Juli

Donnerstag 1ten
Hilf, Himmel, zu tragen das schwere Herz - erste Probe, beim ersten Ton will schier die Brust mir bersten! Wie Herr Hill gestern abend zu Tisch mit uns saß, spricht R. von dem orchestralen Kothurn, auf welchem seine Sänger stehen. - Abends Frau Grün und ihr Gemahl, welcher aus Petersburg kommend die seltsamsten Geschichten meldet; Herr Bilse dort verhindere Leute, welche beabsichtigt hätten, Patron zu werden, es auszuführen, dadurch, daß er verbreite: In Folge von Zwistigkeiten mit den Orchestermitgliedern kämen die Aufführungen nicht zu Stande! In den Zeitungen steht, R. sei zu einer Kur in Homburg, um die Sänger, welche zu den Proben erwartet sind, irrezuführen, auch fehlen wirklich noch sehr wichtige Glieder (Niemann, Betz, Materna). Den Abend mit der Truppe im Garten; Maschinist Brandt kommt hinzu,
 meldend, daß er auf dem Punkt gewesen sei, heute fortzugehen mit seinen Leuten, welche durch die Trägheit der hiesigen Arbeiter zur Untätigkeit gezwungen!     Das Studium hier beginnt vortrefflich.
Freitag 2ten
Vor- und Nachmittag Probe; Ankunft von Betz; das Theater besucht; Gäste zu Tisch, Gäste abends, dazwischen immer ein wenig mit den Kindern gearbeitet. Auch die Maler Brückner sind hier, schönes Weben,[1] R. sichtlich erfreut.
Sonnabend 3ten
Immer mehr Ankünfte, alles im besten Geiste, jeder wie für seine Partie geschaffen, durch die richtige Verwendung der Kräfte bereits im Rheingold ein erstaunliches Resultat. Unsäglicher Eindruck.
Sonntag 4ten
Briefe geschrieben. Unter andrem von E. O.*,(* Emile Ollivier.) sein neues Buch »Principes et conduite« erhalten. Immer Proben Vor- und Nachmittag; leider auch Mittagessen, was mit einzelnen der Mitglieder wenig erfreulich. Abends Bayreuther zu der Künstlerschar.
Montag 5ten
Mit den Kindern gearbeitet; um elf Uhr Briefschaften, unter andrem ein Schreiben von Hans, mir für das meinige dankend! Ich sage R. nichts, weder von dem Brief noch von meiner Antwort, und weine im stillen für mich, so gut es geht, dann Empfang der neuen Kammerjungfer, Hausanordnung zur Speisung unserer Gäste lassen wenig Muße, und mit bleierner Last, unaufgelöst, besorge ich mein Tagwerk.
Dienstag 6ten
R. zum Glück immer gesund, hält die Proben Vor- und Nachmittag, abends bleiben die Gäste. Wir kommen kaum dazu, ein Wort zusammen zu sprechen, und ich wandle mit der nie abzulegenden Würde des Schmerzes, am Tag heiß und trocken wie im Fieber, nachts in Tränen.
Mittwoch 7ten
Fortfahrung dieses Lebens; das Ehepaar Vogl aus München gekommen - Herr Unger macht viel Not. - Noch größere aber die Theaterbauverhältnisse, es stellt sich heraus, daß der Bauführer[2] seiner Aufgabe nicht gewachsen war, alles verabsäumt hat, so daß Brandt ganz in Verzweiflung ist - nichts ist bereit. Vogls singen die erste Scene aus Tannhäuser sehr gut, erstaunlich, was die musikalische Sicherheit betrifft. (Viele Briefe in der Frühe geschrieben, u. a. dem Vogelmacher-Mann in London). Abends einige unserer Bayreuther zu unseren Fremden.
Donnerstag 8ten
Vorbereitungen für die Ankunft der Kinder, und Proben, dazwischen Briefe; ich an Dr. Standhartner, ihn zu bitten, Hans zu besuchen und mir über seinen Zustand [zu] berichten. Niemandem kann ich die Schwere des Herzens beschreiben; ich möchte, meine Kinder wären so groß, ich könnte alles an sie abgeben, allen Besitz, und dienen gehen! Wolkenbruch-Zeit, der Himmel entlastet sich. — Abends Probe, wie ein starker Gewitter-Regen dräuet, entfernt sich die ganze Gesellschaft, wir heiter erstaunt, wundern uns, ein Mal wiederum allein in dem Saal zu sein. R. liest mir den seltsam klugen Brief von Herrn Brahms an R. vor. Danksagung für die Zusendung des Rheingoldes.
Freitag 9ten
Viele letzte Vorbereitungen für die Ankunft der Kinder; um ein Uhr Abgang; Einsamkeit im Planen, sonderbare Stimmung, wenn der Tod käme in solchem Augenblick, er hätte nicht viel zu nehmen, so erstorben. Um halb 9 abends die Kinder, viel Rührung und viel Geplauder.
Sonnabend 10ten
Früh auf, gegen 10 Uhr fort, um ein Uhr in Bayreuth - Daniella rührt durch ihre Ähnlichkeit mit ihrem Vater sehr; vollständige Kindertafel; dann für mich Bücher-Revision, Kinder-Anzüge-Revision - und Probe mit Abendbrot. Die Kinder gesondert und abgesperrt!... Hofrat Düffl. gibt keine Antwort bezüglich der Wohnung von dem Castellan für Frau v. Schl. - eine große Unannehmlichkeit für mich.
Sonntag 11ten
Sehr früh auf, in die Kirche mit den zwei Großen; vorher noch das Tagebuch geschrieben. Das ganze Rheingold wird probiert, es geht sehr schön. Nachmittags mit Lusch einige Besuche gemacht. Abends viele Fremde und Bayreuther; es wird musiziert, und alles sieht heiter aus.
Montag 12ten
Immer zweitägige Proben und abends unsere Künstler, der Geist bleibt bei ihnen vortrefflich. Besichtigung des Schlosses für Mimi und ihren Gemahl.
Dienstag 13ten
Brief von Hans, seinen letzten Willen mir mitteilend! ... Fast ohne Unterlaß verbringe ich nun die Stunden in Gebet und suche die Gelegenheiten, zu opfern, was irgend nur eine Freude mir gewähren könnte. Gibt es ein Glück??[3]...
Mittwoch 14ten
Richard jetzt doch etwas angegriffen. Bereicherung des Personals durch Herrn Scaria. Abends Gebet aus Lohengrin und Duett (Elsa und Ortrud) prachtvoll. (Ich antworte spät abends Hans!)
Donnerstag, Freitag, Sonnabend, Sonntag 18ten
Dasselbe Leben! Seltsam erhebend und ermüdend, Dr Jauner aus Wien kommt hinzu, voller Pläne! Ich habe den meinigen - wird Gott ihn segnen? Richter auch hier - wenig erfreulich!*(* Dieser Seite liegt ein Telegramm bei, aufgegeben 18. 7.1875, 5 Uhr in Berneck, expediert 6 Uhr in Bayreuth: »Richard Wagner, Bayreuth. Ein donnerndes Hoch dem Meister und seiner Gattin. Die eingeregneten Nibelungen, durchnäßten Walküren. Rheintöchter in ihrem Element.«)
Montag bis Donnerstag 22ten
Beständiges Probieren. R. davon sehr angegriffen - Direktor Jauner nimmt sehr erregten Abschied, nachdem er noch mit mir von seinem Plan, das Nibelungenwerk im Prater als österreichische Volksfestlichkeit aufzuführen, gesprochen. Ich schreibe dem Vater davon. Jauner ganz in staunender Bewunderung über R. bei den Proben. Leider schmerzen ihn die Füße, er kann kaum auftreten! — Übles Ankommen eines zwar gut gesinnten Journalisten, welcher aber ungeschickt genug ist, von der Gewinnung der Kreuzzeitung[4] zu sprechen! R. hat auch Not, seine Sänger ruhig hier aushalten zu machen. Er spricht von dem Opfer, das ich ihm bringe, alltäglich mein Haus einer Gesellschaft zu öffnen, welche nicht die meinige, und sagt, daß er mit mir alles, ohne mich nichts könne! Ankunft und Aufrichtung der Kolossalbüste des Königs.
22 bis 29ten
Fortführung desselben Lebens; am 24ten Besuch des Theaters, erste Dekorationsprobe, herrlicher Anblick, prachtvoller Klang; große Ergriffenheit R.'s; als Kuriosum Herr von Hülsen, der langjährige Feind; er verbringt den Abend mit uns. - Andren Tages Petersens, dazwischen immer Proben, Ankunft einer Norn (Frl. Preiß);[5] dann Neffe Jachmann, um mit Freund Feustel seine üblen Angelegenheiten zu richten; endlich Herr Niemann, Störenfried; geckenhaft anspruchsvoll, leistungsbar, gesellt sich Richter zu, um Wirtshäuser zu besuchen; verhöhnt die übrigen verdienten Mitglieder. Ich gleiche aus und ertrage, was ich nur kann; des Mittwochs und Sonntags die Bayreuther Gesellschaft. Pr. Doeppler mit den Kostüm-Skizzen - Ballettmeister Fricke aus Dessau, Tanzunterricht für die Kinder, trübe Erkenntnis, daß Lusch etwas schief geworden. - Herrliche Probe am 28ten des ersten Aktes von Götterdämmerung; abends Depesche vom Vater, daß er am anderen Tag kommt.
29ten Donnerstag**
(** Für irrtümlich »Freitag«.) Viele Besorgungen; Probe von Walküren und Mannen-Ensemble; Abschied von Herrn Niemann, große Erleichterung! ... Um 3 Uhr Ankunft des Vaters, er sieht wohl aus und freut sich, bei uns zu sein. Herr Niemann noch hier, kommt abends zur Probe; benimmt sich so traurig geckenhaft dabei und ist so übermütig, daß R. sich
kaum mehr halten kann und in Wut gegen die andren sich über ihn ausläßt. Dazu Herr Unger kläglich im zweiten Akt der Götterdämmerung.
30ten Juli Freitag
R. hatte eine sehr üble Nacht, in Empörung und Erregung - wie sich doch die Dinge im Leben wiederholen, Niemann schickt seine Partie des Siegmund zurück!... Wir denken an Paris und das Achselzucken, mit welchem der Armselige vor das Publikum trat, sich entschuldigend!...