»...daß ich den Schwerpunkt meines Lebens nicht in mir, sondern
in anderen suchen muß...»
- »Keine glücklichere, keine harmonischere Vereinigung war in der Kunstwelt denkbar, als die des erfindenden Mannes mit der ausführenden Gattin, des die Idee repräsentierenden Komponisten mit der ihre Verwirklichung vertretenden Virtuosin. «
Diese Worte von Franz Liszt werden immer wieder zitiert, wenn über die Ehe von Robert und Clara Schumann gesprochen oder geschrieben wird. In ihrem verklärenden Gestus sind sie selbst zum Bestandteil jenes zählebigen Mythos geworden, in dem Robert und Clara als das ideale Paar figurieren, das den Niederungen des bürgerlichen Alltags- und Erwerbslebens entrückt ist und im Reiche der Kunst ein unentfremdetes, partnerschaftliches, gemeinsames Betätigungsfeld gefunden hat. Wie brüchig die Konstruktion einer solchen idealen, auf gleichberechtigte Ergänzung von Fähigkeiten angelegten Künstler- und Liebesgemeinschaft ist, zeigen nicht nur neue Quellen, die erstmals ein ungeschminktes Bild der Beziehung vermitteln. Bereits die aufmerksame Lektüre des Liszt-Zitates läßt das zentrale Problem der Beziehung deutlich hervortreten. Die angeblich so glückliche und harmonische Verbindung basiert nicht auf der Ebenbürtigkeit der Partner, wie das Zitat von Liszt suggeriert, sondern sie beruht auf einer klaren Verteilung von »oben« und »unten«: Dem »erfindenden« Mann, dem die »Idee repräsentierenden Komponisten« steht die »ausführende« Gattin als »Virtuosin« nicht gleichberechtigt gegenüber, sondern sie ist ihm untergeordnet. Was hier als Verhältnis von »Kopf-« und »Handarbeit« beziehungsweise als Arbeitsteilung zwischen Komposition und Interpretation beschrieben ist, findet seine Entsprechung in den bürgerlichen Geschlechterstereotypen, in denen der Mann stets die Position des Schöpfers einnimmt, die Frau immer auf die des ausführenden Organs festgelegt ist.
Im Zusammenhang mit Clara Wiecks Kompositionen hatte ein zeitgenössischer Kritiker geschrieben:
- »Reproductives Genie kann dem schönen Geschlecht zugesprochen werden, wie productives ihm unbedingt abzuerkennen ist.. . Eine Componistin wird es niemals geben ... Ich glaube nicht an das Femininum des Begriffes Schöpfer. In den Tod verhaßt ist mir ferner alles, was nach Frauenemancipation schmeckt. «
Die behauptete Ebenbürtigkeit der Partner ist also nur ein ideologischer Schein, der das hierarchische Gefälle verschleiern soll. Bereits die Frage des Bräutigams Robert Schumann, wie sich Clara Wieck denn nach der Heirat nennen würde, zeigt, daß die angestrebte und behauptete Symmetrie von gegenläufigen Wünschen unterwandert wurde:
- »Apropos, wie wirst Du Dich nennen: Wieck-Schumann oder umgekehrt oder nur Clara Schumann - wie schön das sieht, als müßte es so sein.«
Eine andere Szene läßt die Macht- und Konkurrenzprobleme in einem noch sehr viel grelleren Licht erscheinen. Auf einem Doppelmedaillon, das der Künstler Ernst Rietschel von den beiden anfertigen wollte, sollte Clara den oberen Platz erhalten. Dagegen protestierte Robert jedoch auf das heftigste, weil er, wie sich sein Sohn erinnerte, der Meinung war, daß »der schaffende Künstler« den »Vorrang vor dem reproducierenden« habe. Tatsächlich zeigt das ausgeführte Medaillon Robert oben, Clara wird von ihm halb verdeckt. Eine solche Anordnung steht in Widerspruch zur Idee der gleichberechtigten Künstler- und Liebesgemeinschaft, als die die Beziehung im Verständnis beider ursprünglich angelegt war und von den Zeitgenossen und der Nachwelt wahrgenommen wurde.
Als der damals noch relativ unbekannte Komponist Robert Schumann die zu der Zeit international berühmte Pianistin Clara Wieck gegen den erbitterten Widerstand ihres Vaters 1840 heiratete, geschah dies in der ausdrücklichen Absicht, einen Liebesbund zu realisieren, der beiden Partnern die harmonische Entwicklung aller ihrer Fähigkeiten ermöglichen sollte. Am Tag der Hochzeit erhielt Clara ein Tagebuch von ihrem Mann in das dieser folgende programmatische Sätze hineinschrieb:
- »Das Büchlein, das ich heute eröffne, hat eine gar innige Bedeutung; es soll ein Tagebuch werden, über Alles, was uns gemeinsam berührt... Eine Zierde unseres Tagebüchelchens soll die Kritik unserer künstlerischen Leistungen werden; z.B. kömmt genau hinein, was Du vorzüglich studiert, was du componiert, was Du Neues kennen gelernt hast, und was Du davon denkst; dasselbe findet bei mir statt.«
Offensichtlich wird Clara hier von Robert nicht nur als »reproducierende Künstlerin« wahrgenommen, sondern als eine Partnerin gesehen, deren Kompositionen die gleiche Aufmerksamkeit verdienen wie seine eigenen Arbeiten. Die Hochschätzung Claras als »productiver Künstler« läßt sich ablesen an einer Auflistung derjenigen lebenden Komponisten, die Schumann für bedeutend hielt. Clara Wiecks Name findet sich dort neben denen von Mendelssohn und Wagner. In einem Brief stellt Robert Claras Kompositionen sogar neben seine eigenen. Über eine Romanze von ihr schreibt er 1839, ein Jahr vor der Hochzeit:
- »An Deiner Romanze hab ich nun abermals von neuem gehört, daß wir Mann und Frau werden müssen. Du vervollständigst mich als Componisten wie ich Dich. Jeder Deiner Gedanken kommt aus meiner Seele, wie ich ja meine ganze Musik Dir zu verdanken habe.«
Immer wieder fragt er vor der Ehe besorgt nach, ob Clara denn auch fleißig komponiert habe, aber auch nach der Eheschließung ermahnt er sie immer wieder, das Komponieren doch nicht zu vergessen. Clara hat auf solche Nachfragen ambivalent reagiert und die Galanterie und die Herablassung des liebenden und werbenden Mannes wohl gespürt. Auf der einen Seite hat sie zwar immer wieder betont, welchen Spaß ihr das Komponieren mache. So hat sie über ihr Trio stolz geschrieben: »Es geht doch nichts über das Vergnügen etwas selbst komponiert zu haben und dann zu hören« - auf der anderen Seite hat sie sich als Komponistin sehr gering eingeschätzt: »Componieren aber kann ich nicht, es macht mich zuweilen ganz unglücklich, aber es geht wahrhaftig nicht, ich habe kein Talent dazu.« Die Ursachen hat sie, getreu der landläufigen Meinung, in der Geschlechterdifferenz gesehen: »Frauen als Komponisten können sich doch nicht verleugnen, dies laß ich von mir wie von anderen gelten.«
Ihr Mann Robert hat das sehr viel differenzierter gesehen und die Vorurteile der Zeitgenossen gegen schöpferisch tätige Frauen nicht geteilt. Gerade weil er selbst auf jede Form von Störung äußerst sensibel reagierte, hat er ein feines Gespür für die erschwerten Bedingungen gehabt, unter denen Clara als Ehefrau und vielfache Mutter produzieren mußte.
- »Clara hat eine Reihe von kleineren Stücken geschrieben, in der Erfindung so zart und musikreich, wie es ihr früher noch nicht gelungen. Aber Kinder haben und einen immer phantasierenden Mann und komponieren, geht nicht zusammen. Es fehlt ihr die anhaltende Übung, und dies rührt mich oft, da so mancher innige Gedanke verloren geht, den sie nicht auszuführen vermag.«
Eine Lösung des Konflikts hat aber auch er nicht gesehen und sich relativ schnell damit arrangiert, daß Claras kompositorische Arbeit hinter der eigenen zurückstehen müsse. Dies mag ihm um so leichter gefallen sein, als Clara ihn in der Vorrangigkeit seines Schaffens stets bestätigt und eigene Ansprüche nicht angemeldet hat:
- »Clara sieht das auch ein, daß ich mein Talent zu pflegen habe, und da ich jetzt in der schönsten Kraft bin und die Jugend noch nützen muß. Nun so geht es in Künstlerehen; es kann nicht alles beieinander sein; und die Hauptsache ist doch immer das übrige Glück, und recht glücklich sind wir gewiß.«
Clara hat sich trotz ihrer Kompositionen - das offizielle Werkverzeichnis umfaßt immerhin dreiundzwanzig gedruckte Nummern - nicht als Komponistin, sondern als Virtuosin verstanden. Für die Richtigkeit dieser Selbsteinschätzung spricht ihr ganzer Lebens- und Entwicklungsgang.
Schon vor ihrer Geburt hatte der Vater Friedrich Wieck sie zur Pianistin bestimmt. Der Name »Clara« ist Programm, Mit der Ausbildung der 1819 geborenen Tochter erfüllte sich Wieck einen alten Männertraum: die Produktion eines perfekten Wesens. Seine musikalische Bildung hatte sich Wieck, von Haus aus Theologe, weitgehend autodidaktisch erworben. Es reichte zwar nicht zu einer eigenen pianistischen Karriere, wohl aber zur Gründung einer Pianofortefabrik in Leipzig und zur Tätigkeit als Klavierpädagoge, die ihm große Anerkennung einbringen sollte. In scharfer Ablehnung herrschender mechanistischer Ausbildungsverfahren entwickelte Wieck eine Methode der ganzheitlichen musikalischen Ausbildung, die bahnbrechend wurde. Der lebendige Beweis für die Überlegenheit seiner Methode über alle anderen sollte seine Tochter Clara sein.
Als Clara fünf Jahre alt ist, fordert Wieck die Tochter von der Mutter zurück, von der er sich 1824 getrennt hatte, weil ihm, wie die Stieftochter später schrieb, ihr »Widerspruchsgeist« nicht paßte. Die Mutter, die aus einer alten Musikerfamilie stammte, bei Wieck Unterricht erhalten hatte und erfolgreich als Pianistin in Leipzig aufgetreten war, händigt ihm die Tochter nur ungern aus, hatte sie doch selbst unter der Strenge und Unerbittlichkeit ihres Mannes gelitten. Wieck findet die Tochter zu seinem Entsetzen in ihrem gesamten Verhalten nicht altersgemäß entwickelt - vor allem sprachlich ist sie sehr weit zurück. Er beginnt jedoch trotzdem alsbald mit der Ausbildung. Clara erhält täglich eine Unterrichtsstunde bei Wieck und muß zwei Stunden unter seiner Anleitung üben. Ebensolange geht sie in Begleitung des Vaters spazieren, um sich körperlich zu kräftigen. Eine öffentliche Schule besucht sie nicht. Zur Ergänzung der pianistischen Ausbildung und als Voraussetzung für eigene Kompositionen, die das musikalische Verständnis vertiefen sollen, lernt Clara Geigespielen, Instrumentieren und Partiturlesen und erhält Gesangs- und Theorieunterricht.
Voraussetzung für Wiecks Unterricht ist die vollständige Unterwerfung unter seinen Willen. Als Kind, das von seiner Mutter getrennt lebt und als einzige Bezugsperson den Vater hat, ist Clara dem Vater völlig schutzlos ausgeliefert. Selbst das Tagebuch wird von Wieck kontrolliert. Er schreibt hinein, was die Tochter lernt, welche Fortschritte sie macht und ob er mit ihr zufrieden ist. Später darf Clara das Tagebuch unter väterlicher Aufsicht selbst führen - da hat sie die väterliche Perspektive schon vollständig verinnerlicht: Als Neunjährige notiert sie:
»Mein Vater. . . bemerkte heute nochmals, daß ich immer so nachlässig, unordentlich, eigensinnig, unfolgsam etc. sey, daß ich dies namentlich auch im Klavierspiel und Studieren desselben sey und weil ich Hünten neue Variationen OP 26 in seiner Gegenwart so schlecht spielte und nicht einmal den ersten Theil der ersten Variationen wiederholte, so zerriß er das Exemplar vor meinen Augen und von heute an will er mir keine Stunde mehr geben und ich darf nichts mehr spielen als die Tonleitern. Cramer Etüden und Czerny Trillerübungen.«
Daß Wieck nicht nur mit psychischen Pressionen arbeitete, zeigt eine Aufzeichnung von Robert Schumann, die ein bezeichnendes Licht auf die bedrückenden Zustände im Wieckschen Haus wirft. Robert erhielt damals von Wieck Unterricht, war als zahlender Schüler aber in einer weitaus glücklicheren Position als Clara und ihr kleiner Bruder Alwin. Schumann wird Zeuge einer Szene, die ihm einen unauslöschlichen Eindruck macht:
- »Wieck ist doch ein böser Mensch, Alwin hatte nicht ordentlich gespielt >Du Bösewicht, Bösewicht, ist das die Freude, die du deinem Vater machen solltest< - wie er ihn auf den Boden warf, bey den Haaren zaußte, selber zitterte u. schwankte, stille saß, um auszuruhen zu neuen Thaten, auf seinen Beinen kaum mehr stehen konnte u. deshalb seine Beute niederwarf, wie der Kleine bat und flehte, er solle ihm die Violine geben, er wolle spielen, er wolle spielen - kann ich nicht sagen - u. zu all diesen - lächelte Clara u. setzte sich mit einer Weberschen Sonate ruhig an's Clavier. Bin ich unter Menschen?«
Die Erinnerung von Schumann zeigt, daß Wieck nicht nur ein Sadist seinen Kindern gegenüber war, sondern daß Clara die Lektion des Vaters gelernt hat: Wer nichts leistet, hat auch kein Recht auf Liebe. Bis ins hohe Alter hat Clara die Erziehungsmethode des Vaters immer wieder verteidigt und es bedauert, daß er nicht zuletzt durch ihre Schuld in ein »falsches Licht der Welt gegenüber« gekommen war: »Ich danke ihm Zeit meines Lebens für alle die sogenannten Grausamkeiten.« Der Erfolg scheint Wieck recht zu geben. Mit elf Jahren hat er Clara so weit, daß sie ihre Karriere als vielbestauntes Wunderkind beginnen kann. Selbstgefällig schreibt Wieck über Claras erstes öffentliches Auftreten an seine Frau:
- »Höre, mein Kind, Claras musikalische Ausbildung (nicht allein als Virtuosin) findet jeder hier für fabelhaft und so will denn jeder ausgezeichnete Spieler dieselbe auch hören und sich von dem nie gehörten überzeugen. Auch wissen nachher die Leute nicht, wen sie mehr bewundern sollen, ob das Kind oder den Vater als Lehrer. . . Die allergrößten Klavierspieler wollen bei mir Stunden nehmen...«
Besonderes Aufsehen erregt die Tatsache, daß Clara frei phantasieren kann und auch selbst komponiert. Das erhebt sie über alle anderen Wunderkinder, die mehr durch technische Perfektion denn musikalisches Verständnis überzeugen. Clara spielt nicht maschinenmäßig, sondern >seelenvoll<. Sie ist kein »Automat« wie später ihre Stiefschwester Marie Wieck, mit der der Vater nach dem Bruch mit Clara vergeblich an die alten Erfolge anzuknüpfen versuchte. Auch in diesem Fall gilt Claras Mitgefühl nicht der abgerichteten kleinen Schwester, sondern dem Vater:
»Sie hat alles, was ein Unterricht wie der vom Vater ausrichten kann, doch es fehlt ihr der Spiritus, mir kommt ihr Spiel immer maschinenmäßig vor, immer unlustig, und dann fehlt es ihr auch an Kraft und Ausdauer... Bewunderungswürdig ist die Ausdauer des Vaters, mit welcher er es soweit gebracht. . .«
Bis über den Tod hinaus hat Clara dem Vater die Treue gehalten. Aus Anlaß seines Todes schreibt sie 1873 in ihr Tagebuch:
»Heiß hatte ich ihn geliebt... Stimmten wir auch in manchem nicht überein, so konnte dies meine Liebe nie beeinträchtigen und diese war gehoben durch ein Dankbarkeitsgefühl, das mich durch mein ganzes Leben begleitet hat. Wieviele Jahre hatte er sich mir ausschließlich gewidmet, welchen schönen Einfluß hatte er auf mich gehabt... Seine Natur hatte etwas Großartiges, von Kleinlichkeit wußte er nichts. . . er war meiner Kindheit ja alles gewesen.«
In einem Brief des Vaters an die Tochter anläßlich ihrer Konfirmation hat Wieck genau aufgerechnet, wie viele Jahre er der Tochter »gewidmet« hat:
- »Ich habe Dir und Deiner Ausbildung fast 10 Jahre meines Lebens gewidmet; bedenke, welche Verpflichtungen Du hast."
Daß die Anstrengungen des Vaters so selbstlos nicht waren, hat Clara nie sehen wollen und wenn sie es gar nicht übersehen konnte - immer schnell wieder verdrängt.
Immerhin verdient Wieck an der Tochter nicht schlecht. Die Konzertreisen, die er von 1830 bis 1839 für Clara durch Deutschland und nach Wien, Prag, Budapest und Paris organisiert, bringen nicht nur große finanzielle Reingewinne, sondern befördern auch seine Geschäfte: Immer wenn Clara gut gespielt hat, kann er seine Klaviere, die er als Musterstücke mit auf Reisen nimmt, besonders gut verkaufen. Nicht zu unterschätzen ist aber auch der psychische Gewinn, den Wieck aus den Erfolgen der Tochter zieht: Jedes Auftreten Claras schmeichelt seiner Eitelkeit und steigert sein Ansehen als Klavierpädagoge.
Der erste große öffentliche Erfolg 1830 bekräftigt Wieck in seiner Auffassung, daß es sich lohne, sich ganz auf die Ausbildung der Tochter zu konzentrieren und, wie er seiner Frau schreibt, »Hand ans Werk zu legen«. Das Werk aber ist Clara. - Um so größer ist die Enttäuschung des Vaters, als sich die stets gefügige Tochter mit sechzehn Jahren plötzlich seinem Schüler Robert Schumann zuwendet, der seit einiger Zeit im Wieckschen Hause lebt. Vergeblich versucht der Vater, Clara und Robert zu trennen. Mit einem unglaublichen psychischen Terror, aber auch mit hämischen Diffamierungskampagnen, die für alles andere, als die von der Tochter behauptete Großartigkeit sprechen, und mit direkten finanziellen Pressionen versucht er, die Tochter von der Heirat abzuhalten:
»Wenn Clara Schumann heiratet, so sag ich es noch auf dem Totenbett, sie ist nicht wert, meine Tochter zu sein. «
Dennoch hat der Vater die Heirat nicht verhindern können. Auch der Prozeß den Robert und Clara gegen Wieck anstrengen mußten, um die Heiratserlaubnis zu bekommen, hat sie in ihrer Liebe eher bestärkt denn entmutigt. Es scheint, als habe der Widerstand des Vaters sie erst richtig einander in die Arme getrieben. Da ihnen der persönliche Umgang verboten ist, müssen sie sich in immer erneuten Briefen ihrer gegenseitigen Liebe versichern. Zwischen 1837 und 1840 schreiben sich Robert und Clara weit über vierhundert Briefe. Clara ist meist in Eile und zudem den argwöhnischen Augen des Vaters ausgesetzt. Ihre Briefe sind daher häufig kurz und sprunghaft. Robert dagegen kann seine ganze Eloquenz darauf konzentrieren, die Geliebte mit Worten an sich zu binden. In glühenden Farben malt er ihr die gemeinsame Zukunft aus und entwirft die Utopie eines romantischen Liebesbundes, der für Clara höchst verführerisch sein mußte, weil er mit ihren eigenen Wünschen zusammentraf.
Ähnlich wie für Robert - wenn auch aus anderen Motiven - stellte die Ehe für Clara die Rettung aus einer für sie unerträglich gewordenen Situation dar. Ihre Zeit als Wunderkind war abgelaufen, und als nunmehr bald erwachsene Frau mußte sie sich als Künstlerin neu definieren. Das aber war bei ihrer durch den Vater autoritär geprägten Psyche nur über einen Mann möglich. An die Stelle Wiecks mußte eine neue Autoritätsfigur treten. Aus verschiedenen Gründen bot sich in dieser Situation Robert geradezu an. Erstens kannte Clara ihn bereits aus ihren Kinder-tagen und glaubte - was sich freilich rasch als Irrtum herausstellen sollte - daß der Vater ihre Wahl billigen würde. Zweitens hielt sie Robert für den bedeutendsten Musiker seiner Zeit, eine Einschätzung, die Wieck übrigens teilte. Auch in der Zeit des schärfsten Kampfes gegen Robert hat er die Tochter stets angehalten, Stücke von Schumann zu spielen. Sein Widerstand galt nicht dem Künstler Schumann, sondern dem Nebenbuhler, der ihm seinen Besitz streitig zu machen versuchte. Nicht zufällig benutzten sowohl der Vater wie auch Robert im Zusammenhang mit Clara immer wieder das Wort >Besitz<. Die »Besitzübergabe« vom Vater auf den Liebhaber - an sich ein normaler, fest geregelter Vorgang in der bürgerlichen Gesellschaft - erwies sich im Falle von Clara als komplizierter, als dies die Liebenden voraussehen konnten. Die Investitionen Wiecks in sein »Werk« waren zu groß, als daß er bereit gewesen wäre, die Tochter einfach an einen anderen Mann abzutreten. Durch die Weigerung des Vaters geriet Clara in einen psychischen Konflikt zwischen Vater und Liebhaber, den sie erstaunlich gut überstand. Daß sie sich trotz ihrer ausgeprägten Vaterbindung schließlich für Robert entschied, lag - neben der Liebe, die sie für Robert empfand - vor allem daran, daß Robert ihr eine Produktionsgemeinschaft anbot, die ihr als Künstlerin eine neue Orientierung ermöglichte. Als Frau eines »producierenden Künstlers« - das war Wieck nie gewesen - konnte sie ihrer Kunst in einer ganz neuen Weise leben und gleichzeitig ihren bisherigen Außenseiterstatus als öffentlich tätige Künstlerin in eine gesellschaftlich akzeptierte Form überführen. Roberts Handverletzung, die er sich im Übereifer selbst zugefügt hatte und die ihn daran hinderte, als sein eigener Interpret öffentlich aufzutreten, erwies sich für Clara als Chance: Sie konnte die Hand ersetzen, die Schumann fehlte.
Clara ist also keineswegs Opfer einer Situation, der sie hilflos ausgeliefert ist. Sie vertritt durchaus eigene Interessen, wenn auch zum Teil verdeckt und nicht immer bewußt. Die Verbindung mit Robert ermöglicht zumindest theoretisch die Realisierung divergierender Interessen: Sie kann weiterhin erfolgreiche Künstlerin und gleichzeitig geliebte Frau sein. Als Ehefrau kann sie die anerzogenen Wünsche nach Anpassung und Unterwerfung ausleben, und sie kann zugleich durch Tatkraft das ausgleichen, was Robert aufgrund seiner Weichheit und Sensibilität nicht zu leisten imstande ist. Denn neben allen Anpassungswünschen steckt in ihr eine unbändige Energie, die Goethe zu der Bemerkung veranlaßte, daß in Clara die Kraft von sechs Knaben stecke. Der Ehealltag dementiert dann sehr rasch die hochfliegenden Hoffnungen Claras. Bedenken an den Realisierungsmöglichkeiten des romantischen Liebesbundes waren ihr bereits während der Brautzeit gekommen. Sehr richtig hatte sie erkannt, daß die Realisierung ihrer Wünsche in erster Linie von der Solidität der finanziellen Basis abhängen würde:
»Das Eine muß ich Dir doch sagen, daß ich nicht eher die Deine werden kann, ehe sich nicht die Verhältnisse ganz anders gestalten. Ich will nicht Pferde, nicht Diamanten, ich bin ja glücklich in Deinem Besitz, doch aber will ich ein sorgenfreies Leben führen und ich sehe ein, daß ich unglücklich sein würde, wenn ich nicht immerfort in der Kunst wirken könnte, und bei Nahrungssorgen? das geht nicht... Also, Robert, prüfe Dich, ob Du imstande bist, mich in eine sorgenfreie Lage zu versetzen. «
Daß sie damit auf einen neuralgischen Punkt gestoßen war, zeigt die Reaktion Roberts:
- »...Dein Vater führte dir die Feder; die Kälte jener Zeilen hat etwas mörderisches... Mir träumte, ich ginge an einem tiefen Wasser vorbei, da fuhr mir's durch den Sinn und ich warf den Ring hinein - da hatte ich unendliche Sehnsucht, daß ich mich nachstürzte.«
Wenn auch die erste Verstimmung der Liebenden durch die Nachgiebigkeit Claras sehr bald aus der Welt geschaffen werden kann, das Problem besteht weiter: Das Geld, das Robert als Komponist und Musikschriftsteller verdient, reicht hinten und vorne nicht, die Wohnungen, die sie sich leisten können, sind zu klein und zu laut, die Entlastung durch Dienstboten ist angesichts der rasch wachsenden Kinderschar - in den vierzehn Jahren des Zusammenlebens bringt Clara acht Kinder zur Welt - nie ausreichend. Damit aber steht Claras künstlerische Existenz auf dem Spiel. Nicht ihre Existenz als Komponistin - darauf hat sie selbst nie viel Wert gelegt - sondern ihre Existenz als gefeierte Virtuosin. Immer wieder hat Clara Robert zu überzeugen versucht, daß es ihr ein Leichtes wäre, durch öffentliche Konzerte die finanzielle Basis der Familie abzusichern. Tatsächlich konnte die Familie von den Erträgen, die Clara auf ihrer Rußlandtournee erwirtschaftete, mehr als ein Jahr leben. In Wirklichkeit geht es aber gar nicht um Geld, sondern um Bedürfnisse, die beide sich nicht offen eingestehen. In allen Auseinandersetzungen mit Robert hat Clara das wichtigste Motiv verschleiert, nämlich, daß es ihr großen Spaß machte, öffentlich aufzutreten und daß sie die Begeisterung und die Bewunderung des Publikums als Lebenselixier brauchte. Getreu der weiblichen Rolle hat sie ein anderes Motiv in den Vordergrund gestellt:
»... warum sollte ich nicht meinem Robert auch einmal mit meinem Talente ein kleines Scherflein spenden ?... Ich tat es aus Liebe zu ihm und dann ist mir kein Opfer zu groß und zu schwer. . .«
Robert hat diese »Opfer« nur zähneknirschend angenommen, und auch nur dann wenn ihm die finanzielle Situation keine andere Wahl ließ. Das erste öffentliche Auftreten Claras nach der Hochzeit im März 1841, das zu einem triumphalen Erfolg für sie wurde, kommentiert Robert mit Worten, in denen sich die Konfliktlinien der nächsten Jahre deutlich abzeichnen:
- »Der Gedanke meiner unwürdigen Stellung in solchen Fällen ließ aber keine Freude in mir aufkommen.«
Seine Lage als Karrierebegleiter ist denn auch alles andere als rosig, wie eine mehrfach bezeugte Episode verrät. Auf einer Konzertreise nach Holland wird Robert von dem fürstlichen Gastgeber, dem Prinzen Friedrich, gnädig gefragt, ob er denn auch musikalisch sei. Und als er dies gequält bejaht, kommt sogleich die Nachfrage: »Auf welchem Instrument?«
Clara allein reisen lassen will er aber nicht, angeblich, weil er das Gerede der Leute fürchtet. Wichtiger als irgendwelche Lästermäuler oder Rollenerwartungen, die für ihn stets sekundär waren, wird ihm die eigene künstlerische Produktion gewesen sein. Diese aber ist durch Claras Reisen gefährdet, gleichgültig, ob Robert sie begleitet oder zu Hause bleibt.
Jede Trennung von Clara hemmt sein künstlerisches Schaffen nachhaltig. Als Geliebte und Muse ist ihm seine Frau unentbehrlich. Seine Produktion ist ohne ihre stimulierende und entspannende Nähe nicht möglich.
Was immer die Gründe für Roberts Ablehnung von Claras Konzertreisen gewesen sein mögen Neid auf die erfolgreiche Frau, eigene Versagensängste, Konflikte mit den tradierten Geschlechterrollen oder Abhängigkeit - die Konsequenzen waren zerstörerisch. Es beginnt jener subtile Kleinkrieg zwischen den Ehepartnern, von denen Roberts Selbstmorddrohung als Reaktion auf Claras Forderung nach finanzieller Absicherung nur eine Vorahnung gibt. Dieser Krieg zermürbt schließlich beide: Robert in seinem psychischen Gleichgewicht und Clara in ihrem künstlerischen Selbstwertgefühl. Robert, der während der Brautzeit das pianistische Können seiner Frau stets neidlos anerkannt hatte, beginnt seine Frau vehement zu kritisieren. Er stellte nicht nur das Virtuosentum als solches in Frage, worin ihm Clara noch bereit war zu folgen, sondern er kritisierte die Spielweise seiner Frau. Bereits 1841 nach einem höchst erfolgreichen Konzert vertraut Clara ihrem Tagebuch an:
»Ich war nicht zufrieden, sogar sehr unglücklich diesen Abend und die folgenden Tage, weil Robert von meinem Spiel nicht befriedigt war.«
1850, nach der Aufführung des D-Moll-Trios von Schumann, beklagt sie sich bitter darüber, daß Robert ihrem Spiel die Schuld an dem Mißerfolg zuschreibt:
»Es betrübt mich entsetzlich, denn ich hatte es mit aller meiner Kraft und meinem besten Willen gespielt, und dachte für mich so gut ist es doch noch nicht gelungen, desto bitterer war es daher für mich, statt eines freundlichen Wortes die bittersten, entmutigendsten Vorwürfe zu hören ... Ich weiß kaum mehr, wie ich noch spielen soll.«
Der Traum von der Künstlergemeinschaft - Robert als Komponist und Clara als seine Interpretin, der ja nur der kümmerliche Rest ihres ursprünglichen Plans einer umfassenden Produktionsgemeinschaft war, ist ausgeträumt. Robert zieht sogar andere Interpretinnen der eigenen Frau vor, was Clara besonders verunsichern muß. Nicht einmal als »reproducierende Künstlerin« läßt er sie gelten.
Sicher, es gibt auch immer wieder Phasen der Annäherung und der Übereinstimmung zwischen den Ehepartnern, aber die emotionale Basis ist nachhaltig erschüttert. Die merkwürdigen Umstände von Roberts Selbstmordversuch 1854, die auf seine Selbstmorddrohung anläßlich des ersten Konflikts mit Clara zurückverweisen, machen es wahrscheinlich, daß Roberts Suizidversuch auch eine Reaktion auf das Scheitern der romantischen Liebesbund-Idee war, auf die er sich und Clara mit der Heirat verpflichtet hatte.
Mit der ihr eigenen Kraft meistert Clara ihr Leben nach Roberts Einlieferung in die Irrenanstalt in Emdenich und nach seinem Tod 1856. Noch während seines Aufenthaltes in Emdenich nimmt sie ihre Konzerttätigkeit wieder auf und verdient den Lebensunterhalt für sich und ihre sieben Kinder. Freilich gesteht sie sich auch jetzt nicht ein, daß ihr das Konzertieren, trotz aller Unbilden, Spaß macht, sondern sie rechtfertigt es mit der Notwendigkeit, für die Kinder zu sorgen. Ein zweites Motiv kommt hinzu. Nach Roberts Tod kann sie sich in ihrer Rolle als Interpretin seiner Werke ungehindert entfalten. Als seine Witwe avanciert sie quasi zur Gralshüterin des Schumannschen Werkes.
Daß finanzielle Erwägungen immer nur eine zweitrangige Rolle gespielt haben, läßt sich daran ablesen, daß Clara, auch als die Kinder aus dem Gröbsten heraus sind und ihr feste Anstellungen angeboten werden, weiter konzertier-t. Auf den gutgemeinten Vorschlag von Johannes Brahms 1868 - Clara war damals fast fünfzi~ Jahre alt und stand fast vierzig Jahre im Rampenlicht der Öffentlichkeit - sich doch ins Privatleben zurückzuziehen, antwortet sie nicht ohne Schärfe:
»Eigenthümlich erscheint mir aber Deine Anschauung des Concertreisens! Du betrachtest es nur als Verdienst, ich nicht; ich fühle mich berufen zur Reproduction schöner Werke, vor allem auch der Roberts. . .«
Erstmals läßt sie durchblicken, welche Bedeutung die Kunst für sie jenseits aller familiären oder sonstigen Erwägungen hat:
»Die Ausübung der Kunst ist ja ein großer Theil meines Ichs, es ist mir die Luft in der ich athme!«
Trotz der Erfolge, die sie in mehr als fünfzigjähriger öffentlicher Konzerttätigkeit hat, ist sie nicht glücklich. Dazu mögen vor allem die Sorgen um die Kinder beigetragen haben - eine Tochter stirbt jung, die drei Söhne entwickeln sich problematisch, zwei von ihnen müssen in Anstalten gebracht werden - entscheidender aber ist, daß Clara mit zunehmendem Alter die Begrenztheit ihrer nur reproduzierenden Kunst sieht, auf die sie sich durch den Vater, den Ehemann und nicht zuletzt durch sich selbst und das herrschende Frauenbild der Zeit hatte festlegen lassen:
»Es ist für einen Künstler doppelt schwer alt zu werden ... Wie drängt sich mir wieder jetzt so oft der Gedanke auf, daß ich noch bei Lebzeiten vergessen werde. Das ist eben nicht anders mit den reproducierenden Künstlern ... sind sie mal vom Schauplatz abgetreten, so gedenken ihrer nur höchstens noch die Zeitgenossen. Die junge Generation weiß schon nichts mehr und - belächelt mitleidig das Vergangene «
Es gibt eine Tagebuchstelle, die ein Schlüssel zum Verständnis jener Melancholie sein kann, in die Clara trotz ihrer triumphalen Erfolge, die sie vor allem in den Jahren nach Roberts Tod errang, immer wieder verfiel. Darin beklagt sie sich darüber, daß sie den »Schwerpunkt« ihres Lebens nicht in sich habe, sondern in andern suchen müsse.
»Kleinmuth und Zuversicht kämpfen in mir; bald fühle ich mich reich wie ein König, bald arm wie ein Bettler. Das beste in mir sind meine Freunde, mit denen ich mich allerdings so verwachsen fühle, daß ihr Verlust einem Aufhören meiner Existenz gleichkäme, aber oft frage ich mich, womit ich die Freundschaft so bedeutender und schöner Menschen verdiene, und wenn ich dem nachgrüble, überschleicht mich ein Katzenjammer, ein Gefühl der Ohnmacht, das mir noch zur fixen Idee wird. Hat mir die Natur nicht mehr Kräfte gegeben, oder verstehe ich sie nicht auszunützen, daß ich eigentlich Nichts leiste, daß ich den Schwerpunkt meines Lebens nicht in mir, sondern in Anderen suchen muß?"
Das Bild der Marionette, mit dem sie ihren Zustand der Subjektlosigkeit beschreibt, verweist auf ihre Jugend zurück: Zu einer Marionette, die den Schwerpunkt nicht in sich selbst hat, ist sie durch die Erziehung des Vaters geworden. Aufgrund dieser frühen Abrichtung ist sie zeitlebens darauf angewiesen gewesen, Identität außerhalb von sich selbst zu suchen. Hier liegt der tiefere Grund dafür, daß sie jenseits aller sonstigen unbestreitbaren Hindernisse nicht wirklich produktiv sein konnte und auf die »Reproduction schöner Werke« angewiesen war. Wie eine Marionette den Impuls von außen braucht, so brauchte Clara die Autorität von Vaterfiguren und die Resonanz des Publikums, um sich lebendig zu fühlen.