Donnerstag 1ter
R. wollte heute an seine Partitur gehen, allein er ist zu unwohl. - Ich habe heute die Tapetenauswahl vor (für das neue Haus). Sonst Vorbereitungen für den 22ten, ich bin recht besorgt, von Würzburg[1] aus nicht gar gute Kunde. Abends liest mir R. »Frauen Treue« von Konrad von Würzburg, das Original seiner Hochzeit; wundervoller Eindruck!
Freitag 2ter
Schönes Wetter wieder eingetreten, R. geht an seine Partitur, was ihm zuerst schwerfällt. Eine Seite wird heute vollendet. R. hat immer viel Ärger wegen der gar nicht zu Stande kommenden Broschüre, ich sorge um die Aufführung am 22ten. Nachmittags mit den Kindern in das neue Haus. Der Bürgermeister läßt eine schöne Platane einpflanzen, Kinder gespannt zusehend, Amsel singend, auf einem hohen Kamin ein Storch auf seinem Nest »das ist Glück«, denke ich. - Abends spricht R. viel über die Griechen, den dorischen Staat.
Sonnabend 3ten
R. kommt zu mir in der Frühe, das »Preislied« singend, »wir haben doch viele hübsche Sachen schon miteinander gemacht«, ich: »Du hast aber auch ohne mich hübsche Sachen gemacht.« »Das war nur Dichterstraum, die Muse des Parnaß.« Er schilt mich liebevoll, daß ich den Vater zu sehr liebte!... - Tristan und Isolde verlangen Mannheim und Wiesbaden, er will die Bedingung daran knüpfen, daß man dann für alle seine Werke ihm Tantiemen gebe. - R. erzählt mir bei Tisch, daß Feustel's Schwiegersohn, Herr Groß, nur mit Mühe und Not in Wien im 4ten Rang einen Platz bekommen habe, daß aber selbst dieser Unkundigste und Kleinstädter die Aufführung sehr schlecht gefunden habe. R. lacht und sagt, »eine solche Situation ist wirklich unerhört, kein Intendant gibt meine Sachen gern, kein Kmeister kann sie dirigieren, kein Sänger kann sie singen, die gesamte Presse schmäht sie, und dabei reißt sich das Publikum darum«. Nach Tisch spricht R. von dem Vater, der nichts zu tun brauche, bloß dazusein, und er risse die Frauen hin - »unsereiner muß immer erhaben sein«. Er tut mir sehr weh, indem er behauptet, daß ich in meinem Elemente, wenn ich beim Vater sei; als er dies bemerkt, sagt er: »Alles, was man spricht, ist töricht, ein guter Teil des Lebens muß unartikuliert bleiben, wie wirre Träume, wir sind in einem Zustand zwischen Wachen und Träumen und leiden darunter, bis unsere Vereinigung stattfindet und kein Wachen noch Träumen mehr ist. Mir genügt es, wenn du Blicke in mein Herz wirfst und verstehst, daß meine Klagen aus Zartgefühl der Liebe kommen und ich einzig leide, wenn ich denke, daß du nicht mitfühlst.« Gestern versprach er mir, den Trauermarsch von Romeo und Julia zu komponieren. Heute ist der 3. Mai; gestern vor 9 Jahren starb Meyerbeer, heute vor 9 Jahren trat Pfistermeister zu R., und morgen den 4ten kam er zu dem König. - Eislebens und seiner Verkümmerung gedacht, namentlich der alte Brunnen - eine Art Schweine-Trog, ganz so wie er war, entsetzte R. - Wir fanden denselben Bäckerladen, und er zeigte mir die Schule, sich entsinnend, daß der Lehrer[2] eine Demoiselle Oehler bevorzugte. Auch derselbe Buchbinderladen und das Haus H —, darin er so viel gespielt, erkannte er sogleich; wir traten ein, frugen nach der Familie und erfuhren, daß nur »das bucklige Fräulein«, und zwar in einem anderen Hause, noch lebe. - Wie der Bürgermeister gestern unser Grundstück bewunderte, erinnerte ich ihn daran, wie keiner die Wahl früher begriff, er bejahte dies und sagte, der staunenswerte Blick von R. überrasche ihn beständig; wie er überall das Rechte sehe und angebe. -Unsre großartige Frau Lucca schreibt an das Direktorium des Conserva-toriums in Mailand, daß sie eine Summe von 2000 fr. ihm zur Disposition stelle, um für eine Reise des talentvollsten jungen Schüler verwendet zu werden; derselbe soll in Deutschland lernen, wie man dort Musik komponiert, dirigiert und anhört (selbst wenn es fremde ist). Vortrefflicher Gedanke, was aber wird der Schüler in Deutschland lernen können?... Abends unsere Kopisten, sie spielen das Meistersingervorspiel und entsetzen R. durch das Tempo von trauermarschartiger Breite. - »Ach! wenn die Welt wüßte, was man einzig von ihr will! Einem die Mittel zu geben, sie nicht mehr zu gebrauchen.«
Sonntag 4ten
R. hatte keine gute Nacht; kann in Folge dessen nicht an die Instrumentation; Kindertisch nachher, ich mit den Kindern nach Fantaisie gegangen, R. holt uns ein; trüber Eindruck der großen Tannen, da die übrigen Bäume dürr sind. R. geht zu Fuß einen Teil des Weges mit Rus heim, ich fahre mit den Kindern; R. erzählt mir dann, er habe unterwegs über das nachgedacht, was er nach Tisch mir gesagt: »Wenn ich jetzt stürbe, hätte ich ganz vergebens gelebt«, und habe sich überlegt, daß, wenn er ein hohes Alter erreiche, auch damit eine Umgestaltung der Zustände verbunden sein müßte, denn in diesem fortwährenden Kampf -d. h. sich quälen und geschmäht und ignoriert zu werden - sei nicht denkbar, daß er alt würde, von der andren Seite fühle er keine Abnahme der Lebens-Kraft, und ich sagte ihm ja, daß er wie des Vaters Sohn ausgesehen habe (seine Haare waren plötzlich wieder einmal ganz schwarz); so baue er darauf, um den Triumph seiner Sache zu erwarten. Ich — erwarte und hoffe nichts, doch spreche ich das nicht aus, denn es ist seine Kraft und durch die wirkt, daß er glaubt, und meine Ohnmacht, daß ich nicht glaube und nicht zweifle. Abends Vorrede zur Geschichte der deutschen Sprache von Grimm.
Montag 5ten
Viel viel Not und Kummer um die kleine Überraschung zu R.'s Geburtstag; keiner hilft mir wirklich! R. instrumentiert, hat aber Ärger dazu - denn die Kölner, anstatt 3000 Thaler zu schicken, schicken bloß 1000 »für's erste«. - Beim Kaffee öffne ich durch Zufall den Aischylos[3] und muß mich verwundern über die höhnische Antwort der siebenten Eumenide an Orestes (hoffe auf die Toten, der [du] die Mutter tötetest!), ich sage R., daß in meinem Gedächtnis diese Sachen viel emphatischer, allgemeiner blieben und ich immer wieder über das Persönliche, Shakespeareartige erstaunt sei. R. gibt mir recht und sagt, daß namentlich bei dem ungeheuren Theater und bei Masken und Kothurnen [man] sich diese Lebhaftigkeit der Rede - (»in Sophokles löge sich eigentlich der Chor durch«) und zumal im Lustspiel des Aristophanes gar nicht vorstellen [könne]; »wie können die entfernten Zuschauer dem gefolgt sein? Ich komme darauf, daß die Griechen ganz anders gesehen und gehört haben als wir Stubenhocker und Brillen-Menschen«. - Wir sprechen von den Schlachten dieser Auserwählten, namentlich Platäa fesselt R., er sagt, man könne da nicht genau genug hinsehen, so interessant wäre sie. - Nachmittags zum Hause; durch unseren Architekten erfahren wir Sonderbares! Graf Castell hat dem Könige vorgeschlagen, für 90 000 Gulden sämtliche freien Eingänge zum Hofgarten abzukaufen, nur damit uns der Eingang abgeschlagen werden kann; das arme, sonst ganz vergessene Bayreuth wird plötzlich zum Gegenstand der Schikane der Regierung. Der König ist nicht darauf eingegangen, die guten Leute behalten ihre seit Markgräflicher Zeit ihnen gehörenden Eingänge, und wir erhalten vielleicht den unsrigen. Nun entsinne ich mich auch, daß Frau v. Lerchenfeld mich frug, »ob ich schon einen Schlüssel hätte«, worauf die Antwort: »Vor dem Schlüssel müßte doch die Türe da sein.« - R. geht zu Feustel und kommt sehr befriedigt von seiner Unterhaltung zurück, ihm eine größere parlamentarische Laufbahn wünschend; sie hatten über die Zustände in Deutschland gesprochen, und Feustel hatte gesagt, so lang nicht ein furchtbarer Zoll uns von dem Ausland (Frankreich) trennte, würde Deutschland zu keiner Prosperität gelangen. Jetzt z. B. sei gar kein bar Geld da, weil die Deutschen die 5 Milliarden bezahlt hätten, das Geld liege in den Kisten der Regierung. Die luden seien für den Freihandel, weil ihnen an Deutschland nichts liege, auch wollte der Jude lieber vom Ausland beziehen als von seinem deutschen Nachbarn, dem er nichts gönnt. Wenn man aber diese Maßregel vorschlagen wollte, würde der ganze seichte Liberalismus (jüdisch) dagegen stürmen, nur in Zeiten einer furchtbaren Not könne sie von einem weisen Despoten aufoktroyiert werden. Der Deutsche sei aber jedes Selbstvertrauens dermaßen beraubt, daß, wenn Wörth und Weißenburg nicht gewesen wären, sondern der geringfügigste Revers, unsere Truppen nicht hätten vorwärts schreiten können vor Mangel an Geld, denn von der Anleihe von 100 000 000 (100 Millionen) seien kaum achtzig bezahlt worden. - Die Franzosen hätten sich nicht nur durch Zoll abgesperrt gegen das Ausland und bezögen alles von sich, sondern sie ließen auch furchtbaren Zoll zahlen auf die Waren, die ausgeliefert werden, daher ihr Reichtum. Nun haben sie uns in Spitzen, Pomade, Seife bezahlt, und der dumme Deutsche gibt sein Geld her! - Abends lesen wir Aufsätze von Pohl über das von Hans dirigierte Karlsruher Musikfest. Hübscher Brief des Vaters, der sich durchaus als der unsrige erklärt; R. aber, empört durch den Gedanken, daß ich etwa ohne ihn nach Weimar zur Aufführung des »Christus« reisen werde, schilt mich!... (Besprechung wegen der lebenden Bilder).
Dienstag 6ten
Früh morgens Besorgungen mit den Kindern. Ich besuche den Dekan, der mir erzählt: Pr. Ott,[4] ein Sachkundiger, habe unser Haus hoch gerühmt, dagegen ein Regierungsrat (immer die feindliche von München hieher versetzte Regierung!) erklärt habe: es sei kein Raum darin; diese Äußerung gemahnt mich an eine durch Zuflüsterung von Fürstin W. eingegebene Frage des Vaters in Leipzig, ob wir denn Raum für die Kinder hätten!... Traurigste Böswilligkeit der Menschen. - Wie ich heimkomme von dem Morgenspaziergang, finde ich R. tief bekümmert, er hatte einen Brief von unserem Freund Dr. Standhartner erhalten, ihn lächelnd eröffnet, da der Treffliche sonst gar nicht schreibt, und fand darin die Nachricht von dem Tode des ältesten Sohnes des Hauses, der einzigen Hülfe unseres lieben Freundes! Vor Jahren war derselbe Fall, wiederum schrieb er nach langem Schweigen und meldete den Tod der Tochter! Im Augenblick des Schmerzes gedenkt er einzig nur R.'s, und der Schweigsame muß zu ihm sprechen. Wir sind tief erschüttert - ich muß des Wortes gedenken, das mir R. einmal gesagt: »Der Tod eines unserer Kinder wäre mein Tod.« Einzig brachte an diesem Tag wieder das Genie Heiterkeit über uns; ich weiß nicht wie es kam, aber R. zitierte aus »Don Quichote« die oft wiederkehrende Phrase: »Entweder ich verstehe nichts von Abenteuern oder —«, und wir müssen furchtbar über die pedantische Einleitung lachen, R. behauptet, daß kein Mensch so mit ihm lachen würde können wie ich - und dabei sind wir so traurig und meine Tränen wollen nicht aufhören. - Wir gehen mit den Kindern zum Theater, und R. muß sich ärgern, daß, anstatt daß der Bau zum September fertig werde und die Patrone zur Besichtigung eingeladen werden können, erst Ende Oktober die Bühne vollendet sein wird. Abends der Bürgermeister, der Dekan und Freund Feustel; erstes Gespräch über den Storch, der auf einem benachbarten Hause sein Nest gebaut [und] uns allen viel Freude gemacht. Dann Optimismus und Pessimismus - Feustel beginnt mit dem Satze, daß die meisten Menschen gut seien, das empört R., der, wie er sich ausdrückt, in seine »Tobsucht« verfällt und heftig dagegen polemisiert. Die Zeitungsphrasen und die fr. Revolution läßt diese verständigsten Menschen ganz seicht werden. In guter Laune endigt aber alles.
Mittwoch 7ten
Immer Not, mein guter Neffe scheint kein Glück zu haben!... R. instrumentiert; ich schreibe einige Briefe in Feiers Angelegenheit... Das neue Haus mit Freunden besichtigt. Abends deutsche Sprache im Grimm mit vieler Freude. Gedanke, daß die Mythenbildung denselben Handlungs-Weg als die Wörter genommen, R. sagt: »Ja, die Geschichte ist ziemlich monoton, die Variation ist die Kunst.« - Auf den Optimismus wieder kommend, sagt R.: »Keiner von den Freunden würde mir raten, meine Partitur auswärts kopieren zu lassen - es würde daraus gestohlen -, jedoch die Menschen sind gut!«
Donnerstag 8ten
Ich habe der Truppe von Desiree Artôt[5] die italienische Oper zu verweigern, die sie zu ihrem Auftreten in Petersburg von R. komponiert wünscht!... R. instrumentiert. Brief des Neffen sehr wenig Hoffnung gewährend. Von Brandt Zusage des elektrischen Lichtes! Da-niella nicht wohl, vielleicht Entwickelung? Abends Depesche, die Theatermusik sei gesichert!... Große Freude, nun gebe Gott seinen Segen. R. zum Kränzchen. - Ciaire schreibt, daß die Mutter einen Preis von der Academie erhalten hat. - Wie R. spät heimkommt, erzählt er mir Näheres über den Ankauf der Türen-Grundstücke des Hofgartens; die Herren sagten, um für den Fall, daß der König käme, ihm zu ermöglichen, privatim mit Wagner zu verkehren, soll diese allgemeine Maßregel getroffen werden, und zwar durch ganz Bayern, dem Publikum die Hofgärten zu sperren. »Gut ersonnen, Pater Lamormain, wäre der Einfall nicht so klug etc.« Es reiht sich dies würdig an die früheren Münchner Erfahrungen.
Freitag 9ten
Daniel's und Großmama's Geburtstag! Trübes Wetter und trübe Eindrücke - die Kinder - die älteren - entsprechen meinen Wünschen und Sorgen nicht, sie erleichtern die schwere Aufgabe mir nicht, und es ist mir, als ob bei der Böswilligkeit der Menschen gar Häßliches über meine Art der Erziehung oder gar Vernachlässigung mir vorgeworfen werden wird. Großer Kampf in mir - ob ich den Vater der Kinder angehen soll, sie in eine Schule zu geben -, denn ich bin nicht streng genug; das leuchtet mir klar ein, oder ob dies nicht eine Regung der Eitelkeit ist, einer Verantwortlichkeit mich zu entziehen, von der mich jetzt dünkt, daß sie kein Lob mir einträgt. Entschluß, weiter das Meinige zu tun und alle Prüfungen hinzunehmen - gegenwärtige wie zukünftige - als Buße!... Viel geweint; wie glücklich wäre ich gewesen, wären die Kinder nach meinem Sinn geworden! - Zu diesem tief Trüben kommt viel Ärgerliches hinzu. R. hat eine Konferenz mit seinen Leuten, nach welcher sich ergibt, daß die Vereine ganz null und nichtig sind!... Ich habe Unannehmlichkeiten in Bezug auf das kleine Fest, das ich heute am liebsten ganz aufgeben möchte. - Der König läßt R. fragen, was er zu seinem Geburtstage wünscht (ohne noch zu bestimmen, ob er ihn sehen will). R. will um die Türe zum Hofgarten bitten.
Sonnabend 10ten
R. schreibt an Hofrat D. und bemerkt auch in dem Brief, daß die pomphaft angekündigte Vorstellung für Bayreuth 300 Th. eingebracht hat. - Ich bleibe des Morgens bei Lulu, welche einen kleinen Ausschlag hat. Nachmittags mit Pr. Ott die Schauspieler durch[ge]mustert zu den Lebenden Bildern- trostloser Eindruck von der Bande; Verworfenheit und Dummheit auf den Gesichtern! Mein guter Professor überläßt mir die ganze Musterung, bewundert aber nachher, wie ich mit den Leuten umzugehen wüßte! - Mit Beklemmung sehe ich der ganzen Sache entgegen; die Eitelkeit der Leitenden kommt nun in das Spiel, die Empfindlichkeit meines Neffen, dem ich schreiben mußte, daß die Dilettanten sich schwer an ihn gewöhnen würden, nachdem sie mit Zumpe studiert! Gott weiß - und zu all der Mühe ein schweres Herz! — Abends in der Deutschen Sprache von Grimm. Von Richter sagt R., er habe das Bedürfnis einer »Tätigkeits-Zerstreuung«.
Sonntag 11ten
R. träumte, daß er mich in meiner Schlafstube suchte, daß ich verschwunden war und daß er mich in einem der Kinderbetten fand, das Gesicht mit kleinen Tellern bedeckt, die er wie Schuppen von mir nahm; dann daß wir in der Königsloge waren, und zwar alle, auch Fidi, der König ungemein freundlich, im Zwischenakt mit uns fahrend, Fidi dabei auf R.'s Achseln herumkrabbelnd! - R. instrumentiert, ich habe eine Besprechung wegen dem Fest - große Unzulänglichkeiten. Kein Maler -eigentlich nichts da!... Ein Selbstmord zweier Liebenden, der mich rührt, veranlaßt R. zu sagen: »Das ist eigentlich die höchste Affirmation des Willens - sie wollen lieber nicht sein als nicht befriedigt sein -, warum sie aber nicht allen Hemmnissen trotzen, das zeigt, daß die Anlage zum Selbstmord etwas Urbestimmtes ist; man könnte es hier als einen tiefen Blick bezeichnen, ungefähr: Was helfe uns das, die Hindernisse zu bewältigen? Dafür sollte es Klöster geben, wie der Buddhismus sie hatte; vollständige Entsagung bei vollständigem sich Angehören war da möglich - aber unsere moderne Zivilisation hat nichts!« Die Phlegmatischen vergleicht er mit der Eiskruste der Erde, welche den Schein der Solidität hervorrufe, »sie werden aber doch mit verbrannt«. »Unsereines steht da wie der Vulkan, der von Zeit zu Zeit zeigt, wie es im Inneren steht; ich möchte, ich könnte mit Untergang drohen.« Trauer darüber, daß von Seiten des preußischen Hauses kein ermutigendes Zeichen komme, da man dieses Wesen so hoch achten müsse. Immer wieder Verherrlichung Bismarck's, der Wunder gewirkt! Ärger über den Optimismus. - Dabei traut keiner dem andern, und man soll nur sehen, wie es einem geht, der auf Treu und Glauben sich verlassen hat. — R. ist gegen seinen Verleger Fritzsch sehr aufgebracht, der ihm keine Korrekturen zuschickt, auf alle seine Briefe nicht antwortet. Bin etwas unwohl, viel Ärger - und auch Kummer. R. bedenkt Plan über Plan zur Hebung seiner Unternehmung. - Abends »Wintermärchen« gelesen zu größter Freude. Ich erzählte R. dabei, daß mir Paul Heyse[6] sagte, als ich ganz erfüllt von einer Aufführung dieses Stückes sprach: »Es ist doch eine verblaßte Nachbildung des Othello«!
Montag 12ten
Stimme verloren; dennoch nötige Ausgänge für das Fest. R. instrumentiert, doch immer zerstreut durch seine Gedanken an die Unternehmung. - Ein Buch über Kelten und Germanen von Holtzmann,[7] davon er mir ein kleines Resume bei Tisch gibt, fesselt ihn sehr. Nach Tisch komisches Versteckenspiel, ich will ausgehen, ohne daß R. es merkt, und dieser sucht mich beständig, kommt unerwartet zurück. Leider aber ist er nicht wohl, spuckt plötzlich Blut, sieht nicht gut aus, klagt darüber, daß ihm plötzlich Worte fehlen (wie er mit dem Doktor sprach, konnte er plötzlich das Wort Tod nicht finden, Vorstellungen wie, was ihm Herwegh davon gesagt hat u.s.w., seien ihm dazwischen gekommen) - Namen entfallen ihm häufig, das macht ihn befangen; er sieht angegriffen aus, und seine Sprache, obgleich immer leidenschaftlich, ist matt. Äußerste Besorgnis, tiefster Kummer, ich wage kaum, zu Gott zu flehen, ich will es mir nicht gestehen, wie sorgenvoll ich bin. Der Doktor sagt, es sei nichts die Sorge aber, wer beschwichtigt sie. - Daniella auch sehr unwohl!
Dienstag 13ten
Den Tag zu Bett! - R. zum Schwurgericht wegen eines Theaterdirektors aus Halle, bringt dennoch sein »Pensum« der Instrumentation zu Stande. Viele Freude an Fidi, der Milch- und Rosenmann, wie R. ihn nennt. Daniella aber immer recht unwohl, sie bleibt bei mir. Einstudierung des Gedichtes. Hin und her Heimlichkeiten! Wäre nur R. wohler, er sieht aber nicht gut aus, die beständige Sorge untergräbt jede Freiheit des Gemütes. Er will jetzt auf Grund der vorhandenen 100 000 Th. andere 100 000 aufnehmen. Abends in Katalogen gesucht.
Mittwoch 14ten
R. immer nicht wohl, kann heute selbst nicht arbeiten; schreibe für ihn an Marquise Pepoli-Hohenzollern,[8] welche unedierte Kompositionen für ein italienisches Wohltätigkeitskonzert [sucht]. Habe viel Not mit meiner Heimlichkeit. Muß das Kränzchen zu heute anberaumen, um heimlich in die Probe gehen zu können - bis jetzt ahnt R. nichts. Möchte ihm eine kleine Freude werden! Sascha Ritter heute angekommen. Auch heimlich hier. - Abends während dem Kränzchen in die Probe gegangen - es geht!... Die Besprechung des Kränzchens fällt hauptsächlich auf die Finanzkrisis, die sehr bedeutend zu sein scheint; Wien soll in Bankerott aufgelöst sein, kein Mensch kommt hin; dies die Folge von den Pariser Nachmachungen.
Donnerstag 15ten
R. erzählt mir am Morgen, daß er geträumt habe, wir seien zusammen in Berlin, ein Freund besucht ihn; wie ich die Stube verlassen hätte, habe er diesen gefragt: Nun, was meinen Sie zu meiner Frau, »oh!«, habe dieser erwidert, »ich hätte gemeint, sie habe einen ungeheuren häuslichen Verstand, währenddem sehe ich, alles bei ihr kommt von wo ganz anders her!« Mit Tränen in den Augen sei darauf R. erwacht, dann habe er geträumt, er empfing 600 fr. in Gold, wie er nun aufgestanden war, fand er wirklich ungefähr diese Summe von Fritzsch ihm zugeschickt. Nach dem Frühstück begibt er sich zur Morgenlektüre und kommt bald laut lachend zu mir, er liest mir das Zitat von Holtzmann über Villemarque,[9] wiederum herrlich französisch! Große Freude an den Amseln in den Bäumen vor unseren Fenstern! R. geht aus und kömmt sehr vergnügt heim, es ist der Befehl an den Hofgärtner für die Errichtung der Türe ergangen! Fröhliches Genießen dieser Errungenschaft! Das Haus! Nun aber dadurch wertvoll, daß wir einen Sohn haben, sonst keinen Sinn. - »Manchmal kommt es mir wirklich vor, als sei ich durch Feen getragen und gehalten.« (Ich halte währenddem Theater-Konferenz). - Leider wird die Stimmung durch einen Brief von Herrn Fürstner aus Berlin sehr getrübt! Dieser will den Tannhäuser französisch und deutsch herausgeben, und warum dieser Affront, nur mit Umgehung von R. die neuen Scenen von Flaxland abzukaufen - also von Jude zu Jude! -schämt sich nicht, R. dies anzukündigen. Wir lesen abends mehrere vortreffliche Aufsätze »Die semitische und die germanische Rasse im neuen deutschen Reich«, welche ein Herr Beta R. zugeschickt hat, mit der Bitte, sie ihm widmen zu können.
Freitag 16ten
R. läßt die Erbärmlichkeit des Herrn Fürstner keine Ruhe, er schreibt ihm früh am Morgen. Wir müssen lachen, da ich auch schon früh am Morgen mit der Feder in der Hand saß. (Ich schrieb an Brandt wegen lebender Bilder.) - Die Kinder kommen herauf; R. sagt, den Fidi betrachtend: »Der wird besser als ich, das wird aber dadurch ausgeglichen, daß er keine solche Frau bekommt wie ich, hoffentlich aber auch nicht die 30jährige erste Ehe!«... Er bedachte gestern abend, daß
er vor 10 Jahren sich in Wien niederließ, alle diese Versuche, zu nichts führend. Am Vormittag bei herrlichem Wetter zur unerquicklichsten Probe der lebenden Bilder. Wie ich heimkomme, R. sehr verstimmt, ein Herr Fiege[10] schreibt von einem Rezensenten Wuerst in Berlin; dieser habe bei Gelegenheit des Lohengrin von Diener gesagt: Hier könne man sehen, was die Aufführungen wert sein würden, da Diener der auserwählte Wagnersänger sei. Dann warnt Herr Wuerst vor den Fälschungen Beethoven's durch Wagner, an einer Stelle habe W. gesagt, die Hörner hören auf, sie spielten aber weiter, nun hat R. gemeint, und Herr W. weiß es recht gut, daß die Hörner aufhören die Hauptrolle zu spielen, wofür die Trompeten zu dominieren haben. Elend! Dabei geht ein herrlicher Morgen für die Arbeit verloren!... Nachmittags gehe ich mit R. in das neue Haus. Ich verlasse ihn, um Ritters zu besuchen, und werde abends halb acht Uhr von ihm gescholten, so spät heim zu kommen, ihn verlassen zu haben, um für mich spazieren zu gehen. Wir beenden die sehr interessanten Aufsätze, nur ist die Beschäftigung mit einem solchen Gegenstand wirklich anwidernd.
Sonnabend 17ten
R. hat immer große Freude an dem Holtzmann'schen Buche; »der bretonische Schwindel, enthüllt, gibt uns die Barden wieder«, und, nachdem Holtzmann das Bar in Barditus erklärt hat, erklärt R. das ditus, das heißt diut, die Leute, also die Versleute. Er schreibt auch an den Berliner Herrn, gibt ihm den Rat, seine Schrift dem Fürsten Bismarck durch Vermittelung Bucher's zu widmen, er bemerkt an einem Zucken, daß mir dieser Ratschlag nicht ganz genehm ist, und meint, es sei, weil er mich mitgenannt, ohne zuerst mich zu befragen, während mich einzig das Gefühl beschlich, das ich beständig beinahe allen Menschen gegenüber habe, sie mit nichts zu belasten - auch das geringste nicht! Dieses Mißverständnis macht mir viel Kummer!... Nachmittag gehe ich zu R. in der Annahme, Richard würde zum Riedelsberg (Feustel) gehen, derweil geht er im Hofgarten, mich dort erwartend! Staunen und Vorwürfe. Wir lesen das Metaphysische Gespräch aus »Ardinghello«[11] und müssen das verrufene Buch sehr geistvoll finden. Erneuerte Besprechung des vormittäglichen Vorfalls, daran R. heftige Auslassungen über die bevorstehende Reise nach Weimar knüpft — Trauer! Ich frage mich, wie ich sein sollte, um ihn zu überzeugen, daß alles, was er für gut hält, mir recht ist, wenn auch im ersten Augenblick ich zuweilen erstaune.
Sonntag 18ten
R. ist betrübt über den gestrigen Vorfall, sagt, er sei betäubt, er sei meiner nicht wert, ich sei zu gut, lauter wehmütige Dinge. Chorprobe, ich sage den Damen und Herrn ungefähr folgendes: »Zum erstenmal ist mir die Gelegenheit geboten, Ihnen zu begegnen, die Sie es mir ermöglichen, einen Tag, der mir heilig ist, nach meinem Sinn zu feiern; ich habe das Beste und Vortrefflichste von Ihren Leistungen vernommen, bevor ich Ihnen aber meine Freude über diese Leistungen ausdrücke, will ich Ihnen für Ihre freundliche Gesinnung danken, die Sie mit einem schönen Eifer für ein regelmäßiges emsiges Studium erfüllt hat; ich muß Ihre Schuldnerin bleiben, denn schwerlich dürfte es mir gegönnt sein, Sie zu verpflichten, wie Sie mich verpflichten, möchte ein schönes Gelingen des Festes den edlen Lohn für Ihre liebenswürdige Tat gewähren!« - Zuhause finde ich R. arbeitend. Der gute Bürgermeister besucht uns, wir besprechen die zugesandten Aufsätze, und R. meint, es würde am besten sein, wenn der Staat schuldenfrei sei wie die Schweiz und immer Auflagen machte, wenn etwas gebraucht würde; höre die Staatsschuld auf, dann seien auch die Juden fertig. Großes Gewitter, R. spielt die Götterdämmerung, Lärm Fidi's dabei. - (Wilhelmj-Nöte für mich!). Abends Schluß des »Wintermärchen«, große Bewunderung der künstlerischen Anordnung.
Montag 19ten
Ich bin immer nicht wohl, doch liegt zu viel vor, um daran zu denken. Große Mühe, R. zu entfernen, namentlich abends zur Probe; Feustel besorgt die Einladung. Schlimmer Eindruck dieser Probe. Schrecklich gebautes Orchester, wobei die Leute nicht verfehlen, wie überall zu sagen: »Nach R. Wagner's Ansichten.« Vor dem Abend war R. zum Riedelsberg gegangen, der Weg war schwierig zu finden, er frug von der Ferne ein Bauernweib, diese antwortete ihm eingehend und freundlich, er dankte, sie erwidert: »Nun, R. Wagner wird man wohl einen Gefallen tun«, das freute R. - Viel über das Werk, das er über die Deutschen - sein Vermächtnis und seine Hoffnung - schreiben will. »Freuen wir uns, daß wir schlecht französisch sprechen, und es sprechen; es gut sprechen hieße untergehen, es gar nicht kennen, machte uns den Völkern gleich, die sich womöglich durch eigenartige Hosen unterscheiden.« »Julius Cäsar griechisch sterbend, erinnert an Friedrich den Großen, der womöglich in einer letzten Umarmung zu M. de Ziethen französisch gesprochen hätte.« Wie R. ruhig in seiner Stube und seinem Bett lag, rief [er] aus zu mir: »Oh, wenn ich dich nicht hätte, wenn ich die Heimkehr nach Hause nicht hätte, ob ich vom bürgerlichen oder vom vornehmen Hause heimkehre, diese Nichtigkeit!« - Daß Fidi mit dem Haus und 1200 Thalern Einkünfte auskommen soll, das muß Religion bei ihm sein, damit er ein freier Mann sei. - R. setzt bei Feustel die Wichtigkeit der klassischen Studien auseinander, die in solchen Kreisen gar nicht geahnt wird.
Dienstag 20ten
Ich bin ziemlich leidend, kein Auge geschlossen die Nacht, und Franziska liegt zu Bett. Ankunft des jungen Brandt; Besprechungen bei Ritters - Orchesteraufstellung-Not; kein Platz da - meine Vorschläge entsetzen durch ihre Kühnheit den Dilettantenvorstand. Wilhelm] kann nicht kommen, er hat kein Quartett zu Stande gebracht! - -Allerlei Nöte. Ich bin ziemlich müde. Abends lesen wir Fallmerayer's[12] Vorrede zu seinem Werk über die Insel Morea.
Mittwoch 21ten
Ich bin so unwohl, daß ich zu Bett bleiben muß und der Probe der lebenden Bilder nicht beiwohnen kann. Es kommen die Freunde an, die drei Mohren (Hinweist?] aus Cuba) von Leipzig durch Fritzsch geschickt, Cornelius, Konzertmeister Abel,[13] Buonamici aus München, auch der kleine Karl Ritter, dazu die 20 Würzburger. - R. wird durch Feustel zu einer Vorfeier eingeladen, und ich kann der Probe beiwohnen. - Einiges Unzulängliche, namentlich das letzte lebende Bild macht viel Not; ich entschließe mich, mit den Leuten es noch einmal zu stellen; es wird etwas besser. R. spät heim, ärgerlich gegen Feustel.
Donnerstag 22ten
Schon um 5 Uhr ist die Dammallee belagert; um 3/4 8 Uhr beginnt erst die Musik in dem Hofmann'schen Garten gegenüber, damit R. die Leute nicht sieht. Kirchenläuten mischt sich hinein, R. hat vom gestrigen Abend Kopfschmerzen, mein edler guter Wille wird mir ein wenig verdorben. Um 12 Uhr Probe, Kinder - auch Fidi - mitgenommen, es geht ganz gut. R. empfängt Besuch, ist immer ohne Ahnung. Zu Mittag das Lebehoch; ich frage: Wer soll leben, Daniella? »Der treueste Schutz«, aufstehend, das Glas in die Hand nehmend, wer soll leben Blandine? »Der liebste Freund.« Wer soll leben, Isolde? »Der gütigste Vater.« Wer soll leben Fidi? »Mein Papa«, worauf die Militärmusik das Vorspiel zum dritten Akt des Lohengrin spielt. Wir müssen alle sehr heftig weinen. - Am Morgen sagten die Kinder ein Gedicht aus dem 16ten Jahrhundert und brachten Daniella die Laurana-Galerie-[14]Kupferstiche nach Raphaelischen Zeichnungen, die R. früher beim Maler Hübner gesehen und bewundert hatte, Blandine »L'Introduction à l'histoire du Buddhisme« par Burnouf und die zwei Kleinen »Le roman des douze Pairs« aus R.'s früherer Bibliothek; Fidi bringt einen Pudel, von Krockow's für mich ausgesucht, fast zu zart ausgefallen (wir wünschten einen derben festen Pudel), aber ein liebes gutes Tierchen, den wir Putz taufen. Gegen Abend sage ich zu R., der immer vermeint, daß wir das Kränzchen bei uns haben, daß die Dilettanten eine kleine Feier von höchstens einer halben Stunde vorhätten, die wir ihnen nicht verderben dürften. Wir gehen in das Opernhaus, es ist gedrängt voll und sieht sehr elegant aus. R. glaubt zuerst, Zumpe habe eine Festouvertüre zu seinem Geburtstag komponiert, der Zettel*(* Programmzettel dieser Seite beigelegt, s. Anm.) belehrt ihn, und nun ging es von Überraschung zu Überraschung, bis er schließlich Franziska als Sprecherin auf der Bühne erblickte. Er sagt, er sei wie betäubt - er hatte keine Ahnung von irgend etwas, das Geheimnis ist uns vollständig gelungen. - Nach der Aufführung Zusammenkunft im »Anker«. R. dankt als »hilfsbedürftiger Musiker«, er bedürfe der Liebe! Ziemlich spät heim. Es hatte sich früh etwas Seltsames zugetragen, R. träumte von Einbänden und daß er zu dem Buchbinder sagte, daß es sich doch schön machen würde, wenn die Titel, anstatt golden, schwarz auf hellem Grund gedruckt würden, nun traf es sich, daß, wie ich das Buch von Burnouf zum Einbinden bestellte, ich auf den Einfall kam, den Namen des Autors und das Datum des Werkes schwarz machen zu lassen; dieses kleine Zusammentreffen macht uns viel Freude. (Schöne Depesche des Königs.) M. Schl schickt Jana.
Freitag 23ten
R. träumte traurig, daß ich ihn fortschickte, weil er meinen Schmuck verkauft, um zu spielen, mit einem so schlechten Menschen könnte ich nicht leben!... Will man die Melancholie des Lebens in sich tief empfinden, so muß man Feste feiern - mir ist es immer, als ziemte es sich für mich nicht, als hätte ich persönlich mit einem Wunsch, mit einer Tat nie dazusein und nur durch freundliches Mitraten des Lebens zu wirken; hat mich der Enthusiasmus hingerissen, so empfinde ich wie eine Schuld - schwer zu erklärendes Gefühl -, und eine unüberwindliche Melancholie bemächtigt sich meiner, die Sehnsucht aus dem Dasein, wo selbst Freude ein Leiden ist! Ritters zu Mittag. Abends Gesellschaft, alle diejenigen, die mitgeholfen haben, »die drei Mohren« auch; sie spielen hübsch, und Kummer[15] spielt die Träume und den Engel. Mir geht das ganze Leben R.'s dabei wie Nebel-Schichten, die sich senken, vor die Seele R. spielt auch das Idyll und sagt mir scherzend, wie wir allein sind: »Du hättest es am Ende gar lieber gehabt, es wäre bei dem ersten Gedicht an dich geblieben, es wäre kein Idyll zustande gekommen, du fändest es wohl interessanter!« Was ich möchte und gewünscht hätte - ich weiß es nicht, daß er glücklich wäre, ruhig, zufrieden, und daß mein armseliges Ich mir nicht mehr in irgendeiner Form erschiene.
Sonnabend 24ten
R. schlief ganz gut, ist nur bekümmert, durch die bevorstehende Reise nach Weimar in seiner Arbeit unterbrochen zu werden. Ritters zu Mittag und Abend, dazu Herr Schütz aus Leipzig mit Mustern von Tapeten und Teppichen, etwas ermüdender Nachmittag (die Kinder freuten mich gestern durch ihr artiges Benehmen bei der Gesellschaft, sie haben alle viel natürlichen Anstand).
Sonntag 25ten
Danksagungen nach allen Seiten; ich schreibe ein Dutzend Briefe - habe mit Schwermut zu kämpfen, denke, es ist das rauhe Wetter. Assessor Mattenheimer mit Geschäfts-Bericht über das Fest; es ist, heißt es, nur eine Stimme in der Stadt, wie schön das Fest gewesen sei; in der Tat war das Hübsche dabei, daß die ganze Stadt daran teilnahm und R. feierte. Besuch des Bildhauers Kietz[16] aus Dresden, welcher R.'s Büste machen möchte. Er besucht unser Haus und bewundert, daß gänzlich von einer Fassade abgesehen wurde, von innen nach außen gebaut wurde, wo denn auch nach außen etwas Ordentliches herausgekommen wäre. Sie gehen zum Bau, ich bleibe daheim mit den Kindern. Abends liest R. in der Biographie vor, wobei ich den seltsamen Zug an mir bemerke, daß die lauten Mitteilungen daraus mich unangenehm berühren.
Montag 26ten
R. schreibt eine Ballade für Graf Krockow, Putz betreffend - Hinundherbesprechen der Reise nach Weimar; wir geben sie lieber auf, ist dies möglich!... - Fahrt nach Drossenfeld mit Ritters. - J. J. Weber sendet Exemplare der zweiten Auflage von des Nibelungen Ring - mit allen alten Druckfehlern!! In Paris ist Mac Mahon für Thiers als Präsidenten eingetreten, wie R. sagt, ist das doch der Erfolg des letzten Krieges, daß man mit Gleichgültigkeit die Nachrichten von dort erwartet und erfährt.
Dienstag 27ten
Die große Frage ist jetzt, ob wir zum »Christus« nach Weimar reisen, keiner von uns will die Entscheidung des Ja oder des Nein treffen. R. schreibt eine Seite an seiner Partitur und telegraphiert ab. Ritters zu Tisch, langes Besinnen, ob besser doch zu gehen. R. geht mit Ritter spazieren und kehrt mit der Entscheidung heim, daß wir doch fahren, wenn ich eine gute Nacht hätte. Unschlüssiger Abend.
Mittwoch 28ten
Die Reise - und zwar mit Daniella - ist dekretiert. Hastiges Einpacken und trüber Fortgang. Freund Feustel bis Coburg mit uns. Ziemlich ausgedehnte ermüdende Reise, Ankunft in Weimar um 9 Uhr, der Vater in der Probe, Frau v. Meyendorff empfängt uns; Lusch zu Bett gebracht, uns erholt, in die Kirche gegangen, die Probe beendet, alles strömt heraus. Großes Klagen aller (mit Ausnahme des Vaters) über die Probe. Spät in der Nacht Ankunft von Maria Schleinitz.
Donnerstag 29ten
R. mit der Kleinen zu unsrer alten Freundin Frommann, ich während dem mit den freundlichen Frauen Marie Much. und Schleinitz. Der Vater kommt, angegriffen und zerstreut, er führt mich und Lusch zu Bojanowskis (Verwandte von Hans), denen ich gern die Kleine vorstellte. Frau v. B. ist minder freundlich als diesen Sommer und behandelt die Kleine nicht sonderlich, wahrscheinlich auf nachträgliche Weisung seitens Hans' Schwester. Mittagessen beim Vater; darauf viele Ungarn zum »Christus« gekommen. Um 6 Uhr in die Stadtkirche, bis 9 Uhr Dauer der Aufführung*(* Programmzettel dem Tagebuch beigelegt). Seltsamer eigenartiger Eindruck, der sich in den Worten zusammenfassen läßt, welche R. zu mir abends sagte: »Er ist das letzte große Opfer dieser lateinisch-romanischen Welt.« Gleich bei den ersten Takten sagte mir R.: »Er dirigiert herrlich, es wird prächtig gehen.« Es ist die Formulation des Glaubens an die neue, ohne Glauben errichtete Ordnung der kirchlichen Dinge; naives Gefühl dieser höchst unnaiven Schöpfung; volkstümlicher Hang zum Pomp, derweil in der Kirche dieser Pomp nur grausames Netz ist, darin solche Gemüter sich fangen. Das Werk durchaus undeutsch, und nur von einem bei guten Seiten gefangen genommenen deutschen Gemüte ausgehend möglich und einzig durch Deutsche ausführbar. R. macht alle Phasen der Entzückung bis zur äußersten Empörung durch, um zur tiefsten und liebevollsten Gerechtigkeit zu gelangen. Nach der Aufführung mit dem Vater in die Bürger-Ressource gangen - sehr populär! R. wollte sprechen, doch kann er vor den Bierkrügen und Strickstrümpfen kein Wort hervorbringen; »arme Leute sind's«, sagt der Vater, von dem R. sagt, daß man ihn nur verstehen kann, wenn so man ihn als recht populäres deutsches freundliches Wesen sieht.
Freitag 30ten
Vielfache Abschiede! R. begrüßt den Vater in schönen Worten bei der Abfahrt, und ich muß von ganzer Seele danken, diese Reise unternommen zu haben, denn er hat es einzig für mich getan. -Hübsche Heimfahrt. Der Weg erscheint kürzer, die kleinen thüringischen Städte muten mich sehr an, tiefe inbrünstige Liebe zu Deutschland regt sich in mir, das einzige Land, darin man leben kann! Zehn Uhr Ankunft in Bayreuth. Alles in Schlaf, aber wohl; wir sind wieder daheim!
Sonnabend 31ten
Gute Nacht, Ritter zu Mittag, vorher die Kinder, denen viel erzählt wird, R. spricht schön über das Oratorium selbst und die Aufführung desselben. Abschied von Franziska, die zu ihren Kindern zurückkehrt, während Sascha bei uns bleibt. Ich schreibe dem Vater eingehend unsere Empfindungen vom »Christus«, weiß aber nicht, ob er sie richtig verstehen wird.