Oktober

Freitag 1ten
Heute Herr Brückwald! Herr Brandt konnte nicht länger bleiben. Erneuerte Konferenzen. Dazu endlich Briefe aus München, 3/5 der einlaufenden Patronatscheine beansprucht die Kasse, 2/5 darf man behalten; dazu Hauptmeldungen: Freiplätze. Abends Herr Brückwald; er erzählt von der Baubank, deren technischer Direktor er ist, wie dieselbe sich auflöse, ohne der kleinen Aktionäre zu gedenken, um unter anderem Namen die jetzt wohlfeilen Bauplätze, welche einen höheren Wert haben, wiederzukaufen. Betrug überall.
Sonnabend 2ten
Während R. konferiert, sehe ich meine Bücher durch, schreibe nieder, was in diesem Quartal verbraucht, und erschrecke über die Summe von 8200 und einige Gulden. - Wie wir gefrühstückt hatten, las R. mir das schöne Kapitel von Trevrezent[1] im Parzival vor und sagte, wir müssen den Morgen wahrnehmen, der Tag bringt doch nur Nöte, und wirklich häufen sich die Sorgen. Der Vertrag mit der Kabinettskasse, Voltz und Batz, der Hausstand, der Direktor Scherbarth, welcher Herrn Unger nicht freigeben will, Herr Fürstner im Hintergrund, Wien vor uns (mit dem »einäugigen schwedischen Juden« als Tannhäuser, wie R. sagt); dazu unsere Hunde mit der Räude uns vom Direktor in Zahna zugeschickt; überall Betrug, wo nicht Stumpfsinn. R. sagt, wenn man käme, ihm zu gratulieren zu seiner Energie, zu seinem Genie, möchte er aus der Haut fahren!...
Sonntag 3ten
R. hatte eine üble Nacht voller beängstigender Träume. - Er hat Herrn Scherbarth, dem Theaterdirektor, zu erwidern. Ich habe eine Unterredung mit Freund Groß; 50 000 Gulden sind jetzt bald unumgänglich notwendig, woher aber diese nehmen? Doepler muß Geld haben für die Kostüme, und Brandt und Ingenieur, und was weiß ich alles noch, fordern gleichfalls. Abends Besuch des Architekten Brückwald, Pr. Schulz und seiner Frau; die achte Symphonie wird vorgenommen in dem schönen Arrangement des Vaters; beim zweiten Thema im Finale ruft R.: »Da kommt Galathea! Darauf die Delphine und das Meergezücht, spielend, lärmend und zankend.« - Der Schluß des Parzival bringt uns auf die Betrachtung, wie wenig vollendete Meisterwerke es gibt; beinahe nur die Beethoven'sche Symphonie. R. liest uns die Beschwerde der Herzegowiner[2] an die Gesandtschaften und ereifert sich über die Schmach dieser Türkenwirtschaft! Er wünscht den Russen den Besitz von Constantinopel.
Montag 4ten
R. las mir neulich, noch während ich zu Bett lag, aus dem Parzival; er sagte, wir müßten den Morgen wahrnehmen, der Tag brächte doch nur Unheil! - - In der Tat empfängt er heute einen Brief von Freund Feustel, welcher ihm sagt, daß die Bestimmungen der Kabinettskasse die Hülfeleistung förmlich illusorisch machen, in Folge dessen entschließt sich R., an den Kaiser sich zu wenden, zuerst soll ich bei Mimi anfragen. Abends in den Annalen von Goethe; Beneidenswerter in jeder Hinsicht! ...
Dienstag 5ten
Ich schreibe an Mimi und frage an! R. schreibt an Herrn Niemann sehr freundlich und seinem Neffen Clemens, welcher die Geburt eines Sohnes gemeldet, humoristisch gutmütig das Schweigen Fritzen's[3] berührend. -Abends meint er: »Ich bin ein Gemisch von Kummer, Sorge, Ärger und keimenden Resolutionen.« Eine Lieferung des Orbis pictus bringt ihm wieder das Grauen der Natur, des ewigen Verschlingens, nahe; wie man nur in der Betrachtung derselben Trost finden könnte, einzig der Erlöser: wendet euch ab, bändigt den Willen. Völlige Erbitterung gegen die »Spielereien« Goethe's.
Mittwoch 6ten
Unruhige Nacht für R.; Betrachtungen über den Kö-niglMir bringt der Morgen R.'s Briefe an unsere Freundin A. Frommann, worin auch einer nach dem Eingreifen des Königs in R.'s Leben - wie wenig das nun stimmen wollte. Möchte nur alles Vergängliche ein Gleichnis sein! Am Nachmittag Spaziergang mit R. Abends unsere Musiker, wir nehmen die »Symphonie fantastique«, vor, der erste Satz, klagend wehmütig, gefällt uns am meisten, R. sagt: Das war Berlioz' bester Zug; Scene aux champs erinnert zu sehr an die Pastorale, und das Finale ist steif und widerwärtig, R. sagt: Der 6/8 habe immer etwas Gemessenes, wild könne man nur 2/4 sein, wie im Finale der A dur. Mich frappiert vor allem die Unfähigkeit von Berlioz, seine oft sehr schönen Motive zu entwickeln, was er mit Schubert gemein hat; er weiß nicht, was Beethoven, Bach, R. so tief wissen, was ein Thema enthält, daß es das Samenkorn ist, aus dem die ganze Pflanze sich ergeben muß! - Einiges von Händel vorgenommen. (R. phantasierte heute, ein schönes Thema schrieb er auf.)
Donnerstag 7ten
R. hatte leider wiederum eine sehr üble Nacht. Brief unseres Neffen Clemens, Schwester Ottilie ist gekränkt! Besorgungen für Lusch's Geburtstag; nachmittags Spaziergang nach Eremitage. Abends die Annalen.[4] Der Goldne grüne Baum des Herbstes macht uns Freude, gestern versank ich in tiefe Betrachtung, große Wehmut waltete in mir Freude an Fidi, welcher so andächtig sein Abend-Gebet spricht; R. sagt, daß er noch lange sein Abendgebet immer getan, »man sollte es eigentlich immer tun, das heißt abends sich in den Urquell versenken!« - Er hat im Orbis pictus eine Arznei für unsere Hunde gefunden und kuriert sie nun danach!
Freitag 8ten
R. entschließt sich, einen ausführlichen offenherzigen Brief an Clemens zu schreiben; ich entsende einige versöhnende Zeilen mit, Kmeister Levi wünscht zu Gunsten Bayreuths einiges aus Siegfried in München aufzuführen. Auch an Dr Jauner schreibt R., anfragend, ob er ihm lästig würde mit seinen Bedenken. — Besuch der Schule, in welcher Fidi nun nächstes Jahr sich tummeln und ducken wird. Abends die Rede Goethe's auf Wieland - herrlich; ganz besonders fein das Verhältnis oder Mißverhältnis Wieland's zur Antike und zur Philosophie, dann auch seine »Feder«. - Nach Tisch Betrachtung über das klägliche Enden aller Verhältnisse, »merkt, wie es endet« - R. sagt, das Ächte, wie unsere Liebe und unsere Zusammengehörigkeit, kämpfe sich schließlich durch, auch das Wahre überall, nicht etwa dank der Güte der Menschen, sondern weil das Unwahre auch unfruchtbar ist, einen Keim der Fäulnis in sich trägt - wie gewisse Verbindungen keine Kinder hervorbringen.
Sonnabend 9
R. träumte von einer Abreise, einem raschen Abschied von mir, die Eisenbahn drängte, ich konnte ihn wegen Sorgen für die Kinder nicht begleiten; er weint über diesen flüchtigen Abschied, läuft zur Brücke, diese ist nur für Droschken fahrbar, er will eine Droschke, aus allen »gucken dicke Kerle heraus« - verzweifelt sagt er sich, die Reise sei gar nicht nötig, und wacht auf. Er schreibt an Kmeister Levi, sein Unternehmen sei gesichert, was mich etwas ängstlich stimmt. Schöner Herbsttag, viel Gold draußen und noch viel Grün! Fahrt nach der Flachsspinnerei, welcher Besuch wegen der gänzlichen Unzugehörigkeit der hier Zusammentreffenden uns sehr erheitert. Abends in den Annalen. - Die vortreffliche, immer sich gleich bleibende Mimi läßt uns auf Hülfe hoffen. (Finkenschlag der Küsse).
Sonntag 10ten
Vor 23* Jahren(* Offensichtlicher   Schreibfehler, s. letzten   Satz dieser   Tageseintragung   und   Anm. dazu.) R. zum ersten Mal gesehen!... Heitere Frühstücksstunde. Besuch von General Herz in vollster amerikanischer Uniform, auch mit amerikanischen Orden geziert! R. liest das Buch von Schure; er lacht über die »kleinen Augen« und meint, im Volke bedeute das immer etwas Garstiges. R. geht allein heute spazieren, ich bleibe mit den Kindern daheim. Abends unsere Musiker; ein Quartett von Beethoven ( op. )**(** Leerräume, Angabe des op. fehlt.) wieder vorgenommen, beim ersten Satz sagt R.: »Das ist die Zierlichkeit des tiefsten Geistes, welcher sich der Form freut.« Er kommt auf einen Vergleich zwischen dem Jagdchor im »Freischütz« und dem in der »Euryanthe«: »Im ersten«, sagt er, »war Weber noch ganz Volkslyriker, schrieb einen Chor, wie man ihn singt, in der >Euryanthe< ist er viel mehr Dramatiker, schreibt den Chor, wie man ihn hört, aus der Natur heraus.« »Auch der Marsch in der >Euryanthe<, so flüchtig und skizzenhaft er erscheint, ist dramatisch gedacht und wirkt so.« - Von seiner Familie sagt R. scherzend: »Ich habe ebenso viel Zusammenhang mit ihr als mit meinem linken Hühnerauge.« Er erzählt vom 10ten Oktober 1853[5] und läßt ihn leben mit Champagner!
Montag 11ten
R. träumte, er sei in Hülsen (Uelsen[6]) in Hannover und freute sich der schönen Häuser, der schönen Aussicht, prächtige Berglandschaft, er habe mich gerufen, sie anzusehen, es sei der Harz, ich habe aber Besorgungen gehabt, dann habe er mich noch ein Mal gerufen, ich könnte den Brocken sehen, das habe mich gelockt, und lächelnd hätte ich das betrachtet. Mit den Kindern gearbeitet - abends Annalen.
Dienstag 12ten
Lusch's Geburtstag; um Mittag Abholung unserer Nichte Kessinger[7] mit ihrem Gemahl, dem Obersten; sehr herzliches freundliches Zusammensein - abends ein wenig musiziert.
Mittwoch 13ten
Verwandtschaftlicher Tag, abends kleine Gesellschaft zu Ehren der Verwandten, R. heiterster Laune. Ein Besuch bei Feustel gibt wenigstens nicht Grund, unmittelbar sorgenvoll zu sein. Der Geburtstag Lulu's erfüllte mich mit Wehmut, wie schwer trage ich und werde ich immer an dem einen Gedanken tragen - ich verzehre mich in Wünschen für H.sen's Wohl, erhört mich ein gütiger Gott, erbarmt sich das Schicksal oder bleibt alles stumm und trübe, grau wie der herbstliche Himmel, tot wie die Blätter, die nun sinken?...
Donnerstag 14ten
»Kurt und gut, von unters zu Oberst, mein lieber Neffe ganz besonders, bleib mir gut!« R.'s Trinkspruch auf Kurt Kessinger; wir nehmen herzlichen Abschied von unseren Verwandten. Schlimmes trübes Wetter - abends im goldenen Salon, keine Lektüre außer einer Reisebeschreibung von Pr. Haeckel - Brussa.[8]
Freitag 15ten
Trauliches Frühstück mit Wehmut des Fortganges, um ein Uhr bringt mich R. zum Bahnhof, ich nehme Fidi mit nach Altenburg. - Das »Leb wohl, Weib« mit seinem intensiven zurückgehaltenen Schmerz bringt mir das Bild alles dessen, was mich beeinflußte und mein Leben bestimmte, vor den Sinn. Abends 7 Uhr in Altenburg bei der Orthopädin Frau Dr. Herz; bald darauf die Kinder aus dem Stift: Lachen und Weinen!
Sonnabend 16ten
Vor- und nachmittags orthopädische Untersuchungen und Übungen - Vorsicht sehr nötig. Der Minister Herr v. Gerstenberg, Wohltäter des Ländchens, besucht mich, sehr angenehme Unterhaltung. Abends in das Theater. Trostloses Stück von dem Herrn Schweitzer [9](Sozialist!), roh und dumm. - Die Kinder aber, denen es galt, unterhalten sich gut.
Sonntag 17ten
Heimfahrt mit Siegfried, welcher alle Herzen erobert. Zur Unterhaltung: »Der Prinzenraub«[10] von Triller, sehr ergötzlich, auch ein Heft der »deutschen« Rundschau. - Um ein Uhr Wiedersehen mit R.! Er erzählt mir, er habe nachts geträumt, wir seien zusammen in einem Tanzlokal gewesen, mein Tänzer habe sich Ungebührliches erlaubt, ich bleich vor Konsternation, er, auf eine Verabredung hin, fordert einen zweiten Tanz, höhnend gegen R., worauf dieser ihm einen Fußtritt versetzt, von welchem mein Federbett davonfliegt und R. erwacht. Abends das A moll Quartett von Beethoven und den ersten Satz von R.'s Lieblings-Fantasie. Ich finde einen Brief von Mimi vor, sie will versuchen, aus dem Reichsfonds 25 000 Th. zu verschaffen, die Herrliche! - R. sehr entzückt von Feustel, welcher verstünde, daß man nun vorwärts müsse. -»Ich glaube, ich werde am Schluß dieser Sache sehr alt sein«, sagt R. -Üble Lage in Bayern - der König immer unsichtbarer; verkehrt, heißt es, nur noch mit seinem Reitknecht, welcher übrigens ein ordentlicher, kluger Mensch sein soll, sobald aber dieser von irgend etwas Ernstem, [von der] Stimmung im Lande, reden will, wird er fortgeschickt. Doch nützt jetzt dem König seine Unnahbarkeit; die Vorfälle in der Kammer, wo ein Mitglied der ultramontanen Partei die ungebührlichsten Dinge über den König [sagte], unter dem Vorwand, sie kämen in einer liberalen Zeitung vor, diese Vorfälle sind derart, daß kein König sich damit abgeben [kann] - die Liberalen entfernten sich, das Ministerium fordert seine Entlassung. R. sagt, nach dem Tode des Königs wünschte er, daß das Bayern von Na-poleon's Gnaden in seine Bestandteile aufgelöst, und zwar die Rheinpfalz an Baden, Franken an Württemberg, so daß die schwarzen Herrn bloß das Altbayern behielten. - Die Nachricht von der Verlobung der Prinzessin Marie von Sachsen-Weimar mit dem Prinzen Reuß, deutscher Botschafter in Petersburg, wird mit Erstaunen vernommen.
Montag 18ten
Gute ruhige Nacht für R. Er entwirft das Circular[11] an die Sänger; ich habe Hauswesen und geschäftliche Briefe zu schreiben; auch erneuerter französischer [Unterricht] den Kleinen. Abends liest mir R. die Vorrede von Holtzmann zu »Kelten und Germanen« und »Gereint und Enide« aus dem Mabinogion.
Dienstag 19ten
Besuch des guten Dekan Dittmar, welcher lange Zeit mit mir plaudert; nachmittags Freund Feustel, sein Expose mit R. vorzunehmen. Schöner Tag, Spaziergang mit R.; Fidi immer Eisenbahn spielend, »wenn du nicht ein Genie, wirst du wenigstens ein Genieur«. »Der Vice-König von Ägypten, will man einen Orden er gibt'n«, - neuester Reim von R. - Abends nimmt Herr Lalas Abschied, das bringt uns auf das griechische Idiom und auf die Ilias, R. liest den ersten Gesang uns vor. Vor 18 Jahren verlobte ich mich mit Hans!
Mittwoch 20ten
Brief von Herrn Unger, er ist ängstlich, befürchtet die Kontraktbrüchigkeit; R. schreibt ihm, um ihn zu beruhigen; wir entschließen uns, über München nach Wien zu reisen, um mancherlei mit Hofrat Düfflipp zu besprechen. R. meint, hauptsächlich der hiesigen Schlösser wegen für die Fürstlichkeiten. Freund Feustel, den ich heute besuchte, meint auch, daß andere geschäftliche Beziehungen zu ordnen seien (Vorschuß, und erklären, daß Voltz und Batz nicht berechtigt sind, Einnahmen zu machen in München). - Wie wir nach Tisch mit R. von den Menschen sprechen, welche uns ohne eigentlichen moralischen*(* Für ursprünglich: »persönlichen«.) oder geistigen Grund angenehm sind, sagt er: »Gar nicht, ich kenne nur das Verhältnis zu dir, dieses erfüllt mich so, daß alles übrige mir entweder gleichgültig ist oder störend.« - Fidi beginnt zu lesen und zeigt Freude daran. - Abends Violoncellsonate, wobei wir immer deutlicher erkennen, wie schlimm diese Mischung ist und wie lähmend dies auf den Größten wirken muß (bei der Komposition) - und doch selbst unter dieser Mißgunst macht das Adagio der zweitletzten Sonate von Beethoven doch den tiefsten Eindruck - Göttlicher, wer könnte dir danken?... Wenn Reue das Gefühl ist, man möchte etwas nicht getan haben, so kenne ich sie nicht, ist sie aber das Gefühl des bittersten Schmerzes, so haben tun [zu] müssen, wie man getan, dadurch zum wehmütigsten Gefühl des Üblen seines Daseins zu gelangen, dann bin ich von ihr - stets und immer von ihr erfüllt. Gedanken an Hans - dann auch an meinen Tod - ob er alles sühnt?...
Donnerstag 21ten
Der König hat die Adresse der Klerikalen[12] nicht empfangen, seinem Ministerium gedankt und es beibehalten. Große Freude darüber; die Leute sprechen selbst davon, zu illuminieren -abends Ankunft von Frau Wesendonck, wir empfangen sie am Bahnhof.
Freitag 22ten
Vaters Geburtstag - Frau W. den Tag über bei uns; die drei Br.s des Theaters auch; Brandt, Brückwald, Brückner; Muster zum Vorhang ausgewählt, sehr schön!... Brandt aber immer klagend, daß so viel Nachlässigkeit betreffs des Baues vorhanden. Es regne herein. Abends Musik, »Heroide funebre«[13] vom Vater.
Sonnabend 23ten
Frau W. durch die Stadt geführt; Mittagessen mit dem Kirchenrat, dann nach Eremitage, abends Sonaten von Beethoven, erste und letzte Heroide, die Zwischenperiode (Waldsteinsonate) nennt R. die der erlangten Meisterschaft und des Erfolges, wo ein wenig Kälte aber herrsche.
Sonntag 24ten
Bei Feustels gespeist, dann mit Frau Wesendonck auf Fantaisie, schöne herbstliche Stimmung. Abends Musik.
Montag 25ten
Abschied genommen. Kurz darauf neuer Besuch, ein Professor Gosche[14] aus Halle, welcher über das Unternehmen referieren will; sehr angenehmer Mann, er ist uns von Hermann Brockhaus empfohlen. Abends glücklich, endlich wieder zu zweien zu sein; wir fahren in den Annalen von Goethe fort. - Der deutsche Kaiser fuhr heute früh fünf Uhr durch Bayreuth, man wußte es aber nicht. Des Königs Popularität ist durch sein Benehmen ganz unbegrenzt.
Dienstag 26ten
Einpackens-Nöte und Vorbereitungen, dazu Nachrichten von den unseligen Kinowskys! Abends »Pandora«.[15] R. traurig, fortgehen zu müssen, er hätte so gern den Winter zur Arbeit benutzt.
Mittwoch 27ten*
(* Dem Tagebuch beigelegt ein Ausschnitt aus der Fränkischen Zeitung vom gleichen Tage (Titelseite) mit einem ungezeichneten Kommentar zur Abweisung der von Dr. Jörg eingebrachten ultramontanen Adresse durch den König von Bayern.) R. erinnert mich daran, daß ich gestern bei der Lektüre der »Pandora« (Epimetheus' Erzählung ihres Verschwindens) weinen mußte; er findet Schönes in dem Gedicht, erkennt aber das Suchen nach Formen darin. Nach Tisch spricht R. über das Wort Lessing's, lieber das Streben danach, als die Wahrheit selbst, »ja wenn es nicht etwas anderes gäbe, als was wir jetzt unter Wahrheit verstehen!« - Abends Beet-hoven's A dur Quartett[16] ohne übermäßige Freude daran, beim Scherzo, welches R. immer als niederländischen Bauerntanz hervorgehoben, ergibt es sich, daß R. ihn in der Erinnerung gänzlich umkomponiert hat und er in Wahrheit viel weniger derb, viel sentimentaler, als er dachte. Das e moll beglückt uns, namentlich das Menuett erklärt R. für eines der schönsten, was je geschrieben wurde! Mir ist der erste Teil dieses Menuettes wie das Flattern zweier Schmetterlinge und ihre Sehnsucht zum Licht, schmerzlich heiter aufgeregtes Spiel - was kann man aber über Musik sagen?... R. empfiehlt den jungen Musikern den Unterschied: »Tempo di Minuetto«, und »Minuetto« zu beachten; ersteres langsamer, zweites durch Haydn Ländler geworden. R. nimmt Quartette von Haydn vor, findet sie herrlich.**( ** Dem Tagebuch beigelegt ein herausgerissener Zeitungsausschnitt der Fränkischen Zeitung vom 27.10.1875 mit einem »Aufruf an die Handwerker u. Kleingewerbetreibenden Bayreuths«, sich in Teilnehmerlisten für eine Ausstellung im Festspieljahr einzuzeichnen. In einer Versammlung am Abend zuvor sei versucht worden, die Ausstellung zu verhindern, angeblich, »weil Herr Richard Wagner es nicht wünscht, daß neben dem Bühnenfestspiele eine Ausstellung stattfindet«; man lasse sich aber nicht abhalten, »wenigstens in etwas den hiedurch herbeigeführten Zufluß von Fremden, in der ohnehin schlechten Zeit zu benützen, hat man uns doch so oft auf diesen Zeitpunkt hingewiesen, als eine bedeutende Ehre und Einnahme für die Einwohner« (gez. C. Wendel).)
Donnerstag 28ten
»Ich habe meine Frau und will nichts weiter auf der Welt«, sagt R.! Leider kann er dasjenige, was er hat, nicht in Ruhe genießen, der Verkehr mit den Herrn Voltz und Batz wird immer unerfreulicher, und diese Wiener Freuden lasten wie ein Alp.
Freitag 29ten
Lauter Arbeit des Einpackens, Notierens, Abrechnens. Abends Herr Rubinstein, spielt uns das dritte Bild aus der Walküre vor, sehr schön zusammengestellt.
Sonnabend 30ten
Abreise; auf dem Bahnhof freundlicher Abschied von den Freunden, Rührendes wird uns noch erzählt, ein Kantor Fischer aus Zittau frug vor einiger Zeit an, ob er wohl einen Freiplatz erhalten würde, wenn er für unser Unternehmen werbe, er sei sehr arm, er wolle aber für die Sache zu wirken suchen - jetzt schickte er 6000 Mark!... Um 8 Uhr abends in München; Wiedersehen Lenbach's, Unger's und Pr. Hey's. Marienbad abgestiegen.
Sonntag 31ten
Trübe Gedanken zerwühlen mich, seit sieben Jahren zum ersten Male wieder hier; Gedenken Hans'! - Vor einiger Zeit stand im Orbis pictus ein Bild Lachner's und in der Lebensnotiz hinzugefügt, derselbe sei durch die Intrigen Wagner's und Genossen außer Wirksamkeit gekommen!!! Werden diese Lügen dereinst Geschichte? In Lenbach's Atelier, dann zu Bon Schack, später die Kinder herumgeführt, während R. Hofrat Düfflipp empfängt. Wir speisen mit Lenbach und sind um 8 Uhr abends auf dem Bahnhof, auf demselben, wo vor sieben Jahren ich Abschied nahm!