Vorwort

Dieses Buch hat eine ziemlich lange Geschichte. Es entstand aus einer Anregung, die mir kurz nach dem Ende des letzten Krieges der Internationale Akademikerinnenbund (IFUW) gab. Er schlug nämlich eine internationale Erhebung über notwendige Sozialreformen vor, damit die Frau das Familien- und Berufsleben besser miteinander in Einklang bringen könnte. So wurden über die Ländergruppen der IFUW Fragebogen verteilt und Informationen gesammelt, die zeigten, daß in vielen Ländern ein wachsendes Interesse und Verständnis für dieses Problem bestand, und daß in einigen Teilen der Welt schon die ersten Schritte getan waren, um der Frau den vollen Einsatz im Wirtschaftsleben ihres Landes zu erleichtern.
Das verfügbare Material war jedoch zu verschiedenartig, um wissenschaftlichen Ansprüchen an seine Zuverlässigkeit zu genügen; auch war der Krieg noch nicht so lange beendet, daß man hätte'sagen können, welche Verhältnisse sich als normale Friedensverhältnisse bezeichnen ließen. schließlich brachten meine Aufgaben zunächst bei den Vereinten Nationen und dann bei der UNESCO nicht nur die praktische Unterbrechung der 1946 begonnenen Forschungsarbeit mit sich; meine Eindrücke von der überwältigenden Fülle der Probleme in den unterentwickelten Ländern waren so stark, daß es mir auch geistig unmöglich schien, eine Untersuchung fortzuführen, die sich lediglich auf einige wenige besonders begünstigte Länder beziehen konnte.
Als man mich drängte, die unterbrochene Arbeit an dem Manuskript wieder aufzunehmen, fand ich die Lösung für meine Schwierigkeiten in der Zusammenarbeit mit Viola Klein. Zwar gingen wir von verschiedenen Seiten an das Problem Frau und Beruf heran, aber es bestand glücklicherweise eine grundsätzliche Übereinstimmung zwischen uns in allen entscheidenden Fragen.
So ist dieses Buch das Ergebnis unserer harmonischen Zusammenarbeit. Da wir örtlich getrennt waren, und jede von uns neben der Arbeit an diesem Buch einen vollen Beruf auszuüben hatte, kamen wir nicht ganz so rasch damit voran, wie wir es wünschten. Wir gestehen, daß es Augenblicke gab, da uns ein Leben mit nur zwei Aufgabenkreisen - Beruf und Familie - als eine »geruhsame« Existenz erschien, nach der wir uns geradezu sehnten. Deshalb dürfen wir mildernde Umstände für uns erbitten, falls manche Leserin gelegentlich glauben sollte, wir hätten die Schwierigkeiten ihrer Doppelaufgabe unterschätzt.
ALVA MYRDAL

Vorwort zur deutschen Neuauflage

Die Neuauflage dieses Buches bietet uns eine willkommene Gelegenheit, die in seiner ersten Fassung dargelegten Argumente nochmals nachzuprüfen und, soweit notwendig, zu berichtigen.
In einer Periode raschen gesellschaftlichen Wandels scheinen mehr als zehn Jahre tatsächlich eine lange Zeit. Kann eine im Jahre 1956 unternommene Sozialanalyse auch noch heute bestehen? Die Entwicklung ist auf den hier abgehandelten Gebieten sehr ausgeprägt verlaufen; hat sie sich in jener Richtung bewegt, die wir damals voraussahen? Ein Großteil unserer Gedankengänge beruhte auf Bevölkerungsstatistiken, die jetzt durch neuere Zahlen ergänzt werden können, sowie auf der Deutung wirtschaftlicher EntwickIungslinien bekanntlich ein unsicherer Boden für Prognosen.
Prüfen wir unser Buch aus der Rückschau auf eine zehnjährige Erfahrung und mit dem Abstand, der die Frucht einer so langen Zeitspanne ist, dann fühlen wir uns überzeugt, daß seine Gedankengänge heute nicht weniger gültig sind als seinerzeit. Einige Ideen, die damals neu erschienen, sind durch häufige Wiederholungen zu Allgemeinplätzen geworden; z. B. die »Vier Phasen im Leben einer Frau« und die Tatsache, daß verheiratete Frauen die »letzte, relativ unerschlossene Arbeitsreserve« bilden.
Wenn wir das Buch heute neu zu schreiben hätten, dann würden wir zweifellos manche Akzente etwas ändern und einige neuere Entwicklungen unterstreichen (wie etwa den wachsenden Anteil über 35jähriger verheirateter Frauen auf dem Arbeitsmarkt, oder die direkte Beziehung zwischen dem Bildungsniveau und der Beschäftigungsrate von Frauen); einige Argumente würden wir fortlassen (zum Beispiel die Erörterung, wie weit sich die Berufstätigkeit der Frau auf die Fruchtbarkeitsrate auswirkt); auch würden wir, soweit vorhanden, neuere Forschungsergebnisse mit heranziehen. Ferner würden wir es heute für weniger nötig halten, eine Defensivstellung zu beziehen, als zu einer Zeit, wo die Erwerbstätigkeit von verheirateten Frauen noch eine weniger verbreitete und mehr umstrittene Erscheinung bildete. Dies sind jedoch geringfügige Einzelheiten, die die Hauptlinie nicht berühren: vielleicht ein Wechsel der Tonart, aber keine Veränderung der Melodie.
Sowohl in wirtschaftlicher wie in bevölkerungspolitischer Hinsicht haben sich die früher beobachteten Entwicklungslinien in derselben Richtung fortgesetzt - nur noch ausgeprägter als man damals voraussehen konnte. Beispielsweise hat in drei von den vier in diesem Buch untersuchten Ländern der Anteil der Bevölkerung an den »nicht-produktiven« Altersgruppen auf beiden Seiten der Altersskala zugenommen. Der Prozentsatz der Bevölkerung von 65 Jahren und darüber ist ebenso erheblich gestiegen wie der der unter 15jährigen; und überdies geht ein größerer Teil von jungen Leuten jetzt länger zur Schule oder auf die Universität.
Diese Entwicklung setzt sich fort und ist von wachsender Bedeutung. Um nur ein Beisoiel zu nennen: nach Vorausberechnungen [1] wird der Anteil der unter 15jährigen sowie der Pensionsberechtigten in England und Wales bis zum Jahre 1970 auf 39,9 vH, und bis 1980 auf 41 vH ansteigen (wobei die für 1971 vorgesehene Heraufsetzung des Schulabgangsalters von 15 auf 16 Jahre noch unberücksichtigt bleibt; dadurch wird sich der nicht-produktive Bevölkerungsteil um weitere 1,5 vH erhöhen). Eine ähnliche Entwicklung läßt sich auch in den anderen Industrieländern beobachten.
Die Heiratsquote ist weiter gestiegen und das Durchschnittsalter bei der ersten Eheschließung noch mehr zurückgegangen. Mehr als ein Viertel aller Bräute im Vereinigten Königreich ist unter 20, und reichlich ein Drittel in den USA ist 19 Jahre oder jünger. Entsprechend ist das Alter der Frauen, in dem sie Kinder gebären, gesunken, so daß - selbst wenn man den inzwischen erfolgten leichten Anstieg der Geburtenrate berücksichtigt -, die Zeitspanne »nach der aktiven Mutterschaft« sich weiter ausdehnte. Die steigende Erwerbsquote der Frauen von über 35 Jahren spiegelt zum Teil diese EntwickIung wider.
Hauptsächlich als Folge der hohen Heiratsquote in jungen Jahren hat sich die Knappheit an Arbeitskräften vor allem in den traditionell weiblichen Berufen zugespitzt, wie etwa in der Krankenpflege, im Lehrberuf, in der Sozialarbeit und in dem ständig wachsenden Dienstleistungssektor der Volkswirtschaft. Unsere hochindustrialisierte Gesellschaft erzeugt eine ständig wachsende ungeheure Menge von Konsumgütern, von denen die meisten dazu beitragen, die Haushaltsführung zu vereinfachen. Sie wirken gleichzeitig als Anreiz zur Erwerbstätigkeit verheirateter Frauen, denen dadurch eine Möglichkeit geboten wird, das Familieneinkommen zu erhöhen und diese Konsumgüter zu erstehen. Auf diese Weise hat unser Wirtschaftssystem durch seine eigene Antriebskraft eine Schraube ohne Ende in Bewegung gesetzt: Mehr Haushaltsgeräte stellen mehr Frauen für Erwerbsarbeit frei, und mehr verheiratete Frauen in bezahlter Arbeit steigern die Notwendigkeit - und beschaffen das Bargeld - für mehr und bessere hauswirtschaftliche Vorrichtungen. Der Druck von Massenproduktion und Wirtschaftswerbung hat eine Lage geschaffen, in der die Erwerbstätigkeit der verheirateten Frauen für große Teile der Bevölkerung den Schlüssel für den Zugang zu dem vielzitierten »Wohlstand« unserer Gesellschaft liefert, und die Verhältnisse auf dem Arbeitsmarkt sind dergestalt, daß Arbeitsplätze dieser oder jener Art nicht schwer zu finden sind. Als ein Nebenergebnis dieser Entwicklungen hat sich ein bemerkenswerter Wandel in der öffentlichen Meinung vollzogen. Zwar bestehen noch an einigen Stellen Vorurteile gegen die Beschäftigung von verheirateten Frauen, aber sie sind im Schwinden begriffen. Die Praxis, einer Ganztags- oder wenigstens einer Teilzeitarbeit nachzugehen, hat sich unter Frauen in den dreißiger und vierziger Jahren, unabhängig von ihrer sozialen Herkunft, so weit verbreitet, daß diejenigen, die es nicht tun, jetzt fast erklären müssen, warum sie zu Hause bleiben. In diesem Sinne hat sich die vor Jahren von uns in schwachen Umrissen vorausgesehene Entwicklung zum Kreis gerundet. Man möge uns verzeihen, daß wir über die Richtigkeit unserer Prognose eine gewisse Genugtuung empfinden.
Nach dem Gesagten halten wir es nicht für notwendig, unseren Text stark abzuändern. Durch Ersetzen oder Ergänzen einiger Tabellen haben wir die demographischen Angaben auf einen neueren Stand gebracht, und wir haben das vierte Kapitel (»Frauen im Erwerbsleben von heute«) unter Heranziehung neuer Unterlagen weitgehend umgeschrieben.
Auch haben wir unsere Bibliographie um einschlägige Veröffentlichungen des letzten Jahrzehnts erweitert. Was andere Teile des Buches - etwa die Kapitel sechs und sieben - anbetrifft, so liegt wohl eine Reihe von neueren Untersuchungen vor, die wir natürlich an Stelle der älteren angeführt hätten, wenn wir das Buch heute schreiben würden; wir glauben, daß ihre Ergebnisse das Gesamtbild weder wesentlich verändert, noch so neue Erkenntnisse hinzugefügt haben, daß wir genötigt wären, die hier dargelegten Auffassungen zu berichtigen. Wer sich ernsthaft mit dem Thema beschäftigt, wird mit Hilfe der Bibliographie die Angaben dieser Seiten ergänzen können.
Bei der Neubearbeitung des vorliegenden Werkes haben wir auch die Frage erwogen, ob wir diese Gelegenheit nicht dazu benützen sollten, das aus vier westlichen Industrieländern stammende Tatsachenmaterial, auf das sich unsere Beweisführung stützt, durch Aufnahme entsprechender Daten über die Berufstätigkeit der Frauen in der Bundesrepublik zu ergänzen, um dem deutschen Leser eine Vergleichsmöglichkeit mit der Situation im eigenen Lande zu geben. Aus mehreren Gründen haben unsere Überlegungen jedoch zu einem negativen Schluß geführt. Dazu gehört vor allem, daß die Einzelheiten, die hier über Frauenarbeit in England, Frankreich, Schweden und den Vereinigten Staaten angeführt werden, in erster Linie als Beispiele einer Allgemeinentwicklung gedacht sind, die mit zunehmender Industrialisierung untrennbar verbunden ist und an der andere Staaten in einem ähnlichen Wirtschaftsstadium ungeachtet historischer oder ideologischer Unterschiede - mutatis mutandis teilnehmen. Überdies sind inzwischen die Ergebnisse der von der Bundesregierung veranlaßten Frauen-Enquete veröffentlicht worden, die alles vergleichbare Material - und noch vieles darüber hinaus - über die Situation der Frauen in Beruf, Familie und Gesellschaft in der BRD enthalten. Der an dem Problem ernstlich interessierte deutsche Leser befindet sich daher in der besonders günstigen Lage, vergleichende Analysen selbst zu unternehmen. Derartige internationale Vergleiche werden in dem Bericht der Bundesregierung selbst durch wiederholte Hinweise auf die vorliegende Studie nahegelegt.
Sowohl in seiner Methode wie in seiner Zielsetzung ist unser Buch eine Untersuchung sozialer Wandlungen und nicht ein Plan für eine ideale zukünftige Gesellschaft. Wir waren bestrebt, die Wirklichkeit so, wie wir sie antrafen, zu analysieren, die im Wirken begriffenen sozialen Kräfte zu verstehen, und aus den von uns beobachteten Entwicklungslinien einige der möglichen Folgen abzuleiten. Auch haben wir versucht, diesen oder jenen Weg aufzuzeigen, wie die Gesellschaft den Menschen, die durch die neuen Lebensbedingungen am unmittelbarsten betroffen werden, bei der Anpassung helfen könnte.
Ein solches »Mindestprogramm« muß für jene, die die Gesellschaft reformieren wollen, enttäuschend hinter ihren Erwartungen zurückbleiben. Gleichzeitig muß es sich jene zu Gegnern machen, die den Status quo erhalten wollen.
Als Soziologen sehen wir jedoch unsere Aufgabe weder darin, ein phantasiereiches Traumbild einer neuen und besseren Gesellschaft zu liefern, noch in dem vergeblichen Versuch, unumgängliche Wandlungsprozesse aufzuhalten. Unsere Aufgabe ist es, die Verhältnisse so wie sie zu einer gegebenen Zeit an einem gegebenen Ort bestehen, zu studieren und zu beschreiben, um dann auf Grund der beobachteten Tatsachen begrenzte Voraussagen über mögliche Entwicklungen in der nahen Zukunft zu machen. Das mag ein weniger erregendes Unterfangen sein, als eine direkte Einflußnahme auf die Ereignisse in dem Bestreben, ihren Lauf zu ändern; es ist nichtsdestoweniger eine wesentliche Aufgabe. Denn ohne eine streng sachliche Bewertung der gegenwärtigen Lage sowie der zugrunde liegenden Vorgänge muß jede soziale Maßnahme wirkungslos bleiben.
ALVA MYRDAL UND VIOLA KLEIN

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Vorwort