1. Der Beginn der Reform nach 1945
Im ersten Nachkriegsjahrzehnt galten alle materiellen Anstrengungen zuerst dem Wiederaufbau der Produktionsstätten, der Städte und damit auch dem Wiederaufbau der Schulgebäude. Daran schlossen sich nach und nach, zuerst vereinzelt, dann zügiger Verbesserungen der Schulorganisation an: Verringerung der Zwergschulen auf dem Lande, Errichtung neuer Schulen, Errichtung von Schulzentren, Ausbildungsreformen der Lehrkräfte. Zwar fehlte es auch in den ersten Nachkriegsjahren nicht an Diskussionen und Plänen für eine Erneuerung der Volksschule; dafür traten bereits die Lehrerverbände und später die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft ein, deren prominenteste Vertreter schon im Schulwesen der Weimarer Republik aktiv gewesen waren.
Es zeigten sich bereits zu Beginn schon regionale Schwerpunkte der Reform, die aus parteipolitischen Konstellationen und aus liberaldemokratischen Traditionen sich ergaben. In den drei Stadtstaaten wurden die ersten Reformen des Volksschulwesens durchgeführt. Hier waren es vor allen Dingen gesellschaftspolitische Gesichtspunkte, die sich umsetzten in eine organisatorische Veränderung und in eine Intensivierung der Lehrerausbildung und der Lehrerfortbildung. Baden-Württemberg, das in seiner Schulpolitik schon, immer eigene Wege gegangen war, glaubte, keine umwälzenden Veränderungen notwendig zu haben bei der Erneuerung seiner Schulpläne. In Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz, Bayern und Schleswig-Holstein wirkten die traditionalistisch-konfessionalen Kräfte am nachhaltigsten auf die Konsolidierung der alten Volksschule.
Dieser Schulförderalismus ist weniger aus einem staatspolitischen Prinzip als aus dem ungleichen Kräfteverhältnis der gesellschaftlichen Gruppen in den bundesdeutschen Ländern zu erklären. Die föderalistische Argumentation diente entweder der Konsolidierung sozio-ökonomischer Gruppen in der Schulpolitik oder vorsichtigen Reformen im Interesse der arbeitenden Schichten. Nachdem der wirtschaftliche Wiederaufbau vollendet worden war, die Bundesrepublik im Bereich der Produktion den technisch-wissenschaftlichen Vorsprung der westlichen Industrienationen eingeholt hatte, erwies sich der innerdeutsche Streit um eine Reform der Volksschule zwischen den Vertretern der mehr konservativen und denen der mehr progressiven Richtung bereits als anachronistisch.
Die Erfordernisse der industriellen Gesellschaft in bezug auf Heranbildung qualifizierter Arbeitskräfte in Produktion und Verwaltung der Wirtschaft, in der staatlichen Administration und der zweckgebundenen und freien Forschung ließen ein internationales gesellschaftliches Problem enstehen: die Verbesserung der Schulbildung und der Berufsbildung für die gesamte Bevölkerung, nicht nur für eine Elite.
»Die Bundesrepublik zeigte im internationalen Vergleich das höchste Ausmaß an sozialer Selektivität, stand aber im Hinblick auf den Anteil der Altersgruppe, die Höchstleistungen aufweist, gegen Ende der Rangliste.«[1]
»Die Konferenz der Erziehungsminister der europäischen Mitgliedsstaaten der UNESCO, die ... (1967) in Wien stattgefunden hat, drückte in ihren allgemeinen Betrachtungen und Beschlüssen den Wunsch aus, >daß das Bildungswesen gemeinsam den Funktionen der Ungleichheit entgegenwirken sollte<...«[2]
Vor dem Hintergrund dieser Notwendigkeit erwiesen sich zum Ende der sechziger Jahre die Konflikte zwischen den Parteien, den Interessenorganisationen als ein großes Hindernis. Die Bundesrepublik ist das letzte Land unter den westlichen Industrieländern, das eine durchgreifende Schulreform in Angriff nahm. Dem Zwang, ein für das industrielle System zureichendes Schulwesen zu schaffen, konnten schließlich weder die Kultusverwaltungen noch die von ihnen konstituierten Gremien sich entziehen. Alle hochindustriellen Wirtschaftssysteme bedürfen qualifizierter und hochqualifizierter Arbeiter und Angestellten, die während ihres ganzen Lebens zu einer dauernden Mobilität bereit sind. Das Bildungswesen dieser Länder
»muß infolgedessen einen möglichst hohen Grad von Allgemeinbildung für alle und eine möglichst hochqualifizierte Ausbildung für viele anstreben, insofern man sich nicht mit bloßer periodischer Manipulierung von Arbeitskräften begnügen will«.[3]
Durch die öffentlichen Diskussionen, durch die Empfehlungen und Gutachten des Deutschen Ausschusses, später des Bildungsrates zieht sich wie ein roter Faden der Konflikt zwischen den gesellschaftlichen Gruppen, welche rationalen Einsichten folgen oder sie verleugnen, so daß Rahmenpläne und Empfehlungen widersprüchliche, oft miteinander unvereinbare Feststellungen und Forderungen enthielten, sobald die Experten jenen gegenüber ihre Neutralität bewahren wollten.
Die Diskussion um die Schulreform spielt sich nunmehr auf mehreren Ebenen, den wissenschaftlichen und organisatorischen ab. Während vor allem Soziologen, Psychologen und Pädagogen das bildungstheoretische Konzept entwarfen und die Widersprüche der bildungspraktischen Empfehlungen aufdeckten, blieb es auf der administrativen Ebene bis in das Jahr 1970 hinein bei einer meist nur scheinbaren oder zögernden Übernahme dieser theoretischen Konzeptionen, was zu ihrer Verflüchtigung in begriffliche Leerformeln führte, wodurch der reale Gehalt der Reformen: Aktivierung der Begabungen, Abschaffung einer frühen Auslese, Förderung der leistungsschwachen Kinder im Alltag der Schule, sich nicht oder nur langsam verwirklicht.
Diese Kluft zwischen den verwandten Begriffen und den in ihnen formulierten Bildungszielen auf der einen Seite und den Inhalten der Lehrpläne läßt sich an nahezu allen Richtlinien für die Reform der Volksschule nachweisen. In den Präambeln oder in den allgemeinen Erläuterungen werden die Bildungsziele erläutert: in den Lehrplänen selbst jedoch oft die alten Inhalte der Unterrichtsfächer weitergeschleppt, was am deutlichsten aus den Stoffverteilungsplänen zu erfahren ist.
Nur bei den inzwischen in den verschiedenen Industrieländern empirisch erhärteten Erkenntnissen in Teilbereichen der Entwicklungspsychologie des Kindes, z. B. der Entwicklung der Sprache und des logischen Denkens, hat eine Verwertung in der Schulpraxis begonnen, während auf weiten Gebieten der Erforschung der Intelligenzentwicklung des Kindes, der Begabung, der Begabungsrichtung ein eklatantes Auseinanderklaffen von wissenschaftlichen Erkenntnissen und praktischer Verwertung besteht. Diese Forschungen rühren an das Elite-Bewußtsein ganzer gesellschaftlicher Gruppen, an deren Vorurteile, an das traditionelle Konkurrenzverhalten.
Aus dieser Diskrepanz ist auch die Tendenz der Praktiker zu erklären, vor einer konsequenten Reform auszuweichen und erst weitverzweigte Schulversuche durchzuführen, vielleicht in der Hoffnung, wissenschaftliche Erkenntnisse möchten sich als Irrtümer erweisen und eine Umorientierung des gesamten Schulsystems überflüssig machen.
2. Organisatorische Veränderungen der Volksschule
Die sichtbarste Veränderung der Volksschule besteht in der organisatorischen Aufteilung von Grund- und Hauptschule. Sie bot sich an aus der schon in der Weimarer Republik bestehenden Möglichkeit, nach der 4. Klasse der Grundschule in die Gymnasien und Realschulen als weiterführende Schulen überzuwechseln. Die Angemessenheit einer vierjährigen Grundschule in Anbetracht einer Auslese von Begabungen war bereits damals umstritten; der Zeitpunkt des Übertritts galt schon damals als verfrüht, wenn auch erst nach dem 2. Weltkrieg vor allem in den USA und in Schweden diese Verfrühung einer Begabtenauslese experimentell erhärtet wurde. Trotz dieser Erkenntnis besteht in allen Ländern der Bundesrepublik nach wie vor dieser Zeitpunkt des Übertritts, wenn auch nicht mehr als einzige Möglichkeit. Alle späteren Wechsel sind aber immer noch mit dem Makel der Retardation - einer »verspätet einsetzenden Begabungsentwicklung« der Kinder - verbunden. Obwohl individualpsychologisch und sozialpsychologisch begründbare Ursachen sich in jedem Fall finden lassen, wird das Prestige der Eltern empfindlich getroffen, wenn Kinder diesen Übergang nicht schaffen und als Abweichung von der »Norm« gebucht, die sie erschreckt.
»Der gegenwärtige Stand der psychologischen Forschung erlaubt nicht, die Zeitpunkte festzulegen, zu denen Reifung von Fähigkeiten als relativ abgeschlossen gelten kann ...«[4]
War dieser Übergang bis in die letzten Jahre mit einer Prüfung an der aufnehmenden Schule verbunden, so wurde sie inzwischen abgeschafft, weil der Wert von Prüfungen, von Leistungsfeststellungen sich als fragwürdig erwiesen hatte und in eine Leistungserprobung während eines regulären Unterrichts mehrere Wochen hindurch umgewandelt, bis auch auf diese in verschiedenen Bundesländern verzichtet wurde und die Beurteilung der Grundschule allein oder in Zusammenarbeit mit denen der aufnehmenden Schule maßgebend wurde. Stimmte sie nicht mit der der Eltern überein, gilt allein deren Entscheidung. Nach dem 2. Weltkrieg wurde in den Stadtstaaten die Grundschule von 4 auf 6 Jahre verlängert, weniger aus pädagogischen denn aus gesellschaftspolitischen Auffassungen. Aus dem Zusammenleben von Kindern aller Schichten in einer Schule versprachen sich die Schulbehörden eine leichtere Erziehung zum Verständnis und zur Toleranz als demokratische Tugenden in einer »pluralistischen Gesellschaft«.
Daß diese Ziele vor allem in den Städten nicht realisiert werden konnte, weil Schulen meist in Wohnbezirken mit einer homogenen Bevölkerungsstruktur sich befinden, wurde weniger reflektiert. Das Prinzip einer demokratischen toleranten Haltung blieb wie in anderen Bereichen der Pädagogik auch hier ohne Bezug zur Realität und erstarrte zu dem Pathos einer Gemeinschaftsideologie, die den Klassenverband mit der Gesamtgesellschaft gleichsetzte und die Realitätserkenntnis verhinderte. In diesen Stadtstaaten war ein Übergang von der 4. Klasse zum Gymnasium zur gleichen Zeit sanktioniert, wodurch die gesellschaftspolitische Intention der Maßnahme von Anfang an durchbrochen wurde. In den anderen Bundesländern blieb diese Übergangszeit als Wechsel zum Gymnasium ebenfalls noch erhalten, obwohl daneben noch eine Vielfalt von anderen Möglichkeiten geschaffen wurde.
3. Die Durchlässigkeit zwischen den Schularten
Die Übergangsmöglichkeiten von der Hauptschule zu weiterführenden Schulen sind in den einzelnen Bundesländern unterschiedlich geregelt, so daß eine nach Ländern getrennte Übersicht notwendig wird.
- In Baden-Württemberg gibt es außer dem obligaten Übergang von der 4. Klasse zum Gymnasium und zur Realschule die Möglichkeit, sowohl aus der 5. als auch der 6. Klasse ohne Zeitverlust mit Prüfung in die Realschule und in das Gymnasium überzuwechseln. Ohne Prüfung aber mit guten Noten in den A-Kursfächern ist ein Übergang aus der 6. Klasse in die 7. Klasse der Realschule möglich.
Offensichtlich soll den Hauptschülern in stärkerem Maße der Weg zur Realschule geöffnet werden als zum Gymnasium. Aus der 9. Klasse der Hauptschule ist noch ein Übergang zur 9. Klasse der Realschule erlaubt, jedoch mit einem Jahr Zeitverlust. Die besseren »Schüler« mit guten Leistungen schaffen den Übergang in die Klasse 10 der Realschule, also ohne Zeitverlust. Für Schüler, die wegen ungünstiger regionaler Bedingungen die gebotenen frühen Übergänge in eine Realschule oder ein Gymnasium nicht nutzen konnten und das 15. Lebensjahr noch nicht erreicht haben, wird die Möglichkeit eingeräumt, nach der 7. oder 8. Klasse der Hauptschule in eine achte Klasse eines Aufbaugymnasiums - mit einer Aufnahmeprüfung - eingeschult zu werden.
Abgesehen von diesen Ausnahmefällen haben die Hauptschüler von der 7. Klasse an bis zum Erreichen eines qualifizierten Hauptschulabschlusses keine Gelegenheit mehr, eine weiterführende Schule zu besuchen. Wer den Absprung nach der 6. Klasse nicht schafft, wird für seine weitere Fortbildung auf die berufsbildenden Schulen verwiesen. - In Bayern besteht die Möglichkeit, von der 5. bis einschließlich der 8. Klasse der Hauptschule unter bestimmten Voraussetzungen (Prüfung, Probezeit, gute Noten) in ein Gymnasium zu wechseln. Unter Umständen muß sogar ein Zeitverlust von ein bis zwei Jahren in Kauf genommen werden. Seit der Reform der Realschule von 1967 gibt es generell den Übergang aus der 6. Klasse der Hauptschule in die normale vierklassige Realschule. Von der 7. und 8. Klasse der Hauptschule ist noch ein Übergang erlaubt, evtl. mit einem Zeitverlust von ein bis zwei Jahren. Die Bedingungen dieses Übergangs sind nicht so streng wie beim Wechsel zum Gymnasium. Seit der Einführung des 9. Schuljahres im Jahre 1969 ist es den Absolventen dieses Jahres auch noch möglich, in die 10. Klasse einer Realschule zu wechseln.
- Im Saarland werden die Klassen 5 und 6 in allen Schultypen als Orientierungsstufe oder Eingangsstufe bezeichnet, jedoch besteht nur nach der 6. Klasse der Hauptschule die Möglichkeit, in die 7. Klasse eines Realschulaufbauzuges zu wechseln oder auf be sondere Empfehlung in die 7. Klasse eines Gymnasiums. Ferner gibt es noch eine Chance, nach der 7. Klasse in die 8. Klasse eines Aufbaugymnasiums aufgenommen zu werden. Schülern der 8. Klasse steht seit einiger Zeit noch der Weg offen, in eine Reihe von Versuchsschulen (Gewerbeschule, Wirtschaftsschule, Sozialpflegeschule) einzutreten, deren erfolgreicher Abschluß berechtigt, in eine Fachoberschule aufgenommen zu werden.
- In Rheinland-Pfalz soll nach den harmonisierten Stundentafeln der drei Schularten, die sich im Versuchsstadium befinden, ein Wechsel in die Studienstufe der Gymnasien nur noch nach einem erfolgreichen Abschluß der Sekundarstufe I möglich sein.
- In Nordrhein-Westfalen besteht für die Schüler der 6., 7. und 8. Klasse über eine Aufbaurealschule die Möglichkeit, eine weiterführende Schule zu besuchen. In Ausnahmefällen kann auch nach der 6. Klasse in ein Aufbaugymnasium gewechselt werden. Abgesehen von diesen beiden Fällen werden sie auf den Hauptschulabschluß I verwiesen, der ihnen die Möglichkeit eröffnet, über die 10. Klasse einer Fachschule ein Abschlußzeugnis zu erhalten, das dem der Realschule gleichwertig ist.
- In Schleswig-Holstein können die Schüler auf Empfehlung der Lehrer nur aus der 5. und 6. Klasse der Hauptschule in jeden Typ von weiterführenden Schulen ohne Zeitverlust, auch von den gleichen Klassen der Realschule ins Gymnasium, wechseln. In Bremen ist es möglich, von der 6. und 7. Klasse auf Empfehlung oder mit Prüfung in die 7. Klasse eines Gymnasiums oder einer Realschule zu wechseln. Die Schüler verlieren also evtl. ein Jahr. Auch aus der 7., 8. und 9. Klasse der Hauptschule ist auf Empfehlung der Übergang in die 8.-10. Klasse der Realschule möglich, evtl. auch mit Verlust eines Jahres.
- In Hamburg sind seit 1968 alle Prüfungen vor dem Übergang in einen anderen Schultyp abgeschafft. In der Hauptschule und im Gymnasium gibt es eine zweijährige Beobachtungsstufe. Nach dieser kann ein Volksschüler in die 7. Klasse eines Gymnasiums oder einer Realschule eintreten. Nach der 8. oder 9. Klasse der Hauptschule ist noch einmal ein Übergang zur 9. Klasse der Realschule erlaubt, unter Umständen mit einem Jahr Verlust. Nach der 8. Klasse können die Schüler sich aber auch für die 9. und 10. Klasse der Hauptschule entscheiden.
- In Berlin ist es möglich, nach der 6. Klasse der Hauptschule noch einmal zu versuchen, ins Gymnasium zu wechseln, wenn der Anlauf nach der 4. Klasse nicht geschafft wurde: auch gibt es die Chance, nach der 8. Klasse der Haupt- oder Realschule mit Empfehlung in die 9. Klasse eines Gymnasiums umzusteigen.
- In Hessen wechseln die meisten Schüler nach der 4. Grundschulklasse in die Realschule oder in das Gymnasium. Ein weiterer Übergang besteht nach der zweijährigen Förderstufe, d. h. nach der Klasse 6, in die gleichen Schularten.
- In Nieder Sachsen kann nach der 4. Klasse oder nach der 6. Klasse auf eine Realschule oder auf ein Gymnasium gewechselt werden; von der 7. Klasse an gibt es nur noch in Ausnahmefällen einen Übergang in einen Realschulzug, der mit der 8. Klasse beginnt. Für das Gros der Volksschüler gibt es also keine Möglichkeit, auf eine der weiterführenden Schulen hinüberzuwechseln.
Die vielfältige Durchlässigkeit zwischen den Schularten, die in allen Bundesländern besteht, kann als ein Ersatz für eine Integration der Schularten in ein Gesamtschulsystem aufgefaßt werden und als unzureichende Demokratisierung; denn es ist erwiesen, daß nur wenige Kinder von denjenigen Möglichkeiten Gebrauch machen, die in der Öffentlichkeit nicht so bekannt geworden sind.
»Ein Modell, das von den bestehenden Schulen ausgeht und die Postulate der Vergleichbarkeit und der Aufwertung auf das illusionäre Prinzip der »Durchlässigkeit« gründet, beruht auf der irrigen Vorstellung, daß Strukturen und formale Berechtigungen das Wesen von Bildungsinstitutionen bestimmen.«[5]
Da die Schwierigkeiten des Übergangs und die psychischen Hemmungen bekannt sind, wenn Schüler vereinzelt wechseln, schließt die »Durchlässigkeit« die Schulen voneinander ab. Die Hauptschule bleibt als Hauptschule bestehen.
4. Die Verquickung von allgemeinbildenden Schulen und Berufsschule
Wege zur mittleren Reife
Ein Abschluß mit mittlerer Reife, der dem an allgemeinbildenden Schulen gleichberechtigt ist, kann erworben werden über eine Abendschule neben der Berufsausbildung oder über den Besuch einer Fachschule oder Berufsfachschule.
Wenn ein Hauptschüler nach dem qualifizierten Abschluß in eine Fachoberschule wechseln möchte, muß er eine vorgeschaltete 10. Klasse als Vorbereitung besuchen, um darauf erst in eine n. Klasse einer zwei- oder dreijährigen Fachoberschule eintreten zu können. Mit dem Besuch einer Fachoberschule erwerben alle Absolventen die Fachhochschulreife.
Bei diesen Übergängen gibt es in den einzelnen Bundesländern Zeitverluste von ein bis fünf Jahren, und zwar dann, wenn eine Lehre zwischengeschaltet wird und nicht nur vollzeitberufsbil-dende Schulen besucht werden. Wer eine praktische Berufsausbildung in einer Lehre wählt und später einen solchen Abschluß anstrebt, braucht zu diesem Ziel 13-15 Jahre; d. h. er ist dann 19-21 Jahre alt. Wer schneller zu diesem Ziel kommen will, muß entweder ein freiwilliges 10. Schuljahr an einer Hauptschule besuchen oder eine zweijährige Berufsfachschule oder eine Kombination wählen von Berufsgrundschuljahr und Förderkursen oder eine Kombination von zweijähriger Lehre und einjähriger Berufsaufbauschule. Diese jungen Menschen brauchen im Durchschnitt 10, meistens 11 oder 12 Jahre bis zur mittleren Reife. Die zahllosen Wege erklären sich aus einer sukzessiven Erweiterung der Möglichkeiten, um der Forderung nach Chancengleichheit und nach Aufstiegsmöglichkeiten nachzukommen unter Beibehaltung des traditionellen dreigegliederten Schulwesens. Nur diejenigen Jugendlichen kommen rechtzeitig zu einem mittleren Abschluß, die die traditionellen Übergänge in weiterführende Schulen wahrnehmen oder die von dem Angebot Gebrauch machen, freiwillig eine 10. Hauptschulklasse zu besuchen, was nur in wenigen Ländern an wenigen Versuchsschulen möglich ist.
Aus diesen Regelungen zeigt sich, daß der Hauptschüler gegenüber den Gymnasiasten und Realschülern nach wie vor benachteiligt ist und daß die Hauptschule als der entscheidende Lieferant für die Berufe des Facharbeiters und des weniger qualifizierten Angestellten fungieren soll.
Die formal vorhandenen Möglichkeiten für die Hauptschüler, einen mittleren Abschluß zu erreichen, können aber nur von wenigen hochbegabten Schülern in Anspruch genommen werden, weil es keine Harmonisierung der Lehrpläne, der Stundentafeln und der Lehrerausbildung gibt. Blieb er bis zur 9. Klasse in der Hauptschule, war er seit langem in der falschen Schule. In Anbetracht all dieser Schwierigkeiten erweist sich die integrierte Gesamtschule als der einzige Schultyp, der eine reale Chancengleichheit den Kindern aller Gesellschaftsschichten eröffnet. Die kooperative und erst recht nicht die additive Gesamtschule oder die Nachbarschaftsschule vermögen nicht, die Diskriminierung der Hauptschüler aufzuheben. Angleichung der Fächer und der Stundentafeln genügt zu diesem Zweck nicht, weil die Bildungsziele unterschiedlich bleiben und die Hauptschule ein auf Faktenwissen und Handfertigkeiten ausgerichtetes Bildungsziel behält.