Mai

Sonnabend 1ten
Langer Schlaf; böser Brief Feustel's; R. entschließt sich, einen Teil des Terrains der Stadt zurückzugeben, da dieselbe so engherzig ist, nichts zu tun. Ich vergleiche immer R. [mit] dem armen Hasen in dem Märchen zwischen den zwei Swinegels, welche ihn ganz ruhig sich abarbeiten sehen!... Nachmittags zum Theater hinausgefahren bei schönem Wetter, Rus folgt bellend und springend nach; dort den Orchesterraum noch einmal besichtigt; feste Entschlüsse gefaßt. Abends unangenehme Eindrücke für R., der Herr v. Reichenberg, für den Fafner bestimmt, fand nichts Hübscheres als R.'s Haustracht in der Zeitung zu beschreiben, auch das Haus in albernster Weise, R. kündigt ihm.
Sonntag 2ten
Ein trauriger Tag! Rus' Tod wird uns gemeldet in Folge eines Lungenschlages, die gestrige Fahrt scheint ihm dies zugezogen zu haben. Einen unsrer besten Freunde verlieren wir sicherlich mit ihm! Gestern noch mußte ich bemerken, wie er um R. ängstlich und besorgt war, als dieser den Orchesterraum hinabkletterte! Wäre einer von uns gestorben, das Tier hätte es gewiß geahnt, wir werden überrascht - dies noch zu allem andren. Ich schreibe an die Kinder. Abends einige Bekannte -wir sind trübgemut.
Montag 3ten
R. spricht von der möglichen Aufführung des Tannhäuser in Wien, Materna, dann die Venus, »nicht die Meerschaumgeborene, schon eher Meerschaumpfeif-Geräucherte«. - Um zwölf Uhr Begräbnis des Rus; wie ich dessen Tod Fidi melde, sagt er: »Ach Gott im Himmel, was wird seine Frau sagen, wenn sie kommt!« Fidi wußte, daß wir ein Weibchen für Rus bestellt hatten. Um 5 Uhr Abfahrt nach Wien, erträgliche Nachtreise; Ankunft um 9 bei Standhartners.
Dienstag 4ten
Nicht gar gute Nachrichten vom Konzert, die Einnahme wird gering ausfallen. Bei Tisch besucht uns Bon Hofmann und Dor Jauner[1]; ersterer hat wirklich in R.'s Sinn die Opernverhältnisse umgestaltet; Richter, nun dort Kmeister auf R. 's Empfehlung, präsentiert sich auch, gewährt aber keinen angenehmen Eindruck. - Abends »In 80 Tagen um die Welt«, der große jetzige Erfolg; klägliche Wirkung, gänzliche Witz-losigkeit, Mangel jeglicher Phantasie.
Mittwoch 5ten
Probe, Hagen's Wacht sehr schön von Scaria gesungen. Düsterstes Colorit R. ermüdet zu Bett, ich mache einige Besuche. Nach Tisch Direktor Jauner, Fürst Rudolph Liechtenstein, abends Freund Lenbach. Nachmittags besuchte ich mit R. Fürstin Hohenlohe im Augarten.
Donnerstag 6ten
Konzert um 12 Uhr - schöner Eindruck, Hagen's Wacht wiederholt. R. ist aber ermüdet. Ich besuche darauf mit Fürst Liechtenstein und Standhartner die Bilder- und die Blumenausstellung. - Abends Semper, sehr interessant, welcher förmlich im Umgang mit R. auflebt: Schwindel von Polychromie,[2] Wunsch, Wien zu verlassen, »was geht's mich an, ob der Kaiser sich ein Schloß baut«. - Die Deutschen heimatlos, das Genie hat in Deutschland keine Stätte.
Freitag 7ten
Besorgungen am Morgen; um ein Uhr Besuch von Fürstin Hohenlohe und Gräfin Andrassy - beide angenehm und liebenswürdig. Darauf zu Makart, Hundebesichtigung für R. - Abends Abfahrt um 10 Uhr (Schlaf-Coupe). (Am 7ten traf in einem Hof R. eine Gesellschaft armer Blinder, welche so wundervoll das Andante aus der 2ten Symphonie[3] spielten, daß er sich von ihnen gar nicht trennen konnte und mit Tränen davon erzählte. - So erst empfände man die Macht der Musik! Der Violinspieler habe rein wie Gold gespielt!...)*(**  (  )  Nachträglich am Rand über die ganze Seite hinweg hinzugefügt.
Sonnabend 8ten
Ankunft um ein Uhr mittags; die Kinder wohl und heiter angetroffen, leider immer betrübte Briefe von Lusch aus dem Stift. Was tun?
Sonntag 9ten
Hausrevision; der Garten hübsch grün; Vorbereitungen zu R.'s Geburtstag. Nachmittags versuchen wir einen Spaziergang, es ist aber zu schwül, wir kehren heim und verplaudern den Nachmittag im Sommerhäuschen. Abends einige Bekannte, unter andrem Feustel, wiederum böse Nachrichten bringend; während R. durch seinen Entschluß, die Erdarbeiten aufzugeben, glaubte die Proben sich gesichert zu haben, heißt es nun, alles Geld sei durch den Bau verschlungen!... (Großmutters und Daniel's Geburtstag!)
Montag 10ten
Über die Möglichkeiten einer Unterstützung unserer Sache gesprochen, Pringsheim! Niemann?... Versendung der Exemplare der Götterdämmerung (an Mimi, den König, Standhartner). Abends vereitelt mir R. eine Überraschung (zwei Hunde), was mich betrübt und den ganzen Abend in Melancholie hüllt.
Dienstag 11ten
Ankunft von Marco und Bianca, welche R. Marke und Brange tauft, gute Tiere, welche das Grundstück neu beleben. Abends meldet sich Herr Zimmer[4] aus Karlsruhe, welcher auch hier mitarbeiten will.
Mittwoch 12ten
Viele Verhandlungen wegen der Illumination zu R.'s Geburtstag; ich erfahre dabei durch Herrn Groß, daß der Brüssler Wagner-Verein wieder 4500 francs geschickt hat, also im ganzen bereits 10 000 und einige Franken. Abends Besuche von einigen Freunden. - Die Hunde sind schon ganz an R. gewöhnt und können nicht von ihm lassen.
Donnerstag 13ten
Zum Theater mit R. und den Kindern gefahren, Fritz Brandt (der Sohn) auf dem Schnürboden arbeitend, was einen ganz angenehmen Eindruck macht. Abends der gute Macedonier Lalas mit seinem Bruder, Kaufmann aus Salonike. - Vor einigen Tagen erhalte ich einen Brief von Herzogin Lesignano,[5] welche mir eine Empfehlung, die Rossini für mich vor 10 Jahren an sie gegeben, zuschickt. Diese Herzogin (Madame Stolz) wünscht eine Prosceniums-Loge für die Aufführungen! ... Man meldet einen ganz unerhörten Erfolg von Lohengrin in London (italienisch).
Freitag 14ten
R. freut sich des Hauses und der Kinder - erzählt mir auch am Morgen seinen Traum, er habe mit Bismarck auf förmlich zärtlichem Fuß gestanden, und dessen Gesicht habe sich beim Abschied so verklärt, daß R. zu sich selbst gesagt: »Kein Mensch kennt doch dieses Gesicht.« Beim Kaffee lese ich in der Zeitung, daß Hans weit über 10 000 Thaler durch Betrug entwendet worden sind, der ganze Lohn einer Arbeit von zwei Jahren! Diese Nachricht stimmt mich beinahe zum Verlieren meines Gleichgewichtes traurig; wenn nur einen Augenblick die Stimmung der völligen Ergebenheit in alles verloren wird, so kommt ein solcher Schlag und führt uns wieder zur traurigen Ruhe!... Wie hart, wie schwer!... Abends in »Timaios«[6] wiederum gelesen, zum ersten Male seit langer Zeit ein Buch in die Hand genommen — Ailinos, das Gute siege, führt uns zu der Oresteia, ein Blick, dahinein geworfen, erschrickt förmlich! ... Abends Marke und Brange im Mondschein vor der Saaltüre gelagert; sehr schön!
Sonnabend 15ten
Stundenplan für die Kleinen; Brief von der Oberin über Boni und Lusch, namentlich ihr Urteil über letztere betrübt mich; Ermahnungen an die Kinder!... Sehr hübscher Brief von O. Bach und sehr schöner von Freund Nietzsche über die Götterdämmerung. R. sagte mir: »Das muß dir doch Freude machen, daß ich unter deiner Ägide solches geschaffen«, ich erwidere: Er habe ja ohne mich auch schon geschaffen, »ja, aber nimmermehr hätte ich das geschrieben, du hast diese Töne aus mir gelockt«. Er denkt viel an den Parzival, will seine Lektüren auf dieses Ziel richten. Gott segne ihn! Abends den Tee im Garten, ein recommandierter Brief aus Braunschweig, R. hat sogleich eine Ahnung und wirklich, Schroetter, der neu gewonnene Siegfried, schreibt ab. Ich schreibe ihm, ob dies sein Ernst sei!... Mit der eigentümlichen Ruhe, welche ihm in bösen Erfahrungen zu eigen, sagt R.: Ich glaubte, ich hätte nur um die Gasthoffrage zu sorgen!... Wir beschäftigen uns mit den Skizzen von Beethoven zu der 9ten Symphonie, von Nottebohm[7] herausgegeben, sehr merkwürdig, wie nichtssagend fast, gewöhnlich zuerst die bedeutendsten Themen aufgesetzt; R. sagt, ihm ging es ähnlich, was er zuerst aufschrieb, könne er fast nie so gebrauchen, es ist wie ein Zeichen, daß man etwas im Sinn hatte, aber ganz anderes, dann findet man es wieder. R. ging mit den Kindern aus, wie die kleinen Hunde sich an die Hündin Brange machten, sagte Fidi ruhig: »Das ist Schweinerei.«
Sonntag 16ten
R. setzt ein Circular an die Musiker auf; beginnt seine Brunnenkur, Frühstück im Garten; kleines Diner mit dem jungen Brandt, den zwei Lalas und Herrn Zimmer. Herr Rubinstein, von Braunschweig zurückgekehrt, bestätigt die Nachricht von Schroetter, fügt hinzu, daß der Intendant es übelgenommen habe, daß R. ihm nicht geschrieben.
Montag 17ten
R. schreibt Herrn von Rudolphi, um ihm zu erklären, wie es kam, daß er Schroetter aussuchte; große Not, je näher wir dem Ziele rücken, um so ärger scheint sich alles zu verschwören. Ich bin nur froh, daß R. nicht ganz Mut und Stimmung verliert. Beim Kaffee sprechen wir von den antiken, so religiösen Tragödien, welche es mit den biegsamen und bildsamen griechischen Mythen zu tun hatten, einzig damit vergleichbar die Passion von Bach, viel weniger frei, weil der Mythus Dogma geworden. R. liest die Kritik der Evangelien von Gfrörer und sagt, man müsse die vier Evangelien annehmen, wie man solch eine Lava-Bildung akzeptiert, nichts sei daran zu rühren oder zu verändern. Spaziergang durch die Wiesen mit den Kindern, R. und den Hunden. Abends Herr Groß und Seidl zum Abendbrot, ersterer wegen R.'s Geburtstag zu mir gekommen; letzterer spricht sich über Richter und dessen seltsame Ent-wickelung sehr unumwunden aus. - Der König läßt anfragen, was R. zum Geburtstag wünsche, R. bittet um die versprochene Büste. - Sorge um die Sänger - die Erfahrung mit Schroetter wirklich trostlos!...
Dienstag 18ten
R. sagt mir, ich sei wie die Gazelle, welche den indischen Eremiten noch einmal in das Leben gezogen habe! Er wäre ganz fertig gewesen. - Erste Klavier- und Gesangstunde der zwei Kleinen. Nach Tisch Ausgang; darauf Brief an mich von Herrn Schroetter, daß er unabänderlich bei seinem Entschluß bliebe. Tiefe Melancholie kommt über mich. Die drei Kinder erheitern R., spielen mit seiner Mütze, machen allerhand Unsinn; wir lassen kein Licht anzünden, der Mond nach überstandenem Gewitter und das letzte Tagesdämmern bescheint*(* »bescheint« vorangestellt vor »und das letzte Tagesdämmern«.) uns; R. und ich sinnend, nachdem die Kinder fort sind. Schweigen!...
Mittwoch 19ten
Briefe der Kinder, immer betrübend. R. kann nicht arbeiten, gehemmt von allen Seiten. - Selbst der Tenorist Unger meldet sich nicht, woher Siegfried? Niemand ist R. zur Hand - Richter jammervoll abhanden gekommen. - Abends ein Seminarist aus Dresden, eigens herübergekommen, um R. zu sehen, bringt das traurigste Zeug, bei Rietz[8] gelernt, vor!... R. wird böse und sagt ihm, sich zu schämen.
Donnerstag 20ten
Vielerlei immer zu R.'s Geburtstag, er mit Orchesteranordnungen beschäftigt; dazwischen Gfrörer und Moltke; die Unterredung von beiden vor Sedan, ob Großmut oder nicht auszuüben, gefällt R. sehr, er beneidet die Männer der Aktion!... Abends in der Rotunde den Mondschein aufgehen sehen, keine Lichter angezündet, Stille, Frieden.
Freitag 21ten
R. mit vielen Briefen beschäftigt, ich mit Geburtstag, dazu Unterricht der Kinder. Nachmittags allgemeine Fahrt nach Fantaisie, herrliches Wetter, schöne Stimmung, heimgekehrt überraschen uns Ritters, Franziska und Alexander, heiter verplauderter Abend.
Sonnabend 22ten
Ganz in der Frühe Gratulation der Kinder, venezianisches Glas (bricht das Glas, so bleibt das Glück); um elf 2te Gratulation Glaube, Liebe, Hoffen (Fidi, Loldi, Eva), 62 Lichtballons, in der Halle angezündet, der Huldigungsmarsch dazu. R. sagt mir, ich hätte ihm alles gegeben, wie eine Mutter hätte ich für ihn gesorgt - die Kinder sehr ernst und feierlich, sprechen ihre Verse hübsch; Eva sehr ergriffen. -Abends Illumination von Wahnfried, Feuerwerk, dazu Strauß'sche Walzer, Kinderfackelzug; alles glückt schön, das Wetter günstig, R. heiter und gerührt. Ich wehmütig im Inneren wie immer bei Festen - der Himmel segne ihn. (Viele Telegramme, u. a. vom König.)
Sonntag 23ten
R. nicht zu ermüdet, Ritters wohnen bei uns, schönes Wetter, abends Brandt der Maschinist, viel zu besprechen, unter andrem die Regenbogenbrücke.[9] Nachher nimmt R. mehreres aus der »Vestalin« mit großer Freude daran vor.
Montag 24ten
Frühstück im Sommerhäuschen, vorher Spaziergang im Hofgarten, R. trinkt seinen Brunnen. - Immer [noch] keine Ahnung, woher der Siegfried; nachmittags zum Theater hinaufgefahren, wie gewöhnlich nur Trübseliges dort erfahren, die Arbeiter tun nichts, der Orchesterraum noch zu klein, die Erdarbeiten kaum begonnen, und in zwei Monaten sollen die Proben stattfinden!... Abends einige Erzählungen (»Der Schakal und die Pauke«, »Die beiden Mörder«, »Der König und der Kehrer«[10]) mit vielem Vergnügen gelesen. -
Dienstag 25ten
Immer trübe Stimmung: »Mir fehlt ein Held«, wie es im Anfang von »Don Juan« heißt, scherzt R., jedoch ohne Heiterkeit. Er schreibt an Niemann, seine Not um Siegfried zu melden. Wird es helfen?... Abends nimmt er die »Jüdin« vor, Freude an dem großen Stil dieses Werkes. Ganz andere künstlerische Verwertung der jüdischen Klänge als in den jetzigen jüdischen Opern (»Makkabäer«, »Königin von Saba«[11]).
Mittwoch 26ten
Des Morgens liest R. stets in dem Werk des Generalstabs, mit vieler Freude. Ich schreibe an die Kinder und gebe den Kleinen ihre Stunde. Schöner Brief des Königs an R.; sonst viele Not, Gasthoffrage, Geldfrage, Siegfriedfrage, es kann einem wohl schwül und schwer zu Mute sein. Abends unsere kleine Schar Musiker. -
Donnerstag 27ten
Abschied von Ritters, Abmachung getroffen, daß vom August ab der Sohn zu uns kommt. Ankunft Brückwald's, Konferenz auf dem Theater, wobei R. mich zugegen wünscht, dann mache es ihm Vergnügen, sonst sei ihm alles eine Pein. Beleuchtungsfrage, mystischer Raum, Vorhang, Decke werden besprochen, Brandt am genialsten und entschiedensten. Der Verwaltungsrat besorgt!    Nachmittags Brief von Herrn Direktor Jauner aus Wien, er hat die Tantiemen vom August an (7 pr. cent) erkämpft. Abends die Herrn Brückwald, Brandt und der Ingenieur Staudt.[12]
Freitag 28
Immer [noch] keine Veränderung in der Lage; selbst der Herr Unger, von allen gering geschätzt, zeigt keinen übermäßigen Eifer, ist noch nicht hier. Einzige Freude an den Kindern, an Fidi besonders. Ich gebe den Kleinen französischen Unterricht. Abends große Stille, am Schluß lese ich etwas in Lichtenberg R. vor.
Sonnabend 29
Den Vormittag mit Rechnungsbüchern und den Nachmittag mit Kinderunterricht zugebracht... R. erhält einige Reverse von Musikern (2 Harfen und 1 Bratsche), schickt seine Medaille mit einigen Versen an Freund Feustel. Abends Lichtenberg[13] für mich, für R. Moltke; das Resume von der Schlacht von Sedan findet er prachtvoll.
Sonntag 30ten
R. schreibt an den König, ich nehme die Ordnung meiner Wäsche vor, was mich vor- und nachmittags beschäftigt, da die frühere Haushälterin alles in größter Unordnung gelassen. Abends einige Freunde. Herr Rubinstein spielt uns die Sonate cis moll[14] vor.
Montag 31ten
Verschiedene Besorgungen für R. und mich. Besuch von Graf Hohenthal-Buchau. R. beginnt die »Mystik«[15] von Görres ohne sonderliches Vergnügen daran; wobei er immer mehr auf die Notwendigkeit für die Deutschen, Schopenhauer zu kennen, zurückkommt. Nachmittags fahre ich mit dem Grafen zum Theater, abends ist er bei uns zum Tee, zugleich mit Herrn Unger - ob dieser der Siegfried??...