Dezember

Donnerstag 3ten
Seit diesem Tag habe ich nicht wieder in mein Tagebuch schreiben können, war zu erschüttert. Abends, nachdem ich die Zeilen niedergeschrieben, kam R., umarmte mich und meinte, wir liebten uns zu heftig, dies verursache unsere Leiden. Wir hatten eine Gesellschaft durchzumachen bei Herrn Groß, wozu ich mit ganz verweintem Gesicht zu gehen hatte. Sonntag den 22ten genossen wir die Vollendung des Werkes. Nun aber hat R. viele Geschäftsbriefe abzuwickeln. Montag 23ten besorge ich die Weihnachtseinkäufe am Vor- und Nachmittage. Abends die Schlacht bei St. Privat gelesen. Dienstag 24ten, R. schreibt Briefe an Voltz und Batz u.s.w., ich erhalte einen vom Vater, welcher sich herzlich bereit erklärt, bei dem Konzert in Pest mitzuwirken. Mittwoch 25ten Vorbereitungen zu einer größeren Gesellschaft, welche wir unseren Bayreuther Bekannten halb und halb schuldig sind. - Abends musizieren wir mit dem guten Josef Rubinstein, die letzten Bagatellen[1] von Beethoven. Erlebnis mit Fidi, welches seinen Vater sehr ergreift, er war ungezogen gegen denselben und wurde deshalb ohne Abendbrot hinaufgeschickt, er wollte durch seine Wärterin um Verzeihung und zugleich um einige Speise bitten lassen, diese wendete sich törichterweise an den Diener, welcher meldete, er habe keinen Befehl; ohne ein Wort zu sprechen, ohne einen Laut von sich zu geben schläft der Kleine ein, was seinem Vater eine ganz unruhige, bekümmerte Nacht verursachte. Am andern Morgen hatte der Junge alles vergessen anscheinend, doch in seinem Benehmen gegen seinen Vater merkte man Reue und Vorsatz. Mittwoch und Donnerstag 25., 26. gehen in Vorbereitungen für eine größere Gesellschaft vorüber, welche Freitag den 27ten bei uns stattfindet, einige 50 Bayreuther aller Stände erfreuen sich Wahnfrieds. Frau Grün, von Coburg herübergekommen, singt vor, und alles scheint vergnügt. Sonnabend 28ten, wir gedenken unserer ersten Vereinigung vor 11 Jahren! Sonntag 29ten Musik-Abend, Rubinstein rühmt das Harfenquartett, welches er in Wien von Hellmesberger gehört hat, wir nehmen es vor und können, außer im Scherzo, unseren Beethoven nicht erkennen, R. macht mich darauf aufmerksam, wie die Juden das Volkstümliche nicht empfinden, es also auch in Beethoven nicht erkennen und lieben. Montag 30ten Vorbereitungen zur Fahrt nach Coburg, welche wir in Folge einer Depesche von Herrn Brandt beschließen. Abends bei Bon Reitzenstein, Bekanntschaft des Landratspräsidenten Bon Rotenhan dort gemacht, eines edlen Repräsentanten des deutschen Adels. Für mich immer ein seltsamer Anblick: R. in Gesellschaft. Dienstag um 10 Uhr Abfahrt nach Coburg, wobei wir den einzigen Regentag der Jahreszeit erwischen. Den Prospekt des Bergjoches bei Brückners gesehen, riesige Dimensionen, R. sagt, meine Narrheit kam mir da wieder recht zu Bewußtsein. Abends im Theater mit den fünf Kindern, »Der Registrator auf Reisen«, recht belustigend, bis auf die Couplets, von welchen die Gemeinheit uns zwingt, das Stück in der Mitte zu verlassen. Mittwoch 2ten bei sehr schlimmem Wetter die Festung besichtigt, schöner Eindruck; »das ist deutsch«, sagt R. in der einen Stube, von einem Meister in 16 Jahren während des 30jährigen Krieges getäfelt. Schönes Portrait Christian IV. von Dänemark, von van Dyck. Die Festung gefällt uns besser als die Wartburg. Um 4 Uhr heim, abends Musik-Abend: die 33 Variationen von Beethoven! Donnerstag 3ten Dezember. R. liest mir einen schönen Brief von Haydn, welcher dem Prager Direktor das verlangte Singspiel refüsiert und ihn in herrlicher Weise auf Mozart verweist. Abends einige Gäste bei uns (Bon Reitzenstein, Bon Künsberg, Bon Staff, H. v. Braun mit Gemahlinnen).
Freitag 4ten
R. erhält von Berlin den Brief, vom Kaiser Wilhelm unterzeichnet, wonach er auch für den Fl. Holländer von nun an Tantiemen erhält, was ihm sehr angenehm ist. Besuch von Bon Rothenhau und seiner Nichte, Frl. von Minutoli. Sehr angenehme gebildete Menschen. Nachmittags zum Eis, Lusch's wegen. Abends allein, verplaudert mit R. — Vor einigen Tagen schrieb Bon Hof mann aus Wien, einige Lebenszeichen des W.-Vereines in Wien mel[dend] und zugleich auch, daß Direktor Herbeck an den Tristan dächte, worauf letzteres R. ablehnend erwidert. Frau v. Schi, meldet, daß die Zeit für ihren Verkauf noch immer sehr ungünstig sei.
Sonnabend 5ten
R. schreibt Briefe an die Herrn Voltz und Batz, unter anderen, mit welchen die Regelung des Verhältnisses Schwierigkeiten macht. Die Kinder laufen Schlittschuh Vor- und Nachmittag. Abends liest mir R. aus den »Geheimen Gesellschaften«; obgleich vom ultramontanen Standpunkt aus geschrieben, ist dieses Buch sehr lehrreich. -
Sonntag 6ten
Besuche, Spiel mit den Kindern für mich, für R. immer Briefschreibereien - abends Musik, das Quartett in Es dur spielt R. vierhändig mit Josef Rubinstein.
Montag 7ten
Wiederbeginn der Studien mit Isolde, unterbrochen durch einige Besucher und eine Kaffee-Einladung (Frl. v. Kohlhagen). R. empfindet großen Ärger über das letzte Auftreten von Bismarck im Parlament, er sagt, er möchte ihm schreiben, da er einmal die große Torheit begangen hätte, dieses Parlament zu bilden, so möchte er ihm doch wenigstens dadurch die Kraft entziehen, daß er nicht mehr hinginge und nicht den hämischen Auslassungen der Herren Jörg[2] und Windthorst mit Erregtheit erwidere. Es schneidet einem durchs Herz, wenn ein Mann wie er solchen elenden herzlosen Wesen blaß vor Zorn erwidert und nun sein Gespräch mit Kulimann anführt!... Abends liest mir R. aus dem Buche des sächsischen Advokaten über »Geheime Gesellschaften« vor, und wir kommen darüber ein, daß es die Art [ist], wie das Christentum die antiken Feierlichkeiten auffaßt, welche ihnen den Stempel der Unanständigkeit aufdrückt. Hier war alles ernst und heilig, wir, die Betrachtenden (vorzüglich die Franzosen), sind frivol.
Dienstag 8ten
Mit Loldi gearbeitet. Bei Tisch sagt R., er habe ein völliges Erziehungsschema Fidi's wegen entworfen, möchte es dem Unterrichtsminister Falk unterbreiten und einen hohen Preis auf die Ausarbeitung desselben gestellt sehen, »geht der Minister nicht darauf ein, gut, so zahle ich den Preis«. - Nachmittags lese ich mit Lusch »Les Precieuses ridicules« von Moliere. Abends in den Parerga von Schopenhauer, die Darstellung »Der Philosoph«[3] mit Entzücken gelesen. - Wir erfahren Übles von der Familie in Leipzig, unsere Nichte Doris fällt förmlich der Familie Kolb in Viersen zur Last, Feustels teilen uns dies mit.
Mittwoch 9ten
Mit Loldchen gearbeitet, während Herr Sauter,[4] der Photograph und Maler, unten Saal und Halle zeichnet für den König. Großen Ärger hat R. durch eine Depesche des Schriftführers des Wiener akademischen Vereins, welcher meldet, daß R. den 6ten ein Konzert in Wien gibt und anfragt, ob R. denn wirklich hinkäme; auch sie haben Dr. Glatz schon engagiert, von welchem wir vorläufig gar nichts wissen. R. telegraphiert an Richter und verbietet die Mitwirkung Glatzen's, abends erklärt Richter, daß alles auf Mißverständnissen beruhe. Nachmittags Weihnachtsgänge. Abends lassen wir uns von J. Rubinstein die 33 Variationenvorspielen, nachdem R. mit Herrn Feustel und dem Notar Skutsch einen endgültigen Vertrag mit Voltz und Batz entwirft, es stellt sich immer deutlicher heraus, daß die beiden Herrn in ganz unverschämter Weise das Vertrauen von R. mißbraucht haben, und Herr Feustel, dessen Umsicht und Ergebenheit R. wiederum sehr deutlich empfindet, ratet R., nicht mehr selbst zu korrespondieren. - Die 33 entzücken uns wieder, wie die Produktion des Genies für sich.
Donnerstag 10ten
Besuch von der alten Bomn Aufsess,[5] der Witwe des durch einen deutschen Professor und einen deutschen Beamten erdrosselten Bon Hans v. Aufsess. R. bemerkt bei dieser Veranlassung, wie es ganz gleichgültig sei, ob ein Gesicht schön oder häßlich sei; wie gern sähe man in das gewiß nicht schöne Gesicht der alten Frau, weil Wohlwollen und Güte sich darin so tief ausgeprägt haben. Nachmittagsgänge, abends Schopenhauer'sche Parerga weiter gelesen.
Freitag 11ten
Am Vormittag Gänge mit Fidi, welcher das Christkindchen zu sehen glaubt. - Großer Kummer seitens der zwei älteren Töchter, namentlich Lusch's. — Gramvolle Erkenntnis der Machtlosigkeit der Erziehung einem Charakter gegenüber. — Wir sprechen viel über Bis-marck's Art, welcher bei einer großen Soiree, welche er gegeben, auch die Pistole von Kulimann auf dem Tisch zu liegen hatte. Dieser Mangel an Würde seitens des verehrten verdienten Mannes schmerzt uns wirklich, wie können die hämischen Feinde das benützen! Abends Schopenhauer, mit immer größerer Bewunderung dieser großartigen Gerechtigkeit, so wie er unerbittlich jede Schwäche erkennt, so auch empfindet und anerkennt er jedes Verdienst, jede Bedeutung in herzerhebender Weise.
Sonnabend 12ten
R. hat Not mit seinem Manuskript, kaum ist die Partitur vollendet, so muß er wiederum Einleitungen und »Schlüsse« zu den verschiedenen »Stücken« schreiben, o Germanien, ruft er aus. - Ich habe manche Weihnachtsbesorgung noch. Abends erfreut mich Lusch durch ein herzliches um Verzeihung Bitten, welches mich tief beruhigt. Abends keinen Kant - Schopenhauer. R. überdenkt immer mehr sein Schema der Erziehung.
Sonntag 13ten*
(*Am Rande: »Daniel's Todestag!«)
Besuche mit und ohne R., Familiendiner bei Feustels; Besuch zweier Architekten aus Prag, welche den Auftrag haben, bei R. anzufragen, wie ein Konzertsaal zu bauen sei. - Brief von Marie Schl., der Verkauf in Berlin hat 10000 Thaler eingetragen. - Ich danke augenblicklich der einzigen Frau. Abends kleine Gesellschaft, die beiden Architekten mit den Plänen und einige Freunde von hier. Rubinstein erfreut uns durch den Vortrag der As dur Sonate opus 110 und einiger von den 33 Variationen.
Montag 14ten
Unser Gespräch ist wie gewöhnlich erfüllt von dem gestern Gehörten. Ich sagte zu R., daß es mir bei der Anhörung der B.'schen Sonate gewesen wäre, als ob B. nach allen möglichen Formen griffe, Reci-tativ, Fugato, italienischer Canto, Figuration, um ein Etwas auszudrücken, was ihn erfüllt, wozu selbst die Musik nur ein Gleichnis ist. Darauf schien es mir anzukommen, ob einer dieses gewisse Etwas in sich hat, was eigentlich unaussprechlich ist, nicht aber ob er Melodien findet, mit Formen spielen kann. So selbst in der Philosophie, kein Rätsel kann sie lösen, ob aber der Philosoph die Rätsel in sich empfindet, darauf kommt es an, das hat Schopenhauer.- Neulich sagte R. so hübsch: Brahms komponiert, wie Bach hätte komponieren mögen.- Er früg mich gestern, ob ich wüßte, wie er seine neuen Orchesterwerke nennen würde: Schwankende Gestalten, er würde die ersten Verse der »Zueignung« als Motto davorsetzen. Wie ich ihm sagte, daß selbst die Fortsetzung »mein Leid[6] ertönt der unbekannten Menge, ihr Beifall selbst macht mir bang«, auf das Nibelungenwerk paßt, sagt er: »Ach nein, mein Leid ertönt dir, und sonst niemandem. Ich habe auch niemanden als dich je gehabt.« - Rubinstein bringt seine Klavier-Paraphrase der Rheintöchter-Scene, welche R. sehr befriedigt. Abends in Schopenhauer gelesen-, wie ich R. bemerke, daß besonders der eine große Passus über die Kantische Lehre (Parerga Seite 96-98. Band I) mir ein wahres Muster der Darstellung schien, welches man in alle Kompendien als solches aufnehmen und die jungen Leute analysieren lassen sollte, bittet er mich, es noch einmal zu lesen. Bis zur Punktuation, alles daran ist wunderbar. - Der von Frauenstädt angeführte Brief Schiller's an Fichte ergreift uns durch den moralischen Mut der Wahrhaftigkeit - wohin ist dieser heute? Wer hätte wohl die Kraft und die Größe, einen solchen Brief zu schreiben? - Richter schreibt einen nicht gerade erfreulichen Brief in Bezug auf Dr. Glatz, dessen Ausbildung er seiner Mutter anvertraut wissen will!
Dienstag 15ten
R. hatte einen Traum von einem zweiten Sohne, einem Knäbchen mit gekräuseltem blondem Haar von einem Jahre, und R. freute sich über das gute Gedeihen desselben, und wie er ihn schon gut fest anblickte. Das macht das Springen, sagt R. Gestern abend sind nämlich die Kinder über den persischen Puff in der Mitte des Saales gesprungen, und R. hat ihnen gezeigt, wie sie es machen sollten, höher und besser springend als alle anderen. - Er arbeitet an den Schlüssen der Stücke. Ich schreibe an Richter, doch sogleich den Dr. Glatz zu schicken. Auch beschließt R. eine Reise nach Leipzig, um eine Sieglinde zu suchen, da Frau Mallinger erklärt, nichts von Bayreuth wissen zu wollen. Abends in Schopenhauer gelesen.
Mittwoch 16ten
Bonichen unwohl. R. arbeitet seine Schlüsse aus und schreibt Briefe. Abends einige Besuche und 109 und 110 von Beethoven.
Donnerstag 17ten*
(* Beigelegt ein Zeitungsausschnitt aus »Anzeiger des Westens« vom gleichen Tage, wonach ein Wirt Wagner in Detroit seinen Sohn konfessionslos »im Namen der Humanität« auf den Namen Richard Wagner getauft habe.)
Derselbe Tag; ich mit den Kindern, R. Briefe schreibend an Sänger u.s.w. - Brief von Bon Hofmann, welcher den W.Verein in Wien verteidigt. - Abends Schopenhauer, über die eigene Philosophie.[7] - Des Morgens liest R. für sich das Buch von Gfrörer »Über die christliche Mythologie«, welches ihm sehr gut gefällt.
Freitag 18ten
Weihnachtsunruhen. Gute Nachrichten von außen für das Unternehmen; die Wiener schicken 9 00 Th., Frau Schott 300, ein angekündigtes Konzert verspricht unter Richter's Leitung auch gut zu werden. Es ist auch notwendig, daß vieles zusammen kommt, wenn R. seine Proben für den nächsten Sommer ankündigen will. Es wird uns von verschiedenen Seiten der Bericht über Loriengrin in Straßburg geschickt, welcher uns recht unterhält. Des Abends lesen wir einen Aufsatz von Karl Hillebrand über Schopenhauer, sehr erbärmlich! Der Prozeß Arnim mit den Briefen von Bismarck regt uns sehr auf; wie wird die großartige Scharfsichtigkeit des Reichskanzlers seitens der Großmächte aufgefaßt werden? - Kummer, verursacht von den Kindern (R. fragt, da sie sich als Gespenster verkleidet: »Was wird von heute in 15 Jahren sein?« Antwort von Eva - von andren eingegeben: »Da wirst du sterben«). Die bis zur Roheit grenzende - freilich ihr ganzes Glück ausmachende Leichtfertigkeit der Kindheit kann sehr tief kränken. — R. träumte heute, daß ich kein Geld hatte. Hans habe mir das meinige vorenthalten, er habe mich zu sich beschieden, um mir zu helfen, und sei zuerst durch seine Frau Minna mit höhnischen Blicken und Redensarten, dann durch Diener und Kinder, schließlich durch einen zudringlichen Menschen an dem Finden des Geldes verhindert gewesen, dazu ein nicht gefundener, endlich auch entzwei brechender Schlüssel und der heftige Wunsch, die Sache schnell abzumachen!...
Sonnabend 19ten*
(*Beigelegt ein Telegramm vom 18. Dezember 1874 aus Frankfurt am Main, zugestellt »Richard Wagner Bayreuth« am 19. Dezember: »Meisenheim Wiegenlied im Museum stürmisch Beifall Dacapo soeben ein Glas auf das Wohl des großen Meisters — Wagnerianer«.) - Ich träumte von Trauergewändern, die Folge des peinlichen gestrigen Eindruckes. R. träumte von Fürstlichkeiten, welche er zu empfangen hat, von welchen eine blonde Frau weinte, vor Ärger, zurückgesetzt zu sein. - R. bereitet seine Reise vor, um ein Uhr fährt er fort nach Leipzig, um morgen »Jessonda«[8] mit Frl. Mahlknecht zu sehen. - Wie er fort ist, empfinde ich diese ganze wehmütige Leere, welche sich durch Tätigkeit täuscht. Ich scheue mich förmlich, nach Hause zu kehren. - Anknüpfend an seinen gestrigen Traum sprachen wir gestern von der Unseligkeit von zu früher Ehe für junge Männer, er sagt: »Der Mann muß 40 und die Frau 20 Jahre sein, sonst gibt es Elend.« Jetzt wünsche ich ihm eine gute gute Nacht! Alle guten Geister mit ihm.
Sonntag 20ten
Mit traurigem Gefühl zu Bett gegangen! Mit traurigem aufgewacht - Fidi mein kleiner Nachtkumpan. In die Kirche gegangen -o wäre der Pfarrer nur ein Komödiant!... Graf Arnim auf zwei Monate Gefängnis verurteilt. - Zwei Depeschen R.'s! - Ich hatte meine Photographie dem Diener mitgegeben und einen kleinen Vers dazu, um sie auf seinen Tisch des Abends zu stellen. Es hat ihn gefreut!...
Montag 21ten
R. kehrt heute erst um halb vier Uhr zurück; er hat keine Sieglinde gefunden und überhaupt nur den Eindruck von Gespenstern gehabt, er sagt: »Man geht in einem vollständig fremden Land in seinem eigenen Lande umher; die Alten verschrumpft, die Jungen vollständig leblos.« Zuerst in »Jessonda«, sehr gerührt, dann die Absurdität zu groß (Brahmine mit Schnurrbart, Bajaderen mit Chignons!). Abends nicht über das Hauptthema zu sprechen zu kommen, nämlich [daß] die Zustellung der einlaufenden Patronatsgelder an die k. Kasse, welche im Kontrakt bedingt worden ist, das Unternehmen ganz vollständig hemmen würde.
Dienstag 22ten
R. teilt mir mit, wie er die Bruchstücke aus der Götterdämmerung eingerichtet hat, er sagt: »Einzig, um dir das zu Gehör zu bringen.« Woher aber nur die Sieglinde?    Wir sprechen vom Ring des Nibelungen, und R. meint, wie merkwürdig das sei, daß ohne Kenntnis des Schopenhauer'schen Systems er dieses so entworfen, er meint: »Hätte ich es gekannt, so wäre ich weniger unbefangen in der Wahl des Ausdrucks gewesen.« Er sagt: »Wie ich Schopenhauer zuerst gelesen habe, habe ich ihn gar nicht verstanden, weil ich die Kraft nicht mehr bei der Hand hatte, mit welcher ich mein Gedicht geschaffen.« - Schöne Weihnachtssachen für die Kinder hat R. mitgebracht. - Er erzählt vom Prozeß Arnim, daß derselbe Bismarck mit Ruhm bedeckt habe! - In allem behielt er recht und bestünde großartig. Konferenz zwischen Herrn Feu-stel und dem Notar Skutsch, woraus sich das Gaunerwesen des Herrn Batz vollständig ergibt. Freund Feustel soll nun sehen, wie R. aus diesem Verhältnis zu befreien ist. Abends ist R. sehr müde; wir plaudern ein wenig, darauf beginne ich mit Lusch den Weihnachtsbaum zu schmücken. Was einigermaßen angreifend ist! Ich habe einen Creußener Apostelkrug für R. durch Hülfe des unentbehrlichen Juden Seligsberg erobert! R. hatte sich ihn gewünscht.
Mittwoch 23ten
In der Frühe mich aufgemacht, um die unpünktlichen Menschen zu drängen. - Von Mittag Beschäftigung mit dem Baum, ich sage zu R., daß das Motto für die Weihnachts-Zeit »Unsinn du siegst«, R. arbeitet an einem Brief über die Aufführung der »Jessonda«.[10] Abends kommen unsere vier Musiker, und während ich auf der höchsten Leiter stehe, reichen mir die Nibelungen-Kanzler die verschiedenen glänzenden Gegenstände; R. spricht dabei von dem Urchristentum von Gfrörer, welches er mit dem größten Interesse liest. Gegen elf Uhr sind wir fertig.
Donnerstag 24ten
Ununterbrochene Arbeit des Aufbauens, [die] von Morgen an bis abends um 5 Uhr dauert. Das ganze Haus samt der Nibelungen-Kanzlei, 25 Mann, kommt durch den Saal in die Halle, alles scheint erfreut und gut gestimmt. Auf meinem Tisch befindet sich die Götterdämmerung-Skizze! - Abends vorher traf ich R. in Tränen, er hatte soeben an Vreneli die 50 Gulden, welche er dem armen Pfarrer Tschudi nicht mehr schicken kann, entsendet und gedachte der Zeiten unseres Zusammenlebens in Tribschen mit tiefer Ergriffenheit, mir dankend, daß ich so viel seinetwegen ertrug. - Gegen zehn Uhr beschließen wir den Abend.
Freitag 25ten
Am Morgen ertönt das Idyll und am Schluß »Sagt mir, Kinder«, R. und ich aufgelöst in Tränen! Nachher erfahre ich, wie dieses ganze Geheimnis von R. geführt worden ist! Die Hof er Kapelle ist engagiert worden, er hat die Probe gestern im Hotel Sonne geleitet. Er erzählt mir, wie gut die Kinder sich bei der Probe benommen hätten, ohne Ziererei und doch bescheiden. Wir frühstücken im Saal, die Musiker spielen aus Lohengrin, Tannhäuser, Die Meistersinger. Seliger Tag! In Tönen hehr, in Worten süß, sagt mir R., daß ich meinen Geburtstag segnen darf, da er ihn so feiert. Wie wurde mir diese Krone zuteil!... Schöner Abend mit den Kindern, weihevoll schön alles. »Tat twam asi«, ruft mir R. immer zu, »das bist du, du bist alles, durch dich ist alles hervorgerufen!«... Gestern beim Abendbrot mußten wir sehr lachen, wie R. erzählte, er sei jetzt so faul, daß er dächte, er müsse sehr leuchten (das faule Holz leuchtet). Das brachte uns auf das Od des Bon Reichenbach,[11] und er erzählte, wie eine Nacht, als seine Frau Minna nicht hätte schlafen können, sie ihn nach der Uhr gefragt hätte, und zwar in einer ganz dunklen Stube, er habe die Uhr in die Hand genommen und gesagt, elf Minuten vor 9, wie sie über »die Unverschämtheit« gelacht, habe er Licht gemacht und erkannt, daß er ganz richtig gesehen.*(*Am Rand eingefügt: »An Marie Much. gedacht!«) - Zu ernsten Betrachtungen werden wir geführt dadurch, daß R. dem Pr. Nägelsbach, unserem Nachbarn, begegnet und dieser auf die Frage, wie die Feiertage begonnen worden seien, erwidert: »Nicht gut, unser jüngstes Kind starb uns um 10 Uhr! Als ob es uns die Freude nicht hätte verderben wollen - wir konnten noch den anderen bescheren; wie wir in die Stube dann traten, lag es im Sterben.« - Ein Maurer stürzte heute vom Theater herab und blieb tot. Es gemahnt einen an Eduard und Ottilie, wenn man dabei immer glücklich sein will und ist, doch was kann das Glück der Liebe, dieser leuchtende Stern über allem Ungewitter, trüben?... Wie ich abends R. sagte: Das sei mein schönster Geburtstag gewesen, frug er mich, weshalb, ich erwiderte: Weil die Götterdämmerung vollendet ist und damit die eigentliche Sorge unsres Lebens entfernt! —
Sonnabend 26ten
Lang und tief geschlafen; wir beschweren uns am Morgen, daß keine Musik ertöne!... R. arbeitet mit großer Unlust seinen Brief an Fritzsch über die »Jessonda« aus. Ich schreibe einige Briefe, die Kinder spielen. Abends liest mir R. Gfrörer's »Urchristentum« (aus dem Vorwort). Es gefällt uns sehr gut, R. sagt: »Man verkehrt mit ganz anderen Menschen als den jetzigen.« -
Sonntag 27ten
Ein herrliches Blatt, nach Moretto's[12] Bild »Die Krönung Maria's« in Brescia, schickt mir Gersdorff, eine der ergreifendsten Konzeptionen, die ich kenne. Ich bin sehr dadurch gerührt, daß Freund Gersdorff an mich beim Anblick dieses Bildes gedacht hat. R. geht mit Fidi spazieren, welcher in seinem neuen, von R. entworfenen Pelzanzuge sehr schön aussieht. Ich bleibe zu Hause und schreibe an Pr. Overbeck über sein Buch. Abends der Bürgermeister, mit welchem ich über den unseligen Fall (des Maurers Tod) spreche und berate, was zu tun. Darauf spielt Rubinstein seine Paraphrase der Rheintöchter-Scene, und dann nehmen wir einiges aus den göttlichen Meistersingern vor. Auch las R. die Scene der Rheintöchter vor- »das Christentum führt uns aus dem Leben, versöhnt uns mit dem Tode, mit dem Leben hat es nichts zu tun«. - (Der König schickt ein Album der Bilder der Pinakothek.)
Montag 28ten
Besuch von Freund Feustel, den Fall des Maurers und insbesondere die Klausel des Kontraktes betreffend, wonach vom 410. Patronatsschein an alle einlaufenden Gelder an die Kabinettskasse zu zahlen sind, auch die Konzerte sind mit eingerechnet, und dabei darf bloß Geld erbeten werden für Dekorationen und Maschinerien!... Schönes Winterwetter, wenn auch sehr kalt. Die Kinder auf dem Eise. Ich schreibe Briefe nach allen Seiten hin. R. kommt zu mir in mein graues Stübchen, und wie er den Wust von Dingen [sieht], der überall umher liegt, vergleicht er es mit der »Melancholie« von Dürer!... Abends große Unruhe - ich hatte den ältesten Kindern gestattet, mit der Bonne in ein Zigeuner-Konzert zu gehen, es beginnt um 6 Uhr, ich nehme an, es wird um 9 1/2 Uhr zu Ende sein; nun aber sind [sie] um halb elf noch nicht heim, und ich werfe mir meine Schwäche sehr vor; R. ist auch sehr aufgebracht,
und wir verbringen einen schlimmen Abend, bis endlich die Kleinen heimkommen. Nur keine Schwäche aufkommen lassen, keine Vergnügungssucht, selbst für seine Kinder. (Dazu das Kapitel von Schopenhauer[13] über die scheinbare Absichtlichkeit im Schicksal des einzelnen.)
Dienstag 29ten
In Folge des gestrigen Abends schreibe ich an die Oberin und bitte um Aufnahme meiner Kinder um die Zeit unserer Verreisung. - Die Kinder ausgebeten, kommen sehr heiter heim, Fidi voller Erzählungen. Abends keine Lektüre, Spiel unten mit den Kindern. (Ich lese R.'s Brief über die Aufführung der »Jessonda«.)
Mittwoch 30ten
Die großen Kinder auf das Eis, erste Kränkungen für Lusch, die kleinen bei dem Spielzeug, ich am Korrespondenz-Tisch!... Nachmittags schreibt Lusch ihrem Vater. Abends unsere vier Musiker, R. liest ihnen seinen Brief an den Hofkapellmeister Klughardt[14] vor, welcher ein Muster von teilnahmsvoller Aufrichtigkeit ist. - Ein sehr hübscher Brief von Richter mit der Zusendung der Photographie von seiner Braut gibt R. Veranlassung, seine Theorie über die Ehe zu entwickeln, 40 Jahre soll der Mann und 20 Jahre die Frau sein. - Wir nehmen eine Haydn'sche Symphonie mit vielem vielem Vergnügen vor.
Donnerstag 31ten Sylvester
am Ende der Knecht Ruprecht, da er mit dem Wald zusammenhängt! — »Tat twam asi«, wiederholt mir R., das bist du, sagt mir R., indem er mir alles zeigt, Kinder, Haus, seine Werke. - Wenn er nachmittags ausgeht, nimmt er immer Brot für die Vögel mit, und unser Gärtner hat den Auftrag, unser Grab zu fegen und Futter darauf für die Vögel zu streuen. Ich gehe in die Kirche mit Fidi und Eva, »nun danket alle Gott« - bei Kerzenschein. Abends Herr O. Bach, von Coburg kommend, einen »durchschlagenden« Erfolgseiner »Lenore«, Dekoration, Aufenthalt in der h.*(*Hier: herzoglichen) Loge etc. berichtend! - Die Nibelungen-Kanzlei, etwas ironisch zu hören. Allerlei Musik bis um die Mitternacht, Haydn'sche Symphonie, aus »Templer und Jüdin« (wo R. das große Talent und [die] völlige Geschmack- und Stillosigkeit der Deutschen nachweist, auch daß die Situation für den Musiker alles sei, nicht die Diktion). Die Glocken läuten das Jahr ein, unsere Leute gratulieren, ich gehe zu den Kindern, welche schlafen, einzig wacht Loldi auf, und wir wünschen uns Glück.