Donnerstag Allerheiligen
»Nicht nur, daß ich dich liebe, ich vergehe in dir!« sagt mir R. - Er kann arbeiten. Am Nachmittag gehe ich mit den Kindern das Grab unseres alten Freundes Dittmar bekränzen, gedenke dabei aller unserer Toten, Daniel, Blandine, Schwester Rosalie, R.'s Mutter, ihrer alle! R. kommt mir entgegen. Abends liest R. die »Elektra« von Sophokles vor; nicht darf man an die Grabspenderinnen von Aischy-los dabei denken, und das Spielen mit dem Schmerz, welches durch die falsche Nachricht von Orestes' Tod vor sich geht, wirkt unangenehm, »ist unwürdig eines großen Künstlers«, sagt R., und die Erzählung des Pflegers ist ihm »die schönste italienische Oper« - doch ist der Eindruck ein furchtbarer und die Wahrhaftigkeit, welche durch alle Künstelei sich durchbricht, ganz überwältigend. Mit der wilden naiven Grausamkeit der Tiere stehen die Menschen sich gegenüber und flößen Schrecken und Ehrfurcht ein.
Freitag 2ten
Gestern kam mir R. entgegen, wie ich vom Kirchhof kam, und sagte: Er habe sich es überlegt, daß er in 10 Jahren 75 würde, sich schändlich dabei geärgert, daß unser Glück nicht länger sei: »Du hast mit deiner ersten Heirat einen zu dummen Streich gemacht«, wenn es jetzt noch so lange währt, so ist doch die verlorene Zeit hinter uns. »Bis zum Aufstecken bin ich dir gut«, erwidert er heute auf meine Frage. - Allerseelen! Ich grüße euch und weile bei euch! Gegen den meisten Schatten dieses Lebens, wie sanft lebendig seid ihr in mir. - R. arbeitet, am Nachmittag will ihm das, was am Morgen ihm eine gute Inspiration dünkte, grell erscheinen - da schließt er den großen Deckel des Klavieres und dämpft es, findet sich wieder zurecht, und um mir, welche ich oben mit den Kindern arbeite, ein Zeichen seiner Zufriedenheit zu geben, spielt er das liebliche Thema der Coda aus dem ersten Satz der Symphonie in C dur von Mozart. Abends lesen wir Huxley's[1] Rede über die Erziehung und finden sie vortrefflich bis auf die Beurteilung der deutschen Universitäten, wo ein wenig Unkenntnis obzuwalten scheint.
Sonnabend 3ten
Unwohlsein und Arbeit. R. auch bei seiner Arbeit! Abends in Huxley mit vielem Vergnügen gelesen. Von den Deutschen sagt R. humoristisch: Moltke habe sie einen Schuß Pulver wert gemacht, aus der Uniform heraus aber seien sie nicht einen Schuß Pulver wert. An Herrn Strecker die Bedingungen der Übergabe des Idylls geschrieben, d. h. Tilgung der Schuld.
Sonntag 4te
Übersetzung; große Schwierigkeit dabei, die einfachsten Dinge im Französischen nicht wiederzugeben. In das Kindertheater die Kinder geführt, Schneewittchen. R. holt uns ab; abends einige Scenen aus »Der Liebe Mühe umsonst«.[2]
Montag 5ten
Gestern erhielt R. einen Brief von Hofrat D. mit der Meldung seiner Demission, sein Nachfolger, heißt es, sei ein Freund der W.'schen Werke. Der König hat Siegfried bestellt, wünscht aber die Bayreuther Dekorationen nicht, sie hätten ihm nicht gefallen. Düffl. schlägt vor, daß Freund Feustel nach München reise zu Bon Perfall, um die Regelung der Angelegenheiten unter den obwaltenden Umständen zu betreiben. - R. antwortet sehr herzlich dem nun seit 11 Jahren mit ihm in Verkehr stehenden Mann. - R. erzählt vor* dem russisch-türkischen Krieg, daß derselbe wahrscheinlich eine Wendung nun nehme. Plewna sei umzingelt, und in Asien scheinen die Türken nun fertig. R.'s Fuß ein wenig besser.
Dienstag 6ten
Meine schwachen Augen verhinderen mich, in der Übersetzung fortzufahren sowie im Überziehen der Blätter. Auch R. ist nicht ganz wohl, er wollte mir entgegen gehen und unternahm einen größeren Spaziergang, in Folge welchem er wiederum Schmerzen an dem Fuß fühlte! - Abends der erste Akt von Tannhäuser mit Herrn Seidl durchgenommen; R. sagt, er nähme sich vor, die erste neue Scene bedeutend zu kürzen, sie drücke auf das übrige, es sei da ein Mangel in den Verhältnissen, diese Scene ging über den Stil des Tannhäuser hinaus. - Ich verteidige sie, indem ich sage, daß sie [über] den Zuhörer den Zauber wirft, welchem Tannhäuser erliegt, und so den 2ten Akt verständlicher macht; auch sei es der unterirdischen Zauberwelt ganz angemessen, anders zu sein als die obere schlichte. »Das hatte ich mir gesagt«, meint R., »es ist aber nicht richtig.« - - Es beschäftigt ihn sehr.
Mittwoch 7ten
Die Sorge um R. hielt mich wach. Warum bin ich besorgt? R. sagte gestern zu mir, wie recht Calderon habe, daß das schlimmste hienieden die glückliche Liebe sei, weil man da nur zu verlieren habe und in Sorge statt in Hoffen schwebe!... Schöne Spazierfahrt bei herrlichem Wetter nach der Waldhütte. Abends eine Schrift unseres alten Freundes Constantin Frantz über die jetzigen Parteien; sehr vortrefflich und fesselnd.
Donnerstag 8ten
R. ernennt mich zum »Bezirksgerichtsarzt«, der Titel unseres Dr.'s, weil ich ihm die richtige D iät für sein Frühstück ausfindig gemacht, er arbeitet am Vor- und am Nachmittag, abends fahren wir in Constantin Frantz mit vielem Interesse fort.
Freitag 9ten*
(*Fälschlich »8ten« datiert) R. hatte den seltsamen Traum, daß er, noch Kapellmeister an einem Winkeltheater, durch die Krankheit des einen Kapellmeisters »Vampyr«[3] am Morgen und am Nachmittag »Tannhäuser« zu dirigieren habe, worauf er zu Hans sich gewendet, um eines davon ihm zu dirigieren [aufzutragen], welcher befremdet ihn angesehen habe; durch lauter fratzenhafte Bilder sei dann der Schluß gewesen, daß er mir 6 Wochen lang nicht geschrieben habe, durch allerlei Nichtigkeiten abgehalten und weil er mir besonders gut schreiben wollte; die Angst, daß mich dies beunruhigt, weckte ihn auf. Mir ist das Auffallende wiederum dabei, daß wie gewöhnlich bei den Fratzen diejenigen sich finden, welche mir in der schlaflosen Nacht durch den Sinn kamen. Ich war wiederum schlaflos in Sorge um seine Nacht; da er schlief, lobte ich Gott, konnte aber lange die Sorge nicht beschwichtigen und wurde in der Schlaflosigkeit durch allerlei heimgesucht. - R. arbeitet. Brief von Herrn Pollini, welcher nun den »Ring« acquiriert und nur nicht die von R. empfohlenen Herrn Brandt und Hoffmann gebrauchen will. Abends Quartett der Münchner Hof mu-siker; 135 von Beethoven; unsäglicher Eindruck des Adagios, wahre Sehnsucht erweckend*(* »des Adagios« nach »erweckend« gestellt.) - wie das Vermächtnis des Größten, Schatz des Herzens, diese Töne - in mir namenlose erlösende Ergriffenheit! - Vorher ein Haydn'sches Quartett, sehr geistvoll meisterlich, dann ein Mozartisches, leider sehr banal. Nur im Adagio kommt eine Seite, welche wie die Tröstung eines Engels mir erklingt. Das liebliche Mozartische Melos in seiner ganzen Anmut, leider vereinzelt; das ganze Opus unbedeutend. - Während dem notiert R. ein Thema, welches ihm einfiel, nachher aber gefiel es ihm nicht mehr oder er fand sich darin nicht zurecht.
Sonnabend 10ten**
( ** Fälschlich »9ten« datiert.) Herr Peters fragt nach Idyll, Sonate As dur[4] und Ouvertüre C dur. Herr Strecker schweigt noch. - R. spricht von seiner Stellung zur Welt und wie er absolut vereinsamt darin sei, so verlassen worden in seinem Unternehmen und jetzt für die Schule so ungehört geblieben. Er habe mich und die Kinder und sonst nichts. - Erschreckende Nachricht von unseres Neffen Clemens' plötzlichem Tod. (R. dadurch*** arbeitsunfähig.)( *** Mit dem letzten Wort einer Tagebuchseite beginnt eine völlig verschiedene, kindlich steile Handschrift; Text von Cosima Wagner einer Tochter (vermutlich Blandine, »Boni«, s. auch 14. Nov.) in die Feder diktiert.) Am Nachmittag setzt er mit dem Notar für Herrn Simson in Berlin seine Forderungen an die Hoftheater auf. Abends das Quartett; noch einmal opus 135 mit Tempo-Angabe seitens R. und B dur; am Schluß das wundervolle Adagio von Haydn aus dem Quartett [ ]****,(**** Leere Stelle, Opus-Angabe vergessen) R.'s großer Liebling. R. hat viel Freude an dem schönen Abend: »Am liebsten gehe ich mit Musikanten um, sie können etwas.« Allerlei seltsame Gerüchte über Hofrat Düfflipp's Rücktritt; der Linder-Hof soll gepachtet sein.
Sonntag den 11. Nov.
R. arbeitet wieder etwas; ich durch Kopfschmerzen an jedem verhindert. Depesche von Fritz Brockhaus, daß seine Mutter R. bei dem Begräbnis von Clemens zu sehen wünscht. Ich übernehme die Verantwortlichkeit, durch den Arzt telegraphieren zu lassen, daß er von der Reise abriet. Abends Freund Heckel, welcher um die Walküre als Repertoire-Oper für Mannheim bittet, was uns befremdet; er geht gleich aber davon ab.
Montag den zwölften*
(* Irrtümlich »dreizehnten« ausgeschrieben) - Ich gestehe R. die Verantwortlichkeit, welche ich übernommen; er dankt mir dafür. Verhandlungen mit Peters und Strecker wegen Parsifal und dem Idyll. R. arbeitet; ich durch Augenleiden auch verhindert, dies selbst zu schreiben.**(** Ende der fremden Handschrift) Nach einigen Tagen etwas wohler. R. guter heitrer Laune, erzählt von unserem Grabe, wie er dies entworfen und zuerst nun Mäuse, Ratten hineingeraten: »Ja, wer sich eine Grube gräbt, dem fallen die andren hinein!« Viel Gelächter darüber. - Er führt mich etwas spazieren. Abends die Freunde Heckel & Fischer; beim Mittagwaren wir zu 13, eine unangenehme Empfindung. R. schreibt auch an Gebrüder Hug[5] für seine Sonate.
Dienstag 13ten
Immer augenleidend! R. aber arbeitet und sagt, er wünsche nur ungestört [zu] sein. Am Nachmittag rief er mich in den Saal, um mir das vorzuspielen, was er eben gespielt: den Beginn von Gurnemanz'[6] Erzählung, »in heiliger Nacht neigten sich die Boten« - es ist wunder voll! Bald darauf erzählt mir Herr v. W.***( *** Wolzogen), daß der Staatsanwalt in Berlin es als eine Injurie ansieht, wenn man Bismarck mit R. vergleicht, weil R. W. im Publikum im schlechten Rufe des Größen-Wahnsinns stehe!... Abends in C. Frantz' Schrift fortgefahren! Der konstruktive Teil ist immer der schwierigere in der theoretischen Politik, denn was nicht geschieht, kann wohl eben nicht geschehen, und es herrscht eine Täuschung über die vorhandenen Faktoren des öffentlichen Lebens.
Mittwoch 14ten
R. arbeitet, ich übersetze ein wenig mit Hülfe Boni's, muß aber mich sehr hüten, meine Augen sind gar schwach. - Abends Fortsetzung von C. Frantz; R. sagt, es koste eine Art Überwindung, sich so viel mit der Welt der Erscheinung zu befassen, während man eigentlich immer beim Ding an sich in Gedanken weile, doch fesselt uns die Lektüre sehr. - Herr Pollini schreibt, R. unzufrieden darüber, weil er den empfohlenen Seidl bloß als Chordirektor anstellen will. - Auch von Leipzig fragen sie wieder an wegen dem »Ring des Nibelungen«, sie hätten gehört, daß Berlin es zuerst gebe, nun würde vielleicht R. andere Bedingungen machen, da sie den Vorrang nicht hätten!...
Donnerstag 15ten
R. heiter gestimmt, doch aber, wie er sagt, unzufrieden mit einem Kanon. Abends Lektüre von C. Frantz; wie ich ihn frage, was denn die Potenzen seien, sagt er, höchstwahrscheinlich Popanzen, viel Lachen darüber wie über einen anderen Unsinn gelegentlich seines Barbiers Schnappauf, welcher ein Wohltätigkeits-Konzert gegeben! »Schnappauf mein Herz und singe, dem Schröpfer aller Dinge« - der Zusatz fiel ihm nachts unter großer Heiterkeit ein! - Weiterer Verkehr mit Verlegern für mich, dabei Augenleiden.
Freitag 16ten*
(* Telegramm von Lucca, Bologna, vom gleichen Tage beigelegt, über den Erfolg der zweiten Aufführung des Fl. Holländers in Bologna (s. auch Eintragung vom 19. Nov., s. Anm.[7]) R. träumte von Onkel Liszt, dieser sei gekommen, [habe] uns sehr zärtlich umarmt, dann aber mir vorwurfsvoll gesagt: »Warum, Nichte, malen Sie sich?« Worauf ich sehr würdevoll: »Weder meine Jugend noch mein Alter verberge ich, oft sehe ich jung, oft alt aus.« R. arbeitet. Zu Mittag aber Brief von Herrn Batz, die erneuerten Forderungen der »Mitarbeiter« von den Nibelungen vorbringend! ... Großer Ärger R.'s, ich werfe es mir vor, daß ich den Brief nicht interzeptierte. - Spaziergang mit R., das nasse neblige Wetter bekommt ihm nicht. Er arbeitet aber, richtet seinen Kanon von gestern. Abends »Wahrheit wird verdächtig« von Alarcón, zu großem Vergnügen.
Sonnabend 17ten
R. beinahe die ganze Nacht auf! Der gestrige Ärger hat seine ganze Verdauung aufgehalten. — Er erzählt dabei in der komischsten Weise den unsinnigen Traum: Er sei im Wagen mit mir gewesen, immer mehr Leute seien hinzugekommen, endlich seien wir allein gewesen, da seien immer mehr gehörnte Tiere auf uns zugekommen; eines sei so seltsam gewesen, ein riesiges Geweih und dabei ein Gestrüpp zum Körper, ich bloß in Angst, R. aber beobachtend - plötzlich ein großes Haus, wo ein Fest, R., darin fetiert, soll Galopp tanzen mit Hansen's Mutter eine Treppe hinunter, er meint, Walzer könne er besser - plötzlich großer Durst, er ruft: Georg Georg[8] Bier; niemand versteht den Ruf -da kommt ein krokodilartiges Tier auf ihn zu und [ruft] mit einer quäkigen Blech-Stimme: »Du hast meinen Kox mir gestohlen«, worauf Erwachen. — Die Nachricht, daß Clemens an Trichinen gestorben, erregt Entsetzen! — Abends spielt R. seine Fantasie aus dem Jahre 1831; sehr rührend! Inniges Versenken in die Muster der Meister, träumerische Einfachheit - wie anders die heutigen Jugendwerke!
Sonntag 18ten*
(* Fälschlich »19ten« datiert) Der »abnehmende Batz« gestattet eine bessere Nacht. Feustel ist von München zurückgekehrt, Bon Perfall will 1 % von der Einnahme des »Ringes« abgeben; Freund F. schlägt die illusorische Hilfe ab und sagt, daß dann die Klage Ende des Jahres erfolgen würde. - R. arbeitet. - Brief von Gebrüder Hug, die öffentliche Drohung R.'s hat gewirkt, er schickt die Kopie der A dur Sonate. Abends »Hamlet«. R. liest ihn vor zu unsäglicher Ergriffenheit, er selbst erhaben schön, persönlich wie künstlerisch erschütternd! Am Nachmittag waren wir zusammen spazieren gegangen in den Feldern.
Montag 19ten**
(** Fälschlich »20ten« datiert) Das »Idyll« geht heute ab; der geheimnisvolle Schatz wird zum Gemein-Gut, möge die Freude der Menschen daran dem Opfer gleichkommen, das ich bringe. - R. arbeitet, wir gehen dann spazieren, ziemlich weit, leider schmerzt ihn dann sein Fuß wieder! - Er schreibt abends an den Bürgermeister von Bologna, welcher ihm sehr freundlich gemeldet hat, daß bei der ersten Aufführung des Fl. Holländers viel Opposition, bei der 2ten aber der Triumph vollständig gewesen wäre. - Abends die drei letzten Akte von »Hamlet«, wobei mir deutlicher denn je die Harmonie des Ganzen, die Richtigkeit der Verhältnisse sich erschließt.
Dienstag 20ten
R. hatte keine ganz gute Nacht! Doch arbeitet er. Er spielt mir abends Gurnemanz' Erzählung von der Sendung der Engel an Titurel vor. Dann nehmen wir den ersten Akt (französisch) von Parsifal vor.
Mittwoch 21
ten R. arbeitet; ich auch mit den Kindern. Abends spielt R. die »Einsiedelei von Klingsor« vor und »die Wege, die kein Sünder findet«,[9] wunderbar schön... Schluß meines ersten Aktes!
Donnerstag 22ten
R. hatte eine sehr schlechte Nacht!... Er arbeitet aber doch und spielt mir abends Klingsor's Zaubergarten in Gurnemanz' Erzählung. Verplauderung des Abends - Attentate überall, in der Türkei gegen den Sultan, ein beabsichtigtes in Rußland gegen den Zaren, item in Preußen von einem Polen gegen Kaiser und Bismarck, in Spanien und in Frankreich!
Freitag 23ten
R. hatte wiederum eine ganz schlechte Nacht; gern möchte ich es durch das Föhn-Wetter mir erklären, doch in Sorge rufe ich den Arzt. Dieser scheint ohne eigentliche Angst. - R. beendigt die Erzählung von Gurnemanz; auf meine Bitte aber arbeitet er nicht mehr. Abends den 1ten Akt von »Henri VI.« erster Teil. Dannreuther schreibt von Hans, daß er wiederum in unbegreiflicher Weise die englischen Musiker angegriffen; doch die Sorge um R.'s Gesundheit macht mich stumpf für alles. So rettet einen Not vor Not! Abends erster Akt von» H. VI.«
Sonnabend 24ten
R. hatte eine gute Nacht! - die meinige war sorgenvoll gestört! Aus dem Schlaf wurde ich durch den Traum geweckt: R.'s Stimme frug mich, >hast du je gehört, daß ich die Wassersucht bekäme< -Viel Beten, viel Flehen meinerseits um die kaum genossene Freude seiner guten Nacht. - R. erzählte neulich abend von seiner Weise zu arbeiten und meinte, nur im Alter täte man lieben und arbeiten! Abends zweiter und dritter Akt von »Heinrich VI.«; die Scene zwischen Mortimer und seinem Neffen wundervoll - sie wird gewöhnlich ausgelassen bei den jetzigen Bühnen-Einrichtungen des Stückes. Vor 41 Jahren heiratete R., wir spielen mit unseren Trauringen (ich trage den seinigen, den er 30 Jahre lang getragen!).
Sonntag 25ten
Zur Kirche mit den Kindern, beglückt durch die Nachricht, daß R. besser geschlafen hat. Er arbeitet und sagt mir zu Mittag, er habe einen Einfall gehabt, der würde mich freuen, im Augenblick, wo die Knappen den Spruch wiederholen, »der reine Tor«, bei dem Worte Tor kommt der Pfeil und Parsifal, so daß der Spruch nicht vollendet wird. - Er liest in einem Buch von Herrn Proelß[10] eine Darstellung des Theaterlebens in Dresden nach den Dokumenten (ein sehr trauriges darunter von Johanna Wagner); R. schreibt dem Verfasser, indem er ihm das eine Dokument erklärt (Brief an Herrn v. Lüttichau). Abends Schluß von »Heinrich VI.« erstem Teil. R. liebt die Scene zwischen Talbot und seinem Sohne nicht sehr, sie ist ihm sentimental monoton.
Montag 26ten
R. schlief gut! Ich gewöhnte ihm die Sorge ab, sagte er neulich; o Gott, habe Dank! Große Freude durch die Gabe von dem Manuskript der Sonate in A dur, welches Gebrüder Hug plötzlich aus freiem Antrieb zusenden. R. spielt sie, mir gefällt sie, doch wird plötzlich R. bedenklich gegen die Herausgabe der Jugend-Werke und der A dur Sonate. - Wir lesen eine Scene aus dem 2ten Teil des Königs Heinrich. Ankunft des Portraits von R. aus der Ausstellung. Gar guter schöner Tag. Denn R. arbeitete auch; verspätete sich selbst um über eine Stunde bei der Arbeit, wir speisten froh um 2 1/4 Uhr.
Dienstag 27ten
R. wiederum gut geschlafen, viel Aufregung wegen der »Kapellmeister-Uhr«, die vor langem R. mir geschenkt und welche mir während meiner Reise nach Italien im Hause gestohlen wurde, unausgesetzte Nachforschungen, Schimmer von Hoffnung, daß sie sich wiederfindet; hiesige Polizei wie in »Viel Lärm um nichts«. - Gestern in der
Heiterkeit viel Unsinn an Marie D.*(* Dönhoff) geschrieben,die mir seit langer Zeit zum ersten Mal wieder geschrieben. - R. erzählt bei Tisch, daß er wiederum geträumt habe, er müsse aus Not im Tannhäuser singen - wir sprechen weiter von Träumen u.s.w. und ich sage, wie Frau v. Wolzogen bemerkt, man könne seine Träume nicht bemeistern, daß ich das Gefühl habe, als ob mir im tiefsten Innern eine Macht wäre, welche Gewalt über alles habe, Unheilvolles, Geträumtes wie Wirkliches aufhalten könne, doch sei diese Macht entweder brach gelegt oder besser, sie wolle sich darum nicht kümmern - R. sagt, das habe Goethe so schön, pythisch, wie der Dichter sprechen muß, in den Versen: »der Gott, der über allen meinen Kräften thront«,[11] ausgedrückt. - Das italienische Menue**(** Der Seite beigelegt eine mit Widmung zugegangene Menue-Karte vom »Pranzo dato alla Signora Giovannina Lucca nella Villa Fossalta il giorno 16 Novembre 1877«) führt uns zu den Italienern, R. sagt, daß er damals Sgambati geantwortet, wie dieser vom dolce far niente der italienischen Musica sprach: dagegen ist es bei den deutschen Musikern ein mühsames Nichts-Sagen, »penible dir' niente«. - Brief von Herrn Tappert - er hat wahrscheinlich die Symphonie von R. aufgefunden!... Und hat auch allerlei Interessantes. Viele viele Freude darüber! - Abends 2 Akte von »Heinrich VI.«; Gloster's Fortgehen und Wiederkommen nach den Schmähungen der Lords ist R. einer der merkwürdigsten Züge in Shakespeare.
Mittwoch 28ten
Ach, eine sehr schlimme Nacht wieder! Und dabei ist es für uns ein Feiertag***,(*** Beigelegtes Gedicht Cosimas, »November-Blüten«, s. Anm.[12]) den ich zu feiern gedachte! - Die Dose macht R. Freude. - Er sagt: »O es ist besser, als es war! Wir werden die Lockvögel sein, die Timoleons, welche glauben lassen, daß Glück hienieden möglich ist, unser Glück aber wird sich nicht wiederholen.« - R. zeigt die Dose den Kindern, spielt mit ihr bei Tisch und freut sich der funkelnden Steine. Dann sagt er zu mir: »So werden wir einst mit unseren Kindern am Himmel glänzen, wie diese Steinblumen auf der Dose.« - Weiches unerfreuliches Wetter, welches R. nicht gut bekommt. Er dankt Herrn Hug für die Zusendung des Manuskriptes. Abends 2ter und 3ter Akt von »Heinrich VI.« 2ten Teiles, erschütterndste Tragödie! Bedenkt man nun, daß die Stümper sich an solche Meisterwerke machen, um sie »menschlich«, wie Herr Dingelstedt, »bühnengerecht«, wie andre, herzurichten, so fragt man sich wohl, wofür die ewigen Werke geschaffen?
Donnerstag 29ten
R. mußte wiederum ein Mal aufstehen, doch war die Nacht besser als die vorige, in welcher er »Über Staat und Religion« gelesen und ihm dabei eine Nachlässigkeit des Stiles auffiel: zunehmende Abnahme; wie trotz aller Sorgfalt sie einem entschlüpfen. — Brief von der »Gralsritterschaft« — R. und ich, wir gehen spazieren, trotz des unerfreulichen lichtlosen Tages. Heimgekehrt dichtet er die öffentliche Widmung des Idylls. Mir schwebt das Glück, das wir genießen dürfen, als selige Vergangenheit schon vor, wie sie unseren Kindern einst erscheinen wird. Das Gefühl meines Unwertes steigert sich täglich; o Gott, habe Dank für deine Gnade, mache mich ihrer würdig! IV., V. Akt von »Heinrich VI.« - R. freut sich immer der Dose, die er Klingsor nennt.
Freitag 30ten
R. hatte eine gute Nacht und arbeitet (erlegt den Schwan!). Leider bleibt das Wetter finster und feucht, so daß der Spaziergang keine andere Erholung gewährt als die Freude des Gespräches. Wir gedachten Tribschens, der Spaziergänge dort, des Igels, einst angetroffen. Des Hauses freuen wir uns dann, wenn wir heimkehren. Abends zwei erste Akte von »Heinrich VI.« drittem* Teil.(Für irrtümlich »zweiten«)