Montag 1ten
R. arbeitet. Zum Mittag der Maler Hoffmann, dem ich einige freundliche Worte geschrieben und der nun weniger eigensinnig auf allem besteht. Keine Notizen von irgendeinem Punkt der Welt über unsere Angelegenheit und viel Ärger mit dem Hause. Abends wiederum der Maler Hoffmann, der uns dadurch interessiert, daß er das Ammergauer Passionsspiel in seiner lächerlichen Affektation schildert. - Wir scheiden sehr freundlich, und er zieht nach Coburg, um sich mit den dortigen Dekorationsmalern zu besprechen. Er hinterläßt uns den Eindruck eines sehr anständigen, Bildung suchenden Menschen.
Dienstag 2ten
Auf Weihnachtswanderungen, viel Kälte dabei, aber schöner Himmel. R. arbeitet, ich gehe nachmittags mit ihm spazieren. Wir müssen über die Franzosen wieder einmal sehr lachen, welche alle bei Besprechung der Fahnen im Prozeß Bazaine weinen (außer Bazaine!). Abends Luther wieder vorgenommen, in Coburg; stets große Freude und Erhebung an ihm.
Mittwoch 3ten
Immer auf Wanderung, dabei Tapeten ausgesucht und allerlei Briefe geschrieben. R. arbeitet; abends, da ich etwas unwohl bin, liest er mir vor, göttlich die Worte von Luther über die Pfeiler des Himmels, die man nicht sieht, und deshalb doch der Himmel steht, so der Glauben keines äußeren Pfeilers bedürfe. R. versteht seine Versuchungen dahin, daß er sich fragt, ob er nicht lieber Mönch und Märtyrer, als Ordner und Reformator zu sein hätte! Seine Ermahnungen an Melanchthon,[1] welcher sicher in Bezug auf sich und ängstlich in Bezug auf die Sache, und seine Wut gegen das Wort indifferent, sehr schön. Es ist schön auch, daß er nicht in Augsburg bei der Proklamation der Konfession zugegen war.
Donnerstag 4ten
R. arbeitet, er ist bei der Scene der Waltraute angelangt - und erschrak selbst über seine Harmonienfolgen. Er spricht von seiner Arbeit und sagt: Siegfried verläßt Brünnhilde, um auf Raub zu gehen, »nun müssen sie sich ernähren, er muß einige Könige tributpflichtig machen«. Von Waltraute spricht er: Wie sie nicht als einfache Botin, sondern als ganz von Leid verzehrt zu Brünnhilde spräche. Dem Himmel sei Dank ist R. heitren Mutes - ich frage mich, wie dies möglich sei, da nichts Erfreuliches von außen uns kommt. Heute früh eine anonyme Sendung »Was ist Schwindel« und noch ein anderer Titel einer Broschüre, über Tollheit, an mich; ich weiß nicht, woher die Leute nur eine solche Wut ankommen kann. Sascha Ritter schrieb, daß Hans in Würzburg bei ihnen sehr freundlich und heiter gewesen sei, viel nach R. und mir teilnehmend gefragt und wundervoll gespielt hätte. - Da heute Kränzchen, so lese ich mit Malwida im Buddhismus von Koppen. Immer deutlicher wird für mich der Unterschied zwischen der Buddha- und der Christus-Legende; mit Christus muß man leiden und wird erlöst, das ist die Religion der Armen; mit Buddha erkennen, das ist die Religion der Weisen, Gebildeten, die im Volk als Aberglauben, Reliquiendienst ausarten mußte.
Freitag 5ten
R. war unzufrieden mit seinem Kränzchen und trug Kopfschmerzen davon, er arbeitet aber dennoch. Immer aber hat er viel Ärger mit dem Hause. Abends, da ich wegen Christkindchen viel arbeite, übernimmt er die Lektüre, da er aber nicht »Luther's Leben« bei Puppenhüten lesen will, so nimmt er Freytag's Buch und liest uns die Gesandtschaft bei Attila, sehr interessant, nur Freytag's Stil dabei schrecklich, die Barbaren nach Deutschland gefallen, nirgend für nirgends, dabei Affektation und Taciteischer Stil.
Sonnabend 6ten
Brief von Rat Düfflipp an mich, das Kapitel vom Max.-Orden hat R. zum Mitglied erwählt, und der König will gern wissen, ob R. damit ein Gefallen geschehe. Gerade vor 9 Jahren erwählten sie R. schon, dieser, mit Absicht schlecht unterrichtet (v. Pfistermeister), nicht wissend, daß der Max-Ritter von einem Kapitel gewählt wurde, schlug ihn ab. Es gab damals viel böses Blut, denn die Ritter des Ordens, welche nicht annahmen, daß R. nichts wußte, glaubten sich absichtlich gekränkt. Jetzt ist es merkwürdig, daß sie kommen, und kann nicht gut abgeschlagen werden, trotzdem dies für R. sehr unangenehm, d. h. sehr nichtssagend ist. Ich erhalte dagegen anonyme Sendungen aus München, über Schwindel, Gemütskrankheiten usw. - seltsamste Dummheit der Wut! - Abends will R. uns wiederum aus Freytag vorlesen, allein es geht nicht. R. sagt: »Wie anders, wenn J. Grimm oder Uhland über diese Dinge spricht, wie fühlt man da die Wahrheit heraus. Hier ist [es], als ob alles schon ein andrer im Maul gehabt hätte.« Wir nehmen Goethe's »Faust«, zweiter Teil, die Walpurgisnacht, zu wahrhaftem Entzücken, alles göttlich und so zu uns sprechend, unsere ganze Weltansicht darstellend. R. hatte gerade bei Tisch, bei Gelegenheit der Sammlung der Fränkischen Volkslieder, das Thema berührt von dem, was uns zustünde, auf die Natur zu lauschen vom Standpunkt der unnaiv gewordenen Bildung. Homunculus, der zu entstehen verlangt, ist R. der deutsche Geist, welcher von der Gelehrtenstube zur Natur sich wenden muß. Mir ist in jeder Zeile ein Wahrheitsspruch, und dabei alles so lebendig, man erlebt alles, für Wissende wie Unwissende gleich herrlich, erstere ergötzend, zweitere erfüllend. - Nachher spielt R. wieder die geliebte Egmont-Musik, wir freuen uns des Liedes von Klärchen, »welch Glück ohne Gleich« - nur der Schluß, die Kadenz ist uns schrecklich und paßt so lächerlich zu den Worten.
Sonntag 7ten
Die Maler aus Nürnberg, zwei Taubstumme! Es geht ein wenig vorwärts, und wir erhalten heute den Schlüssel. Ich beständig bei den Puppensachen, ein wenig ermüdet davon. Abends im »Faust« weiter - leider behagt uns die Helena nicht; man fühlt zu sehr die Nachahmung des mißverstandenen Originals, man merkt das Suchen, es ist kalt, »und wenn wir von Ilion singen und dazu noch Mene/as sagen, so ist mir es genug«, sagt R. Einzig wo Mephisto Phorkyas auftritt, ist Leben, »alles übrige ist wie Bauchrednerei«, sagt R. - Die Kinder vergnügt und wohl, gingen mit R. spazieren, und alle übermütig, namentlich die drei Kleinen. Montag 8ten Ich hörte Lusch die Nacht im Traum klagen, es war mir, als ob ich Hans hörte. - Des Morgens ging ich mit R. mein Leben durch und ward so dankbar gegen Gott, wieviel besser war mein Schicksal als ich selbst, wie schön war Tribschen, wie freundlich der König in unsrem Betreff, wie gut Hans, meine Kinder beinahe immer wohl und im ganzen glaube ich gut; Fidi so hoffnungsvoll. Womit verdiente ich all dies? R. wirft mir vor, eine völlige Sucht zur Aufopferung, zur Unbequemlichkeit zu haben - in mir lebt der Gedanke, nie genügend getan zu haben, die Sorge, zu vernachlässigen; ich möchte wie Melusine nur noch warten und pflegen. R. freut sich immer meiner Büste. - Gestern dachte ich: Könnte das Bild statt meiner da sein und ich unsichtbar nur beschützen, behüten, dienen. Haus und Gebäude draußen liegen auf meinem Sinn wie ein schwerer Alp. Ich fürchte, das Haus verleitet uns über unsre Kräfte zu Ausgaben, und das Theater? ... Wir erfahren nichts von den Subskriptionen.
Dienstag, Mittwoch, Donnerstag, Freitag, Sonnabend 13ten Dezember
Die Tage in Weihnachtsarbeiten zugebracht; beständig Puppensachen genäht, keine Nachrichten von außen erhalten, R. bei der Partitur. Die Episode von Euphorion gelesen, immer in dem Gedanken einer Möglichkeit für die Bühne. Monolog von Faust an die Wolke herrlich, die Schönheit der Form, so lang gesuchte und ersehnte, förmlich in das Nichts versinkend, einzig lebendig nachwirkend die seelische Schönheit. - Helena konnte nach Gretchen kommen, nicht aber sie überdauern. - Durch dieses Gedenken erringt sich Faust seine Erlösung! Bazaine verurteilt*(* Beigelegt ist dieser Seite ein »Extra-Blatt der >Oberfränkischen Zeitung<. Donnerstag, den 11. Dezember 1873. Telegramm. Trianon, 10. Dezember. Marschall Bazaine ist vom Kriegsgericht einstimmig schuldig gesprochen der Übergabe von Metz und der Armee in offenem Felde, bevor er Alles gethan, was ihm seine Pflicht vorgeschrieben. Demgemäß lautete das Urtheil auf Degradation und Todesstrafe.«) - letzte elendeste Komödie dieses Krieges. Wie erbärmlich erscheint einem doch dieses Volk. Komödianten über Komödianten, und nicht einmal für das Opfer vermag man Teilnahme zu empfinden!
Ich habe wiederum eine Diebin zu entlassen und tue es diesmal ohne innere Aufregung. Die Frage der Dienenden aber drängt sich heran, was soll das werden, die Kirche ohne Einfluß mehr, durch eignes Vergehen. Gestern (Freitag) machte R. Malwida ernste Vorwürfe darüber, daß sie ihren Zögling nicht getauft habe, das ginge nicht, es dürfe nicht ein jeder auf eigene Hand sich seine Religion bilden, namentlich die Kindheit müsse einen Zusammenhang fühlen; auch wählen dürfe man nicht, sondern es müsse einem gesagt werden können, du bist primsegnet, du gehörst Christus an durch die Taufe, vereinige dich noch einmal mit ihm durch das Abendmahl. Die Taufe und das Abendmahl seien unersetzlich; keine Erkenntnis kann dem Eindruck des letzteren nahe kommen. Eine furchtbare Seichtigkeit käme über die Menschen, welche die Religiosität übersprängen, in nichts empfänden sie dann religiös. - Fidi sehr schön jetzt mit »Strubelhaar«, R. in Sorge um ihn, weil er so empfindsam scheint, meint, er müsse bald mit Knaben Umgang haben. - Die zwei Großen, einige Mal auf das Eis geführt, beginnen sich geschickter darauf zu benehmen. Camelien im Treibhaus. Die Kleinen spielen hübsch Theater, Loldi erfindet und singt einen Grabgesang über eine gestorbene Schwester, sehr pathetisch, dann gleich darauf macht sie den Hanswurst der Scene. - Neulich am Morgen besprachen wir wiederum mit R. den Zinsgroschen von Tizian, das Bild, das am tiefsten mir im Herzen lebt, ich sehe den Blick, die Bewegung der Hand, das erstorbene, mild schmerzlich verächtliche, es wirkt wie Musik, und wie unsäglich die Technik der Malerei dabei. - (Bon Weichs gestorben. Erzbischof Rüdiger verweigert die Beerdigung. - Dr. Landgraf erzählt mir, in der badischen Kammer habe einer gesagt, ein Teil der Fäden der Anerkennung des altkatholischen Bischof Reinkens würde in Bayreuth gesponnen). Brief von E. Heckel, es scheint sehr lau zu gehen mit der Subskription! Der Gute hat nun an die Theaterintendanzen geschrieben - was R. sehr unangenehm gewesen ist. R. ist seiner Partitur sehr müde, er hofft den ersten Akt bis Neujahr vollendet zu haben. Zu viel hat er sich aufgetürmt. Haus, Theater, Partitur u.s.w. — Neulich, als wir einen Hasen bei Tisch hatten, frug ihn Lusch, ob er denn jemals gejagt hätte, er erzählte, ja, einmal auf den Gütern des Grafen Pachta[2] in Böhmen, in der Jugend. Von ungefähr habe er geschossen, ohne zu zielen, es wurde ihm gesagt, er habe das Hinterbein eines laufenden Hasen getroffen. Am Schluß der Jagd habe ein Hund das arme Tier aufgefunden und dieses herbeigezerrt, das Angstgeschrei habe ihm Mark und Bein durchdrungen; »das ist Ihr Hase«, habe man ihm gesagt, da habe er sich geschworen, nie wieder ein solches Vergnügen mitzumachen. Daß der Mensch von der nützlichen gefahrvollen Bären-und Löwenjagd zu der Jagd auf Hasen, Rehe, Hirsche gekommen, sei eine empörende Degeneration dieses Vergnügens. — Abends wiederum in Luther gelesen - seine Predigt bei dem Begräbnis des Kurfürsten, mächtig ergreifend; merkwürdigstes Wesen, Naivität, Einfalt, Anmut, subtile Schärfe, große Besonnenheit, nichts zerstören wollen, was nicht positiv von Übel ist: »Goethe ist da herausgewachsen«, sagt R., »der warf seine Besonnenheit auf das Aufsuchen des Schönen.« »Keine großen Menschen gibt es ohne Religiosität.« »Christus ist unser Vermittler, er führt uns aus diesem Leben.« Gedenken der Taufe Fidi's mit Rührung, R. sagt, er könne diesen Akt nicht vergessen, wie schön der gewesen wäre, wie versöhnend; wie ernst die Gesichter der Menschen, die dabei zugegen, nur in einem gemeinsamen Glauben kann man sich so sammeln. Religion ist Band, man kann keine Religion für sich haben.
Sonntag 14ten
R. sprach viel über das schlimme Verhältnis der Dienstboten zu den Herrn, [es] würde immer übler werden, dabei verachte man die Griechen und Römer, wie sie diese Frage gelöst hätten. - R. lacht, wie er für sich ist, er gedachte eines Singspieles von Angely,[3] das er als Kind gesehen, die Mädchen in Uniform, wo sieben Mädchen als Männer gekleidet ihre Geliebten retteten. Seine Schwester Rosalie habe eines von diesen Mädchen machen müssen, und Weber sei ersucht worden (durch den sächsischen Hof), es zu dirigieren; er entsinne sich noch, Weber dies habe dirigieren sehen, ein Stück aus »Preciosa« kam darin vor. -R. verwünscht die Wasser- und Feuergeschichten, die er jetzt wiederum einmal zu instrumentieren habe. Ich habe immer mit den Puppensachen zu tun und komme nicht aus. Der gute Bürgermeister besucht uns, nicht verzweifelt, obgleich unsre Angelegenheit so stockt. In »Luther's Leben« lese ich wiederum einmal vor.
Montag 15ten
R. ist nicht wohl, geht des Vormittags aus, um Kopfschmerzen zu verscheuchen, es gelingt ihm aber nicht gut. Ich erhalte einen Brief von E. Ollivier, welcher seinen Sohn als Soldaten erziehen will,
um dereinst u.s.w., ihn habe es gestürzt zweimal von seinem Glücke, nicht Soldat zu sein! So wird der einzige Sohn meiner Schwester mir ganz entfremdet als Preußenhasser erzogen. Das Haus geht dank dem Nürnberger Maler gut vorwärts. Schweres Glatteis heute, schlimmes Weihnachtswetter. Abends liest R. - da er das Wort >der Narben lacht, wer Wunden nie gesehen<, angeführt hatte, den ersten Akt von »Romeo«; wie stets zu unbeschreiblicher Ergriffenheit, R. sagt: Völlig zur Beschämung findet man hier alles, alles vorgebildet; ich frage R., ob er glaube, daß Menschen, die nicht geliebt hätten, d. h. den Zwang der Liebe nicht empfunden, dieses Gedicht verstehen könnten; er sagt, nein, man müsse erfahren, daß der Tod mit der Trennung uns würde, um dies innig zu erfassen. Das seltsame Gespräch mit dem Apotheker verwundert R. etwas, er sagt, es verletzte nach der Nachricht von Julien's Tod, ich meine, daß darin eine Art Wahnwitz des Selbstmords läge, das Pathos hört für den Verzweifelten auf. - Heute bin ich selbst leidend, und der Gedanke meines Todes tritt mir nah; wie ich sterben möchte? Indem ich von ganzer Seele um Verzeihung bäte, die ich gekränkt, indem ich höchstes Liebeswort dem sagte, den ich liebe, indem ich mit Anspannung aller Kräfte allen verzieh, die mir Übles gewünscht und getan, indem ich segnend meinen Kindern die Lehre gäbe, die in diesem Augenblick wohl in ihr Herz sich grübe! Doch ist jetzt die erste Aufgabe, das Leben heilig halten, das so viel, so unendliches, unsägliches Glück mir brachte. Es ist, als ob R.'s Liebe zu mir, die meinige zu ihm stets wüchse, aus ihr erwächst der heitere Sinn, ja die lustige übermütige Laune, welche es ihm ermöglichen, die Widerwärtigkeiten alle zu tragen.
Dienstag 16ten
Brief des Herrn Hoffmann, er verlangt 1500 Th. für die vergangene Arbeit und für später 300 Th. monatlich. Herr Feustel will sehen, ob Herr Erlanger[4] wenigstens die 1500 Th. bezahlt, nachdem er 3000 unterzeichnet. R. arbeitet, ich habe immer viel Laufereien, Weihnachtsfreuden und Ärgerlichkeiten. Abends nehmen wir einen Gesang des Ariost (den ersten) vor, an welchem ich jedoch keine Freude finden kann, bei aller Bewunderung des leichten bunten Spiels. - Sehr hübscher Brief von Alwina Frommann. R. arbeitet emsig an seiner Partitur.
Mittwoch 17ten
Großer Haufen von alter Opernmusik von Freund Schure kommt an, und wir verbringen den Abend mit »Lestocq«[5] von Auber (hübsch witzig) und Scenen aus der »Semiramis« von Catel, welche letztere uns wirklich durch ihren Adel und ihre Feinfühligkeit sehr erstaunt. Was ist nur aus diesem fr. Volke geworden, das so viel produziert hat und jetzt so erschreckend steril geworden ist? R. dankt Schure, indem er ihm schreibt, ich möchte, alle Deutschen hätten für Frankreich optiert, sie wären dann alle liebenswürdig. Viele unsinnige Briefe an R., ein Elsässer Student bittet ihn, einen Operntext zu prüfen und komponieren, Grandmougin schreibt aus Paris: moi Grandmougin à Richard Wagner, von Mensch zu Mensch, ohne Unterschied der Nationalität usw., dazu kommt aber ein sehr schöner anonymer Brief eines Architekten aus Wien, welcher einige akustische Bedenken über das Bayreuther [Theater hat] und Ratschläge mitteilt, dabei aber so enthusiastisch und warm schreibt, daß ich völlig ergriffen bin. (Ein Brüssler bittet den Riesendenker, »Macbeth« und »Lear« zu komponieren!)*(*( ) An den Rand geschrieben.
Donnerstag 18ten
Immer tiefer, immer höher wächst unsere Liebe, wir fragen uns, wie wir nur jemals ohne einander sein konnten. Seliges Gedenken an Tribschen, die Morgen, die Abende dort, der Räuberpark, das Aus der Welt Sein, geborgen sein. Jetzt freilich ist man unverhüllt und sehr ausgesetzt. Die Geburt Fidi's, meine Ankunft mit den Kindern, der Mondschein auf dem See. - - Keine werden mit so innigen Gefühlen die Halbinsel wohl genießen. - R. arbeitet. Abends kommt ein Brief des Regierungspräsidenten, welcher R. meldet, daß er ihm den Orden zu überreichen hat. Ziemlich taktlos, wie mich dünkt, ladet er R. ein, ihn am nächsten Vormittag zu besuchen. R. ist dies höchst unangenehm, er sagt, er weiß gar nicht, wie er dazu kommt, von irgend jemandem bestellt zu werden. Ich bitte ihn, keine Ärgerlichkeit hier entstehen und das Unnütze über sich ergehen [zu] lassen. Der Abend wird durch dieses Intermezzo etwas verstimmt.
Freitag 19ten
Besuch unsres Freundes Gersdorff, von Italien über Basel heimkommend; ich freue mich der Gegenwart des vortrefflichen Menschen, der jeder Eitelkeit bar, lauter, wahrhaftig und ernst ist, stets, auch R. ist er sehr wert. Er verbringt den ganzen Tag bei uns; abends liest R. einzelnes aus »Heinrich IV.«, da diese ewigen Dinge auf einen stets wirken wie das Frühjahr, die Blumen, der blaue sonnige Himmel, als habe man sie noch nicht genossen. R. bemerkt die seltene Würde und Hoheit der Könige bei Shakespeare, dann wie er plötzlich Details wie die Scene zwischen Hotspur und seiner Frau mit Liebe ausführt, als sei das die Hauptsache. Bei dem Prinzen sei die Absicht, ihn groß darzustellen, doch da Sh. immer wahrhaftig ist, wirkt der Prinz unsympathisch. Am Schluß des Abends spielt R. noch aus »Wilhelm Tell«[6] (erster Akt); wir freuen uns des breiten Atems, der dort weht, gegen welchen der witzige feine Auber sehr armselig erscheint, nur ist die Langeweile der übrigen Akte entsetzlich. - Ein Band Gedichte von Frau Wesendonck bringt R. und mich beim Frühstück auf die Frage der Frauen-Emanzipation, es ist schwer, da ein gerechtes Urteil zu fällen; da die Lage der Frauen eine derartige ist, daß sie sehr oft darauf angewiesen sind, ihre Familie zu ernähren und wie die Männer zu arbeiten, so ist es ihnen nicht zu verdenken, wenn sie auch Männerrechte fordern. Eines begreife ich nicht, daß eine Frau freiwillig, zu ihrem Vergnügen, in die Öffentlichkeit tritt. Es ist mir, als ob die Erfahrungen des Lebens sie immer stiller machen müßten und sie immer mehr auf ihre Hauptaufgabe zurückführen: tüchtige Männer und gute Frauen zu erziehen.
Sonnabend 20ten
Dieser Tag gehört auch wiederum unserem Freund. R. arbeitet, er will den ersten Akt bis Weihnachten fertig instrumentiert haben. Gott sei Dank trotz manchem Unwohlsein, mancher großen Widerwärtigkeit, Sorge, anstrengendster Arbeit, bleibt er heitrer Laune und ist unsäglich lieb und gütig. »Mit deinem Bild (der Büste)«, sagt er, »treibe ich Götzendienst, während ich instrumentiere, wenn du wüßtest, was ich dir alles sage.« - Gestern holte er den Orden, heute wird ihm gratuliert; der Präsident, sehr höflich, doch ein sehr trockener Beamter, hat die Ceremonie ihm nicht anmutig gemacht. - Abends liest er uns den »Arzt seiner Ehre«[7] vor; wenn ich auch unsere deutschen Dichter, geschweige Shakespeare, weit höher stelle, näher inniger wohltätiger empfinde, so muß [ich] hier den spielenden Künstler, ich möchte beinahe [sagen:] den Virtuosen auf dem Elend des Daseins bewundern. Die Leidenschaftlichkeit des Don Enrico, die Schlachttier-ähnliche Angst der Donna Menzia, der subtile Ernst des Guttiere, die populäre humoristische Gerechtigkeit des Don Pedro, dabei die kunstvolle belebte Scene, die Todesahnung des Königs, worauf Enrico's Entfernung, und die Lieder auf ihn, welche nachts der Bruder auf der Straße hören muß, alles wirkt im höchsten Grade, man fühlt sich in tropischer Sphäre, aber fremd, fremd, man wird gefesselt, mächtig fasziniert, gerührt aber nicht - o Desdemona, Julia, Gretchen, Klärchen, Thekla, welch andere Gestalten! Bei den Deutschen ist die Natur in Konflikt mit sich und dem Leben, bei dem Spanier der Mensch mit seinen Konventionen, den Schranken, die er sich selbst aufgetürmt. Der Künstler aber bei Calderon stets bewundernswürdig.
Sonntag 21ten
Gratulationsbesuche! Dazu einige Briefe, Freund Lenbach schreibt von den Skizzen Hoffmann's sehr befriedigt. Ein Brüss-ler Unbekannter meldet den großen Erfolg des Tannhäuser's in Brüssel. Für alles dieses ist R. ganz und gar erstorben, er liest selbst den Brief nicht. Abschied von unserem guten Freund Gersdorff, der nun seinen Lebenslauf als Landwirt, wohl ein wenig auf unser Anraten, beginnt. R. stellt ihm vor, welche schöne Tätigkeit ihm nun bevorstünde und wie es ihm gegeben sein könnte, Freunden nützen zu können, indem er ihnen ein Asyl anböte, ihnen sagen, sorgt um nichts und handelt frei, ohne Rücksicht auf Broterwerb. Abends lesen wir einen Aufsatz von Herrn Hillebrand gegen Gervinus[8]; die Absicht sehr löblich, allein die Ausführung trocken und breit: »Niemals«, sagt R., »sieht man, hat ein solcher Mensch über die Probleme des Daseins nachgesonnen, über das ewige Werden, hat niemals den tiefen Blick, der einen so ruhig und so heiter macht, in das Wesen aller Dinge; er empfindet nichts von den Gefühlen, die einen wiederum das Vergängliche, Widerwärtige so leicht ertragen lassen, ja als nichts erscheinen lassen.« - Als wir von der Art [sprechen], wie J. Grimm die Sprache betrachtet hat, indem er selbst Zitate aus der Voss. Zeitung anführt, frage ich ihn: Ob man nicht sagen dürfe, daß er die Sprache, wie ein dramatischer Dichter seine Gestalten sieht, gesehen, lebendig vor sich, und hat sie auch so dahingestellt, ohne Kritik zu führen, daß ihr dies oder jenes nicht wohl anstehe.
Montag 22ten
Nasses Wetter, muß aber doch noch einiges besorgen. R. arbeitet emsig ohne Bedenken des Schweren, das ihm obliegt! Gestern abend brachte ich die Kleinen zu Bett, betete mit ihnen, o wie innig, wie inbrünstig - eine Formulierung, ein sich Entgegenführen, die unbedingte Akzeptation des Schweren! Heute bei Tische sprach R. von Geschichte, und daß sie sich zusammenfassen ließe in den Anstrengungen
und Leiden einzelner großer Menschen, »was ist die Geschichte der Reformation anderes gewesen als die Leiden Luther's? Was ist aus der Reformation nach ihm geworden?« - Abends Vergolden der Tannäpfel und
Fäden-Durchziehung. - Gegen ein Uhr zu Bett gegangen, an Schlaf verhindert durch Unwohlsein Daniella's, welche sich erkältet hat.
Dienstag 23ten
Bis gegen Mittag geschlafen und dennoch sehr ermüdet. R. arbeitet; wir gehen nachmittags aus, nach Ärgersheim, wie wir das Haus nennen, da beständig irgend etwas Verfehltes oder Vergessenes sich uns darin entdeckt. Im Regen gegen fünf Uhr heim, wo Lusch - welche die Stube hüten muß - einem armen Kinde beschert. Abends behänge ich den großen Tannenbaum, R. gütig liebevoll wie immer, kommt zu mir dazu und liest Malwida und mir ein walachisches Märchen vom Bagalla vor, das uns ein großes Vergnügen gewährt. Mich beglückt vor allem R.'s gute Laune; den Tag über erhält er uns fast in schallendem Gelächter durch seine unglaublichen Einfälle, und ich danke der gütigen Natur, die ihn mit diesem göttlichen Humor beschenkt hat.
Mittwoch 24ten
Viel Schaffen von früh bis fünf Uhr Nachmittag; einzige Unterbrechung der Mittagstisch, wo das Gespräch auf die »Wahlverwandtschaften« kam. Malwida sprach ihre Abneigung gegen Eduard, den sie charakterlos findet, aus, worauf R. sehr lebhaft ihr erwidert. »Wodurch werden Menschen bedeutend! Dadurch daß sie durch irgend etwas eingenommen werden, daß alles übrige für sie verschwindet - der große Mann durch einen Gedanken, der minderbegabte*(*Ursprünglich »unbedeutende«) durch die Liebe; Eduard hat alles versucht, er zieht in den Krieg, um zu sterben, findet den Tod nicht, erkennt darin das Zeichen, daß er Ottilien doch gewinnen könne, versucht es, das Kind stirbt, nun will er nur eines noch, daß beide, sterbend schweigend, sich wenigstens sehen; Asketen der Liebe kann man diese beiden nennen. Und Goethe hat uns mit Breite die Welt gezeichnet, in welcher sie sich befinden, Luciane, der Graf und die Baronesse etc., um uns zu zeigen, wie sich diese Liebenden unterscheiden. Und wie ruhig spricht er dies aus, wie anekdotisch kommen die Liebesereignisse vor, so daß oberflächliche Menschen vielleicht kaum die Tragik dieses Buches erkennen.« Ich muß bei seiner Besprechung des Buches in Tränen zerfließen, unser Schicksal schwebt an uns vorüber, uns umarmend preisen wir die Gottheit, die uns zusammenführt. »Dort starb ein Kind, hier wurde eines geboren«, sagen wir dann heiter. Um 5 1/2 Uhr Bescherung; auch mir beschert R. gar Schönes, von Chaillou Hausprächtigkeiten, und freut sich, daß sie mir stehen und gefallen. Der Baum, hoch und breit, leuchtet lange, alles ist heiter und froh; nachdem er erloschen ist, lesen wir im »Hyperion«; Malwida hat R. Hölderlin's Werke[9] geschenkt. R. und ich erkennen mit einiger Besorgnis den großen Einfluß, den dieser Schriftsteller auf Pr. Nietzsche ausgeübt; rhetorischer Schwulst, unrichtige angehäufte Bilder (der Nordwind welcher die Blüten versengt u.s.w.), dabei ein schöner edler Sinn; nur, sagt R., könne er nicht gut an solche Neugriechen glauben, er erwarte immer, er würde plötzlich sagen: Ich studierte in Halberstadt u.s.w. Indem wir von diesem Tage scheiden, überkommt mich das Bewußtsein meines Glückes mit unüberwindlicher Macht, R. und ich, wir müssen das Schicksal preisen, das uns zusammengeführt; ich kann das Wunder nicht begreifen, von ihm geliebt zu sein. Wie ein öder leerer und doch wirrer Traum dünkt mich mein früheres Dasein, nun fand ich alles, und selbst das Leiden ist mir ein Zeichen meines Glückes!
Donnerstag 25ten*
(*Am Rand der Seite: »Richard schenkt mir den ersten Akt der Götterdämmerung, instrumentiert!!!«
Am frühen Morgen höre ich die Kinder in der Nebenstube, sie singen das Kose- und Rosenlied[10] - so rührend, so ergreifend, darauf kommen sie an mein Bett, und Siegfried sagt mir das Gedicht! Tiefste Empfindung des Glückes, alles Äußere schweigt, alles Innere spricht, tausend Stimmen jauchzen in der Seele, das Liebeslied jubelnd, wie im Lenz tausend Vögel, das eine Lied. — Die Sonne scheint, ich bitte R., mich zum Theater zu führen, er tut es; die Bretter versperren den Eingang zur Bühne, kein Wächter ist da, ich klettere - trotz Samt und Atlas-Pracht -, und unter großem Lachen gelingt es mir, in die Bühnen-Halle zu treten; grandioser Eindruck, wie ein assyrischer Bau erhebt sich das Ganze unbeschränkt, wie Sphinxe reihen sich unten die Pfeiler aneinander, wie geheimnisvolle Gänge breiten sich die Seitenflügel aus; mehr wie Vergangenheit als wie Zukunft scheint das Ganze, doch wirkt es großartig erheiternd heute auf mich. Von der Bühne gehen wir dann zu dem Zuschauerraum, erhaben wirkt der Eintritt, was keine Erziehung dem Zuschauer gewährt; [wie] die Vorbereitung zum Mysterium wird in einem Augenblick der Eintritt in diesen Raum wirken. - Mittagessen mit den Kindern, Lusch unwohl, R. stimmt beim Champagner das Lied an: »Sagt mir Kinder!« - Vor Tisch, nach dem Besuch des Theaters, waren wir noch zum neuen Hause gegangen und waren beide, R. und ich, im Treibhause gewandelt; Freude an den schönen Pflanzen, träumerische Heiterkeit; alles für die Kinder genießend, für uns beide genügte die Gruft, würde kein Besitz sich schicken; sich zu finden, alles sich zu sein und zusammen zu bleiben im Leben oder im Tode, das war es - da kam Mein Herre Siegfried!... »Den hätten am Ende Eduard und Ottilie auch zu Stande gebracht«, scherzt R. Abends bitte ich ihn, das Idyll mir zu spielen, wir gedenken des Morgens in Tribschen, dann der Tristan-Zeit in München, aller Wonne und alles Wehes, wir trennen uns, ich mit Gewalt die überströmende Rührung zurückdrängend, das Idyll und das Koselied unter mein Kopfkissen legend, sanftem Entschlummern mich hingebend. Ein glücklicher Tag. - Nicht wie Goethe geht es mir, daß nur vier Wochen des Glückes ich kenne, mein Leben, mein Los ist ein Glück, das Dasein mit
seinen Qualen überleuchtend - Stern der Tiefe!
Freitag 26ten*
(*Fälschlich »27ten« datiert, mit Bleistift von fremder Hand überschrieben.)
Die Realität fordert ihre Rechte! Wir gedenken, daß 9000 Gulden auf dem Theaterbau lasten und daß er Feustel versprochen, ein Konzert in Wien dafür zu geben, dann kümmre er sich um das Ganze nicht mehr. Ein Plan kommt ihm durch den Sinn, sich an den Kaiser zu wenden, damit dieser das Festspiel von 1875 als deutsche Feier des Friedens mit Frankreich anordne und 100000 Th. dafür bestimme, wir bedenken, wer diese Petition zu unterzeichnen hätte. Es kommt ein Brief des Malers Hoffmann, welchen Herr Feustel auf die 1500 Th. des Herrn Erlanger angewiesen hatte (die Skizzen zu bezahlen), dieser wie sein ganzer Stamm sucht und findet Ausflüchte, tiefe Beschämung und Ärger; immer Judäa sich selbst gleich. - R. schreibt heute seinen offiziellen Danksagungs-Brief an den König für den Orden. Wir vernehmen nur Schweigen von dieser Seite. - Wie grenzenlos gut R. beständig ist, ersah ich an der Antwort, die er mir gab, wie ich ihm mitteilte, daß ein Wesen wie Fürstin Hohenlohe,[11] welche die ganze Entstehung des Nibelungengedankens erlebt und daran Teil genommen, gänzlich verstummt, nun sie etwas und viel tun könnte; R. sagt: Sie sei eben fertig, habe, indem sie diese Ehe einging, ihren Entschluß gefaßt und sei nun wie abgestorben. -BeiTisch teilt uns R. seine Ansicht mit, daß die heroischen Stämme der Deutschen, Franken, Normannen, Goten, im Erobern untergegangen wären, neue Kulturen freilich hervorgebracht hätten, doch eigentlich doch nur wie der Dünger, welcher alte Erdteile verjüngt und befruchtet hätte. Die seßhaften Sachsen, Alemannen, hätten die deutsche Kultur mit Beimischung von Philisterei hervorgebracht. - Ich lese nach Tisch in den »Lettres ä une Inconnue« von Prosper Merimee, die mir Malwida geschenkt. Viel Geist, viele Kenntnisse, viel Anmut und selbst etwas Humor, und alles so fremd, daß man nicht weiß, ob man [zu] tadeln oder anzuerkennen hat. - Daniella erhielt einen Brief ihres Vaters aus Meiningen; er schickt eine Weihnachtsgabe und schreibt befriedigt von seinem Aufenthalt in England. Abends nehmen wir wiederum unseren Luther vor, seine Bemerkungen über das Dolmetschen und die Behandlung der deutschen Sprache höchst wichtig. - Neulich (Montag), wie ich vergoldete, kam eine Opernpartitur von O. Bach an, »Lenore«, R. spielte sie durch, und wir mußten sehr lachen über Plagiate und Trivialitäten, die eigentümliche Bezeichnung: energico, feroce, ma non troppo gab R. den Witz ein: Tempo giusto ma non troppo. Am Mittwoch erheiterte unser Frühstück ein Eckermann'scher Bericht, R. hatte die Gespräche aufgeschlagen und traf auf dies: Besen werden immer abgestumpft, Jungens immer geboren, was uns sehr lachen machte.
Bei Tisch, wie ich behauptete, daß R. jetzt jünger und besser aussehe als vor Jahren, sagt er, »o ich habe so blühend ausgesehen, daß ich einem Maler zu einem Fruchtstück gesessen habe«, was ein nicht aufhörendes Gelächter bei uns hervorbringt. -
Sonnabend 27ten
Am Morgen kommt R. zu mir und sagt: »Ja, was auf einer Welt werden soll, wo die Frauen auf der Straße herum laufen und noch dazu so gekleidet wie die unserigen — welche Kultur da hervorkommen kann, ich habe davon keine Ahnung.« Er kommt auf den Wunsch, daß ein erneuerter Krieg mit Frankreich auch die Industrie dieses heillosen Landes völlig vernichte, damit dieser Einfluß gebrochen würde; »wenn wir nur [auf] eine große kräftige Dynastie hoffen könnten - aber ich fürchte, unsere Dynastien gehen dem Untergange zu!« Der König schickt kolorierte Photographien; förmlich gespenstische Beziehungen. Gestern schrieb ihm R. ganz offiziell und erstarb, er sagt, wenn er diese Sprache spricht, kann er nicht »dick genug auftragen«, in der Konvention wäre keine Vernunft. - Vormittags spielt er die Scene zwischen Alberich und Hagen und freut sich des Eindruckes, den sie machen würde, wenn Hill und Scaria sie singen würden, »das wird wirken, wie wenn zwei seltsame Tiere miteinander sprechen, man versteht nichts, und alles ist interessant« . - Nachmittags Ankunft des guten Richter's, den wir uns herzlich freuen wiederzusehen. Er ist im vollsten Sinne des Wortes, was Goethe eine Natur nennt, unmittelbar, wahrhaftig, naiv und fest - ganz unerschütterlich treu gegen das als acht Erkannte.
Sonntag 28ten
In die Kirche gegangen, wenig Erbauung davon leider, worauf der Besuch des Konsistorialrat Kraußold, der mich auch nicht sonderlich von dem Werte der pr. Geistlichkeit für das Volk überführt. - R. erhält einen Brief von Hermann Brockhaus, ihm gratulierend zum Orden. Um Mittag bringt Richter den neu entdeckten Tenoristen, Dr. (juris) Glatz,[12] großer stattlicher junger Mann, mit einer kräftigen Stimme, dazu unabhängig und entschlossen, das gewöhnliche Theater nicht zu betreten - vielleicht unser Siegfried? - Mittagessen mit den zwei Ungarn, darauf Besuch des Hauses; ich verbleibe im Treibhaus und sinne. O könnte meine Liebe ihn emportragen über alle Erbärmlichkeiten und Qualen dieser Erden!... Abends unsere Musikanten alle; das Idyll wird gespielt; Richter zeichnet sich aus durch seine rapide Auffassung der Götterdämmerung. Gespräch darüber, daß R. einzig unter den Instrumenten die Technik der Harfe nicht kennt; ich bitte ihn aber, ja nichts an seinen Harfenpartien ändern zu lassen, da das virtuose Eintreten der Harfe mir sehr widerwärtig ist. Nur im Rheingold bei dem Regenbogen will er es abändern lassen; »die Harfe wirkt wie die Weihrauch-Wolke«.
Montag 29ten
Zum Frühstück durchwandern wir wiederum alle Gebiete, von Jean Bart[13] und Duguesclin, R.'s Lieblingen, bis zu den Venezianern, die R. ungemein auch liebt, schließlich zu unserem Theater; Jammer über die Gleichgültigkeit der Deutschen; »sie kennen mich nicht«, sagt R. Doch, sage ich, sollten sie von ihrer Freude an den schlimmen Darstellungen des Lohengrin, [der] Meistersinger genug haben, um sich zu erkundigen, was denn das Bayreuther Unternehmen ist. R. dankt Hermann und spricht von der »boshaften Mattherzigkeit« der Leute; allerdings habe er am Schlüsse seines Lebens alles gefunden, was ihn befriedigen und erfreuen könne, wenn er nicht die Torheit dieser Unternehmung begangen hätte. Abends unsere Musikanten, R. nimmt mit R.*(*Richter) den zweiten Akt von Tristan [durch], unsäglich ergreifend. Mir geht dabei die merkwürdige Beruhigung durch die Kunst auf, es ist, als ob das ganze Leiden sich in den Tönen erhöhe und darin verginge wie der Rauch in der Flamme; o könnte die Seele sich also vertonen! Dr. Glatz gefällt gut, am besten aber R. durch seine Urwüchsigkeit und sein praktisches Genie.
Dienstag 30ten
R. schreibt Briefe, räumt auf am Jahresschluß. Große Kälte eingetreten; Spaziergang mit den Kindern. Abends Gespräch mit R. über Religion; Nirwana nur negativ in Bezug auf unsere Welt, gewiß aber ein Positives, dem wir sein werden, wie wir es jetzt sind. - Geschäftliches, heute an Mutter und E. Ollivier geschrieben. In der Frühe Abschied von Richter genommen.
Mittwoch 31ten
Viele Zollnöte; Beschäftigung mit Muster-Stoffen aus Wien; alles gemeinschaftlich mit R. Großen Ärger im Haus, wo beständig Verwüstungen durch die Arbeiter angerichtet werden, Trost im Gewächshaus. Loldi zum ersten Male auf dem Eise. Anzünden des Baumes, nachdem ich in der Kirche gewesen. Immer mächtigere Andacht in mir; kein Glauben, kein Aberglauben stört, nur der Mißbrauch, der damit getrieben wird. Die ganze gewiß so leidende Gemeinde dankt, empfindet im Leiden das Mittel der Erlösung. Abends tanzen die Kinder um den Baum, R. spielt dazu Walzer aus den Meistersingern und von Strauß[14] und Lanner. - Sehr ärgerliche Empfindung durch die in der Zeitung stehende Notiz, daß J. Brahms zu gleicher Zeit mit R. den Maximilians-Orden erhalten ; R. erkennt, daß das Kapitel ihn nur ernannt, um diesem »dummen Jungen« ihn zukommen zu lassen. Er will ihn zurückschicken, beruhigt sich aber schließlich.