Freitag 1ten
Kleine Vorbereitungen zu dem morgen stattfindenden Hebeschmaus, wir wünschen, daß der Dekan für den Polier die Verse macht; ich fahre zu diesem Zweck mit Vater und Kindern nach Fantaisie, wo der Dekan sich heute aufhält. Abends die Bergsymphonie vom Vater uns vorgespielt. Melancholische Stimmung des ganzen Tages und Umganges. - Der Großherzog von Weimar wünscht eine Akademie zu gründen und einen Orden der Palme zu stiften! Dazu soll der Vater ihm behülflich sein!
Sonnabend 2ten
Der Dekan bringt in der Frühe seine hübschen Verse, die erste Strophe jedoch wird von R. gestrichen, welcher nicht wünscht, als Bauherr gefeiert zu werden, und dafür auf den deutschen Geist dichtet, auch das Gedicht »Beim Hebefeste« rasch entwirft. Gegen 5 Uhr machen wir uns auf, seltsame Aszension bis auf das Gerüst, wunderbarste Gedanken, zum ersten Mal wird ein Theater für eine Idee und für ein Werk aufgeführt, sagt der Vater; als bei dem Tannhäuser-Marsch statt der edlen Ritter (oder als edle Ritter aufgestutzten und unedlen Komödianten) wirkliche Arbeitersleute sich einfinden und schlicht grüßen und dazu die letzten Hammerstöße erschallen, scheint mir dieser Marsch seine wahre Weihe empfangen zu haben. »Nun danket alle Gott«, im blauen Äther gesungen, bei herrlichem Himmel und lachender Landschaft, nach diesem Sieg gesungen, erhebt mein Herz; wie die Bangigkeit vor dem Gerüst verschwindet, so auch das Zagen vor dem kühnen Unternehmen, der Glaube regt die Flügel und beseligt uns! - Der Besuch bei den Arbeitern am Schluß erwärmt noch das Herz, sie wissen nichts und ahnen doch. - Was wohl den Kindern von alledem bleiben wird?
Sonntag 3ten
Der Vater gibt uns zwei Tage zu, R. dankt ihm innig, daß er gekommen ist, er allein von allen Freunden war bei dem Feste zugegen, er repräsentierte sie alle; so getrennt, so geschieden, war man an dem schlichten heitren Tag vereinigt! - Kindertisch, dann zum Haus, der Vater fährt die Kinder herum, abends Musik.
Montag 4ten*
(* Dieser Seite beigelegt das »Bayreuther Tagblatt. Oberfränkische Volkszeitung« Nr. 214 (XIX. Jg.) vom 4. August 1873, enthaltend u. a.: »Die Anklage gegen Bazaine«, das Gedicht »Beim Hebefeste des Bühnenfestspielhauses zu Bayreuth« und in »Lokales und Vermischtes« den Bericht über die Hebefeier mit dem von Bauaufseher Hoffmann ausgebrachten »Spruch«. - Ich muß viel in meinen Papieren stöbern, weil der Vater noch der sonderbaren Ansicht ist, R. habe damals beim Rheingold Bon Perfall stürzen wollen! Ich liefre dann meine Beweise. Abends unsere hiesigen Freunde eingeladen, gemütliches Zusammensein, durch des Vaters Spiel verherrlicht. Um elf Uhr zu Bett.
Dienstag 5ten
Mein gestern entworfener Plan, den Vater mit den Kindern bis Bamberg zu begleiten, wird von R. freundlich akzeptiert, wir machen uns eilig bereit, und um 11 Uhr fahren bei großer Hitze alle 9 (die Bonne ist dabei) ab. In Bamberg Abschied vom Vater; da mich eine große Wehmut dabei überfällt, wird R. verstimmt, und er ergeht sich in den leidenschaftlichen Ausbrüchen, die mir bei jedem Wiedersehen des Vaters bevorstehen. - Wie der Vater sich entfernt hat, steigen wir im Bambergerhof ab; am Nachmittag Besuch des Domes und Spaziergang zum Michaelsberg bei prächtigem Wetter.
Mittwoch 6ten
Der Himmel bleibt uns treu, wir besteigen die Altenburg und erfreuen uns des Anblickes des schönen Landes. Bei der Heimfahrt aber erregt ein Marienbild auf der Brücke uns ein wahres Entsetzen, was machen die furchtbaren Jesuiten aus dem edlen Jungfrauenkultus? - Die Bibliothek besucht, große Freude an den alten Manuskripten, noch mehr aber an den Dürer'schen Zeichnungen, namentlich das Portrait des Kaisers Maxim, und ein Christus erregen unsere Bewunderung; hatten mich gestern das Kruzifix aus dem 14ten Jahrhundert in dem Dom und die Grabstätte Heinrich II. tief ergriffen, so treten die Tränen uns in die Augen bei dem Anblick dieser Zeichnung. Wir müssen sehr über die Häßlichkeit der deutschen Frauen lachen. Gegen 2 Uhr den Bamberger-hof verlassen und nach Forchheim gefahren. Von da ein Wagen nach Muggendorf; schöner Abend, idyllischer Aufenthalt, herrlicher Mondaufgang — leider R. noch immer verstimmt, ein unglücklicher Vergleich, den ich zwischen des Vaters Spiel und der Schröder-Devrient's Kunst aufstelle, macht ihn heftig und ärgerlich. Halb im Schlafe glaube ich unschöne Dinge von ihm zu vernehmen, wie ich ihm dies mitteile, gerät er außer sich, doch geht alles in liebevoll leidenschaftliche Erklärungen über, und mild verläuft darauf die Nacht.
Donnerstag 7ten
Hübscher Morgen; Besuch der Rosenmüllers-Höhle, großer Eindruck, Gedanken an Nibelheim, Wotan und Loge's Hinabsteigen zu Alberich. Fahrt durch die Fränkische Schweiz, in Doos ausgestiegen, uns inmitten von Blumen, von Schmetterlingen umschwebt, gelagert - ein Paradies! In Waischenfeld gespeist, abends um 9 Uhr zu Hause, Fidi immer munter. Zwischen Muggendorf und Doos hatte sich eine freundliche Gesellschaft aufgestellt (aus Nürnberg), schwenkte mit den Hüten, und eine Dame warf Blumen zu.
Freitag 8ten
Die Broschüre von Pr. Nietzsche gegen Strauß[1] ist angekommen, eifriges Lesen darin. - Der König läßt anfragen, ob es denn wahr sei, daß die Aufführungen bis zum Jahre 75 verspätet seien!... Dazu lauter Albernheiten, ein Mensch aus Wien, welcher als Verehrer warnt vor den Korrekturen in der Eroica! Ein Niederländer Verein, welcher einladet zu einer Aufführung eines Werkes von einem Herrn Bennett, es seien deutsche Bestrebungen, welche die deutschen Künstler unterstützen müssen - »als ob man bloß zu sagen hätte, ich will deutsche Musik machen«, lacht R., welcher bemerkt, daß die Siege nur dazu verhelfen, die Mittelmäßigkeiten breit zu machen. - Der Rektor gibt mir gute Notizen über die Kinder. Zum neuen Haus, kein rascher Fortgang, die Gruft aber ist vollendet! — Abends im »Strauß« von Nietzsche gelesen; R. bemerkt, daß noch dazu die Verherrlichung des Philisters dem Englischen nachgemacht sei.
Sonnabend 9ten
R. hatte keine gute Nacht, und immer kommt er noch nicht an seine Arbeit, er antwortet dem König und hat viel mit den Korrekturen des 9ten Bandes zu tun, vor- und nachmittags richte ich die Wohnung von Malwida ein, was mich ein wenig ermüdet. Ein Dr. Brée[2] aus Wien macht R. allerhand seltsame Mitteilungen, wie daß die Zeitungen die Annoncen des akademischen Wagner-Vereines nicht aufgenommen, dann daß unser Hebeschmaus auch nirgends angesagt worden war, u.s.w. - Zum neuen Haus, wo immer viel Ärger unser erwartet.
Sonntag 10ten
R. beendigt den Brief an den König. Kindertisch, wie seit den Ferien alle Tage. Dann zum neuen Hause, wo der Pavillon eingeweiht wird. Ein junger Kaufmann aus St. Gallen, mit Korkfabriken in Katalonien, meldet sich als »Gralsritter«, so nennt sich ein Zweig-Verein in München. Er gefällt durch Naturwüchsigkeit und Unbefangenheit, während der gute Dr. Bree, als Jude sich entpuppend, durch befangenes Pathos und Heiterkeits-Unfähigkeit lästig wirkt.
Montag 11ten
R. liest mir seinen Brief an den König, wobei mich eine so namenlose Wehmut überfällt, daß ich kein Wort sprechen kann. Gott gebe uns Kraft zu weiterem Ausharren! — Schlechtes Wetter, Arbeit mit den Kindern, Hausbesorgungen und Nöte, abends in der vortrefflichen Broschüre von Pr. Overbeck gelesen.
Dienstag 12ten
Schlechtes Wetter, ich glaube, unser Sommer ist vorbei; R. erhält mehrere versifizierte Grüße von seinen Kranzbrüdern, welche ihn bei der Partie ins Fichtelgebirge vermissen. Allerlei Hausbesorgungen und Hausnöte, nachmittags zum Hause und abends die Broschüre vonPr. O.; während ich lese, unterbricht mich R. und umarmt mich: »Ich bin immer erstaunt, daß ich dich da habe, daß du mir vorliest, kurz, daß ich dich bei mir habe - das übrige ist gleichgültig, ficht mich auch nicht an.« Er korrigiert den 9ten Band.
Mittwoch 13ten
Kindertag; schlechtes Wetter, kein Besuch dem Hause, abends die Broschüre beendigt, deren Schluß uns nicht befriedigt, R. sagt: Er hätte sollen das Studium den Theologen bis zur höchsten Philosophie empfehlen, von wo aus einzig man den Wert und den Sinn der Religion einsieht. Der Vorschlag eines Gelübdes mit Restriktion ist mißlich und kleinlich. Bei Tisch erzählte R. von seiner Kindheit. Wie er mit der Peitsche, die er mit gestohlenem Gelde gekauft, von Vater Geyer geprügelt worden sei und wie seine Schwestern vor der Türe dabei geheult hätten. - Meine Anmerkungen zu der Schrift unseres Freundes Nietzsche bringen uns auf deutschen Stil zu sprechen, und R. sagt, vor allem müßte man in den Schulen sprechen lernen, dann ergäbe sich das Schreiben ganz von selbst. Herrlicher Zustand in Frankreich, wo Orleans und Bourbons zur Feier ihrer Versöhnung eine Wallfahrt machen! R. meint, die Bona-partisten seien die Herrn der Situation und ließen all den Unsinn geschehen, um eine Partei durch die andere zu ruinieren. -
Donnerstag 14ten
R. spricht am Morgen von seinem »Luther« wieder, wie so etwas zu machen wäre, ohne Aktschluß, weil eine Unterbrechung der Handlung unerträglich, während die Unterbrechung der Musik notwendig ist. Wir besprechen auch die Frage des Kostüms von Mephisto im Prolog im Himmel, sehr schwierig, schon deshalb, weil die Hölle keine eigentliche Rolle im »Faust« von Goethe spielt. - An Lenbach geschrieben, über dessen Gesundheit nur beunruhigendste Nachrichten [uns] zugekommen. R. arbeitet trotz Kopfschmerzen, nachmittags im Garten Besuch von Freunden (Feustel und Dekan), welche das Grundstück sehr hübsch finden. Feustel erfährt mit Freuden, daß R. den König aufgefordert habe, Rat Düfflipp hierher zu senden, um von allem Kenntnis zu nehmen. Er teilt auch mit, daß Fürst Chlodwig Hohenlohe nach dreimaligen Aufforderungen des Verwaltungsrates seinen Patronatsschein doch nicht bezahlt habe!... Abends im »Mythus von Thor« gelesen.
Freitag 15ten
Maria Himmelfahrt und sehr schöner Tag, den ganzen Morgen mit den Kindern im Garten des neuen Hauses, nachmittags zum Theater und auf die Bürgerreuth. Das Theater wiederum gut vorgeschritten; schwere und erhabene Gedanken steigen uns von dem Anblick empor; R. sagt, er erkläre sich seine häufig wiederkehrenden Träume eines Geldbetruges durch den Alp, den ihm der Anblick des Theaters hinterläßt, gleichsam, ob er nicht ein Schwindler sei? Abends ergreift uns eine Sehnsucht nach »Götz von Berlichingen«, wir lesen ihn in der ersten Ausgabe,[3] und R. bemerkt hierzu, welch ein gutes Zeichen es sei für die Zeit, daß ein solches Werk ohne Autors Namen ein solches Aufsehen erregt habe, »jetzt, wo mein Name bekannt genug ist, werden meine Sachen nicht gelesen, nur Dr. Puschmann über mich liest man, und es ist eine Spekulation geworden, sich an mir zu reiben«. Unsäglich ergreifend ist die Art, wie er den »Götz« liest, und die Tränen rinnen mir dabei fast unaufhörlich herab. (R. studierte noch die Broschüre des Pr. O., um ihm darüber zu schreiben).
Sonnabend 16ten
Schönes Wetter, ich im Garten mit den Kindern, während R. an seiner Partitur emsig arbeitet. Beim Nachtisch sagt er zu mir: »Das schlimmste ist im Alter nicht, daß man das Feuer verliert, sondern daß die Summe der gemachten schlimmen Erfahrungen so groß ist, daß man sich förmlich zwingen muß, nicht an die Welt zu denken. In der Jugend spielt der Ehrgeiz noch so viel mit - man schreibt seinen Holländer und Tannhäuser, gut, weiß aber noch nicht, was und ob man etwas Rechtes ist, im Alter aber schweigt der Ehrgeiz ganz, und um die Lust zur Arbeit sich zu bewahren, muß man sich eine förmliche Goethe'sche Disziplin machen. Immer trauriger wird die Konzeption von Welt und Leben, und die Not erscheint einem als Helferin gegen den Gram!« - Gestern beim Theater sprachen wir vom Parcival, dem seine Stätte gebaut wird; wird er ihn schreiben dürfen? Dies ist mein Fragen,[4] dies mein Flehen! - Nachmittags zum Riedelsberg mit den Kindern gefahren, Lerchenfelds dort; solche Nöte werden der Kinder wegen ertragen, welche strahlenden Gesichts Vesperbrot und Abendbrot dort einnehmen. Abends im »Götz« weiter gelesen, »die edle Einfalt der Sprache« ist es, die R. so bewundert, und in dieser sentimentalen Zeit! Über die Frauen des 18ten Jahrhunderts gesprochen, unter welchen R. Charlotte von Kalb die sympathischste ist.
Sonntag 17ten
In die Kirche mit den Kindern; Elend der Predigt ertragen, der Kinder wegen, doch immer eine harte Prüfung! Einige Besuche empfangen (R. arbeitet), dann einen Brief vom Vater und schließlich Malwida vonMeysenbug, welche sich hier unseretwegen ganz niederläßt; viel geplaudert, das Haus gezeigt. Ich freue mich, daß dieses ausgezeichnete Wesen zu uns gezogen, möge es ihr hier ein wenig gefallen!
Montag 18ten
R. arbeitet emsig, sinnt, wie er sagt, eine halbe Stunde darüber nach, ob er Englisch Hörn oder bloß Hörn bei einer Stelle nimmt. Nachmittags Bekanntschaft eines jungen Russen, großer Enthusiast, welcher unsere Freundin in Ischia[5] hat kennen gelernt. Zum Theaterbau mit ihm hinausgefahren! Abends lesen wir »Götz« aus, unter Tränen; das Schicksal des Polen in Deutschland, er geht an der Erbärmlichkeit zu Grunde, ist fruchtlos, der Held wird zum Raubritter, das ungestüme Genie wie Lessing zum Bibliothekar. R. rät mir ab, Loldi und Eva französisch zu lehren, man müsse zuerst die eigene Sprache mit Bewußtsein sprechen, bevor man wieder als Papagei eine andere lernt. Es bringe dies Flachheit hervor.
Dienstag 19ten*
(*Diesem Heft der Tagebücher lag an nicht mehr zu ermittelnder Stelle ein Ausschnitt aus der Weimarischen Zeitung Nr. 193 vom Dienstag, 19. August 1873, bei, mit dem Hirtenbrief des am 12. August zu Rotterdam geweihten Bischofs Joseph Hubert Reinkens, der an die »im alten katholischen Glauben[6] verharrenden Priester und Laien des deutschen Reiches« gerichtet ist. S. Anm.) - Trübes Wetter, R. nicht wohl, er hat gestern zu viel Korrektur für den 9ten Band gemacht. Dazu Nachrichten von Feustel, daß, wenn im Oktober nicht 10 000 Gulden geschafft würden, man im Bau sich unterbrechen müsse. Ob ich meine Ersparnisse hingebe? Wäre ich des Sinnes meiner Kinder gewiß, wie leicht und fröhlich täte ich es, jetzt ist es ein Entschluß, den ich mit mir überlege! R. weiß davon noch nichts — möchte ich das Rechte treffen! R. geht zu Freund Feustel, um mit ihm die Lage zu besprechen. Verspräche der König die Garantie, so ist alles in Ordnung und wird die Anleihe gemacht (Fürst Chlodwig Hohenlohe hat mit Entschuldigungen bezahlt). Abends der Russe und der Dekan, letzterer sonst sehr angenehm, aber uns zuredend, hier Besuche zu machen, da die Leute überall nun auswärts, wenn man erfährt, sie seien von Bayreuth, auf uns angeredet werden und sich schämen, gestehen zu müssen, daß sie uns gar nicht kennen. R. wird über die Zumutung sehr heftig!
Mittwoch 20ten
Vormittags zum Garten mit den Kindern, mit ihnen gelesen (französisch mit den älteren, und auf Anraten Malwida's und R.'s bei den kleinen die fremde Sprache aufgegeben). Nachmittags wieder zum Garten, trotz Ungewitters; abends in Nietzsche's Broschüre für die Freundin gelesen, mit Betrübnis einen unerfreulichen Eindruck von vielem darin erhalten.
Donnerstag 21ten
Es lacht der Himmel, doch kann ich nicht mit den Kindern ausgehen wegen Hauseinrichtungen. Ankunft der »Glücklichen Bärenfamilie«[7] von Riga, leider kein Manuskript, R. liest es uns abends vor. Am Tage erhielten wir einen peinlichen Eindruck durch Mitteilungen über unseren König, Malwida hat dieselben von einem dem König ergebenen Hofbedienten, er habe unter andrem neulich bei Partenkirchen ein Diner für 12 Personen bestellt, sei allein angekommen, habe die leeren Plätze gegrüßt und sich hingesetzt. Auch ging er nie durch die Türen seiner Schlösser aus, sondern durch die Fenster. Was steht uns hier bevor, und wie bald? - Der 9te Band der Gesammelten Schriften ist angekommen, so ist denn auch diese Aufgabe erfüllt.
Freitag 22ten
Die vier Mädchen zur Fantaisie, ich mit Fidi allein, welcher seinen ersten Gang für sich zu Malwida macht. Nachmittags im Garten mit dem Dekan und seinem Vikar, welcher [ein] sehr unerquicklicher, durch die Erlanger Fakultät zugerichteter Theologe, nichtsdestoweniger ein fester Wagnerianer ist. Abends mit Malwida den »Mythus von Thor« gelesen, wozu uns R. aus der Edda Harbard's Lied liest - große einzige Freude an der Beschäftigung mit diesen Dingen.
Sonnabend 23ten
Mit den Kindern im Garten, währenddem entwirft R. sein Gedicht an den König mit der Zusendung des 9ten Bandes, auch schickt er der Kirche in Luzern für diesen Tag des 25ten Augusts 50 frcs. Im Garten nachmittags, wo der Dekan uns einen bereits gesehenen Aufsatz von Nohl über das Bayreuther Theater in der A.A.Z. bringt - sehr schwülstig und unangenehm. Abends in Thor's Mythus mit den dazugehörigen Eddaliedern gelesen, auch die Deutung des Detmolder Professors Schierenberg[8] vom Rabenzauber vorgenommen. Vorher viel über die Schopenhauerische Philosophie, welche Malwida gut kennt, gesprochen.
Sonntag 24ten
Die Kinder in der Kirche, währenddem schreibe ich einige Briefe, R. entwirft ein Circular an seine Patrone. Nach Tisch sagt er: »Mit meinem Leben ist es wie mit einem Orchestermitglied gegangen, ich habe von untenauf gedient; in Dresden war es mir angenehm, mit einer Frau wie der Tichatschek[9] zu verkehren, sie war hübsch und freundlich; in Zürich, wie Wesendoncks kamen, sich hübsch einrichteten, sich es angelegentlich sein ließen mir's wohl sein zu lassen, wie gern ging ich da zu ihnen.« -Zum neuen Hause mit den Kindern, diesen den »Blonden Eckbert« vorgelesen. Abends mit R. allein in Renan's »Antichrist«, ihm vorgelesen, sehr über die Auffassung des distinguierten feinen Jesus gelacht und über den schwerfälligen Paulus. Immer alles für Paris hergerichtet. - Das maurische Ständchen aus der »Entführung« von Mozart ist seit einigen Tagen unser Lieblingsstückchen, ich singe es Fidi, R. spielt es und freut sich der ungeheuren Genialität dieser Erfindung.
Montag 25ten
Königs Geburtstag und unser Trauungstag, den wir wie immer still begehen, R. schenkt mir, wie er sagt, die kleine Summe, die er unsrer lieben Kirche in Luzern schickt. Malwida bringt uns Blumen, wir trinken auf des Königs Geburtstag - alles Gute mit ihm!... Nachmittag im Garten, der Architekt Brückwald von Leipzig hierher gekommen, um das Theater zu inspizieren, hat alles in Ordnung befunden. Wir weihen das Sommerhäuschen durch ein improvisiertes Abendessen dort. Schöner Abend, seliges Einssein mit R.!...
Dienstag 26ten
R. vollendet sein Circular an die Patrone, schön, daß er dies sagen kann, traurig, daß er es sagen muß. Gedanken einer Subskription R. spricht mir zu Tisch von einer Stelle des Tacitus,[10] welche Holtzmann in den germanischen Altertümern nicht verstanden, und die er errät. Tacitus sagt nämlich, daß man die Feigen, mit langen Haaren und Ringen geschmückt, in der Schlacht voran schicke, und Holtzmann sagt bloß, es muß ein Mißverständnis hier obliegen; R. meint aber, daß Tacitus das Wort feig nur in seinem jetzigen - vielleicht schon von den degenerierten Galliern, die ihm Kunde gaben - Sinne verstanden habe, während es dem Tod geweiht bedeutete, wie es auch im Nibelungenlied vorkommt. Nachmittag im Garten, R. verstimmt, ach! Es ist nur zu begreiflich. Abends erheitert er sich nach und nach, die Nachrichten von Frankreich, die immer bunter werden, ein Band von Meding, einfaches Plaudern mit Malwida bewirken dies.
Mittwoch 27ten
An den Vater geschrieben; R. entsendet sein Circular. Briefe von Berlin und Hamburg; Herr Löser meldet sich wieder, kündigt seinen Besuch an und macht Vorschläge wegen Konzerte. - Merkwürdigerweise hatte R. gestern gesagt, daß er vermutlich im Oktober nach Berlin würde gehen müssen, um wenigstens das Theater zu vollenden. Gott weiß - Kindertisch mit Malwida, schwüles schweres Wetter, im Garten, wo die unteren Räume des Hauses mir viel Sorge machen, indem sie mir feucht erscheinen. Abends in Thor's Mythus und der Edda gelesen. R. klagt über seinen Fuß, ich befürchte sehr den Beginn der Gicht.
Donnerstag 28ten
Gewitter-Nacht; am frühen Morgen die Nachricht, daß der Präsident von Lerchenfeld plötzlich gestorben ist. Der Eindruck ist ein starker, wem stünden nicht die Möglichkeiten vor der Seele, die bevorstehen!... Die große Schwüle wirkt auch lähmend auf die Nerven; R. aber arbeitet. Nachmittags im neuen Haus, welches durchaus nicht fortschreitet. Der Granitstein ist gelegt, und da dies mit großer Mühe geschah, so ist ein Trinkgeld den Leuten zu geben, und R. scherzt über den Leichenschmaus. - Abends »Der Mythus von Thor«. - Zu Mittag sprachen wir, R. und ich, von den Bedingungen eines guten deutschen Stils und wie man nicht einfach genug und streng grammatikalisch sein könne bei der Verwahrlosung, die eingetreten sei.
Freitag 29ten
R. folgt dem Kondukt des Präsidenten; ich wünsche, daß uns kein schlimmerer hier bestellt wird! Gestern war R. dem sehr wohl geratenen Sohn des Barons begegnet und war von dessen jammervollem Anblick sehr erschüttert, auch heute macht er ihm einen vortrefflichen Eindruck. R. hat Mühe, seinen Vormittag wieder für die Arbeit ein wenig herzustellen. Ich schreibe an Marie Schi, und Olga Mey.[11] Nach Tisch bei kaltem Wetter im Garten, R. kommt an, gefolgt von drei Wienern, und ich erkenne die Unseligen vom Wagner-Verein - unangenehmer jüdischer Eindruck. - Auch Voltz und Batz schreiben, daß sie noch keine Zahlungen machen können - alles schwer und prüfend. Sieht man, wie in der Welt das Genie, anstatt seinen Konzeptionen zu leben, mit der Not, sie zu realisieren, zu kämpfen hat, so versteht man auch den trüben Sinn dieses Lebensrätsels! Abends Thor's Mythus beendigt. Einzige Freude an Fidi; von seinen glänzenden Augen ausgehend sprachen wir von Augen überhaupt und von denen des Vaters, die so eigentümlich sind: »Sie haben eine Heiterkeit«, sagt R., »wie die eines Heiligen im Grabe, etwas asketisch, fanatisch Freundliches!«
Sonnabend 30ten
Zum Garten mit den Kindern, R. arbeitet, schreibt dann an Herrn Löser ablehnend und korrigiert das Circular. Nach Tisch geht er zum Theater, das er vorgeschritten findet, und, uns im Garten treffend, sagt er: >Wenn [er] das sehe, so käme er auf den Gedanken, nicht mehr Konzerte mit Feuerzauber und Walküren-Ritt zu geben, sondern persönlich betteln, einsammeln zu gehen und sich dafür in den verschiedenen Städten anzuzeigend! Abends »Coriolan«[12] gelesen mit überwältigendem und ganz neuem Eindruck! Die Übersetzung von Herwegh sehr gesucht und unangenehm, R. hatte ihm mehr Formsinn zugetraut. Brief vom Vater, der Großherzog scheint sich in Bezug auf Bayreuth zu ermannen. Er erzählt mir auch, daß die 9te zur Vermählungsfeierlichkeit unter seiner Direktion aufgeführt wird, worauf R. folgendes Programm entwirft: I. Teil Korb von Oldenburg, II. Scherzo Reise im Orient, III. Begegnung an dem Bodensee, IV. Freude der sächsischen Völker!...
Sonntag 31ten
Die Kinder in die Kirche geschickt, dann mit ihnen zum neuen Hause. R. arbeitet und sagt bei Tisch, das tue er gern, was er jetzt gerade vorhabe, das Quartett zur Begleitung des Gespräches, wo aber die Vernunft aufhöre und die musikalische Extase dafür eintreten müsse, das sei ihm greulich: jetzt könne er drei Systeme auf eine Seite bringen, das freue ihn. Nach Tisch beendigen wir im Garten »Coriolan« mit unsäglicher Ergriffenheit. Ich sage R., daß, wenn man von ihm das nicht hat lesen hören, man es eigentlich nicht kennt, ebensowenig wie die Beethoven'sche Symphonie, wenn man sie nicht unter seiner Leitung gehört hat. Wir kommen immer mehr über den Eindruck überein, daß diese Dinge unmöglich als geschriebene Werke sich vorzustellen sind. Abends Musik mit unseren Kopisten; Meistersinger- und Faust-Ouvertüre; dann singt R. aus der Walküre, am Schluß bemerken wir gemeinschaftlich, daß die Walküre das pathetischste, tragischste seiner Werke ist, Tristan und Isolde ist viel versöhnender, und in der Götterdämmerung ist wenigstens Hagen eine Volksfigur, was Hunding nicht ist. »Fôns amoris«, ruft mir R. abends zu, indem er sich von mir trennt und nachdem er darüber geklagt, daß er sein Glück nicht genießen könne durch beständiges Einstürmen von außen.