August

Mittwoch 1ten
Abreise um 5 Uhr, keinen Abschied, um sie nicht zu sehr zu erschüttern. Ankunft in Bayreuth um 1 Uhr. R. am Bahnhof mit Fidi; teure gütige zärtliche Begrüßung. Wiedersehen Wahnfrieds. Freund Standhartner.
Donnerstag 2ten
Ich erhalte den schönen Brief, welchen R. mir nach Altenburg geschrieben; worin er alles mitteilte, auch daß die Tempo-Schule nun wohl würde zu Stande kommen; der Bürgermeister trage kein Bedenken, daß die Fonds von der Stadt aufgebracht würden. Diner mit Intendant Bon Loen, Frau und Sohn. R. darauf nicht ganz wohl, wie immer, wenn er im geringsten außer seiner Ordnung lebt. Er hat aber sein Atelier zum Parsifal eingerichtet, und heute hörte ich einige erste Töne!
Freitag 3ten
R. unwohl; Freund Standhartner nimmt Abschied. Viel Hausbeschäftigung für mich, Kampf mit dem Drachen, wie es R. nennt, nämlich gegen die übertriebenen Ausgaben.
Sonnabend 4ten
Immer Haus! - R. hatte viel Vergnügen daran gestern, daß der General (Osman Pascha), welcher die Russen soeben unerwarteter Weise bei Plewna geschlagen, derselbe ist, welcher vor einiger Zeit ihm eine Broschüre gegen die Juden zugeschickt. Indem ich ihn necke mit seiner Vorliebe für die Russen, sagt er: »Man muß sich nicht schlagen lassen, das ist dumm.«
Sonntag 5ten
Immer Kampf mit dem Drachen, gar schwierig, von uns den Leuten den Begriff beizubringen, daß wir ordentlich sind und nicht gern vergeuden. Lulu ganz unbehülflich dabei, das arme Kind in großer Konfusion begriffen, noch ohne Ernst und Anlage zum Fleiß. Gott wird wohl helfen!...! Gestern abends Lucian[1] vorgenommen mit vielem Vergnügen. Heute abends mit dem Bürgermeister kleine Besprechung.
Montag 6ten
Unterricht der Kinder wieder aufgenommen, bis abends ohne Unterlaß zwischen ihnen und dem Haus meine Zeit verteilt, abends mit R. in Lucian mit vielem Vergnügen gelesen. »Der verzauberte Esel« machte neulich einen großen Eindruck auf ihn. - Nachricht, daß die Russen noch ein Mal auf das empfindlichste geschlagen wurden! - Ein Herr Schmidt, Kaufmann aus Viersen, setzt einen Aufruf an die Patrone*(* Beigelegt, s. Anm.[2]) auf, sehr schön und ergreifend. Der Plan der Schule beschäftigt R. sehr.
Dienstag 7ten
R. wirklich bei der Arbeit, ich mit den Kindern und im Hause beschäftigt; Versendung der Medaillen an die Festspielgenossen. Abends Lucian, »Gastmahl der Lapithen«, die alten Philosophen erinnern uns an unsere Professoren!
Mittwoch 8ten
Gleiches Leben, tätig heiter innig. Die Erfolge der Türken geben viel zu reden! Abends Lucian.
Donnerstag 9ten
Etwas leidend hüte ich das Zimmer oben, Kinder nehmen doch den Unterricht, und R. trinkt Kaffee und Tee bei mir; er freut sich des Kinderzimmers und des Gartens, der Bäumeetagen. Auch Lucian's »Mytillus der Schuster« macht uns viel Vergnügen.
Freitag 10ten
R. träumte, daß ich mich entfernen wollte, daß ich im Wagen saß und das Pferd gegen mich sich sträubte - ich bespreche mit R. den seltsamen Zusammenhang seiner Träume und meiner Gedanken. Wenn Trübes meine Seele heimsucht, welches ich nicht ausspreche, so sieht er mich nachts in Gefahr! - Er arbeitet oder sinnt; ich auch in meiner Weise, abends fahren wir fort in Lucian. Sternschnuppennacht; R. sagt, er gedächte ihrer nicht gern, seitdem der sinkende Stern in Heidelberg ihn betrogen, »warum aber auch deutete ich es auf den König, vielleicht hieß es der Fabrikant in Viersen?«
Sonnabend 11ten
Erwartung meines Vaters, er telegraphiert, daß er erst morgen kommt, melancholische Heimkehr. Dann viele herzliche Ergießungen und endlich die Mitteilung von: »Nehmt hin mein Blut« R. sagt mir, er habe es aufgeschrieben noch kurz vor meiner Rückkehr, mit Hut und Rock an, wie er mich eben abholen wollte. Nun habe er den Text dazu umzumodeln gehabt; diese Abendmahl-Scene würde die Hauptscene sein, der Kern des Ganzen; bei dem Meistersinger-Preislied habe er auch die Melodie zuerst gehabt, und er habe den Text darauf umgeformt. Gestern sagte er schon, man müsse sich hüten, einer Melodie zuliebe den Text verlängern zu müssen - heute nun ist die Hauptstelle[3] »Nehmet hin mein Blut um unsrer Liebe willen, nehmet hin meinen Leib und gedenket mein' ewiglich« gänzlich da, in ihrer Milde, in ihrem Schmerz, in ihrer Einfalt und Hoheit. »Die Schmerzen Amfortas' sind darin enthalten«, sagt mir R. — Mich überwältigt der Eindruck, und ich bin unfähig zu irgend einer Beschäftigung. Lange darauf liest mir R. die ersten Scenen von »Hamlet«, welche man auswendig zu kennen glaubt und nie kennt. R. gibt mir recht, wie ich bemerke, daß die Auslassung H. 's über die Zecherei in der höchsten Aufregung geschieht, wo man spricht, um zu reden, nicht um etwas zu sagen; die kalte Nacht, die schaurige Erwartung erregen in H. diese Sucht, außer sich zu geraten, und dabei konnte dramatischer nichts Glücklicheres geschehen als die Ablenkung von der erwarteten Erscheinung, um diese plötzlich wirken zu lassen; wie immer fällt hier bei Shakespeare die höchste Kunst mit der unbändigsten Natürlichkeit zusammen.
Sonntag 12ten
Meinen Vater abgeholt, er kommt zugleich mit Freund Dannreuther an. R. sagt, es sei ein glücklicher Tag, und schenkt den Kindern die 4 Thaler, die er noch vom Reisegeld übrig hat. Heitere, ja übermütige Stimmung!
Montag 13ten
R. schon etwas ermüdet wie stets, wenn die Ordnung seines Tages nicht buchstäblich eingehalten wird. Mehrere Depeschen kommen an, des Jahres-Tages gedenkend. Abends Amerikaner, R. in sehr sehr gereizter Stimmung, auf meinen Vater meinethalben eifersüchtig.
Dienstag 14ten
O über dieses Menschenleben; ist es glücklich, ein Hauch kann es wenden. - So ist denn Freude, Friede und Arbeit dahin ohne Verschulden von irgend einer Seite!... Mein Vater spielt uns abends das Divertissement á la Hongroise zauberisch vor, allein R. bleibt verstört.
Mittwoch 15ten
Abschied! Am Bahnhof der Riedel'sche Verein nach Nürnberg zur Feier des Jubiläums des Germanischen Museums; mein Vater sehr empört, daß sie R. nicht dazu eingeladen; auch daß Eisenach nicht auf den Gedanken kam, R. zum Ehrenbürger zu machen!... Abends ein Bildhauer aus Leipzig, welcher den Auftrag hat, R.'s Kolossalbüste für das Theater zu machen; ein Privatmann dort stiftet sie. R. will nicht gern sitzen.
Donnerstag 16ten
R. bittet mich in ergreifendster Weise, seine Laune zu verzeihen, er sei so leidend, physisch, daß er sich für nichts und nichts schwarze Gedanken mache. Ich ersähe es an seinen Träumen. - Freund Dannreuther brachte 500 Pfd. von den englischen Freunden, Entschluß, sie mit Dank zurückzugeben. - Kmeister Levi sendet einen Aufsatz in den Blättern für literarische Unterhaltung »Das Bühnen-Festspiel und seine Rezensenten«, wahrscheinlich von Pr. Bernays (es ist Uhde gezeichnet)[4] sehr gut gesinnt und gut geschrieben, allein wiederum die Elendigkeiten der Presse sich vorführen zu sehen, ist gar betrübend. R. sagt, der ganze Fehler lag darin, daß er eben für Geld und daher auch solchen Menschen den Zutritt zu seinem Theater gewähren mußte.
Freitag 17ten
Unterricht und Haushalt für mich, für R., fürchte ich, noch keine Wiederaufnahme der Arbeit, abends kommt Kmeister Zumpe mit einem Singspiel; R. sehr betrübt, fragt, woher er denn das gelernt, was er ihm jetzt zeige, denn von ihm gewiß nicht! - Bestärkung des Entschlusses zur Schule.
Sonnabend 18ten
Unterricht und Haus und Briefschaften. Nachmittags Ausfahrt nach dem Theater; seltsamer Eindruck; Eintritt im Inneren, mächtiger Eindruck, großartig wie das Kunstwerk selbst. Die Kostüme dagegen, die Photographien, erregen förmlich Widerwillen bei R., sich wieder mit dem »Ring« zu befassen. Den Abend auf der Bürgerreuth zugebracht, schöne Stimmung, das Ländchen lieblich und freundlicher Mondenschein.
Sonntag 19ten
»Er seufzte, sein Seufzen war ein Gebet.« - Mein Trauungstag vor nun 20 Jahren. In die Kirche gegangen - Taubstummen-Heilung, o wollte mein Seufzen zu Gebet werden und Segen für andre! Wie ich von der Kirche heimkomme, sagt mir R., er wisse nicht, ob er mich überraschen solle, und zeigt mir das Gedicht, welches er für das Idyll[5] gemacht - Schott fordert etwas, mich ergreift das Gedicht zu Tränen und erschrickt der Gedanke der Veröffentlichung. Ich weiß nichts zu sagen, da gewiß ein Zwang es ist, welcher R. zur Veröffentlichung bringt. Bei Tisch sagt er: Er hätte alle seine Werke für sich und seine Freunde behalten sollen, denn keines hätte ihm Freude gebracht nach der Publikation. Abends liest uns R. den »Sturm« von Shakespeare vor.
Montag 20ten
Arbeit mit den Kindern; R. immer [noch] nicht zum Parsifal heimkehrend!  - Er fährt mit uns nachmittags nach Eremitage. Abends Schluß von dem »Sturm«; Konzision und Ausführung des einzelnen wie in einer Beethoven'schen Symphonie. Prospero erlangt die Zauberkraft im Unglück, gibt sie auf aus Liebe zu seinem Kinde und erwünscht das Grab! Welch eine ergreifende Lehre in einem Bilde; und welche Nebenzüge begleiten das Hauptbild! - R. sagt, er könne begreifen, daß ein Heer von Kommentatoren sich um diese geheimnisvollen Werke gesammelt. »Daß Ariel Prospero nicht folgt, begreife ich nicht«, sagt R.
Dienstag 21ten
Gleiches Leben, R. aber, wie mich dünkt, bei der Arbeit! ... Als Lektüre hat er jetzt das Hexenbuch[6] und die Reden des Demosthenes, welch ersteres ihn sehr fesselt und auch gegen Görres einnimmt, welcher als Tatsache das nimmt, was nie und nirgends gewesen.
Mittwoch 22ten
Letzter Tag mit unserem Freund Dannreuther, welchem wir die Aufgabe geben, den Freunden in England das Geld zurückzustellen. Nebst dem bespreche ich mit ihm die Möglichkeit von Daniella's Rückkehr zu ihrem Vater, wenn dieser sich in London niederließe. Wie aber seine Gesundheit ist. O wollte die Güte Gottes eine Versöhnung in dieses Schicksal gnaden und sie durch das Kind werden lassen! ...Abends Besuche von Mecklenburgern, Patrone des vorigen Jahres, sehr angenehme Leute.
Mittwoch 22ten
R. gratuliert dem König (ich schrieb gestern Herrn Strecker, um ihn zu bitten, auf das Idyll zu verzichten). Abends Abschied von unserem Freund Dannreuther.
Donnerstag 23ten
Wiederum für uns; R. sagt, er wolle einzig mit mir leben. Ich habe ziemlich viel mit den Kindern zu schaffen, Sorge um Siegfried, welcher gar weichlich mir erscheint!... Abends Dr. Harrer[7] aus London, welcher das Geschenk des deutschen Vereins in London bringt (Photographien der Sixtina) und schließlich erklärt, die medizinische Karriere aufgeben zu wollen, um Opernsänger zu werden, was R. höchlich aufbringt. (Papagei entflohen!)
Freitag 24ten
R. arbeitet, ich auch in meiner Weise. Abends besichtigen wir das Werk »Die Capeila Sixtina«; das jüdische Element ist das, was R. vorherrschend darin findet, Fanatismus, Trauer, Haß. Mich frappiert darin die Melancholie der Sinnlichkeit wie bei Adam und den Atlanten, unerlöste Geschlechter, Melancholie der Intelligenz bei den Propheten; Trauer der Indignation bei Christus, Wehmut der Güte bei der Mutter Gottes.
Sonnabend 25ten
Unser Trauungstag. Mittagessen mit Freund Feustel und Dr. Harrer! Nachmittag räume ich das großartig erhabene Werk ein. - In der Frühe sagt mir Richard, er mache jetzt dem Parsifal sein musikalisches Kleid, dem Helden nämlich. Abends in Lucian; seltsamer Weise verletzen mich die kecksten Sachen darin nicht, von welchen bloß die Andeutung in einem modernen Schriftsteller widerlich sein würde. R. meint, es sei wegen der Offenheit, mit welcher alles behandelt würde; das Heimlichtun macht die Dinge unschicklich. R. sagt, die Form des Dialogs sei sicher die beste, die einzige, in welcher man objektiv sein könne.
Sonntag 26ten
In die Kirche, R. an der Arbeit. Erster Versuch einer Knabenfreundschaft für Siegfried. Nachmittag Beschäftigung mit der Sixtina! - R. erzählt mir, daß, wie er mit Freund Dannreuther ein Mal einen Laternenputzer um eine Adresse bat, dieser augenblicklich sein Geschäft verließ, um sie zu zeigen, und wie R. ihm sagte, er solle sich doch nicht stören lassen, geantwortet: O für Sie! Wenn Sie nur wieder hier sind, dann ist alles gut, dann hat man wieder Hoffnung! Abends milde Mondnacht.
Montag 27ten
R. träumte wild von Herrn Niemann u.s.w.; aber er arbeitet, ich in meiner geringen Weise auch. R. gar gütig gegen mich, kann es mir nicht genug sagen, daß er meiner sich freut! Abends beginnen wir Herodot.[8] - In der Poesie Franciscaine von Ozanam sehe ich in den Fioretti wie ein Gegenstück zu Turisse's [?] Aussagen der Wahrheit gegen seinen Willen.*(• Satz schwer lesbar und kaum zu deuten.)
Dienstag 28ten
Manche hübsche Danksagungen wegen der Medaille, R. dankt mir für »die sinnige Gabe« - Herr Tappert fragt um Weisungen für die W.-Vereine, R. will etwas an sie erlassen. Herr T. schickt die »Sonate«, R. sagt: »Jetzt zehre ich von meinem Kapital, damals hatte ich Überschuß, das kam dem Unterschuß zu Gute.« - Mit Herrn Groß Besprechung des Verhältnisses zu Schott, das nicht erfreulich!! ... Ob das Idyll liefern?... Von H. Wolzogen eine hübsche Broschüre über die Vereine, auch eine Erinnerungsskizze an Bayreuth von einem Herrn Oesterlein.[9] R. sagt, er habe eine so verschleierte Erinnerung an die Aufführung, als ob nichts eigentlich wirklich herausgekommen wäre! Von Beiz' schöner Leistung im 2ten Akt der Walküre bei der ersten Kostüm-Probe. Abends in Herodot mit vieler Freude weiter gelesen.
Mittwoch* 29ten
(* In der Handschrift fälschlich »Donnerstag« )R. arbeitet! In diesem Wort liegt für mich alle Freude. - Unterricht, Haushalt und Kummer mit Lulu.     Schöner Brief von Gräfin Voß. Abends weiter in Herodot gelesen; gleicher Anteil an Rausch und Nüchternheit bei den Persern, macht uns Vergnügen. R. erzählt Fidi die Geschichte von W. Tell.
Donnerstag** 30ten
( ** Fälschlich »Freitag«) R. sagt, wie er sich zuweilen über eine Note freue, er arbeitet, fühlt sich aber nicht wohl, spricht davon, den Magnetiseur Cramer kommen zu lassen, »wenn so was Ernsthaftes nicht so lächerlich wäre«. Er spielt mir die Sonate für Math. Wesendonck[10] und lacht viel über deren »Trivialität«, wie er sich ausdrückt. Er habe nie eine Gelegenheitskomposition machen können, diese Sonate sei seicht, nichtssagend, das Albumblatt für Betty Schott künstlich - einzig beim Idyll sei es ihm geglückt, weil da alles zusammengefallen wäre, wie er es in der ersten Strophe des Gedichtes gesagt! - Abends in Herodot gelesen.
Freitag 31ten
R. träumte wiederum, ich verließe ihn; und diesmal ist es kein Traum, habe er schlafend ausgerufen, und dieses ausrufend sei er bewußtlos geworden, und immer bewußtloser werdend sei er aufgewacht, und diesmal sei es erst recht ein Traum gewesen! - Der Zeitungsschnitzel mit Bismarck's Äußerung an den Figaro-Herren erfreut uns nicht, und R. sagt, es ginge ihm wie Werther, wo alles zum Selbstmord treibe; ihn treibe alles zum Aufgeben aller Pläne; alles, was er vernehme, sei unerfreulich! - Er kaufte heute Siegfried und seinem kleinen Freund einen Bogen. Gestern war er weit gewandert, unserem armen Papagei nach, vergeblich und mit vielen Schmerzen am Fuß. Abends Herodot.