»Ich glaube, daß eine Frau eine Karriere machen kann wie ein Mann ...«
- »Liebes Schatzerl!
Schon wieder sind ein paar träge öde Tage an meinem schläfrigen Auge vorübergelaufen, weißt Du, solche Tage, an denen man spät aufsteht, weil man nichts Rechtes zu thun weiß, dann fortgeht, bis das Zimmer gemacht ist, dann studiert, so einige Stunden bis man zu müde ist. Dann drückt man sich so herum und freut sich so halb aufs Essen, wobei man noch über hochwichtige philosophische Fragen schlaffen Geistes nachsinnt & ein bißchen dazu pfeift... Wie hab ich nur früher allein leben können, Du mein kleines Alles. Ohne Dich fehlt mirs an Selbstgefühl, Arbeitslust, Lebensfreude kurz ohne Dich ist mein Leben kein Leben.«
Dieses Geständnis seiner Liebe schickte der damals einundzwanzigjährige Albert Einstein im Sommer 1900 an Mileva Maric, eine Kommilitonin in Zürich, die 1903 gegen den erbitterten Widerstand seiner Eltern seine erste Ehefrau werden sollte. Der Brief findet sich neben zahlreichen anderen wissenschaftlichen und privaten Dokumenten im ersten Band der »Gesammelten Werke«, die 1987 in Princeton herausgekommen sind. Die Innigkeit der Beziehung zu Mileva Maric, von der die bisherigen Einstein-Biographen bislang nur Nebensächliches oder Abfälliges zu berichten wußten, ist die eigentliche Sensation, die die Dokumente der frühen Jahre Einsteins bereithalten.
Die Briefe zeigen in großer Eindringlichkeit die Entwicklung einer Liebe, die in mehrfacher Hinsicht ungewöhnlich war: Erstens war Mileva Maric älter als Einstein, zweitens entsprach sie nicht dem gängigen weiblichen Schönheitsideal, und drittens war sie eine Frau mit eigener wissenschaftlicher Ausbildung und eigenem wissenschaftlichen Ehrgeiz. Das Überraschende ist, daß Einstein von diesen Besonderheiten nicht abgestoßen war, sondern daß sie vielmehr dazu beigetragen haben, daß Mileva Maric auf ihn einen unwiderstehlichen Reiz ausübte. Im September 1900 schrieb er an die Geliebte:
- »Ich freu mich auch sehr auf unsere neuen Arbeiten. Du mußt jetzt Deine Untersuchung fortsetzen - wie stolz werd ich sein, wenn ich gar vielleicht ein kleines Dokterlin zum Schatz hab & selbst noch ein ganz gewöhnlicher Mensch bin!«
Einen Monat später faßte er das Besondere ihrer Beziehung folgendermaßen zusammen:
- »Wie glücklich bin ich, daß ich in Dir eine ebenbürtige Kreatur gefunden habe, die gleich kräftig und selbständig ist wie ich selbst! Außer mit Dir bin ich mit allen allein.«
Die gegenseitige intellektuelle Hochschätzung schloß Zärtlichkeit und Leidenschaftlichkeit nicht aus.
Von Mileva Maric ist ein kurzes Billet überliefert, das sehr gut den zärtlichen und vertrauten Ton zeigt, der zwischen den beiden damals üblich war:
»Mei liebs Johonesl!
Da ich Dich so gern hob und du so weit bist, daß ich dir keins Putzerl kann geben, schreib ich Dir jetzt dieses Brieferl und frag dich ob du mich auch so gern host, wie ich Dich? Antworte mir sofort. Tausend Küßerline von deins D(oxerl)«
Der gleiche zärtliche, verspielte Ton findet sich auch in den Briefen Einsteins. Immer neue Kosenamen erfindet er für die geliebte Frau. Mal ist sie das begehrte »Doxerl«, mal der kumpelhafte »Gassenbub«, mal die anschmiegsame »Miez« mal ist sie »lieber Engel«, mal »wüste Hex« oder »Lüderchen«. Immer aber ist sie ernstgenommene Partnerin im wissenschaftlichen Diskurs. Unvermittelt neben den leidenschaftlichen Geständnissen der Liebe finden sich Reflexionen über Differentialgleichungen, Doppelintegrale oder elektromagnetische Lichttheorie. Wissenschaft und Liebe gehörten für Einstein untrennbar zusammen. Er sah die Geliebte stets als Partnerin der gemeinsamen Forschung:
- »Wie glücklich und stolz werde ich sein, wenn wir beide zusammen unsere Arbeit über die Relativbewegung siegreich zu Ende geführt haben.«
Wer war diese Mileva Maric, der Einsteins leidenschaftliche Liebe und intellektuelle Hochschätzung galt? Was ist aus der ungewöhnlichen Beziehung zweier »ebenbürtiger« Partner geworden?
Hierauf geben weniger die jüngst publizierten Briefe eine Antwort als vielmehr das Buch von Desanka Trbuhovic-Gjuric »Im Schatten Albert Einsteins. Das tragische Leben der Mileva Einstein-Maric«, das 1983 in einem kleinen Schweizer Verlag erschienen ist. Es erzählt das Leben der Mileva Maric-Einstein in einer wenig professionellen, aber dennoch anrührenden Weise. Wenn ihr Buch auch in entscheidenden Partien durch die jüngst publizierten Briefe korrigiert wird, hat es trotzdem weiter seinen Wert als erste Rekonstruktion einer vergessenen weiblichen Geschichte. Zusammen mit dem Briefwechsel stellt es eine unverzichtbare Grundlage für alle diejenigen dar, die sich für das verborgene Leben der Mileva Maric interessieren und es aus dem Schatten herausführen wollen, in den Einsteins erste Frau nicht zuletzt durch die Schuld jener Biographen geraten ist, die das Bild des Genies auf Kosten seiner ersten Frau entworfen haben. Aus der Biographie von Desanka Trbuhovic-Gjuric tritt uns eine ungewöhnliche Frau entgegen, die so gar nichts gemein hat mit dem Bild der unattraktiven, mürrischen und ein wenig dümmlichen Person, das die Einstein-Biographen Frank, Seelig, Flückiger und andere von ihr entwerfen.
Hören wir ihre Geschichte:
Am 19.12. 1875 wurde Mileva Maric als erstes Kind des serbischen Korporals Milos Maric und seiner Frau Marija Ruzic in dem kleinen Ort Titel geboren, der zur Habsburger Monarchie gehörte und hauptsächlich von Serben, aber auch von Ungarn und einer deutschen Minderheit bewohnt war. Die Eltern der Mutter gehörten zu den reichsten Bewohnern des Ortes, aber auch die Eltern des Vaters waren wohlhabend. So hatte schon der Vater eine relativ gute Ausbildung genossen und sehr gut Deutsch gelernt. Die kleine Mileva wurde nach sieben Ehejahren geboren, ihr folgte 1883 eine weitere Tochter, Zorka, und schließlich 1885 der ersehnte Sohn Milos. Über ihre Jugendzeit gibt es nur spärliche Informationen. Sie scheint sehr zart gewesen zu sein, und die Eltern waren ihretwegen ständig besorgt. Diese Besorgnis steigerte sich, als sich herausstellte, daß Mileva einen angeborenen Hüftschaden hatte und deshalb nur mit Schwierigkeiten laufen lernte. Obwohl die Eltern alle Anstrengungen machten, das Leiden zu verbessern, blieb eine lebenslange Gehbehinderung nach: Mileva hinkte.
Diese Behinderung hatte eine große Bedeutung: Die kleine Mileva konnte nur mit Schwierigkeiten an den Spielen der anderen Kinder teilnehmen. Daher schloß sie sich weitgehend von ihnen ab. Die ersten acht Jahre, bis die Schwester geboren wurde, stand sie im Mittelpunkt der elterlichen Fürsorge und wurde insbesondere vom Vater, der ihre rasche Auffassungsgabe bald erkannte, besonders gefördert. Sie scheint kein unglückliches Kind gewesen zu sein, obgleich sie sicherlich manchmal unter der erzwungenen Isolierung und unter den Hänseleien der Dorfkinder zu leiden hatte. Sie lebte in einer Phantasiewelt. Stundenlang zog sie sich auf den elterlichen Dachboden zurück, wo sie sich ihren Tagträumereien überließ oder sie saß versteckt im hohen Gras und beobachtete das Leben am Fluß und auf der Wiese.
Bereits als kleines Kind begann sie sich für Zahlen zu interessieren. Stundenlang konnte sie sich allein damit beschäftigen, zu addieren, zu subtrahieren, zu multiplizieren und zu dividieren. Außerdem zeigte sie ein lebhaftes Interesse an der Musik, so daß ihre Eltern ihr schon früh Klavierunterricht erteilen ließen. Die von ihr erhaltenen Zeichnungen zeigen, daß sie auch eine ausgeprägte zeichnerische Begabung hatte. Den Eltern war die besondere Begabung der Tochter nicht unlieb. Ihr Hüftleiden machte es unwahrscheinlich, daß man die Tochter gut verheiraten konnte. Wohl nicht zuletzt aus diesem Grund stellten die Eltern schon früh die Weichen für eine sinnvolle Ausbildung der Tochter und scheuten weder Geld noch Mühen, ihr einen guten Unterricht zu ermöglichen. 1882 begann Mileva Maric die Schule in dem größeren Nachbarort Ruma zu besuchen. Sie lernte schnell und rasch. Sehr bald beherrschte sie die deutsche Sprache, die auch der Vater sprach.
Nach der Beendigung der Volksschule ging sie 1886/87 auf die Höhere Töchterschule in Novi Sad; kurz darauf wechselte sie auf die Realschule über, weil dort der Unterricht auf deutsch erteilt wurde, was dem Vater besonders wichtig war. Aber weder die Höhere Töchterschule noch die Realschule boten dem begabten Kind genügend Anregung, so daß der Vater nach anderen Möglichkeiten Ausschau hielt. In Österreich-Ungarn konnten Mädchen damals noch keine Gymnasien besuchen. Also beschloß der Vater, sie nach Serbien zu schicken, wo solche geschlechtsspezifischen Beschränkungen nicht bestanden. Das bedeutete die Trennung von ihren Eltern und den beiden Geschwistern, denen sie zärtlich zugetan war. 1890, also mit fünfzehn Jahren, wurde sie Schülerin des königlich-serbischen Gymnasiums in Sabac das einen ausgezeichneten Ruf hatte. Auch hier lernte Mileva Maric rasch und avancierte alsbald zur besten Schülerin. Immer deutlicher zeichnete sich ab, daß es für ein Mädchen ihrer Begabung in der Heimat nichts mehr zu lernen gab. Die Frage, was mit ihr werden sollte, wurde unausweichlich. Eine Heirat wurde weder von den Eltern noch der Tochter als eine mögliche Zukunftsperspektive gesehen. Für Mileva gab es nur eine Entscheidung: Sie wollte weiter lernen. Das aber war nur im Ausland möglich. Als einziger Ort in Europa kam damals Zürich in Frage, wo Frauen zum Studium zugelassen waren.
Bereits im Herbst 1894, sie war damals erst achtzehn Jahre alt, traf sie mutterseelenallein in der Schweiz ein. Die weite Reise scheint sie ohne familiäre Begleitung gemacht zu haben, was damals sehr ungewöhnlich war. Ungewöhnlich war auch, daß sie sich ganz allein in dem fremden Land orientierte, sich Unterkunft suchte und Ausschau nach dem optimalen Ausbildungsgang für sich hielt.
Nach der Erlangung der Matura begann sie im Sommersemester 1896 mit dem Studium der Mathematik und Physik an der Eidgenössischen Polytechnischen Schule in Zürich. Sie war die fünfte Frau seit Bestehen der Schule und die einzige in dem Jahrgang.
Zu ihren Mitstudenten gehörte Albert Einstein, der sich rasch für seine strebsame und begabte Kommilitonin interessiert zu haben scheint. Auch Mileva Maric fand Gefallen an dem genialischen Außenseiter, der durch seine große Musikalität und sein unorthodoxes Auftreten auffiel. Mileva Maric war fasziniert von dem Ideenreichtum Einsteins und scheint ihn ebenso als einen Gegenpol bewundert zu haben, wie Einstein sie als Gegenpol zu sich selbst bewunderte. Gemeinsam besuchten sie alle Kurse, und gemeinsam arbeiteten sie an der Lösung verschiedener Aufgaben, die ihnen von ihren Lehrern gestellt wurden. Sie gingen aber auch ihre eigenen Wege und beschäftigten sich mit Problemen, die weitgehend aus dem offiziellen Lehrbetrieb ausgeschlossen waren. Aus der intensiven Arbeitsbeziehung entwickelte sich bereits nach kurzer Zeit eine tiefere emotionale Beziehung, die Mileva Maric jedoch erschreckte. Noch wies sie jeden Gedanken an Heirat entschieden von sich. In einem Gespräch äußerte sie: »Ich zweifle, ob ich je heiraten werde. Ich glaube, daß eine Frau eine Karriere machen kann wie ein Mann.« Scharfsichtig erkannte sie, daß Ehe und eventuell Kinder sie von ihrem eingeschlagenen Weg abbringen könnten. Die Annahme der traditionellen Frauenrolle war ihr unvorstellbar. Die Werbungen Einsteins versuchte sie mit den selbstbewußten Worten abzuwehren: »Ich glaube, daß ich ein ebenso guter Physiker wäre wie meine männlichen Kollegen.«
Daß Einstein daran nicht zweifelte, zeigen seine Briefe an Mileva Maric, in denen er sie selbstverständlich als gleichrangige Partnerin behandelte. Vielleicht liegt hierin auch ein Grund dafür, daß der Widerstand von Mileva Maric gegen eine engere Bindung schließlich schmolz. Sie fühlte sich als Wissenschaftlerin und als Frau gleichermaßen von Einstein akzeptiert. Ihre Beziehung intensivierte sich so sehr, daß eine Entscheidung über eine gemeinsame Zukunft nicht länger aufgeschoben beziehungsweise verdrängt werden konnte. Als Einstein sich seinen Eltern erklärte, stieß er jedoch auf erbitterten Widerstand, wie aus einem Brief an die Geliebte vom Juli 1900 hervorgeht:
- »Mama warf sich auf ihr Bett, verbarg den Kopf in den Kissen und weinte wie ein Kind. Als sie sich von dem ersten Schreck erholt hatte, ging sie sofort in eine vezweifelte Offensive über. >Du vermöbelst Dir Deine Zukunft und versperrst Dir Deinen Lebensweg.< >Die kann ja in gar keine anständige Familie.< >Wenn sie ein Kind bekommt, dann hast Du die Bescherung.< Bei diesem letzten Ausbruch, dem noch mehrere vorangegangen waren, brach mir endlich die Geduld. Ich wies den Verdacht, daß wir unsittlich zusammen gelebt hätten, mit aller Energie zurück und schimpfte tüchtig...«
Die Mutter opponiert gegen Mileva Maric, die sie persönlich gar nicht kennt vor allem aus zwei Gründen: Sie findet sie zu alt und zu intellektuell - in ihren Augen beides Todsünden für eine Frau. Immer wieder hält sie dem Sohn vor:
- »Sie ist ein Buch wie Du - Du solltest aber eine Frau haben.« »Bist Du 50, ist sie eine alte Hex.«
Auch wenn Einstein im Sommer 1900 die Anwürfe der Mutter, er habe mit Mileva »unsittlich« gelebt, entrüstet zurückgewiesen hatte, so sollte doch bald eine Entwicklung eintreten, die die Ahnungen der Mutter bestätigte. Erst der jetzt veröffentlichte Briefwechsel hat etwas aufgedeckt, was bislang ein gut gehütetes Geheimnis gewesen ist: 1901 wurde Mileva Maric schwanger, Anfang 1902 brachte sie zu Hause bei ihren Eltern ein Mädchen zur Welt. Einstein schwankte zwischen Freude und Besorgnis. Angesichts seiner ungesicherten finanziellen Situation und angesichts des anhaltenden Widerstandes seiner Eltern gegen eine Verbindung mit Mileva Maric waren ihm die Hände gebunden. Außer Treueschwüren und liebevollen Briefen hatte er der Geliebten nichts zu bieten. Mileva Marics Lage war katastrophal. Auch wenn sich ihre Eltern in dieser Situation als wenig philiströs erwiesen und die schwangere Tochter bei sich aufnahmen, so war diese doch vollkommen aus ihrer Lebensbahn geworfen. Die oft gestellte Frage, warum die so begabte Mileva Maric ihre Ausbildung nicht wie Einstein mit dem Diplom abgeschlossen hat, findet eine banale Erklärung: Ihre fortgeschrittene Schwangerschaft, die sie zudem verheimlichen mußte, ließ ihr nur die Möglichkeit, die bereits angefangene Diplomarbeit zurückzuziehen und das Polytechnikum, das sie mit so weitreichenden Hoffnungen betreten hatte, mit dem einfachen Abgangszeugnis zu verlassen.
Was aus dem »Lieserl«, - so nannte Einstein das Kind in seinen Briefen - geworden ist, liegt im dunkeln. Im Laufe des Jahres 1902 ist Mileva Maric ohne das Kind nach Zürich zurückgekehrt. Ob sie es bei ihren Eltern oder bei fremden Leuten zur Pflege in Serbien zurückgelassen hat, ist unklar. Den Plan, das Kind zu sich zu nehmen, sobald dies möglich wäre, haben Einstein und Mileva Maric nicht ausgeführt, obwohl sich bereits kurz nach der Geburt des Kindes Einsteins berufliche Situation stabilisierte. Im Juni 1902 erhielt er eine Stelle im Patentbüro in Bern, und im Januar 1903 heiratete er Mileva Maric - gegen den Willen beider Elternpaare. Die Ordnung war wiederhergestellt - aber um welchen Preis: Mileva Maric-Einstein hatte sich von ihrem Kind trennen müssen, und sie hatte Abschied nehmen müssen von einer eigenständigen wissenschaftlichen Karriere. Die Düsternis und die Schwermut, die die Freunde zunehmend an ihr wahrnahmen, rührt aus dieser Zeit. Aus dem lustigen »Gassenbub«, der immer zu Späßen und Neckereien aufgelegt war, war eine ernste und melancholische Frau geworden, die ihren doppelten Verlust mit einem lebenslangen Tabu belegte: Über das »Lieserl« und ihre Karrierehoffnungen hat sie nie wieder gesprochen. Fortan verstand sie sich nur noch als Mitarbeiterin ihres Mannes.
Dennoch ließ sich das neue Leben zunächst gut an. Es ließ zumindest in Umrissen noch etwas von dem Enthusiasmus ahnen, mit dem die beiden begonnen hatten. Einstein forschte, und Mileva Maric-Einstein unterstützte ihn. »Vor kurzem haben wir ein sehr bedeutsames Werk vollendet, das meinen Mann weltberühmt machen wird« schrieb Mileva Maric-Einstein an eine Bekannte.
Vor der Eheschließung waren die gemeinsamen Veröffentlichungen mit »Einstein-Maric« unterzeichnet gewesen, nach der Hochzeit trat an die Stelle der gemeinsamen Unterzeichnung der Name Einstein, was Mileva Maric-Einstein angeblich nicht störte, weil, wie sie erklärend schrieb, »wir ja beide nur ein Stein sind«.
Die gemeinsame Arbeit wurde auch dann kaum unterbrochen, als im Mai 1904 der Sohn Hans Albert geboren wurde, das »Hanserl«, das sich Einstein statt des »Lieserls< bereits 1901 gewünscht hatte. Was die Geburt dieses Kindes für Mileva Maric-Einstein bedeutete, kann man nur erahnen. Natürlich konnte der Sohn das »Lieserl« für Mileva Maric-Einstein nicht ersetzen aber er milderte doch den Verlust und half Schuldgefühle zu überdecken. Auf der anderen Seite schränkte er die ohnehin begrenzten wissenschaftlichen Betätigungsmöglichkeiten weiter ein, was aber anfangs wenig auffiel, da er ein freundliches und pflegeleichtes Kind war und den Eltern weiterhin Zeit für gemeinsame Arbeit ließ. 1905, der Sohn war gerade ein Jahr alt, erschienen von Albert und Mileva Einstein fünf Arbeiten, allerdings alle unter dem Namen Einstein, die den Weltruhm von Einstein begründeten und ihm in den folgenden Jahren eine internationale Universitätskarriere eröffneten. Der Anteil von Mileva Maric-Einstein wird sich wohl nie mehr genau bestimmen lassen, da die Manuskripte und die dazugehörigen Notizen vernichtet worden sind. Gesichert aber ist durch verschiedene Aussagen - auch von Einstein selbst - daß seine Frau ihm bei der Lösung mathematischer Probleme half und seine Ideen mathematisch umsetzte, da Einstein gerade auf mathematischem Gebiet kein Systematiker war und auch später nachdem er nicht mehr mit seiner Frau zusammenarbeitete - immer der Hilfe von Mathematikern bedurfte, die seine Ideen nachrechneten und umsetzten. Die ersten Ehejahre gehörten zu der produktivsten Phase, die Einstein überhaupt hatte. Auch der Nobelpreis, den er später erhielt, ging zurück auf eine Veröffentlichung aus dieser Phase.
Eine Veränderung im Verhältnis der Eheleute zeichnete sich ab, als 1910 der zweite Sohn Eduard geboren wurde. Er war ein zartes, kränkliches Kind und benötigte viel Aufmerksamkeit. Mileva Einstein konnte nicht mehr in dem Maße an der Arbeit ihres Mannes teilnehmen wie zuvor. Zudem war - verursacht durch den beruflichen Aufstieg Einsteins - die Haushaltsführung erheblich aufwendiger als in den Anfangsjahren. Die Mutter- und Hausfrauenrolle begann zur Belastung zu werden. Sie litt stark darunter, daß sie an der Arbeit ihres Mannes nicht mehr in dem gewohnten Maße teilnehmen konnte. Zudem litt sie unter den Ortswechseln, die der Familie durch die Karriere Einsteins aufgezwungen wurden. Besonders die beiden Semester in Prag 1911 verdüsterten ihre Stimmung. Den gesellschaftlichen Erwartungen nach Eleganz und Repräsentation, die die neue Stellung ihres Mannes mit sich brachte, war sie nicht gewachsen, und sie weigerte sich auch, die Rolle der weltgewandten Gastgeberin einzunehmen. Außerdem wurde sie als Serbin diskriminiert. Es kam zu Konflikten zwischen den Ehepartnern. Einstein selbst war ein geselliger Mann, der trotz aller verbissenen Arbeit seine neu errungene Popularität genoß. Auch als die beiden nach Zürich zurückkehrten, veränderte sich die Lage nicht grundlegend, aber sie entspannte sich doch fühlbar, weil Mileva Einstein sich hier in Kreisen bewegen konnte, in denen sie als Wissenschaftlerin ernst genommen und nicht nur als wenig attraktive Frau eines berühmten Mannes angesehen wurde.
1914, kurz vor Kriegsausbruch, entschloß sich Einstein dann, gegen den erklärten Willen seiner Frau, einen Ruf nach Berlin an die dortige Universität anzunehmen. Mileva Einstein begleitete ihn dennoch mit den Kindern, obwohl sie sich vor einem abermaligen Ortswechsel fürchtete. Berlin versprach noch schwieriger als Prag zu werden, weil dort die Verwandtschaft Einsteins lebte, die Mileva Einstein ablehnte und sie - besonders jetzt, da der Ruhm Einsteins strahlend aufging - für eine nicht adäquate Karrierebegleiterin hielt, womit sie wohl so unrecht nicht hatten. Trotz der schwierigen Konstellation kam es jedoch zu keinem offenen Bruch zwischen den Ehepartnern, dieser wurde vielmehr durch die politischen Verhältnisse besiegelt. In den Sommerferien 1914 befand sich Mileva Einstein mit den beiden Kindern auf Besuch in der Schweiz, als der Erste Weltkrieg ausbrach und sie plötzlich doppelt abgeschnitten war: von ihrem Mann in Deutschland und von der Familie in Serbien.
Es kam eine schwere Zeit. Bedingt durch die Verhältnisse, war der Kontakt zu ihrem Mann längere Zeit abgerissen, und die finanzielle Unterstützung kam sehr unregelmäßig. Auch auf Unterstützung von ihren Eltern konnte sie in der ersten Zeit nicht rechnen. Sie mußte Schulden machen und versuchte, sich und die Kinder mit Klavierunterricht durchzubringen. Die entscheidende Belastung war aber natürlich, daß sie sehr bald erkennen mußte, daß Einstein an einem gemeinsamen Leben nicht mehr interessier-t war und ihr deutlich zu verstehen gab, daß er es für das beste hielt, wenn sie mit den Kindern in der Schweiz bliebe. Eine solche Lösung war für ihn optimal: Er wußte seine Kinder in einem neutralen Land und konnte unbelastet von allen familiären Erwägungen seinen Forschungen nachgehen, bei denen seine Frau ihm keine Partnerin mehr sein konnte, nicht zuletzt deshalb, weil sie vor allem mit der Sorge um das jüngste Kind vollkommen beschäftigt war.
Dieses Kind, das auch Einstein sehr liebte, entwickelte sich von Anfang an nicht normal. Zweifellos war Eduard ein ungewöhnlich begabtes Kind. Er lernte sehr rasch und schien auch außerordentlich musikalisch zu sein, aber seine genialen Abweichungen von der Norm ließen doch schon früh vermuten, daß er immer ein Sorgenkind bleiben würde. Zuerst war er nur zart und kränklich und löste deshalb Besorgnisse aus. Später, noch bevor er ins schulfähige Alter kam, löste sein wahlloser Wissensdurst Ängste bei der Mutter aus, die ihn vergeblich zu bremsen versuchte. Alles Gelesene und Gehörte merkte er sich, auch Belangloses. Er war im Übermaß rezeptiv, die produktiven Kräfte dagegen waren kaum ausgebildet. Das zeigte sich auch auf dem Gebiet der Musik. Bereits als Siebenjähriger spielte er sehr gut Klavier, aber es fehlte die innere Beteiligung am Spiel, wie der Vater mit Sorge vermerkte. Obwohl also auch dem Vater nicht verborgen blieb, daß sich der jüngste Sohn zu einem Problemkind entwickelte, überließ er trotzdem seiner Frau die Sorge für ihn. Zwar machte er immer wieder kurze Stippvisiten in Zürich und verbrachte auch die Ferien mit den Kindern, aber im ganzen gesehen ließ er seine Frau mit den Problemen vollständig allein. Sie fand sich in einer Rolle wieder, die sie nie gewollt hatte: Abgeschnitten von der Wissenschaft - und zwar sowohl auf produktiver wie rezeptiver Ebene - war sie nur noch Hausfrau und Mutter, und das unter extrem schwierigen Bedingungen. Die ungeklärte Beziehung zu ihrem Mann, die durch die Kriegswirren bedingten schwierigen finanziellen Verhältnisse und die Sorge um das jüngste Kind zehrten an ihren Kräften und verstärkten den Ernst und die Strenge, die ihrer Umgebung schon lange an ihr aufgefallen waren. Aus Briefen jener Zeit spricht die Verbitterung einer Frau, die sich um das Eigentliche ihres Lebens betrogen fühlt:
»Mein großer Albert ist unterdessen ein berühmter Physiker geworden, der in der physikalischen Welt sehr geehrt und bewundert ist. Er arbeitet unermüdlich an seinen Problemen, man kann ruhig sagen, daß er nur für sie lebt.«
Aus dem wissenschaftlichen Leben ihres Mannes war sie seit der Geburt des zweiten Kindes ausgeschlossen, der Ausschluß aus seinem privaten Leben stand ihr noch bevor. Nach einer längeren Zeit der Ungewißheit klärte sich die Situation: Einstein verlangte die Scheidung, um eine andere Frau zu heiraten, eine enge Verwandte, die er schon aus seiner Kindheit kannte und die ihm jenes repräsentative Ambiente bot, das seine erste Frau ihm nicht hatte geben können. Beigetragen zu seinem Entschluß, die Ehe mit Mileva Maric-Einstein zu beenden, haben sicherlich auch die vielfältigen Einflüsterungen und Beeinflussungen durch die Verwandtschaft, die »die Serbin« von Anfang an als nicht passend empfunden hatte. Es scheint, als sollte die frühe Prophezeiung ihrer Eltern, daß die Tochter aufgrund ihres körperlichen Defektes und ihres ernsten Wesens keinen Mann finden würde, eine späte Erfüllung finden. In die Konkurrenz mit einer anderen, attraktiven Frau gestellt, unterlag sie und konnte den Mann nicht halten.
Es kann hier nicht darum gehen, weitergehende Mutmaßungen über die Ursachen für das Scheitern der Ehe, die 1919 wegen »natürlicher Unverträglichkeit« geschieden wurde, anzustellen oder moralisierende Schuldzuschreibungen vorzunehmen. Wichtig für unseren Zusammenhang ist, daß die gleichberechtigte Arbeits- und Lebensgemeinschaft, die - wenn auch mit Einschränkungen - am Anfang der Ehe bestanden hatte, nicht lebbar war und daß es in erster Linie die Frau war, die die Kosten des Scheiterns zu tragen hatte: Sie blieb mit leeren Händen zurück. Für einen wissenschaftlichen Neuanfang war es zu spät, zudem erforderte die Betreuung des jüngsten Sohnes alle Kraft und erlaubte ihr nur, stundenweise Klavier- und Mathematikunterricht auf privater Basis zu geben. Ihre finanzielle Situation verbesserte sich erst, als ihr Einstein 1922 das mit der Verleihung des Nobel Preises verbundene Geld persönlich überbrachte. Ob sich darin auch das schlechte Gewissen seiner Frau gegenüber ausdrückt oder nicht sogar das weitergehende Zugeständnis, daß sie an seinem wissenschaftlichen Erfolg einen Anteil hatte, ist nicht zu entscheiden. Mileva Maric-Einstein jedenfalls konnte das Geld gut gebrauchen. Sie legte es in drei Häusern an und war vorerst von finanziellen Sorgen befreit.
Überschattet wurde ihr Leben aber weiterhin durch die Sorge um den zweiten Sohn. Als Eduard 1929 sein Abitur ablegte, war das auch ein Ergebnis der aufopfernden Fürsorge seiner Mutter, die sich selbst und ihre eigenen Wünsche vollständig zurückgenommen hatte, um dem Sohn einen normalen Entwicklungsgang zu ermöglichen. Ihre Anstrengungen sollten aber vergeblich sein: Gleich nach dem Abitur verschlechterte sich der Gesundheitszustand Eduards dramatisch. Er bekam Anfälle und wurde gewalttätig gegen die Mutter. Er versuchte sich das Leben zu nehmen, und als die Mutter ihn daran zu hindern versuchte, würgte er sie. Nur mit knapper Not entging sie seinen Attacken. Eduard kam vorübergehend in die Psychiatrie. Die Mutter reiste umgehend nach Berlin, um sich mit dem Vater darüber zu verständigen, was mit dem Sohn geschehen sollte. Aber Einstein wußte auch keinen Rat, war die Krankheit doch unter anderem auch Ausdruck der gestörten Vater-Sohn-Beziehung, was er selbst wohl sah, nicht aber seine Familie, die die ausbrechende Schizophrenie ausschließlich als Erbe mütterlicherseits zu interpretieren versuchte.
Anders als der ältere Sohn, der sehr früh eine praktische Orientierung nahm und sich als Ingenieur ein vom erdrückenden Vorbild des Vaters unabhängiges Leben aufbauen konnte - er wurde später Professor für Hydraulik an der Universität Berkeley - blieb der jüngste Sohn lebenslang auf den Vater fixiert und konkurrierte mit ihm. Er schrieb dem Vater haßerfüllte Briefe und machte ihn für sein Schicksal verantwortlich. Es gelang ihm nicht, aus dem Schatten des berühmten Vaters herauszutreten. Hier wiederholte sich das, was auch der Mutter schon passiert war. Nur verarbeitete der Sohn den Konflikt viel dramatischer. Während sich der Gemütszustand der Mutter nur verdüsterte, wurde der Sohn durch den Konflikt vollständig in seiner Identität zerstört. Zwar versuchte er am Anfang noch, sein Medizinstudium fortzusetzen und sich selbst als interessanten medizinischen Fall zu betrachten, aber er brauchte eine ständige ärztliche Überwachung, mit der die Mutter vollkommen überfordert war. Immer wieder mußte Eduard zurück in die psychiatrische Klinik und war schließlich auch nicht mehr in der Lage, sein Studium weiterzuführen. Zwischen Apathie und Aggressivität hin- und herschwankend, war er durch die ständigen Klinikaufenthalte und die medikamentöse Behandlung schließlich zu einem intellektuellen und menschlichen Wrack geworden.
Mit der Mutter und dem Wärter lebte er zurückgezogen in der Züricher Wohnung. Seine Pflege, Bewachung und seine zeitweiligen Aufenthalte in der Heilanstalt verschlangen große Summen, so daß die Mutter zwischendurch immer wieder Klavier- und Mathematikstunden geben mußte. Sie fürchtete, die finanzielle Belastung nicht tragen zu können, nachdem sie zwei der Häuser, die sie von dem Nobelpreisgeld erworben hatte, hatte verkaufen müssen und auch in dem dritten Haus nur noch als Mieterin lebte. Sie wurde geizig und wunderlich. Doch schließlich, nach fast zwanzigjährigem Zusammenleben mit dem wahnsinnigen Sohn, waren ihre Kräfte erschöpft. Sie war den Aufregungen nicht mehr gewachsen. Als Reaktion auf einen der üblichen nächtlichen Anfälle des Sohnes erlitt sie einen Schlaganfall und war linksseitig gelähmt. Im Hospital galt ihre einzige Sorge dem kranken Sohn; vergeblich versuchte sie, in das Krankenhaus verlegt zu werden, in dem sich auch Eduard aufhielt. Aber alle Anstrengungen waren vergeblich: Am 4. August 1947 starb sie, eine erschöpfte Greisin, allein und von allen verlassen. Einstein überlebte sie um sieben Jahre.
Der kranke Sohn lebte noch mehr als siebzehn Jahre in der psychiatrischen Anstalt. Von der Mutter hat er nie mehr gesprochen. Als er 1965 starb, stand in der Todesanzeige, die der in Amerika lebende Bruder aufgegeben hat, kein Hinweis auf die Mutter, sondern nur ein Hinweis darauf, daß Eduard der >Sohn des verstorbenen Prof Albert Einstein< gewesen sei. Die Spuren von Mileva Maric-Einstein waren gründlich getilgt; nicht einmal als Mutter wurde ihr Name noch genannt.