September

Montag 1ten
R. hat Kopfschmerzen und kann nicht arbeiten, er setzt sich zu mir und gedenkt der ersten Nachricht: »Ein Sohn ist da!« »Man glaubt es nicht, daß man dieses Glück hat. O könnte ich jedem Ideal entsagen und nur genießen, was ich habe, die Werke preisgeben, Geld dafür einnehmen und mich um deutsche Kultur nicht weiter kümmern, wie glücklich wäre ich da. Nur die Lumpen machen sich jetzt an mich, wie der Herr Löser und die Herrn von Wien, während Mosje Bismarck sich an mich machen sollte.« Gram und Sorge verzehren uns, vielleicht für Chimären, wird unser Sohn es besser dereinst haben? - Nachmittag zum Theater mit R. gewandert, welcher rüstig vorwärts schreitet. Unserem Patron aus Nürnberg, Herrn Koch, begegnet, mit diesem den Gedanken der Subskription elaboriert. Abends Odin's Mythus begonnen. Viel über die Franzosen geplaudert, welche wirklich jetzt sehr ergötzlich sind.
Dienstag 2ten
Sedanfeier und Fahnenweihe des Veteranenvereins, wir sind leider fahnenlos, sind aber sehr ergriffen, wie die Leute an unserem Fenster vorbeiziehen, freundlich grüßen, sehr rüstig und gut aussehend. »Wir sind kein Volk des Friedens«, ruft endlich R. aus, »wir sind ein Krieger-Volk und haben eine Krieger-Kultur.« Er liest mir den Passus, mit welchem Holtzmann ein Kapitel seines Buches beschließt, und das höchst merkwürdig. »Das einzige, was wir haben, ist unsere Armee, unsere allgemeine Wehrpflicht, im Krieg zeigt sich unsere Zucht, alle unsere Tugenden; wird für den Frieden auch etwas herauskommen, muß sich noch zeigen!« — Beschluß, Malwida zu uns zu nehmen, wenn wir in das neue Haus ziehen. - Abends das Kapitel der Vanen in Uhland's »Mythus von Odin«. - Ein Herr v. Miller will in Troppau einen Wagner-Verein gründen. Da das Wetter schlecht am Nachmittag war, spielte ich mit R. aus den Meistersingern, er hat am Morgen gearbeitet.
Mittwoch 3ten
Ein Traum, den ich R. erzähle, worin er vorkam, gab ihm Veranlassung zu sagen: »Das wird wohl dein Vater gewesen sein«, dieser Scherz beherrscht den ganzen Tag, zu Malwida sagt [er], wie er sich freue, für den nächsten Besuch an ihr einen Genossen zu haben, denn wenn ich mit dem Vater zusammenkäme, dann sei alles vergessen; die launige Art, mit welcher er das durchführt, macht uns sehr lachen. Im Hause aber findet er leider viele Ursache zum Ärger; so aufsichtslos ist wohl kaum ein Bau jemals vollführt worden. -R. hat gearbeitet; jetzt liest er in den altitalischen Altertümern,[1] immer in Bezug auf die Frage, die ihn interessiert (deutsch und römisch). Abends lesen wir im Uhland weiter, R. sagt: >Er habe gegenüber diesen nordischen Liedern nicht mehr die Ehrfurcht, die er für sie früher gehegt, er könne nicht darin die ur-germanischen Mythen erkennen, vielmehr der Skalden dichterische Spiele, darin vermischt die Ur-züge sich wiederfänden.< - Wie ich ihm sage, er solle unsere Abendlektüre ganz nach seinem Sinne bestimmen, erwidert er, es ginge ihm hier wie Siegfried mit Brünnhilde, er höre mich, freue sich daran, unbekümmert um den Sinn. - Bei Tisch sagt er, er habe gedacht: »Gott, wenn Cosima die Gesellschaft gesehen hätte, mit welcher ich z. B. in Königsberg gelebt! Diese Komödianten, die meiner ersten Trauung beiwohnten, die Direktorin Hübsch eine Art Zigeunerin, mit Ponceau Atlas-Kleid! Ja! Von wo ich herausgekrochen bin!« - Nach dem Abendessen spielt er aus »Preciosa« und erzählt, welchen Eindruck der Marsch mit dem Triangel in der Proscenium-Loge, in der er als 8jähriger Knabe ihn zuerst gehört, ihm gemacht. »Und der zauberische Klang der Klarinette, ich denke jetzt oft daran. Was Beethoven in der Instrumentation unbewußt getroffen, das wählte Weber mit Bewußtsein; ein liebenswürdiges deutsches Wesen.« Mozart's Wahl des »Don Juan«-Text erklärt R. als eine unerhörte Kühnheit, der Drang, sich von der akademischen Konvention des Metastasio zu befreien.
Donnerstag 4ten
Versendung der Circulare. R. zerbricht dabei die Goldfeder, mit welcher er »Tristan«, die »Meistersinger« und überhaupt alles seit dem Jahre 68 geschrieben. Es schmerzt mich um so mehr, als es geschah, indem er nur mit der Feder zeigte, wohin ich ein Paket Circulare zu legen hatte. R. ist nicht wohl, das Geschäft der Versendung greift ihn an. Nach Tisch im Garten, wo uns sehr unerwartet Schure ereilt! Herzliche Begegnung trotz allem! Beim Abendbrot, wie er sich »aus Patriotismus« Bordeauxwein einschenken läßt und ich es ihm verweise, uns zu reizen, spricht R. anhaltend und ernst zu ihm, was das heiße, Deutscher sein und sein zu wollen, d. h. eine Sehnsucht empfinden, die nicht in romanischen Ländern erfüllt werden kann; hier in Deutschland sei wenigstens die Frage noch möglich; unser Heer habe bewiesen, daß noch Kraft da sei, nun harren wir bang, ob diese Kraft sich auf anderen Gebieten bewähren wird. »Mein lieber Freund«, schließt er, »ich bin nicht auf dem Rang der Tagespatrioten zu zählen, denn was einer unter den jetzigen deutschen Verhältnissen leiden kann, das leide ich, ich hänge gleichsam am Kreuze des deutschen Gedankens.« - In liebenswürdigster Weise bringt R. nach dem Abendessen die Memoiren von Berlioz, welche Schure mir geschenkt hat, und fordert mich auf, die Cherubinischen[2] Anekdoten daraus vorzulesen, was uns denn mitten in Frankreich versetzt.
Freitag 5ten
R. arbeitet; zu Tisch haben wir Freund Schure und Mal-wida, nach Tisch besuchen wir das Theater; Frage der Flaggen schon jetzt gestellt wegen der zu malenden Stangen, welche vor dem Dach aufgesetzt sein sollen. Ob deutsche bloß oder sämtliche der Patrone, Türkei, Rußland u.s.w., R. will es noch bedenken. Unangenehme Enttäuschung über Hamburg, anstatt der 20 für sicher geltenden Scheine bezahlt H. Zacharias zehne, von denen wir annahmen, daß sie noch zu den 20 festen hinzugekommen waren! Abends unsere Freunde wieder bei uns. - R. spricht viel von den Römern, von ihrem Unterschied mit den Germanen etc. etc.
Sonnabend 6ten
Ich gehe zum Garten, um dort eine Vorlesung von unserem Freund Schure anzuhören, über die Geschichte der Musik und der Poesie. Im Garten treffe ich unseren Freund Kietz, wirklich und wahrhaftig auf R.'s Geheiß hieher gekommen, um meine Büste zu machen, was mir wenig Vergnügen macht. Die Arbeit von Schure ist, abgesehen von einigen Elsässereien, sehr interessant, er hat wirklich R. verstanden. - Heimgekommen wird mir von R. ein schöner Brief unseres Malers Hoffmann gelesen, ein, wie es scheint, sehr anständiger Mensch. Wo aber die Hülfe? Der König schweigt - R. scherzt, daß er auch die Strophe des Requiems singt: ad patronem. Der Vater schickt Briefpapier und viele französische Bücher, darunter auch Littre's Wörterbuch,[3] und ein Werk von der Fürstin W.* (* Wittgenstein)  Im Text ein Zeichen, an der linken Seite des Blattes der Zusatz: »[ich] hatte mich vor Ankunft der Gäste französisch nach alter Gewohnheit mit Schure unterhalten, das hatte ihn auch gereizt.« Schon die Widmung an den Vater zeigt, welche Kluft uns trennt - mir unbegreiflich, wie eine Frau öffentlich den geliebten Mann also ansprechen kann! - Bis zu dieser Hälfte des Tages waren wir heiter, allein im Hause trafen R. wirklich solche Ärgerlichkeiten, daß er ausrief: Wir würden wohl noch eher in unsere Gruft als in das Haus ziehen**; (**Der unter der Eintragung des 22. Juli 1973 (Fußnote) erwähnte Gedicht-Entwurf...) dazu kommt die Nachricht, daß der deutsche Kronprinz binnen acht Tagen nach Bayreuth kommt, sein Adjutant habe ihn dem historischen Verein gemeldet, er will die Dokumente hier kennen lernen. Für uns ein wahrer Schlag, wie auch der Besuch ausfällt, ob er sich um das Theater kümmre oder nicht, beide Fälle sind mißlich. Der Abend kommt heran, der Dekan, Feustel (welcher erzählt, daß Bismarck in Ungnade wieder sei), Kietz, Schure und Malwida, R. sehr aufgeregt***, verläßt eigentlich das Kapitel Frankreich und Deutschland nicht, ich habe eine peinliche Empfindung davon, namentlich für Schure, der mir hier wie wehrlos erscheint. Als die Gäste früh sich entfernen, bemerke ich leider zu R., daß der Abend ungemütlich war, [da] wird er sehr heftig!
Sonntag 7ten
Üble Nacht, R. verdrießlich, kann nicht arbeiten, hat keine Feder, dazu furchtbar vernachlässigte Korrekturen der Walküre vorzunehmen. - Ich gehe zu Malwida, die Fortsetzung der Vorlesung von Schure anzuhören. Stilles Mittagessen wie verschieden plötzlich von gestern! Wehmut und Schweigen. Gestern erzählte mir R., wenn er sich so die alten kriegerischen Deutschen vorstellte, immer rastlos und immer kämpfen, einzig heimisch in den kalten nordischen Wäldern, so früge er sich, wie die Musik da entstanden sei, da sehe er plötzlich den Mond über dem Wald aufstehen, die Nachtschattenruhe aufsteigen, und eine Melodie wie die des Andante aus der Kreutzer-Sonate[4] erklänge vor seinen Ohren. Wir verbringen den Tag ohne andere Lektüre als für mich die des Manuskriptes unseres Freundes Schure, dem R. zu seiner Orientierung das Buch von Holtzmann über Kelten und Germanen gibt.
Montag 8ten
Marie Dönhoff schickt vier gezeichnete Patronats-scheine. Die Besprechung des Besuches des Kronprinzen bringt mich auf den traurigen Gedanken, daß die Lage in Bayern die Preußen ganz unhaltbar dünkt und daß sie keine Rücksichten mehr zu beobachten haben. Erste Sitzung bei Freund Kietz. Abends er und Schure bei uns; es wird
musiziert, zuerst aus den MSingern, dann aus der Götterdämmerung, die Nornenscene und die Rheintöchter. R. durch die Korrektur der Walküre verhindert zu arbeiten- was ich seine Arbeit nenne! Trauer für mich, ich frage mich zuweilen in Angst, ob er nur diese Partitur wird beendigen können.
Dienstag 9ten
Unser Wachtmeister gibt mir den Abschied, R. lacht und sagt, er bewundere mich in dieser Frage, wie nach seiner Abdankung Fr. W. IV. den Bruder Regenten bewundert habe, so bald sich des Manteuffel's entledigt zu haben,[5] den er jahrelang entfernt gewünscht habe. - R. schreibt an Düffl. Freund Feustel soll hin, Gott weiß ob es hilft - ich fürchte nicht!... R. erzählt mir, er habe diese Nacht von mir geträumt, starker Veilchenduft sei an mir gewesen, er habe mich gebeten, mich nicht zu entfernen, plötzlich sei ich verschwunden, habe ihn gerufen, nein hier war es, antwortet er, hier war es schön. Seltsam genug hatte ich gestern abend mein Taschentuch durch Ungeschick so stark mit Veilchenessenz bespritzt, daß ich es nicht aus meiner Tasche herausnehmen wollte; doch hatte R. nichts gerochen, weil er überhaupt durch den Schnupftabak daran verhindert wird! - Sitzungen vor- und nachmittags, abends Lektüre des »Hamlet«, bei den Ratschlägen, die Laertes seiner Schwester gibt, erinnert mich R. daran, was ihm solche Bücher unerquicklich macht, wie z. B. die »Memoires d'une Idealiste«, nämlich daß er die Männer für grenzenlos roh, seicht, geckenhaft halte, unwert, das Herz einer Frau zu beschäftigen; wie auch Laertes es mit Ophelia's Keuschheit sehr ernst nimmt, mit der seinigen aber sehr leicht, die Männer dürfen es. Unsäglicher Eindruck auf uns alle (Malwida, Schure, Kietz) durch R.'s Vortrag - Hamlet wie jedem neu, R. sagt: Es fehlt ihm die Beschränktheit, nachdem er den Geist gesprochen, das Scheuleder, das jedem zur Tätigkeit notwendig ist.
Mittwoch 10ten
Ich sollte Sitzungen bei dem guten Kietz haben, allein das Herbstwetter ist so kalt und es ist mir so unwohl, daß ich zu Hause bleibe, Briefe und sonstige Dinge abmachend. R. hat viel Not auch mit allem, sein Circular bringt nichts hervor als hämische Bemerkungen in der Presse und nichtssagende Bestürzung bei den Freunden, daß er ein Aktien-Unternehmen aus dem Theater machen wolle. Über die Freiheit der Presse spricht er, dann die Jury, Vergleich mit dem Schöffengericht; ob wir überhaupt der Revolution v. 89 etwas verdanken, entschiedene Verneinung, wir sind aus unserer eigentlichen Entwickelung in uns fremde Bahnen durch sie geführt, Parlamentarismus, Freiheit der Presse, anstatt daß alle Interessen durch Korporationen vertreten sein sollten, und wären diese Interessen befriedigt, dann die Beschlüsse kund getan, ohne Raisonnements der Leute, die nichts wissen und nichts davon verstehen; die Politik sei nun Gemeingut aller wie in Byzanz die Philosophie, so daß der Barbier dort über die Beweise der Dreieinigkeit einen Kirchenvater ansprach. - Nachmittags wird musiziert, aus der Götterdämmerung, Ha-gen's Wacht, Hagen's Ruf, der Welt Untergang, nach dem Abendbrot liest uns R. seinen Parcival vor. Immer tieferes Staunen über diese göttliche Kraft — mir fällt dabei ein, was Schopenhauer von der Reaktion der Natur [sagt], welche nach großen Kriegen viele Zwillinge hervorbringt, so, denke ich mir, ist die Hervorbringung eines Shakespeare die gewaltige Reaktion gegen die Unterdrückung des angelsächsischen Geistes, der dadurch zu unerhörtem Kraftausbruch kommt; so die Hervorbringung Wagner's eine gleich gewaltige Rettung des germanischen Geistes; freilich tut sich da die Natur nur selbst Genüge und ist dann gleichgültig gegen den entsetzlichen Abstand, gleichsam sagend, wenn die Race untergeht (jüdische Mischung, lateinische übermächtige Einflüsse), der Geist ist gerettet, das Bild bleibt. Unterschied zwischen diesem vulkanischen Ausbruch des Genies und dem Erblühen desselben aus der Entwickelung der Dinge in Griechenland. - Sehe ich aber, wie R. nie müde ist, wenn er in seinem Element tätig ist, und erblicke ich ihn abgehetzt und gezerrt nach allen Seiten, durch den Abstand seiner Mitwelt, so erfaßt mich unsägliche Trauer, und ich möchte wie der gute Falstaff [wünschen], es sei Schlafenszeit und alles vorbei. - Ermahnung an Fidi! Wir nehmen uns vor, ihn darauf zu erziehen, glücklich zu sein, einen kleinen Besitz geerbt zu haben, und nun mit äußerster Sparsamkeit seine Unabhängigkeit sich zu wahren, um mit der Welt nur den Verkehr des Mitleidens zu haben, nichts aber von ihr [zu] fordern und verlangen, denn das ist die Hölle. Er soll mit dem oberen Stock des Hauses sich begnügen, einen einzigen Diener sich halten und mit Hülfe seiner Bücher fleißig und frei sein; gedenken, was sein Vater darunter gelitten hat, daß er die anderen brauchte, die ihn nicht verstanden. - R. schreibt an Rat Düffl., empfiehlt Feustel zur Aufnahme.
Donnerstag 11ten
Törichter Brief des Bildhauers Gedon; alberne Sendung des Herrn Herrig, der einen »Barbarossa«[6] und einen Aufsatz über das Theater geschrieben hat, in letzterem macht er Vorschläge für ein Schauspielhaus! - Ankunft der Schatulle mit der Original-Partitur von Lohengrin und Fl. Holländer; unangenehme Empfindung, der Vater schickt dies ohne Liebe; wir hatten ihn um eine Abschrift des noch nicht Veröffentlichten gebeten; nun schickt er das Ganze, und ich weiß, welche Kommentare die andren hieran knüpfen. Ärgerlicher Brief von Herrn Batz, welcher meldet, einer habe in Frankfurt einen W.-Verein gründen wollen, nun sei er durch das Circular abgeschreckt. Ach wie glücklich wären wir, könnte R. sich entschließen, nur zu arbeiten und sich nicht darum [zu] kümmern, was aus den Arbeiten wird! — Nachmittags Sitzung - im Hause, welches auch ein Gegenstand des Unmutes mehr als der Freude ist. - Es heißt, der Kronprinz komme nicht. Letzter Abend mit Freund Schure, den wir nun ruhigen Sinnes Frankreich überlassen. Wie wir von London zusammen sprachen, sagte R.: »In Paris sieht ein jeder, der in Geschäften ausgeht, aus, als ob er spazieren ginge, und in London ein jeder, der spazieren geht, als ob er Geschäfte habe.«
Freitag 12ten
R. schreibt an den Großherzog von Oldenburg und an den König v. W.*, sein Unternehmen empfehlend - mir ist es so schwer um das Herz, wie viele Tage sind es nun, daß er an der Partitur nicht arbeiten konnte! Ich fühle eine förmliche Angst, daß er diese Partitur gar nie fertig bekommt, wenn es so weiter geht. Wir denken wieder an Konzerte. Dabei hat sich soeben der König v. B. ein Schloß für 200 000 Gulden gekauft. Brief des Herrn Zacharias mit vielen Ratschlägen und wenig Sinn, noch weniger Tat. In den Zeitungen steht, daß die Aufführung des Werkes in Frage gestellt sei. Viel Sorge. Abends lesen wir die Briefe von Lichtenberg über Garrick. R. ist zufrieden mit dem Gang meiner Büste; Herr Krauße, der Maler, kommt, um das Sgraffito an unserem Hause auszuführen. Mir ist es immer, als ob R. sich viel zu viel in Aufträgen wieder verwickle, ich wage aber kein Wort, um nicht mit meinen Sorgen seine großen Sorgen zu beschweren.
Sonnabend 13ten
R. konnte nicht schlafen, er dachte an seine Pa
trone! Schreibt an Otto Wesendonck, ladet ihn ein, das Theater sich hier
anzusehen, ich schreibe an Herrn Zacharias, ermuntere ihn, anstatt Rat
schläge ein Beispiel zu geben. Der Kronprinz kommt doch an, er wird
plötzlich gemeldet; große Fahnen-Aufregung, »jetzt nicht mehr gefak-
kelt, sondern geflaggt«, scherzt R. zur Haushälterin. Wie ein Segen Got
tes ruht auf uns seine gute Laune; trotzdem er seit Wochen nicht an seine
Arbeit kommt und einzig unangenehme Eindrücke erhält, ist er heute zu
Mittag mit den Plastikern voller guter launiger Einfälle!... Er sagt, der
gute Fortgang meiner Büste mache ihm Freude. Die Sitzungen zweimal
täglich nehmen mir viel Zeit, doch erwächst ihm daraus die geringste Zu
friedenheit, so ist es genug Lohn! - Die Mutter schreibt seit Februar zum
ersten Male. Der Vater schreibt auch nur, die Original-Partituren von
Lohengrin und Holländer schenkend, leider leider kann ich dies nicht an
nehmen, denn es geschieht ohne Seele! Um 71/2 Uhr Ankunft des Kronprinzen, die Frage, ob unser Theater erleuchtet werden sollte, ist von dem Bürgermeister bejaht worden, und wie eine Geistererscheinung, wie Wotan's Bau ragt es zweimal in rotem Lichte empor. Schöner spontaner Empfang des Prinzen durch das Volk; Gedanken an den König - wie alles seinen Weg geht. Sehr ergriffen von dem Anblick des Theaters umarmen wir uns, und R. spricht: Es ist mit unserem Blute gerötet!...
Sonntag 14ten
Freund Feustel am frühen Morgen von München kommend, er hat Hoffnung, daß der König die Garantie übernehme! Herrliches Wetter; die Sonne der Hohenzollern strahlte gestern so wie heute, »ich muß sie mir durchaus zu meinen Festspielen bestellen«, sagt R. Der Prinz besucht Kirche, Opernhaus, Schlösser; unser Theater nicht, das einsam und fern von allem für sich steht, das Kreuz, daran wir geheftet, der Tempel, worin wir beten. - Sitzung in der Frühe; zu Mittag Malwida, wie sie von der Teilnahme der Frauen an der Gesetzgebung spricht und dieselbe befürwortet, liest ihr R. aus Constantin Frantz' Naturlehre des Staates das Kapitel über die Frauen-Emanzipation, und wir müssen die klassische Klarheit der Form und die Schärfe der Gedanken bewundern. »Wiederum solch ein deutsches Original«, sagt R. - Der Kronprinz entfernt sich und nimmt auch das gute Wetter mit sich. Nachmittags im Garten. Abends in Lichtenberg's Briefen über das deutsche Theater mit vielem Vergnügen gelesen; großer Eindruck seiner Besprechung des fr. Kostüms von Garrick in »Hamlet«; R. gibt Garrick recht, es sei jetzt alles Maskerade, selbst wenn man die Tragedie von Racine im L. XIV-Kostüm, wie sie zu ihrer Zeit sehr richtig gegeben wurde, jetzt geben wollte. »Deshalb«, sagt R. - »habe ich zum Mythus gegriffen, zum Siegfried, der wie im Hemd geht und einen Hut haben muß, wie man ihn auch jetzt bei einzelnen Bauern antreffen kann.« Von Lichtenberg kann man lernen, wie man mit dem Genie zu verkehren hat, nicht kritisieren, sondern lernen, sich fragen: Wie kommt er dazu? - Der Kronprinz nimmt das schöne Wetter mit sich, es fallen vom Himmel Ströme von Regen.
Montag 15ten
Endlich macht sich R. wieder an die Partitur, er hat noch keine ihm zusagende Feder. Ich schreibe an Vater (mit der Zurück-sendung der Partituren), Mutter, dem Engländer, welcher eine schöne Übersetzung der Walküre schickte, u.s.w. und beschließe dieses Buch. Stets in Eile geschrieben und ohne Muße, enthält es doch, glaube ich, das Bild unseres Lebens, das ich meinem Sohne Siegfried ganz und gar mit allen Ansichten seines Vaters geben möchte. Wir hoffen, er soll es besser haben, »ich will gern der Siegmund sein«, sagte heute R. und freute sich, so alt zu sein, um nicht auf ihn zu drücken, »führe ich die Festspiele auf und entspringen daraus die Folgen, die ich erwarte, so kann er ein förmliches Perikleisches Dasein[7] führen«. Ich wünsche, daß er seinen Vater wahrhaft erkenne, alles von ihm wisse, deshalb fahre ich mit diesen Blättern fort, was der Vater ihm vielleicht nicht selbst wird sagen können, soll er durch diese erfahren. Meinen Segen über ihn und seine Schwestern.*

Lieber Gott mach mich fromm,
Daß ich in den Himmel komm,
Sollt ich aber nicht fromm werden,
Nimm mich lieber von der Erden,
Nimm mich in Dein Himmelreich,
Mach mich Deinen Engeln gleich.

(* Ende von Heft VI der Tagebücher. Heft VII beginnt mit dem Vermerk »September 1873/ Bayreuth / Dammallee«; nach dem Gebet ist die Tagesangabe wiederholt, allerdings fehlerhaft mit »löten«; die irrtümliche Datierung geht bis einschließlich 19. September und ist von fremder Hand mit Bleistift überschrieben. - Heft VI oder VII lag der in der Anm. zum 10. Mai 1871 zitierte Zeitungsausschnitt über die Gedenktafel an Wagners Geburtshaus in Leipzig bei.)
 Mit dem Gebete von Fidi, dasselbe, welches R. in seiner Kindheit gebetet, soll dieses Buch beginnen, ich wünsche, daß Fidi's Kinder das alle beten. - Nachmittag Sitzung bei dem guten Kietz, von dem R. sagt, daß er ihn förmlich beglücke durch die schöne Büste, die er von mir macht. Arger Stand der Gewerbe hier; kein Former zu finden, R. regt den Gedanken einer Gewerbe-Schule an mit Ateliers, unter einer Kommission, welche die Bestellungen übernähme. Der Arbeiter hier beständig betrunken. -Abends nehmen wir Uhland wieder auf [unleserlich]; nach der Lektüre spielt R. aus dem Tristan, dritter Akt, Wonne der Wehmut, Öde des Meeres, tiefe Ruhe, Klage der Natur, Trost der Natur, alles alles in diesem wunderbarsten Gedichte! Wie ich R. davon spreche, sagt er: In den andren Werken dienen die Motive der Handlung, hier, kann man sagen, entspringt die Handlung aus den Motiven. Wie ich ihm sage, ich möchte unter diesen Klängen sterben, sagt er: Doch lieber unter den Klängen, mit welchen Siegfried stirbt.
Dienstag 16ten
Freund Feustel erzählt vom Kronprinzen, dieser habe sich mit der Eifersucht des Königs entschuldigt, daß er nichts mehr hier angesehen. Die Freimütigkeit ist an der Tagesordnung; wir kommen darüber ein, daß das wenigstens gewonnen ist, daß die Kronprinzessin nicht wie Gott ist, wir müssen uns entschließen, die Hohenzollern als die Vögte des Deutschen Reiches anzusehen, das übrige, Schwung und Kunst, müßte das Reich wohl selbst besorgen. - Sehr schlimmes Wetter, die Sonne hat nur dem Kronprinzen gelacht! R. Not mit der Korrektur der Walküre, kein Mensch steht ihm bei; im Hause, das gar nicht vorwärtskommt, nichts wie Not; die Notwendigkeit einer Gewerbeschule mit Ateliers stellt sich uns immer deutlicher heraus, kein Former ist hier zu finden, während der geringste Ort in Schwaben deren aufzuweisen hat. Wir nehmen abends den Aufsatz von Grimm über Verbrennung der Leichen vor und sind erschrocken über die barbarische Anhäufung von Zitaten, welche den Gedankengang vollständig verhöhnt, anstatt diese Bestätigungen sehr gut könnten als Anhang mitgegeben werden.
Mittwoch 17ten
R. verbringt seinen Vormittag damit, den Kopisten Unterricht im Korrigieren zu geben! Sitzungen für mich. Hübscher Brief des Dr. Hemsen, welcher bei dem König von Württemberg das Bayreuther Unternehmen vorzubringen hat. Der Dr. Coerper schreibt auch, wünscht Konzerte! Auch ein Stettiner Herr wünscht Konzerte, um einen Herrn Kossmely zu den Aufführungen hierher zu befördern!! - Abends im Uhland gelesen, den Abschnitt über die Runen, wie ich lese, daß, nebst Thurs, Noth ein Runenzauber war, ruft R.: »Da hätte ich es ja sehr gut getroffen mit dem Namen meines Schwertes, ich wußte das nicht.«
Donnerstag 18ten
Wir denken an eine - (nicht im Hoftheater) - Aufführung des Lohengrin in Berlin; R. antwortet Herrn Coerper und schreibt in diesem Sinne. - Bei Tisch spricht er von der 4ten Symphonie von Beethoven und sagte: »Man würde den auffallenden Abstand von der Eroica gar nicht verstehen, wenn man in ihr nicht die Keime der behäbigen Stimmung [sähe] (Verhalten des Pathos)*, * ( ) Nachträglich eingefügt.) welche in der Eroica und den Quartetten sich entwickelte, und bis zum göttlichen Humor, Anlauf zur 8ten! Absurde Erklärung Mendelssohn's von dem Schreck B.'s nach der Eroica und einer gleichsamen Rückkehr zur Norm. So denken es sich die Vielschreiber, die, nachdem sie sich es haben schwer werden lassen, wieder etwas Leichtes machen.« Neulich spielte R. die Coriolanouvertüre mir und Malwida vor, wundervolles Bild, das Ringen in einer Seele, alles geht hier in der Brust des Helden vor, nichts Äußerliches, selbst nicht die Stimme der Mutter, welche wir nur im Echo des Sohnes-Herzen vernehmen. - R. hat großen Ärger sowohl mit dem Haus, worin die Leute erklären, nicht mehr arbeiten zu wollen, als auch mit Gedon. Abends ist Kränzchen, Herr Kraußold berichtet in trockenster Weise seichteste Anekdoten vom Kronprinzen. Der treffliche Heckel meldet 3 Patronats-scheine; Herr Wesendonck kündigt seinen Besuch an. In Hamburg begrüßen sie die Krisis in Bayreuth mit Vergnügen! Gott weiß!... Gestern erschreckte mich R. sehr, indem er behauptete, keine Lust zur Arbeit zu haben; sie sei ihm gänzlich durch die vielen Widerwärtigkeiten benommen.
Freitag 19ten
R. schreibt Briefe an Gedon und Heckel, diesmal der Einrichtung wegen; ich arbeite mit den Kindern, nachmittags Sitzung; besserer Himmel, R. dadurch wohler. Abends liest R. Malwida und mir den Bericht über die Hinrichtung des Mörders Marchner und das merkwürdige Eingreifen des Scharfrichters in die Seele des Unglückseligen. Wiederum kommt R. auf seine Idee der Todesstrafe; und wie diese zu vollstrecken sei - einzig, nachdem der Hinzurichtende darin einwilligt, das zu erzielende Werk der Religion, welche gleich der Musik vom Schrei auszugehen hat, bis zur Klage (und endlich zum Spielen mit der Klage in der Kunst), und zur Erlösung; der Scharfrichter Steller macht den Eindruck des merkwürdigsten Menschen und tut das, was der Mönchsbruder und der Richter zu Stande bringen sollten. Teilnahme der Gemeinde an dem Ausmerzen der Glieder durch feierliches Trauern. Aber alles ist papieren geworden, alles abstrakt und frivol. R. erinnert sich des Schöffengerichts im »Dietrich« aus der Amelungensage,[8] und wir lesen mit tiefer Rührung die Episode von Rutlieb und dem Roten.
Samstag 20ten
R. kann wieder instrumentieren; er erhält einen sehr schönen Brief eines Patrons (in Antwort auf ein Circular), ein Herr Max Pauer auf Schloß Gutenhaag in Steyermark. Ich habe wiederum Sitzung. Abends im Uhland und darauf die Sage von Egill gelesen. Differenz mit R. in Bezug auf die Kinder, ihrer großen Nachlässigkeit wegen habe ich ihnen Blechbecher zum Trinken machen lassen; R. duldet die Strafe nicht; ich gebe nach, bin aber im Inneren darüber traurig. Brief von Pr. Nietzsche an R., nach langer Zeit; sein Augenübel ist aber noch nicht gehoben. - Reise des Königs von Italien nach Berlin, daran sich Hoffnungen knüpfen, von Bismarck- leider unwohl - wie es heißt zu Stande gebracht. Die ultramontane Presse wütet förmlich gegen das neue Reich.
Sonntag 21ten
Trüber und schwüler Tag; R. hatte eine üble Nacht; kann nicht arbeiten. Ich gehe mit den Kindern spazieren, der Zufall führt mich zum Kirchhof, wir kehren ein; Todesstimmung in mir, ersehnte Ruhe für R. und mich. R. verläßt den Mittagstisch, geht auf die Wanderung. Abends mit Malwida und R. weiter im Uhland gelesen, sehr schöner Eindruck von der Anerkennung des Christentums durch die Götter, rührendes Bild von Wotan (Nornagest), welcher seine Lebensfackel selbst anzündet und beim Altar der Taufe stirbt. »So etwas weiß man von den Griechen nicht«, meint R., »und so ruhig, rührend sind diese deutschen Mythen«, wie lächerlich nimmt sich der heilige Olaf [aus], der mit einem Meßbuche nach dem ehrwürdigen, rätsellösenden Greise und Gott wirft! »Es muß nicht leicht gewesen sein«, meint R., »diese Götter aus den Herzen des Volkes zu treiben.« - Vor der Lektüre hatten wir von der Reise des Königs von Italien nach Deutschland gesprochen und den Hoffnungen, die sich daran knüpfen, »wie erhaben macht die Könige die Wichtigkeit, die sich an ihre Entscheidungen knüpft; sie sind wie die Marionetten in der Hand Gottes, wir anderen liegen im Kasten, brauchen unsägliche Anstrengung des Genies, um uns da heraus zu recken!«
Montag 22ten
R. kann nicht verstehen, daß ich ein Gewicht auf Beibehaltung einer den Kindern erteilten Strafe lege; er ist auch nicht wohl, dazu viele Schreibereien zu besorgen. Ein Illustrierter Kalender mit Abbildung des Herrn Paul Lindau läßt uns nachdenken! Die preußischen Männer des Staates (Falk,[9] Möller, Stosch) erwecken Vertrauen durch ihre Festigkeit und ihren Ernst, alles aber, was mit der Literatur zusammenhängt, sieht grauenvoll aus; »mit den andren hat man nichts zu tun, sie imponieren einem durch ihr Pflichtgefühl, hier ist aber der reine Affe, und um dessen Gunst bewerben sich Leute wie Laube etc.« R. erwidert Pr. Nietzsche, über dessen Broschüre ein hübscher Aufsatz in der A.A.Z. steht. Abends musizieren wir aus den Meistersingern, wobei R. sagt: Es käme ihm vor, als habe er das Werk zwischen Parenthese gemacht. Abends vor [dem] Schlafengehen sagte er mir: Ich habe dir für vieles zu danken, ich dachte eben an die Meistersinger und fühlte, was ich dir zu danken habe.
Dienstag 23ten
Ernste Erwägung der Kindererziehung, ob sie durch mich möglich in den gegebenen Umständen ist; viel Kummervolles dabei. R. kommt auch nicht zu seiner Partitur, auch keine Lektüre wird abends vorgenommen, Briefe und Sitzung. Am Morgen großer Gang nach St. Georgen.
Mittwoch 24ten
Lange Besprechung mit R.; Vornahme, meinerseits keine Strenge mehr gegen die Kinder zu üben und selbst in dieser Frage das eigene Gutdünken zu ertöten. Der Vater schickt seine Wartburglieder! Ich habe die letzte Sitzung für die Büste. Abends im Uhland gelesen. Vorher Besprechung mit einem Pfarrer Baum wegen Unterricht der Kinder in der Schule; großer Schrecken über die Dürre und Seichtigkeit eines solchen Verstandes. Nicht möglich ihm beizubringen, von wo aus die Erziehung der hiesigen Kinder zu gehen hätte, und daß schlechter französischer und englischer Unterricht eine Torheit ist, daß deutsche Sprache gründlich erlernt, deutsche Geschichte und Geographie die Grundlage sein sollen, darauf weiterzubauen der Familie anheim gestellt sein müßte. Der gute Mann klagt über Sprödigkeit des Materials und will es mit Hülfe der fr. Sprache bewältigen!... Vor dieser Unterredung bei schönem Wetter das Theater besucht; herrliche Ausschmückung angegeben durch die Balken-Kragungen, welche einfach übermalt werden, eine förmlich primitive Kunst ist damit gewonnen; keine willkürliche Ornamentik, die Ziegelsteine geben das Rot an. Die Balken die Linien, welche gelb angestrichen wie Gold in der Sonne glänzen. Wie ein Märchen steht das Ding da in der plumpen Wirklichkeit. Gott weiß, wie es noch wird. R. sagte, daß der Bauführer sich so freute über die gelungene Arbeit, »alle werden lachen, wenn wir weinen«. - Wie senken sich doch die Kräfte, einzig flattert noch das bißchen Intelligenz und erfreut sich des Schönen und Großen nach wie vor.
Donnerstag 25ten
Wiederum Sitzungen und für R. ein wenig Arbeit an der Partitur, dazu schöne Tage, die Kinder fahren mit Malwida, ich und R., wir holen sie ein. Abends hat R. sein Kränzchen und liest den guten Leuten eigentlich zu ihrem Entsetzen zwei Kapitel der Nietzsche'schen Flugschrift vor. Ich lese währenddem mit Malwida unseren fünften Band von Uhland aus.
Freitag 26ten Sonnabend 27ten
Ankunft von Schwägerin Ottilie mit ihrem Sohn Fritz; die zwei Tage gehören ihnen an und gehen freundlich vorüber, an ihrem Erstaunen über die Schönheit des Theaters erkenne ich, wie die boshafte Zeichnung der »Gartenlaube« gewirkt hat. - R. erhält einen Brief von Rat D., daß der König die Garantie nicht übernimmt; er habe zu viel selbst übernommen!... Zu Mittag finden sich Militärmusiker aus Meiningen hier ein und bringen R. eine kleine Huldigung; sie spielen sehr hübsch, und mich ergreift diese Teilnahme des Volkes für R. sehr. Leider aber wirkt das Finale des I. Aktes des Lohengrin durch Schleppen und Jagen am unrichtigen Ort wieder sehr verstimmend. R. zeigt ihnen, wie es sein soll, dirigiert selbst aus dem Parterre-Fenster, und sie verstehen ihn augenblicklich, er trinkt mit ihnen aus einem Pokale und freut sich der lebhaften netten Leute. Abends lesen wir in der Zeitung die Verwendung der französischen Milliarden und müssen erschrecken über die einzigen Kriegszwecke; R. aber versteht es und sagt, »bis an die Zähne müssen wir gewappnet bleiben, denn alles ist uns feindlich gesinnt, wir sind von Feinden umgeben. Und Bismarck hat diesen Instinkt. Das Volk ist reich genug, für das andere zu sorgen, braucht nicht von der Regierung dabei unterstützt zu werden«. R. hat den Gedanken, daß die Reise des Königs von Italien nach Deutschland eigentlich eine Alliance zwischen Frankreich, Italien und Österreich gegen Deutschland bedeutet; Berlin würde mit besucht, um die Sache nicht so offenkundig zu machen, die eigentliche Herzlichkeit sei aber in Wien gewesen. Die ultramontane Partei bezwecke wahrscheinlich einen König von Italien, vom Papst gekrönt, um in des Papstes Händen gegen Preußen mit Frankreich agierend.
Sonntag 28ten
Im Gartenmit Kindern und Verwandten; beinahe heftiges Aneinandergeraten mit Ottilie in Bezug auf Pr. Nietzsche; sie ist dermaßen im Universitätswesen verfangen, daß sie über das Buch »Die Geburt der Tragödie« spricht, ohne zu bedenken, daß N. für ihren Bruder seine Karriere auf das Spiel gesetzt hat und daß eine Roheit darin liegt, uns in solcher Weise die verachtenden und verfemenden Urteile der hohen Gelehrten mitzuteilen; wie selbst das beste Herz aufhört warm zu schlagen, wenn die Macht unaufhörlich ihm gegenübersteht, erseh ich aus diesen Empfindungen von W.'s Schwester gegen den treusten Anhänger ihres Bruders! Mittagessen und Fahrt nach Eremitage in Gemeinschaft. Wenig von Bedeutung, außer daß R. von sich selbst sagt, er sei wie Robin Hood,[10] so außer Zusammenhang mit der Welt. ( Thüringen und Fensternis die jetzigen Häuser!)
Montag 29ten
Werden die Arbeiten für das Theater sistiert werden? Das ist die Frage, die uns beschäftigt und beängstigt. R. schreibt an Rat Düffl. und an Herrn Zacharias, diesem den Auftrag gebend, ein Patro-natskonsortium zu Stande zu bringen. Ich schreibe an Emil Heckel, wie wir mit diesem geendet haben, kommt Loldi und meldet, daß ein Arbeiter vom hohen Gerüst des Theaters herabgefallen und tot gefunden worden sei. Sehr trauriger Eindruck - mir war es wie ein Segen erschienen, daß kein derartiges Unglück noch den Bau begleitet hat; nun ist es da und wird schweigsam das Zeichen empfangen. Der Himmel ist trübe, als ob Regenwetter entstehen sollte, dabei milde Luft, es stimmt zum Herzenshimmel, der auch wehmütig mild ist! Abends Schwägerin und Neffe und der gute Dekan.
Dienstag 30ten
Abschied von den Verwandten, wobei mich eine große Wehmut überfällt, ich sehe deutlich, daß die Art, wie über R. und sein Unternehmen in den Kreisen meiner Schwägerin gesprochen wird, auf sie selbst einen Einfluß ausgeübt hat, und daß ihr Herz nicht groß genug ist, um ihm zu folgen! - R. schreibt Briefe, macht alles ab, um von morgen an an die Partitur zu gehen. Meine Büste wird eingepackt; Abschied vom trefflichen Kietz. Herr Baligand meldet aus München, daß der W.-Verein dort wieder 1500 Gulden sendet.