Die Unterrichtung der ungelernten Arbeiterinnen bereitet den Schulen große Schwierigkeiten. Die Berufsschulen unterrichten in einem die Ausbildung in den Betrieben begleitenden Unterricht Lehrlinge und Anlernlinge meistens in homogenen Fachklassen. In einer ganzen Reihe von Städten wurden mehrere Formen der Einschulung der ungelernten Arbeiterinnen versucht. Einmal wurden sie auf die Fachklassen der Lehrlinge des gleichen Gewerbezweiges verteilt, ein anderes Mal wurden sie nach Industriezweigen zusammengefaßt. In einigen Städten wurden sie mit den ungelernten Arbeitern an den Gewerbeschulen unterrichtet; in anderen wurden die Jungarbeiterinnen aller Tätigkeitsgruppen - pflegerische Hilfskräfte, Haushaltshilfskräfte, landwirtschaftliche Hilfskräfte, Büro- und Ladenhilfen und ungelernte Industriearbeiterinnen - in Klassen zusammengefaßt. In einigen Städten wurden reine Jungarbeiterinnenschulen eingeführt. In einer rheinischen Großstadt gibt es als einzige eine »Arbeitnehmerinnenschule«, die Arbeiterinnen und Angestellte besuchen.
Alle Lösungen mit Ausnahme der letzten erwiesen sich als unbefriedigend. In den meisten Fällen scheiterte nach Angaben der Ministerialrätinnen die gemeinsame Unterrichtung mit den Lehrlingen an dem unterschiedlichen Begabungsniveau und an der großen Zahl der Sonderschülerinnen. Die Koedukation wird als undurchführbar von den Schulleitern zurückgewiesen, vor allem wegen der verhaltensgestörten -aggressiven Jungen. Eine Unterrichtung nach Gewerbezweigen ist nur in den Städten mit einer einseitigen Industriestruktur möglich. Die Hilfskräfte aus allen Wirtschaftszweigen und dem Dienstleistungsbereich zu mischen, macht einen gemeinsamen Unterricht fast unmöglich.
Viele Beratungen und ein Erfahrungsaustausch von Land zu Land und von Stadt zu Stadt fanden statt, ohne daß eine befriedigende Form der Einschulung und Unterrichtung gefunden wurde.
In den Stadtstaaten Bremen und Hamburg wurden seit Anfang der 60er Jahre Erhebungen zur Lage der ungelernten Arbeiterinnen gemacht, um von ihrer Anzahl und ihrer Struktur her zu besseren organisatorischen Schul- und Klasseneinheiten zu kommen. Alle Versuche führten wieder zu der alten Lösung zurück: die ungelernten Arbeiterinnen an hauswirtschaftlichen Schulen zu unterrichten. Ausschlaggebend waren die Ansichten, wie die Lehrpläne zu gestalten seien. In keinem Bundesland konnten sich die Schulverwaltungen entschließen, neben den Kernfächern Deutsch, Rechnen, Gemeinschaftskunde und Wirtschaftskunde auf Hauswirtschaft zu verzichten. Hauswirtschaft wird im Gegenteil als das Zentrum des Unterrichts angesehen, obwohl die Mädchen auf »ein Leben in der sich rasch wandelnden Gesellschaft« vorbereitet werden sollen.
Die Berufsschule orientiert sich in ihren Lehrplänen an den Berufsbildern. Sie hat noch kein eigenes Bildungskonzept entwickelt, was sie erst recht hindert, selbständig für die ungelernten Arbeiterinnen ein fachlich ausgerichtetes Ausbildungsprogramm zu entwerfen. Die mangelhafte arbeitswissenschaftliche, technische und betriebssoziologische Durchdringung der repetitiyen Arbeiten, die die Jungarbeiterinnen vorwiegend verrichten, macht das Aufstellen sinnvoller Lehrpläne allerdings unmöglich. Diese Lücke wird gefüllt durch eine vorwiegende Ausrichtung des Unterrichts auf Hauswirtschaft unter Berufung einerseits auf die spätere Hausfrauentätigkeit der Mädchen und andererseits auf den »ethischen Wert« des Familienhauswesens gegenüber der »entseelenden Tätigkeit im Betrieb«.
Hinter dieser Begründung verbirgt sich zum Teil ein antiindustrieller Affekt der aus den Mittelschichten stammenden Direktorinnen und Ministerialreferenten, aber auch ein großes soziales Engagement für diese benachteiligte und »bedauernswerte« Gruppe der ungelernten Arbeiterinnen. Anstatt eine Analyse der betrieblichen Verhältnisse vorzunehmen und aufgrund dieser zu einer realitätsgerechten Beurteilung der ungelernten Tätigkeiten im Zusammenhang mit der gesamten Arbeitsteilung im Betrieb zu kommen und darauf die Lehrpläne aufzubauen, wurde bisher die arbeitsteilige Tätigkeit im rationalisierten Industriebetrieb mit einer selbständigen und 87 »ganzheitlichen« Hausfrauentätigkeit konfrontiert, die den Arbeiterinnen Halt und Trost geben sollte.
Die ideologische Überfrachtung des Familienhauswesens tritt in den neuen Lehrplänen - jedoch nicht in allen Bundesländern gleichmäßig - zugunsten einer technologischen Ausrichtung der Hauswirtschaft zurück. Sie wird als Mittel benutzt, physikalisch- technische Prinzipien und Vorgänge zu erkennen und durch sie zu einem Verständnis der eigenen Arbeiten im Haushalt zu kommen und von diesen zu einem zweckmäßigen Arbeitsverhalten im Betrieb. Der Bezug zu den Arbeitsvorgängen im Betrieb soll außer durch die technischen Kenntnisse noch durch eine Reflexion auf die Arbeitsabläufe der Hausarbeit hergestellt werden, die aus ihren konkreten Bezügen herausgelöst wird. Dadurch tritt eine inhaltliche Entleerung des Hauswirtschaftsunterrichts ein, die die Jungarbeiterinnen nicht akzeptieren, weil ihnen die Vermittlung nicht einleuchtet, die diese Reflexion leisten soll. Es ist sinnlos, von ungelernten Arbeiterinnen die Bewußtheit einer gleichförmigen Tätigkeit zu verlangen, da ihre Aufgabe gerade im »bewußtlosen« Ausüben von Arbeiten besteht. Hinzu kommt, daß den Schülerinnen eine Beziehung zwischen einer technischen Grundausbildung an Haushaltsgeräten und ihrer Arbeit im Betrieb nicht aufgeht, selbst wenn sie-das technische Prinzip als Prinzip verstanden haben; denn das Funktionswissen bleibt für ihre Tätigkeit funktionslos. Einerseits erleichtert es ihnen nicht, ihre einfachen und repetitiven Tätigkeiten besser auszuführen, andererseits ermöglicht es ihnen keinen Aufstieg zu angelernten Tätigkeiten.
Neben dieser Aufladung des Hauswirtschaftsunterrichts mit naturwissenschaftlichen Grundbegriffen und mit Abstraktionsvorgängen wird in einigen Bundesländern ein selbständiges Fach »technische Grundbildung« eingeführt. Eine Durchsicht der Lehrpläne ergab, daß hierbei auf das bereits in der Volksschule vermittelte Wissen zurückgegriffen wird in einer abstrakten Aneinanderreihung von Begriffen, die unvermittelt in bezug gesetzt werden zu konkreten Hausarbeiten und Handarbeiten. In dem Konzept der technischen Grundbildung für die Jungarbeiterinnen im Saarland von 1965 wird z.B. der Aufbau der Materie (Grundstoffe - Atom - Molekül) unmittelbar neben Werkstoffkunde (verschiedene Strickgarne) gesetzt. Innerhalb des Faches technisches Werken und Nadelarbeit erscheinen dann unvermittelt »einfache materialgebundene Verzierungsarbeiten an Tischläufern, Cocktailschürzen, Bestecktaschen und Lätzchen«. Im Lehrplanentwurf von Baden-Württemberg von 1969 wird unter der Rubrik physikalische und chemische Eigenschaften von Arbeitsgeräten und Einrichtungsgegenständen die Gewinnung, Eigenschaften und Verwendung von u. a. Eisen und Stahl angeführt.
Die Lehrer erhalten genaue Stoffverteilungspläne, ohne daß ihnen die notwendige Didaktik konkret vermittelt würde. Während die Stoffverteilungspläne für Hauswirtschaft in einem Fall drei Seiten umfassen, wurden für die Fachkunde »Papierherstellung« nur 4 Zeilen reserviert. Daran zeigt sich, wie fremd den Berufsschullehrern und Ministerialbeamten von ihrer ganzen Bildungstradition und Ausbildung her die industrielle Fertigung ist; sie sind nicht imstande, umfassende, konkrete Anweisungen zu geben.
Da die Ausbildung der Lehrer für die technische Grundbildung unzulänglich ist und die Didaktik nicht vorweg erarbeitet wurde, ist nicht zu erwarten, daß die »technische Grundbildung« sich auf anderes als auf eine technologische Behandlung der Haushaltsgeräte bezieht.
Der Ausweg aus diesem Dilemma wird in einigen Berufsschulen gesucht in einer Nachahmung von Bandarbeit. Diese Versuche sind jedoch überall am Widerstand der Arbeiterinnen gescheitert. Die Schülerinnen wollen Gegenstände ihres privaten Gebrauchs nicht arbeitsteilig herstellen. Es kommt in Einzelfällen sogar zu einer affektiven Ablehnung der arbeitsteiligen Herstellung (z. B. beim Nähen einer Schürze). Individuelle Gebrauchsgegenstände wollen sie selbständig und vollständig herstellen, und sie wollen die Arbeit nicht mit anderen teilen.
Um zu einem Vergleich der Stundenzahlen für Hauswirtschaft zwischen den Bundesländern und Berlin zu kommen und um die Relation zu den anderen Fächern zu erkennen, mußte, da die Stunden ungleich über die drei Berufsschuljahre bzw. 6 Halbschuljahre verteilt sind, eine Maßzahl gebildet werden (die Summe der Wochenstunden pro Halbjahr und Fach geteilt durch 2). Die Maßzahl 2 für ein bestimmtes Fach bedeutet z. B., daß die Schülerinnen in diesem Fach in zwei Wochenstunden über ein Jahr hinweg unterrichtet wurden oder in einer Wochenstunde über 2 Jahre.
Die übrigen Länder konnten zu dem Vergleich nicht herangezogen werden, weil keine Stundentafeln zur Verfügung gestellt wurden.
Inwieweit das traditionelle Kochen in einigen Ländern im Vordergrund steht, zeigt folgender Ländervergleich für Nahrungsmittelzubereitung und Ernährungslehre.
An der Spitze liegt Bayern mit der Maßzahl 9, (evtl. 7, wenn eine Fachkunde für Jungarbeiterinnen eingerichtet wird),
Diese Maßzahlen geben die Tendenz für den Stellenwert an, den die Hauswirtschaft in den Lehrplänen für Jungarbeiterinnen innehat.
Den hohen Maßzahlen in den hauswirtschaftlichen Fächern stehen niedrige Maßzahlen für eine »technische Grundbildung« gegenüber. (Es wurden zusammengefaßt: technische Grundbildung, Fachkunde, Arbeitstechnik, Werkstofflehre, Geräte- und Maschinenkunde und Werken).
An der Spitze liegt
In den anderen Ländern ist entweder ein Fach »technische Grundbildung« noch nicht eingeführt oder es war aus den Lehrplänen die Stundenverteilung nicht zu ersehen.
Da in den Bundesländern die tatsächlich gegebenen Stunden von der gesetzlich festgesetzten Stundenzahl abweichen und die Kürzungen einmal zu Lasten der praktischen, einmal zu Lasten der theoretischen Fächer (Deutsch, Rechnen, Gemeinschaftskunde, aber nie zu Lasten der Rellgionsstunden) durchgeführt werden, differiert die Unterrichtszeit von Jahr zu Jahr und von Schule zu Schule. Der große Mangel an Lehrern macht die Situation der ungelernten Arbeiterinnen an den Berufsschulen noch schwieriger. (Siehe nachfolgende Tabelle)