HIER BEGINNT DAS BUCH VON DER STADT DER FRAUEN, DESSEN ERSTES KAPITEL ERZÄHLT,
WESHALB UND AUS WELCHEM ANTRIEB DIESES BUCH VERFASST WURDE.
I.
Als ich eines Tages meiner Gewohnheit gemäß, die meinen Lebensrhythmus bestimmt, umgeben von zahlreichen Büchern aus verschiedenen Sachgebieten in meiner Klause saß und mich dem Studium der Schriften widmete, war mein Verstand es zu jener Stunde einigermaßen leid, die bedeutenden Lehrsätze verschiedener Autoren, mit denen ich mich seit längerem auseinandersetzte, zu durchdenken. Ich blickte also von meinem Buch auf und beschloß, diese komplizierten Dinge eine Weile ruhen zu lassen und mich stattdessen bei der Lektüre heiterer Dichtung zu zerstreuen. Auf der Suche nach irgendeinem Bändchen fiel mir ganz unerwartet ein merkwürdiges Buch in die Hand; es gehörte nicht zu meinem eigenen Bestand, sondern war mir zusammen mit anderen Bänden zur Aufbewahrung anvertraut worden. Ich öffnete es, entnahm dem Titelblatt, daß es sich Matheolus [1] nannte und lächelte, denn bislang hatte ich es zwar noch nie einsehen können, aber schon oft gehört, es verbreite, im Gegensatz zu anderen Büchern, Gutes über die Frauen. Ich hoffte also, mich bei seiner Lektüre zu entspannen, kam jedoch kaum dazu, darin herumzublättern, denn schon bald rief mich meine gute Mutter und holte mich, da es an der Zeit war, zu einem stärkenden Abendessen ab. Deshalb legte ich dieses Buch vorerst beiseite, nahm mir aber vor, es am folgenden Tag genauer zu betrachten.
Als ich am nächsten Morgen wieder wie gewöhnlich in meiner Studierstube saß, vergaß ich nicht, wie beabsichtigt das Buch des Matheolus noch einmal in die Hand zu nehmen. Ich fing also an, darin zu lesen und kam auch ein Stück voran. Da mir aber sein Inhalt für all jene, die an Verleumdung wenig Gefallen finden, nicht sonderlich erheiternd schien, da ich in ihm keinerlei Nutzen für den Entwurf eines ethischen oder moralischen Systems er erblicken konnte und es außerdem anstößige Ausdrücke und Themen enthielt, blätterte ich nur ein wenig darin herum und legte es, nach einem Blick auf den Schluß, beiseite, um mich anspruchsvolleren und nützlicheren Studien zuzuwenden. Aber so unbedeutend dieses Buch im Grunde auch war, es lenkte meine Gedanken doch in eine neue Richtung: in meinem Inneren war ich verstört und fragte mich, welches der Grund, die Ursache dafür sein könnte, daß so viele und so verschiedene Männer, ganz gleich welchen Bildungsgrades, dazu neigten und immer noch neigen, in ihren Reden, Traktaten und Schriften derartig viele teuflische Scheußlichkeiten über Frauen und deren Lebensumstände zu verbreiten. Und zwar nicht nur einer oder zwei oder nur jener Matheolus, der in literarischer Hinsicht völlig unbedeutend ist und Lügengewäsch verbreitet, nein: allerorts, in allen möglichen Abhandlungen scheinen Philosophen, Dichter, alle Redner (ihre Auflistung würde zu viel Raum beanspruchen) wie aus einem einzigen Munde zu sprechen und alle zu dem gleichen Ergebnis zu kommen, daß nämlich Frauen in ihrem Verhalten und ihrer Lebensweise zu allen möglichen Formen des Lasters neigen[2]
Da mich diese Dinge sehr beschäftigten, machte ich mich daran, mich selbst und mein Verhalten als Wesen weiblichen Geschlechts zu prüfen; und in ähnlicher Weise diskutierte ich mit anderen Frauen, die ich traf: mit zahlreichen Fürstinnen, einer Unmenge von Frauen aus den unterschiedlichsten sozialen Ständen, die mir liebenswürdigerweise ihre geheimsten Gedanken offenbarten, damit ich auf der Grundlage dieses Wissens und völlig unvoreingenommen abwöge, ob das, was so viele ehrenwerte Männer über die Frauen verbreiten, zutrifft. Aber trotz allem, was ich auf diesem Wege erfuhr, und obwohl ich äußerst gründlich beobachtete und prüfte, fand ich keinerlei Anhaltspunkte für solche abschätzigen Urteile über meine Geschlechtsgenossinnen und die weiblichen Stände[3] Dennoch bezog ich Position gegen die Frauen und meinte, es sei völlig unvorstellbar, daß so bedeutende Männer — berühmte Gelehrte von beträchtlichem intellektuellen Format, scharfsinnig in jeder Hinsicht, wie jene es zu sein schienen — daß diese Männer Lügen über die Frauen verbreitet hätten; und dies an so vielen Stellen, daß ich kaum einmal einen Band moralischen Schrifttums fand (ganz gleich, aus welcher Feder), ohne bereits nach kürzester Zeit auf frauenfeindliche Kapitel oder Aussprüche zu stoßen! Schon daraus schloß ich, dies müsse stimmen — auch wenn ich selbst in meiner Einfalt und Unwissenheit unfähig war, meine eigenen schlimmen Schwächen und die der anderen Frauen zu erkennen. Und so verließ ich mich mehr auf fremde Urteile als auf mein eigenes Gefühl und Wissen.
In diesen Gedanken steigerte ich mich dermaßen hinein, daß ich in einem Zustand der Lethargie verharrte. Ich dachte in diesem Zusammenhang an eine Unzahl von Autoren, die einer nach dem anderen in meine Erinnerung zurückkehrten, gerade so wie ein Quell, der von neuem zu sprudeln beginnt. Zu guter Letzt kam ich sogar zu dem Schluß, Gott habe mit der Frau ein niederträchtiges Wesen erschaffen. Allerdings konnte ich es mir nicht erklären, wie der so überaus würdige Schöpfer sich zu einem solch abscheulichen Werk hatte herablassen können: zur Erschaffung eines Gefäßes, einer Brutstätte und eines Hortes aller Schlechtigkeiten und Laster, wie jene Männer behaupten. In solchen Gedanken befangen, erfüllten mich gewaltiger Überdruß und große Verzagtheit, denn ich verachtete mich selbst und mit mir das gesamte weibliche Geschlecht, als wäre es ein Irrtum der Natur. In meinem Kummer sprach ich die folgenden Worte:
»Ach, Gott, wie ist das überhaupt möglich? Denn wenn mich mein Glaube nicht trügt, dann darf ich doch annehmen, daß Du in Deiner grenzenlosen Weisheit und vollkommenen Güte nichts Unvollkommenes erschaffen hast. Aber hast Du nicht selbst, und zwar auf eine ganz besondere Weise, die Frau erschaffen und sie dann mit all jenen Eigenschaften versehen, die Du ihr zu geben beliebtest? Es ist doch undenkbar, daß Du in irgendeiner Sache versagt haben solltest! Und dennoch gibt es so viele und gewichtige Beschuldigungen, mehr noch: Urteile, Versicherungen, Schlußfolgerungen zu Ungunsten der Frauen. Dies ist ein Widerspruch, den ich nicht aufzulösen vermag. Wenn es nun stimmt, teurer göttlicher Herr, und das weibliche Geschlecht wirklich ein Ausbund aller Schlechtigkeit ist, wie es so viele Männer bezeugen (und Du sagst selbst, das Zeugnis vieler trage zur Glaubwürdigkeit bei), weshalb sollte ich daran zweifeln? Ach, Gott, warum ließest Du mich nicht als Mann auf die Welt kommen, damit ich Dir mit meinen Gaben besser dienen könnte, damit ich mich niemals irrte und ich überhaupt so vollkommen wäre, wie es der männliche Mensch zu sein vorgibt? Weil Du jedoch Deine Großmut nicht an mir hast walten lassen, mußt Du auch nachsichtig hinsichtlich meiner Schwächen sein, wenn ich Dir diene, teurer göttlicher Herr, denn so ist es nun einmal: je weniger Lohn ein Diener von seinem Herrn bekommt, desto mehr enthebt ihn das von der Verpflichtung zu Dienstleistungen.« In meinem Unmut richtete ich diese und zahlreiche andere Worte an Gott, beklagte mich und haderte in meiner Torheit damit, von Gott in einem weiblichen Körper auf die Erde geschickt worden zu sein.
HIER ERZÄHLT CHRISTINE, WIE IHR DREI VORNEHME FRAUEN ERSCHEINEN,
WIE IHRE ANFÜHRERIN SIE ANREDET UND SIE ÜBER IHREN KUMMER HINWEGTRÖSTET.
II.
Während ich mich mit so traurigen Gedanken herumquälte, ich den Kopf gesenkt hielt wie eine, die sich schämt, mir die Tränen in den Augen standen und ich den Kopf in meiner Hand barg, den Arm auf die Stuhllehne gestützt, sah ich plötzlich einen Lichtstrahl auf meinen Schoß fallen, als wenn die Sonne schiene. Und ich, die ich mich an einem dunklen Ort aufhielt, den zu dieser Stunde die Sonne gar nicht erhellen konnte, schreckte auf, gleich einer Person, die aus dem Schlaf hochfährt. Ich hob den Kopf, um die Lichtquelle zu suchen, und erblickte drei gekrönte Frauen von sehr edlem Aussehen, die leibhaftig vor mir standen. Das von ihren hellen Gesichtern ausstrahlende Licht erleuchtete mich und alles um mich herum. Man kann sich meine Überraschung vorstellen, denn alle Türen waren fest verriegelt, und trotzdem war es ihnen gelungen einzudringen. In der Befürchtung, es handele sich um eine mir als Versuchung auferlegte Geistererscheinung, schlug ich auf meiner Stirn das Zeichen des Kreuzes und war von großer Angst erfüllt.
Da redete die erste der drei Frauen mich lächelnd folgendermaßen an: »Teure Tochter, erschrick nicht, denn wir sind nicht gekommen, um dir zu schaden oder dir Kummer zu bereiten, sondern um dich zu trösten und dich aus deiner Unwissenheit zu erlösen, weil uns deine Verwirrung dauert. Sie verdunkelt so sehr deinen Verstand, daß du das, was du mit Sicherheit weißt, abstreitest und das glaubst, was du selbst nicht aus eigener Anschauung oder eigener Erfahrung, sondern lediglich aus den zahlreichen Meinungsäußerungen fremder Menschen weißt. Du gleichst dem Narren aus dem Schwank, dem man, während er in der Mühle schlief, Frauenkleider anzog und der beim Erwachen, weil seine Gegner ihm weismachten, er sei eine Frau, diesen Lügen mehr Glauben schenkte als der Gewißheit seines Seins. Wie geht das an, schöne Tochter? Wo hast du all deinen Scharfsinn gelassen? Hast du denn vergessen, daß feines Gold in der Feuersglut seine Beschaffenheit beweist, die sich nicht verändert und sich höchstens noch verfeinert, je mehr es auf unterschiedliche Weise gehämmert und bearbeitet wird? Weißt du denn nicht, daß die höchsten Dinge zugleich die umstrittensten sind? Und wenn du dein Augenmerk auf die allerhöchsten Dinge, die Ideen, das heißt: die himmlischen Dinge richtest, so solltest du auch einmal erwägen, ob nicht die größten Philosophen aller Zeiten, die du gegen dein eigenes Geschlecht einsetzt, vielleicht falsche Schlüsse gezogen haben; und ob nicht der eine auf den anderen antwortet und sie sich wiederholen: genau das hast du ja selbst im Buch von der Metaphysik beobachtet, wo Aristoteles fremde Meinungen wiedergibt und sowohl Platon als auch andere wiederholt. Und bedenke ebenfalls, daß der heilige Augustin und andere Kirchenväter sogar Aristoteles korrigiert haben und damit den Fürsten der Philosophie, der in der Natur- und Moralphilosophie zu höchsten Erkenntnissen gelangt war.
Es hat außerdem den Anschein, daß für dich jede Äußerung eines Philosophen den Status eines Glaubensgrundsatzes hat und du es für ausgeschlossen hältst, daß auch sie irren könnten. Was die Dichter angeht, von denen du sprichst: weißt du denn nicht, daß sie schon oft nichts anderes als Ammenmärchen verbreitet haben und zuweilen das Gegenteil von dem meinen, was sie in ihren Schriften kundtun? Aber man bekommt sie mit Hilfe einer rhetorischen Figur zu fassen, die »Antiphrase« heißt; wie du -weißt, bezeichnet sie den Sachverhalt, daß man jemanden als schlecht bezeichnet, in Wirklichkeit aber meint, er sei gut, und umgekehrt. Deshalb rate ich dir, ihre Werke in deinem Sinne zu lesen und die frauenfeindlichen Passagen, in welcher Absicht auch immer sie verfaßt sein mögen, so zu verstehen. Vielleicht meinte es ja auch jener Autor, der in seinem Buch als Matheolus auftritt, gerade so; denn es gibt viele Dinge, die, wortwörtlich verstanden, pure Ketzerei wären. Ferner: die Erfahrung hat bewiesen, daß die heftige Kritik am heiligen und gottgewollten Stand der Ehe, so wie sie sich vor allem im Rosenroman,[1] aber auch anderenorts findet, weil dessen Autor großen Einfluß hatte, völlig unberechtigt ist und die Beschuldigung der Frauen jeglicher Grundlage entbehrt. Denn wo hat es jemals einen Ehemann gegeben, der sich dermaßen von seiner Frau beherrschen ließ und es duldete, sich von ihr so viele abscheuliche Beschimpfungen an den Kopf werfen zu lassen, wie jene es den Frauen nachsagen? Was immer du zu diesem Thema gelesen hast, aber nie selbst erlebt hast: ich halte es für plumpe Lügen. Teure Freundin, deshalb sage ich dir zu guter Letzt, daß allein die Einfalt die Ursache deiner gegenwärtigen Auffassung ist. Darum werde wieder du selbst, bediene dich wieder deines Verstandes und kümmere dich nicht weiter um solche Torheiten! Denn eines mußt du wissen: alle Bosheiten, die allerorts über die Frauen verbreitet werden, fallen letzten Endes auf die Verleumder und nicht auf die Frauen zurück.«
HIER ERZÄHLT CHRISTINE, WIE DIE FRAU, DIE SIE ANGESPROCHEN HAT,
IHR IHRE IDENTITÄT, IHR WESEN UND IHRE PFLICHTEN ENTHÜLLT
UND WIE DIESE IHR VERHEISST, SIE WERDE GEMEINSAM MIT DEN
DREI HOHEN FRAUEN EINE STADT ERRICHTEN.
III.
Diese Worte richtete die ehrwürdige Frau an mich, und ich bin außerstande zu sagen, welchen meiner Sinne ihre Gegenwart mehr fesselte: war es mein Ohr, als ich ihren bedeutsamen Worten lauschte? Oder waren es meine Augen, mit denen ich ihre unvorstellbare Schönheit, ihre prächtige Kleidung, ihre edle Haltung und ihr so würdevolles Auftreten betrachtete? Mit den anderen Frauen ging es mir ähnlich; ich wußte nicht, welche von ihnen ich ansehen sollte, denn die drei hohen Frauen ähnelten sich so sehr, daß ich nur mit Mühe die eine von der anderen unterscheiden konnte. Eine Ausnahme machte höchstens die letzte: sie trat ebenso ehrfurchtgebietend auf wie die anderen, hatte jedoch einen so strengen Gesichtsausdruck, daß auch der Mutigste es mit der Angst zu tun bekommen konnte, wenn er ihr in die Augen blickte. Es schien, als besitze sie die Fähigkeit, Übeltäter in Angst und Schrecken zu versetzen.
So stand ich also vor ihnen (ich hatte mich zuvor zu ihrer Begrüßung erhoben) und betrachtete sie stumm, wie eine Person, der es vor lauter Verwirrung die Sprache verschlägt. Ich war von großer Bewunderung erfüllt und fragte mich, wer diese Frauengestalten wohl sein könnten, und wenn ich es gewagt hätte, hätte ich mich nur allzugern nach ihrem Namen und Stand erkundigt, nach der Bedeutung der unterschiedlichen, sehr kostbaren Kleinodien, die eine jede in der rechten Hand hielt, und nach dem Grund ihres Kommens. Aber da ich mich für unwürdig hielt, solche Fragen an so vornehme Frauen wie jene zu richten, wagte ich es nicht, sondern fuhr fort, sie anzusehen, halb erschreckt und halb beruhigt durch die an mich gerichteten Worte, die meinen ersten Verdacht entkräftet hatten. Jedoch setzte die weise Frau, die mich angeredet hatte und in ihrer Scharfsichtigkeit meine Gedanken erriet, meinem Nachdenken die folgenden Worte entgegen:
»Teure Tochter, wisse, daß die göttliche Vorsehung, die nichts im Ungewissen oder Leeren läßt, uns — obwohl wir himmlische Wesen sind — dazu bestimmt hat, in dieser Welt, inmitten der Menschen zu weilen. Wir haben die Aufgabe, die von uns nach göttlichem Willen in den verschiedenen Bereichen geschaffenen Einrichtungen in Ordnung und Gerechtigkeit zu erhalten. Meine Aufgabe ist es, diejenigen Männer und Frauen, die die Orientierung verloren haben, aufzurichten und wieder auf den rechten Weg zu bringen. Und wenn sie im Irrtum befangen sind, so nähere ich mich ihnen (vorausgesetzt, sie sind klug genug, m ich zu erkennen) insgeheim über ihren Verstand, wirke auf sie ein und predige ihnen, indem ich ihnen ihren Irrtum und ihre Fehlschlüsse vor Augen halte und ihnen die Ursachen dafür nenne. Ferner lehre ich sie, das Sinnvolle zu tun und das Tadelnswerte zu meiden. Und weil es mir obliegt, allen ihre eigenen Pflichten und Verirrungen in aller Deutlichkeit zu zeigen, sie ihnen theoretisch und praktisch vor Augen zu führen, siehst du mich statt eines Szepters diesen funkelnden Spiegel in meiner Rechten halten. Und wisse: niemand, welches Wesen auch immer, spiegelt sich darin, ohne zu einer klaren Erkenntnis seiner selbst zu gelangen. Oh! mein Spiegel ist von großer Erhabenheit (nicht zufällig umrahmen ihn, wie du siehst, kostbare Edelsteine), denn er offenbart das Wesen, die Eigenschaften, die Verhältnisse und Maße aller Dinge; ohne ihn kann nichts gelingen. Da du aber ebenfalls wissen möchtest, welches die Befugnisse meiner beiden Schwestern sind, die du hier siehst, und damit unsere Aussagen dich überzeugen, wird jede von uns selbst Auskunft über ihren Namen und ihr Wesen geben.
Jedoch will ich dir sofort den Grund für unser Kommen erläutern. Wir unternehmen nichts ohne guten Grund, und so kannst du versichert sein, daß unser Erscheinen an diesem Ort nicht zufällig ist. Manche Orte meiden wir allerdings ganz, und nicht allen Menschen offenbaren wir uns. Du aber, teure Freundin, verdienst es, in deiner Verwirrung und Traurigkeit von uns aufgesucht und getröstet zu werden. Dies verdankst du deiner leidenschaftlichen Liebe zur Ergründung der Wahrheit durch langes und beharrliches Studium, um dessentwillen du dich aus der Welt hierhin in die Einsamkeit zurückziehst. Mögen dir die Augen geöffnet werden hinsichtlich jener Dinge, die deinen Mut lähmen, verwirren und an seine Stelle Niedergeschlagenheit treten lassen. Es gibt allerdings noch einen gewichtigeren, tieferen Grund für unser Kommen, den du unserem Bericht entnehmen kannst: wisse, wir sind hier, um eben jenen Irrtum, dem du aufgesessen bist, aus der Welt zu schaffen und um künftig allen hochherzigen und rechtschaffenen Frauen einen Ort der Zuflucht, eine umfriedete Festung gegen die Schar der boshaften Belagerer zu bieten. Allzu lange schon stehen die edlen Frauen ganz allein, sind ungeschützt wie ein Feld ohne Hecke, ohne einen Kämpfer, der sich ihrer Sache in angemessener Weise annähme; von Rechts wegen hätten sie eigentlich die Edelleute verteidigen müssen, aber sie haben es aus Nachlässigkeit und Gleichgültigkeit geduldet, daß man mit den Frauen übel umsprang. Deshalb ist es nicht weiter verwunderlich, wenn ihre mißgünstigen Gegner und die hämischen Finsterlinge, die auf die Frauen alle möglichen Pfeile abgeschossen haben, diesen Krieg für sich entscheiden konnten, fehlte es doch ganz einfach an einer angemessenen Verteidigung. Welche Stadt, ganz gleich, wie stark ihre Befestigungen sind, ließe sich nicht einnehmen, wenn es an Widerstand mangelt? Und welcher noch so eindeutig zu entscheidende Streitfall würde, bei Abwesenheit der Gegenpartei, nicht von demjenigen gewonnen, der den Prozeß ohne Gegenspieler führt? Die Frauen, gutmütig und ohne Falschheit, haben das göttliche Gebot der Langmut befolgt und gelassen die schweren Beschimpfungen erduldet, die ihnen in Rede und Schrift, völlig zu Unrecht, zugefügt wurden. Sie vertrauten dabei auf die göttliche Gerechtigkeit. Aber nun ist es höchste Zeit, ihre gerechte Sache den Händen Pharaos zu entreißen![1] Wir, die drei großen Frauen, die wir hier vor dir stehen, haben deshalb der Regung des Mitgefühls stattgegeben und sind gekommen, dir von einem Bauwerk ganz besonderer Art zu künden. Es wird der Umfriedung einer solide gemauerten und gebauten Stadt gleichen. Dir ist es bestimmt, es mit unserer Hilfe und unserem Beistand zu errichten. Bewohnen sollen es ausschließlich berühmte und vornehme Frauen, ferner solche, die es verdienen gepriesen zu werden; für solche jedoch, denen es an Tugend gebricht, werden die Mauern unserer Stadt ein unüberwindbares Hindernis sein.
HIER WIRD DES WEITEREN BERICHTET, WIE JENE VORNEHME FRAU CHRISTINE VON DER STADT ERZÄHLT, DIE DIESE ERRICHTEN SOLL. SIE TEILT IHR FERNER MIT, DASS SIE ENTSANDT WURDE, UM IHR BEI DER ERRICHTUNG DER STADTMAUERN UND DER UMFRIEDUNG BEHILFLICH ZU SEIN; ZU GUTER LETZT NENNT SIE IHREN NAMEN.
IV.
Dir, schöne Tochter, wird auf diese Weise vor allen anderen Frauen das Vorrecht zuteil, die Stadt der Frauen zu errichten, und wie aus klaren Brunnen wirst du aus uns drei Frauen frisches Wasser schöpfen, um den Grundstein zu dieser Stadt zu legen und sie zu vollenden. Wir werden dich reichlich mit Baustoff versehen, der fester und haltbarer ist als Marmor und Mörtel zusammen. Deshalb wird deine Stadt von einzigartiger Schönheit und immerwährendem Bestand auf dieser Welt sein.
Hast du denn nicht gelesen, wie der König Tros die große Stadt Troja mit Hilfe von Apollo, Minerva und Neptun, die man damals für Götter hielt, gründete und wie ferner Kadmos auf Geheiß der Götter den Grundstein für die Stadt Theben legte? Trotzdem sind diese Städte im Lauf der Zeit dem Verfall und der Zerstörung anheimgefallen. Ich aber, gleich einer Weissagerin, prophezeie dir, daß die Stadt, die du mit unserer Hilfe gründen wirst, weder Zerstörung noch Verfall erleben wird, vielmehr, all ihren mißgünstigen Feinden zum Trotz, über alle Zeiten hinweg blühen und gedeihen wird. Auch wenn sie manchem Angriff standhalten muß, wird sie doch niemals erobert oder besiegt werden.
In früheren Zeiten, so berichtet die Überlieferung, wurde das Reich der Amazonen auf Geheiß und Bestreben mehrerer großherziger Frauen gegründet, welche die Knechtschaft verachteten. Über einen langen Zeitraum hinweg und unter der Herrschaft verschiedener Königinnen, die edle Frauen waren und von ihnen selbst gewählt wurden, verteidigten sie es. Diese regierten sie mit Klugheit und hielten die Herrschaft mit großer Strenge aufrecht. Aber so mächtig und stark jene auch waren und obgleich sie in der Zeit ihrer Herrschaft einen Großteil des gesamten Orients eroberten und alle Nachbarländer in Schrecken versetzten (sie wurden sogar von den Bewohnern Griechenlands, das damals das erste unter allen Ländern der Welt war, gefürchtet), zerfiel doch am Ende die Macht dieses Königreichs. So kam es — und dies gilt für alle Formen weltlicher Herrschaft — daß heute nur noch der Name überlebt hat.
Aber du wirst mit dieser Stadt, die du zu bauen hast, ein weitaus beständigeres Werk schaffen. Nach unser dreier Ratschluß bin ich damit beauftragt, den Anfang zu machen und dich mit haltbarem, unverfälschten Mörtel zu versehen, damit ein solider Grund gelegt wird; dann um sie herum starke Mauern zu ziehen, hoch, breit, bestückt mit starken Türmen und wehrhaften Kastellen mit Gräben, richtigen Bollwerken, mit eben allem, was zu einer stark und dauerhaft befestigten Stadt gehört. Und auf unser Geheiß wirst du sie tief in den Boden einlassen, damit sie mehr Halt haben, und dann ziehst du die Mauern so hoch, daß sie niemanden zu fürchten brauchen. Tochter, nun habe ich dir die Gründe für unser Kommen enthüllt, und damit du meinen Worten mehr Glauben schenkst, will ich dir jetzt meinen Namen sagen. Sein bloßer Klang wird dir offenbaren, daß du in mir, wenn du meine Anweisungen befolgst, eine Verbündete für dein Werk gefunden hast, die Irrwege unmöglich macht. Ich bin die edle Frau Vernunft;[1] nun überlege, ob du dich in guter Obhut befindest. Mehr sage ich dir vorläufig nicht dazu.«
HIER ERZÄHLT CHRISTINE, WIE DIE ZWEITE VORNEHME FRAU SIE ÜBER IHREN NAMEN UND IHREN AUFGABENBEREICH UNTERRICHTET UND IHR SAGT, AUF WELCHE WEISE SIE IHR BEIM BAU DER STADT DER FRAUEN BEHILFLICH SEIN WIRD.
V.
Nachdem jene hohe Frau ihre Rede beendet hatte, begann die zweite, auch um der ersten eine Pause zu verschaffen, folgendermaßen: »Ich werde Rechtschaffenheit genannt, und meine Bleibe ist eher im Himmel als auf Erden. Aber als Strahl und Abglanz Gottes, als Botin seiner Güte, verkehre ich mit den gerechtigkeitslieben-den Menschen und halte sie dazu an, das Gute zu tun, jedem nach bestem Vermögen das Seinige zu verschaffen, die Wahrheit zu verkünden und zu unterstützen, den Armen und Unschuldigen zu ihrem Recht zu verhelfen, dem Mitmenschen keinen Kummer durch Drangsalierung zu bereiten und den Leumund der zu Unrecht Angeklagten zu verteidigen. Ich bin der Schild und die Hilfe der Gefolgsleute Gottes; ich schiebe der Macht und dem Einfluß der Bösen einen Riegel vor. Ich verschaffe den Arbeitenden Lohn und den Wohltätern Verdienst. Seinen Freunden offenbart Gott über mich seine Geheimnisse; ich bin im Himmel ihre Anwältin. Dieses funkelnde Lot, das du mich anstelle eines Szepters in der rechten Hand halten siehst, ist die gerechte Regel, die Recht vom Unrecht trennt und den Unterschied zwischen Gut und Böse anzeigt: wer ihr folgt, geht nie fehl. Es ist der Friedensstab, der die Guten versöhnt und auf den sie sich stützen, der Stab, der die Bösen schlägt und straft. Was soll ich dir sonst noch dazu sagen? Dieses Lot zeigt allen Dingen ihre Grenze an, denn unbegrenzt ist sein Geltungsbereich. Wisse außerdem, daß es dir behilflich sein wird, die Berechnungen für den Bau der Stadt, mit dem du betraut bist, anzustellen. Du wirst es sehr wohl brauchen können, um das Innere der genannten Stadt zu konstruieren, um hohe Gotteshäuser zu errichten, zum Ausmessen der Paläste, der Häuser und aller Gebäude, der Straßen und Plätze und all jener Dinge, deren es bedarf, um sie mit Leben zu erfüllen. Meine Aufgabe ist es, dir beizustehen. Nun erschrick nicht angesichts der ungeheuren Dicke des Mauerwerks und des ausgedehnten Umfangs der Umfriedung, denn mit Gottes und unserer Hilfe wirst du schon alles aufs vollkommenste ausfüllen und wunderschöne, gut befestigte Wohnstätten und Gebäude errichten, ohne irgendwelche Leerräume zu lassen.«
HIER ERZÄHLT CHRISTINE, WIE DIE DRITTE VORNEHME FRAU SIE ÜBER IHREN NAMEN UND IHREN AUFGABENBEREICH UNTERRICHTET UND IHR MITTEILT, AUF WELCHE WEISE SIE IHR BEI DER ERRICHTUNG DER HOHEN DÄCHER DER TÜRME UND PALÄSTE BEHILFLICH SEIN UND IHR DIE KÖNIGIN IN BEGLEITUNG HOCHGESTELLTER FRAUEN ZUFÜHREN WIRD.
VI.
Alsdann ergriff die dritte Frau das Wort, um folgendes zu sagen: »Teure Christine, ich bin Gerechtigkeit, die einzigartige Tochter Gottes, deren Wesen in Ihm seinen unmittelbaren Ursprung besitzt. Mein Aufenthaltsort ist der Himmel, die Erde und die Hölle: der Himmel, zum Ruhme der Heiligen und der Seelen der Glückseligen; die Erde, um einem jeden den ihm zustehenden Anteil an Gut und Böse zuzuteilen und zu geben; die Hölle, zwecks Bestrafung der Bösen. Ich bin in jeder Hinsicht unnachgiebig und besitze weder Freund noch Feind, und mein Wille schwankt nicht. Weder vermag mich Mitleid zu überzeugen noch Grausamkeit zu bewegen. Meine einzige Aufgabe besteht darin, zu urteilen, zu schlichten und Frieden nach dem gerechten Verdienst eines jeden zu stiften. Ich sorge dafür, daß jedes Ding an seinem Platz bleibt, und ohne mich wäre nichts von Dauer. Ich bin in Gott, Gott ist in mir, und wir sind wie Eins. Wer mir folgt, kann nicht fehlen, denn mein Weg ist sicher. Ich lehre jeden vernunftbegabten Mann und jede vernunftbegabte Frau, der oder die mir Glauben schenken will, zunächst sich selbst zu bessern, zu erkennen und sich wieder in die Gewalt zu bekommen, dem Mitmenschen das zuzufügen, was man selbst erfahren möchte, alles gerecht aufzuteilen, die Wahrheit zu sagen, die Lüge zu meiden und zu hassen und alles Lasterhafte von sich zu weisen. Diese Waagschale aus feinem Gold, die du mich in der rechten Hand halten siehst und die die Form eines runden Maßes besitzt, hat Gott, mein Vater, mir gegeben; sie dient dazu, einem jeden das ihm Zukommende zu bemessen. Sie trägt das Zeichen der Lilie der Dreifaltigkeit, und bei allen Zuteilungen beweist sie Gerechtigkeit: niemand kann sich über mein Maß beklagen. Aber die Menschen auf der Erde benutzen andere Maße, von denen sie zu Unrecht behaupten, diese hingen mit meinem zusammen und stammten von ihm ab. So manches Mal messen sie in meinem Namen, aber nie ist ihr Maß gerecht, sondern stets für die einen zu groß und zu klein für die anderen.
Ich könnte dir noch sehr lange etwas über die Besonderheiten meiner Pflichten erzählen, aber, um es kurz zu machen: ich nehme eine Sonderstellung unter allen Tugenden ein, weil sie sich alle auf mich beziehen. Wir, die drei vornehmen Frauen, die du hier siehst, sind wie ein einziges Wesen, denn die eine kommt nicht ohne die andere aus; was die erste verfügt, ordnet die zweite an und setzt es in Gang, und dann führe ich es weiter und bringe es zum Abschluß. So haben wir drei Frauen beschlossen, daß ich dir bei den letzten Arbeiten an deiner Stadt behilflich sein soll. Meine Aufgabe wird es sein, die hohen Dächer der Türme, der vornehmsten Wohnstätten und Gebäude zu errichten, die aus feinem, leuchtenden Gold bestehen sollen. Des weiteren werde ich deine Stadt mit würdigen Bewohnerinnen bevölkern und mit der vornehmen Königin, die ich dir zuführe und der die höchste Ehre und der höchste Rang unter den vornehmsten Frauen gebührt. Auf diese Weise w ill ich, mit deiner Hilfe, die Erbauung deiner Stadt zu einem Abschluß bringen, sie mit Befestigungen und starken Toren himmlischen Ursprungs versehen, und ganz zum Schluß werde ich dir die Schlüssel aushändigen.«
HIER ERZÄHLT CHRISTINE, IN WELCHER WEISE SIE DIE
DREI VORNEHMEN FRAUEN ANSPRICHT.
VII.
Am Ende dieser Reden, während derer ich den drei hohen Frauen mit der allergrößten Aufmerksamkeit lauschte und die mich aus der trübseligen Stimmung vor ihrem Kommen befreit hatten, warf ich mich zu ihren Füßen nieder, das heißt, ich kniete nicht einfach vor ihnen, sondern warf mich, da ich es mit so herausragenden Frauen zu tun hatte, lang auf dem Boden hin. Ich küßte die Erde im Umkreis ihrer Füße, huldigte ihnen gleich Ruhmesgöttinnen und richtete diese meine Rede an sie: »Oh allerhöchste Frauen, Abglanz des Himmels und Licht der Erde, Quellen des Paradieses und Wonne der Glückseligen: wie ist es möglich, daß Eure Hoheit einer solchen Erniedrigung gewichen ist und Ihr geruhtet, von Euren päpstlichen Stühlen und funkelnden Thronen herabzusteigen in die trübe, dunkle Behausung der einfältigen und unwissenden Studierenden? Wer vermöchte angesichts einer solchen Wohltat angemessene Worte des Dankes zu finden? Durch den Regen und den Tau Eurer süßen Rede, die auf mich herabgeflossen ist, habt Ihr die Dürre meines Verstandes durchdrungen und benetzt; deshalb verspürt er jetzt die Bereitschaft, Keime zu entwickeln und neue Pflanzen herauszubilden, denen eine ebenso nützliche wie köstliche Frucht entwachsen wird. Wie aber kommt es, daß gerade mir diese Gnade zuteil wird und gerade ich, nach Euren Worten, damit betraut werde, in diesem Augenblick eine neue Stadt auf der Welt zu gründen?
Ich bin doch keineswegs der heilige Apostel Thomas,[1] der mit Hilfe der göttlichen Gnade dem König von Indien im Himmel einen prächtigen Palast erbaute*; außerdem versteht sich mein schwacher Verstand weder auf Technik oder bauliche Berechnungen, noch hat er sich jemals mit der Theorie und Praxis des Maurerhandwerks befaßt. Und selbst wenn ich diese Dinge theoretisch beherrschte, woher sollte mein schwacher Frauenkörper die notwendige Kraft für die Durchführung eines so gewaltigen Projekts nehmen? Aber, edle und hochverehrte Frauen, selbst wenn die uneingeschränkte Freude über diese Nachricht mir fern liegt, so weiß ich doch, daß Gott nichts unmöglich ist, und ich habe keinen Anlaß zu bezweifeln, daß, was immer mit Eurem Rat und Eurer Hilfe unternommen wird, zu einem ruhmreichen Ergebnis führen muß. Deshalb lobe ich Gott von ganzem Herzen, desgleichen Euch, Ihr edlen Frauen, die Ihr mich zu der Ausführung eines so ehrenvollen Auftrags bestimmt habt, den ich frohen Herzens annehme. Vor Euch steht Eure Magd, zum Gehorsam bereit. Nun befehlt, ich werde gehorchen, und alles soll von mir nach Euren Anordnungen ausgeführt werden.«
HIER ERZÄHLT CHRISTINE, WIE SIE AUF GEHEISS UND MIT HILFE VON
FRAU VERNUNFT BEGINNT, DIE ERDE AUSZUHEBEN, UM DAS FUNDAMENT ZU LEGEN.
VIII.
Daraufhin antwortete Frau Vernunft und sprach: »Jetzt fang an, Tochter. Laß uns, ohne noch mehr Zeit zu verlieren, hinaus aufs Feld der Literatur gehen: dort soll die Frauenstadt auf einem fetten und fruchtbaren Boden errichtet werden, dort, wo alle Früchte wachsen, sanfte Flüsse fließen und die Erde überreich ist an guten Dingen jeglicher Art. Nimm die Spitzhacke deines Verstandes, grabe tief und hebe überall dort einen tiefen Graben aus, wo es mein Lot dir anzeigt: ich werde dir mit meinen eigenen Schultern helfen, die Erde fortzuschaffen.«
Um ihrem Befehl nachzukommen, richtete ich mich voll auf und fühlte mich bereits durch den Einfluß der Frauen bedeutend kräftiger und leichter als zuvor. Sie ging also voraus, ich folgte ihr, und als wir auf dem besagten Feld angekommen waren, begann ich die Aushebungsarbeiten mit der Spitzhacke der Erkundung und hielt mich genau an ihre Anweisungen. Mein erstes Werk sah folgendermaßen aus:
»Edle Frau, ich erinnere mich sehr wohl daran, daß Ihr mir zuvor — als von den zahlreichen Männern die Rede war, die zu allen Zeiten Frauen verschiedener Stände vehement getadelt haben — sagtet, Gold werde um so feiner, je länger man es der Feuersglut aussetzt. Das bedeutet doch wohl, daß Verdienst und Ruhm der Frauen wachsen, je häufiger sie zu Unrecht beschuldigt werden. Aber ich bitte Euch, erklärt mir, weshalb das so ist, warum so viele verschiedene Schriftsteller in ihren Büchern gegen die Frauen das Wort ergriffen haben, denn nun weiß ich ja bereits von Euch, daß dies völlig ungerechtfertigt ist. Gibt die Natur ihnen dies ein, oder tun sie es aus Haß, und worauf ist dies alles zurückzuführen?« Da antwortete sie mir folgendermaßen: »Tochter, ich schaffe diese erste Kiepe mit Erde fort, damit du noch tiefer graben kannst. Wisse, nicht die Natur ist die Ursache dafür, ganz im Gegenteil, denn es gibt auf der Welt kein so mächtiges, starkes Band wie die große Liebe, die die Natur auf Geheiß Gottes zwischen Mann und Frau entstehen läßt. Die Gründe, die zahlreiche Männer in Vergangenheit und Gegenwart dazu bewegt haben, die Frauen zu tadeln, wie es, so hast du selbst gesehen, auch die Schriftsteller in ihren Büchern praktizieren, sind äußerst vielschichtig. Einige taten es in guter Absicht, das heißt: um einige verirrte Männer davon abzubringen, Umgang zu pflegen mit gewissen lasterhaften und sittenlosen Frauen, in die manche Männer zuweilen vernarrt sind; oder um sie davor zu bewahren, sich in solche Frauen zu verlieben; und in der Absicht, einen jeden Mann von einem Leben in Lüsternheit und Wollust abzuhalten. So wurden die Frauen in ihrer Gesamtheit verleumdet, um sie den Männern verabscheuungswürdig erscheinen zu lassen.«
»Teure Frau«, warf ich nun ein, »verzeiht, wenn ich Euch an dieser Stelle unterbreche: demnach handeln diese Männer also richtig, weil sie ja von einer guten Absicht geleitet werden? Denn letzten Endes, so sagt man, erlaubt es die Absicht, einen Menschen zu beurteilen.« »Schöne Tochter, das hast du falsch verstanden«, erwiderte sie, »denn platte Unwissenheit entschuldigt überhaupt gar nichts. Wenn man dich in guter Absicht, jedoch aufgrund einer völlig irrigen Meinung tötete — wäre das dann etwa gut gehandelt? Vielmehr haben die, die so etwas tun, schlimmstes Unrecht begangen; es ist einfach nicht gerecht, die eine Partei mit Schimpf und Schande zu überhäufen, um einer anderen beizustehen; und es widerspricht der Wahrheit, wie ich dir anhand der Erfahrung zeigen werde, pauschal das weibliche Verhalten zu tadeln. Nehmen wir meinetwegen ruhig an, sie hätten es in der Absicht getan, die Narren von ihrer Narrheit zu kurieren: das ist gerade so, als wenn ich das Feuer rügte (das, für sich betrachtet, eine gute und nützliche Sache ist), nur weil einige sich an ihm verbrennen; oder das Wasser, nur weil einige darin ertrinken! Ähnliches läßt sich von allen guten Dingen sagen, von denen man guten oder schlechten Gebrauch machen kann. Wenn also einige Narren Mißbrauch treiben, so darf man deshalb nicht gleich das ganze Geschlecht tadeln; du selbst hast zu diesen Punkten an anderer Stelle in deinem Werk kluge Dinge geschrieben. Aber diejenigen, die sich, in welcher Absicht auch immer, in ihren Schriften lang und breit über die Frauen ausgelassen haben, waren, um ihr Ziel zu erreichen, nicht gerade zimperlich. Genauso macht es derjenige, der sich ein langes und weites Gewand aus einem Stück Stoff schneidern läßt, das ihn nichts kostet und bei dessen Nutzung ihm niemand Beschränkungen auferlegt: auf diese Weise nimmt er fremdes Gut für sich in Anspruch und teilt es sich selbst zu seinem eigenen Vorteil zu. Wie du früher einmal sehr treffend gesagt hast (und ich teile deine Meinung vollkommen): jene Autoren hätten Vorzügliches geleistet, wenn sie Wege und Mittel gefunden hätten, um die Männer von ihrer Torheit abzuhalten und sie davor zu bewahren, jemals müde zu werden, den Lebenswandel und die Sitten verderbter, lasterhafter Frauen zu tadeln; denn es gibt, unter uns gesagt, auf der Welt nichts Abstoßenderes als eine sittenlose Frau. Sie gleicht einer Mißbildung der Natur, einem Wechselbalg, und widerspricht ihrer naturgemäßen Bestimmung zu Sanftmut, Zurückhaltung und Ehrbarkeit. Tadelt man jedoch alle, obwohl es doch so zahlreiche herausragende Frauen gibt, dann versichere ich dir, daß das rein gar nichts mit mir zu tun hat und daß alle, die solche Wege beschreiten, in dem allergrößten Irrtum befangen waren und es noch sind. Deshalb wirf nur diese häßlichen, nutzlosen schwarzen Steine weit weg, denn für das kunstvolle Bauwerk deiner Stadt sind sie völlig unbrauchbar.
Wiederum andere Männer haben die Frauen aus anderen Gründen getadelt: einige aufgrund ihrer eigenen Laster, andere aufgrund einer eigenen körperlichen Mißbildung, wiederum andere aus purer Mißgunst oder aufgrund des ihnen eigentümlichen Vergnügens an übler Nachrede. Noch andere, die ihre Belesenheit beweisen wollen, verlassen sich auf das, was sie in irgendwelchen Büchern gefunden haben und plappern einfach etwas nach, wobei sie sich auf die klassischen Autoren berufen.
Diejenigen, die von eigenen Lastern dazu angetrieben werden, sind Männer, die in ihrer Jugend ein ausschweifendes Leben, mit zahlreichen Liebschaften zu verschiedenen Frauen, geführt haben; aufgrund der vielen Dinge, die sie erlebt haben, sind sie mit allen Wassern gewaschen und in ihrem Zustand der reuelosen Sündhaftigkeit frühzeitig gealtert; nun schmerzen sie ihre vergangenen Torheiten und das ausschweifende Leben, das sie in ihrer Jugend geführt haben. Aber ihre natürlichen Kräfte sind ermattet und erlauben es nicht mehr, das auszuführen, wonach ihnen der Sinn steht und worauf sich ihr kraftloses Begehren richtet. So schmerzt es sie zu sehen, daß das Leben, -welches sie als gute Zeit zu bezeichnen pflegten, für sie vorbei ist und die jungen Leute, die nun so sind, wie sie selbst zu sein pflegten, die Zeit auf ihrer Seite zu haben scheinen. Um nun ihre eigene Traurigkeit zu mindern und zu verjagen, fällt ihnen nichts Besseres ein, als die Frauen zu verleumden, um diese so den anderen Männern verhaßt zu machen. Und deshalb sieht man häufig solche Greise lüsterne und unanständige Reden führen, wie du es bei Matheolus beobachten kannst, der selbst zugibt, ein Greis voller Begehrlichkeit, aber ohne Kraft zu sein. Sein Beispiel mag dir das, was ich dir erzähle, verdeutlichen, und sei versichert: ähnliches trifft auf zahlreiche andere zu.
Aber diese verdorbenen Greise, die mit dem unheilbaren Aussatz zu vergleichen sind, dürfen nicht mit jenen guten und rechtschaffenen alten Männern verwechselt werden, deren Tugend und Weisheit ich vervollkommne; denn nicht alle Greise haben Lasterhaftes im Sinn: das wäre ein großer Jammer! Vielmehr bezeugen alle Worte aus dem Munde jener Guten Beispielhaftigkeit, Ehrsamkeit und Umsicht, entsprechend ihrer Gesinnung. Jene hassen das Böse in Tat und Wort, weder tadeln noch verleumden sie Männer oder Frauen; sie hassen die Laster und verurteilen diese allgemein, ohne jemanden zu beschuldigen oder anzuklagen, sie raten, das Böse zu meiden und den Weg der Tugend und Geradlinigkeit zu beschreiten.
Bei denjenigen, die angestachelt werden von der Unzulänglichkeit ihres eigenen Körpers, handelt es sich um gebrechliche und in ihren Gliedern mißgebildete Männer, die mit einem scharfen und boshaften Verstand begabt sind und den Kummer über ihre eigene Gebrechlichkeit nicht anders vergelten konnten als durch die Schmähung der Frauen, die der Mehrzahl der Männer Freude bereiten: auf diese Weise wähnten sie den anderen das Vergnügen zu rauben, das ihnen selbst versagt blieb.
Diejenigen, die Frauen aus Mißgunst verleumdet haben, sind Kleingeister, die zahlreichen ihnen an Klugheit und Vornehmheit überlegenen Frauen begegnet sind. Sie reagierten darauf mit Schmerz und Unwillen, und so hat ihre große Mißgunst sie dazu bewogen, allen Frauen Übles nachzusagen. Auf diese Weise glaubten sie, den Ruhm und die Ehre jener Frauen zu unterbinden und zu schmälern, gerade so wie es ich weiß nicht welcher Mann in einer seiner Schriften mit dem Titel Über die Philosophie tat; dort rackert ersieh gewaltig ab, um zu beweisen, wie ungehörig es sei, daß einige Frauen von Männern aufs höchste verehrt werden. Er behauptet, jene, die so großes Aufhebens um diese Frauen machen, pervertierten den Titel seines Buches: das heißt, sie verwandelten die Liebe zur Weisheit in die Liebe zur Torheit. Dagegen versichere ich dir, daß er selbst, aufgrund der Verlogenheit seiner Argumentation in dieser Angelegenheit, aus dem Inhalt seines gesamten Buches ein Zeugnis der Liebe zur Torheit macht.
Bei denjenigen, die von Natur zu übler Nachrede neigen und über jedermann herziehen, ist es nicht weiter verwunderlich, wenn sie auch die Frauen schmähen. Auf jeden Fall versichere ich dir eines: wenn ein Mann Gefallen an der Beschimpfung des weiblichen Geschlechts findet, so liegt die Ursache hierfür in einer gewaltigen Niedrigkeit der eigenen Gesinnung, handelt er doch wider die Vernunft und die Natur. Wider die Vernunft insofern, als er sich überaus undankbar und ungefällig verhält angesichts der großen Wohltaten, die die Frau ihm geschenkt hat und deren er immer noch und häufig bedarf. Sie sind so gewaltig, daß er dem nichts entgegenzusetzen hat. Wider die Natur insofern, als es weder irgendein stummes Tier noch irgendeinen Vogel gibt, der nicht von Natur aus seinesgleichen, das Weibchen, liebt. Und deshalb ist es widernatürlich, wenn der vernunftbegabte Mensch das Gegenteil tut.
Da es aber kaum ein bedeutendes Werk eines angesehenen Verfassers gibt, das nicht Nachahmer fände, so gibt es gar manche, die sich aufs Abschreiben verlegen. Sie meinen, das könne gar nicht schiefgehen, da andere bereits in ihren Büchern das gesagt haben, was sie selbst sagen wollen — wie etwa die Frauenverunglimpfung; von dieser Sorte kenne ich eine ganze Menge. Einige von ihnen machen sich daran und bringen sich ins Gespräch, indem sie fade, wäßrige Gedichte produzieren, eins so unsäglich wie das andere, oder dümmliche Balladen, in denen vom Verhalten der Frauen, der Fürsten oder anderer Leute die Rede ist, und das, obwohl ihre Autoren selbst sich weder zu erkennen noch in ihren niedrigen Verhaltensweisen und Neigungen zu ändern vermögen. Schlichte Gemüter jedoch, die genauso dumm sind wie jene Autoren, behaupten, es handle sich um hervorragende Werke.«
HIER WIRD BERICHTET, WIE CHRISTINE IN DER ERDE HERUMWÜHLT:
DAMIT SIND DIE FRAGEN GEMEINT, DIE SIE AN FRAU VERNUNFT RICHTET;
UND WIE DIESE IHR ANTWORTET.
IX.
»Nun habe ich für dich ein großes Werk in Gang gesetzt; es ist jetzt an dir, das Terrain so zu bearbeiten, wie ich es dir gezeigt habe.« Um ihr zu gehorchen, trat ich folgendermaßen mit der ganzen Kraft meines Fußes zu:
»Edle Frau, was fiel Ovid[1] ein, dem vornehmsten der Dichter (so nach der Meinung vieler, und ich schließe mich ihr an, auch wenn Ihr sie dahingehend korrigiert, daß Vergil mehr zu loben sei), daß er in mehreren Werken die Frauen so sehr verunglimpfte, so etwa in einem seiner Bücher, das er Liebeskunst nannte, ferner in einem Buch mit dem Titel Heilmittel gegen die Liebe und in anderen seiner Werke?«
Antwort: »Ovid verstand eine Menge von der Kunst und der Wissenschaft des Dichtens, ferner verfügte er über einen großen und lebhaften Verstand und bewies große Klugheit in allem, womit er sich beschäftigte. Das hinderte ihn aber nicht daran, seinen Körper in nichtigem Treiben und fleischlicher Lust verkommen zu lassen, wobei er nicht einer einzigen Liebe lebte, sondern mit allen Frauen umging, soweit es ihm möglich war; dabei kannte er weder Maß noch Treue, und wirklich am Herzen lag ihm keine einzige Frau. In seiner Jugend lebte er ein solches Leben, solange es ihm möglich war, und am Ende erhielt er die in einem solchen Fall angemessene Belohnung, das heißt: Schande, ferner die Einbuße seines Guts und seiner Gesundheit; denn wegen seiner großen Lüsternheit, die er selbst auslebte, und weil er auch anderen im Wort anempfahl, ein ähnliches Leben zu führen, wurde er ins Exil geschickt.
Da er später dank der Gunst, in der er bei einigen jungen mächtigen Römern stand, zurückgeholt wurde und nicht umhin konnte, dem alten Laster, dessentwegen er bereits bestraft worden war, erneut zu verfallen — wurde er außerdem wegen seiner Schlechtigkeit bestraft und verstümmelt. Und dann trifft genau das ein, wovon ich dir oben berichtet habe: als er sah, daß er nicht mehr das Leben führen konnte, das ihm früher so viel Genuß zu verschaffen pflegte, begann er mit seinen spitzfindigen Argumenten die Frauen zu verunglimpfen und versuchte so, sie anderen Männern verhaßt zu machen.«
»Edle Frau, nun sagt mir: ich sah außerdem ein Buch eines anderen italienischen Autors, ich glaube, er kam aus der Gegend der Toskana oder einem der angrenzenden Gebiete. Er heißt Cecco d'Ascoli[2] und verbreitet in einem Kapitel erstaunlichere Abscheulichkeiten als irgendwer sonst, dergestalt, daß man sie niemandem sagen kann, der mit Klugheit begabt ist.« Antwort: »Wenn Cecco d'Ascoli Schlimmes über alle Frauen verbreitet, meine Tochter, so soll dich das nicht weiter verwundern, denn er verabscheute sie alle und empfand für sie Haß und Abneigung; da er ein sehr schlechter Mensch war, wollte er, daß alle anderen Männer sie auch haßten und verachteten. Aber er bekam dafür seinen wohlverdienten Lohn, denn zur Belohnung für sein sträfliches Laster erlitt er den schmachvollen Feuertod.«
»Edle Herrin, ich sah ein anderes Büchlein in lateinischer Sprache; es nennt sich Secreta Mulierum[3] und verbreitet eine Menge fehlerhafter Ansichten über die Beschaffenheit des weiblichen Körpers.« Antwort: »Ohne daß es eines weiteren Beweises bedarf, kannst du selbst erkennen, daß dieses Buch in einer bestimmten Absicht geschrieben und nachlässig ausgeführt wurde, denn wenn du es gelesen hast, dürfte dir aufgegangen sein, daß es von vorn bis hinten erlogen ist. Und obwohl manche behaupten, sein Verfasser sei Aristoteles, so ist doch völlig unvorstellbar, wie ein Philosoph seines Ranges solch einen Schwachsinn verzapft haben soll. Denn da die Frauen deutlich erkennen können, daß manche Dinge, von denen er spricht, pure Hirngespinste sind, können sie daraus ableiten, daß auch die übrigen Punkte, die er behandelt, ganz eindeutig erlogen sind. Aber hast du denn vergessen, daß er zu Beginn behauptet, irgendein Papst habe jeden Mann exkommuniziert, der seiner Frau aus diesem Buch vorläse oder es ihr zum Lesen gäbe?« »Edle Frau, ja, daran erinnere ich mich wohl.« »Weißt du denn auch, in welch boshafter Absicht den dummen und albernen Männern zu Beginn dieses Buches ein solcher Bär aufgebunden wurde?« »Nein, Herrin, es sei denn, Ihr sagt es mir.« »Es geschah in der Absicht, die Frauen daran zu hindern, Kenntnis von diesem Buch und seinem Inhalt zu erlangen; denn sein Autor wußte sehr wohl: wenn sie es läsen oder man ihnen daraus vorläse, dann durchschauten sie auch seine Lügen; sie hätten gegen das Buch Stellung bezogen und sich darüber lustig gemacht, und aus diesem Grunde wollte der Autor die Männer, die es läsen, überlisten und an der Nase herumführen.« »Edle Frau, ich entsinne mich, daß er, nachdem er sich lange über die Gebrechlichkeit und Schwäche ausgelassen hat, die der Grund dafür seien, im Mutterleib ein weibliches Wesen entstehen zu lassen, unter anderem behauptet, die Natur schäme sich fast, wenn sie sähe, daß sie einen solchen Körper und ein so unvollkommenes Wesen hervorgebracht habe.«
»Ah! sanfte Freundin, erkenne das Übermaß an Torheit, die Verblendung jenseits jeglicher "Vernunft, die der Ursprung solcher Behauptungen ist! Wie, Natur, die Dienerin Gottes, wäre folglich mächtiger als ihr Herr, daß sie eine solche Macht ausüben könnte, mächtiger als ihr Herr, der allmächtige Gott, der einst Mann und Frau nach Seinen Vorstellungen formte? Als Ihm Sein heiliger Wille eingab, auf dem Feld von Damaskus Adam aus Lehm zu formen und Er es vollendet hatte, da führte Er ihn ins irdische Paradies, das der vornehmste Ort auf dieser Welt war und ist. Dort schlief Adam ein, und aus einer seiner Rippen formte Er den Körper der Frau; dies bedeutet, daß Er sie dazu bestimmte, ihm als seine Gefährtin zur Seite zu stehen — nicht jedoch dazu, als Sklavin zu seinen Füßen zu liegen —, und daß er sie lieben sollte wie sein eigenes Fleisch. Demzufolge war sich der allerhöchste Arbeiter nicht zu schade, den weiblichen Körper zu erschaffen und zu formen: und die Natur sollte sich dessen schämen? Wirklich, dies zu behaupten, ist die allergrößte aller Dummheiten! Ja, und nach welchem Vorbild wurde sie denn erschaffen? Ich weiß nicht, ob du es begreifst: sie wurde nach dem Bilde Gottes erschaffen. Oh! welcher Mund wagt es, etwas zu verunglimpfen, das eine so edle Prägung verrät? Aber wenn die Rede davon ist, daß Gott den Mann nach seinem Bilde geschaffen hat, so sind manche töricht genug zu glauben, dies bezöge sich auf den wirklichen Körper. Aber das stimmt nicht, denn Gott hatte in jener Zeit keine menschliche Gestalt angenommen: vielmehr ist darunter die Seele zu verstehen, die das oberste geistige Prinzip ist und, darin der Göttlichkeit gleich, alle Zeiten überdauern wird. Diese schuf Gott und versah den weiblichen Körper mit einer ebenso guten, edlen und in jeder Hinsicht gleichwertigen Seele wie den männlichen. Aber, um noch etwas zur Erschaffung des Körpers zu sagen, die Frau wurde also vom allerhöchsten Arbeiter erschaffen. Und an welchem Ort geschah dies? Im irdischen Paradies. Aus was? Handelte es sich um einen schlechten Stoff? Keineswegs, vielmehr aus dem edelsten Material, das jemals erschaffen wurde: Gott schuf sie aus dem Körper des Mannes.«
»Edle Frau, nach dem, was ich aus Eurem Munde vernehme, ist j
die Frau ein sehr edles Wesen; nichtsdestoweniger behauptet Marcus Tullius Cicero[4] kein Mann dürfe einer Frau dienen und derjenige, der es tue, erniedrige sich, denn niemand dürfe einem Geringeren dienen.« Antwort: »Derjenige, der einen höheren Grad der moralischen Vollkommenheit besitzt, ist der Höhergestellte; nicht im Körper und im Geschlecht ist die Überlegenheit oder die Niedrigkeit von Menschen begründet, sondern in der Vollkommenheit der Sitten und der Tugenden. Und glückselig ist derjenige, der der Heiligen Jungfrau dient, der Herrscherin über alle Engel.«
»Edle Frau, des weiteren sagt einer der beiden Catos, der ein bedeutender Redner war, daß wir uns mit den Göttern unterhielten, gäbe es keine Frauen auf dieser Welt.« Antwort: »Daran kannst du erkennen, wie töricht jener war, der für weise galt: denn dank der Frau thront der Mensch an Gottes Seite. Und wenn jemand vorbringen will, er sei wegen einer Frau, wegen Frau Eva, aus dem Paradies vertrieben worden, so sage ich, daß er dank der Jungfrau Maria eine weit höhere Stufe erreicht hat als den Zustand, den er durch Eva verlor, und zwar indem sich die Menschheit mit der Gottheit verbunden hat; dies wäre ohne Evas Missetat nie eingetroffen. Vielmehr sollte man Mann und Frau wegen dieses Fehltritts loben, aus dem eine solche Ehre erwachsen ist. Denn so tief auch die menschliche Natur aufgrund ihres kreatürlichen Elements fiel, um so höher erhob sie der Schöpfer. Was aber nun das Sprechen mit den Göttern, wenn es keine Frauen gäbe, angeht, wie es jener Cato ausdrückt: so ist er näher an der Wahrheit, als er dachte, war er doch ein Heide, und die Menschen jenes Glaubens meinten, es gäbe sowohl in der Hölle wie im Himmel Götter. Das bedeutet, sie nannten die Teufel »Götter der Hölle«, und deshalb ist es gar nicht so unsinnig zu behaupten, die Männer würden mit solchen Göttern sprechen, wäre Maria nicht gewesen.«
ZUM SELBEN THEMA: REDEN UND GEGENREDEN
X.
»Des weiteren behauptet jener Cato Uticensis[1] daß die Frau, die einem Mann gefällt, letzten Endes der Rose ähnelt, die zwar hübsch anzusehen ist, unter der sich jedoch der scharfe Dorn verbirgt.« Antwort: »Wiederum ist jener Cato näher an der Wahrheit, als er glaubt, denn jede gute und ehrbare Frau von untadeligem Lebenswandel muß äußerst angenehm zu betrachten sein und ist es auch. Dennoch gibt es im Herzen einer solchen Frau den Dorn der Angst vor dem Fehltritt und den Dorn der Ernsthaftigkeit, und sie trennt sich nicht von ihm. Erläßt sie in stiller Sammlung und in Furcht verharren, und das ist ihre Rettung.«
»Hohe Frau, trifft es zu, was manche Schriftsteller versichern: daß nämlich die Frauen von Natur aus vernascht und maßlos im Hinblick auf ihre Eßgewohnheiten sind?« »Tochter, bestimmt hast du schon so manches Mal ein Sprichwort gehört, das besagt: 'Niemand kann eine Eigenschaft verbergen, die ihm die Natur verliehen hat. Wenn die Frauen wirklich von Natur aus derartig zu solchen Dingen neigen würden, dann ist es schon höchst erstaunlich, daß man sie dennoch kaum oder überhaupt nicht an jenen Orten antrifft, an denen man Leckereien und Naschwerk verkauft, wie zum Beispiel in Wirtschaften und an anderen zu diesem Zweck bestimmten Orten. Dort sieht man sie äußerst selten, und auf den Einwand, allein die Scham halte sie davon ab, erwidere ich, daß das nicht stimmt und sie allein ihr Stand[2] der keineswegs zu solchen Dingen neigt, davor bewahrt. Selbst wenn wir einmal annehmen, sie besäßen diese Schwäche und die Scham verliehe ihnen eine solche Widerstandskraft gegen eine natürliche Neigung, so müßte man sie schon wegen dieser Tugend und Standhaftigkeit aufs höchste loben. Erinnerst du dich in diesem Zusammenhang nicht daran, wie du vor kurzem, als du an einem Festtag dich an der Tür mit einer ehrenwerten Frau, deiner Nachbarin, unterhieltst, einen Mann erblicktest, der aus einer Schenke kam und dabei zu einem anderen sagte: >Ich habe so viel in der Wirtschaft ausgegeben, daß meine Frau heute keinen Wein mehr trinken wird<; daraufhin riefst du ihn herbei und fragtest ihn, weshalb sie nichts mehr trinken werde. Und er antwortete dir: >Edle Frau, aus dem guten Grund, weil sie die Angewohnheit hat, mich jedesmal, wenn ich aus dem Wirtshaus komme, zu fragen, wieviel ich ausgegeben habe. Und wenn es mehr als zwölf Deniers sind, dann will sie durch die Enthaltsamkeit ihres Mundes das wieder einsparen, was ich ausgegeben habe; sie sagt, unser Handwerk bringe nicht genug ein, um zu erlauben, daß wir beide das Geld zum Fenster hinauswerfen.«
»Hohe Frau«, sagte ich nun, »daran erinnere ich mich sehr wohl.« Und sie zu mir: »Du kannst zahlreichen Beispielen entnehmen, daß Frauen von Natur aus maßvoll sind, und diejenigen, die es nicht sind, handeln wider die Natur. Es gibt für eine Frau kein abstoßenderes Laster als die Gefräßigkeit; denn dieses Laster, bei wem auch immer es sich einnistet, zieht verschiedene andere nach sich. Jedoch kannst du die Frauen mit Rosenkränzen und Stundenbüchern in riesigen Scharen und großer Menge in den Kirchen zur Stunde der Predigten und des Ablasses antreffen.« »All dies ist völlig richtig, hohe Frau«, bestätigte ich, »aber jene Männer behaupten, die Frauen begäben sich feingemacht und hübsch dorthin, um ihre Schönheit zur Schau zu stellen und die Männer i n sie verliebt zu machen.« Antwort: »Dies könnte man vermuten, teure Freundin, sähe man dort nur die Jungen und Hübschen. Aber wenn du einmal darauf achtest, so kommen auf eine junge Frau, die du dort siehst, zwanzig oder dreißig alte Frauen in einfacher und sittsamer Kleidung, die sich an solchen Orten der Andacht widmen. Und so wie die Frömmigkeit in den Frauen ist, fehlt es ihnen ebensowenig an Barmherzigkeit: denn wer besucht die Kranken, tröstet sie, steht den Armen bei, sucht die Hospitäler auf, beerdigt die Toten? Dies alles sind, so scheint mir, Werke der Frauen, und diese »Werke stellen die höchsten Richtlinien dar, die Gott zu befolgen befiehlt.«
»Edle Frau, nur allzu wahr sind Eure Worte, aber ein anderer Schriftsteller verbreitet, Frauen seien von Natur aus mit einem schwachen Geist ausgestattet; sie seien wie Kinder, und das sei der Grund dafür, daß die Kinder so gern mit ihnen und sie so gern mit den Kindern umgehen.« Antwort: »Tochter, wenn du das Wesen des Kindes betrachtest, so stellst du fest, daß es von Natur aus Liebenswürdigkeit und Sanftheit liebt. Was aber auf der Welt ist sanfter und liebenswürdiger als eine gesittete Frau? Ah! das sind üble, teuflische Menschen, die das Gute in sein Gegenteil verkehren und aus der Tugend der Sanftmut, die der Frau von Natur aus gegeben ist, eine schlechte Eigenschaft und einen Vorwurf machen. Denn wenn die Frauen die Kinder lieben, dann hängt das nicht mit dem Fehler der Unbedarftheit zusammen, sondern mit der ihnen angeborenen Sanftmut. Und wenn sie von kindlicher Sanftmut sind, dann kann ihnen das nur zum Vorteil gereichen; denn das Evangelium berichtet, wie Unser Herr, als seine Apostel darüber stritten, wer von ihnen der Bedeutendste sei, ein Kind herbeirief, diesem die Hand auf das Haupt legte und sprach: 'Ich sage euch, derjenige, der klein und demütig sein wird wie das Kind, wird am ehesten erhört werden, denn wer sich erniedrigt, der wird erhöht, und wer sich erhöht, der wird erniedrigt.«
»Hohe Frau, die Männer schmieden mir eine scharfe Waffe aus einem lateinischen Sprichwort, das sie den Frauen immer wieder unter die Nase reiben und das so geht: 'Gott hat den Frauen dies gegeben: das Flennen, Schwätzen und das Weben.« Antwort: »Dieser Spruch, teure Freundin, hat gewiß einen wahren Kern; allerdings kann, ungeachtet dessen, was jene Männer glauben oder verbreiten, den Frauen kein Strick daraus gedreht werden. Zum großen Glück für alle Frauen, die durch Schwätzen, Flennen oder Weben errettet wurden, hat Gott sie nämlich mit diesen Eigenschaften versehen. Gegen alle, die ihnen das Weinen vorwerfen, setze ich folgendes: wenn Jesus Christus, Unser Herr, dem kein Gedanke verborgen bleibt, der in jedes Herz schaut und dessen Innerstes ergründet, erkannt hätte, daß die Tränen der Frauen ihren Ursprung lediglich in Schwäche und Einfalt haben, hätte sich dann die Würde seiner unermeßlichen Hoheit dazu herabgelassen, selbst Tränen des Mitgefühls, Tränen aus den Augen seines würdigen, glorreichen Leibes zu weinen, als er Maria Magdalena und ihre Schwester Martha weinen sah wegen des Todes ihres Bruders, des Aussätzigen, den er auferweckte?[3] Oh, wie viele große Gnadenbeweise gewährte Gott Frauen um ihrer Tränen willen! Die Tränen jener Maria Magdalena verachtete er keineswegs, sondern nahm sie an und verzieh ihr dafür ihre Sünden, so daß sie nun dank jener Tränen im Himmel thront.
Desgleichen verschmähte er nicht die Tränen der Witwe, die weinte, weil ihr einziger Sohn gestorben war und man ihn begrub: Unser Herr, der sie weinen sah und der wie der Urquell alles Mitleids ist, war durch ihre Tränen von Mitgefühl bewegt und ging zu ihr, um sie zu fragen: 'Frau, weshalb weinst du?', und sogleich erweckte er ihr Kind von den Toten. Andere Wunder, deren Erzählung zuviel Zeit beanspruchen würde und die in der Heiligen Schrift nachzulesen sind, ließ Gott an manchen Frauen um ihrer Tränen willen geschehen und tut es noch jeden Tag; denn ich bin der Ansicht, daß manche von ihnen dank der Tränen ihrer Frömmigkeit gerettet wurden, desgleichen andere, für die sie beteten. Wurde nicht der heilige Augustinus, der ruhmreiche Kirchenvater, durch die Tränen seiner Mutter zum Glauben bekehrt? Denn die vortreffliche Frau weinte ohne Unterlaß und betete zu Gott, es möge Ihm gefallen, das Herz ihres Sohnes zu erleuchten, der Heide und verstockt gegen das Licht des Glaubens war. Deshalb sagte ihr der heilige Ambrosius, zu dem die heilige Frau oft ging, um ihn darum zu bitten, bei Gott für ihren Sohn zu beten: >Frau, ich halte es für ausgeschlossen, daß so viele Tränen ganz vergeblich geweint sein sollen.< Oh gesegneter Ambrosius, du hast Frauentränen keineswegs für gering erachtet! Den Männern, die ihnen ihre Tränen so sehr zum Vorwurf machen, können die Frauen entgegenhalten: allein den Tränen einer Frau ist es zu verdanken, wenn dieser heilige Lichtquell, der alles erhellt und erleuchtet, an der Stirn der Heiligen Kirche existiert. Wenn die Rede auf diesen Sachverhalt kommt, werden die Männer auf einmal ganz still.
Ganz ähnlich verhält es sich mit der Gabe der Rede, mit der Gott die Frau — gelobt sei er dafür! — versah; hätte er es nicht getan, so wären sie stumm. Gegen das, was das besagte Sprichwort beinhaltet, von dem ich nicht weiß, wer es zum Vorwurf gegen die Frauen schuf, läßt sich setzen: wäre die weibliche Rede etwas so Tadelnswertes und von so geringer Glaubwürdigkeit, wie manche es vorgeben, so hätte es Unser Herr Jesu Christ nie zugelassen, daß ein so hohes Geheimnis wie das seiner überaus glorreichen Auferstehung als erstes von einer Frau verkündet worden wäre, wie er es selbst der gebenedeiten Magdalena befahl, der er als erster am Ostertag erschien und aufgab, sie möge es den Aposteln und Petrus erzählen und verkünden. Oh gesegneter Gott, gepriesen seist Du, weil Du — neben anderen unendlichen Gaben und Gnadenbeweisen, die Du dem weiblichen Geschlecht verliehen hast — eine Frau zur Überbringerin einer so wichtigen und würdigen Botschaft gemacht hast!« »Wenn sie sich das wirklich vor Augen hielten, so sollte dies allen Neidern das Maul stopfen, edle Frau«, warf ich ein. »Aber ich lächele über eine Torheit, die manche Männer verbreiten, und ich entsinne mich, sie einige Male sogar von einigen närrischen Predigern verkündigen gehört zu haben. Sie sagen, Gott habe sich deswegen als erstes einer Frau offenbart, weil er nur allzu gut wußte, daß sie nicht würde schweigen können; er habe es in der Absicht getan, seine Auferstehung so schnell wie möglich verkündet zu sehen.« Antwort: »Tochter, du hast recht daran getan, diejenigen Narren zu heißen, die solches verbreiten; denn sie begnügen sich nicht damit, die Frauen zu verunglimpfen, sondern schmähen sogar Jesus Christus, wenn sie behaupten, er habe etwas so Vollkommenes und Würdiges mittels einer menschlichen Schwäche enthüllen wollen. Ich weiß nicht, wie ein Mann so etwas zu verbreiten
wagt, und selbst wenn sie es nur aus Spaß sagen, so sollte man doch über Göttliches nicht spotten.
Aber um noch einmal zur ersten Aussage zurückzukehren: es war ein Glück für jene kanaanäische Frau, daß sie so viel redete, jene Frau, die nicht müde wurde, hinter Jesus Christus herzurufen und zu schreien in den Straßen von Jerusalem und die sagte: 'Herr, hab Erbarmen mit mir, denn meine Tochter ist krank.' Und was tat der gebenedeite Gott: er, der voller Mitgefühl war und ist und dem ein einziges von Herzen kommendes Wort genügte, um sein Mitleid zu wecken? Er schien sich zu ergötzen an manchen Worten aus dem Munde jener Frau, die nicht nachließ in ihren Bitten. Aber weshalb tat er dies? Es geschah, um ihre Standhaftigkeit zu erproben, denn nachdem er sie mit den Hunden verglichen hatte — dies schien ein wenig grob, aber sie war heidnischen und nicht jüdischen Glaubens —, da schämte sie sich nicht, "wohlgesetzt und klug zu sprechen, als sie antwortete: 'Das trifft zwar zu, Herr, aber die kleinen Hündinnen ernähren sich von den Krumen, die von des Herren Tische fallen.' Oh, du überaus weise Frau, wer lehrte dich so zu sprechen? Durch deinen klugen Gebrauch der Sprache, der einer löblichen Absicht entsprang, erreichtest du dein Ziel; das ließ sich deutlich erkennen, denn Unser Herr bezeugte mit seinen eigenen Worten und wandte sich dabei seinen Aposteln zu, daß er in ganz Israel nicht so viel Glauben gefunden hätte, und er erhörte ihre Bitte. Ah! wer wäre in der Lage, diese Ehre für das weibliche Geschlecht, das die Mißgünstigen verachten wollen, angemessen zu schildern und dabei zu berücksichtigen, daß Gott im Herzen einer schwachen kleinen Frau heidnischer Herkunft mehr Glauben fand als bei allen Bischöfen, Fürsten, als bei den Priestern und dem gesamten jüdischen Volk, die vorgaben, das wahre Volk Gottes zu sein?
Auf diese Weise sprach auch die Samariterin lange und mit großer Redegewandtheit für ihre Sache; sie war zum Wasserholen an den Brunnen gekommen, wo sie Jesus Christus fand, der dort müde saß. Oh! gesegnete Gottheit, verbunden mit diesem würdigen Körper! Weshalb erlaubtest du es diesem heiligen Mund, sich zu öffnen, um Worte des Heils für diese kleine Frau verströmen zu lassen, die noch nicht einmal deinem Glauben angehörte? Wahrhaftig, du hast nur allzu gut gezeigt, daß du das fromme weibliche Geschlecht nicht verachtetest. Gott, wie oft geschieht es schon, daß unsere Päpste sich dazu herablassen, Worte an eine einfache kleine Frau zu richten, selbst wenn es um deren Errettung ginge?
Nicht weniger weise sprach jene Frau, die sich setzte, Jesu Predigt lauschte und dann so entflammt von seinen heiligen Worten war, daß sie, gemäß der landläufigen Meinung von der weiblichen Unfähigkeit zu schweigen, schon bald aus diesem Anlaß das Wort aussprach, das im Evangelium feierlich überliefert ist; sie sagte es, als sie sich voller Willenskraft erhob und dabei sprach: >Gesegnet sei der Leib, der dich getragen, und die Brust, die dich genährt hat.<
Schöne sanfte Freundin, all dem kannst du entnehmen: Gott hat hinlänglich bewiesen, daß er den Frauen die Sprache verlieh, um Ihm zu dienen. Deshalb darf ihnen nicht etwas zum Vorwurf gemacht werden, das die Quelle mancher Wohltat und weniger Übeltaten ist; äußerst selten erwächst anderen aus ihrem Sprechen Schaden.
Und was das Spinnen angeht, so hat Gott wirklich gewollt, daß dies eine den Frauen natürliche Beschäftigung sei, denn es ist eine für den Gottesdienst notwendige Arbeit und dient jeder vernunftbegabten Kreatur; ohne diese Fertigkeit wäre es um die weltlichen Ämter schlecht bestellt. Aus diesem Grunde ist es schon eine abgrundtiefe Bosheit, den Frauen etwas vorzuwerfen, wofür sie höchsten Dank, Ehre und Preis verdienen.«
CHRISTINE FRAGT FRAU VERNUNFT, WESHALB FRAUEN NICHT AUF
DER VERTEIDIGERBANK SITZEN; DIE ANTWORT
XI.
Höchste, ehrwürdigste Herrin, Eure wohlgesetzten Begründungen haben meinen Geist voll befriedigt. Aber sagt mir des weiteren, wenn es Euch angenehm ist: welches ist der wahre Grund dafür, daß Frauen weder Verteidigungsreden in Gerichtshöfen halten, noch sich überhaupt mit Prozessen auskennen und auch keine Urteile aussprechen. Die Männer behaupten, dies sei die Schuld einer Frau, die sich im Sitz der Justiz unklug verhalten habe.« »Tochter, das, was man über jene verbreitet, ist leichtfertiges, hinterlistiges Geschwätz. Aber dem, der nach den letzten Ursachen und Gründen aller Dinge fragte, müßte man allzu viel antworten, und das würde selbst Aristoteles, obwohl er in seinen Büchern Problemata[1] und in De proprietate verum so manches erklärt, überfordern. Aber um auf deine Frage zurückzukommen, schöne Freundin: mit gleichem Recht könnte man fragen, weshalb Gott nicht gleichfalls angeordnet hat, die Männer sollten die Pflichten der Frauen und die Frauen die der Männer übernehmen. Zu diesem Problem läßt sich folgendes sagen: so wie ein kluger, umsichtiger Hausvater seiner Hausgemeinschaft befiehlt, die Aufgaben zu verteilen und der eine dieses, der andere jenes ausführt, und was der eine tut, das tut der andere nicht; genauso hat Gott Mann und Frau dazu bestimmt, ihm in verschiedenen Bereichen zu dienen und dabei einander beizustehen und zu unterstützen, und zwar jeder in dem, was ihm zu tun aufgetragen ist. Einem jeden Geschlecht hat er eben das Wesen und eben die Neigung verliehen, wie es sie für seine Aufgaben braucht und benötigt. Den Männern hat er, obwohl das menschliche Geschlecht damit oft Mißbrauch treibt, einen starken, kühnen Körper verliehen, der sie befähigt, sich furchtlos zu bewegen und zu sprechen. Und da die Männer nun einmal so beschaffen sind, eignen sie sich die Kenntnis der Gesetze an und sind sogar dazu verpflichtet, um die Welt in einer rechtmäßigen Ordnung zu erhalten. Falls jemand nicht den durch die Gesetzgebung begründeten Gesetzen gehorchen will, sind die Männer gehalten, diesen durch physische Gewalt und durch den Einsatz von Waffen zum Gehorsam zu zwingen. Frauen könnten so etwas nicht bewerkstelligen, auch wenn Gott einigen von ihnen große Klugheit verliehen hat; es ginge schon wegen der ihnen eigenen Ehrbarkeit nicht an, sich so hochfahrend wie die Männer bei der Rechtsprechung zu geben; das ist durchaus einleuchtend. Und außerdem: was für einen Sinn hätte es, drei Männer mit dem Tragen einer Last zu betrauen, die ebensogut von zwei Männern getragen werden kann?
Aber gesetzt den Fall, einige wollten behaupten, die »weibliche Intelligenz reiche nicht aus für das Studium der Gesetze — so hat die Erfahrung das Gegenteil bewiesen; sie lehrt, daß es, wie im folgenden erläutert werden wird, mehrere Frauen gegeben hat, die bedeutende Philosophinnen waren und wesentlich kompliziertere und wichtigere Wissenschaften erlernt haben, als es das geschriebene Gesetz und menschliche Institutionen sind. Und außerdem: wenn jemand vorgeben sollte, sie seien von Natur aus weder zur Staatskunst noch zu Regierungsgeschäften begabt, so werde ich das Beispiel verschiedener großer Herrscherinnen vergangener Zeiten dagegenhalten. Damit du um so deutlicher die Wahrheit meiner Worte erkennst, werde ich dich des weiteren an einige Frauen aus deiner eigenen Zeit erinnern, die Witwen geblieben sind und deren überlegte Verwaltung, in Gegenwart und Vergangenheit, all ihrer Angelegenheiten nach dem Tod ihrer Männer eindeutig beweist, daß eine kluge Frau zu allen Dingen befähigt ist.
HIER WIRD VON DER KAISERIN NICAULA[1] ERZÄHLT.
XII.
Ich bitte dich, sage mir: wo hat es je einen in Staatskunst und Regierungsgeschäften beschlageneren König gegeben, einen von größerer Gerechtigkeit oder gar von größerer Prachtentfaltung, als es von der edlen Kaiserin Nicaula zu lesen ist? Denn obwohl es in den großen, ausgedehnten und unterschiedlichen Ländern, über die sie herrschte, mehrere berühmte Könige, die Pharaonen, deren Abkömmling sie war, gegeben hatte, so war doch diese Herrscherin die erste, die zur Zeit ihrer Herrschaft nach Gesetzen und festgelegten Organisationsformen regierte. Sie bereitete den rohen Lebensweisen der Orte, über die sie herrschte, ein Ende und verbesserte die rüden Lebensgewohnheiten der wie die Wilden lebenden Äthiopier. Außerdem vollbrachte diese Herrscherin so viel Lobenswertes — dies erzählen die Autoren, die von ihr berichten —, daß sie die Rohheit der anderen korrigierte. Sie wurde Nachfolgerin der erwähnten Pharaonen und erbte nicht etwa ein kleines Land, sondern das Königreich von Arabien, das von Äthiopien, von Ägypten und die Insel Meroe, die sehr lang und breit ist, reich an Schätzen aller Art und vom Nil umschlossen wird; sie regierte über alles mit wunderbarer Klugheit. Was soll ich dir sonst noch von dieser Herrscherin erzählen? Sie war so weise und eine so herausragende Erscheinung, daß selbst die Heilige Schrift ihre große Tugend erwähnt. Sie selbst schuf sehr ausgewogene Gesetze, um über ihr Volk zu regieren. Sie war von größtem Edelmut und verfügte über große Reichtümer — beinahe über ebensoviel wie alle Männer, die jemals gelebt haben. Sie besaß profunde Kenntnisse in den Schriften und den Wissenschaften und war von so edler Gesinnung, daß sie sich weder dazu herabließ zu heiraten noch wollte, daß sich ein Mann ihr näherte.
HIER IST DIE REDE VON EINER FRANZÖSISCHEN KÖNIGIN NAMENS
FREDEGUNDE[1] FERNER VON EINIGEN ANDEREN FRANZÖSISCHEN
KÖNIGINNEN UND FÜRSTINNEN.
XIII.
Über umsichtige Herrscherinnen vergangener Zeiten könnte ich dir eine ganze Menge erzählen, und das, was nun zu diesem Thema folgt, hat ebenfalls damit zu tun. In Frankreich lebte die Königin Fredegunde, die Frau des Königs Chilperich. Diese Edelfrau war zwar für ein weibliches Wesen ungewöhnlich grausam, regierte jedoch nach dem Tode ihres Mannes mit großem Geschick über das französische Königreich. Dieses befand sich zudem in einem Zustand großer Unsicherheit und Gefahr, denn nur ein kleiner Sohn im Kindesalter namens Chlotar war als Nachfolger des Vaters übriggeblieben. Um die Regierungsgewalt war unter den Adligen ein großer Streit entbrannt und über das Königreich bereits ein heftiger Krieg hereingebrochen. Aber jene edle Frau trug ständig ihr Kind mit sich herum. Sie berief den Rat der Barone ein und sprach zu ihnen: >Edle Herren, hier seht Ihr Euren König. Seid stets der Treue eingedenk, die die Franzosen zu allen Zeiten beseelt hat, und verachtet ihn nicht, nur weil er ein kleines Kind ist: denn mit Gottes Hilfe wird er groß werden und als Erwachsener seine Getreuen zu erkennen wissen und sie nach ihrem Verdienst belohnen — vorausgesetzt, Ihr bringt ihn nicht wider alles Recht und göttliches Gebot um sein Erbe. Was mich betrifft, so versichere ich Euch, ich werde alle diejenigen, die sich richtig und loyal verhalten, so reich belohnen, daß es ihnen von Stund an sehr gut gehen wird.< So beschwichtigte die Königin die Barone, und durch ihr geschicktes Verhalten erreichte sie in dieser Angelegenheit noch so viel, daß sie ihren Sohn aus der Hand seiner Feinde befreite und ihn selbst großzog. Von ihr empfing er die Krone und die Herrschaft über das Königreich; ohne ihr umsichtiges Handeln wäre dies niemals möglich gewesen.
Ähnliches kann man der sehr weisen und in jeder Hinsicht edelmütigen Königin Bianca[2] der Mutter Ludwigs des Heiligen, nachsagen. Während seiner Minderjährigkeit regierte sie so umsichtig und klug wie niemals ein Mann vor ihr über das Königreich Frankreich. Auch nachdem er das Erwachsenenalter erreicht hatte, behielt sie wegen der erwiesenen Klugheit ihrer Staatsführung die Leitung des Rates bei. Nichts geschah ohne sie, und sie folgte ihrem Sohn sogar in den Krieg.
Unzählige andere Beispiele könnte ich dir in diesem Zusammenhang nennen, verzichte jedoch aus Zeitgründen darauf. Aber da wir gerade dabei sind, von den großen Frauen Frankreichs zu sprechen, und ohne nach weiter zurückliegenden Geschichten zu suchen: du selbst sahst in deiner Kindheit die Königin Jeanne[3] die Witwe des Königs Karl IV. Wenn du dich noch daran erinnern kannst, so bedenke die großen Wohltaten, die sich mit dem Namen dieser edlen Frau verbinden, sowohl hinsichtlich der bemerkenswerten Organisation ihres Hofes wie auch in der Lebensweise und in der Wahrung des höchsten Rechts. Noch nie hat man von einem Fürsten gehört, der mehr für die Gerechtigkeit eintrat und seinen Besitz hütete, als es diese edle Frau tat.
Sehr stark ähnelt ihr ihre edle Tochter[4] die mit dem Herzog von Orleans, dem Sohn des Königs Philipp, verheiratet wurde und die in der langen Zeit ihrer Witwenschaft die Gesetze in ihrem Land so streng wie nur irgend denkbar aufrechterhielt.
Das gleiche gilt für Blanca Königin von Frankreich, die verstorbene Frau des Königs Johann;[5] sie verteidigte ihr Land und regierte es unter völliger Wahrung der Rechtmäßigkeit.
Und was kann man über die tüchtige und weise Herzogin von Anjou[6] sagen, ehedem Tochter des heiligen Karl von Blois, Herzog der Bretagne, die verstorbene Frau des nach ihm ältesten Bruders des weisen Königs Karl von Frankreich, des Herzogs, der später König von Sizilien wurde? Mit welch strenger Gerechtigkeit regierte jene edle Frau die Ländereien und Provinzen, sowohl in der Provence wie anderswo, über die sie herrschte und die sie in ihrer Hand vereinigte, solange ihre hochgeborenen Kinder noch klein waren! Oh! wie sehr verdient es diese Frau, für alle ihre Tugenden gepriesen zu werden! In ihrer Jugend war sie von so außerordentlicher Schönheit, daß sie alle anderen Edeldamen übertraf, aber gleichzeitig war sie von vollkommener Keuschheit und Weisheit. im reifen Alter zeichneten sie, wie es den Anschein hatte, vortreffliche Regierungskunst, überlegene Umsicht, Kraft und Beständigkeit des Herzens aus; denn nach dem Tod ihres Ehemannes, der in Italien starb, erhob sich die gesamte Provence gegen sie und ihre Kinder. Jedoch bewirkte es diese edle Frau auf mannigfache Art, sowohl durch Gewalt wie durch Gunstbezeugungen, daß sie die gesamte Provinz wieder zum Gehorsam und zur Unterwerfung brachte. Sie ließ dort Recht und Ordnung walten, dergestalt, daß keinerlei Klage über irgendeinen Rechtsbruch durch sie lautbar geworden wäre.
Ich könnte dir noch viel über andere edle französische Frauen, die sich während ihrer Witwenschaft vorbildlich betragen und Recht haben walten lassen, erzählen. Die Comtesse de la Marche, Edelfrau und Comtesse von Vendome und Castres[7] eine Großgrundbesitzerin, die noch unter den Lebenden weilt: was läßt sich über ihren Regierungsstil sagen? Interessiert sie sich etwa nicht dafür, wie und auf welchem Wege ihre Gesetze eingehalten werden? Vielmehr interessiert sie sich selbst, als edelmütige und weise Frau, die sie ist, sehr für diese Dinge. Was soll ich dir sonst noch zu diesem Thema sagen? Ich versichere dir, es gibt eine große Anzahl von Frauen aller Stände, für die ähnliches gilt und, wenn man darauf achtet, so kann man feststellen, daß sie während ihrer Witwenschaft ihre Besitztümer in ebenso gutem Zustand gehalten haben und noch halten wie ihre Männer zu deren Lebzeiten und von ihren Untergebenen ebenso geliebt werden; und es gibt ohne Zweifel noch Vortrefflichere als jene, so sehr dies auch den Männern mißfallen mag, denn obwohl es dumme Frauen gibt, so gibt es doch auch viele, die intelligenter, geachteter und gerechtigkeitsliebender sind als die Mehrzahl der Männer, nicht wahr? Wenn ihre Männer ihnen folgten oder über eine ähnliche Intelligenz verfügten, so gereichte dies ihnen zum Wohl und wäre ihr Vorteil.
Aber wenn sich die Frauen im allgemeinen weder damit befassen, Urteile zu fällen noch die Standpunkte der Parteien darzustellen, dann braucht sie das nicht weiter zu bekümmern, denn auf diese Weise ersparen sie sich eine Menge seelischer und körperlicher Belastungen. Und obwohl dies alles zur Bestrafung der Bösewichter und zur Durchsetzung der Gerechtigkeit notwendig ist, gibt es doch genügend Männer in solchen Ämtern, denen es wahrscheinlich lieber wäre, sie wüßten über diese Angelegenheiten nicht mehr als ihre Mütter; denn wenn alle auf dem rechten Pfade wandeln, Gott jedoch von einem Fehlverhalten erfährt, dann fällt die Strafe hart aus.«
FORTSETZUNG DES WORTWECHSELS CHRISTINES
MIT FRAU VERNUNFT;
WEITERE EINWÄNDE CHRISTINES.
XIV.
Gewiß, edle Frau, Ihr habt vollkommen recht, und Eure Argumente finden in meinem Innersten große Zustimmung. Aber wenn man einmal von der Intelligenz absieht, so steht doch immer noch unumstößlich fest, daß Frauen einen schwachen, zarten und, was die physische Kraft angeht, einen unterlegenen Körper besitzen und daß sie von Natur aus feige sind. Nach der Auffassung der Männer mindern diese Schwächen stark den Rang und die Würde des weiblichen Geschlechts, denn gilt doch: je mehr es einem Körper an irgend etwas mangelt, desto minderwertiger ist er und folglich desto weniger des Lobes würdig.« Antwort: »Teure Tochter, diese Schlußfolgerung taugt gar nichts und verdient es nicht, verteidigt zu werden, denn ohne Zweifel beobachtet man doch oft folgendes: wenn die Natur sich enthalten hat, einem Körper etwas zu geben, den sie im übrigen genauso vollkommen ausgestattet hat wie einen anderen; wenn sie ihn also in irgendeiner Hinsicht unvollkommen gestaltet hat — sei es in seiner Form, seiner Schönheit, in einer Unzulänglichkeit oder Schwäche der Glieder, dann entschädigt sie ihn durch eine andere Gabe, die sehr viel bedeutender ist als das, was sie ihm genommen hat. Ein Beispiel: es heißt von dem überaus bedeutenden Philosophen Aristoteles, er sei körperlich sehr häßlich gewesen; ein Auge saß tiefer als das andere, und er hatte merkwürdige Gesichtszüge. Aber wenn er körperlich etwas mißgebildet war, so entschädigte ihn die Natur wahrhaftig überreich durch einen aufnahmebereiten Verstand und seine Klugheit, wie es seine authentischen Schriften bezeugen. So hat ihm diese Entschädigung mit seinem großen Geist mehr eingebracht, als wenn er denselben oder einen ähnlichen Körper wie Absalom besessen hätte.
Ähnliches läßt sich von dem großen Herrscher Alexander sagen, der sehr häßlich, klein und von schwächlichem Körperbau war, und dennoch war sein Herz zweifellos voller großer Tugend. So verhält es sich auch mit manchen anderen. Ich versichere dir, schöne Freundin, der große und starke Körper bedingt keineswegs einen tugendhaften, kraftvollen Sinn: dieser beruht vielmehr auf einer natürlichen moralischen Stärke. Sie ist eine Gabe Gottes, und dieser überläßt es der Natur, einigen vernunftbegabten Wesen mehr davon zu verleihen als anderen; sie verbirgt sich an ihrem Ort, in der Intelligenz oder dem Mut, aber auf keinen Fall in der Kraft des Körpers oder der Glieder. Das erkennen wir oft in aller Deutlichkeit daran, daß viele große und körperlich starke Männer sich falsch und feige verhalten, während andere, die klein und körperlich schwach sind, Kühnheit und Kraft zeigen; ähnlich verhält es sich mit den anderen Tugenden. Aber was die Kühnheit und jene Körperkraft angeht, so haben Gott und die Natur genug für die Frauen getan, als sie ihnen körperliche Schwäche verliehen haben, denn aufgrund dieses angenehmen Mangels sind sie wenigstens davon ausgenommen, die scheußlichen Grausamkeiten, Morde, großen und grausamen Schindereien zu begehen, die als Folge der Anwendung von Gewalt auf der Welt begangen wurden und auch heute noch geschehen; aus diesem Grunde werden sie auch von den Strafen verschont bleiben, die solche Vergehen nach sich ziehen. Und: den Seelen so mancher dieser Kraftprotze bekäme es gut (und wäre es schon in der Vergangenheit gut bekommen), wenn sie ihre Pilgerfahrt auf dieser Welt in einem schwachen weiblichen Körper unternommen hätten! Wahrlich, ich sage dir und komme damit zu meinem Ausgangspunkt zurück: wenn die Natur die Glieder des weiblichen Körpers nicht mit großer Kraft versehen hat, so hat sie dies dadurch vollkommen ausgeglichen, daß sie die Frauen mit der ehrbarsten aller Neigungen versehen hat, nämlich der Liebe zu Gott und der Furcht vor der Verletzung seiner Gebote; jene Frauen jedoch, die anders sind, handeln wider ihre Natur.
Gleichwohl bedenke, teure Freundin, wie sehr es auch den Anschein hat, als habe Gott in voller Absicht den Männern zeigen wollen, daß diese, selbst wenn die Frauen insgesamt über weniger Körperkraft und Kühnheit als die meisten Männer verfügen, doch weder behaupten noch glauben sollen, das weibliche Geschlecht entbehre deshalb jeglicher körperlicher Kraft und Kühnheit. Der Beweis: zahlreiche Frauen zeigten beträchtlichen Mut, Kraft und Kühnheit, indem sie schwierige Unternehmungen aller Art auf sich nahmen und durchführten. In dieser Hinsicht stehen sie, wie ich dir im folgenden anhand von Beispielen verdeutlichen werde, in nichts den bedeutenden Männern, den gefeierten Eroberern und Rittern nach, um die man in den Büchern so viel Aufhebens macht.
Schöne Tochter und teure Freundin, damit habe ich dir einen großen und breiten Graben vorbereitet und überall die Erde ausgehoben, die ich in großen Kiepen auf meinen Schultern weggeschafft habe. Nun ist es an der Zeit, innen die dicken und starken Grundsteine für die Mauern der Stadt der Frauen zu legen. Ergreife also die Kelle deiner Schreibfeder und mach dich daran, solide zu mauern und sehr sorgfältig zu arbeiten. Denn hier habe ich für dich einen großen und voluminösen Quader, der den Grundstein für das Fundament deiner Stadt abgeben soll; die Natur, so mußt du wissen, formte ihn eigenhändig nach den Zeichen der Astrologie, damit er in diesem Werk seinen Platz finde. Jetzt geh ein paar Schritte zurück, und ich werfe ihn dir zu.
HIER IST VON DER KÖNIGIN SEMIRAMIS[1] DIE REDE.
XV.
Semiramis war eine herausragende Frau, was die Tapferkeit und Stärke ihres Herzens bei ihren Taten angeht, zudem erfahren im Waffenhandwerk. Hierin war sie so unübertrefflich, daß die Menschen damals, die Heiden waren, sie aufgrund ihrer großen Macht auf dem Festland und dem Meer als Schwester des großen Gottes Jupiter und Tochter des alten Gottes Saturn bezeichneten; diese waren für sie die Götter des Festlandes und des Meeres. Jene edle Frau war die Gemahlin des Königs Ninos, der der Stadt Ninive seinen Namen gegeben hatte und ein so bedeutender Eroberer war, daß er mit der Hilfe seiner Frau Semiramis, die wie er bewaffnet zu Pferde saß, das große Babylonien, das ausgedehnte Assyrian und viele andere Länder eroberte.
Als diese Frau noch ziemlich jung war, wurde ihr Mann Ninos bei der Belagerung einer Stadt von einem Pfeil getötet. Aber nach den prunkvollen Bestattungsfeierlichkeiten, die jenem Ninos gebührten, gab die edle Frau keineswegs die Ausübung des Waffenhandwerks auf; vielmehr schickte sie sich an, mit noch viel größerer Beherztheit als zuvor die Königreiche und Länder zu regieren und zu beherrschen, die sie gemeinsam mit ihrem Mann eigenhändig mit dem Schwert erobert hatte. Sie zeigte ein bemerkenswertes Geschick darin, diese Königreiche und Länder durch strenge kriegerische Zucht in ihrer Gewalt zu behalten. Auf diese Weise begann und vollendete sie so zahlreiche erstaunliche Unternehmungen, daß kein Mann sie an Ausdauer und Kraft übertraf. Jene edle Frau, die voll der kühnsten Gesinnung war, scheute keine Mühe und ließ sich durch keinerlei Gefahren schrecken, mehr noch: sie setzte sich ihnen allen in so unübertrefflicher Weise aus, daß sie ihre gesamten Feinde besiegte, die gemeint hatten, sie nach dem Tode ihres Mannes aus den eroberten Ländern vertreiben zu können. In militärischer Hinsicht war sie so gefürchtet, daß sie nicht nur die Gewalt über die eroberten Länder behielt, sondern außerdem mit einem gewaltigen Heer nach Äthiopien zog, dort sehr heftige Kämpfe austrug und schließlich das Land unterwarf und ihrem Reich einverleibte. Von da aus zog sie mit großem Gepränge nach Indien und setzte die Inder, denen sich bislang noch nie ein Mensch in kriegerischer Absicht genähert hatte, einer unerbittlichen Belagerung aus. Sie besiegte und unterwarf sie, und dann zog sie in andere Länder, so lange — um es kurz zu machen —, bis sie beinahe den ganzen Orient erobert und unter ihre Herrschaft gebracht hatte. Durch ihre großen und bedeutenden Eroberungen befestigte und verstärkte jene edle Semiramis die Stadt Babylon, die von Nimrod und den Riesen gegründet und im Lande Schirra mit großer, erstaunlicher Kraft und Grausamkeit errichtet worden war. Jene edle Frau jedoch verstärkte noch die Befestigungsanlagen durch zahlreiche Wehrbauten und ließ ringsherum breite, tiefe Gräben ausheben.
Eines Tages hielt sich Semiramis in ihrem Gemach auf, umgeben von ihren Zofen, die ihr das Haupthaar kämmten. Da erreichte sie die Botschaft, eines ihrer Königreiche habe sich gegen sie erhoben. Sogleich sprang sie auf und schwor bei all ihrer Macht, der andere, noch ungeflochtene Zopf auf ihrem Haupte werde so lange nicht geflochten, bis sie diese Schmach gerächt und das Land wieder in ihre Gewalt gebracht hätte. Sie ließ sofort eine große Schar ihrer Leute bewaffnen, trat den Aufständischen entgegen und brachte sie mit erstaunlicher Gewalt wieder unter ihre Herrschaft. Auf diese Weise versetzte sie diese und alle anderen Untertanen derartig in Schrecken, daß von da an es niemand mehr wagte, sich gegen sie zu erheben. Von dieser ebenso edlen wie mutigen Tat zeugte lange Zeit eine große Statue aus Erz, reich mit Gold verziert, die hoch auf einem Hügel Babylon errichtet wurde. Sie stellt eine Fürstin mit einem Schwert dar, deren Haupthaar auf der einen Seite geflochten ist, auf der anderen aber nicht. Diese Königin gründete und erbaute erneut mehrere Städte und Befestigungen, vollbrachte eine Reihe anderer großer Taten und so vieles, daß von keinem Mann jemals größere Kühnheit oder erstaunlichere, der Erinnerung würdigere Leistungen überliefert worden wären.
Zwar haben manche sie getadelt (völlig zu Recht, wenn sie unserem Glauben angehört hätte), weil sie einen Sohn, den sie von ihrem Gatten Ninos empfangen hatte, heiratete. Aber vor allem zwei Gründe bewegten sie dazu: erstens mochte sie es nicht zulassen, daß es neben ihr eine andere gekrönte Frau in ihrem Reiche gäbe, was eingetroffen wäre, wenn ihr Sohn eine andere Frau geheiratet hätte; zweitens dünkte ihr kein anderer Mann außer ihrem eigenen Sohn würdig, sie zur Frau zu haben. Jedoch verdient es jene edle Frau, für diese gewaltige Verfehlung bis zu einem gewissen Grade entschuldigt zu werden, denn es gab damals noch kein geschriebenes Gesetz. Vielmehr lebten die Menschen nach dem Gesetz der Natur, das einem jeden gestattete, ohne daß er damit ein Verbrechen beging, das zu tun, was das Herz ihm eingab. Denn zweifellos hätte sie es unterlassen, wenn sie gemeint hätte, damit eine Sünde oder etwas Tadelnswertes zu begehen, war sie doch von überaus edler Gesinnung und liebte die Ehre über alle Maßen.
Aber damit ist der erste Grundstein unserer Stadt gelegt. Von nun an müssen wir weitere große Steine aufeinanderschichten, damit unser Bau Fortschritte macht.
VON DEN AMAZONEN[1]
XVI.
Auf der anderen Seite Europas, in der Nähe des großen Ozeans, der die ganze Welt umgibt, liegt ein Land namens Skythien.[2] Vor langer Zeit geschah es, daß dieses Land durch den Krieg alle bedeutenden Männer dieser Gegend verlor. Als die dort lebenden Frauen sahen, daß sie all ihre Ehemänner, Brüder und männlichen Verwandten verloren hatten und ihnen nur die Greise und die kleinen Kinder geblieben waren, faßten sie sich ein Herz, versammelten sich, berieten sich und beschlossen, von nun an selbst die Herrschaft auszuüben, ohne sich Männern zu unterwerfen. Sie schufen einen Erlaß, der besagte, daß es keinem Mann gestattet sei, in ihr Hoheitsgebiet einzudringen; daß sie sich jedoch, um für Nachkommenschaft zu sorgen, zu bestimmten Zeiten des Jahres in benachbarte Gegenden begäben, dann in ihr Land zurückkehrten, und, wenn sie Jungen gebären würden, diese zu ihren Vätern schicken, Mädchen jedoch aufziehen wollten. Mit der Durchführung dieses Beschlusses betrauten sie zwei der edelsten Frauen unter ihnen, die sie zu Königinnen krönten; die eine hieß Lampheto, die andere Marpesia. Danach verjagten sie sogleich alle Männer, die ihnen geblieben waren, aus ihrem Land; dann bewaffneten sie sich und lieferten alle, sowohl die Frauen als auch die Jungfrauen, ihren Feinden heftige Kämpfe. Mit Feuer und Waffengewalt verwüsteten sie das gesamte Land, und es gab niemanden, der ihnen zu widerstehen vermocht hätte. Kurz und gut, sie rächten auf das Vortrefflichste den Tod ihrer Männer. Auf diese Weise begannen die Frauen von Skythien, Waffen zu tragen. Später nannte man sie Amazonen, was so viel bedeutet wie »Brustlose«, denn es war bei ihnen üblich, den Adligen unter ihnen im Kindesalter durch einen bestimmten kunstvollen Eingriff die linke Brust wegzubrennen, damit sie sie nicht daran hinderte, den Schild zu tragen; den Nichtadligen entfernte man die rechte Brust, damit sie besser mit dem Bogen schießen konnten. Sie übten das Waffenhandwerk mit so viel Vergnügen aus, daß sie durch Waffengewalt ihr Land und ihren Herrschaftsbereich beträchtlich vergrößerten, so daß die Kunde ihres großen Ruhms überallhin drang. Jene beiden Königinnen, Lampheto und Marpesia, von denen ich dir eben erzählt habe, zogen, eine jede von einem großen Heer begleitet, in verschiedene Länder. Sie eroberten schließlich einen großen Teil Europas und Asiens, unterwarfen mehrere Königreiche und brachten sie unter ihre Herrschaft, gründeten manche Städte und Staaten, darunter, in Asien, die Stadt Ephesos, die lange Zeit berühmt war und es immer noch ist. Marpesia, die eine dieser beiden Königinnen, starb als erste in einer Schlacht, und an ihrer Statt krönten die Amazonen eine ihrer jungfräulichen, vornehmen und schönen Töchter, die den Namen Synope trug. Diese hatte ein so edles und stolzes Herz, daß sie sich zeit ihres Lebens nie dazu herabließ, sich mit einem Mann zu paaren, sondern ihr ganzes Leben lang Jungfrau blieb. All ihre Liebe, ihr ganzes Streben richtete sich nur auf das Waffenhandwerk; hierin lag ihr ganzes Vergnügen, und so groß war ihre Leidenschaft, daß sie nicht müde wurde, Länder zu belagern und zu erobern. Ihre Mutter wurde durch sie so großartig gerächt, daß sie alle Bewohner des Landes, in dem jene getötet worden war, mit dem Schwert niedermetzelte, das ganze Land verwüstete und gleichzeitig manchen anderen Landstrich eroberte.
VON DER AMAZONENKÖNIGIN TAMARIS
XVII.
Die Amazonen begründeten so, wie du es vernehmen kannst, ihre Herrschaft und erhielten sie über lange Jahre hinweg kraftvoll aufrecht; viele tapfere und edle Frauen herrschten als Königinnen über sie und lösten einander ab. Da es den Lesenden Verdruß bereiten könnte, sie alle der Reihe nach aufgezählt zu bekommen, mag es genügen, -wenn einige wichtige erwähnt werden.
Königin über jenes Land war die tapfere, tüchtige und weise Tamaris. Ihrer Klugheit, List und Kraft war es zu verdanken, daß Cyrus, der starke und mächtige persische König, besiegt und gefangengenommen wurde, jener König, der viele Wundertaten vollbracht, das große Babylon wie auch einen großen Teil der Erde erobert hatte. Nach manchen anderen von ihm durchgeführten Eroberungen kam es jenem Cyrus in den Sinn, in das Land und Königreich der Amazonen einzufallen, in der Hoffnung, es ebenfalls in seine Gewalt zu bringen. Als die weise Königin von ihren Spionen erfuhr, Cyrus bewege sich mit einer so großen Anzahl von Mannen, daß sie ausgereicht hätten, die gesamte Erde zu erobern, auf sie zu, erkannte sie, daß ein solches Heer unmöglich durch Waffengewalt vernichtet werden könnte und es einer List bedurfte. Bei der Nachricht, Cyrus sei schon weit in ihr Herrschaftsgebiet vorgerückt (was sie absichtlich und ohne Gegenwehr geduldet hatte), ließ sie, die tüchtige Heerführerin, alle ihre Frauen bewaffnen und gab ihnen den genialen Befehl, sich an verschiedenen Stellen im Gebirge und im Wald, dort, wo Cyrus vorbeikommen mußte, im Hinterhalt auf die Lauer zu legen.
Dort wartete Tamaris mit ihrem Heer in aller Stille so lange, bis Cyrus und all seine Mannen nach ihm sich in die engen und dunklen Durchgänge, umgeben von Felsen und undurchdringlichen Wäldern, begeben hatten, die sie durchqueren mußten. Als die edle Frau ihre Stunde gekommen sah, ließ sie hell ihre Kriegstrompete erschallen. Cyrus, der nicht weiter darauf achtete, war aufs höchste erschrocken, als er sich plötzlich von allen Seiten umzingelt sah: denn oben von den hohen Bergen warfen die Frauen großes Gestein auf sie herunter, das sie in Massen zu Boden warf. Die Unwegsamkeit des Geländes machte ein Vorwärtsgehen oder Vorrücken unmöglich, und außerdem lauerte man ihnen vorne auf und tötete sie, sobald sie die Engpässe verließen; den Rückzug konnten sie jedoch ebenfalls nicht antreten, weil man ihnen von hinten gleichfalls auflauerte. So wurden sie dort alle getötet und zu Boden geworfen und Cyrus gefangengenommen; jedoch hatte man ihn auf Geheiß der Königin verschont. Nach der Niederlage ließ sie ihn zu sich in ein Zelt bringen, das sie dort hatte errichten lassen. Erfüllt von großem Zorn gegen ihn, aus Liebe zu einem ihrer Söhne, den sie gegen Cyrus eingesetzt und der dabei das Leben gelassen hatte, wollte sie ihn nicht verschonen; vielmehr ließ sie vor seinen Augen allen seinen Baronen den Kopf abschlagen und sagte dann zu ihm: >Cyrus, der du in deiner Grausamkeit von Menschenblut niemals genug bekommen konntest, nun magst du davon trinken, soviel du willst.< Darauf ließ sie seinen Kopf, den sie hatte abschlagen lassen, in einen Kübel fallen, in dem sie das Blut seiner Barone hatte auffangen lassen.
Schöne Tochter, meine teure Freundin, diese Dinge rufe ich dir ins Gedächtnis zurück, weil sie gut zu dem Thema passen, über das ich dir berichte, obwohl sie dir wohlbekannt sind, hast du sie doch früher selbst in deinem Livredela mutacion de Fortune und in deiner Epistrede Othea wiedergegeben. Im folgenden werde ich dir noch mehr zu diesem Thema erzählen.
WIE DER STARKE HERKULES UND SEIN GEFÄHRTE THESEUS
MIT EINEM GROSSEN HEER UND EINER GROSSEN FLOTTE
AUS GRIECHENLAND GEGEN DIE AMAZONEN ANRÜCKTEN UND
WIE DIE BEIDEN JUNGFRAUEN MANALIPE UND HIPPOLYTE
SIE MIT IHREN PFERDEN UND ALLEM ÜBER DEN HAUFEN WARFEN.
XVIII.
Was soll ich dir noch erzählen? Dank ihrer Körperkraft hatten die edlen Frauen von Amazonien bereits so viel vollbracht, daß man sie in allen Ländern aufs höchste fürchtete. Selbst in das ziemlich weit entfernte Griechenland drang die Kunde von ihnen: daß jene Frauen unaufhörlich in Länder eindrängen und sie eroberten; daß sie überall umherzögen, Länder und Landstriche verwüsteten, falls sie sich ihnen nicht alle ergäben; und es keine Kraft gäbe, die der ihren zu widerstehen vermöchte. Über solches erschrak Griechenland und befürchtete, der Machtbereich jener Frauen könnte sich schließlich auch auf das eigene Land ausdehnen.
Damals lebte in Griechenland Herkules, der wundersame und starke Mann, der sich in der Blüte seiner Jugend befand und während seines Lebens mehr erstaunliche körperliche Kraftakte zuwege brachte als irgendein menschliches Wesen, von dem die Chroniken künden. Denn er kämpfte mit Riesen, Löwen, mit Schlangen und gewaltigen Ungeheuern und besiegte sie alle; kurz und gut, er war so stark, daß niemand, abgesehen von dem starken Samson, ihm an Kraft gleichkam. Jener Herkules sagte, es sei nicht sinnvoll, solange zu warten, bis die Amazonen sie angriffen, vielmehr sei es am besten, sie als erste zu überfallen. Um dies auszuführen, ließ er dann ein Schiff ausrüsten und versammelte eine große Anzahl edler Jünglinge, um zu diesem großen Unternehmen aufzubrechen. Als Theseus, der vortreffliche und tapfere König von Athen, davon erfuhr, sagte er, Herkules könne nicht ohne ihn gegen die Amazonen ziehen, vereinte sein Heer mit dem des Herkules, und so stachen sie mit einem großen Haufen von Kriegern in See und nahmen Kurs auf Amazonien. Als das Land in Sicht war, da wagte es Herkules trotz seiner erstaunlichen Kraft und Kühnheit und trotz des großen Heeres von tapferen Leuten, das ihn begleitete, nicht, tagsüber den Hafen anzulaufen und zu landen: so sehr fürchtete er die große Kraft und die Kühnheit der Amazonen. Dies zu berichten, wäre höchst überraschend und schwerlich zu glauben, wenn nicht so viele Geschichtsbücher belegten, daß ein Mann, der niemals, von welchem Wesen auch immer, bezwungen wurde, weibliche Stärke fürchtete. Deshalb warteten Herkules und sein Heer bis zum Einbruch der finsteren Nacht; und dann, als die Stunde der Ruhe und des Schlafs für jedes sterbliche Wesen herangerückt war, sprangen jene aus ihren Schiffen, fielen ins Land ein und schickten sich an, in den Städten überall Feuer zu legen und jene niederzumetzeln, die ohne Arg und schutzlos waren. In kürzester Zeit brach großes Geschrei aus; rasch liefen sie gemeinsam alle zu den Waffen und, so schnell sie konnten und um die Wette, rannten sie in großen Scharen zur Küste, um sich auf ihre Feinde zu stürzen.
In jenen Zeiten herrschte die Königin Oreithyia, eine äußerst tapfere Frau, die manches Land erobert hatte. Sie war die Mutter der großen Königin Penthesilea, von der im folgenden die Rede sein soll. Diese Oreithyia war nach der kriegerischen Königin Antiope gekrönt worden, die die Amazonen in großer ritterlicher Zucht geführt und regiert hatte und zeit ihres Lebens sehr tapfer gewesen war. Diese Oreithyia erfuhr, wie die Griechen, ohne zuvor den Krieg erklärt zu haben, des Nachts in ihr Land eingefallen waren und dort alles niedermetzelten. Daß sie da wütend auf die Griechen war, darüber gibt es keinen Zweifel; jene sollten ihren Zorn zu spüren bekommen! Sie stieß Drohrufe gegen jene aus, die sie nicht im geringsten fürchtete, und befahl sogleich, alle ihre Heere zu bewaffnen. Was für einen Anblick boten die Frauen, die geschäftig zu den Waffen liefen und sich um ihre Königin scharten, die bei Tagesanbruch alle ihre Truppen bereitstehen hatte!
Aber während diese sich versammelten und die Königin damit beschäftigt war, ihre Heere und Truppeneinheiten aufzustellen, warteten zwei tapfere, überdurchschnittlich kräftige, mutige und über die Maßen kühne und tüchtige Jungfrauen, Manalipe und Hippolyte mit Namen und enge Verwandte der Königin, nicht das Ende der Vorbereitungen ihrer Herrin ab. Vielmehr liefen sie so schnell sie konnten zum Hafen — bewaffnet, die Lanze in der Faust, die Schilde aus hartem Elfenbein über die Schulter gehängt und auf flinken Schlachtrossen sitzend; und mit großem Elan, gleichsam überwältigt von Zorn und Unmut, mit gesenkten Lanzen, preschten sie gegen die hervorstechendsten Erscheinungen unter den Griechen vor: das heißt Manalipe gegen Herkules und Hippolyte gegen Theseus. Daß sie wütend waren, war deutlich erkennbar; denn trotz der großen Kraft, Kühnheit und des großen Mutes jener Männer schlugen die edlen Mädchen in einem scharfen Zusammenstoß so stark auf sie ein, daß eine jede von ihnen ihren Ritter mit seinem Pferd und allem anderen zu Boden warf. Zwar fielen sie selbst auch hinunter, erhoben sich jedoch sofort und setzten den Männern mit gezogenen Schwertern nach.
Oh, welche Ehre gebührt diesen edlen Mädchen, wurden doch durch sie, durch zwei Frauen, die beiden tapfersten Ritter der ganzen Welt aus dem Sattel gehoben! Man könnte kaum glauben, daß sich dies wirklich zugetragen hat, wenn es nicht so viele glaubwürdige Autoren i n ihren Büchern bezeugt hätten. Sogar diese Autoren wundern sich sehr über diese Begebenheit und entschuldigen (im Hinblick auf seine überdurchschnittliche Körperkraft) vor allem Herkules und behaupten, es könne am Pferd liegen, das durch den starken Aufprall ins Stolpern geriet; denn, so meinen sie, wenn er auf seinen eigenen Füßen gestanden hätte, wäre er nicht gestrauchelt. Die beiden Ritter schämten sich, von den beiden Mädchen abgeworfen worden zu sein. Gleichwohl lieferten diese ihnen noch einen heftigen Kampf mit dem Schwert, der sich über einen langen Zeitraum erstreckte; aber ganz zum Schluß — und das ist höchst erstaunlich, denn das Paar war ja äußerst ungleich — wurden die edlen Mädchen dann doch von ihnen gefangengenommen.
Diese Gefangennahme betrachteten Herkules und Theseus als eine so große Ehre, daß sie den Reichtum einer ganzen Stadt als Lösegeld ablehnten. Sie zogen sich sogleich auf ihr Schiff zurück, um sich auszuruhen und ihre Waffen abzulegen; sie meinten, eine große Tat vollbracht zu haben. Den edlen Mädchen ließen sie viel Ehre angedeihen, und als sie sahen, wie schön und lieblich sich diese ohne Waffen ausnahmen, verdoppelte sich ihre Freude, denn noch nie zuvor hatten sie eine so angenehme Beute errungen, und mit großem Vergnügen betrachteten sie sie immer wieder.
Als die Königin mit einem starken Heer gegen die Griechen anrückte, erreichte sie die Nachricht von der Gefangennahme der beiden Mädchen, die sie sehr schmerzte. Weil sie aber befürchtete, man würde die gefangenen Mädchen schlechter behandeln, wenn sie gegen die Griechen vorrückte, hielt sie nun inne und ließ ihnen durch zwei ihrer Edelfrauen ausrichten, sie möchten ein beliebiges Lösegeld für die Mädchen festsetzen und sie würde es ihnen schicken. Herkules und Theseus empfingen die Botinnen in allen Ehren und antworteten höflich: wenn die Königin mit ihnen Frieden schließen und, gemeinsam mit ihren Edelfrauen, zusagen wolle, sich nie gegen die Griechen zu bewaffnen, sondern freundschaftliche Beziehungen zu ihnen zu pflegen, dann versprächen sie ihnen, die Mädchen gänzlich frei zu lassen und kein anderes Lösegeld zu verlangen als lediglich ihre Rüstungen; denn diese wollten sie unbedingt besitzen, um der Ehre willen und in ewiger Erinnerung an jenen Sieg, den sie über die edlen Jungfrauen davongetragen hatten. Da die Königin die beiden Mädchen, die sie sehr liebte, wiederhaben wollte, sah sie sich gezwungen, Frieden mit den Griechen zu schließen. Dann wurde so lange über diese Angelegenheit verhandelt und unter ihnen geschlichtet, bis die Königin ohne Waffen, umgeben von einem so schönen und reich geschmückten Gefolge edler Frauen und Mädchen, wie es die Griechen noch niemals erblickt hatten, ihnen entgegenging, um mit ihnen zu feiern und den Frieden zu bekräftigen, was voller Freude geschah.
Aber dennoch mißfiel es Theseus sehr, Hippolyte aus seiner Gewalt zu entlassen, liebte er sie doch bereits von ganzem Herzen. Deshalb fragte Herkules an seiner Stelle die Königin, ob sie erlaube, daß er sie zur Frau nähme und in sein Land heimführe. Daraufhin wurden großartige Hochzeitsfeierlichkeiten begangen, und danach brachen die Griechen auf. Auf diese Weise nahm Theseus Hippolyte mit, die später von diesem einen Sohn namens Hippolytos bekam; dies war ein hervorragender und über die Maßen berühmter Ritter. Als man aber in Griechenland erfuhr, mit den Amazonen sei Frieden geschlossen worden, herrschte eine unglaubliche Freude, denn es gab niemanden, vor dem sich die Griechen mehr fürchteten.