Juli

Sonntag 24ten Juni
In die Kirche mit den Kindern. Vorher Briefe von London; wenig Aussicht für die Subskription. (* Fälschlich: »2ten«, in der Handschrift irrtümlich datiert bis einschließlich Mittwoch, 11. Juli 1877) Von da bis 1ten Juli* Besuch von Herrn Niemann, gleichfalls meldend, daß Herr von Hülsen ungnädig gegen den Ring gestimmt ist. Der seltsame Mann wünscht Parsif al zu lesen, R. gibt ihn ihm, und er empfängt einen großen Eindruck davon. Bekanntschaft des ehemaligen Ministers Windthorst gemacht, sehr unschöne Erscheinung, doch, wie uns dünkt, entschiedene Begabung. R. gibt ihm »Kunst u. Politik« zu lesen. Glaube an Krieg durch die jetzigen französischen Wirren. Besuche des Kursaales immer schwieriger für uns, der schlimmen Musik wegen. Auch die Theatervorstellungen erfüllen mit Melancholie, und gar eine armseligste Regatta!... R. wird dadurch sehr verstimmt, die Kur aber scheint ihm gut zu bekommen! - Hofrat Düff-lipp schreibt, daß er uns in München erwarte und sehnlichst eine gute Lösung herbeiwünsche. Dazwischen Herr Rosa,[9] Theaterdirektor, wegen Vorschlägen für Amerika, Opernaufführungen u.s.w. Auch Herr Ulimann bietet wieder an... Sonst schweigt so ziemlich alles. In dem »Erfindungsreichen« aber entsteht der Plan einer Schule. Er sagt, daß er so leichtsinnig unverbesserlich sei, er könne sich vorstellen, daß er nach Amerika ging, dann doch wieder heim käme und wieder irgend »eine Torheit beginge«, das heißt eine Aufführung zu Stande bringe.
Montag 2ten
Kurpromenade trotz Regen, worauf Ruhe; R. liest jetzt ein Buch über Paris von Maxime Ducamp,[1] das Kapitel über die Malfaiteurs unterhält ihn. Abends der Reichtstags-Abgeordnete Windthorst, er kommt, den Band der Gesammelten Schriften, welchen R. ihm geliehen hatte, unter dem Arm, und spricht mit Scharte und Bedeutung sowohl hierüber als über die anderen politischen Dinge. Er scheint nur als Politiker der ultramontanen Partei anzugehören und hat einen freien Blick über die Dinge, doch ist wohl die Partei zu mächtig, um ihn nicht selbst dahin zu führen, wo er nicht gehen möchte. R. wollte gern mit ihm sprechen, geriet in Heftigkeit über den russisch-türkischen Krieg, weil unsere Gäste nicht auf Seiten Rußlands standen, für welches R. den Besitz Con-stantinopels vindiciert; doch wird das Gespräch ruhig und recht interessant.
Dienstag 3ten
Hübsches Wetter, frühe Kurpromenade. Nachmittags Lindenbach, Frau Wesendonck und ihre Tochter dort. Der Umgang ist R. etwas beschwerlich, eine Art Intimität ohne jeglichen Zusammenhang.
Mittwoch 4ten
Brief von Herrn Groß, Graf Magnis Ullersdorff[2] hat für das Defizit 5000 Mark geschickt. Dazu die Nachricht von Herrn Sim-son, daß R. seinen Prozeß gegen Herrn Fürstner auch in zweiter Instanz gewonnen habe. Beides recht erfreulich. Letzter Spaziergang zum Lindenbach, nachdem allerhand Abschiedsbesuche uns gemacht wurden. Abends Graf Pourtales und Frau Wesendonck mit ihrer Tochter; R. sagt zum Grafen unter andren Dingen, »was sind wir Deutschen? Wir wissen es nicht; wir wissen nur, daß wir von den Juden ausgezogen und von den Franzosen angezogen werden«.
Donnerstag 5ten
Allerlei Abschied. Ich schicke Fidi in das Kurhaus, um dem Kaiser einen Kornblumenstrauß zu überreichen. Fidi sieht und spricht auch den greisen freundlichsten Herrn. Wahrscheinlich zum ersten und letzten Male. Abreise um 10 Uhr, große Heiterkeit und Lustigkeit R.'s und der Kinder, nur Fidi etwas halsleidend - es verschlimmert sich, und wie wir in Heidelberg ankommen, beschließen wir, da der Aufenthalt (Schloßhotel) ein sehr angenehmer, hier zu bleiben. Abends Herr Heckel, Dr. Zeroni, Herr Lang, Ständchen von der Liedertafel; 6000 Menschen zugegen. (R. stimmt Gaudeamus igitur vom Balkon an.)*(* Am Rande hinzugefügt.)
Freitag 6ten
Fidel immer leidend, Entzündung der Mandeln, wir gehen ein wenig spazieren auf der herrlichen Terrasse. Doch sind wir müde, abends Besuch unserer Mannheimer Freunde mit einem altkatholischen Pfarrer. Die Großherzogin von Baden gleich ihrer Mutter protegiert die Ultramontanen; der Reichskanzler hat zu den badischen Abgeordneten im Reichstag gesagt: »Ihr Großherzog ist mir immer sehr gut gewesen, nun aber soll er auch unter die Weiber geraten sein.« Brief vom Vater.
Sonnabend 7ten
Fidel muß den Tag zu Bett bleiben, beinahe tue ich dasselbe, so müde fühle ich mich. R. liest weiter in dem Buch von Maxime Ducamp. Das Kapitel der Malfaiteurs interessiert ihn sehr. Spaziergang im Schloßgarten, Freude an den herrlichen Bäumen; eine Amsel, welche mit ihrem Gesang die Ouvertüre der »Gazza ladra« begleitet, macht uns viel Vergnügen.
Sonntag 8ten
Fahrt in der Frühe nach dem Königstein, herrlicher Wald. Zu Mittag unsere Freunde aus Mannheim und R. Pohl, auch Pr. Nohl! Abends liest R. seinen Parsifal vor, mir zu immer tieferer erschütternder Wirkung. Nach der Vorlesung wird mit dem altkatholischen Pfarrer von Religion gesprochen; R. spricht zugunsten der Wiederbelebung der Klöster, von wo aus die Tätigkeit ausgehen sollte, Besuche der Armen, Gefangenen, Leidenden aller Arten. Er sagt: »Wenn ich, bevor ich meine gute Frau gefunden, ein solches Kloster gewußt hätte, ich würde mich hin begeben haben und hätte mich wohl nicht leichtsinnig davon getrennt.«
Montag 9ten
Immer besser gefällt es uns hier, wenn Fidi auch nicht ganz wohl ist, so genießen wir doch den Aufenthalt sehr. Heute besuchen wir mit den 3 Mädchen die Stadt, welche uns recht artig und sauber dünkt.
Dienstag 10ten
Fidi wieder munter, ich dagegen an das Haus gebannt; Konsultation von Dr. Zeroni, Milch-Regime. R. geht mit den Kindern spazieren zum Wolfsbrunnen. Wir lesen immer, jeder in seinem Band, im Paris von Maxime Ducamp, und R. kommt zu dem Ergebnis, daß eine Schicht Menschen dort, ungefähr die mittlere, welche die Employes abgibt, ausgezeichnet, aber nur dazu da ist, um die obere, schlechte, vor der unteren, gleichfalls nichtsnutzig, zu schützen!                                             
Mittwoch 11ten
Morgenfahrt nach Schwetzingen, nicht sonderliches Vergnügen an Spielerei und Verkommenheit, doch immer heitere Laune; bei der Heimfahrt flattert ein Falke hoch oben über unsere Häupter und umkreist uns; wir begrüßen ihn als ein gutes Zeichen. - Nachmittags Konzert, der Kmeister Rosencranz erbittet sich einige Tempi aus, allein es nutzt nicht viel.
Donnerstag 12ten
R. hatte eine schlechte Nacht in Folge von ungesunder Diät; er sagt, vielleicht sollt' ich nur den Stern fallen sehen, und erzählt mir, daß ein prachtvoll leuchtendes Wesen vor ihm herabgesunken sei; er habe gleich an den König gedacht. Beim Kreisen des Falken sagte er mir, »der Falke denkt: Wagner muß Glück haben, er hat das einzige Wesen bei sich, um das es sich lohnt, das Leben zu ertragen«. - Um die Mittagszeit besuchen wir mit den Kindern das Studenten-Faß. Abends wunderschöne Fahrt nach dem Wolfsbrunnen; prächtiger Sonnenuntergang. Abends auf der Terrasse völliges Idyll. Acht glückliche Tage! Und bei der Heimfahrt noch ein gutes Zeichen, eine grüne Spinne auf R. 's Hut, »Spinne am Abend« -. In keiner Gegend ist uns so heimisch gewesen; beinahe nirgends auch waren wir so für uns.
Freitag 13ten
R. zeigt mir auf der Terrasse zwei Täubchen, welche ganz ruhig auf dem Rand hocken bleiben, er sagt: »Das sind unsere Seelen, die von gestern abend von dem Gespräch hier geblieben sind.« Ich besuche das Schloß mit den Kindern; dann improvisiert R. eine Fahrt nach Mannheim, wo wir im Pfälzer Hof mit unseren Freunden zusammenkommen. Freund Heckel scheint wirklich in das Theatercomite zu kommen, was insofern von Bedeutung ist, als die Herrn von der Niederträchtigkeits-Schule ihm alle in Mannheim die bösesten Streiche gespielt und sein Geschäft beinahe gänzlich untergraben hatten; Kapellmeister (Frank),[3] Theatercomite u.s.w. Er erzählt auch, daß, wie er vorgeschlagen habe, Hans als Kmeister anzustellen, das Comite sich an Herrn von Perfall gewendet hätte und dieser erklärt hätte, es sei nicht mit ihm auszukommen! Mit diesem Elenden werden wir zu unterhandeln haben, jetzt in München. Wie ich diese Seite schrieb, kam R. herein, zu melden, daß wieder gute Zeichen; im Moment, wo er mit der Hand in die Tasche greift und mit seinem Geld klimpert, erblickt er auch das erste Viertel des Mondes! - Abend auf der Terrasse, eins nach dem andern erhellen sich die Lampen der Stadt wie große Johanniswürmchen, immer heimischer und wohler fühlen wir uns hier, wo keine Fratzen zwischen uns treten. Selbst die schlimmsten Möglichkeiten unseres Lebens, wie die Reise nach Amerika, besprechen wir mit Heiterkeit, R. sagt: »Ich werde, um Kosten zu vermeiden, deinen Vater bitten, mich als Matinee zu engagieren und mit mir dort Konzerte zu geben, er spielt, und ich singe«, dies gesagt, besprechen wir bei wachsendem Gelächter alle Einzelheiten dieser Situation, von der Schonung und den rohen Eiern an bis zum verlegenen Gruß, á la Beckmesser.*(* Hinweiszeichen im Text; die folgende Ergänzung befindet sich am Ende der Eintragung vom Sonnabend, 14. Juli 1877.) zu Freitag den 13ten. Unsere Scherze werden einen Augenblick unterbrochen durch einen Kindergesang; ein Mädchen, abends heimkehrend, singt mit lauter Stimme: »Einsam bin ich, nicht allein«, sehr rein und deutlich, es wandelt, von jemandem begleitet, der eine bunte Laterne trägt; sehr hübscher Eindruck. - Mir ist es, als ob aus diesem dichten schönen Laub nur Weberische Töne hervorgehen könnten, sein Geist und seine Anmut scheinen mir hier zu weben.
Sonnabend 14ten
R. hatte keine sehr gute Nacht. Mit seltsamen Ahnungen gehe ich zur Ruhe, der Zufall bringt immer drei Lichter in meine Stube, und das Wohlgefühl, welches uns hier getroffen hat, erschrickt mich beinahe. - R. hatte seine sogenannten »Feigheitsträume«, Mangel an Geld, verächtliche Behandlung seitens der Menschen. Ich wollte nichts mehr von ihm wissen. Besuch von unseren Freunden Pohl, Nohl, Heckel. Zum Wolfsbrunnen spazieren gegangen. Abends geplaudert. R. spricht von London und sagt, er habe das Gefühl als von sehr vielem persönlichen freundlichen Entgegenkommen, welchem er nicht im Stande war zu entsprechen.
Sonntag 15ten
R. früh zum Brunnen, Fontaine de Soif, dann Frühstück. Wie er sich etwas ausruht und nachsinnt, ruft er mir zu: »Alles ist doch nur möglich, weil ich dich habe; selbst Ruhe und Einsamkeit ist mir nur gut im Gedanken, daß du bei mir bist«... Regentag; abends Ankunft des General Grant[4] und seiner Familie, mit welchem wir eine kurze Zusammenkunft haben. Er kann weder deutsch noch französisch!
Montag 16ten
Fahrt nach Heilbronn, das Rathaus und die Kilianskirche machen Eindruck, namentlich das in Holz geschnittene Altarbild, R. begeistern förmlich die vier Figuren, unten Papst und Kardinal, und zwei Bischöfe; mich fesselt auch sehr der Tod Mariae und, wie mir scheint, die Himmelfahrt. Im Hause Justinus Kerner's,[5] seltsamer Eindruck, eine hübsche, entschieden zum Empfang geputzte Frau, ein halb mysteriöses Haus, ein aufgeregter magnetisierender Hofrat, das Bild der Seherin von Prevorst, interessant, und ein schönes Portrait von Lenbach.
Dienstag 17ten
Einpacken, trauriges Geschäft, wiederum Abschied! Heiterer Abend mit Zeronis, einer Mrs. Monro und einem Dr. Scheibner, Geologe und Wagnerianer. Das Gespräch führt von der Eiszeit auf den gegenwärtigen Stand der Dinge; die Zollgesetze in Deutschland scheinen dafür geschaffen zu sein, um die Industrie brach zu legen und dem Handel gut zu kommen, so wie die neue Münze, welche mit keiner stimmt, einzig geschickten Banquiers zu Gute kommt! Herr Scheibner erzählt von einer kürzlich gehaltenen Rede des Lord Derby[6] in Brüssel, in welcher vorkam, daß das deutsche Volk durch seine Anlagen wohl bald die anderen überflügelt haben würde, wenn nicht die Regierungen so schlecht wären. Aber keiner hört hin. Weiter wird erzählt, daß früher die jungen Engländer in die Forstschule nach Tharandt geschickt wurden, daß sie aber dort so vernachlässigt wurden, daß man sie jetzt nach Nancy sendet. Die Russen sind in Asien geschlagen. Viel Vergnügen an der Unterhaltung mit den intelligenten Engländern!
Mittwoch 18ten
Um 10 Uhr fort von dem traulichen Ort, wo wir schöne ruhige Tage verlebt. R. sagt mir, er sei immer wütend, daß wir nicht 15 Jahre früher uns gefunden: »Wie viel wüster Unsinn wäre mir erspart geblieben!« Hübsche Fahrt; in Freiburg eine große Menge Wagnerianer samt Heckel und Frau am Bahnhof, Blumen, Bier und Hochs. In Oos hatte uns Freund Pohl gemeldet, daß die Russen über den Balkan seien, R. lacht: »Wie töricht, daß ich mich darüber freue, der Sultan und der Khedive haben Patronat-Scheine genommen, und russischerseits haben sie gar nichts dafür getan; die Leute würden mich sehr undankbar finden.« - Über die Tragik des Lebens sprachen wir gestern, über Hans! Je mehr ich den bekannten Gegenden in der Schweiz mich nähere, ist es mir, als ob jemand mir mein vergangenes Leben erzählte, sanft wehmütig, ganz geschieden ist es von mir, und doch ist die Wehmut geblieben. Schöner Brief des Königs über Parsifal. Auch einer von Loldi vor der Abfahrt. Abends hier (Luzern)*(*  (  ) Eingefügt.) zur größten Überraschung Richter am Bahnhof, dann Gräfin Bassenheim, die Familie Stocker, kurz die ganze Vergangenheit. - Leider auch ein Brief von Dr Herz, der mich bestürzt, es ist Diphtheritis in Altenburg, alle bösen Zeichen kommen mir wieder in den Sinn - wir waren dreizehn bei Tisch zuletzt abends, die drei Lichter, das tote Pferd, das blutige Gestirn; Freitag wollen wir reisen, warum habe ich das Unheilvolle im Sinn?
Donnerstag 19ten
Es regnet; am Vormittag Verkehr mit Gräfin Bassenheim; Nachmittag trotz Regen Fahrt nach Tribschen; es ist verwildert und verwachsen, französische Juden bewohnen es, »viel auf ein Mal«, sagt R. - Besuch der Stockers. Der Himmel bleibt düster, als ob wir es nicht beklagen sollten, daß die Tribschner Tage vorbei.
Freitag 20ten
Frühe Abfahrt. Spaziergang in Zürich, sehr hübsche Fahrt auf dem Bodensee. R. zeigt mir den Säntis, welchen er mit Uhlig[7] bestiegen. Abends gegen acht Uhr in München. Freund Lenbach am Bahnhof.
Sonnabend 21ten
München Um 8 Uhr Hofrat Düfflipp, ich entferne mich, damit R. ungehinderter mit ihm sprechen könne, und zeige den Kindern die Stadt. Wie ich heimkomme, meldet mir R. zu meinem Erstaunen, daß wir morgen wieder abreisten, wir weiter hier nichts zu tun [hätten]. Der König hat keinerlei Weisung in Bezug auf unsere Sache gegeben, und da er finanzielle Schwierigkeiten hat, befürchtet er nur weitere Vorschüsse machen zu müssen, ja selbst auch, seine Vorschüsse nicht wieder zu erhalten. Hofrat Düfflipp schlägt ihm vor, mit Herrn von Perfall zu verkehren; R. gibt es zu, um 11 Uhr findet er sich in dem Düfflipp'schen Bureau ein, H. v. P. macht große Ergebenheits-Protestationen, R. erwidert, er nehme ihn als eine neue Bekanntschaft an. Es wird projektiert, daß die Münchner Intendanz die Festspiele in Bayreuth gibt, nächstes Jahr, und darauf in München. Nun soll dieses Projekt noch zwischen den Herrn v. P. und Düffl. durchgearbeitet werden. R. sagt mir: »Ich muß froh sein, daß, wo der Herr mich abweist, die Domestiken mir zu essen geben!« Fahrt mit R., den Kindern und Freund Lenbach durch den Englischen Garten und den älteren Teil von München. Trauriges über Semper, welcher dem Ende nahe ist; es ist furchtbar, die wahnsinnige Lüsternheit nach dem Leben bestehen zu sehen, nachdem alles, was das Leben entsetzlich macht, erprobt wurde und alles, was über dasselbe täuschen kann, verloren!
Sonntag  22ten
Abfahrt in der Frühe, Ankunft um 11 Uhr in Nürnberg; mit R. und den Kindern Rathaus, Sebalduskirche, die wundervolle Lorenzkirche, die Burg u.s.w. gesehen. Meistersinger-Stimmung; bei dem Haus von Hans Sachs die Straße des 2ten Aktes wieder gefunden. Leider auf dem H.-Sachs-Platz sehr gestört durch die Synagoge, insolent protzig. In der Rosenau (Volkswiese) kleiner Volks-Auflauf, um R. zu sehen. Abends der enthusiastische Musikmeister; R. aber aufbrausend, wie er von der Liebe der Nürnberger für ihn hört, erinnert daran, daß die Meistersinger hier zuletzt gegeben wurden, daß, wie er dieselben zum Besten des H.-Sachs-Denkmal dem Theater angeboten habe, ohne irgend etwas für sich zu beanspruchen, man ihm gar nicht geantwortet habe. Dann ärgert er sich über die unnütze Wut.
Montag 23ten*
(* Fälschlich »22ten«, in der Handschrift irrtümlich datiert bis einschließlich Dienstag, 14. August 1877.) Den alten Holzschuher[8] im G.**( ** Germanischen.) Museum besucht, das herrliche Bild erfreut auch R. »Mit diesem hätte ich zu tun haben sollen«, sagt er, »er hätte mich verstanden.« - Abfahrt nach Weimar. Ankunft um 7 Uhr, meinen Vater Gott sei Dank sehr wohl angetroffen. Er erzählt von seiner Unterredung mit dem kronprinzlichen Paar in Potsdam, dasselbe sei ganz und gar »wagnerisch«!
Dienstag 24ten
Frau v. Schleinitz und Freund Dohm kommen hierher, uns zu begrüßen, sehr freundliches Zusammensein. Abends bei meinem Vater mit dem Großherzog zusammen; R. glänzendster Laune. Ankunft Loldi's!...
Mittwoch 25ten
Freudiges Sein mit dem Kinde, welches, ganz wie das Mädchen aus der Fremde,[10] verklärt in Freude und Schmerz uns erscheint. - R. hatte sie hierher von Altenburg bestellt, um mit der ganzen Familie meinem Vater den Besuch abzustatten.    Frau v. Sch. teilt allerlei gar Absonderliches von Berlin [mit]; Bismarck, welcher sie und ihren Gemahl förmlich haßt, in Zeitungen behaupten läßt, sie verabreiche dem Kaiser die Reichsglocke, Bayreuth sei nur der Deckmantel für ihre ultramontanen Intrigen u.s.w. Blödsinn und Heftigkeit. - Abends Abschied von unseren Freunden, sie kehren nach Berlin zurück, wo es gar bunt aussieht.
Donnerstag 26ten
Großer Tisch im Erbprinzen, mein Vater und Frau v. Meyendorff mit ihrem Sohne bei uns. Der Großherzog läßt sich bei uns anmelden, und er läßt sich bei unserem Tisch nieder, um R. viel Freundliches über die MSinger zu sagen. - Abends bei Frau v. M., mein Vater spielt wunderbar, sieht aber ermüdet aus.
Freitag 27ten
Mit R. und den Kindern nach Eisenach gefahren, sehr hübscher Abend in der Wirtschaft oben, nachdem wir die Wartburg besucht. Der Abendstern; dieser Ort wie meine Seelenheimat durch den Tannhäuser.
Sonnabend 28ten
R. und die Kinder nach Bayreuth, ich mit Loldchen nach Weimar*;(* »Weimar« mit Bleistift gestrichen und darüber »Altenburg« geschrieben, Änderung nicht in Cosimas Handschrift. Gemeint ist Burg Altenburg bei Weimar, nicht die Kreisstadt A. bei Leipzig (vgl. 30. Juli). Telegramm R.'s. Mittag und abends mit dem Vater.
Sonntag 29ten
Besuch des Schlosses, wo schöne Bilder und Zeichnungen; nachmittags Fahrt mit Loldi nach Belvedere, schöne alte Bäume, abends mit meinem Vater Parsif al gelesen. Schnappauf kommt und bringt einen lieben Brief von R. -
Montag 30ten
Einpacken und Abreisen, Abschied von meinem Vater! Unerwarteter Aufenthalt in Leipzig, um Mitternacht in Altenburg.
Dienstag 31ten
Gespräch mit Frau Herz, großer Schlag für mein Loldchen, sie soll noch 6 Wochen dort weilen! ...Wehmütiges Zusammensein mit ihr! Wir gehen spazieren, abends in das Schloß, wir horchen zusammen dem Pilgerchor und Abendstern! (Depesche R.'s).