9. Integration zur Gesamtschule oder
Beibehaltung des vertikalen Systems?
Solange die Hauptschule als gesonderter Schultyp bestehen bleibt, bedeutet die organisatorische Veränderung innerhalb ihrer Struktur eine äußere Annäherung an die Struktur der Realschulen und der Gymnasien.
In Rheinland-Pfalz sind durch die Entscheidungen des Ministeriums zum Schuljahr 1970/71 auch Annäherungen der Lehrpläne der Hauptschule an diese beiden Schultypen zur Diskussion gestellt; wie aus den Stunden Verteilungsplänen des Ministeriums zu ersehen ist, als Vorbereitung auf eine kooperative Gesamtschule, in der auch in der Hauptschule nach einem freiwilligen 10. Schuljahr das Abitur I (mittlere Reife) abgelegt werden kann.
Im Unterschied zur integrierten Gesamtschule läßt die kooperative Gesamtschule mehrere Stadien der Zusammenführung zu, von einer losen Addition der getrennt bleibenden Kollegien und Schulen über ein einheitliches Direktorium auch bei räumlich getrennten Schulen bis zu einer Zusammenführung der Schüler in verschiedenen Leistungsgruppen, ohne daß diese den Schultyp wechseln. »Es entspräche allerdings weder den Empfehlungen des Bildungsrates noch der Notwendigkeit, eine ausreichende Zahl integrierter Gesamtschulmodelle zu erproben, wenn bei diesen Versuchen auf additive Gesamtschulen ausgewichen würde.«[11]
In welcher Form auch immer und in welchen Zeitabständen diese organisatorische Annäherung der getrennten Schultypen vor sich gehen soll, sie setzt bereits im Anfangsstadium eine Veränderung der Verteilung der Fächer auf die Schulklassen und auch eine Anhebung des Wissensniveaus der Hauptschule voraus, damit am Ende einer Übergangsperiode eine einheitliche Sekundarstufe entweder ohne Differenzierung der Schüler nach Leistungskursen in den Klassen 5, 6 und 7/8 und mit Wahlkursen in der Klassengruppe 9/10 oder mit horizontalen und vertikalen Leistungskursen, zwischen denen auch ein Aufsteigen - upgrading -und nicht nur ein Absteigen - downgrading - möglich sein muß. Nach den bisherigen Versuchen scheint es, daß bei einer frühzeitigen Einrichtung von Leistungskursen die Verteilung der Schüler wirkt wie die Zuteilung auf verschiedene Schularten, wodurch die Vorteile der Gesamtschule wieder zunichte gemacht werden.
10. Die Arbeitslehre
Entgegen dieser Tendenz, die Grund- und Hauptschule in ein differenziertes Gesamtschulsystem einzubürgern, gibt es eine andere Tendenz, die Hauptschule in ihrer Besonderheit nämlich für Schüler praktisch-technischer Begabung zu reservieren durch eine Arbeitslehre, die seit dem Gutachten des Bildungsrates der Mittelpunkt des Unterrichts in den oberen Klassen der Hauptschule sein soll. In jedem Bundesland gibt es vielfältige Versuche mit diesen, als Einführung in die späteren Berufe gedachten Schwerpunktfächern. Was Arbeitslehre sein soll, wie sie durchgeführt werden soll, ob als ein gesondertes Fach oder in Kombination mit anderen Fächern: Chemie, Physik, Mathematik, Hauswirtschaft, technischem Zeichnen und technischem Werken oder nur als ein Unterrichtsprinzip, ist von Bundesland zu Bundesland verschieden. Berlin ist in der Durchführung der Arbeitslehre bisher am weitesten fortgeschritten. Weder unter den Pädagogen noch in den Ministerien besteht eine Übereinkunft darüber.
Die VW-Stiftung hat eine Obersichtsreihe über das, was in jedem Bundesland unter Arbeitslehre verstanden und wie sie praktiziert wird, gefördert.
Die Diskussion über die Arbeitslehre ist ideologisch-weltanschaulich überfrachtet, so daß es schwer fällt, die sachlichen, didaktisch-methodischen Elemente zu isolieren, um die Leistung dieses Faches zu erkennen als Übergang und Vorbereitung zu einer berufsorientierten Bildung oder als Hinwendung zur »Arbeitswelt«. Es scheint, daß die Arbeitslehre ein Mittel ist, die Hauptschule als besonderen Schultyp zu erhalten, denn aus dem Umkreis der Ministerialbeamten und Direktoren, die für die Realschule zuständig sind und die als Experten befragt wurden, war eine Ablehnung der Arbeitslehre festzustellen. Sie hoffen, daß durch die Beschränkung der Arbeitslehre auf die Hauptschulen eine Integration der Schultypen in eine Gesamtschule entweder hinausgezögert oder vermieden werden kann. Die folgende Darstellung folgt der Bestandsaufnahme von Willi Voelmy«.[12] Sie konnte durch eigene Expertenbefragungen in den Ministerien und unter den Leitern der Hauptschulen ergänzt werden. Da die Einstellung zur Arbeitslehre in den Kultusministerien sich sehr voneinander unterscheidet, muß die Situation für jedes Land gesondert behandelt werden. Wie aus den Zitaten zum Bildungsziel der Volks- bzw. Hauptschule hervorgeht, war sie immer auf eine Vorbereitung für die spätere Erwerbsarbeit mit und ohne Lehre gerichtet. Der Schwerpunkt lag auf der Aneignung der sogenannten Kulturtechniken (Lesen und Schreiben), auf einer beschreibenden Naturgeschichte und Naturkunde und einer Geschichte der europäischen Völker, ferner auf dem Erwerb von Handfertigkeiten. Wie wir weiter sahen, unterschied sich ihr Lehrziel von den anderen Schulen durch ihre Volkstümlichkeit. Dieses Bildungsziel erwies sich mit dem Fortschritt der Technik und mit der Komplexheit des Produktionsprozesses, in den die Volksschüler sehr bald als Arbeitskräfte eingegliedert werden, als unzureichend. Es wurde deshalb der Umfang des Wissens um eine elementare Einführung in Physik, Chemie, Algebra und Geometrie erweitert. Erziehungsziel war aber immer noch der ordentliche, fleißige, saubere, sparsame Mensch. Die Produktionsstätten selbst blieben den Schülern - Jungen wie Mädchen - fremd. In der zweiten Hälfte der 6oer Jahre wurde eine »Hinführung zur Wirtschafts- und Arbeitswelt« als eine Art Gesamtunterrichtsprinzip aufgenommen. Die Arbeitslehre soll diesen Ansatz konkretisieren und erweitern.
In Bayern gab es bis 1969 keine Erlasse des Staatsministeriums für Unterricht und Kultus, die für die Lehrer verbindlich waren, wie die »Hinführung zur Berufswelt« im Unterricht geleistet werden sollte. In dem Lehrplan für das 9. Schuljahr von 1968 war die »Hinführung zur Arbeitswelt« weder als Fach noch als Unterrichtsprinzip aufgeführt; sie galt nur als eine Unterrichtseinheit unter anderen. In den Richtlinien für die bayerischen Volksschulen, mit denen die früher erlassenen Anweisungen für das 9. Schuljahr wieder außer Kraft gesetzt wurden, erschien statt dessen ein selbständiges Unterrichtsgebiet »Arbeits- und Soziallehre«, die sich auf Kern- und Kursfächer verteilt. Im Kern-unterricht wird ihr »allgemeiner Teil« abgehandelt als eine Art allgemeiner Wirtschaftskunde und Staatsbürgerkunde mit den Schwerpunkten Berufsberatung, Jugendschutz, Freizeitgestaltung, und für die Mädchen mit dem Schwerpunkt: die Stellung der Frau in der Gesellschaft. Da in Bayern keine Koedukation besieht, sind die Mädchen sowohl in den Kernfächernjjnter sich als auch in den praktischen Fächern. In den Kursfächern werden praktische Arbeiten in den verschiedenen Fachgebieten: technisches Werken, technisches Zeichnen, Hauswirtschaft und Handarbeit durchgeführt; sie sind Pflichtwahlfächer. Jungen könnten sie auch wählen, wenn an den Jungenschulen die entsprechenden Lehrkräfte und Räume vorhanden wären. Es wird aber mit einer durch Konvention geregelten Wahl gerechnet, denn in den Lehrplänen für Hauswirtschaft und textiles Werken wird nur von Schülerinnen oder Mädchen geredet. Aus den inhaltlichen Erläuterungen für diese Fächer geht keine Modernisierung oder Umstrukturierung des alten Hauswirtschafts- oder Handarbeitsunterrichts hervor, so daß nicht ersichtlich ist, was diese Fächer zu einer Arbeitslehre beitragen könnten.
Aus regionalen Modellen ist zu entnehmen, daß in Bayern die Tendenz dahin geht, die Arbeitslehre weder als Lehrfach noch als Unterrichtsprinzip zur Geltung zu bringen. Sie soll Gegenstand fachübergreifender Vorhaben sein, deren Akzent auf berufsbezogenen Lehrgängen für bestimmte Materialien (Holz, Metall, Papier, Pappe, Ton etc.) liegt. Inwieweit Mädchen an diesem Vorhaben auch beteiligt sind, war nicht zu erfahren. Da die Mädchen vom Werken ausgeschlossen sind, ist es unwahrscheinlich, daß die gleichen Vorhaben für sie durchgeführt werden; wahrscheinlich ist es, daß für sie nur im Bereich der Hauswirtschaft und des textilen Werkens solche vorgesehen sind. In Baden-Württemberg hatte die Hauptschule bis 1967 »eine allgemeine Bildung als Grundlage für eine erfolgreiche Berufsausbildung« zu vermitteln. Erst in den »vorläufigen Arbeitsanweisungen für die Hauptschulen« tauchen die Begriffe »Hinführung zur modernen Arbeits- und Wirtschaftswelt« auf. Was darunter aber zu verstehen ist, wird nicht festgelegt; ein Bildungsplan für Arbeitslehre soll erst noch ausgearbeitet werden. Bis zu diesem Zeitpunkt bleibt sie Unterrichtsprinzip; d.h. in die bestehenden Fächer der Hauptschule sollen Themen aufgenommen werden, die die Schüler besser als bisher mit wirtschaftlichen Fragen und Berufen bekannt machen. Vom Kultusministerium wurde inzwischen eine Kommission für Arbeitslehre gebildet, die die Aufgabe hat, Unterrichtsvorschläge auszuarbeiten, die 1971 vorliegen sollen. Inzwischen werden die Lehrstoffe der technischen Fächer Werken und Hauswirtschaft überarbeitet, damit sie einen Teil der Arbeitslehre bilden können; der Werkunterricht soll vom freien Werken in ein technisch-konstruktives Werken umgewandelt werden. Noch ist er ein Unterricht nur für Jungen; wenn in Zukunft auch Mädchen Werkunterricht erhalten, so soll »die unterschiedliche Interessenlage« der Mädchen gegenüber den Jungen berücksichtigt werden, woraus hervorgeht, daß in Baden-Württemberg immer noch eine spezifische »Mädchenbildung« aufrechterhalten wird, die aber die gleichen Ziele im technischen Werken erreichen soll wie für die Jungen. Das Unterrichtsfach Hauswirtschaft soll in Zukunft auch den Jungen angeboten werden; auf jeden Fall aber sollen auch hier unterschiedliche inhaltliche Schwerpunkte für Jungen und Mädchen gesetzt werden. Bei den Mädchen soll die Geschmacksbildung im Mittelpunkt stehen ebenso wie die Handhabung der im Haushalt gebräuchlichen Geräte. Soweit eine Wirtschaftskunde in den Hauswirtschaftsunterricht aufgenommen wird, soll eine Erziehung zur »sparsamen«, aufgeklärten« Konsumentin die Basis der Mädchenerziehung sein.
Diese Konzeption rechnet mit einem Bildungstransfer aus der Hauswirtschaft zu den Unterrichtsinhalten der Berufs- und Berufsfachschulen. Obwohl es keine Untersuchungen darüber gibt, ob ein Bildungstransfer auch tatsächlich stattfinden kann, wird behauptet, daß durch die Veränderung des Hauswirtschaftsunterrichts die »Diffamierung der Mädchen als spätere Nur-Haus-frauen« aufgehoben sei.
In dem 1968 erschienenen vorläufigen Bildungsplan für die Klassenstufe 5 und 6 im Saarland wird zum Fach Werkerziehung die Arbeitslehre als Begriff eingeführt. Der Bildungsplan für die Klassen 7 bis 9 enthält auch die Aufgabe, die Schüler auf das »Leben in der Industriegesellschaft« vorzubereiten. Damit wurde die Arbeitslehre als Unterrichtsprinzip eingeführt. Der zuständige Ministerialbeamte und ein Leiter einer Hauptschule in Saarbrücken berichteten von einem Versuch, Arbeitslehre als Fach im Verbund mit Werkerziehung und mit dem Unterricht in Physik und Chemie einzuführen. Im Saarland gibt es zur Zeit nur einen Lehrer, der in einem Sonderkurs eine Spezialausbildung für Arbeitslehre erhielt. Erst in drei Jahren kann eine größere Anzahl solcher Fachlehrer zur Verfügung stehen. Als Unterrichtsprinzip wird die Arbeitslehre in Mathematik, Erdkunde, Chemie, Physik, in Werkerziehung und im »Frauenschaffen« (textiles Werken, Hauswirtschaft) eingeführt. Solange Arbeitslehre weder ein Unterrichtsbereich noch ein Fach ist, bleiben die Mädchen auf diese traditionellen Fächer verwiesen; ebenso wie die Jungen nehmen sie an Betriebspraktika und Betriebserkundungen teil, sofern solche durchgeführt werden können. Während das Ministerium von einem weitgehenden Entgegenkommen der Unternehmen überzeugt ist, berichteten die Schulleiter von örtlichen Schwierigkeiten, die sich aus der Ablehnung der Betriebe ergeben.
Der in Hessen noch geltende Bildungsplan für das 9. Volksschuljahr von 1962 bestimmt, daß »die Hinführung zur Arbeitswelt eine grundlegende Aufgabe für alle Bildungsbereiche des 9. Schuljahres« sei. Dieses Bildungsziel ist als Unterrichtsprinzip aufzufassen, dessen Schwerpunkt in den Fächern Werken und Familienhauswesen liege. Diese Fächer werden meistens noch getrennt unterrichtet, es sei denn, daß Arbeitsgemeinschaften für Jungen und Mädchen gemeinsam angeboten werden. Anstelle einer Arbeitslehre wurden in verschiedenen Städten seit drei Jahren Schulversuche mit »Modell-Projekten« unternommen, in denen bestimmte Themenkreise dominieren, z. B. die Serienfertigung. Diese Projekte wurden zuerst im Unterricht erarbeitet in bezug auf ihre arbeitstechnisch-funktionalen, ihre betriebswirtschaftlich-ökonomischen und ihre sozialen Komponenten; daran schließen sich Betriebserkundungen und Betriebspraktika an. In einer dritten Phase werden die theoretisch erarbeiteten Gesichtspunkte mit den praktischen Erfahrungen verglichen. Diese Modell-Projekte wurden in wissenschaftlichen Untersuchungen ausgewertet.
Außerhalb dieser Versuche bleibt der getrennte Unterricht von Mädchen und Jungen in Werken und Hauswirtschaft bestehen. In Nordrhein-Westfalen enthalten die »Grundsätze«, Richtlinien, Lehrpläne für die Hauptschule« den Unterrichtsbereich »Arbeitslehre / Hinführung zur Wirtschafts- und Arbeitswelt«, dem die Aufgabe zugewiesen wird, eine »elementare, wenn auch zunehmend anspruchsvollere Einführung in Zusammenhänge, Erkenntnisformen und grundlegende Fähigkeiten und Fertigkeiten, die geeignet sind, ein erstes Verständnis der modernen Arbeits-, Berufs- und Wirtschaftswelt, ihrer technischen Voraussetzungen und der gesellschaftlichen und politischen Zusammenhänge... zu vermitteln«. Es sind die Fächer Naturlehre, Naturkunde, Rechnen und Raumlehre, Geschichte und politische Bildung, Erdkunde und Deutsch als Kernfächer beteiligt in enger Kooperation mit technischem Werken, Wirtschaftslehre und Hauswirtschaft. In Nordrhein-Westfalen ist also Arbeitslehre sowohl ein Unterrichtsprinzip als auch eine Fächergruppe. Als Prinzip wird sie von der 1. bis zur 9. Klasse in die herkömmlichen Unterrichtsfächer aufgenommen, als Fächergruppe erscheint sie in den Klassen 5 bis 9 der Hauptschule. Da diese Kombination von Arbeitslehre mit den anderen Fächern nicht gleichzeitig während eines ganzen Schuljahres möglich ist, werden von Trimester zu Trimester wechselnde Kombinationen vorgenommen: Arbeitslehre - Wirtschaftslehre, Arbeitslehre - technisches Werken, Arbeitslehre - Hauswirtschaft, an denen sowohl Mädchen als auch Jungen teilnehmen können. Für technisches Werken und Hauswirtschaft stehen genügend Fachlehrer zur Verfügung, die zusätzlich in Arbeitslehre geschult werden. Neue Schwierigkeiten entstehen aus der herkömmlichen Ausbildung der Hauptschullehrer für die Fächerkombination Arbeitslehre/Wirtschaftslehre. Es werden innerhalb des Lehrerfortbildungswerkes Kurse zur Einführung in die Volkswirtschaft veranstaltet. Als Dozenten werden sowohl Diplom-Handelslehrer als auch Praktiker aus Unternehmen, Banken und Sparkassen herangezogen. Der Deutsche Sparkassen- und Giroverband hat Unterlagen für diese Lehrgänge erarbeitet. Die großen Geschäftsbanken sind diesem Beispiel gefolgt. In diesen Lehrerfortbildungskursen erhalten die Banken und Unternehmungen und deren Verbände zum ersten Mal die Gelegenheit, ihre Auffassungen über Wirtschaftstheorie und Wirtschaftspolitik für den Unterricht in der Hauptschule unmittelbar zur Geltung zu bringen.
Da in Bremen noch der Lehrplan für die Hauptschule von 1959 gilt, kann aus ihm nichts über die Arbeitslehre erfahren werden. Neue Lehrpläne sind zur Zeit in Bearbeitung; sie sollen voraussichtlich für das Schuljahr 1970/71 zur Verfügung stehen. Dann wird eine Arbeitslehre berücksichtigt werden, ob als Fach oder als Unterrichtsbereich in Kombination mit den Fächern Chemie, Physik, Mathematik, Wirtschaftskunde, technisches Werken, Hauswirtschaft und textiles Gestalten ist noch ungewiß. Es war im Sommer des Jahres noch nicht sicher, welche Vorstellung sich in den Lehrplänen letztlich durchsetzen würde, ob die der Referenten beim Senator für das Bildungswesen oder die der Vertreter des schulpraktischen Instituts. Der gegenwärtige Bildungsplan der Hauptschule soll nach Ansicht der Schulverwaltung bereits genügend Anhaltspunkte bieten, die Arbeitslehre einzuführen, weil die technischen Fächer vom Beginn der Unterrichtsplanung an mit ausreichenden Stunden dotiert worden seien. Bei der Durchsicht der Stundentafel ergab sich, daß die Jungen in der 8. und 9. Klasse 4 Stunden Werkunterricht erhalten. Die Mädchen sind von diesem ausgeschlossen; sie erhalten in der 8. Klasse statt dessen 2 Stunden Hauswerk und 2 Stunden Nadelarbeit und in der 9. Klasse 4 Stunden Hauswerk und 2 Stunden Nadelarbeit. Am Physik- und Chemieunterricht nehmen sie nicht teil. Diese Diskriminierung könnte durch die Arbeitslehre dann aufgehoben werden, wenn sie in gleicher Weise an allen Kombinationen, die auch hier im Trimesterwechsel vorgenommen werden sollen, teilnehmen.
Die Richtlinien für die Erziehung und den Unterricht in den Klassen 7 bis 9 der Hauptschulen traten in Hamburg i960 in Kraft und gelten noch als Leitlinien und Lehrpläne für den Unterricht. Seit 1965 ist der Unterricht darauf ausgerichtet, die Schüler der Volksschuloberstufe »unter pädagogischen Aspekten während der letzten Schuljahre auf die Begegnung mit der Arbeitswelt vorzubereiten«. Es handelt sich also hier wiederum um ein Unterrichtsprinzip und nicht um ein gesondertes Fach. Aus den vorläufigen Richtlinien für die 9. und 10. Klasse der Hauptschule läßt sich erkennen, daß neben der politischen Bildung und der Einführung in das kulturelle Leben eine Einführung in die Arbeits- und Wirtschaftswelt als die dritte zentrale Bildungsaufgabe vorgesehen ist. In der Schulbehörde wird die Auffassung vertreten, daß an den bisherigen Intentionen aus dem Jahre 1960 bei der Einführung einer Arbeitslehre nichts verändert zu werden braucht. In den »Richtlinien für die Erziehung und den Unterricht für die Klassen 7 bis 9 der Volksschule« wurde seinerzeit festgelegt:
»Bei dieser Einführung ist der Blick immer wieder auf den Menschen in seiner Arbeit zu lenken. Der Schüler soll erfahren, was der Arbeitsplatz für den Menschen bedeutet, wie Arbeitgeber und Arbeitnehmer aufeinander angewiesen sind, welche Rolle das Betriebsklima spielt, welche Sicherungen bei Arbeitslosigkeit und Arbeitsunfähigkeit vorhanden sind. An einem Beispiel soll dem Schüler der Weg vom Rohstoff zum Fertig-Fabrikat, von Erzeuger zum Verbraucher gezeigt werden. Hierbei treten auch technische Fragen auf, die am besten an dieser Stelle des Unterrichts behandelt werden. So lernt der Schüler einige wichtige Rohstoffe und ihre Verarbeitung, einige Energiequellen und Geräte und Maschinen kennen. Die praktische Arbeit in den Schulwerkstätten und anderen Fachräumen verhindert, daß nur Buchwissen vermittelt wird.«[13]
Die Mädchen werden in Hamburg nur dann nicht in der Arbeitslehre benachteiligt sein, wenn sie gemeinsam mit den Jungen an allen Fächerkombinationen teilnehmen und Jungen auch an der Kombination Arbeitslehre / Familienhauswesen teilnehmen müssen und nicht nur können; ferner wenn sie ebenso wie die Jungen an Betriebserkundungen und Betriebspraktika in denselben Unternehmungen oder Wirtschaftsbereichen beteiligt werden.
In Berlin gab es bereits seit 1957 eine »Erkundung der Berufsund Arbeitswelt« neben einer »Kultur- und Gemeinschaftskunde«. 1968 fiel bereits die Entscheidung für Arbeitslehre als Unterrichtsfach, dem eine bestimmte Wochenstundenzahl zugewiesen wurde. Für Ende 1970 wird ein konkreter Lehrplan für Arbeitslehre erwartet. Es ist noch nicht sicher, ob die Intention des beim Senator für das Schulwesen gebildeten Beirates für die Arbeitslehre verwirklicht werden wird, die im ersten Entwurf vom Sommer 1961 im Rahmenplan wie folgt formuliert wurde:
»Die Didaktik der Arbeitslehre kann davon ausgehen, daß der junge Mensch in der Regel sowohl aus der Schule wie nach Absolvierung der Universität Tätigkeiten in abhängiger Stellung übernehmen wird. Die Schule muß ihn auf seine Aufgaben als Produzent und Konsument vorbereiten; dabei die Arbeitswelt didaktisch auf die Pole >privater Haushalt< und >Unternehmung< reduziert. Die von Haushalt und Unternehmung abgeleiteten Inhalte werden durch betriebswirtschaftliche Überlegungen strukturiert, die politisch-soziale Prinzipien einbeziehen.«[14]
Die vom Beirat vorgelegten Stoffverteilungsplane sind nach Klassenstufen und nach Materialbereichen unterteilt. In der 7. Klasse zentriert sich die Arbeitslehre um die Fachbereiche Metall, Holz, Textil und Hauswirtschaft (Ernährung); in der 8. Klasse auf Elektrotechnik, Kunststoffverarbeitung, Textil und Hauswirtschaft; in der 9. Klasse auf Haushaltsplanung und Wohnen und auf die Analyse einer Unternehmung. In diesen Bereichen sollen bestimmte Vorhaben durchgeführt werden nach technologischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Gesichtspunkten.[15]
11. Die Benachteiligung der Mädchen
Die bisher beschriebenen Reformen der Hauptschule betreffen die Hauptschule als Schultyp. Sie sind für alle Schüler vorgesehen; die Mädchen sollen an ihnen genauso partizipieren wie die Jungen. Ob das tatsächlich der Fall ist, läßt sich nicht an den sogenannten Kernfächern demonstrieren, in denen Jungen und Mädchen in gleicher Weise unterrichtet werden. Unterschiede in der Unterrichtung von Jungen und Mädchen sind festzustellen in den naturwissenschaftlichen Fächern Chemie und Physik und in den praktischen Fächern: Nadelarbeit, Hauswirtschaft, Werken, technisches Werken, bei denen traditionale Auffassungen einer separaten Mädchenbildung auch heute noch verbreitet sind. Es scheint, daß in den meisten Bundesländern in der Grundschule die Grundlage für eine geschlechtsspezifische Auffassung von bestimmten Tätigkeiten gelegt wird. Während aus den Lehrplänen in Berlin und Schleswig-Holstein keine unterschiedliche Unterrichtung in Nadelarbeit und Werken zu erkennen ist, erfolgt in den anderen Bundesländern die Trennung von Mädchen und Jungen in der Grundschule entweder bereits in der ersten Klasse oder spätestens in der 3. Klasse. Die Jungen haben Werken und die Mädchen haben Handarbeit. Von welchem pädagogischen Standpunkt auch immer die Übung der Hand in den beiden Unterrichtsfächern Nadelarbeit und Werken getrennt für Jungen und Mädchen vorgenommen wird, sie ist im Lichte neuer pädagogischer Erkenntnisse nicht zu rechtfertigen.
Bei der Durchsicht aller Lehrpläne fand sich nur in den Lehrplänen der Realschulen von Nordrhein-Westfalen eine Erklärung für diese Aufteilung, die aber auch für die anderen Bundesländer gelten kann. Hier wird behauptet, daß Jungen mehr für das Konstruktive, Mädchen mehr für das Dekorative geeignet seien, deswegen sei Werken ein spezifisch für Jungen geeignetes Fach und die Nadelarbeit eines für Mädchen. Die Jungen stellen Gegenstände her (Holz, Metall, etc.), die Mädchen machen vor allen Dingen Verzierungen und färben Stoffe, verarbeiten Stoffe. Jungen sollen durch Werken zu »schöpferischem Gestalten* angeregt werden, die Mädchen durch Nadelarbeit zu Ordnung, Sauberkeit, Disziplin.
Die heutige Auffassung von Handarbeit in ihrer Begrenzung auf die Frau ist ein schlechtes Derivat aus der Zeit, in der ausschließlich Frauen textile Konsumgüter für den Familienbedarf herstellten. Die Auffassung, daß Werken eine ausschließlich männliche Angelegenheit sei, geht auf Zeiten zurück, in denen Männer die Gebrauchsgegenstände aus Holz, Metall, Stein etc. für den eigenen oder für fremden Bedarf herstellten. Im heutigen Schulunterricht wird also diese archaische Art der Arbeitsteilung konserviert. Werken und Nadelarbeit (textiles Werken) dienen aber erklärtermaßen in erster Linie nicht dazu, Gegenstände herzustellen, sondern manuelle Fähigkeiten, zu üben, der »Stillstellung der Hand«[16] entgegenzuwirken und Kräfte des Intellekts und der Phantasie zu wecken und zu bilden. In dieser Aufgabe sind sie gleicherweise für Jungen und Mädchen entscheidend. Die Trennung wird nur noch aus ideologischen Vorurteilen aufrechterhalten und aus einer mangelhaften Reflexion der bildenden Funktion der Bearbeitung von Textilien und anderem Material.
Erst in einem Rundschreiben des Kultusministeriums von Rheinland-Pfalz vom Juni 1970 an die Leiter sämtlicher Schulgattungen über die Sekundarstufe I wird diese Auffassung zurückgewiesen. Es heißt dort:
»Die Fächer Bildnerisches Gestalten / Werken / Textiles Gestalten werden in den Schulen in eigener Entscheidung mehrfach alternativ oder wechselnd zur Verfügung gegeben. Damit soll die geschlechtsspezifische, heute nicht mehr vertretbare Aufteilung dieser Fächer allmählich überwunden werden, ohne sofort zu einer Aufhebung dieser Sonderung zu zwingen. Eine unterschiedliche Wochenstundenzahl für Jungen und Mädchen gibt es damit nicht mehr.«[17]
Die praktischen Fächer sollen nicht nur dem Erwerb von Fähigkeiten und Kenntnissen dienen, sondern auch zu bestimmten Verhaltensweisen erziehen, die »Arbeitstugenden« genannt werden. Da der Werk- und Nadelarbeitsunterricht die gleichen Arbeitstugenden vermitteln soll, rechtfertigt sich auch von diesem Gesichtspunkt aus - wenn man ihn akzeptiert - eine Trennung nicht mehr. »... Werkerziehung... pflegt... Arbeitstugenden wie Ausdauer, Gewissenhaftigkeit, Exaktheit, Anpassungsfähigkeit und Bereitschaft zur Zusammenarbeit.«[18]
»Der Nadelarbeitsunterricht erzieht zu Fleiß und Ausdauer, Ordnung, Genauigkeit, Sauberkeit und Sparsamkeit, zum Dienst in der Gemeinschaft.«[19]
Diese Zitate könnten für die einzelnen Bundesländer beliebig vermehrt werden. In ihnen erscheinen nicht nur Verhaltensweisen, die zur Ausführung einer bestimmten Arbeit objektiv notwendig sind, sondern typische kleinbürgerlich-mittelständische Verhaltensweisen wie Fleiß, Sparsamkeit und Ordnung, die gerade das sogenannte Schöpferische des Kindes, das sie wecken sollen, zerstören. Außerdem sind diese Verhaltensweisen in der industriellen Fertigung unnütz geworden. In der Industrie wird das Arbeitstempo und das Arbeitsmaß vorgeschrieben oder durch Anreize (Akkord, Prämien) stimuliert. Die diesen Arbeitsbedingungen unterworfenen Menschen passen sich ihnen aus äußerem Zwang an. Es bedarf der Verinnerlichung dieses Zwanges, die wir mit der Kategorie des Fleißes bezeichnen, nicht mehr. Die Verinnerlichung, die als »Arbeitstugend« deklariert wird, wurde überflüssig. Fleißig sein bedeutet »unermüdlich arbeiten«; mehr tun als gefordert. Die Unermüdlichkeit wird durch die Apparatur, durch »Leistungssoll« erzwungen und durch finanzielle Anreize stimuliert.
Überflüssig, ja dysfunktional wird die Sparsamkeit in einer Zeit, in der der Verbraucher zur »conspicous consumption« (»Verschwendung«) angehalten wird durch Konsumwerbung. Sparsamkeit und Verschwendung drücken quantitative Relationen aus. Ein objektives Maß dessen, was Verschwendung und was Sparsamkeit ist, gibt es nicht. Die Psychoanalyse hat überdies vor mehr als 50 Jahren schon nachgewiesen, daß bereits während des 2. Lebensjahres die Familie in einer mit Strafe verbundenen Erziehung zur Reinlichkeit und Pünktlichkeit die Sozialisation leistete, welche die Grundlage einer Charakterstruktur schafft, der Sparsamkeit, Ordnungsliebe, Pünktlichkeit zur »zweiten Natur«, zum Bedürfnis wurde. Nadelarbeit und Werken verknüpfen diese »zweite Natur« an bestimmte Tätigkeiten. Die Passagen in den Lehrplänen zeugen von einer Verabsolutierung dieser Verhaltensweisen; sie werden »Verhaltensweisen an sich«. Warum ausgerechnet Nadelarbeit und Werken diese Erziehung leisten sollen und nicht andere Fächer wie Mathematik, Physik, Deutsch, entbehrt jeder Logik. Warum sind diese nicht charakterbildend? Weil es bei diesen Fächern auf die Schulung des Intellekts ankommt, worauf der Fachlehrer sich allein konzentriert? Die Verknüpfung ihrer Erziehungsziele gerade mit Nadelarbeit und Werken erweist deren gesellschaftliche Funktion. Für die später eher manuellen Tätigkeiten werden diese Verhaltensweisen an manuellen Fertigkeiten erprobt. Erziehung wird zu einer Methode, an ähnlichen Bewegungsabläufen Habitualisierungen zu erzeugen. Soll die Hauptschule als »weiterführende Schule« diese Habitualisierung leisten, die vornehmlich bei minder qualifizierten Tätigkeiten nötig ist? Mit Ordnung bezeichnet man:
- ein Anordungssystem im Raum;
- ein zeitlich-räumliches Bezugssystem;
- Handlungsmaximen.
In der industriellen Produktion wird das Anordnungssystem und das zeitlich-räumliche Bezugssystem durch Maschinen und
Apparatur und durch die Arbeitszeit weitgehend vorgeschrieben; die mit ihnen arbeitenden Menschen können sich ihnen nicht entziehen.
Diese Bezugssysteme und Verhaltensweisen rechtfertigen sich nur innerhalb einer bestimmten Form von Funktionalität. Wenn sie aber außerhalb solcher absolut gesetzt werden, dann verlieren sie ihren rationalen Charakter und dienen der Repression. Anleitung zur Ordnung beim Werken und bei der Nadelarbeit hat nur dann eine sachgerechte Funktion, wenn Ordnung zur Herstellung eines Gegenstandes, zur Methode der Herstellung unerläßlich ist. Aus den zitierten Stellen geht hervor, daß »Ordnung« keinen funktionalen Sinn haben, sondern zu einer »Verhaltensmaxime an sich« werden soll. Psychoanalyse und Sozialpsychologie haben erwiesen, daß autoritäre und zwangsneurotische Charakterzüge, also sowohl individuelle wie soziale Fehlhaltungen, entstehen, wenn Ordnung aus einem funktionalen Bezug herausgelöst und zu einem abstrakten Prinzip erhoben wird. Über dieses allgemeine Erziehungsziel hinaus wird die Nadelarbeit als ein Teil einer spezifischen »Mädchenbildung« angesehen, auch dann, wenn das nicht explizit in den Lehrplänen ausgesprochen wird. Allein durch die Trennung von Jungen und Mädchen gewinnen diese Unterrichtsfächer eine solche spezifische Bildungsfunktion. Diese Thesen lassen sich stützen durch die Fächerverteilung während der gesamten Schulzeit.
In Baden-Württemberg haben die Mädchen im 5., 6. und 7. Schuljahr textiles Werken und die Jungen im 5., 6., 7., 8. und 9. Schuljahr durchgehend Werken, beginnend mit freiem künstlerischen Werken und endend mit technischem Werken. Im 8. und 9. Schuljahr wird das textile Werken bei den Mädchen mit Hauswirtschaft im Stundenverbund gekoppelt.
Solange in Rheinland-Pfalz die oben erwähnte Angleichung der Lehrpläne noch nicht durchgeführt ist, haben die Mädchen in den Klassen 5 und 6 zwei Stunden textiles Gestalten und in den Klassen 7 und 8 im Verbund mit Hauswirtschaft ebenfalls zwei Stunden textiles Gestalten als Pflichtfach.
Die Jungen dagegen haben in den Klassen 5 und 6 je zwei Stunden Werken und in den Klassen 7 und 8 je vier Stunden Werken. In der 9. Klasse behalten die Jungen vier Stunden Werken, die Mädchen dagegen werden vier Stunden in »Familienhauswesen« unterrichtet.
Für das Saarland können nur Angaben für die Klassen 7 bis 9 der Hauptschulen gemacht werden, da der vorläufige Bildungsplan für die Klassen 5 und 6 vergriffen ist. Die Jungen haben während dieser Zeit ausschließlich Werken mit dem Ziel einer Werkerziehung, »deren Unterrichtsstunden zum Kernstück der Einführung in die Arbeitswelt< in der Hauptschule werden«.[20] Der Unterricht soll »die Einsicht in die technisch-materialen und technisch funktionalen Bedingungen der Formgebung sowie in die Kriterien ihrer Beurteilung erschließen und die notwendigen Arbeitstechniken lehren.«[21] Die Jahresthemen sind, Einblicke zu gewinnen in die Rationalisierung der Arbeitsprozesse, in die technische Planung und wirtschaftliche Kalkulation der Arbeitsprozesse und in die Verbundsysteme der technischen Arbeitswelt.
Von dieser allgemeinen Hinführung zu späteren Berufstätigkeiten in der Industrie sind die Mädchen ausgeschlossen. Sie werden während der gleichen Zeit in eine »neuzeitliche Haushaltsführung und bewußte Familienpflege« eingeführt, damit sie zu einer »tätigen Mithilfe im Familienkreis angeleitet werden«. »Neben der Weckung und Pflege des Sinns für Häuslichkeit« sollen warenkundliche Kenntnisse in der Textil- und Wirtschaftslehre gewonnen und durchdachte Arbeitsweisen angestrebt werden. Diese als »Frauenschaffen« herausgehobenen Tätigkeiten sollen »erfolgreicher als bisher« zu Frauenberufen hauswirt-schaftlich-pflegerischer und sozialpädagogischer Art erziehen, obwohl im Widerspruch dazu ausdrücklich festgestellt wird, daß »der hauswirtschaftlich-pflegerische Unterricht in der Abschlußklasse weder eine Berufsvorbereitung noch eine Berufsausbildung« vermittelt.[22]
Auch in Nordrhein-Westfalen wurden Mädchen und Jungen in den Klassen 5 bis 8 in Werken und Nadelarbeit getrennt; durch die Einführung der Arbeitslehre ergeben sich hier aber Veränderungen, die an anderer Stelle besprochen wurden. Nach dem Erlaß des Kultusministeriums von Niedersachsen zur Umstrukturierung der 3. Bildungsstufe in der Volksschule vom Juli 1967 soll »die Arbeit in der Oberstufe der Volksschule mehr als bisher die Erfordernisse des heutigen gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Lebens berücksichtigen.« Es soll ein »wirklichkeitsnaher Einblick in die Welt der Arbeit und des Berufes vermittelt werden«.[23]
Diese Forderung kann jedoch nicht in allen Schulen erfüllt werden, und es bleibt vorerst bei einem getrennten Angebot für Jungen und Mädchen. Der Werkunterricht für Jungen soll zu technischem Denken und Handeln erziehen und auf eine systematische Arbeitsplanung vorbereiten.[24] Die Unterrichtsziele im textilen Werken werden diesen Plänen gemäß verändert; naturwissenschaftlich-technologische und technische Probleme sollen im Mittelpunkt stehen.
In dem niedersächsischen Erlaß wird ein Kompromiß gesucht zwischen den neuen Zielsetzungen und den alten Bildungsvorstellungen der isoliert voneinander unterrichteten Fächer.
In Schleswig-Holstein ist das Bildungsziel des Faches Werken in der Hauptsache die Entwicklung »der schöpferischen Kräfte und der praktischen Anlagen des Schülers«.[25] Der Schwerpunkt liegt im sogenannten freien Werken, wenn auch auf die Auseinandersetzung mit technischen Problemen Wert gelegt wird. Es ist hier deutlich ein Kompromiß zwischen Werken als einem »musischen Gestalten« und einem technischen Werken festzustellen. Die Unterrichtsverwaltung entscheidet sich ausdrücklich weder für das eine noch für das andere; umso weniger ist die sich über die gesamte Schulzeit erstreckende Trennung von Mädchen und Jungen in diesem Fach gerechtfertigt. Die Jungen haben in den Klassen 5 bis 7 Werken, die Mädchen zur gleichen Zeit textiles Werken, wobei sie auf eine »sinnvolle Umweltgestaltung im häuslichen Bereich« verwiesen werden, indem sie textile Gebrauchs- und Schmuckgegenstände herstellen.[26] Der Bildungsplan für die Hauptschulen in Schleswig-Holstein sieht neben
Bayern die größte Unterscheidung von Mädchen und Jungen in den beiden oberen Klassen vor. Aus einer Familienideologie heraus werden sie nicht nur in Hauswirtschaft unterrichtet; diesem Fach wird auch noch gegenüber den Arbeitsgemeinschaften ein solcher Vorrang gegeben, daß ihnen nur zwei Stunden für Arbeitsgemeinschaften zugebilligt werden gegenüber vier Stunden, die den Jungen vorbehalten sind. Obwohl den Mädchen gemeinhin eine größere künstlerische Begabung zugesprochen wird, werden sie auch im musischen Unterricht gegenüber den Jungen benachteiligt. Sie erhalten entweder im bildhaften Gestalten oder in Musik eine Stunde weniger.
Abgesehen davon, daß die Einführung eines Physik- und Chemie-Unterrichts nach heutiger Erkenntnis in der Klasse 9 zu spät angesetzt ist, erhalten Mädchen nur eine Stunde, während die Jungen mit zwei Stunden bedacht werden. In dieser Fächer- und Stundenverteilung gerät die Praxis des Schulunterrichts mit dem erklärten Ziel der Hauptschule, auf die »spätere Arbeitswelt« vorzubereiten, in der ein »hohes Maß an theoretischem und praktischen Können« verlangt wird, in Konflikt.
In Hamburg werden nach den Lehrplänen von 1960 bis zur Klasse 8 noch Jungen und Mädchen getrennt in Nadelarbeit und Werken unterrichtet. In der 9. Klasse und, soweit es bereits ein 10. Schuljahr gibt auch in der 10. Klasse, tritt anstelle von freiem Werken das technische Werken mit 4 Wochenstunden für Jungen und für Mädchen das Familienhauswesen. Jedoch empfehlen die vorläufigen Richtlinien für die Klassen 9 und 10 vom Dezember 1968, auch Jungen an diesem Unterrichtsfach teilnehmen zu lassen, und zwar an dem Tag, an dem 8 Stunden unterrichtet werden.
Wie in anderen Bundesländern steht das technische Werken in enger Verbindung zur Naturlehre und soll in die Arbeits- und Wirtschaftswelt einführen. Es ist aus den vorläufigen Richtlinien nicht zu ersehen, ob die Mädchen von dem technischen Werken ausgeschlossen sind oder ob sie an die »Vorhaben«, die über eine Unterrichtsepoche durchgeführt werden, teilnehmen. Diese Fächer mit ihren vorwiegend konkreten und praktischen Bezügen fügen sich in das ein, was als eines der Hauptziele der Hauptschule bezeichnet wird:
»Sich in das Arbeitsleben einzuordnen, sich in das soziale und politische Leben einzugliedern und am kulturellen Leben teilzunehmen.«[27]
Diese Zielsetzung betont ausdrücklich die Anpassung an vorgefundene Situationen, weil angenommen wird, daß die in der Hauptschule verbliebenen Jungen und Mädchen ihr Denken und Handeln in einer
»unmittelbaren Begegnung mit Menschen und Dingen entwickeln«.[28]
Es wird also angenommen, daß diese Schüler sich in der Erwerbsarbeit mehr reaktiv verhalten als Eigeninitiative zeigen; sie sollen sich in Situationen zurechtfinden, ohne selber Situationen herzustellen.
Auch in den Bremer Lehrplänen ist in der Oberstufe der Hauptschule eine durchgehende Trennung von Mädchen und Jungen in Handarbeit und Werken durchgeführt. Während für Jungen in der 8. Klasse das Werken auf 4 Stunden ausgedehnt wird, erhalten die Mädchen statt dessen noch zwei Stunden Hauswerk in der 8. Klasse. In der 9. Klasse werden für die Jungen zwei Stunden Physik und Chemie eingeführt, von denen die Mädchen völlig ausgeschlossen sind; sie haben statt dessen 4 Stunden Hauswerk und zwei Stunden Nadelarbeit. Die Lehrpläne der Hauptschule sind in Bremen aber in Überarbeitung. In Zukunft wird durch die Arbeitslehre und ihre Kombination mit naturwissenschaftlichen und praktischen Fächern, die sowohl für Jungen und Mädchen verbindlich sind, sich die Situation für Mädchen verbessern.
In Bayern haben nach den noch geltenden Richtlinien Jungen in den Klassen 5, 6, 7 und 8 zwei Stunden Werken als Pflichtfach und Mädchen drei Stunden Handarbeit als Pflichtfach. Durch diese unterschiedliche Dotierung ergibt sich für die Mädchen im Unterschied zu den Jungen durch die gesamte Schulzeit der Hauptschule hindurch eine Benachteiligung auch in den Kern-fjjichern. In der 5. Klasse haben die Mädchen nur 5 Stunden Deutsch gegenüber 6 Stunden für die Jungen; in der 6. Klasse eine Stunde Naturkunde gegenüber zwei Stunden für die Jungen; in der 7. Klasse eine Stunde Naturlehre gegenüber 2 Stunden für die Jungen; in dieser Klasse haben die Mädchen außerdem nur 3 Stunden Kursunterricht (Wahlfächer), darunter textiles Gestalten, gegenüber 5 Stunden Kursunterricht für Jungen, in denen kein textiles Gestalten enthalten ist; in der 8. Klasse haben die Mädchen nur 4 Stunden Deutsch und 4 Stunden Sozialkunde, Geschichte und Erdkunde als Pflichtfach; die Jungen jedoch 5 Stunden Deutsch und 5 Stunden Sozialkunde, Geschichte und Erdkunde. Sie behalten ihre 2 Stunden Naturlehre bei, die Mädchen bleiben bei ihrem einstündigen Unterricht. Auch in dieser Klasse werden den Mädchen nur drei Stunden Kursunterricht angeboten, in denen textiles Gestalten enthalten ist, den Jungen jedoch 5 Stunden ohne textiles Gestalten. Während der gesamten Hauptschulzeit entfallen auf die Mädchen 16 Stunden Handarbeit und 6 Stunden Hauswirtschaft; durch die Jahre hindurch haben sie 2 Wochenstunden Deutsch, eine Wochenstunde Soziallehre, eine Wochenstunde Naturkunde, zwei Wochenstunden Naturlehre und vier Wochenstunden Kursfächer weniger als die Jungen. Sie sind also während der gesamten Hauptschulzeit den Jungen gegenüber benachteiligt. Obwohl der Begriff »Mädchenbildung« in den Richtlinien nicht auftaucht, läßt sich an dieser unterschiedlichen Stundendotierung ablesen, daß der Kultusverwaltung eine Art »Mädchenbildung« vorschwebt, die sich in dem Übergewicht der Hauswirtschaft und Nadelarbeit und in der Vernachlässigung ihrer mathematisch-naturwissenschaftlichen Wissenserweiterung ausdrückt. Sie sollen offenbar in naturkundlichen Fächern, in Deutsch und Sozialkunde nicht mit dem gleichen Wissen ausgestattet werden wie die Jungen. Dadurch gerät die Unterrichtspraxis mit dem erklärten Ziel der Volksschule,
»den Schüler nicht nur mit dem Wissen und Können auszurichten, das er im Beruf braucht, sondern ihm auch zu helfen, die menschliche Reife für das Leben in der Arbeitswelt zu gewinnen«,
in krassen Gegensatz. Eine solche unterschiedliche Behandlung von Jungen und Mädchen wie in den Bundesländern gibt es offenbar
in Berlin nicht; aus den Lehrplänen ist keine unterschiedliche Behandlung von Mädchen und Jungen in Werken, Nadelarbeit, Hauswirtschaft und technischem Werken zu entnehmen.
12. Der Hauswirtschaftsunterricht
In Baden-Württemberg wird in den Klassen 8 und 9 der Hauptschule Hauswirtschaft als Pflichtfach für Mädchen aufgenommen, in der abwechselnd mit textilem Werken 4 Stunden unterrichtet wird. Außerdem besteht noch eine Arbeitsgemeinschaft, die für Mädchen und Jungen getrennt angeboten wird. Während die Jungen nur Anleitungen zur Selbstversorgung in »Notfällen« erhalten, umfaßt sie für Mädchen Nahrungsmittelzubereitung, Ernährungslehre, Haus-, Heim-, Wäsche-, Kleiderpflege, Körperpflege, häusliche Krankenpflege, Säuglingspflege.
In Rheinland-Pfalz besteht die Hauswirtschaft als Pflichtfach in den Klassen 7 und 8 für Mädchen mit Unterrichtsstunden; in der Klasse 9 wird die Hauswirtschaft zum Familienhauswesen mit 4 Wochenstunden für Mädchen erweitert, mit denselben Unterrichtsgegenständen wie in Baden-Württemberg. Für Jungen kann eine Arbeitsgemeinschaft mit denselben Bildungszielen wie in Baden-Württemberg eingerichtet werden, wenn genügend Schüler sich dazu melden.
Im Saarland wird Hauswirtschaft und textiles Werken als Pflichtfach für Mädchen in den Klassen 7-9 zu einem »Frauenschaffen« zusammengefaßt. Die Hauswirtschaft umfaßt hauptsächlich Nahrungszubereitung und Ernährungslehre. In Bayern erhalten die Mädchen in der 7. Klasse zwei Stunden Hauswirtschaft als Pflichtfach, in der 8. Klasse 4 Stunden und in der 9. Klasse wieder zwei Stunden; in diesem Schuljahr sollen Jungen und Mädchen gemeinsam unterrichtet werden. Diese Richtlinie kann aber nur als eine Konzession an die vieldiskutierte Auffassung gelten, daß Hauswirtschaft auch für Jungen in der heutigen Zeit wichtig sei. Diese Interpretation der Richtlinie ist zulässig, da in dem Stoffverteilungsplan immer nur von Schülerinnen gesprochen wird. Im Lehrplan fehlt ein Wahlfach oder eine Arbeitsgemeinschaft Hauswirtschaft. Die Unterrichtsgegenstände sind die gleichen wie in Baden-Württemberg. In Nordrhein-Westfalen gibt es Hauswirtschaft nach den neuen Lehrplänen von 1968 zusätzlich als Arbeitsgemeinschaft. Im übrigen wird sie als gesondertes Fach in die Arbeitslehre aufgenommen, wie es auch in
Rheinland-Pfalz und im Saarland geplant ist.
In Niedersachsen ist sie bereits seit 1967 im Rahmen einer modifizierten Arbeitslehre enthalten.
In Hamburg besteht in der 9. Klasse für Mädchen als Pflichtfach 4 Stunden Familienhauswesen.
In Bremen wird »Hauswerk« in der 8. Klasse mit zwei Stunden und in der 9. Klasse mit vier Stunden als Pflichtfach für Mädchen unterrichtet.
In Schleswig-Holstein besteht eine ähnliche Regelung wie in Bremen, nur mit dem Unterschied, daß in der 8. Klasse drei Stunden und in der 9. Klasse 4 Stunden als Pflichtfach für Mädchen vorgesehen sind.
Aus den Lehrplänen
von Berlin ist keine unterschiedliche Unterrichtung in Hauswirtschaft für Mädchen zu entnehmen; Stoffpläne, die vielleicht einen Anhaltspunkt dafür hätten geben können, wurden nicht geliefert.
Nicht von dem Unterrichtsfach »Hauswirtschaft an sich« geht eine Benachteiligung der Mädchen aus. Sie entsteht erst im Zusammenhang mit den anderen Fächern, insbesondere mit den naturwissenschaftlichen, durch Stoffpläne, durch den Stundenausgleich und dadurch, daß der Hauswirtschaftsunterricht als traditionelle »Mädchenbildung« den anderen Fächern gegenübergestellt wird und er zu besonderen Arbeitstugenden für Frauen anleiten soll. Für diese These seien einige Zitate als Beweis angeführt:
- »Das Abschlußjahr will jene Haltung wecken, die auf eine Bewährung im Familien-, Wirtschafts- und Gemeinschaftsleben abzielt. In den hauswirtschaftlich-pflegerischen Übungsräumen sollen neben den gestaltenden die geistig-seelischen Kräfte angeregt und gefördert werden.«[30]
- »Die Hinführung zu den Frauenberufen in hauswirtschaftlich-pflegerischer und sozialpädagogischer Art kann erfolgreicher als bisher angestrebt werden.«[31]
- »Auch das Bildungsgut der Physik und Chemie wird dem Lebenskreis der Mädchen entnommen.«[32]
- »Der lebenspraktische Unterricht für Mädchen weckt und pflegt den Sinn für Familienleben und Häuslichkeit... Er entwickelt die Bereitschaft und Fähigkeit zu helfen und zu pflegen.«[33]
- »Der lebenspraktische Unterricht soll der Berufsfindung dienen und dem Mädchen die notwendigen Voraussetzungen geben, seine Aufgabe im Berufsleben zu erkennen, zu erfüllen und dabei frauliche Eigenart zu bewahren und im öffentlichen Leben zu bewähren.«[34]
- »Der Unterricht im Familienhauswesen hat eine dreifache Aufgabe zu erfüllen:
- - Erziehung zur Familie
- - Erziehung zur Staatsbürgerin
- - Erziehung zur Berufswelt der Frau.«[35]
Der hauswirtschaftliche Unterricht soll helfen, die in der Familie anfallenden Aufgaben »geistig zu durchdringen«:
»Dazu bedarf es nicht nur technischer Fertigkeiten, sondern auch... einer Fähigkeit zu planen... aber auch einer bestimmten Arbeitshaltung und Charakterbildung. Treu im Kleinen, Verantwortungsgefühl für Familie und Volk (volkswirtschaftliches Denken in der Haushaltsführung), Ordnung, Sauberkeit, zweckmäßige Zeiteinteilung, sparsame Führung der Haushaltskasse, all diese notwendigen Tugenden muß der Unterricht im Familienhauswesen durch Gewöhnung und Vermittlung von Sachwissen als Grundlage schaffen.«[36]
»Unbedingt erforderlich ist:... Mädchen die Wichtigkeit von Hauswirtschaft und Handarbeit nahezulegen.«[37]
Der Hauswirtschaftsunterricht erhebt den Anspruch, Begriffe der Volkswirtschaftslehre über den privaten Haushalt »als wirtschaftliche und soziale Einheit« »erfaßbare Zusammenhänge und Wechselbeziehungen zwischen Familienhaushalt und Volkswirtschaft aufzudecken.
»Es ist wichtig, Begriffe wie Bedarf, Nachfrage, Werbung, Wirtschaften und Tätigkeiten wie Reiben, Raspeln, Schlagen und ihre fachgerechte Bezeichnung anschaulich zu machen und mit klaren Vorstellungen zu verbinden, wenn sie Bestandteil eines grundlegenden Wissens werden sollen.«[38]
»Der hauswirtschaftliche Unterricht wird im 7. Schuljahr nicht selbständig weitergeführt. In dieser Klasse wird der Lehrstoff der Wirtschaftslehre des Haushalts von dem Unterricht in Wirtschaftslehre mit übernommen, und zwar innerhalb der Orientierungsfelder: Markt, Preise, Geld. So wird durch die Verbindung der beiden Fächer, Wirtschaftslehre und Hauswirtschaft, weitgehend ein stufenweiser Aufbau und eine Kontinuität innerhalb des Bildungskanons des hauswirtschaftlichen Unterrichts erreicht.«[39]
Diese Unterrichtsziele gehen aus von der unbewiesenen und fragwürdigen Identität von wirtschaftlichen Verhaltensweisen der Frauen als Privatpersonen und wirtschaftlichen Entscheidungen von Unternehmen in der Gesamtwirtschaft. Indem so verfahren wird, trägt die Hauswirtschaft eher zur Verwirrung als zur Aufklärung bei über das, was Wirtschaftstheorie ist. Die
Amtsblatt des Hessischen Ministers für Erziehung und Volksbildung. Sondernummer 1/1957, Bildungspläne für allgemeinbildende Schulen, S. 42. (1971 sollen in Hessen die neuen Bildungspläne, an denen bereits seit mehreren Jahren gearbeitet wird, fertiggestellt werden.
Kurzka/Winkler: Kommentar zum Lehrplan für den 9. Schülerjahrgang an Hauptschulen in Bayern 1969, S. 12.
Grundsätze, Richtlinien, Lehrpläne für die Hauptschule in Nordrhein-Westfalen, 1968, S. B 10/110.
Grundsätze, Richtlinien, Lehrpläne für die Hauptschule in Nordrhein-Westfalen, S. B 10/118.
Ideologisierung besteht in der Ansicht, daß die Komplexität der Ökonomie erfaßt werden könne über die Organisation und Planung eines privaten Haushaltes.
Es lassen sich also drei Arten von Diskriminierung der Mädchen in den Hauptschulen fast aller Bundesländer feststellen:
- Durch eine ersichtliche unterschiedliche Stundenverteilung meistens in den Kernfächern. Da Mädchen nicht mit mehr Stunden belastet werden sollen als Jungen und auf den Hauswirtschaftsunterricht nicht verzichtet wurde, suchen die Schulen einen Stundenausgleich, wie es bereits eindringlich für Bayern dargestellt wurde.
Dieser Ausgleich geschieht in Bremen und Schleswig-Holstein über Physik, Chemie und die musischen Fächer. In der 9. Klasse erhalten in Bremen die Jungen zwei Stunden Physik und Chemie, während denen die Mädchen in Hauswerk oder Nadelarbeit unterrichtet werden. In Schleswig-Holstein erhalten sie in der 8. und 9. Klasse eine Stunde weniger musischen Unterricht und in der 9. Klasse eine Stunde weniger Physik und Chemie. Diese Kürzung wird damit legitimiert, daß physikalische und chemische Probleme in der Hauswirtschaft behandelt werden könnten, was aber nach Einsicht in die Lehrpläne keinem vollwertigen Unterricht entspricht. Dieselbe Regelung gilt in Hamburg. Für Hessen und das Saarland läßt sich eine diskriminierende Stundenverteilung nicht nachweisen, da keine Stundenverteilungspläne geliefert wurden. - Durch die Stoffpläne. Chemie, Physik und Biologie werden dem Hauswirtschaftsunterricht untergeordnet und können deshalb gar nicht die Qualität aufweisen wie ein selbständiger Fachunterricht, zumal die für den Hauswirtschaftsunterricht eingesetzten technischen Lehrerinnen, die nach wie vor auf pädagogischen Instituten und nicht auf Hochschulen ausgebildet werden, nicht die Qualifikation aufweisen können wie die Fachlehrer.
- Durch die Aufspaltung der Leistungsanforderungen und Bildungsziele zwischen den theoretischen und praktischen Fächern. Diese sollen ausdrücklich nur für Mädchen geltende Interessen und Fähigkeiten fördern. Das hier anerzogene »mädchenhafte« oder »weibliche« Verhalten und Wissen wirkt sich negativ auf die Leistungen und Einstellungen der Mädchen, vor allem zur Mathematik und den Naturwissenschaften aus, was dann als genuine Minderbegabung, Nichteignung oder Interesselosigkeit erscheint. Alle Reformen kapitulieren vor der gesellschaftlichen Arbeitsteilung zwischen Männern und Frauen, die in der Ideologie des »Wesens der Frau« gerechtfertigt wird. Unter dem Einfluß dieser Ideologie wird es schwerlich gelingen, das vorhandene Begabungspotential der Mädchen zu stimulieren. Unter dem Druck dieses »Weiblichkeitswahnes«, der, wie Betty Friedan für die USA nachgewiesen hat, durch die Konsumwerbung gefördert wird, wagen die Mädchen nicht, sich zu den intellektuellen Fähigkeiten zu bekennen und gegen die Benachteiligung zu opponieren, wie sie am krassesten aus den bayerischen Lehrplänen hervorgeht, wenn sie auch an konkreten Unterrichtsvorhaben in Hauswirtschaft und Nadelarbeit Kritik üben sollten.
In den Präambeln oder in den allgemeinen Teilen der Lehrpläne wird zwar von Erziehung zu »kritischem Denken« gesprochen. Wie es aber durch eine bestimmte Aufgabenstellung oder durch Problemlösungsversuche gefördert werden soll, wird nirgends angegeben. Solange das nicht geschieht, ist der Verdacht berechtigt, daß dieses Bildungsziel nur eine verbale Konzession darstellt an die Diskussion über eine Demokratisierung der Schule und des Unterrichts, durch die eine anders verfahrende Schulpraxis abgeschirmt wird.
13. Die Volksschule - eine Schule des Volkes
Die vielen Modifikationen der Hauptschule hinsichtlich ihrer Struktur, ihrer Fächerverteilung und ihrer Lehrinhalte erwiesen sich nicht als substantielle Veränderungen ihres Bildungs- und Erziehungszieles, sondern als eine an der Oberfläche bleibende organisatorische Reform unter Anwendung pseudowissenschaftlicher Ausdrücke, die den verschiedenen Fachterminologien entlehnt wurden, was kaum inhaltliche Konsequenzen für die bisherigen Lehrinhalte und für das Bildungsziel gehabt hat. Die mißlungenen Versuche, die Volksschulbildung der modernen Entwicklung der Wissenschaften und den gesellschaftlichen Erfordernissen anzupassen, resultieren aus der Tabuierung einer »volkstümlichen« Bildungsidee als eines »eigenständigen« Wertes für mehr als zwei Drittel aller Kinder, die nach wie vor die Hauptschule besuchen.
Zwar ging der Anteil derjenigen Kinder, die nur die Volksschule und Sonderschulen besuchen, in den Jahren 1959-1967 stetig zurück. Hatten 1959 noch 765 von 1000 dreizehnjährigen Kindern die Volksschule besucht, waren es 1966 nur noch 699. Im gleichen Zeitraum stieg der Anteil der Realschüler um etwa 6%. Besuchten 1959 nur 89 von 1000 Dreizehnjährigen die Realschule, waren es 1966 schon 150. Dagegen blieb der Anteil der Gymnasiasten bei den Dreizehnjährigen etwa konstant. Trotz dieser Tendenzen absolvierten immer noch mehr als zwei Drittel eines Schüler Jahrganges zwischen 1946 und 1954 die Volksschule. (Siehe nachstehende Tabelle)
Die umstehende Tabelle gibt auch an, wieviel Schüler sich in den Jahren 1956 bis 1965 (als io-iajährige) für den Besuch weiterführender Schulen entschlossen hatten. Dieser Trend wurde an den Dreizehnjährigen errechnet, weil
alle Kinder dieses Alters noch schulpflichtig sind und somit die Gesamtzahl der dreizehnjährigen Schüler mindestens 98% der Kinder der gleichaltrigen Wohnbevölkerung in der Bundesrepublik entspricht;
von diesen Kindern, soweit sie die Volksschulen besuchen, nur ein sehr geringer Prozentsatz auf eine weiterführende Schule überwechseln konnte, da die Durchlässigkeit zwischen den Schultypen erst in den letzten Jahren etwas erweitert wurde. Die Zahl der dreizehnjährigen Volksschüler ist gleich der Zahl aller derjenigen Kinder eines Jahrganges, die entweder eine abgeschlossene Volksschulbildung haben oder bis zur Erfüllung ihrer Schulpflicht dort blieben. Daher gibt der Prozentsatz der dreizehnjährigen Volksschüler, bezogen auf ihre Altersgruppe, auch in etwa den Anteil der Heranwachsenden an, die nur über eine Volksschulbildung verfügen.
Neben der bekannten Tatsache, daß über drei Viertel aller Erwachsenen nur die Volksschule besuchten, zeigt sich, daß auch bei den Heranwachsenden der Anteil der Volksschüler immer noch mehr als zwei Drittel beträgt.
Diese Tatsache verschärft das Problem einer vernachlässigten und verunglückten Volksschulreform.
Es ist zwar anzunehmen, daß die sinkende Tendenz des Besuchs der oberen Klassen der Volksschule sich fortsetzt, jedoch in absehbarer Zeit immer noch eine Mehrheit der Heranwachsenden nur über eine Volksschulbildung verfügen wird, die, wie gezeigt wurde, trotz aller Reformen immer noch unzulänglich ist und bleiben muß, solange sie nicht in ein einheitliches und konsistentes Bildungskonzept eingebracht wird, das nur in einer integrierten Gesamtschule realisiert werden kann.