Oktober

Mittwoch 1ten
R. geht wieder an seine Partitur, eine große Freude, dann läßt sich alles eher tragen. Sonst nichts von Bedeutung, der Großherzog von Oldenburg[1] dankt für die Zusendung der Pläne und Broschüren, hat aber weiter nichts zu melden. Schott bezahlt die Götterdämmerung (10 000 Franken); benimmt sich daher gefällig. Dies ist aber wohl unsre letzte große Einnahme, und mit Sorgen erfüllen mich die wachsenden Ausgaben. R. hat ein nicht zu bändigendes Vertrauen in sich und ich ein mich ganz umnebelndes Mißtrauen in das Schicksal. Abends Uhland's 6ten Band begonnen, dabei den Artikel Loki in Grimm's Mythologie gelesen (Alliance zwischen Deutschland und Italien doch).
Donnerstag 2ten
R. hatte einen seltsamen Traum, Semper mit einer Gips-Maske, sich ärgernd, erkannt zu werden, Wesendoncks, ich plötzlich verschwunden, ängstliches Suchen, bis plötzlich silberhell aber angstvoll meine Stimme erklingt: Richard. Er kann nicht antworten, was mich verwundert, bis endlich krampfhaft aufwachend er ruft: »Hier bin ich.« - Ich auch hatte eine üble Nacht, mehr, als ich es gedacht, hat mich der Abfall von R.'s Verwandten geschmerzt; es war ein Glauben, der nun dahin ist. R. arbeitet, befindet sich aber nicht wohl, er bedarf des Gehens unbedingt und kann seines schmerzhaften Fußes wegen nur wenig gehen. Er spricht davon, daß er sich nicht vorstellen könne, die Aufführungen zu überleben! Was uns wohl noch alles dazwischenkommen wird?... Abends im Uhland gelesen, das Mühlenlied, großer erhabener Eindruck. Darauf liest uns R. aus den indischen Sagen von Rückert[2] die Erzählung von den vier Harthörigen.
Freitag 3ten
»Die Schrengewenante« (die strenge Gouvernante), wie Fidi sie nennt, ist da; wiederum ein neues Wesen. Brief von Herrn Voltz; höchstwahrscheinlich erhalten wir nichts von dem Haase'schen Prozeß. R. arbeitet und sagt scherzend, er möchte alles für Hörner aufsetzen. Schöner Brief einer Fr. Emilie Basler aus München, welche ohne Wissen ihrer Verwandten 100 Thaler sich erspart hat und insgeheim einen Drittel-Patronatsschein sich wünscht. Abends lesen wir im Uhland die Sage von der nächtlichen Beschwörung durch die Tochter Angandys - ganz herrlich. Zum Schluß des Abends liest uns R. wieder eine indische Erzählung (Die vier törichten Brahmanen).
Sonnabend 4ten
R. träumte, daß er in seinem Theater wäre und von der Fürstengalerie den ganzen schönen fertigen Raum überblickte. »Wie uns wohl zumute sein wird, wenn es zur Aufführung kommt?« fragt er. »Dafür ist gesorgt, daß man so müde durch das Vorangehende, daß man ohne jegliche Empfindung bleibt, durchaus im traumhaften Zustande, wie es mir war, als ich in der Loge des Königs bei der ersten Aufführung der Meistersinger war.« Wie wir von den altnordischen Sagen sprechen, sagt R., er wisse, was Odin dem Baidur ins Ohr geraunt, dies unlösbare Rätsel; die Entsagung, Brechung des Willens; das ethische Motiv des Rings des Nibelungen. R. arbeitet und kommt bei seiner Arbeit zu folgender Bemerkung: »Es gibt zweierlei Arten, das Orchester zu betrachten, als homophonen Körper, wo ein Instrument für das andre eintritt, oder meine Art, die jedes Instrument als ein Individuum betrachtet, das ganz für sich ist, deshalb ärgert es mich so, wenn ein Instrument einen Ton nicht hat.« Fidi von den zwei Büsten R.'s (Kietz und Zumbusch[3]): Die beiden sind tot und begegnen sich. R. sagte mir, er wünsche sich keinen zweiten Sohn, denn wenn er nicht so geriete wie Fidi, wie schrecklich wäre das, »und eine Wiederholung ist doch kaum zu erwarten«. - R. besucht das Theater, kehrt schweigsam heim, die Leute werden mit dem Rohbau nicht fertig! Der herabgestürzte Arbeiter ist nicht gestorben, aber sehr verstümmelt. Abends die Sage von Hrolf Kraki in Uhland gelesen. Großes Entzücken daran, Vornehmheit, Tugend der Deutschen. R. meint, das hätte Bruno Bauer in seiner Studie über die Jesuiten richtig erfaßt, daß die Jesuiten diesem vornehmen Wesen nicht beikommen konnten, die nicht viel nach Tod, Himmel und Hölle frugen und »ihr Walhall eigentlich immer in petto hatten«. - »Viel Geduld und ein wenig schreien«, nach Karl dem Fünften das einzige Mittel gegen die Gicht, R. führt dies gegen das Leben an, man schreit zu Zeiten ein wenig! Dieses Zitat bringt mich auf das Portrait Tizian's (Karl V. in Madrid); Verhältnis des Malers zum Dramatiker; wir kennen genau Falstaff und Hamlet, können sie uns aber nicht vorstellen; der Maler sieht, gibt und löst ein Rätsel. - Abends behauptet R., er höre kaum auf [das], was ich lese, er sehe mich nur an und sei entzückt; wie glücklich sind wir, ruft er aus!...
Sonntag 5ten
Beifolgenden Zettel*(* Nicht auffindbar, sondern nur Ausschnitt, vgl. nächste Seite.) finde ich auf meinem Tisch, von R. hingelegt, den er in der amerikanischen Zeitung, welche er sonst nie ansieht, gefunden. Wir müssen sehr lachen. Nach Tisch erzählt R. von seinen ersten Schwiegereltern und dem Proletariat; Verkehr mit den armen seltsamen Leuten (der Vater verschwand periodisch mit irgendeiner Person) während der Konzeption von Lohengrin und Tannhäuser!... Die Mutter schreibt; Zeitungsausschnitte, die sie schickt, melden vom Theater in Bayreuth; auch spricht sie mir von E. Ollivier, daß dieser mir meine germanischen Gefühle nachtrage! Bei seiner Partitur sitzend sagt R.: »Zwei Corni! Das war doch das erste früher, daß, wenn man eine Partitur schrieb, die italienischen Worte daran kamen.« Seine Unfähigkeit zu glänzen (Fiorituren etc.) besprach er neulich: »Ich hatte garnicht die Wahl zwischen Glanz und Ernst, ich konnte das erstere nicht. Und die Passagen: Gefälligkeit ist mir widerwärtig, selbst wenn sie bei Beethoven vorkommt, wo der Virtuose eintreten soll und sich zeigen.« - Über Shakespeare's frühen Tod (die 86 Jahre Guizot's[4] fände R. ermunternd, aber die Politiker haben alle kein Herz), sein Zurückziehen nach Stratford, gewiß angeekelt vom Theater, ausgenommen ein oder zwei gute Schauspieler, wird er sich zur Truppe verhalten haben wie Bach zu seinen Chorschülern, und außer vielleicht einen Lord Seymour, was wird er gefunden haben? Gewiß hat der Wurm an seinem Herz genagt, oh, wer das wüßte! »Eine Kultur haben seine Sachen nicht hervorgebracht, denn sie konnten verschwinden.« - R. rühmt auch an der Nietzsche'schen Schrift seine Bemerkung über die Suchenden, wir haben keine Klassiker gehabt, d. h. keine Blüteperiode, hinter welcher abzuschließen sei; »mit dem Worte Epigonentum beruhigen sie sich alle und bestärken sich in der Lumperei«. - Mit den Kindern wala-chische Märchen gelesen und abends in Uhland die Frithjof-Sage und die von Rolf und seinen Recken. Immer größere Freude an diesen germanischen Dichtungen, uns viel näher seiend als die griechischen. Den Tag über herrscht der Spaß aus der amerikanischen Zeitung, R. sagt: »Ich verwundere mich nur immer, wenn einer etwas sieht unter diesen plumpen Menschen.« Aus dem selben Aufsatz lese ich auch über R.'s Direktion in Löwenberg*, aber er kann es nicht leiden, seine eigene Person beschrieben zu hören. - Beim Abendtisch erzählte R., wie es ihn berührt habe, zwei kleinen Mädchen (6 und 4 Jahre) zu begegnen, von denen die ältere einen Kartoffel-Sack auf den Schultern trug und trotz der schweren Last immer mit dem kleinen Kinde scherzte; er begann mit ihnen zu sprechen, und sie antwortete artig bestimmt, worauf er ihnen einiges Geld gab, das sie dankend annahm, bemerkend: »Es wird der Mutter sehr lieb sein, daß ich ihr das bringe, denn der Vater ist krank und kann nicht arbeiten.« - Wie wir von den Fabeln, die über R. kursieren, zusammen scherzen, sagt er: Ich bin zum völligen Robin Hood geworden.
Montag 6ten
Herr Zacharias schweigt[5] — eine Wiederholung von der Löser'schen Erfahrung mit besseren Manieren; ich mache einige Besuche, während dem R. an der Partitur.(* Beigelegt ist dieser Seite ein Blatt mit Aufschrift Richard Wagners: »Erinnerungen an Löwenberg« und einem aufgeklebten Zeitungsausschnitt, s. Anm.) Nachmittags geht er aus und kommt trübseligster Stimmung heim; sein Fuß schmerzt ihn, und der Dr. scheint nicht helfen zu können, in Bezug auf unsere Unternehmung schweigt wiederum alles, das Haus geht nicht vorwärts und macht immer Kosten. Dazu findet er zu Haus den Brief eines Königsberger Musikhändlers, welcher gehört haben will, daß R. eine Serie von Konzerten zu geben beabsichtigt, und welcher, auf diesem Gebiet erfahren, sich nun anbietet. Im Augenblick, wo die Schmerzen des Fußes R. kaum eine Bewegung erlauben, ein wahrer Hohn. Abends in Uhland gelesen; was er über die furchtbare Gabe Hamlet's sagt. Das Faule überall zu wittern, die Folge bitterer Erfahrungen, läßt mich an uns denken... Es geht uns beinahe so. - R. erzählt die Begegnung mit einem Jungen, der ihn um ein Almosen bat, R. verweigert es, hörte den Knaben darauf hinter seinem Rücken stark aufseufzen, und sich umdrehend frug er ihn, was er habe: Antwort: Wo könnte ich wohl ein Stück Brot haben? Seine saubere Kleidung und seine beschuhten Füße bemerkend rief R.: »Aber Junge, wo kommst du denn her«, worauf der Junge ihm scharf in's Gesicht sah und darauf wie wahnsinnig trotz allem freundlichen Zurufen zu R.'s höchster Verwunderung davonlief.
Dienstag 7ten
Trotz Depesche R.'s an ihn schweigt Herr Zacharias weiter, dafür kommt eine Einladung des Liszt-Comite aus Pest an mich und R., zur Feier des 50jährigen Wirkens meines Vaters. R. sehr ärgerlich darüber, ich noch unentschieden, ob ich werde Folge geben müssen. Das beste ist, R. bleibt dem Vorsatz treu, jeden Tag an seiner Partitur zu arbeiten. Ich erkundige mich zuerst nach den Titeln des Präses' des Comites, Erzbischof Hajnald, um dann meine Entscheidung zu treffen. Zum neuen Hause gegangen, wo es gar nicht vorwärts gehen will, zu R.'s großem Ärger. Abends in Uhland - schöne Sage von Syrnit, welche die Augen nicht aufschlagen will - rührendste Züge. Den ganzen Tag heute Pfarrer auf der Straße gesehen, welche zur Synode hieher gekommen sind, dazu Glockenläuten! - Der Prozeß Bazaine ist begonnen.
Mittwoch 8ten
Trotz heftiger Kopfschmerzen sprach R. heute früh mit mir viel über die deutsche Sprache, die ihren Reichtum eigentlich noch gar nicht entfaltet hätte, »denn wie sie Lessing vorfand, so bildete er Wörter auf fremde Begriffe, welche letztere alles beherrschten, freilich lag zum Glück diese Bildung im Geiste der deutschen Sprache, doch ihre Entwickelung aus ihrem eigensten Wesen hat sie noch nicht gehabt«. -Gestern besprachen wir die Verhältnisse der Kinder nach unserem Tode; nach dem, was Voltz und Batz eingerichtet haben, kann Fidi auf 6000 Gulden jährlich zählen, 4000 nur darf [er] oder darf man für ihn ausgeben, damit während der 30 Jahre, in denen nur diese Rente ihm zufließt, 2000 Gülden bei Seite getan werden und er ein Kapital von ungefähr mit den Zinsen gerechnet 65 000 Gulden hat. Seine Schwestern erhalten von meinen ersparten Renten ihre Ausstattung, wir hoffen für jede 20 000 francs, Hans' Erspartes bildet die Mitgift der zwei älteren, und mein Kapital die Mitgift der zwei jüngeren. Dazu das Haus — freilich alles mit Gottes Segen! - R. ist sehr unwohl, zwingt sich zur Arbeit, was mich betrübt, Kopf-und Fußschmerzen, Unterleibsleiden, und dazu die gedrückte Stimmung unserer Lage. Einzige reinste Freude unser Siegfried, der Heiterkeitsstrahl. Vor einigen Tagen war der Kupferstecher Lindner hier, meldete, daß R.'s Bild ihm auf der Wiener Ausstellung eine Auszeichnung gebracht und dann Bestellungen zugeführt hätte. Er will gern noch eines machen. Abends in Uhland gelesen, die zwei Sagen von Harald Hylde-tand und Starkardr ergreifen uns mächtig - der Held, der immer zu Siegen bestimmt ist und doch seine tödlichen Wunden von jedem Kampf davon trägt, gemahnt mich R.'s. - Weiter über die altgermanischen Stämme sprechend, scheidet R. sie in Franken und Sachsen, dies seien.wohl die Hauptstämme gewesen, erstere roher und abenteuerlicher, zweite den Begriff des Krieges als Wehr und Treue auffassend. - Der Morgen bringt mir die 100 Thaler des guten Frl. Basler, dann die Gabe des ersten Heftes der Götterdämmerung-Skizze. R. bringt er den Besuch des Dekans, welcher erstens vom Kronprinzen meldet, dieser habe eingehend und bedeutend mit dem Bürgermeister von R. gesprochen, dem ersten, »welcher das Deutsche in der Kunst vertreten habe«. Dann meldet er einen Herrn von Thon (mit Gemahlin), Mitglied des Wagnervereines in Regensburg, welcher einen Banquier, der unserem Unternehmen Vorschüsse machen wollte, vorschlage!... Wirklich kommt dieses Ehepaar nachmittags, der Mann Bon von Thon, Abgeordneter zur Synode, Landrat, ist Mitglied des Wagner-Vereines in Regensburg, beide machen den vortrefflichsten Eindruck. - Wird uns wirklich Hülfe kommen? - Ein kläglicher Brief - mit Sentimentalität von Frau Wille, ihre Teilnahmslosigkeit förmlich zur Schau tragend (sie blieben bei ihren Wiesenblumen etc.). Ein ebenso kläglicher von Herrn Zacharias, Podagra, Unberufenheit, alles mögliche dient ihm dazu, die Konferenz nicht zu Stande zu bringen. - Wenige von den Patronen haben auf die Einladung erwidert. - In unserem Treibhaus plätschert ein Springbrunnen, zur Feier von Cervantes' Geburtstag, bemerke ich scherzend; deshalb lesen wir auch zwei seiner Intermezzi, »Die wachsame Schildwache« und das »Wundertheater«, und gedenken bei dem Humor, der an Shakespeare gemahnt, des Dichters und seines trüben trüben Lebenslaufs.
Freitag 10ten
Die üblen Nächte hören bei R. nicht auf, seine Nerven sind furchtbar angegriffen. Wir erwidern den Besuch bei Bon Thon und führen sie zum Bau! Ob uns von da Hülfe wird?? - - Wir sprechen von dem Wort Dichten, und R. bemerkt, daß kein Volk, selbst die Griechen nicht, ein so schönes Wort gehabt; bei den Griechen heißt es Machen, Herr Beta schreibt an R., schickt seine Widmung der Broschüre an R., wünscht einen Brief R.'s vorandrucken zu lassen! »Des Armen Wesen sind Anschläge«,[6] bemerkt hierzu R. - R. nimmt sich vor, einzig nur an seine Partitur zu denken, das Geld könne er nicht schaffen. Wir bringen die Abende zumeist mit der Besprechung des Prozesses Bazaine [zu], darin sich wiederum dieselben französischen Eigenschaften, die uns während des Krieges so entsetzt haben, aussprechen. Ein armer deutscher Musiker aus Australien bittet um Hülfe, schickt Verse, Komposition und Photographie, mit Lebensbeschreibung!! Herr Beta schickt die Widmung seiner Schrift (an Fürst Bismarck), die Annahme derselben überrascht uns.
Sonnabend 11ten
Viel umhergegangen, um für Lusch Geburtstagsgaben zu suchen, R. kauft ihr ein schönes Medaillon. Wir besprechen mit R., wie wir unsere heutige Gesellschaft arrangieren wollen, als Bonin Thon kommt und ihren Mann krank meldet. Wiederum eine seltsame Erfahrung, wiederum, wie es scheint, eine Hoffnung, die zunichte wird. Abends immer wieder Bazaine.
Sonntag 12ten
Lulu's Geburtstag, wir feiern ihn nach Kräften mit Gaben und Vergnügungen, in meinem Herzen mit wehmütigen Segnungen! Nachmittags empfangen wir auf dem Bahnhof Marie Schleinitz, welche uns in ihrer liebenswürdigen Weise besucht. Sie hat soeben Hans in München gesehen und gehört, erzählt Wunderdinge von seinem Spiel, viel Grillenhaftes aber von seinen Launen; er rühmt sich aber, ein Vermögen für seine Kinder bei Seite gebracht zu haben! - Die teilnehmende Freundin erkundigt sich nach dem ganzen Stand unserer Dinge und muß wenig Erfreuliches erfahren. Brief des Vaters aus Rom, mit dem Programm der Festlichkeit, R. sagt, es sei wie bei Ragna Rökr, alles im voraus gewußt! Der Vater scheint zu erwarten, daß ich hinkomme.
Montag 13ten
Schöner Morgen, ich fahre mit unserer Freundin nach Eremitage, das einen lieblichen Eindruck macht, darauf Mittagessen bei uns mit dem Bürgermeister und Freund Feustel, welcher trotz des schlimmen Standes unserer Sache nicht üblen Mutes ist und darauf dringt, daß R. nach München mit ihm gehe und sich dem König präsentiere, es sei noch nicht das letzte Wort in dieser Sache gesprochen. Gott weiß!... Zum Theater mit der Freundin gefahren, von da den Abend zu Hause zugebracht, R. spielt aus Tristan (III. Akt), und mir will das Herz beinahe bersten vor Ergriffenheit.
Dienstag 14ten
Mit der Freundin nach Neumarkt gefahren, dort Abschied genommen, R. hat während dem seine Seite instrumentiert. Nach Tisch fragt er sich, ob wohl die Griechen ihre großen Dramatiker gelesen hätten, doch wahrscheinlich zu Aristoteles' Zeiten; die Zitate vermutlich alle aus dem Gedächtnis, doch wie Homer haben sie wahrscheinlich auch Aischylos und Sophokles gelesen. - Der Regensburger Bon schweigt! Auch unsere Leipziger Familie schweigt, beides signifikativ und rätselhaft. Abends in Uhland gelesen. Vorher uns noch über Bismarck gefreut, welcher die Mediatisierung der Eisenbahnen vornimmt- ein großer Schritt gegen den Wucher. Auch die Anerkennung des Bischofs Reinkens[7] ist eine große erfreuliche Tat.
Mittwoch 15ten
Briefe ohne Bedeutung; ich schreibe viele; alles wieder in gewohnter Ordnung. R. arbeitet, ist aber immer unwohl, hat üble Nächte (träumt von zwei zudringlichen Jüdinnen), hat eine Konferenz mit Feustel und dem Bürgermeister, daraus sich ergibt, daß nicht durchaus Not am Mann ist! Freund Feustel will durchaus R. nach München nehmen, behauptet, der König wolle nur gebeten sein, er ärgere sich im Grunde, nicht Patron zu sein, und wolle nur ein wenig Drängen*(* Hier im Sinne von: gedrängt werden.) - Gott weiß! R. entschließt sich ungern dazu. Abends Uhland und Bazaine.
Donnerstag 16ten
Das Fußübel von R. betrübt mich tief - wir besprechen heute meine mögliche Reise nach Pest, große Störung unseres Lebens. R. arbeitet aber regelmäßig. Besuch im neuen Haus, das Treibhaus ist eingerichtet, eine tiefe Freude für mich die schönen Blätterpflanzen, und doch macht der Anblick mich wehmütig wie aller Besitz. Lebenszeichen des Bons Thon, er nennt den Banquier Haymann, welcher in Regensburg gegen Garantie Vorschüsse machen wolle. Ich glaube nicht recht an die israelitische Hülfe. - Abends in der Vilkina-Saga[8] die Geschichte von Wieland dem Schmied gelesen - R. rief neulich im Unmut eines Stallknechts: Für dich Germania keinen Richard. - Wir erfahren Betrübendes vom König!...
Freitag 17ten
Ich schreibe an den Vater, es ihm überlassend, ob ich nach Pest kommen soll oder nicht. R. arbeitet und sagt, wenn er so mit der Partitur fortführe, würde er nicht fertig; gestern sprach er mir von dem englischen Hörn (S.), welchem er die ganze Unschuld der Gutrune auszusprechen gegeben habe. Ein Student aus Leipzig erzählt, er habe den Tannhäuser zum ersten Male gehört und müsse für den überwältigenden Eindruck danken; »Ich muß auf die jungen Generationen für Fidi's Tantiemen bauen«, sagt R. - Ich weiß nicht, bei welcher Gelegenheit R. bemerkte, daß es kein Viereck in der Natur gebe und daß die Quadratur speziell die Form sei, welcher der menschliche Geist bedürfe, um gewisse Dinge auszudrücken. Wie ich heute unter unserer ganz unbelaubten Veranda mit den Kindern wanderte, bemerkte ich, wie schön, wie ideal sich die Landschaft durch die roten Pfeiler zeigte, und mußte finden, daß die Kunst in dem Rahmen, in der Beschränkung liegt. Spaziergang mit R. und den Kindern durch die Wiesen, das Theater in voller Pracht erblickt, dann zum Hause, wo viel Ärger wie immer. Abends Bon Thon mit seiner Frau und der arme Dekan, welcher von der Synode und ihrer absichtlichen Harthörigkeit ganz angegriffen ist. Der Banquier Haymann wird erörtert, Bon Thon fürchtet eine Absicht auf Tantiemen. R. wird wieder heftig, da der Dekan ihm etwas seicht seine Lage und seine Qualen als etwas Normales dahinstellt.
Sonnabend 18ten
Briefwechsel zwischen Papst und Kaiser*,(*Zwischen Pius IX. (7. August) und Kaiser Wilhelm (3. September). Dieser Seite ist (nachträglich) beigelegt ein Zeitungsausschnitt von Sonnabend, dem 25. Oktober 1873. Er gibt den italienischen Originaltext des päpstlichen Schreibens an den deutschen Kaiser wieder. An nicht mehr zu ermittelnder Stelle lag bei die »Spenersche Zeitung« Nr. 469 von Donnerstag, 16. Oktober 1873, mit einem Artikel »Ein neuer Bonifaz«, der den gesamten Briefwechsel zwischen Pius IX. und Kaiser Wilhelm enthält) - herrlich die Antwort des letzteren, seit Luther das erste freie Bekennen des Protestantismus; am Tag von Sedan abgeschickt. Besprechung der religiösen Zustände mit R., wie hier das Kind nicht mit dem Bade ausschütten? »Das Unglück ist«, sagt R., »daß der naive schöne Volksglaube in eine zivilisierte Welt gekommen ist, das hat ihn korrumpiert.« Unsere protestantische Geistlichkeit, unter welcher der gute Dekan jetzt so leidet, nimmt sich so übel aus, daß man beinahe an die Zukunft der tabula rasa glauben muß. Ich lese ein Buch von Fürstin W., welches wirklich die Pirouetten und entrechats der scholastischen Theologie genannt werden könnte (De la Mauere). Diese Unruhe dieser Geister im Vergleich zu der Besonnenheit und dem Gleichmut der nordischen Helden nimmt sich seltsam aus - Gedanken über die großartige römische Welt, solange groß und human, bis sie mit den Deutschen zusammenkam, da befiel sie die Angst und machte sie tückisch, darauf wurde versucht, durch moralische Mittel das zu erwirken, was die Legionen nicht mehr zu Stande brachten. Kindergesellschaft zu Ehren Lusch's, abends in Uhland. R. arbeitet regelmäßig und so konzentriert, daß er zerstreut im Leben ist.
Sonntag 19ten
In die Kirche, zu wenig Erbauung; dann auf die Zinne, wo die Sonne herrlich scheint und ich mit Malwida sitzen kann, während die Kinder spielen. R. arbeitet. Nachmittag zeigt R. die Abbildungen der altrömischen Münzen, das Bild Hadrian's[9] hat ihn so frappiert, Besprechung der Herrlichkeit der römischen Welt; des Segens eines guten Fürsten (Königs); ein guter König kann mehr Gutes tun als ein böser Übles; daher das Glück der Monarchie. Die Köpfe betrachtet, welche Ruhe, welcher Adel, welche Sorge drückt sich in ihnen aus! Mit R. und Fidi -die anderen Kinder sind müde - spazieren gegangen. Abends keine Lektüre, einiges geplaudert, in Gryphius geblättert. Am Schluß des Abends spielte R. mir das Andante aus der Symphonie in D (Londoner Symphonie) ; unendliche Freude über diese meisterhafte Kunst; Haydn, nach dem Tode Mozart's von Mozart's Genius angeregt, wird zum eigentlichen Vorgänger Beethoven's; vielfache und doch so kunstvolle Instrumentierung, alles spricht, alles ist Einfall; »jetzt sagen alle Kühnheiten der Leute mir nichts, sie sind keine Erfindungen, sondern Häufungen«.
Montag 20ten
Hausunruhen, der neue Diener muß entfernt werden. R. begreift nicht, daß die Leute sich nicht an ihn hier attachieren. Er arbeitet. Ich mit den Kindern spazieren. Versuch, aus den entsetzlichen Moden, welche wirklich einzig für unanständige Frauen geschaffen erscheinen, einen Hut mir heraus zu konstruieren. Abends keine Lektüre, aber eine Haydn'sche Symphonie (in D) vierhändig mit R., große Freude daran.
Dienstag 21ten
Hagel und Kälte, Hausinspektion, immer mit Ärger verbunden. Nachmittags Ankunft des Senators Petersen mit Tochter, angenehme Erinnerung an Hamburg, der Senator ein ausgezeichneter Mann, eigentümlich in seiner Art, erinnert in seinem Wesen ein wenig an Sulzer, bei durchaus verschiedener Erscheinung. Er hat erfreuliche Zeichen in Süddeutschland wahrgenommen, der Prediger des deutschen Kaisers (Fromme) in Gastein von der ganzen katholischen Bevölkerung angehört und verehrt. Ein Bauer in Niederösterreich sagt: »Ja wenn wir solch einen Kultusminister wie Falk hätten!« usw.
Mittwoch 22
Vaters Geburtstag. Gestern, wie die Gäste sich entfernten, überschüttete mich R. förmlich mit lieben Dingen, und wir mußten schließlich viel lachen: Ob Tristan und Isolde auch so viel gelacht? »Gewiß, sonst wären sie am Tage nicht so traurig gewesen.« - Großer Regen, aber doch zum Theater mit unseren Freunden, ernster Eindruck auf den Senator. Vieles Interessante über Hamburgs Vergangenheit und Gegenwart erfahren beim gemeinschaftlichen Mahl. Auch der Abend wird mit den Gästen zugebracht, und zwar in sehr angenehmer Weise.
Donnerstag 23ten
R. nicht wohl, wie stets, wenn er zu anhaltenden Verkehr mit Menschen gehabt. Viel Häusliches für mich. Abschied an der Bahn von den Freunden. Abendplauderei bei Unwohlsein R.'s - Bazaine, die Franzosen - erbärmlich.
Freitag 24ten
R. kann auch heute nicht arbeiten! Brief des Herrn Haymann - er bedauert!... Herr Erlanger schweigt. R. verspricht Herrn Feustel, nach München mit ihm gegen 15ten November zu fahren. - Berlin überrascht durch eine Tantieme von 234 Th. in der schlechten Jahreszeit für zwei Aufführungen, und Batz meldet, daß ein Vergleich mit der Intendanz wegen Wiesbaden, Kassel, Hannover im Werke sei. - In Uhland wiederum gelesen. Neulich sprach R. von dem Buche[10] von E. Sue über Jeanne d'Arc, wie schön dieser Autor den Grund dieser Erscheinung in dem Eindruck sucht, welchen das Kind gerade in ihren Entwicklungsjahren empfangen hätte, so daß die sinnliche Erregung dieser Periode sich ganz auf das Entsetzen vor den Engländern und auf die Sehnsucht wirft, dieselben aus Frankreich zu treiben; die Entwickelung zum Weibe gleichsam übersprungen, sie blieb Jungfrau.
Sonnabend 25ten
R. hatte eine sehr schlechte Nacht und arbeitet heute kaum. Besuch des Dekans, welcher empört ist über die neueste jüdische Erfahrung (Haymann). R. geht zum Theater und kommt über das Haus heim, welches er sein Gräfe-Coeur nennt, da der Polier Gräfe jedesmal anhält und ihm eine unangenehme Nachricht gibt. - R. ist sehr erregt, wenn er von der Möglichkeit meiner Pester Reise hört, und schließt scherzend einige bittere Auslassungen: Gut, wenn du nach Pest reist, so besuche ich die Wiener Weltausstellung! - In Paris scheint die Monarchie sicher, und wir kommen darüber ein, daß es das beste sei für Frankreich und die Welt; ein anderer als ein Legitimer würde immer in diesem Lande darauf angewiesen sein, Kriege zu beginnen; der erbliche Monarch nicht, und vielleicht wird es denn dort gehen wie in Belgien, Freiheit, Wohlfahrt, Unproduktivität und Jesuitismus. Abends Uhland.
Sonntag 26ten
Der Vater entbindet mich von der Nötigung, nach Pest zu reisen; R. froh und nicht froh darüber, sagt, daß ich so manchem seinetwegen entsagen müßte! So ist für mich ein schweres Opfer vorbei. R. immer nicht wohl, kann nicht arbeiten - wir gehen vormittags zusammen spazieren; nachmittags erste lange Station im Treibhaus! Abends Uhland und, wie Malwida sich entfernt hat und ich, durch ein absonderliches Buch von Fürstin Wittgenstein - »De la Matiere« - angeregt, einige Fragen an R. richte, führt unser Gespräch uns zu dem Mystiker Meister Eckhart,[11] und er beginnt eine Predigt desselben, die uns im höchsten Grade einnimmt. Alles nach innen gewendet, die schweigende Seele, darin Gott das verborgene Wort spricht! - Schönes dänisches Gedicht (Ritter Aage und Else), wie barbarisch dagegen die Lenore, in Uhland gelesen darauf. Helgi und Sigrune. - Bei Tisch kam das Wort der Gladiatoren auf, »Morituri te salutant«. - Das Wort Morituri in einem Worte in anderen Sprachen nicht zu geben; die deutsche Sprache hat diese Fähigkeiten verloren, dadurch daß sie ihre Kultur aus den romanischen Sprachen entnahm, d. h. den Sprachen, die sich aus dem Lateinischen entmannt gebildet hatten. R. sehr unwohl. Einzige Freude Fidi's Übermut und Heiterkeit, beinahe nicht möglich, mit ihm ernst zu bleiben; selbst wenn man ihn rügen will.
Montag 27ten
R. wiederum schlecht geschlafen! Beständiger Ärger mit dem Haus; dazu keine Aussicht einer Lösung in Betreff des Theaters. - Pr. Dahn schickt Gedichte, unter welchen auch seine ganze Liebesgeschichte von ihm und seiner Frau dargestellt wird — unbegreiflich ist der jetzige Mangel an Zartgefühl, ich begreife die Frau nicht, welche diese Geheimnisse preisgibt. Vor- und nachmittags im Treibhaus - dem Vater geschrieben. Wiederum lebt es sich schwer, R. ist unwohl, und keinen blauen Flecken sehen wir am Himmel. - Abends »Luther's Leben« von Meurer[12] begonnen, große Freude an der acht deutschen Natur, in welcher wir Goethe, Beethoven, alles, was wir von Deutschen, die wir verehren, wissen; und hier handelt es sich nicht um ein Spiel mit dem Leben, sondern um den Nerv des Lebens. »Das Schweigen aller Vorstellung bringt die beseligende Ruhe der Seele hervor, zu dieser Ruhe zu kommen ist Christus der Weg«, sagt R. - In seiner Frömmigkeit verstockt sein (Luther) - herrliche glaubensselige Wesen.
Dienstag 28ten
Über Buddhismus und Christentum mit R. gesprochen, die Anschauung der Welt viel größer im Buddhismus, der aber kein Monument wie die Evangelien hat, wo das Göttliche förmlich historisch in unser Bewußtsein tritt. Der Vorzug des Buddhismus war, daß er sich an den Brahmanismus anlehnte, von welchem die Dogmen förmlich da eintreten können, wo die Wissenschaft Lücken zeigt, so weit sind ihre Symbole. Die christliche Lehre aber lehnt sich an die jüdische Religion, und das ist ihr Unheil. Das Leiden Christus' erregt uns tiefer als das Mitleiden Buddha's, wir leiden mit, und werden zu Buddhas, durch die Betrachtung. Christus will leiden, leidet und erlöst uns, Buddha schauet und bemitleidet, lehrt, wie wir zur Erlösung kommen. Sehr gelacht über den Ausspruch von Mathesius,[13] daß der Priester alles täte für die Gemeinde, Messe lesen, Beten etc., ob er wohl auch für sie in die Hölle führe? Auch über die rechtschaffenen Sünden von Staupitz, der uns durch seine Anrede an Luther über die Vorsehung sehr ergreift. Gott zürnt nicht mit dir, du zürnst mit ihm, alles tiefe Worte dieser tief religiösen Gemüter. Die große Volkstümlichkeit dieser Erscheinungen tut uns wohl; R. sagt: »Alles Große in Griechenland und Indien ist volkstümlich gewesen, das Wort elegant haben die Lateiner aufgebracht.« R. hatte eine bessere Nacht. Professor Nietzsche schickt seinen »Mahnruf an die Deutschen« - wer wird ihn aber unterzeichnen wollen?... R. arbeitet. Unsere Hausangelegenheit wird endlich durch Herrn Feustel in die Hand genommen. Überraschender und erschreckender Besuch des Herrn Heinrich Brockhaus! - - Abends spielt R. in »Figaro's Hochzeit«, »wir Deutschen können stolz sein, den Italienern ihr eigenes Wesen vorzuhalten, wie es sich verhält, wenn es im Deutschen sich abspiegelt«. Der französische Text bei diesem Werke wichtig, »denn wenn der Italiener die Volkstümlichkeit verläßt, wird er seicht; der Franzose, der keine Volkstümlichkeit hat, hat in dieser Sphäre der Komödie noch etwas«. - Nichtigkeit der Masken für die italienische Komödie, wo das Reden nur die Erläuterung der Masken ist, die Pantomime ist alles; in der Tragödie geht das nicht, der Schmerz muß individuell sein, die Italiener haben keine Tragödie hervorbringen können. In »Luther's Leben« weiter gelesen, tiefer Eindruck. R. bemerkt, daß die Scholastik sich zu Aristoteles so verhielt wie die französische Tragödie zu der griechischen, ein Mißverständnis.
Mittwoch 29ten
R.'s Nächte etwas besser, er arbeitet regelmäßig. Ich habe heute die Aufgabe, mit Herrn Brockhaus zum Theater zu fahren. Wie R. heute aus der Kinderstube die Töne einer Kadenz in einer Mo-zart'schen Sonate hörte, sagte er: »Ja wenn ich die Eindrücke der We-ber'schen Sache nicht gehabt hätte, ich glaube, ich wäre nie Musiker geworden.« Er erzählte heute - wie wir auf das passa passa des italienischen Geistlichen zu Luther bei der Messe scherzend gedachten - wie er einmal als Knabe in der Thomasschule habe Orgel spielen wollen und der Präses ihn geführt habe, den Choral zu begleiten, wie er aber in den Zwischensätzen improvisierte, wie er vermeinte, es müsse sein und dabei sich verlor, ihn der Präses unterbrochen habe: »Die Gemeinde will nach Haus -«. Abends nicht in »Luther's Leben« gelesen, sondern, nachdem ich den armen Mann zum Theater geführt, Abendbrot mit Heinrich Brockhaus eingenommen, wobei sich R. über meine Gabe, zu Tauben zu sprechen, freut. Freund Feustel hilft.
Donnerstag 30ten
Brief von Pr. Lenbach, er hat den Vater in Wien gesehen, diese r habe gemeint, es sei für mich ein zu großes Opfer, allein nach Pest zu reisen. R. wird hierüber verstimmt. Zerstreuung durch die Ankunft unseres guten Freundes Heckel, welcher allerlei Merkwürdiges mitteilt, u. a. von einem Reisenden, der ihm gesagt habe: Er gäbe nicht einen Pfifferling für Bayreuth, und wenn er Millionär wäre. »Warum?« Die ersten Werke, Tannhäuser, Lohengrin, die Meistersinger, die gefielen ihm, aber Rienzi, dafür ein Theater zu bauen, nein!! Dagegen ein Herr Schön, dessen Frau gefährlich erkrankte und auf dem Krankenlager ausrief: Nun werde ich nicht nach Bayreuth können, machte das Gelübde, für den Fall der Genesung zwei Patronatsscheine zu nehmen, was denn auch erfolgte! In den Grenzboten soll ein Gegner (Cahn),[14] durch eine Anhörung des Liebesliedes in einem Konzert überwältigt, sehr eingehende und schöne Aufsätze über den Ring des Nibelungen geschrieben haben. Pläne, Projekte. - Nachmittags Begegnung mit Pr. Nietzsche auf der Straße - er, vollständig verfemt, erzählt Unglaubliches, die Internationale rechne ihn zu den Ihrigen, dazu von einem Grenzbötler aufgefordert, welcher in einem Aufsatz: Herr Nietzsche und die deutsche Kultur, alles Maß überschreitet und unseren Freund förmlich denunziert!
Freitag 31ten
Den sehr schönen »Mahnruf« mit Pr. Nietzsche durchgegangen - ist es klug, diesen zu erlassen, doch was helfe uns Klugheit? Uns hilft nur Glauben und Wahrheit. Sie behaupten hier (der Dekan u. andre), das Circular R.'s habe entmutigend gewirkt; und ich bin so froh, daß es erlassen sei, es sagt die Wahrheit! - Reformationstag und schlimmes Wetter, »das Glück war nie mit den Hohenstaufen«, bemerkt R., gar wenige sind gekommen, Gott weiß, ob irgendetwas Förderliches zu Stande kommt, allein was tun?... Abends kleines Bankett in der »Sonne« mit Delegierten und Verwaltungsrat. Die Sitzung hat das Aufgeben des Mahnrufes beschlossen; die Vereine fühlen sich nicht berechtigt zu der kühnen Sprache, und wer außer ihnen würde das unterzeichnen? Die Vorschläge von dem vortrefflichen Heckel werden alle adoptiert. Herr Wesendonck empört förmlich durch gesendete Ratschläge und Forderungen (Kostenanschlag etc.), die ein Mißtrauensvotum gegen den Verwaltungsrat enthalten, während dieser Erstaunliches geleistet mit den wenigen Geldern. Heiter läuft der Abend ab.