Vorwort

Die Entstehung dieses Bandes verdankte sich zunächst einer doppelten Fragestellung, die auf bestimmte Leerstellen innerhalb traditioneller Erklärungsversuche von Sprache, Ideologie und Subjektivität hinwies. Auf der einen Seite wurde zunehmend bewußt, daß sich Ideologie und ideologisches Bewußtsein nur unzureichend fassen lassen, wenn die sprachlichen Formen und Materialitäten unberücksichtigt bleiben, in denen sie sich ausdrücken und organisieren. Die Konzentration auf das Bewußtsein und seine gesellschaftlich-historischen Entstehungsbedingungen ließ oft genug das Sprachliche als bloßes Randphänomen erscheinen, als oberflächliche Erscheinungsform, die mit den zugrunde liegenden Prozessen der Ideologiebildung nur wenig zu tun haben. Auf der anderen Seite führte die linguistische Konzentration auf das sprachliche System zu einer Nichtachtung von Vergesellschaftungsprozessen, besonders ihrer ideologischen Ausprägung. Die Linguistik intendierte auf die sprachlich-grammatische Form und sprach dabei im Namen eines allgemeinen Subjekts, das kompetent über die grammatikalischen Regeln »seiner« Sprache verfügen soll.
In diesem Zusammenhang schien es an der Zeit, diskursanalytische Fragestellungen und Forschungsstrategien aufzugreifen, in denen das Verhältnis von sprachlichem System, ideologischem Bewußtsein und kommunikativen Handlungen zum Thema gemacht worden ist. Besonders die französische »Diskursanalyse« hat dazu vielfältige Vorschläge und Anregungen geliefert. Denn mit dem Begriff des »Diskurses« wird auf jenen Bereich gezielt, der zwischen der allgemeinen Struktur einer intersubjektiven Sprache und der jeweils besonderen Äußerungssituation eines subjektiven Sprechens/Schreibens liegt. Es ist jenes Feld, auf dem sich gesellschaftliche Allgemeinheit und individuelle Einzelheit »diskursiv« vermitteln.
Diese Vermittlungsebene ist nicht nur sprachwissenschaftlich interessant, da sie einerseits das linguistische Subjekt der Sprache als allgemeinen Niemand kritisiert (Niemand beherrscht »seine« Sprache ganz), andererseits aber auch die Unmittelbarkeit jedes »Ich-spreche-jetzt-hier«-Subjekts als narzißtische Täuschung zerstört (Niemand kann sich frei in seiner unverwechselbaren Einzigartigkeit sprachlich äußern und darstellen). - Die Ebene des Diskurses ist auch als jener gesellschaftlich-politische Kampfplatz bedeutsam, auf dem sich ideologische Vergesellschaftungsansprüche und »subjektive« Oppositionsbewegungen begegnen. Die »Archäologie des Diskurses« hat die Regeln freizulegen versucht, denen »man« auf diesem Zwischenbereich zu folgen hat, Regeln, die nicht abstrakt gelten, sondern ganz und gar geschichtlich und gesellschaftlich geprägt und durchgesetzt worden sind. Besonders die Untersuchungen von Michel Foucault und Louis Althusser haben zu dieser Archäologie zahlreiche Materialien und Einsichten geliefert.
Im Verlauf der Ausarbeitung der verschiedenen Beiträge des ARGUMENT-SONDERBANDES hat sich der ursprüngliche Akzent leicht verschoben. Das Problem der Ideologie ist zurückgetreten zugunsten einer grundsätzlichen Klärung des Stellenwerts, den das Subjekt innerhalb diskursiver Ordnungen einnimmt. Welche Rolle kann es spielen in jenem diskursiven »Sprachspiel«, das weder die Sprache als System verherrlicht, noch der Täuschung eines individuellen, rein »subjektiven« Sprechens unterliegt? Was ist das für ein Subjekt, das weder mit dem allgemeinen Niemand des grammatikalischen Mechanismus noch mit der besonderen Individualität jedes Einzelnen zusammenfällt?
Bei der Beantwortung dieser Fragen haben sich unterschiedliche Aspekte und Schwerpunkte ergeben. Sie sind für das breite Spektrum der vorliegenden zwölf Aufsätze verantwortlich. Die Beiträge reichen von grundsätzlichen Reflexionen über das Subjekt bis hin zu den literarischen Experimenten eines besondern Stils, in dem sich ein einzelnes Subjekt maskiert und demaskiert, verbirgt und sprachlich konstituiert. Dazwischen stehen all jene Untersuchungen, die sich auf Diskursformen in ihrer jeweiligen sozialgeschichtlichen Geprägtheit beziehen: z. B. auf die diskursive Bildung weiblicher Subjektivität in Romanen des 18. Jahrhunderts oder auf die Konstituierung von »Geschlecht« im gegenwärtig herrschenden Diskurs.
So vielfältig die einzelnen Themen sind, die von den einzelnen Autor/inn/en behandelt worden sind, so unterschiedlich sind auch die Einschätzungen der Rollen und Funktionen, die Subjekte innerhalb diskursiver Ordnungen einnehmen können oder müssen oder sollen. Liegt einmal das Schwergewicht auf den allgemein anerkannten Grundsätzen kommunikativen Handelns, so liegt es ein anderes Mal auf dem genialischen Stil eines Einzelnen, der sich in Aphorismen und poetischen Figuren als »Musiker« auszudrücken versucht. Insofern dokumentieren sich in den unterschiedlichen Gewichtungen der einzelnen Beiträge nicht nur Vorlieben der Autor/inn/en, sondern zugleich auch Möglichkeiten der Subjekte, denen zwischen sprachlichem System und unverwechselbarer Stilkunst ein weites Feld offensteht. Auch das »Subjekt des Diskurses« ist keine feste Größe. Es ist vielmehr Zeichen eines sprachlichen Spiels und einer diskursiven
Herausforderung, die vom Zentrum bis hin zu den ungesicherten Rändern diskursiver Ordnungen reichen. In jedem Fall setzt es sich selbst aufs 
Spiel.


Hannover/Mannheim, Juli 1983   
M.G./H.W.

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Vorwort