Auswertung der Befragung von Berufsschülerinnen und Berufsschulrektorinnen

Über die Feststellung der objektiven Gegebenheiten der Lehrpläne hinaus wurde eine Befragung ungelernter Arbeiterinnen und Angestellten duchgeführt, um die Reaktion auf die Lehrpläne der Berufsschulen zu ermitteln. Die zu Anfang der Untersuchung durchgeführten Gruppendiskussionen mit Jungarbeiterinnen und Jungangestellten in Berufsschulen ließen eine kritische Einstellung zur Berufsschule als Institution und zu dem, was gelehrt wird und wie es gelehrt wird, erkennen. Anhand der Gruppendiskussionen wurde ein Fragebogen entwickelt mit vorgegebenen, festgelegten Antworten. Es konnte nicht erwartet werden, daß die Schülerinnen in einer unvorbereiteten und wechselnden Fragesituation imstande sein würden, sich schriftlich so auszudrücken, daß ihre Antworten ohne Uminterpretation hätten ausgewertet werden können. Die vorgegebenen Antwortkategorien enthielten alle wesentlichen Ansichten, die in den Diskussionen zur Sprache kamen. Bei ihrer Umsetzung in den Entwurf des Fragebogens wurde der Unterschied der empirischen Methoden: Gruppendiskussion, strukturierter Fragebogen, in Rechnung gestellt. In einer freien Diskussion entwickeln sich Gedanken und Einsichten allmählich, und es steigert sich die Fähigkeit zur Reflexion, während eine schriftliche Frageaktion die Befragten unvorbereitet mit Alternativen konfrontiert, zwischen denen sie sich sofort, ohne Vorbereitung, entscheiden müssen. Diese Reaktionsweise ist anders zu bewerten als die sich in einer Diskussion entwickelnde Spontaneität. Jene bringt widersprüchliche Reaktionen auf widersprüchliche Situationen: Erwerbsarbeit - Betriebssituation/Schulunterricht - Berufsschule unvermittelt und ungeschwächt zum Vorschein. Diese Widersprüchlichkeit ist bei der Interpretation des Fragebogens zu berücksichtigen. Die Antworten dürfen nicht linear der betreffenden Frage allein zugeordnet werden, sondern können nur in dem komplexen Zusammenhang von Schule und Betrieb, von Erwerbstätigkeit und Lernsituation gesehen und in dem subjektiven Spannungsfeld von unbestreitbarer Realitätserkenntnis und Realitätsverkennung interpretiert werden.
Es wurden 407 Berufsschülerinnen in den 10 Bundesländern und Berlin befragt, sowohl in Groß-, Mittel- und Kleinstädten, wovon der Wirtschaftsstruktur her zu erwarten war, daß jugendliche Industriearbeiterinnen und Bürohilfskräfte und nicht nur sozialpflegerische und hauswirtschaftliche Hilfskräfte anzutreffen wären.
Die Befragung umfaßt 345 Jungarbeiterinnen und 62 Jungangestellte. Der Schwerpunkt lag auf der Erforschung der Situation und der Meinung der Industriearbeiterinnen. Die Angestellten wurden nur als Kontrast- und Kontrollgruppen aufgenommen, um für etwaige spätere Untersuchungen Anhaltspunkte zu bekommen, wie Angestellte, die zwar auch ungelernte Kräfte sind, aber einen besseren sozialen Status haben, sich zur Berufsschule und zu ihren jetzigen und späteren Tätigkeiten einstellen würden.
In der Auswertung der Fragebogen wurden vor allem die Jungarbeiterinnen berücksichtigt. Die Jungangestellten wurden nur zum Vergleich herangezogen.

1. Die Einstellung zur Berufsschule

Ungefähr zwei Drittel der Jungarbeiterinnen halten die Berufsschule für notwendig, obwohl sie keinen Lehrberuf ergriffen, sondern sofort nach der Schulentlassung eine Arbeit aufnahmen. Ca. 80% halten dementsprechend den Berufsschulunterricht nicht für eine vertane Zeit; ca. 77% fanden sogar, daß der Berufsschulunterricht eine angenehme Abwechslung zur Arbeit sei.
Diese drei Positionen wurden zu einem Index verarbeitet, um die mehr positive oder mehr negative Einstellung zur Berufsschule besser zu ermitteln.
Dieser Index ließ bei 60,3% der ungelernten Arbeiterinnen eine positive Einstellung zur Berufsschule erkennen und bei nur 16,2% eine negative; 23,5% zeigten eine ambivalente Haltung.
Aus dieser Verteilung läßt sich zuerst einmal eine große subjektive Bereitschaft, den Unterricht zu besuchen, ableiten.
Zwei Fragen sind für die Schülerinnen in der Beurteilung der Berufsschule entscheidend: einmal wieweit der Unterricht interessant gestaltet wird und wieweit wenig Stoff der Volksschule rekapituliert wird und dann inwieweit der Unterricht betriebsbezogene Themen übernimmt. Je interessanter er ist, je weniger rekapituliert wird, desto angenehmer wird er empfunden und desto positiver ist die Einstellung zur Berufsschule.
Andererseits motiviert ein berufsbezogener Unterricht die Teilnahme und führt zur Anerkennung seiner Notwendigkeit.

 

Daraus müßten pädagogische, lernpsychologische und didaktische Folgerungen gezogen werden, die ihren Niederschlag nicht in neuen Fachlehrplänen, sondern in Curricula finden sollten, welche die gesellschaftliche, die arbeitspsychologische und arbeitsphysiologische Situation der ungelernten Arbeiterinnen mit berücksichtigen.
Die aus den Tabellen zu entnehmenden Auffassungen kontrastieren stark mit den Ansichten der befragten Direktorinnen, die fast ausschließlich die Unterrichtung dieser Schülerinnen für schwierig halten wegen der Interesselosigkeit und Teilnahmslosigkeit. Fast zwei Drittel der Schulleiterinnen glaubten in langjähriger Erfahrung auch eine große Unlust, dem Unterricht zu folgen, bemerkt zu haben. Diese Unlust erklären sie vor allem aus dem Versagen der Schülerinnen in den allgemeinbildenden Schulen, aus dem Ärger über eine angebliche Lohnminderung aufgrund ihres Schulbesuches und aus der Kluft zwischen der Erwachsenen-Arbeit im Betrieb und der Lernsituation als Schülerin. Der Widerspruch zwischen der Einstellung der Schülerinnen und dem Urteil der Direktorinnen löst sich auf, wenn die Beurteilung des Unterrichts durch die Schülerinnen zur Erklärung herangezogen wird.
67,2% stellen fest, daß der Unterricht nichts mit ihrer Arbeit im Betrieb zu tun habe; 71,6% wollen aber in der Schule etwas für ihre Erwerbsarbeit lernen. Von den Schülerinnen, die bereits etwas für den Betrieb Verwertbares lernen, möchten auch 81,8%, daß der Unterricht diese Funktion habe, während nur 68,6% derer, die im Unterricht keine Beziehung zu ihrer Arbeit sehen, diese Forderung stellen.

Zwischen beiden Faktoren besteht ein statistisch signifikanter Unterschied (Chi2 = 6,0), d. h. diejenigen, die bereits einen solchen Unterricht erfahren haben, sehen eher seinen Wert ein, was sich auch in einer deutlich positiveren Einstellung zur Berufsschule äußert. Bei den anderen fehlt offensichtlich das Vorstellungsvermögen, was ein berufsbezogener Unterricht für sie leisten könne. Das hat Auswirkungen auf die Bewertung der Berufsschule.

Wenn eine Beziehung des Unterrichts zur Betriebsarbeit besteht, erscheint er auch interessanter (für 34%); wenn diese Beziehung aber fehlt, reduziert sich der Prozentsatz auf die Hälfte. Diese Feststellungen werden noch aufschlußreicher, wenn die Schülerinnen nach ihren Erwerbstätigkeiten aufgeschlüsselt werden. Unter ihnen waren 182 als Arbeiterinnen in der Produktion tätig; 40 waren Büroboten, 65 Packerinnen, 9 Arbeiterinnen in Dienstleistungsbetrieben und 35 hauswirtschaftliche Hilfskräfte; 15 gaben keine Antwort. Nur 28,2% der Produktionsarbeiterinnen gaben an, im Unterricht etwas für ihre Tätigkeit Verwertbares zu lernen; hingegen zwei Drittel der hauswirtschaftlichen Hilfskräfte, was aufgrund des Übergewichtes der Hauswirtschaft im Unterricht auch plausibel erscheint.

Diese Urteile beschreiben einen objektiven Tatbestand. Die Analyse des Berufsschulunterrichts anhand der Lehrpläne hatte ergeben, daß entweder eine totale Berufsfremdheit besteht durch das Übergewicht eines praktisch orientierten Hauswirtschaftsunterrichts oder durch inadäquate, unzulängliche, auf wissenschaftlichen und didaktischen Irrtümern beruhende Versuche, der Betriebssituation sich anzunähern. Auch in der Beurteilung des Unterrichtsstoffes und -Stiles gehen die Ansichten der Direktorinnen und der Jungarbeiterinnen auseinander. Ca. 77% der Schülerinnen finden den Unterricht nicht interessant, weil zuviel Stoff aus der Volksschule, insbesondere während der ersten beiden Berufsschuljahre, wiederholt würde, weil ihre Aktivität nicht gefördert werde, weil die Lehrerinnen im Unterricht dominierten, indem sie zu wenig Impulse für eine Diskussion gäben. Dagegen hält nur fast ein Drittel der Direktorinnen es für möglich, daß eine Wiederholung des Volksschullehrstoffes, traditionelle Methoden den Unterricht langweilig, überflüssig und unzureichend erscheinen lassen könnten. Sie sehen ein, daß Gruppenunterricht, Gruppengespräche und audiovisuelle Hilfsmittel unbedingt notwendig seien, um den Unterricht zu beleben. Das Praktizieren dieses modernen Unterrichtsstils scheitert aber nach Ansicht der überwiegenden Zahl der Direktorinnen an einer unzureichenden pädagogischen, didaktischen und psychologischen Ausbildung der Lehrerinnen, die außerdem nur mangelhaft die Arbeitsbedingungen der Mädchen in den Betrieben kennen würden.
Verbessert werden könnte die betriebliche Situation der ungelernten Arbeiterinnen nach Ansicht von etwa drei Viertel der Direktorinnen, wenn die Schülerinnen in technischen Fertigkeiten ausgebildet würden, technischen Unterricht erhielten, verbunden mit elementaren physikalischen und chemischen Versuchen. Außerdem sollten ihnen die den Arbeitsablauf steuernden Bewegungen bewußt gemacht werden.
Trotz dieser Einsichten vermittelt, wie wir sahen, die teilweise bereits eingeführte technische Grundbildung dieses für notwendig gehaltene Wissen nicht. In den Ländern, in denen diese Grundbildung noch nicht eingeführt wurde, soll der Unterricht »Arbeitstugenden« wie Sauberkeit, Ordnung, Planung, Pünktlichkeit, Disziplin lehren, die auch am Arbeitsplatz im Betrieb verwertbar seien.
Wie bereits im allgemeinen Teil dargestellt, wird ein Wissenstransfer und ein Verhaltenstransfer angenommen, obwohl dieser weder in diesem konkreten Fall noch in anderen Fächern und Wissenschaftsbereichen erwiesen ist. Es fehlen zur Zeit noch gezielte und über längere Zeitläufe sich erstreckende Versuche, die einen solchen Transfer beweisen könnten. Die Annahme eines solchen unbewiesenen Transfers von der Hauswirtschaft zur Betriebsarbeit scheint eher die Funktion zu haben, die Hauswirtschaft nach wie vor als Zentrum der Unterweisung für ungelernte Arbeiterinnen beizubehalten.
An zwei Schulen (in Mittelfranken und Rheinland-Pfalz) werden nach Angaben der Direktorinnen die Arbeitsstudien des Refa-Systems didaktisch-methodisch benutzt zur Disziplinierung des Arbeitsablaufes im Haushalt.
Die Unlust der Schülerinnen wäre nach Ansicht der meisten Direktorinnen ferner durch ein differenziertes Angebot an Themen innerhalb der Fächer und durch größere Wahlmöglichkeiten zwischen den Fächern zu bekämpfen. Aber die Aktivität müsse von den Lehrerinnen ausgehen, weil die Schülerinnen unfähig seien, konstruktive Vorschläge für den Lehrstoff und zur Unterrichtsmethode zu machen.
Mehr als die Hälfte der Direktorinnen hält den Lehrstoff uneingeschränkt für angemessen, obwohl, wie oben gezeigt, die Schülerinnen ein negatives Urteil abgaben. Diese Diskrepanz erklärt sich aus der unterschiedlichen Bewertung der Fächer zwischen Lehrerinnen und Schülerinnen. Während jene Sozial- und Wirtschaftskunde für unumgänglich halen, lehnen fast 30% der Jungarbeiterinnen dieses Fach ausdrücklich ab; dagegen fordert ungefähr die Hälfte Sexualkunde, Sport und Maschinenschreiben; Fächer, die die Direktorinnen jedoch nicht nannten. Die Ablehnung der Sozialkunde resultiert im wesentlichen daraus, daß in diesem Fach immer noch Institutionenkunde im Vordergrund steht und weniger die die Interessen der Schülerinnen unmittelbar betreffenden Themen.

2. Die Beurteilung der Hauswirtschaft

Eine Übereinstimmung zwischen Lehrerinnen und Schülerinnen besteht in der Beurteilung der Hauswirtschaft. Mit Ausnahme von zwei Direktorinnen halten alle dieses Fach für die einzige Möglichkeit, einen einheitlichen Unterricht in den heterogen zusammengesetzten Klassen herzustellen. Während 40% einen Transfer annehmen, meinen zwei Drittel, daß die allgemeine Lebenssituation der Mädchen durch die Hauswirtschaft gebessert werden könne, wenn sie eine rationelle Haushaltsführung unter eingeschränkten Einkommensverhältnissen erlernen. Diese ökonomische Funktion, die der Hauswirtschaft zugedacht wird, erweist sich bei 11 Direktorinnen als eine Rationalisierung der traditionellen Auffassung von der Funktion der Frau in der Gesellschaft. Ihre bisher unvermeidbare Doppelbelastung durch Erwerbsarbeit und Hausarbeit soll sie auf sich nehmen; aber sie selber soll diese Doppelbelastung vermindern durch eine rationelle Haushaltsführung, damit das alte Ideal der Hausfrau und Mutter erhalten bleibe.
Die Bevorzugung der Hauswirtschaft durch die Direktorinnen entspricht der der Schülerinnen. Ca. 54%) schätzen die Hauswirtschaft und ca. 49% die Gesundheitspflege, während nur wenige sie ablehnen. Überraschend ist der hohe Prozentsatz der Gleichgültigen oder Unentschiedenen.
Diese Einstellung kann nicht isoliert gesehen werden, sondern muß im Zusammenhang mit fünf anderen Antwortgruppen gedeutet werden. Die Arbeiterinnen möchten zu 79,7% nach der Heirat nur noch für die Familie da sein; sie beanspruchen auch zu 8o,9% keine oder nur wenig Hilfe der Männer bei der Hausarbeit, sind jedoch zu 62,6% der Ansicht, hauswirtschaftliche Tätigkeiten zu lernen sei für Jungen und Mädchen gleich wichtig. Durch die in den Gruppendiskussionen geäußerten Ansichten kann die mangelhafte Schlüssigkeit dieser Anschauungen aufgeklärt werden. Im Unterricht erfahren die Schülerinnen von der volkswirtschaftlich wichtigen Funktion der Hauswirtschaft, die ausschließlich in den Händen der Frauen liege. Aus der Betonung der Gleichwertigkeit der ökonomischen und gesellschaftlichen Funktion von Hausfrauentätigkeit und außerhäuslicher Erwerbsarbeit der Männer gewinnen die ungelernten Arbeiterinnen eine Selbstachtung, die zu erwerben im Betrieb ihnen verwehrt oder mindestens erschwert ist, weil sie dort den Männern gegenüber durch eine schlechtere Entlohnung und durch minderqualifizierte Tätigkeiten diskriminiert sind. Jene Argumentation wirkt sich als Rationalisierung (im psychologischen Sinne) und als Rechtfertigung der nach Geschlechtern unterschiedenen Arbeitsteilung aus. Sie wird als eine gesellschaftliche durch psychische Faktoren weiter verfestigt. Die historischen Bedingungen der Arbeitsteilung werden weder von den Direktorinnen und erst recht nicht von den Schülerinnen durchschaut. Unterricht, betriebliche Situation, psychische Reaktionen reproduzieren auf immer gleiche Weise die immer gleichen Verhältnisse.
Für die ungelernten Arbeiterinnen ist die Hauswirtschaft ein Teil eines Zukunftsplanes und ein Mittel, mit dessen Hilfe sie dem dauernden Streß der betrieblichen Arbeit und der späteren Fließbandarbeit zu entgehen hoffen. Nicht mehr im Arbeitsprozeß zu stehen, nicht mehr arbeiten zu müssen, ist für sie ein sozialer Aufstieg. In der, wenn auch ohne Hilfe geleisteten Arbeit innerhalb eines übersichtlichen Familienhaushaltes haben sie einen Freiheitsspielraum, den sie nach eigenem Ermessen in einer für sie sinnvollen Tätigkeit ausfüllen können. In der positiven Bewertung der Hausarbeit von mehr als 75% der Direktorinnen spiegelt sich hingegen eine Bestätigung der traditionellen Rolle der Frau als Mutter und Ehefrau, sogar noch in der »Doppelrolle«, für die sie den Mädchen Hilfe zu geben hoffen. Das Interesse der Schülerinnen an der Hauswirtschaft wird von ihnen als Bestätigung der Angemessenheit des Lehrplans gedeutet. Sie sehen in ihm ferner eine Unterstützung zu einer »positiven« Charakterbildung, welche verhindere, daß sie der Versuchung zu einem forcierten Konsum, einer nur egozentrischen und egoistischen Konsumentin in einer ökonomischen Situation erliegen, in der diese Haltung unvereinbar ist mit den Aufgaben einer Hausfrau und Mutter: für andere dazusein, für andere zu sorgen, weil diese Aufgaben ein Verzichten-Können voraussetzten.
Obwohl die Direktorinnen im allgemeinen keinen Einfluß auf eine neue oder andere »Berufsfindung« der Jungarbeiterinnen nehmen, wird der Hauswirtschaftsunterricht von den meisten verstanden als eine Anregung zu sozialpflegerischen Berufen, die die gewünschten Charaktereigenschaften der Mädchen fördern und für die sie Frauen im allgemeinen prädestiniert halten. Diese Berufe gelten zwar den Direktorinnen nicht mehr ausschließlich als Frauenberufe, aber sie sehen in ihnen für die Schülerinnen eine geeignetere Betätigung als die »entseelende« Arbeit im Industriebetrieb, bei der »die fraulichen Eigenschaften« der Mädchen nicht oder nur wenig ins Spiel (zum Zuge) kommen. Jene würden ihnen auch ein größeres soziales Ansehen verleihen, gerade dann, wenn es ihnen an Intelligenz mangele, da es einen Aufstieg zu qualifizierteren Arbeiten nur über die gelernten Berufe gebe, die Mädchen in solchen aber nicht reüssieren würden, teils aus Mangel an Beständigkeit, teils aus Mangel an Intelligenz, verursacht durch Milieuschäden. Die sozialpflegerischen Berufe hingegen bieten Chancen, über eine Aktivierung der »Gemütskräfte« zu einer sinnvolleren Tätigkeit zu gelangen. Der subjektive Eindruck, den die Direktorinnen in vielen Jahren im Umgang mit den ungelernten Arbeiterinnen gewannen, ist aber in Frage zu stellen, weil sie die sozialen und individuellen sowie die betrieblichen Bedingungen ihrer Erwerbsarbeit für unabänderlich halten. Zwar ist es richtig, daß die Berufsschule in ihrer jetzigen Konstruktion und wegen der geringen Unterrichtszeit weder die Fehler der Erziehung durch die Familie korrigieren, noch die Verhaltensstörungen beseitigen kann, zumal sie keinen Einfluß hat auf die Arbeitsbedingungen in den Betrieben. Es ist aber schwer einzusehen, daß die sozialreformerische Einstellung der Direktorinnen in Resignation sich verlaufen sollte oder in einer Sozialhilfe für einzelne Schüler.
Von allen wird der Teilzeitunterricht für zu kurz und unzulänglich gehalten. Eine Verlängerung scheint ihnen aber unrealisierbar wegen der Widerstände der Arbeitgeber. Von einem Vollzeitschuljahr versprechen sie sich eine positivere und intensivere Wirkung auf Wissen und Verhalten der Schülerinnen. Allerdings fürchten sie, daß eine endgültige Entlassung der dann Sechzehnjährigen diese in ihrer Infantilität fixiert.
Die positive Bewertung der Hauswirtschaft durch die Direktorinnen ist auch aus ihrem Mitleid mit dem Dasein der ungelernten Arbeiterin zu erklären. Sie suchen für sie eine »Rettung« aus ihrer unterprivilegierten Situation und finden sie nur in dem Gegenbild der Hausfrau und Mutter. Der Hauswirtschaftsunterricht erhält dadurch eine sozialpädagogische und sozialpolitische Funktion als einer individuellen Hilfe. Diese Einstellung kommt der illusionistischen Haltung der ungelernten Arbeiterin entgegen und hilft ihr gerade deswegen nicht, ihre soziale Position in den Betrieben richtig einzuschätzen. Auch empfängt sie aus ihr keinen Ansporn, sich wenigstens für eine angelernte Tätigkeit zu qualifizieren.
Nur eine Direktorin sah die Gefahr des Mitleids, das die Schülerinnen in ihren Minderwertigkeitskomplexen bestätige; sie sollten im Gegenteil in ihren Fähigkeiten gefördert werden durch einen anspruchsvolleren Unterricht, in dem sie selbst durch Erfolgserlebnisse ihr Selbstbewußtsein stärken könnten. Diese Einstellung muß nach den Erfahrungen der Interviews als sehr reflektiert und als praktisch wirkungsvoller gelten. Die bei den Schülerinnen beobachtete Präferenz der üblichen Frauenberufe spiegelt bereits die als falsch erwiesene Haltung der Leiterinnen. Da sie aus einer nicht überwundenen kindlichen Haltung sehr stark an die jeweilige Klassenlehrerin fixiert sind, ist deren Einfluß außerordentlich stark. Sie projizieren auf sie ihre Sehnsucht nach Geborgenheit und ihre Vorstellungen von der Mutter. Diese Bindung wirkt sich als Lernmotivation aus, wie die Direktorinnen hervorheben. Von dem persönlichen und sozialen Engagement der Lehrerinnen hängt unter diesen Umständen entscheidend der Erfolg des Unterrichts ab. Umso stärker wirken sich hier die kurze Unterrichtszeit, die oft unter den Sollstunden liegt, und die unzureichende Ausbildung der Lehrerinnen für eine solche Schule aus, deren Schülerinnen fast durchweg als durch das soziale und häusliche Milieu geschädigt bezeichnet werden können. Dringend notwendig wäre deshalb eine gründliche Reform der Lehrpläne, die sich nicht mit Kompromissen aus falsch interpretierter Intelligenz, Begabung und sozialen Verhältnissen begnügt und alles dem Zufall einer persönlich günstigen Konstellation von Lehrer und Schüler überläßt, wodurch evtl. eine Aktualisierung vorhandener Intelligenz verhindert wird.

3. Die Berufswünsche

Die Berufswünsche bewegen sich im Umkreis ihrer Erfahrungen und Möglichkeiten, sieht man von wenigen Klischee-Wünschen wie Stewardess ab. Sie stehen im Kontrast zu ihren gegenwärtigen Erwerbstätigkeiten. Nur wenige identifizieren sich so mit ihrer jetzigen Arbeit, daß sie nichts anderes sich wünschen oder vorstellen können als das, was sie jetzt tun. Ungefähr zwei Drittel der Schülerinnen hält die sozialpflegerischen Berufe für typische Frauenberufe, und für 40% gelten sie ausdrücklich als Wunschberufe. 20% möchten von der Fabrikarbeit zu Bürotätigkeiten überwechseln: nur 5% geben einen hauswirtschaftlichen Beruf an, und ca. 4% möchten einen technisch-handwerklichen Beruf wie Monteur und techn. Zeichner wählen dürfen. Die übrigen nennen Friseuse, kosmetische Berufe und akademische Berufe wie Ärztin und Lehrerin. Obwohl nur eine kleine Gruppe technische Berufe ergreifen möchte, halten doch die Hälfte der Arbeiterinnen Jungen für nicht technisch begabter als Mädchen. Für eine gleich große Gruppe gilt das Klischee von der höheren technischen Begabung der Jungen noch, das auch in den Lehrplänen der Volksschule zu finden war. Sie sind offenbar beeindruckt von der Rollenverteilung in den Familien: Vater und Brüder erledigen die technischen Reparaturen. Sie selber werden nicht für fähig gehalten, sie auszuführen. Da immer noch in vielen Arbeiterfamilien mehr Söhne weiterführende Schulen besuchen als Töchter, oftmals begründet mit dem Vorurteil, Mädchen seien eher für praktische Tätigkeiten geeignet, ist es nicht überraschend, daß immerhin 36,5% diese Vorurteile übernehmen. Die männliche Dominanz wird anerkannt.
Dahinter mögen nicht nur Minderwertigkeitsgefühle stehen, sondern auch der Wunsch, nicht für alles verantwortlich zu sein, Fürsorge zu empfangen, nicht jede Situation selber meistern zu müssen.
Die Wünsche nach sozialpflegerischen Berufen können nicht als Gegenbild gegen die augenblickliche Arbeit gewertet werden, sondern sind ein Reflex der Beeinflussung durch den Unterricht. Die Arbeiterinnen stehen erst im 3. Berufsjahr; sie sind noch nicht 18 Jahre alt; die Hoffnung, bald ausscheiden zu können, ist noch nicht enttäuscht. Die Zukunftserwartungen sind noch illusionär. Die positive Einschätzung der ausgeübten Tätigkeiten ist noch aus der Freude, Geld zu verdienen, es selber unbeschwert ausgeben zu können, unabhängig zu sein, zu erklären. Mehr als drei Viertel der Berufsschülerinnen finden ihre Arbeit abwechslungsreich. Bei diesen Antworten sind auch die geringen Möglichkeiten, eine bessere zu erhalten, zu berücksichtigen, deren sie sich bewußt sind. Es ist immer die Bedingung, »unter den obwaltenden Umständen« mitzudenken. Dazu gehört: soziale Kontakte zu haben, das Gefühl, eine »vollwertige Arbeit« wie die Erwachsenen zu leisten. Deswegen gefällt ca. 84% der Mädchen ihre Arbeit gut bis sehr gut. Dieser Prozentsatz mag überraschen. Das Betriebsklima, der gute Kontakt zu den Kolleginnen oder zu den Vorgesetzten sind entscheidender als die tatsächlich ausgeführte Arbeit, die nur in dem sozialen Kontext bewertet wird, wie die Gruppendiskussionen zeigten. Industriesoziologische Untersuchungen haben zu den gleichen Ergebnissen geführt.