Mai

Dienstag 1ten Mai
In der Frühe in Brüssel, um 10 Uhr in Ostende, nachdem uns die Gegend einen wohligen angenehmen Eindruck gemacht. Um ein Uhr in Dover, nach einer für R. recht unerquicklichen Fahrt; er ist gänzlich seekrank, so daß ich mich beinahe schäme, gar nichts von dem Übel zu empfinden und eine Art von Vergnügen an der ungewohnten Fahrt zu empfinden. Dover macht uns einen mächtigen Eindruck, und die erste Fahrt durch London nicht nur einen mächtigen, sondern auch einen wohligen. Auf dem Bahnhof in Charing Cross steht beinahe das gesamte Orchester mit Wilhelmj, Dannreuther, Seidl, Fischer u.s.w. Wir wohnen bei Dannreuthers höchst angenehm und behaglich; sehr ruhig vergeht die Nacht. Besuch zu Albert-Hall, welche sehr gefällt, trotz der enormen Dimensionen. Unsere Sänger bereits angekommen. Darauf fahre ich mit R. in einem handsom-cab; der Nebel gibt allem hier etwas Geisterhaftes, und mir tritt, gerade in dieser tätigsten Welt, die Idealität der Dinge und der Traum des Lebens sehr nahe. Die massigsten Gebäude werden nicht übersehen, sind da und verschwinden. Die niedrigen Häuser und großen Gärten geben Freiheit und Behagen. Hätte ich eine große Stadt zu wählen, es würde London sein. Nachmittags einige Besuche empfangen und abends auch.
Donnerstag 3ten
Ich habe R. üble Dinge mitzuteilen über den Stand unseres Geschäftes hier; H. und Essex scheinen recht gute Menschen, doch recht unerfahren, und ganz Israel wirkt wiederum gegen uns. R. nimmt mit Ruhe, was ich ihm zu sagen habe, auf. (Sehr erheitert wird er durch den Klang des Orchesters und durch das sehr gute Orchester, er sagt: Wenn das ihm Vergnügen mache, so wolle er das übrige schon ertragen. Am Nachmittag erfreue ich mich einiger Stunden in Kensington. )*(*Text mit einem großen Schrägstrich versehen, jedoch nicht in der Absicht, zu tilgen: siehe Eintragung des nächsten Tages. Gilt also inhaltlich für 4. Mai.) Abends sollten wir in R. III., allein R. fühlte sich leidend und geht um 9 Uhr zu Bett. Ich schreibe an Freund Groß, wie unsere Sache hier steht.
Freitag 4ten
Probe (gestern war keine, ich schrieb Briefe, u. a. auch an die Kinder in der Frühe), wie schon gemeldet zur großen Zufriedenheit R.'s. Am Nachmittag Probe mit den Sängern zu Hause. In Kensington. Abends Diner bei Herrn Schlesinger mit dem Dichter Browning,[1] dem Maler R. Lehmann, Wilhelmj, Richter etc.
Sonnabend 5ten
Schöner Tag trotz großer Kälte; ich besuche National Gallery, lerne Reynolds[2] mit Vergnügen kennen, werde etwas gerechter gegen Hogarth und empfange wieder durch die Italiener Licht und Wärme. Nachmittags Probe von den Sängern zu Hause, abends haben wir einige Gäste, alle in Bayreuth bei den Spielen gewesen. R. über die Besuche unmutig.
Sonntag 6ten
Briefe geschrieben, Zoologischen Garten besucht, George Eliot's,[3] der berühmten Dichterin,, Bekanntschaft gemacht; sie macht einen edlen und angenehmen Eindruck. Abends Diner bei Herrn Sainton mit Lüders, den beiden alten Freunden R.'s.
Montag 7ten
Große Probe; R. ermüdet nicht durch die Sache selbst, sondern durch die Nachlässigkeiten, z. B. in den Stimmen u.s.w. Er ist recht müde! Ach! und das, was uns hier bevorsteht, ist nicht dazu angetan, ihn zu erholen. Abends 8 Uhr das Konzert; ich bin mit den beiden Lewes[4] im Grand tier und erschrecke über den Klang, doppeltes Echo, kein Eindruck möglich! Dazu unsere Sänger recht matt. Traurige Empfindung, trotz der glänzenden Aufnahme R.'s.
Dienstag 8ten
Probe, worauf hübsches Frühstück mit Wilhelm] und D.s*(* Dannreuthers. ) im Kensington Museum. Heitere Laune trotz allem. Abends Rip van Winkle,[6] vollendete Leistung eines amerikanischen Schauspielers Mr. Jefferson.
Mittwoch 9ten
Probe, abends das Konzert, noch größerer Erfolg; darauf gehe ich zu Lady Lindsay,[6] in Grosvenor Gallery, Gesellschaft von 400 Menschen, sehr prächtig.
Donnerstag 10ten
Es stellt sich heraus, daß die Dinge schlimmer stehen, als wie man es ahnen konnte; die Herrn H. und E. stehen am Bankerott! Das letzte Konzert brachte 600 Pf. ein - an selbst nur eine Deckung der Kosten ist unter solchen Umständen nicht zu denken! Große Niedergeschlagenheit. Abends in R. III. mit R. gegangen; nicht gute Truppe, doch einiges dabei fesselnd und gut gemacht, wie die Scene im Zelt und die von den Aldermen.
Freitag Uten Probe, sehr ergreifend. Nach dieser mit R. gezwungen die Lage besprochen. Amerika?? Dann keine Rückkehr nach Deutschland mehr!... Besuch des britischen Museums. R. bei der Heimfahrt in Regent Street im Cab erblickt, ihm nach, endlich erreicht durch das Meer der Wagen, Heiterkeit!
Sonnabend 11ten
Cristal-Palast, Blumenausstellung und dann unser 3tes Konzert am Tag; Materna prächtig in Walküre; Walküren-Ritt wiederholt, R. von dem Prinzen von Wales[7] empfangen, dieser sagt, er sei vor 20 Jahren in den philharmonischen Konzerten gewesen, R. wiederholt ein Wort der Königin damals, daß alle Italiener hier Deutsche seien, daß man folglich sehr gut die Werke R.'s würde hier geben können. - R. aber sehr niedergeschlagen, wir bleiben des Abends ruhig unter uns; ich schreibe einige Briefe. Herr Batz meldet sich wieder impertinent für Herrn Brandt.
Sonntag 12ten
Ich in die High Church, einen berühmten Prediger zu hören (Rowssell!), nicht viel vernommen, und der vorherige Gottesdienst geisttötend, bei weitem ärger als der unserige, ich begreife die große Propaganda, welche, wie man sagt, katholischerseits hier vor sich geht. Während dem schreibt R. an Herrn Feustel, um eine Subskription zu Gunsten des Defizits zu eröffnen. Gedanken an Amerika, nie wieder dann nach Deutschland zurück. Nachmittags habe ich einige Besuche zu machen, abends deutsches Diner bei Herrn v. Ernst! [ ]**(** Verschriebenes Wort.); Dr. Schliemann,[18] der Ausgräber, Gast, wenig bedeutend, dagegen Dr. Siemens recht bedeutend, dem Anschein nach. R. sehr heiter und freundlich.
Montag 14ten
Probe bis ein Uhr, worauf ich zu Herrn und Frau Lewes zum Frühstück und dann mit ihnen in das Atelier des Präraphaeliten Burne-Jones.[9] Hübsche zarte Bilder, er selbst recht angenehm. Abends um 8 Uhr das Konzert, ein guter Teil der k. Familie und ein ziemlich gut besetztes Haus. Schon bei dem Duett aus Lohengrin wird Herr Unger heiser, und er erklärt, daß er die Schmiede-Lieder nicht würde singen können; man entschließt sich für eine Wiederholung des Abschiedes von Wotan, da ist aber Herr Hill schon nach Hause gegangen - anhaltende Konfusion, endlich meldet Herr Hodge, daß dem Publikum anstatt der Schmiede-Scene der Ritt der Walküre aufgeführt wird, und die Abschiedsscene zwischen Siegfried und Brünnhilde schließt doch, wobei allerdings einzig Fr. Materna zu hören ist. Dies ist nun das Äußerste; denn nun können die Programme gar nicht eingehalten werden!
Dienstag 15ten
Probe; große Not, der Hof beklagt sich über die Veränderung des Programms, und nun ist gar nicht daran zu denken, es einzuhalten, da Herr Unger gewiß sich nicht erholen wird; das durch die Presse und die Herrn Joachim & Konsorten so scheu gemachte Publikum wird sicherlich noch scheuer, trotz des jedesmaligen glänzenden Empfangs sowohl R.'s selbst als auch aller gebrachten Stücke. Man bittet von allen Seiten, das Programm nicht zu verändern, allein wie könnte es eingehalten werden? - R. findet zu Hause einen flehenden Brief von Mme Lucca, Herr Schott verwehrt ihr, R. sagt mir nicht, was, von allen Seiten nur Quälerei. - Ich wohne einer Parlamentssitzung mit Miss Cartwright[10] bei. Abends um 10 Uhr läßt Herr Hill melden, daß er heiser ist. R. muß zu Richter hinüber, um noch ein Mal die Programme zu besprechen!
Mittwoch 16ten
Probe von 10 Uhr bis 1 Uhr, abends Konzert, Götterdämmerung mit Materna von großer Wirkung, Walkürenritt, Meistersingervorspiel auch. Zwischen Probe und Konzert Besuche. (Zwischen Probe und Konzert mit R. durch die City gefahren.)*(* Nachträglich eingefügt.)
Donnerstag 17ten
In das Britische Museum, um die Zeichnungen anzusehen, dann mit R. Rendezvous auf dem Bahnhof, um nach Windsor zu fahren. Dort wird er von der Königin[11] und Prinzen Leopold empfangen, welcher ihm von Rus, den er in Luzern gesehen hat, spricht. Windsor macht einen mächtigen Eindruck, nur will die innere Einrichtung durchaus nicht mit dem äußeren Bau stimmen; und selbst die schönen van Dycks, der herrliche Holbein und der magische Rembrandt passen nicht. Wie anders die Paläste in Italien! Abends Lewes zu Tisch, dann noch einige, denen R. Parsifal vorliest.
Freitag 18ten
Probe. Worauf R. eine lange Konferenz mit den Herrn Schl., Hodge & E., Sekretär von Albert Hall, u.s.w. hat, wegen noch 3 zu gebenden Konzerten. Er glaubt, sie überzeugt zu haben, und ist sehr außer sich, als er durch Herrn Schl. erfährt, daß anstatt 3 nur 2 Konzerte möglich, und zwar erst in 10 Tagen, sind. Wir machen eine Ausfahrt wieder zusammen.
Sonnabend 19ten
Heute bin ich leidend und muß mir Gewalt antun, um das Konzert besuchen zu können. Es fällt glänzend aus; 1600 £ Einnahme und ein sehr erregtes Publikum, wie man sagt, ganz unenglisch. R. mit einem Lorbeerkranz gekrönt, Anrede des Orchesters und nicht endenwollender Jubel. - Mit unseren guten Freunden Dannreuthers in einem Restaurant gespeist. Früh abends zur Ruhe.
Sonntag 20ten
Zwei Mal in die W. Abtei gegangen, um den Dean zu hören. Großer Eindruck. - R. leider nicht wohl. Ich muß allein zu dem Maler Millais[12] speisen gehen.
Montag 21ten
Ich muß Besprechungen mit den Sängern haben, daß dieselben (Hill, Grün) etwas von ihren übermäßigen Ansprüchen ablassen, da R. sie nun bezahlen muß! R. ist nicht wohl. Ich frühstücke und speise allein auswärts, besuche das Atelier des Malers Watts,[13] wo ein ganz erstaunliches Bild von Joachim hängt, die ganze Biographie dieses so überaus schlechten Menschen liegt für mich in diesem Bild; der Maler hat das nicht beabsichtigt, und sein Malertalent zeigt sich gerade darin, daß er die Wahrheit darstellte, ohne sie zu ahnen! Ja indem er etwas Herrliches ausdrücken wollte.
Dienstag 22
R.'s Geburtstag! Sehr hübsche Briefe sämtlicher Kinder und mancherlei sonstige Gratulation.*(* Dieser Seite liegt ein Telegramm von Franz Liszt bei, aus Hannover vom gleichen Tage gerichtet an »Richard Wagner, Albert Hall, London. Herzensgruß Deines F.«) Abends Bankett, bei welchem R. die Medaille[14] verteilt, welche ich ihm bescherte; wahrscheinlich das letzte Werk Semper's, des großen Meisters! Materna, Richter, Wilhelmj erhalten sie. - R. spricht sehr ergreifend, dankt für den Empfang, und Semper zitierend vergleicht er Augenblicke und Jahre, solche Augenblicke, sagt er, lassen ihn die Jahre vergessen. Sonst das Fest ein wenig geräuschvoll, deutsch; man läßt Fidi leben!
Mittwoch 23ten
R. ist sehr müde und geht heute bloß aus in das Athenäum, wo Dr. Siemens ein kleines Diner für ihn einrichtet; ich besuche Westminster Abbey, der Canonicus Hartford zeigt mir alle Einzelheiten dieses merkwürdigsten Gotteshauses; ergreifend war für mich, daß am Schluß des Gottesdienstes Elisabeth's Gebet auf der Orgel gespielt wurde; schweigend entfernt sich die Menge, und über die Häupter entfaltet die reine Seele ihre Schwingen, die eine geht stumm und stumpf dem Leben zu, die andre weiht sich singend dem Tod! - Abends Brief von Loldi, welcher uns sehr ergreift, ich beantworte ihn sofort, ihr versprechend, sie zu besuchen. (R. dankt dem König für Glückwunschtelegramm).
Donnerstag 24ten
R. hat unangenehme Briefe aus Leipzig und muß alle Verhandlungen dort abbrechen, was vielleicht ein Glück ist. Vorläufig aber bleibt Herr Unger zu versorgen, welcher schon gar kostspielig und wenig erfreulich gewesen ist! Sitzung beim Photographen[15] notgedrungen! Abends Empfang bei uns.
Freitag 25ten
Guter Brief von Hofrat Düfflipp, nach welchem sie in München die Maschinerien zu kaufen gewillt scheinen. R. erwidert umgehend. Ich besuche Britisch Museum wieder und erfreue mich der herrlichen Zeichnungen. Darauf Rendezvous mit R. in Charing Cross und Fish Diner in Greenwich. Heimfahrt mit Dampfschiff, sehr geglückt, graues mildes Wetter, großartiger Eindruck, R. sagt: Der Traum Alberich's ist hier erfüllt, Nibelheim, Weltherrschaft, Tätigkeit, Arbeit, überall der Druck des Dampfes und Nebel. - Abends Tannhäuser italienisch! O! ... alles schrecklich, nur das Orchester wundervoll, leider aber von einem sehr wenig guten Dirigenten angeführt. Unser Freund Wilhelmj krank.
Sonnabend 26ten
Besuch des Tower mit R., Vergnügen an den Wärtern, Beef-Eater; Frühstück mit R. im Aquarium. Einige Besuche gemacht. Abends in »Don Giovanni«.
Sonntag 27ten
Sitzung für den Maler Herrn Herkomer,[16] dann Frühstück bei Schlesingers und Besuch bei Lewes, wo abgemacht wird, daß ich dem Maler Herrn Burne-Jones sitzen soll. Abends zu Hause.
Montag 28ten
Probe zum Konzert, welche um 12 Uhr beendigt ist, und um drei Uhr beginnt das Konzert, welches ganz gut abläuft; Wilhelmj nicht zugegen wegen Krankheit.
Dienstag 29ten
Probe von 10 bis 1, Herr Unger singt Schmiedelieder und Erweckungsscene von Brünnhilde recht gut; nach der Probe Sitzung bei Herrn Burne-Jones, dann hübscher Spaziergang durch Holland Park und Kensington Gardens, bei schönem Wetter. Abends Konzert, Herr Unger bringt keinen Ton heraus, läßt sich auch nicht entschuldigen, und mit der größten Imperturbabilität steht [er] da, läßt die arme Materna in der Erweckungsscene sich abmühen, Richter schmähen, R. ihn versteinernd ansehen, ohne die leiseste Anstrengung zu machen; R. sagt ihm noch, daß er nicht heiser, sondern vom Übermaß des Essens müde sich hingelegt und den Gaumen etwas belegt habe. Dies setzt allem die Krone auf. Das Publikum sehr gutartig.
Mittwoch 30ten
Wiederum Sitzung bei Herrn Burne-Jones. Darauf Abrechnungen; es stellt sich heraus, daß, nachdem R. alles bezahlt, noch für Bayreuth 700 £ herauskommen, mir ist leichter dabei zu Mute, denn ich war auf Schlimmstes gefaßt, R. aber ist sehr niedergedrückt.
Donnerstag 31ten Freitag 1ten
Abschiedsbesuche, Sitzung bei Herrn Burne-Jones, abends im Kensington, Ingenieur-Gesellschaft,