da waltet eben der Gott.« - Frau Ras, die anmutvolle Stickerin aus Appenzell, besucht uns, dann zur Stadt mit R. Abends »W. Meister« weiter. Prachtvolle Mondnacht. »Drei Gebete hast du gemacht, Dauphin«, sagt plötzlich R., »weißt du«, fügt er hinzu, »was ich für ein Gebet soeben an den Mond gemacht habe? Es möchte mir erspart werden, jemals mich von dir trennen zu müssen, um für unsere Existenz zu sorgen; von dir so Abschied nehmen wäre furchtbar.«
Donnerstag 16ten
Fronleichnam, es wird tüchtig geschossen, gebimmelt u.s.w.; aber herrliches Wetter; »guten Morgen mein Stölzchen«, sagt mir R. Die Kinder bei uns, die zwei großen gehen zur Prozession. Brief von Dr. Herrig, sehr bedeutend. Wir haben Nachrichten vom Maderaner Tal; ich hatte mich, da die Antwort zögerte, schon darauf gefaßt gemacht, daß man uns, unsrer Lage wegen, in der Pension nicht aufnehmen wollte, und hatte mich darin ergeben. Nun ist es anders und wir werden wahrscheinlich binnen 14 Tagen dort oben sein. Üble Nachrichten vom alten Fürsten, er schläft ein. Kindertisch. In den Zeitungen steht, daß das Dogma der Unfehlbarkeit mit Anathema verkündigt werden wird, und daß das Gebaren der Bischöfe der Opposition nichts minder als charaktervoll gewesen ist. - Nach Tisch kommt R. auf die Bemerkung Heine's über die Poesie Schiller's, >es seien besoffene Begriffen »Wenn man chemisch zersetzte, woraus dieses Witzwort besteht, das wie eine Genialität erscheint, so würde man am Grunde den außerhalb stehenden Juden finden, der von unsren Zuständen spricht, wie ein Irokese von unsren Eisenbahnen sprechen würde. In diesem >besoffenen Begriff< liegen Wahrnehmungen des Studentenlebens, wo einer Gelehrter geschimpft wird und dann aus dieser Beschimpfung ein Trinkduell entsteht; der Jude steht auch hier außerhalb, das Platte, Rohe fällt ihm auf, und für das Ideale unserer Natur hat er keinen Sinn. Daß bei Schiller die genaueste Erkenntnis der Idealität sich zuweilen zu sehr ausspricht, das nennt er besoffene Begriffe, da hätte man ihm bloß zu erwidern, das verstehst du nicht.« - Wenig Freude an der Analyse des »Hamlet« in »W. Meister«, unsere Deutung oder vielmehr unsere Empfindung davon ist eine anders tiefe. - Neulich sagte mir R.: »An der Deklamation des Hymnus an die Freude, welche erst im Maestoso richtig und dem Hymnus angemessen ist, kann man das ganze Problem des Textes zu der Musik erkennen.« Bei Gelegenheit der Analyse des »Hamlet« sagt er: »Goethe war das große Genie in der Wahrnehmung des Lebens, aber sein Urteil über Dichter war unsicher.« - R. schreibt plötzlich an den König, um ihn zu bitten, die Walküre für sich aufführen zu lassen. Fortgesetzte Lektüre in »W. Meister« stimmt ihn wieder heiter, dann sagt er, wie er seinen Brief siegelt: »Man steht zwischen Genius und Dämon, du gehörst zum Genius, der König zum Dämon.« Nach und nach werden wir ganz heiter, ein großes Gewitter entsteht, R. freut sich dessen, weil er nicht ausgehen kann, »nur lieben und schaffen, und schaffen weil ich liebe, du bist die Zentralsonne, um die sich alles dreht«. »Bist du wieder froh«, frug ich. »In allem, was du bewegst, bin ich froh und glücklich, aber du kannst nicht hexen, die Außenwelt bleibt was sie ist, und doch — du hast gehext.« Er korrigiert die Bogen der Biographie, »wird dies alles auch Fidi durchmachen müssen, wäre es ihm nicht zu ersparen?«
Freitag 17ten
Wie wir durch den Brief des Dr. Herrig erfahren, sagt ein Herr Ambros[9] in einem Wiener Blatt, R. habe seine Broschüre über das Dirigieren bloß geschrieben, um sich als Dirigent zu der Beethoven-Feier zu empfehlen; die Elenden, und niemand wird erfahren, daß R. gar nicht auf die Einladung erwidert hat. - »Meine Arbeit, welcher Luxus« - sagt R. -, »wahrhaftig, ich tue es nur, damit du nicht böse wirst.« Wir lesen im »W. Meister«: »Die Bemerkungen Aurelien's über die deutsche Nation, wie merkwürdig, wie [sie] sieht, daß ein jeder Großer so empfunden hat; mich freut es zu sehen, wie meine Empfindungen solche Wurzel haben.« Große Freude an Fidi, »da sieht man, daß das ein Kind der vollsten Liebe ist, und daß diese Liebe etwas zu sagen hatte«. Brief des Verlegers, in München und Wien wollen sie Rienzi geben. — Das Gespräch bringt uns abends auf spanische Tänze, welche R. in seiner Jugend einen unauslöschlichen Eindruck gemacht. Im Garten spielen die zwei Kleinen mit den Zuchthäuslern, welche unter Aufsicht mähen und ihnen Erdbeeren geben, Loldi bringt einem dieser Geld, welches wir ihr dazu gereicht; rührendes Bild, doch die Gesichter furchtbar; »welche Studie«, sagt R., »der ganze Trotz der Unveränderlichkeit der Natur liegt in einem solchen Gesicht ausgesprochen«. Die Großen bei M. Bassenheim, ich hole sie ab und sehe den verfallenen alten Fürsten mit Schrecken. Wie ich heimkomme, sagt mir R., ich sollte doch nicht, auch nicht auf einen Sprung, von ihm gehen. Das Gespräch über spanische Tänze bringt uns auf Nationen überhaupt zu sprechen, und ich fordre von ihm das Zeugnis, daß ich eine Deutsche bin.
Samstag 18ten
R. bemerkt am Morgen: »Sehr sonderbar ist es doch, daß König Jerôme[10] Beethoven eine Pension anbieten ließ, worauf denn die österreichischen Edelleute das Gehalt festsetzten. Ich möchte das erwähnen, um einmal zu bemerken, daß die günstigste Chance für das deutsche Talent noch das wäre, wenn Franzosen oder Russen bei uns zu herrschen kämen; sie würden es wenigstens für klug halten, nach dem Bedeutenden zu fragen.« R. arbeitet; Brief Catulle Mendes', welcher R. sagt, sie würden der Versuchung nicht widerstehen können, die Walküre in München anzusehen; R. antwortet, dann müsse er (R.) der Versuchung widerstehen, sie auf Tribschen zu sehen. Gegen Abend mit R. Pension Stutz, das nahe liegende Grundstück besucht, wehmütiger melancholischer Eindruck, noch viel Welt-entflohener als Tribschen.
Sonntag 19ten
R. angegriffen von der Arbeit, doch noch viel mehr von der bevorstehenden Aufführung der Walküre, mit Willen schweige ich hierüber. In der Illustrirten Zeitung liest R., daß er mit dankender Anerkennung des ihm gewordenen ehrenden Antrags die Direktion der 9ten Symphonie abgelehnt habe, dies empört ihn nun sehr, und er berichtigt die Sache an die Signale. Sonntäglicher, d. h. recht geprüfter Spaziergang mit den Kindern. - Besuch unseres Buchhändlers Prell, der uns sehr merkwürdige Geschichten erzählt, wie er z. B. einem reichen Bauern das Brockhaus'sche Conversations-Lexikon verkauft habe, dieser aber auf Befehl seines Pfarrers es habe zurückbringen müssen als antikirchlich. »Ja«, sagt R., »die Herrn Liberalen gehen nicht zum Bauern hin und erkundigen sich, was er liest, sie begnügen sich, den Mund in den Kneipen voll zu nehmen.« - Die große Freude des Hauses ist, daß zum ersten Male die Fasanin brütet. R. trat gestern mit Absicht ein Verderben bringendes Insekt tot und sagte, er habe eine physische Commotion[11] durch den ganzen Körper dabei empfunden.
Montag 20ten
Wehmütige Nacht mit seltsamen Träumen, viel an Hans gedacht mit inniger Empfindung seiner Kränkung. Hätte ich sie ihm ersparen können, bei dieser Frage tritt R. herein, ganz angegriffen, da fühle ich denn auf's neue, daß ich nicht anders gekonnt, als ich getan, möge mein tiefstes Mitleiden die Schuld sühnen. - Brief Richter's, er geht auch nach München, und zwar um den Brüsseler Theaterdirektor zu treffen, welcher in Paris Lohengrin aufführen will, alles das, ohne R. im mindesten zu fragen. Ich schreibe an den Pensions-Besitzer im Maderaner Tal; wir geben das Projekt eines sechswöchigen Aufenthaltes dort auf, da die Kosten zu hoch kommen würden. Depesche von Catulle Mendes, er bittet um Entschuldigung, sie gehen nicht nach München. Depesche Richter's, welcher in acht Tagen kommen wird, um die Skizze des ersten Aktes für den König abzuschreiben. Kahnfahrt mit den Kindern nach S. Nicolaus, Loldi sieht vor allen R., der uns zu Land entgegen kam; Eva wieder im Kahn heim mit Hermine, von der Höhe erblickt Loldi wieder das Schiff und wir rufen einander zu. - Abends »W. Meister« mit immer wachsender Bewunderung des unendlichen Reichtums dieser Schöpfung.
Dienstag 21ten
Ich bin wehmütig, meine Kinder, und muß nur kämpfen, daß es niemand merkt, die Nacht gedachte ich meines Abschieds von Hans im November vor einem Jahr; woher nahm ich die Kraft, die ich doch keinen Kummer, selbst an Fernstehenden, teilnahmslos sehen kann? Gewiß, das Schicksal trieb mich und ich gehorchte einer höheren Fügung, allein, daß ich Hans gekränkt, werde ich nie verschmerzen; niemals niemals. - Brief des Advokaten aus Berlin, welcher mir einen Akt meldet, nach welchem ich noch einmal zu erklären habe, daß ich nicht heimkehre, in Folge dieser Erklärung kommt die Schlußaudienz, in welcher »voraussichtlich die Scheidung ausgesprochen werde«. Nach Tisch Fahrt mit den zwei Pferden nach dem Roßloch, wunderschönes Wetter, lustige Stimmung der Kinder. Abends noch etwas in »W. Meister« gelesen. Pr. Nietzsche schreibt sehr schön von dem Eindruck, welchen Tribschen auf ihn und seinen Freund gemacht, und widmet mir seine Vorträge über Sokrates und das Kunstwerk der Griechen.[12] Dr. Herrig entsendet Manuskripte, und der König die Kopie des Aquarells von Tribschen.
Mittwoch 22ten
In der Zeitung steht von Hans' Konzerten für das Hans-Sachs-Denkmal. Ich gebe Loulou alle diese Nummern aufzubewahren. - R. leider sehr angegriffen von seiner Arbeit, aber noch mehr von dem Kummer über die Walküre. Freundlicher Brief Marie Muchanoff's, die Wagner-Vorstellungen haben in Weimar mit dem Holländer begonnen. Nachmittag zur Gr. Bassenheim, der Fürst am Morgen gestorben; Anblick der Leiche, Todesheiterkeit, Lebenskrampf, tiefer Eindruck. - R. abends sehr unwohl; ich lese ihm in »W. Meister« vor, bei der Frage Wilhelm's nach seinem Kinde, im Turm am Schluß des 7ten Buches, müssen wir weinen. »In der Jugend versteht man das gar nicht«, sagt R. -
Donnerstag 23ten
Schlaflose Nacht in Sorge um R., und in Gedanken an den Fürsten. Am Morgen spricht R. über Protestantismus, »welcher einzig zu begreifen ist als Protestation gegen jede Konfession zu Gunsten des wahren Kernes der Religion; das ist sein Wesen. Dieses dem Kind klar machen und dabei ihm einzig das Leben Christi lehren, in seiner Einfalt und Erhabenheit. Dazu Toleranz gegen die andren Religionen, Kenntnis der griechischen Mythen, die sehr tief sind in Bezug auf die Diagnose der Welt, wenn sie auch nicht erlösen«. - Dann sagt R., er habe schon lang Lust, einen Roman zu schreiben, ein junger Mensch - ungefähr Lessing, anders genannt aber, erhält den Fluch seiner Eltern, weil er zu Schauspielern läuft, er entflieht, wird aber von preußischen Werbern gefangen, muß eine große Aktion des 7jährigen Kriegs durchmachen, lernt den verhaßten Friedrich kennen und bewundern, wird zu dessen Privatsekretär. Gespräche zwischen ihnen etc. - Brief - aus Barcelona! - Zur Gr. B.; R. erschrickt über mein Trauergewand. Er arbeitet eifrig und emsig und ist etwas wohler. Kindertisch; spät abends Spaziergang, nachher »W. Meister«, wobei uns die Art, wie über Mignon's Tod weggeschritten wird, ganz empört. Mir ist, als ob nach der Einsicht in Marianen's Unschuld Wilhelm gebrochen sich einzig den Kindern widmen sollte, Mignon's Tod, nicht aufzuhalten, bringt ihn gebrochen zu Lothario und den Seinigen, mit dem einzigen Bestreben, Felix gut zu erziehen, dann erst Begegnung mit Nathalien. Aber die Vermischung zwischen der Katastrophe Mignon's und dem Bildungsgang ist verletzend.
Freitag 24ten
Großer Gewitter-Tag, doch können wir noch im Garten am Morgen arbeiten; ich schreib' an Pr. Nietzsche (gestern schrieb ich Marie Muchanoff in Weimar). Wie ich Fidi baden will, kommt Donner, Hagel, Regen, Orkan. Aus der Stadt kommt ein Brief Franz Müller's[13] aus München; dieser meldet emphatisch die Begeisterung aller für die Walküre! Man gibt dort am Sonntag die W., dann drei mal hintereinander das Rheingold und die Walküre. »Es ist doch prachtvoll«, sagt R. bitter, »Perfall Intendant, Wüllner Kmeister, Grandaur Regisseur, Müller Historiograph, und dazu der König von Bayern und mein Werk.« Mir geht es durch's Herz wie Dolche, und ich frage, ob diese Schmach wirklich ungerächt vor sich gehen wird? Kurz vorher hatte mir R. gesagt: »Du bist die Schwester des Königs von Bayern, ihr habt euch die Hände gereicht, um mein Leben zu erhalten, er freilich als törichtes Wesen, du als gutes Weib.« Ich kann die Empfindungen des Königs nicht enträtseln, freilich sagt ein indischer Spruch, daß man dies niemals nirgends von einem Könige könne. Während ich dies schreibe, sitzt Fidi bei mir, auf der Katalpa sitzt ein Vogel, und beide plappern miteinander. Unser Sonnenstrahl, nennen wir Fidi. - Abends stellt sich die traurige Wirkung des albernen Briefes ein; R. so außer sich und dabei physisch angegriffen, daß ich trostlos und ratlos dastehe. Nach und nach beruhigt er sich äußerlich. Wir lesen in »W. Meister«, geben aber die Lektüre beim Tode Mignon's verletzt auf. Unbegreiflich, daß Nathalie, indem sie ihm das Schicksal des Kindes mitteilt, ihm nicht zugleich die Weisung gibt, nurmehr für die Kinder zu leben, Mignon nach Italien zu führen und ihr wenigstens einen gelinden Tod zu verschaffen, um später erst die Freunde aufzusuchen und die Bildungsstufen durchzumachen, in welchen er sich albern genug ausnimmt.
Samstag 25ten
Da der Eindruck, welchen der gestrige Brief gemacht, von der schlimmsten Art war, gab ich Befehl, alle Briefe, welche aus München kommen, mir zuerst einzuhändigen. Gar froh bin ich, diese Maßregel getroffen zu haben; ein Brief des Hofrat Düfflipp meldet, daß nicht nur der König nicht die Vorstellung für sich geben wird, sondern daß er selbst der ersten nicht - nur der, welche in Verbindung mit dem Rheingold stattfindet - beiwohnen wird! Ich antworte, so gut es geht, und sage, daß ich jede Notiz vom Meister fern halte. R. hat gestern viel gearbeitet, und heute läßt er sich wieder dazu an. Ankunft des gerichtlichen Aktes, Antwort darauf. Brief der Frau Dr. Wille, welche mich und R. zu sich einladet, die große Freundlichkeit, mit welcher dies geschieht, rührt uns sehr, R. dankt und verspricht ihr, den ersten Hochzeitsbesuch zu machen. »Du hast's gewußt«, sagt er mir plötzlich bei Tisch, »was?« »Etwas.« Vom König sagt er: »Das ist ein verehrungswürdiges Wesen, er ist das Schicksal.« Besuch des Grafen Bassenheim, er ersucht mich an Düfflipp zu schreiben; die Gräfin möchte nämlich das Lehn des Fürsten in ein Weiberlehn verwandelt sehen. Ich schreibe. - Brief des Intendanten v. Bronsart aus Hannover; die MSinger haben dort keinen Erfolg. Besuch bei Frau Am Rhyn; im übrigen Frieden- und Freudenlosigkeit, weil unser armer Kos erblindet; ein Auge ist schon verloren und das andre wird wahrscheinlich auch von der Räude ergriffen werden. Wie grausam doch alles, alles! R. geht mit Kos zum Augenarzt und kommt mit der guten Botschaft zurück, daß das Übel nicht so gefährlich sei; allein es sieht sehr schlimm aus. - Abends nimmt R. wieder den »W. Meister« und sagt, jetzt käme es darauf an, Goethe kennen zu lernen, wir seien Kinder, daß uns das Interesse an dem längst bekannten Roman so hinrisse, es handelte sich darum, den Dichter zu studieren.
Sonntag 26ten
Kos sehr übel, »wie die leblosen Mächte, die chemischen Mächte, sich um solch ein armes Wesen streiten und es zerstören, zeigt recht, daß das Leben nur ein Zustand, ein Krampf ist«, sagt R. - Gegen Mittag kommt Freund Richter an, was uns recht freut; er hat in München der Probe der Walküre nicht beigewohnt, was sehr hübsch von ihm ist. R. ist gut gelaunt, wir besprechen Bayreuth und vergessen München! Fidi, Monsieur Sonnenstrahl. Brief des Verlegers Lucca; unverschämter Weise fordern Breitkopf und Härtel das Recht des Verlags für Italien. Abends Punsch mit Richter, dem es scheint in Wien recht übel zu gehen. Wie er zu Bett ist, lesen wir noch ein Kapitel in »W. Meister«, »Mignon's Exequien«. -
Montag 27ten
Wir erwähnten mit keinem Worte gestern der Aufführung, und das war für R. gut, denn er versteht keinen Spaß mehr; das hat Richter sehen können, wie er ihm sagte, er habe die »Berichtigung« bedauert: »Habt ihr denn gar kein Ehrgefühl mehr«, ruft R. heftig aus; »klatschen, applaudieren können sie, aber weiter nichts; kurz, es war möglich, daß unter solch einer Aufforderung die Namen Hanslick und Schelle stehen konnten.« - Die Reprise des Tannhäuser in Wien scheint mit einem beispiellosen Erfolg vor sich gegangen zu sein. Ich schreibe dem Verleger Lucca im Namen R.'s. Der Tag geht Gott sei Dank ohne Nachrichten aus München vorbei, nur abends kommt eine Depesche, deren Unterschrift von vornherein gute Laune macht; ein Herr Napoleon Komolatsch - wahrscheinlich ein Böhme - telegraphiert vom grenzenlosen Jubel am Schluß des ersten Aktes. Gestern hatte ich eine wie gewöhnlich mißwollende Notiz über die Generalprobe in der A.A.Z. ausgeschnitten und R. verborgen. Abends in »W. Meister« fortgefahren. R. entnimmt aus dem eigentümlichen Werk neue Belege für die Grenzen der Dichtkunst und das Grenzenlose der Musik, die an keine Schönheit gebunden ist, sondern ganz naiv das Erhabene trifft. - Bei Tisch erzählt er uns von Hanslick (die Mutter eine Jüdin) und von dem Herrn Ambros, welcher sich hat durch die Neue Freie Presse kaufen lassen (gegen R.), wie die beiden sich ihm genähert hätten, ihm Geständnisse gemacht und wie solche elenden Menschen doch auf seine Vornehmheit rechneten, daß sie nicht befürchteten, daß er dies einmal erzähle. -
Dienstag 28ten
Ein Herr Marr (Sohn des Schauspielers)[15] schickt eine kleine Broschüre, welche nicht schlecht gemacht zu sein scheint. Brief des Kupferstechers Herrn Lindner, rührend durch seine befangene Schlichtheit. Nachmittags zum Grafen B., um Nachrichten von der Gräfin zu haben. Traurige Enthüllungen über den Sohn. - In Rom geht es per Esel, Schuft und Spitzbube her; Asino hat der Papst den Fürsten Rauscher genannt, und Schuft und Spitzbube die Mehrheitsbischöfe den Kardinal Guidi in der Aula. - R. spielt mit Richter die Nornenscene; und wir beendigen den »W. Meister«. (Ich schreibe an Herrn Pohl, um ihn zu bitten, falls er über die Walküre berichten würde, doch ja den einen wichtigen Punkt zu erwähnen, daß kein Musiker sich hätte finden sollen, um das Werk ohne den Komponisten zu dirigieren.)
Mittwoch 29ten
»Meinen Eudämon«, nennt R. Fidi; »mein guter Genius bist du.« - Gestern kam ein Geldbrief aus Pest, der Tannhäuser bringt unerwartet 500 Gulden ein, was R. sehr vergnügt. - Heute bringt das Äußere nur einen Brief von Herrn Schäfer[16] aus München; der Erfolg der Walküre soll sehr groß sein, und der Intendant des Berliner Hoftheaters soll in einem fort applaudiert und sich die Besetzung in Berlin aufnotiert haben (!!). R. erkältet, geht nicht aus, spielt mit Richter: Haydn'sche Symphonien, das erinnert mich an die Zeit, in welcher ich mit Blandine diese Werke spielte, »le beau temps ou j'etais si malheureuse«, wie Frau von Stael sagt, meine traurige, vater- und mutterlose und doch selige Jugend! Die Kinder immer um uns.
Donnerstag 30ten
Gestern wollte ich durchaus an Herrn Wüllner schreiben, um ihm seine ganze Untat darzustellen. Heute finde ich es vernünftiger und würdiger zu schweigen. - Brief von Frl. v. Meysenbug an R.; sie will hierher kommen; die Musikgesellschaft von Wien fragt an, ob R. den Einladungs-Brief erhalten, ignoriert demnach alles, was vorgegangen. - Wie Fidi auf dem Teppich vor mir kriecht, gedenkt R. des Novembertages,[17] an welchem ich hier ankam; mir fällt gleich dabei der letzte Abschied von Hans ein, und es durchzuckt mich krampfhaft. Wer wollte Zerstreuungen haben, der in den Abgrund des Wehs geblickt und auf den höchsten Höhen der Seligkeit gewandelt? - Gestern fuhr Richter die Kinder die Tribschner Ufer im Kahn entlang; ich wollte, meiner Ängstlichkeit wegen, den Kindern die Freude nicht versagen, und um es Richter nicht schwer zu machen, ging ich nicht in [den] Kahn, so lief ich denn in der törichtsten und unsäglichsten Angst am Rand herum, immer ermessend, wie ich am besten im Fall eines Unglücks in [den] See zur Hülfe springen würde. Die Fahrt war still und schön, Rus schwamm dem Kinderkahn nach, 7 Kleine erfreuten sich des Vergnügens (Willie und die Am Rhyn'schen dazu), ich litt für mich und freute mich für sie. - Zwei Damen aus Berlin, Professorinnen, schreiben an R. ihre Freude über die MSinger und bitten ihn, noch solch eine heitere Oper zu schreiben. - Kindertisch, Boni etwas unwohl; eine merklich sehr gute Wendung ist in ihrem Charakter eingetreten. Italienische Zeitung, welche von dem großen Eindruck des Fliegenden Holländers in Weimar berichtet. Beethoven-Kantate meines Vaters, leider ungenießbar durch den Text, auch ist die ganze Gattung (das Thema der Eroica wird gesungen!) unerquicklich. - Hübscher Brief von Frau Dr. Wille, sie will uns besuchen, da wir vor der Trauung nicht zu ihr kommen wollen. Abends spielt R. mit Richter das eis moll Quartett von Beethoven; stets erneuertes Staunen über diese aller-ächteste Beethoveniana.