Juni

Sonntag 1ten
Pfingsten! Doch kaltes Wetter, wir müssen noch immer heizen; die Kinder gehen in die Kirche, R. schreibt an den König (die Türe ist bewilligt!). Kindertisch mit Sascha, Besprechung abends des zu bildenden Quartetts, R. möchte die letzte Fuge[1] - die noch gar nicht gekannt ist - vornehmen. Indem er in die Quartette blickte, rief er aus: »Ja, der Kerl hat uns alle gerettet, denn Mozart starb zu früh, ahnungsvoll über sich selbst.« - Der junge Kummer wird die erste Geige spielen (an Herrn v. Gersdorff geschrieben, der mir ein bedenkliches Augenübel unseres Freundes Nietzsche meldete, und an Richter, welcher von den jungen ungarischen Freunden des Vaters beschuldigt wurde, gegen den Vater sich gebrauchen zu lassen).
Montag 2ten
Erster schöner Tag, der aber für R. nicht gut sich anläßt, gleich in der Frühe werden Feustel mit Geheimrat Bluntschli[2] gemeldet, er läßt sie nicht vor, doch der Gedanke, Bl. könnte der Unternehmung nützen, quält mich, ich teile ihn R. mit, und er macht sich auf, nachdem noch Putz unsren Kaffeetisch umgeworfen und unser Frühstück dadurch verzögerte! - Der Vormittag ist also für die Arbeit dahin. - - Nachmittags den Kindern zulieb Spaziergang nach Eremitage - viel Volk dort, Militärmusik, meist Offenbachiaden spielend. R. müde heim. Der neue Hund macht uns durch seine Zartheit und seine Aufgeregtheit Angst, wir denken an Fitzo's Schicksal.
Dienstag 3ten
Großer Kummer über Daniella... Keiner ahnt, wie schwer mein Herz ist, soll dies meine Strafe sein, daß die Kinder unedel werden, dann ist sie hart! Härter als die Schuld?... Ich weiß es nicht und will es suchen mit Milde zu tragen. Ich kann R. aber nicht verbergen, wie tief erschüttert ich bin, ist er doch meine einzige Hülfe! Wir verbringen den Tag im Gärtchen und speisen zu Abend auf unserem Balkon. Militärmusik ertönt vom Ruckriegel, gemeinste italienische Melodien und dazu Offenbachiaden. »Jeder Tag bringt einem eine neue Hoffnungslosigkeit«, sagt R., ich bemerke, wie traurig es ist, daß sie nicht Weber'sche, selbst Spohr'sche und Marschner'sche Melodien spielen. - Im deutschen Lande Strikes überall, hier waren zwei Berliner Arbeiter und haben den hiesigen Leuten Reden gehalten, welche den Leuten hier nun im Kopfe spuken, und in Folge dessen kann man nichts mit ihnen mehr anfangen. - Bei Tisch drollige Scene mit einem Weber, welcher gehört hatte, daß wir unsren Hund gern dressieren lassen möchten, und uns das ergötzliche Bild einer Shakespeare'sehen Figur darbot. Er hatte mit Hülfe der Prügel zwei Schäferhunde gelehrt, eine Pfeife in dem Mund zu halten, und war der Absicht, den zarten Putz auch so vorzunehmen!... Abends viel über das deutsche Reich gesprochen, »ist noch da etwas zu retten?« fragt R. trübe. »Bismarck fehlt es an Schwermut - doch es ist töricht, irgend etwas von einem Menschen zu fordern, der so Furchtbares geleistet hat.«
Mittwoch 4ten
R. nicht wohl trotz einer guten Nacht, schwüles Wetter, und mein Herz schwer von Muttersorgen! - R. schreibt an seiner Partitur, ich an Frau v. Schl hauptsächlich um der Regelung der Wiener Konfusion wegen, da Marie Dönhoff bei ihr ist, welche einzig dort tätig gewesen ist. Die Wiener schicken jetzt anstatt 21 000 Gulden, welche Feustel bei ihnen gezeichnet sah, 4000 Thaler - es handelt sich nun darum, um jeden Preis die von Marie D. Geworbenen, welche noch nicht bezahlt haben, zu bestimmen, diesen unsicheren Leuten die Bons nicht zukommen zu lassen. Kindertisch; nachmittags Besuch des armen Buchbinderjungen, der von einer Lungenentzündung befallen worden ist und mir einen schrecklichen Eindruck macht. Besprechung mit dem Rektor über Daniella. Besuch bei Kraußolds eines Todesfalles wegen. - Neffe Ritter besorgt aus Weidenberg einen Hundedressierer, und Putz wird fortgegeben; er erzählt, daß in dem Dorf die Leute sich sehr um das Theater und das Haus R. Wagner's bekümmerten, und Feustel erzählte, daß, wie er in Neumarkt neulich aufgehalten gewesen sei, zwei Bauernweiber sich über das Theater unterhalten hätten und schließlich gesagt: Ja, was
hilft's, ist es fertig, so kommen wir doch nicht hinein! Abends auf unserem kleinen Balkon uns der hübschen Stadtwohnung mit den großen Bäumen und der Kirchtürme gefreut, Gedanke an »Faust« dabei. Dann Vergleiche zwischen Shakespeare und seinen Übersetzern angestellt (Tieck, Ulrici[3]), Übertreibung oder Plattheit gefunden. Schlegel, wie es scheint, der einzige wirklich Berufene.
Donnerstag 5ten
Gewitter-Schwüle und Regen, R. arbeitet doch etwas, ich besorge einiges zu Fidi's Geburtstag; der Hofgärtner bemerkt zu mir, daß er vom Hofmarschallamt noch keine Weisung wegen der Türe erhalten habe, während wir schon lange die Depesche, die uns die Erfüllung dieses Wunsches anzeigt, haben. - Sascha Ritter zu Mittag. Später neue Unterredung mit dem Rektor, es stellt sich alles auf das schlimmste für Daniella heraus - Lüge und Unschicklichkeit; ich suche einen Eindruck auf sie zu machen dadurch, daß ich ihr Verachtung zeige. R. ratet zu einer Pension, ich kann mich nicht entschließen und hoffe zu Gott!... Abends liest mir R. die Abhandlung über den Ursprung der Sprache, und ich muß wiederum die großen Geister segnen - diese Abhandlung und die Gespräche mit R., die sich daran knüpfen, befreien mich förmlich von der Last der trüben Gedanken. Wie können nur die Menschen ohne geistige Beschäftigungen ihre Sorgen ertragen?... Wie wir uns trennen, sagt mir R.: »Nun holst du deine Decke? Das tust du aber nur, wenn Nietzsche da ist.« Zärtliches Gedenken dieser Zeiten.
Freitag 6ten
»Ein Sohn ist da, ein lieber Sohn«, singt R. auf dem Refrain des Hirten im Tannhäuser auf den Mai. Ich gedenke der Orange-Stube in Tribschen, die nun vereinsamt heute die Sonne abgespiegelt haben wird und Fidi gefeiert. Wie wer zu mir zur Gratulation herauf kommen soll, läuten die Glocken; und um elf ertönt von den Türmen der Pfingstchoral; Richard wird zu Tränen gerührt und winkt den Bläsern. Ich gehe mit Fidi zu dem armen Buchbinderjungen, der im Delirium liegt!... R. scherzt: »Wenn Fidi mit 24 Jahren seinen >Götz von Berlichingen< schreibt, dann kann ich ihn vielleicht noch lesen.« - Ich bin und bleibe heute ernst gestimmt, gramerfüllt; wie seltsam werde ich bestraft, wie wahrhaftig bleibt sich die Natur treu! Sie straft mich in dem ältesten Kind aus meiner Ehe mit Hans, zeigt mir dadurch, wie ungesegnet diese Ehe ward, und straft mich auch dadurch, daß sie meinen liebsten Gedanken, den, ein edles Wesen für Hans' einzigen Trost heranzuziehen, gänzlich zunichte macht. Ob ich das Kind in eine Pension geben soll? R. ist dafür und hat gewiß recht, mir fällt es so schwer!... Mir ist es, als ob ich nie so sorgenvoll gewesen wäre, und nur der Gedanke an die Buße hält mich aufrecht; denn ich habe erkannt, daß mein Kind niedrig gesinnt ist. R. geht zum Riedelsberg und kommt spät heim. Ein wenig in dem »Ursprung der Sprache« von Grimm gelesen, mich überfällt aber dabei eine große Mattigkeit, und die schweren Gedanken wollen heute nicht weichen.
Sonnabend 7ten
Nach einigen Tagen großer Schwüle plötzlich Kälte; doch gehen wir nachmittags aus zum Theater, mächtiger (dionysischer) Anblick! Schwere Gedanken aber wegen der Fortführung. Abends den »Ursprung der Sprache« beendet; R. polemisiert gegen die Verherrlichung der englischen Sprache, die darin vorkommt, und sagt, man könne nur die Sprache als die wirklich schöne erkennen, welche noch im Zusammenhang mit ihren Wurzeln stünde, auch wäre das im Sinne eines ganz falschen Optimismus gesprochen, wenn Grimm sagte, daß durch die Mischung der romanischen und germanischen Sprache die Vollendung erreicht sei; solche Mischung sei ein Übel, je reiner sich eine Sprache erhalte und entwickele, um so bedeutender sei sie. >Freilich<, sagt er zum Schluß, >habe Grimm wohl jede Hoffnung auf eine deutsche Kultur aufgegeben (und das ist ihm nicht zu verdenken), und er freute sich, daß wenigstens ein abgesonderter Stamm es so weit gebracht wie die Engländer und ihre Kultur gehabt.< - Großer Ärger über den Verleger Fritzsch, welcher weder mit der Broschüre noch mit dem 8ten Band fertig wird.
Sonntag 8ten
Wir sprechen von Fidi's Zukunft, ich hätte es gar gern, daß neben der Chirurgie er sich zu einem bedeutenden Staatsmann entwickeln könnte, Deutschland dereinst zu dienen, R. meint, dazu gehörte der Stand und gewissermaßen Mangel an Phantasie; er hofft auf einen gescheuten jungen Menschen für Fidi's Erziehung, welche mit der gründlichen Erlernung der deutschen Sprache (Mittel- und Althochdeutsch dazu) beginnen müßte, um dann zum Griechischen wie zum vollkommenen Paradies überzugehen und dann durch das Lateinische zum Italienischen, Englischen, Spanischen übergeleitet zu werden. Und daß er nur nicht in diesen allgemeinen Trichter der jetzigen Erziehung hinein geworfen werde. - R. nimmt sich meines Kummers an und erteilt eine tiefe schöne Ermahnung an Daniella; Gott gebe, daß sie fruchte, ich bin sehr traurig und war nie so lebensmüde als nun - wie hart verwehrt mir es die Natur, Hans zu dienen — als ob mir dies nicht mehr gestattet sei! - Spaziergang mit den Kindern und R. nach einem Schloß Colmdorf,[4] wo eine Auktion angezeigt ist. Heimgekehrt spielt mir R. aus der Götterdämmerung - tiefe, tränenerfüllte Erlösung -, kann der Kelch von mir genommen werden? Doch nicht wie ich will, sondern wie du willst! - Gebet!
Montag 9ten
Keine Nachrichten vom Vater noch von irgendeiner Freundin - seltsames Schweigen um uns. Früh um sechs Uhr bei den Kindern, ihrem Aufstehen beizuwohnen; große Angst, irgend etwas zu vernachlässigen; Eva und Fidi gar lieblich miteinander, heiter und vergnügt. R. arbeitet. Trotz großer Kälte und trübem Himmel ist mein Gemüte heute etwas mutvoller - weiß nicht warum? Vielleicht weil ich gern alles dahinnehme. Sascha immer bei uns zu Tisch und ein Stündchen des Abends. Wir beginnen »Ardinghello«, und ich muß die zutreffende Kühnheit der Urteile über Malerei bewundern. Vorher in J. Grimm Art[5] gelesen, R. suchte ein Wort, das sein Onkel Adolph ihm bezeichnet, Artung für Natur, findet es aber nicht.
Dienstag 10ten
Wiederum ganz in der Früh von R. unbemerkt zu den Kindern, als ich es ihm vom Bett aus zum Frühstück erzählte, nennt er mich Melusine. - Nichts von Fritzsch, nichts vom Vater und seiner Umgebung, auch nichts von Maria Schl - sehr seltsam, dafür allerlei Uninteressantes. Große Hitze tritt wieder ein und Schotts mit ihr, die wir nun zum Abend haben müssen! Viel Gespenstisches. R. leider nicht wohl; das Haus gibt viel Ärger und der Theaterbau viel Sorge, dazu das Hofmarschallamt mit Schikanen wegen der Türe, Wichtigtuerei und Bosheit...
Mittwoch 11ten
Die arbeitende Frühstunde eingehalten. R. fühlt sich sehr unwohl, die schwüle Hitze ist nun wieder da. Mit den Kindern nach dem Theater und der Bürgerreuth, freundlicher Blick, das Land gefällt uns immer mehr, möchte es eine freundliche Heimat für die Kinder werden! Mir ist es, als ob ich nicht mehr recht lebte und nur noch träumte, so wunschlos fühle ich mich für mich, und wenn ich R. Wagen und Pferde sich wünschen höre, freue ich mich, daß er noch so kräftig und jung ist - ich trachte nur, daß die große Müdigkeit nicht bei mir dahin führe, alles gehen zu lassen, wie es eben geht! - R. arbeitet an seiner Partitur, ist aber nicht wohl.
Donnerstag 12ten
R. arbeitet immer, befindet sich aber nicht wohl, der Arzt besteht darauf, daß er Emser Wasser trinkt, und er scheint mir sich dadurch nur mehr aufzuregen, auch ist zu viel Sorge da: der Kostenanschlag des Hauses wird immer höher, die Kinder brauchen immer mehr, und die Einnahmen vergrößern sich nicht. Zum Glück sind nicht die Gedanken beständig dieser Art, und fliegen sie gen oben. Viel mit den Kindern; abends Rheingold vorgenommen, große Freude.
Freitag 13ten
Immer Melusine! Sorge dabei, daß meine Kinder durch den Zuschnitt unseres Hauses sich verleiten lassen, sich für reich zu halten, und unachtsam auf ihre Sachen bleiben. - Der König von Bayern entsetzt wieder alles durch eine Kabinettsordre, welche dem Militär befiehlt,
doch Spalier bei der Fronleichnamsprozession zu machen, als Gegenbefehl, da General von der Tann[6] es verboten hatte. Trostlos! Brief von Frau von Mey., daß Hans jetzt bei dem Vater in Weimar ist. - Hübscher Nachmittag im Garten, Fidi der Gärtner erinnert R. an ein Buch »Christus der Esseer«, welches er in Thun einst gelesen und welches trotz seiner rationalistischen Tendenz sehr rührend gewesen sei, Begegnung von Christus als Gärtner mit Magdalena. - R. wünscht ein lebensgroßes Bild von Fidi, wie er jetzt ist. - Am Morgen sprach mir R. von dem Widmungsgedicht des Tannhäuser an den Großherzog von Weimar, ungefähr des Inhaltes: Im Mittelalter verpönten Pfaffen und Mönche das Leben, die Ritter retteten es in der Dichtkunst, ein Zeichen davon sei die Wartburg, nun solle die Wartburg, wiederum unter einem großherzigen Fürsten, die Kunst vor dem Merkantilismus retten. - Die Widmung - durch den Vater angegeben - wurde abgeschlagen. Abends Rheingold vorgenommen. - Der Brief über Schauspieler ist endlich im Almanach des Herrn Gettke erschienen.
Sonnabend 14ten
Endliche Versöhnung mit dem Kinde und Hoffnung, daß die Lehre ihr bleibt. - Einige Briefe geschrieben (Klara), mit den Kindern viel verkehrt. Wolkenbruch, Bayreuth unter Wasser. Brief von Marie Schl, der Khedive hat 11 Patronatsscheine genommen. Abends Schluß des Rheingoldes. Abschied von Sascha R. und dem jungen Kummer. - Wir müssen heute sehr lachen über ein Mißverständnis, das uns befangen; gestern im Hofgarten gehend sagt R., nach dem neuen Hause blickend: »Unser Tor scheint große Sensation zu machen«, ich: »Wer sagt das?« R., ungeduldig: »Wen sehe ich denn, aus dem Tagblatt habe ich es.« Ich bestürzt, daß die Geschichte unserer Gartentüre im Tagblatt stand, rufe: »Im Tagblatt?« »Nun ja, im Tagblatt«, sagt R. im ärgerlichsten Tone. Heute nun bitte ich ihn um das Blatt, da ich gern sähe, was über unsere Türe darin steht, und erfahre, daß R. den König (anknüpfend an seine Depesche) mit dem Tor gemeint hat und deshalb mich gar nicht verstand; wir müssen viel lachen und besprechen dann das Tragische der Mißverständnisse.
Sonntag 15ten
R. kommt auf den Gedanken, Herrn Wesendonck vorzuschlagen, die zweiten 100 000 Thaler vorzuschießen. Gedanke, Herrn Riederer[7] und Erlanger hinzuzunehmen - beständiges Brüten. Herr Voltz kommt, bringt aber keine besonderen Nachrichten. Ein wenig promeniert (mit den Kindern). Abends Freude wiederum zu zweien zu sein, wir fahren in »Ardinghello« fort mit großem Interesse, und R. kommt immer wieder darauf zurück, wie dieses Buch auf ihn gewirkt hätte und die Konzeption des »Kunstwerkes der Zukunft« beeinflußt hätte (R. arbeitete früh an seiner Partitur.)
Montag 16ten
Heftige Regengüsse, Fidi erkältet, hustet; dazu üble Nachrichten unseres armen kleinen Putz, mit jedem neuen Wesen entspringt doch ein Quell der Qual. Wir schicken den Tierarzt nach Weidenberg und wollen Besseres hoffen. - Ich schlief nicht gut, Sorge um die Kinder bedrängt mich. R. ist etwas wohler, arbeitet an seiner Partitur und freut sich über das Literaturblatt von Fritzsch, welches eine sehr gute Darstellung des Verhältnisses von Jung-Deutschland und der von ihm ausgegangenen Literatur zu der eigentlichen Dichtkunst enthält. R. spricht von den fremden Worten und dem ganzen Begriff der Literatur und sagt, »was wir nicht in unserer Sprache ausdrücken können, hat auch keinen Wert für uns«. Er zeigt mir die » Rechtsaltertümer« von J. Grimm, die er nun erhalten hat, freut sich dessen, und wie ich über die Herrlichkeit eines Wesens wie J. G. mich auslasse, der diesen Sinn für deutsches Wesen gehabt, sagt R., er sei förmlich gekränkt, wenn er nun sehe, wie er wegen einiger Blößen, die er sich gegeben (wie z. B. in Bezug auf Kelten) förmlich gehofmeistert würde. - Schreckliche Kunde von dem Ertrinken des einzigen Kindes eines Herrn aus Hof, das hier studierte. O Gott, alle diese Möglichkeiten des Elendes! Herr Kietz ist wieder da, um R.'s Büste zu machen. Abends nehmen wir wiederum »Ardinghello« vor, und ich muß R. bitten, die Lektüre zu unterbrechen, so sehr verstimmen und verdrießen mich einige Schilderungen, die ich nicht griechisch, sondern französisch finden muß.
Dienstag 17ten
Endlich wiederum ein schöner Tag; zum Frühstück kommen wir auf Ardinghello zu sprechen, und R. sagt mir herrliche Dinge über die Griechen und die Plastiker, die Cäcilia ist die Erlöserin, beschließt er seine Rede. Ich gehe mit den Kindern spazieren; wie ich heimkomme, ruft mir R. aus dem Fenster zu: »Putz ist da, er hat sich unmäßig gefreut«, und wie ich ankomme, erfahre ich, daß das Tierchen nichts gelernt und Heimwehkrank dort gewesen sei. Die Kinder sind überglücklich, und nun ist alles im alten Zustand nach einem mißglückten Versuch. Zur Feier dieses Ereignisses die Kinder nach Rollwenzel geschickt, wir holen sie zu ihrer großen Überraschung dort ein und fahren mit ihnen zur Flachsspinnerei; schöner Weg, schönste Heimfahrt bei herrlichem Sonnenuntergang. R. will mich nur immer beklagen, daß er mich zu solcher Gesellschaft bringt, während ich froh bin, gute fleißige Menschen zu sehen, die ihm gewogen sind. - Abends, da R. mich versichert, daß die widerwärtigen Scenen sich nicht wiederholen, fahren wir in »Ardinghello« fort und müssen wiederum an der Genialität der Urteile und der Lebendigkeit der Darstellung sehr erfreut [sein]; wiederum ein Deutscher, sagt R., und es ging ein guter Zug durch diese Zeit. - R. kommt auf den Gedanken, Vorlesungen über »Was ist deutsch« in den großen Städten zu halten, er würde zugunsten Bayreuths einen hohen Eintrittspreis nehmen - es würde ihn nicht so angreifen und moralisch so deprimieren wie die Konzerte. Gedanken über die Schwierigkeiten der Unternehmung, Sänger, Dekorationen, es wäre schon gerade genug, sagt R., wenn ich mit dem 70. Jahre diese Aufführung erlebte.
Mittwoch 18ten
Die Broschüre kommt endlich an, allein wiederum zu großem Ärger R.'s, da die Pläne schlecht gedruckt sind. Dieser Ärger verdirbt uns die sonst hübscheste Stunde des Tages, das Frühstück. Ich bei den Kindern, R. an die Arbeit, beklagt sich über Zerstreutheiten, die ihm sonst nie passiert seien, sein Kopf sei zu voll. Ich erschrecke über die Last, die auf ihm liegt, und nehme mir vor, mit keiner Haarbreite mit meinen Sorgen sie zu vermehren. Herr Kietz zu Mittag. Großes Gewitter, wie diesen Sommer alle zwei Tage. - Ein Student schreibt enthusiastisch und bittet R., anstatt im Lohengrin: »Nie sollst du mich befragen, noch Wissen's Sorge tragen«, doch auch Nie Wissen's Sorge tragen zu setzen! - Abends »Ardinghello« (das große Kunstgespräch). - R. breitete sich heute aus über das Verdienst der Ritter, das nicht hoch genug zu preisen sei, die deutsche Sprache geschrieben zu haben, zu einer Zeit, wo alle Edikte und alles lateinisch war; »die Kerle taten das aus Stolz, und dieser Stolz ist herrlich«. - Über die Slaven, ihr Verdienst um unsere Musik durch ihre Tanzweisen, Haydn's Verdienst, diese Weisen zuerst aufgenommen zu haben, die Beethoven in so idealer Form gebraucht. Wir Deutschen wissen nicht viel von unsren Tanzweisen, alles hat sich auf das Lied zurückgezogen, darum waren die Slaven uns so wichtig, und es ist schändlich, daß diese elende österreichische Regierung sie uns entfremdet hat. - R. hat den Xenienkampf[8] acquiriert, freut sich dessen und der Jovialität, die darin atmet, und sagt, er spüre selbst Lust, mit solchen Xenien herauszukommen, dieselben müßten aber niemanden verschonen, von Kaiserin Augusta an bis selbst zu Bismarck.
Donnerstag 19ten
Der Prozeß gegen Direktor Haase aus Leipzig ist gewonnen, das stellt einige für das Haus sehr nötige tausend Thaler in Aussicht. - Schwüle der Temperatur; R. arbeitet, ich schreibe einige Briefe und bleibe bei den Kindern. Nachmittags in unseren Garten, der uns schon viel Freude macht, R. sitzt dem Herrn Kietz, ich fürchte aber, daß die Büste nicht gut wird. - Beim Abendbrot kommen wir auf das große Kunstgespräch im »Ardinghello« zurück und müssen es von der höchsten Genialität finden; der Gedanke, daß Raphael selbst Pinsel und Bleistift weggeworfen haben würde, zeigt, daß Heinse empfunden hat, daß es der Musik einzig bestimmt war, die Seele der Dinge zu erfassen und wiederzugeben. - Abends Pr. Nohl; wir kommen auf Bismarck und seinen jetzigen Kampf mit dem Reichstag zu sprechen und sind wahrhaft empört über die Lage, in die er gerät, kein Verdienst hilft dem großen Mann. Der Jude Lasker[9] wird ihm gegenüber gestellt. Furchtbar rächt sich das Spiel, eine verachtete Institution - wie die Kammer vor Bismarck von je war - anscheinend ernstgenommen zu haben, um sie gelegentlich zu verhöhnen. Gott gebe nur, daß dem unsinnigen Parlamentarismus ein Ende gemacht werde. - Wie die guten Leute (Nohl, Kietz, zu denen sich auch schließlich Feustel gesellt) sich entfernt, gestehen wir uns, daß jeder Verkehr mit den Menschen für uns ein Opfer ist und daß wir nur glücklich sind, wenn wir allein sind.
Freitag 20ten, Sonnabend 21ten, Sonntag 22ten, Montag 23ten
Alle die Tage nicht dazu gekommen, in mein Tagebuch zu schreiben. Viel mit den Kindern beschäftigt, und nachmittags immer in unserem Hause, (und Garten)*(*( ) Nachträglich eingefügt) das uns schon viel Freude macht. Von außen nicht viel, R. arbeitet an seiner Partitur. Wir beendigen den »Ardinghello« mit nachlassendem Interesse, was R. dem Umstand zuschreibt, daß Heinse bis Rom alles gesehen hatte, während von da ab alles erfunden war, da er nicht nach Neapel gekommen. Große Hitze, worauf immer Gewitter. Viele Besorgungen für das Haus und viele Sorgen für das Theater. Ich lese mit Interesse im »Paulus« von Renan.[10] - Schönes Gebaren der Schweiz, die sich durch eine große Eidgenossen-Versammlung gegen Rom erklärt. - Hans schickt mir Papiere aus München zurück; wehmütiges Ordnen dieser alten Papiere, Wohnung für Malwida Meysenbug genommen. Freude darüber, daß wir in unser Haus einst einziehen werden, und von der Welt, die uns durch alle ihre Organe, Zeitungen, Moden, Kunstanstalten nur Trauriges zuführt, getrennt sein werden. R. immer mit den Kelten beschäftigt. Große Freude an Fidi in großem Gartenhut und weißem Hemd, [der] uns mit seinem Beil im Garten an die arbeitenden Engel von Dürer erinnert (in der Mariengeschichte).
Dienstag 24ten
Johannistag! Schöner Brief des Königs an R. und schöner Brief R.'s an Bismarck, ihm die neue Broschüre zusendend. Ich ordne Papiere und liefere R. seinen Kontrakt mit Flaxland, um gegen Herrn Fürstner operieren zu können. - Wie ich R. von der Prädikation des h. Paulus in Athen erzähle, sagt er, für mich ist der Mittelpunkt der Lehre: Bis jetzt habt ihr nur die Milch meiner Lehre kennengelernt, jetzt sollt ihr das Blut kennen lernen - das Beispiel, den Tod. Nachmittags zur Sitzung im neuen Hause, die Büste wird ganz leidlich, wie mich dünkt. -Unerquicklicher Brief des Herrn Beta, welcher erzählt, daß seine Aufsätze die Existenz der Zeitung, welche eine sehr glänzende war, gefährdet haben, und R. bittet, ihm 20 000 Thaler zu verschaffen!... Kummer über Loldi. Freude an den Amseln, die wundervoll hier und bei unsrem Hause singen. - Wir beginnen die Biographie Bismarck's von Hesekiel[11] und sind von der Seichtigkeit der modernen Art (schlecht und modern wird unser Motto) wirklich erschrocken. - R. gibt in seinen 9ten Band die »Kapitulation« mit einem Vorwort, das er mir vorliest. Er hatte nicht Manuskripte, und darum entschloß er sich, dieses Produkt, das er sonst lieber für uns behalten, zu veröffentlichen. Er sagt dabei: Er müsse immer etwas tun, was ich nicht ganz gut heißen könne, worüber, wenn es geschehen sei, ich ihm aber nie Vorwürfe machte, weil ich viel besser sei als er, er erinnert mich dabei an die Publikation des »Judentums«. - In Frankreich herrschen jetzt die Wallfahrten!!
Mittwoch 25ten
Sturmwetter; unser Sommer will nicht gleichmäßig werden. R. arbeitet an seiner Partitur, beklagt sich dabei über die eingerissene Unachtsamkeit im Spielen, welche ihn zwänge, viel mehr Noten zu schreiben, weil die Musiker jetzt keiner Note ihren Wert geben, er also immer zwei für eine mit einem Verbindungszeichen schriebe. - Kindertisch, ich erzähle vom »Paulus« von Renan, der Gegenstand fesselt sehr. - Nach Tisch gemeinschaftliches Sinnen über unsere Liebe und ihre Phasen, erste Liebe, Treue, letzte Liebe. R. sagt - von Fidi sprechend -, das trenne ihn förmlich von den Leuten, da sie nicht diesen Knaben erkennten. Nachmittags Spaziergang im Hofgarten, keine Sitzung, weil zu windig. Abends Geschichte der Sagenpoesie von Uhland,[12] mit großem Interesse begonnen; Freude an unserer Bibliothek; da bei dem persischen Ferwer Uhland sich auf Görres bezieht, können wir gleich nachsehen. R. erinnert sich daran, daß Heine über Uhland sich lustig gemacht, ein ächter emsiger sinniger deutscher Mann, war recht dazu da, um von dem Juden verspottet zu werden. - Herrliche Freude an diesen Beschäftigungen, ganz reine Freuden; alles sonst ist sorgenvoll! Während ich vorlas, atmete R. laut auf, ich frug ihn, was er hätte, er sagte, er sei von einem Gedanken überwältigt worden, er habe an die Anleitung, die er Fidi für seine Lektüre geben wollte, gedacht.
Donnerstag 26ten
Viel über Paulus am Morgen gesprochen, dann geht R. an seine Arbeit, sich freuend, für 8 Hörner zu schreiben zu haben. Zu Tisch unser Freund der Bildhauer, welcher uns zuerst recht unterhält durch seine Mitteilungen über den Zustand in Dresden im Jahre 66, der König mit Familie und die ganze Armee zuerst auf und davon! Dann die allgemeine Überzeugung vom Siege der Österreicher; so daß der Redakteur des Tagblattes Kietz erklärte: Ich muß die Bulletins der Preußen drucken (sie hatten Okkupation) und weiß doch, daß sie falsch sind! - Dann rührt mich unser Freund durch seine Mitteilungen von den Eindrücken, die er R. verdanke, die herrlichen Aufführungen unter seiner Leitung[13] (»Iphigenie«,» Alceste«), das Erleben seines Schaffens, er könne sich nicht vorstellen, was er wäre, wenn er das nicht erlebt hätte. Er erzählt weiter, wie er die Inserate, die damals R. in der Theaterangelegenheit, um etwas Leben hineinzubringen, verfertigte und unterschrieben [habe]: »Zwei vacierende Studenten, J. P., FR.« (Jean Paul, Friedrich Richter), in die Zeitung getragen, und wie das Geld, das R. dafür ausgab, [ihn] gereut hätte, einmal wären es bis 10 Thaler gewesen! Nachmittags geht
R. zu Feustel, eine Hypothek wird aufgenommen (12.000 Th.), was mich erschreckt! - Brief des Vaters aus Dornburg, vom Schreibtisch Goethe's. Abends bis Mitternacht in Uhland's Buch gelesen.
Freitag 27ten
Wie wir Fidi am Morgen fragen, was er werden will, antwortet er: »Herr vom neuen Hause.« R. ist heute nicht wohl und kann nicht viel arbeiten. An Carl Gersdorff geschrieben. Nachmittags Ärger über unser Tagblatt; die Notiz über den Bau lautet in den ausländischen Zeitungen, daß der materielle Bestandteil der Unternehmung gesichert sei und nur die Sorgfalt um die ausführenden Kräfte die Aufführungen verzögern werde, was der hiesige Mann in Abrede stellt! R. erfährt, daß der Redakteur gewechselt worden sei und ein Berliner - wahrscheinlich ein Jude! - nun engagiert sei. - Regenwetter, aber doch zum neuen Hause mit allen Kindern, keine große Freude an der Büste, sehr fraglich, ob dieselbe noch gut wird! Abends in Uhland weiter gelesen.
Sonnabend 28ten
Zum Hause in der Frühe, Luftheizungsexperimente. Freude am Garten und an Fidi! Nachmittags Sitzung, abends Uhland. Zum Nachmittagskaffee die kleine und die große Welt, wie R. sich ausdrückt, in unseren Gesprächen in Ordnung gebracht. - Zu Tisch erzählt er mir von der Oper »Eine Nacht im Walde« von Dalayrac,[14] Rettungsoper wie alle die nach der Revolution geschriebenen, wie rührend und interessant die sei; dann von einer französischen neuen Oper, die er in Paris gesehen, wo zwei Kavaliere schweigend erkennen, daß sie sich schlagen müssen, und sich schlagen - wie ausgezeichnet das gespielt worden sei, »ja, Komödianten sind die Franzosen, prachtvolle. Nur müssen es Dinge sein, die sie verstünden, den herzlich ruhigen Ton, in dem z. B. der Landgraf zu singen hat, trifft kein Franzose«. -
Sonntag 29ten
Zur Kirche mit den Kindern, von der Predigt haben wir zu entnehmen, daß, so gut wie man sich in die Feuerversicherung einzuschreiben habe, so gut auch müsse man sich des Himmels versichern! R. arbeitet. Kindertisch mit dem guten Kietz, dessen Arbeit mich immer melancholischer macht! Abends in Uhland gelesen, die Vergleichung von der persischen und der Wolfdietrichssage[15] macht uns große Freude.
Montag 30ten
R. hatte keine gute Nacht und arbeitet ohne Lust, den Kopf zu voll von allerlei moralischen und materiellen Sorgen, wie schwer bleibt der Pfad! Das, was man sieht, läßt einem keine Hoffnung, und da man doch wirkt und schafft, folglich hofft, so glaubt [man] an das Unbekannte! - Ich verbringe so peinlich meinen Morgen mit Herrn Dahn[16] und dem Wartburgkrieg, ersterer macht Gedichte, wo er Heinrich von Ofterdingen als Tannhäuser auftreten und von Elisabeth reden läßt, ohne im mindesten R.'s zu gedenken, was mich wirklich empört und ich dem Literaturblatt anzeigen will, doch kommen wir überein, das fahren zu lassen. - Im Hause viel Kummer, wahrscheinlich sehr lang verzögerter Einzug. Abends großes Gewitter und Uhland! Die nordischen Sagen (durch die Öffnung von Wotan's Mantel der Held das Meer erblickend, das Anerkenntnis mit seinem Sohn, und der alte Isländer, der seinen Sohn nicht im Beutel tragen will, die Geldbuße für den Mord verweigert und dafür dem Mörder wohltätig ist!) scheinen uns alles durch ihre Drastik zu verdunkeln.