Donnerstag 1ten
Rechentag! Viel, gar viel wird gebraucht! in Gottes Namen - -. Aber endlich schöner glänzender Himmel. R. geht aus, abends lesen wir den »Frieden« zu Ende, so viel eben, als R. mit mir lesen kann, es bleibt genug, um ob der Genialität starr zu sein, lachend gingen die Athener zu Grunde.
Freitag 2ten
Immer Arbeit mit den Kindern; R. hat gerade keine erfreulichen Notizen von den Sängern und der Sängerin, welche nach London mit sollten. R. vergleicht die Schauspieler mit dem Hirsch, welcher nichts tut, so lang er scheu ist und Angst hat, ist man aber gut gegen ihn, so stößt er einen mit den Hörnern! Es wird eine sehr böswillige Zeitung aus England geschickt und aus Wien auch Höhnisches. - Abends Beginn von Lassen's Buch über Indien.[1]
Sonnabend 3ten
Arbeit mit den Kindern, und R. bei sich, ich denke, an dem Parzival dichtend! Doch ist er nicht wohl, und abends gewinnt wieder eine bitterste Stimmung die Oberhand. Er mag nichts mehr mit der Öffentlichkeit zu tun haben, wenn nur London absolviert ist; dann verkauft er das Nibelungenwerk überall, dessen Bruchstücke doch jetzt in jedem Konzerte zum besten gegeben werden, und gedenkt nie mehr eines Theaters.
Sonntag 4te
Brief-Tag für mich; R. Gott sei Dank in erheiterter Stimmung. Wir sind aber erstaunt, nichts von London zu hören - so weit gelangten wir nun, dies zu wünschen!... Abends in dem indischen Lassen gelesen; R. liest für sich die Geschichte Hollands von meiner Mutter, wo er die Frau sehr herausmerkt, welches ihm aber gefällt, abgesehen von den französischen Phrasen über Gott... Ich lese »Oedipus auf Kolonos« und bin tief erschüttert; namentlich die Realistik erstaunt mich; Oedipus so heftig, unresigniert, unheilig, erinnert mich an K. Lear, und wie individuell Kreon und Theseus. Bei Aischylos alles idealer.
Montag 5ten
Todestag meiner Mutter, ich schreibe ihrem Freunde, Mr. Tribert, und verbringe ihn still gedenkend! Die Bücher über Indien von Lassen begonnen; R. nicht zu sehr damit zufrieden.
Dienstag 6ten
Mein Vater schickt einen Brief von Herrn Ullmann, worin zuerst von einer wichtigen Nachricht für Hans gesprochen wird. Fand ich Erhörung, o mein Gott! Kam Freundliches ein wenig ihm zu?... In demselben Schreiben ist auch die Rede von unserer Reise nach London und wenig günstige Auspizien dafür gefunden. Abends in Lassen gelesen. Gedichte von Goethe darauf.
Mittwoch 7ten
Gleiches Leben; trauriger Brief von Neffe Clemens, wirklich ist dort alles verdorrt! Viele Depeschen kamen gestern von Wien über den »Erfolg« der Walküre, welcher schon im voraus benutzt war, um die Festspiele herabzuziehen. Bittere Empfindungen darüber; durch Per-fidie erworben, wird das Werk gebraucht zur Derision seines Autors! Wiederum abends mit Goethe zu unserem Gaudium gelebt. Gedichte des 2ten & 3ten Bandes vorgenommen.
Donnerstag 8ten
Arbeit mit den Kindern, Spaziergang, das Wetter nicht hübsch, grau, sonnenlos... Trübe Gedanken, durch Walküre hervorgebracht. Abends Gedichte von Goethe, R. unzufrieden mit dem Gedicht an Oken,[2] welches ich vergeblich zu verteidigen suche.
Freitag 9ten
Abfahrt nach Meiningen; Ankunft um 4 Uhr, der Herzog und seine Frau empfangen uns auf der Treppe des Schlosses, wo wir sehr schön untergebracht sind. Abends im Theater »Esther« und »Le Malade imaginair« mit der »Promotion«, letztere viel zu gedehnt; das Lustspiel vortrefflich gegeben, »Esther«[3] recht rührend bei großen Schwächen, »die Sentimentalität gut, keine Naivität«, sagt R. Abends trinken der Herzog und seine Frau den Tee in unseren Räumen, trauliches heiteres Gespräch.
Sonnabend 10ten
Allerlei Aufmerksamkeiten, Quartett aus Rheingold, Militärmusik, Probe im Schloß vom »Idyll«, von den »Festklängen« und »Faustouvertüre«. Tafel um 2 Uhr, sehr hübsch. Darauf werde ich von Prinzeß Marie empfangen und von der Herzogin-Mutter, was bei der Feindseligkeit, zwischen beiden Höfen herrschend, sehr außerordentlich erscheint. Abends Hofkonzert, R. am Schluß unwohl.
Sonntag 11ten
Besuche von den verschiedenen Hofdamen empfangen, darauf zu Frau v. Heldburg und vom Herzog empfangen; Anerbieten des Komturkreuzes, meine Erklärung, daß Annahme leider unmöglich. R. bei Prinzeß Marie, eigentlich eine »Anti-Wagnerianerin«, wie der Herzog lächelnd sagte, dann bei Herzog Bernhard, welcher eine scharfe Kritik des Meininger Theaters ausspricht (alles auf das Äußerliche gegeben, sie wüßten nicht zu sprechen), überall sehr gnädig aufgenommen. Darauf große Tafel, immer mit Bonbons-Photographien aus dem Ring. - Der Herzog hatte jede Musik von R. als Tafelmusik gestrichen, worauf R. den »Huldigungsmarsch« auf das Programm setzte. Abends »Julius Cäsar«! (Vor dem Theater Spaziergang mit dem Herzog durch Meiningen, R. sagt: »Die Werra ist meine Freundin.«)*(* ( ) Am Rande nachgetragen, durch Zeichen im Text eingefügt.) Da Brutus, Cassius, Casca, Cäsar mehr denn mittelmäßig waren, war ich beim Beginn sehr in Sorge wegen R., welcher mit mir neben dem Herzog in der Mittelloge saß; die Ermordung Cäsar's aber, der Antonius (Herr Dettmer aus Dresden), die große Volksscene waren so großartig, daß alles gern dann in Kauf genommen ward, und wiederum war der Eindruck dieser unvergleichlichen Dichtung über alle Schilderung mächtig. - Abends wieder traulicher Tee bei uns.
Montag 12ten
Abschied von dem freundlichen, ernst gesinnten Herrn, welchem R. in vollster Aufrichtigkeit sagen konnte, daß er sich ihm gern angenehm erweisen möchte. Traurigste Mitteilungen über den Dichter Bodenstedt[4] wurden uns gemacht, welcher, sein ganzes Gehalt beziehend, schmählich über den Herzog und dessen Frau überall spricht!... Um 10 Uhr Abfahrt, von Blumen geschmückt, Ankunft um 4; den Kindern viel erzählt. Abends wohl, ein wenig Müdigkeit.
Dienstag 13ten
Arbeit wieder begonnen! Mit London noch immer nicht im reinen. Traurige Nachrichten von Gräfin Voß, sie erblindet! - R. schreibt einen herrlichen Brief an den Herzog und schickt seine gesammelten Schriften. Abends lesen wir einen sehr hübschen Aufsatz eines Dr. Gehring[5] über die Walküre in Wien (Deutsche Zeitung), worin das Schamlose dieser Aufführung und der daran geknüpften Bemerkungen über Bayreuth wenigstens angedeutet ist. Darauf in Fr. Schlegel »Poesie der Griechen und Römer« gelesen.
Mittwoch 14ten
R. dichtet am Bühnenweihespiel; bei Tisch sagt er mir, »sie wird Gundrigia, Strickerin des Krieges heißen«, dann aber meint er, wird er bei »Kundry« bleiben. Und Parsifal[6] wird er heißen. Abends liest er mir die Scenen vor, wo J. Cäsar vorkommt, und sagt, ganz als Original müsse er aufgefaßt werden und als müder Mann, wie er auch ein Mal beim Plutarch sagt: Brutus würde wohl Zeit haben, zu warten, »bis das müde Fleisch von ihm abfiele«, wie Cromwell ein wenig. O könnten die Schauspieler in R.'s Schule gehen, seinen Brutus, den düsteren schlichten, hören, seinen Cäsar, den einfachen müden. Er liest in Plutarch Brutus' Leben.
Donnerstag 15ten
R. dichtet, ich arbeite mit den Kindern und habe Haussorgen und Nöte! Ein Brief von Herrn Hillebrand, in Erwiderung auf das Schreiben R.'s, erfreut wenig. Dagegen schrieb Herr Niemann sehr hübsch, wir sandten unseren Kos ab (der kleine Hund) an ihn, mit einiger Schwermut; R. versieht ihn mit Versen. - Wir erhalten auch den Kontrakt von London, welcher, sehr anständig gehalten, sofort unterzeichnet wird. Abends viele Schreibereien nach England u.s.w. R. schwermütig.
Freitag 16ten
R. spricht von seinen Versen, er habe noch keinen Reim gemacht; je natürlicher die Musik sei, um so unangebrachter sei der Endreim. - Depesche aus Turin über den Erfolg des Lohengrin in Turin.*(* Telegramm vom gleichen Tage in italienischer Sprache beigelegt, s. Anm.[7]) Abends langer Brief von Herrn Hodge, welcher alle Einzelheiten zu erfahren wünscht. Ich antworte gemeinschaftlich mit R. - An Daniella geschrieben, ernst, über ihre Heimkehr.
Sonnabend 17ten
R. arbeitet, und ich in meiner Weise auch, mit den Kindern. Sehr hübscher Brief vom Herzog von Meiningen, dessen ganzes einfaches gutes Wesen sich darin zeigt. Der gute Brassin[8] von Breslau, zu einem Konzert hieher gekommen, speist mit uns; Erinnerungen an Bayreuth! Abends ein trauriges Konzert der Dilettanten, worin einzig Boni sehr hübsch mir Freude macht.
Sonntag 18ten
In die Kirche mit Boni, darauf Parade-Musik, der Nibelungen-Marsch ... — Nachmittags bei der alten Bonin Auf sess. R. arbeitet sein Programm mit 46 Nummern für London aus.
Montag 19ten
Trotz London und übrigem findet R. immer noch Stimmung, um des Morgens am Parsifal zu dichten. - Der Nachmittag freilich geht im »Comptoir-Rausch«, wie er sagt, vorbei, da er beständig jetzt für London sinnt und arbeitet. - Prozeß-Angelegenheit mit einem hiesigen Photographen und — Antigone. Nach Tisch zeigte mir R. im Plutarch die merkwürdige Stelle, wo Cassius dem Brutus die Auseinandersetzung über Visionen macht. In Wien 4te Aufführung der Walküre bei [sich] steigerndem Erfolg, der Kaiser wohnte zum 3ten Mal der Aufführung bei, was man sehr merkwürdig finden will. Mir ist es, als ob ein geprüfter Fürst Wotan verstehen könne.
Dienstag 20ten
Boni's vierzehn Jahre werden gefeiert, und ich richte Siegfried's neue Stube unten und Daniella's Stube oben ein. R. arbeitet des Morgens an Parsifal und abends bis gegen zehn an der Einrichtung der Programme für London.
Mittwoch 21ten
Frühjahrs-Anfang; Studium und Spaziergang bei schönem Wetter. R. morgens dichtend, abends schaffend. Spät noch fahren wir zur Bahn, weil uns aus Weimar gemeldet wurde, daß mein Vater ankäme; allein er kam nicht. - Von Kassel erhalte ich den Korrektur-Bo-gen des Jahres 1870 aus der Biographie R.'s durch Herrn Glasenapp, welches mich sehr rührt.
Donnerstag 22ten
»Für euch ist die Sehnsucht zum Edeln der Quell vieles Ekeln«, sagt mir R., wie ich ihm mitteilte, wie viele Männer den Frauen bloß durch Unsauberkeit unerträglich sein müssen. Er arbeitet des Morgens, während am Abend regelmäßige Nöte wegen des Londoner Konzertes; kein Gedanke mehr an gemeinschaftliche Lektüre, Briefe und zahllose Depeschen! München wie immer feig und perfid.
Freitag 23ten
»Ohnmächtig, die Sünde in sich[9] zu vernichten, legte er an sich die frevelnde Hand, welche verächtlich zurückwies der Hüter des Grals -«, - dies der Vers von heute, welchen R. mir sagt. — Im übrigen dasselbe Leben; Herr Unger erscheint wegen Besprechung der Konzert-Angelegenheit. - In diesen Tagen las ich einige Kapitel in Schlegel und unter andrem auch seine Beurteilung Sophokles'! Ich mußte sehr erstaunen über die »Leichtfertigkeit« von Jokaste, während ihr aufgeregtes Höhnen der Orakel mir erschienen ist als die leidenschaftliche Gier, den Nachforschungen ein Ende zu machen. Auch kann ich die milde Resignation im »Oedipus auf Kolonos« durchaus nicht finden. Vielmehr erschrickt einen förmlich die Leidenschaftlichkeit gegen Kreon und den Sohn, und mußte ich öfters an K. Lear denken.
Sonnabend 24ten*
(* Fälschlich »25ten«, irrtümlich datiert bis einschließlich Montag, 26. März.) »Du siehst, mein Sohn,[10] hier wird die Zeit zum Raum«, - sagt mir heute R. - Ankunft Lusch's um 9 Uhr, um elf Uhr mein Vater; viel freudiges Geplauder, zumeist über Wien, wo mein Vater für das Beethoven-Denkmal gespielt hat. Die Walküre scheint eines enormen Erfolges sich zu erfreuen. Fürstin Metternich erklärt, daß der Wagner-Schwindel ihr nicht hoch genug gehen könne, und mein Vater erhielt den Auftrag, 20 000 Mark anzubieten und einen Stern, ja vielleicht Groß-Kordon, wenn R. die drei andren Werke überlassen wollte!... R. bittet, daß der Kaiser ihm diesen Wunsch ausdrücken lasse durch Minister Hofmann.
Palm-Sonntag 25ten
n die Kirche mit den Kindern, darauf meinen Vater in der katholischen Kirche abgeholt. Heiteres Mahl zusammen, abends viel von unserer Londoner Unternehmung ihm erzählt.*(* Hinweiszeichen am Rand auf den folgenden Nachtrag, der sich am Ende der Eintragung von Donnerstag, 29. März, befindet.) Nachtrag zum Palmsonntag Dr Förster von Leipzig Wer, R. sucht ihn zu überreden, die Festspiele zu übernehmen, dann würde er ihm auch das Werk für Leipzig geben. Dr Förster zeigt sich nicht ganz ungeneigt.
Montag 26ten
Arbeit mit den Kinderr», R. am Parsifal, Vater an den Korrekturen von »Chopin«[11]; Zusammenfinden bei Tisch, wo man sich mitteilt, was geschah. Abends spielt uns mein Vater »Benediction de Dieu« aus seinen »Harmonies« vor.
Dienstag 27ten
Selbes Leben, mit dem Zusatz, daß viele Konfusionen in London herrschen, daß wir mit unseren Sängern noch immer nicht einig sind, daß Herr v. Perfall ein direktes Gesuch von R. verlangt, um Schlosser Urlaub zu geben, dito Herr v. Hülsen, desgleichen der Großherzog von Schwerin, dann Kmeister Wüllner, um zwei Conservatoristen frei zu geben u.s.w. u.s.w. Dazwischen beängstigende Briefe des Herrn Ullmann, meinend, daß wir den finanziellen Erfolg nicht erzielen würden. Auch spricht er von einem trostlosen Brief von Hans, welchen er erhalten!... Besuch von Freund Feustel.
Mittwoch 28ten
Gott zum Dank! Es arbeitet R. immer weiter an Parsifal, wenn wir auch zuweilen bis spät in die Nacht das widerlich Geschäftliche zu ordnen haben. Herr Hodge bittet um Gestundung der Garantie-Summe, wir gewähren sie ihm durch den Advokaten. - Ankunft von Richter, er bringt sehr grob die 20000 Mark mit dem Ersuchen, daß R. eine Erklärung unterzeichnen möge, daß er die drei andren Werke überläßt. R. beharrt bei dem, was mein Vater an Standhartner geschrieben. R. rühmt die Walküre in Wien, aus meines Vaters Bericht verstehe ich, daß ihr alle Weihe und aller Adel gefehlt.
Donnerstag 29ten
Grein-Donnerstag! Viele Tränen auf dem Herzen, der Heiland empfange sie gnädig! Richter geht, der gute Heckel kommt,' er geht von hier zu einer Wagner-Verein-Versammlung in Leipzig, R. sagt ihm, daß er wünsche, daß die Vereine immer bestünden, wenn er auch nicht bestimmt sagen könne, wohin ihre Tätigkeit jetzt zu lenken sei.**(** Folgt »Nachtrag zum Palmsonntag«.) R. beschließt heute den ersten Akt von Parsifal!
Freitag 30ten
Karfreitag, Gebet, Kirche, mit den jüngeren Kindern die Passion von Johannis. Stille und Andacht. Abends spielt mein Vater Funerailles[12] und die Vogelpredigt zu großem Entzücken R.'s und meinem. - Beschaulicher Tag, einen Wunsch an den Erlöser!...
Sonnabend 31
Für R. nur viele Londoner Nöte, welche ich insoferne tätig teile, als ich die Briefe zu schreiben habe; Herr Unger träge, erschrickt vor dem zu lernenden Tristan! Stimmen-Nöte, man weiß noch nicht, woher alles erlangen. Dabei wird den Herrn Hodge & Essex vor den Kosten bang. Aber dabei doch Musik im Hause, »Hungaria« und »Tasso«; beim Menuett des letzteren sagt mein Vater: »Was sich ziemt.«