Einleitung

Soll die verheiratete Frau außerhalb des Hauses beschäftigt sein? Das ist in den letzten Jahren zum aktuellsten, die Frau betreffenden Thema geworden, und die Auseinandersetzung wird auf beiden Seiten sehr leidenschaftlich und mit tiefer Überzeugung geführt. Da hierbei vieles von wesentlicher Bedeutung für das Leben jedes einzelnen mitspricht, überrascht es nicht, daß sich die Erörterung fast überwiegend auf der Ebene persönlicher Meinungen und Gefühle, statt auf der Grundlage von soziologischen Tatsachen bewegt. Solche Tatsachen sind jedoch für eine vernünftige Einschätzung der Situation und für ein nüchternes Abwägen des Für und Wider wesentlich. Deshalb ist es die Absicht dieses Buches, die sachdienlichen Unterlagen für eine derartige Beurteilung zu liefern.
Unsere Leser werden nicht im Zweifel darüber gelassen, nach welcher Seite wir in dieser Kontroverse neigen. Wie wir hoffen, werden sie uns aber zutrauen, daß wir bei der Sammlung von Tatsachen und der Darlegung der damit zusammenhängenden Probleme unparteiisch vorgegangen sind.
Das Problem »Frau und Arbeit«, und die allgemeine Frage nach der Rolle der Frau in der Gesellschaft hat sich während der letzten Jahrzehnte völlig verändert. Es handelt sich nicht mehr um die Frage, für welche Tätigkeiten die Frau körperlich und geistig befähigt ist. Die Erfahrung hat den langen Streit um die weiblichen Fähigkeiten beigelegt und bewiesen, daß die Frau sich auch auf ganz anderen Gebieten betätigen kann als lediglich auf denen, die mit der allgemein verbreiteten Vorstellung vom »schwachen Geschlecht« vereinbar sind.
Der Diskussionspunkt hat sich heute von der Frage »Was kann die Frau tun?« auf die Frage »was sollte die Frau tun?« verlagert. Bei dieser Frage geht es sowohl um das Interesse an dem individuellen Glück der Frau, als auch am Wohl der Gesellschaft.
Das Problem, was man mit seinem Leben anfangen soll, stellt sich der Frau mit größerer Schärfe als dem Mann - teils weil die Frauen auf wichtigen Gebieten des Soziallebens vergleichsweise Neulinge sind, teils, weil ihr Leben enger mit der Existenz der Familie und dem Fortbestand der Menschheit verbunden ist.
Im gegenwärtigen Stadium unserer gesellschaftlichen Entwicklung lassen sich die Frauen von zwei offensichtlich widerstreitenden Zielen leiten. Einerseits möchten sie, wie jedermann, ihre Persönlichkeit voll entwickeln und im Rahmen ihrer individuellen Anlagen und Neigungen an dem bestehenden sozialen und wirtschaftlichen Leben aktiv teilnehmen. Andererseits wünschen sich die meisten Frauen ein Heim und eine eigene Familie. Früher, als sich das soziale und wirtschaftliche Leben überwiegend zu Hause abspielte, gerieten diese Ziele nicht miteinander in Konflikt. Heute scheint das anders zu sein.
Aber auch die Gesellschaft stellt heute zweierlei Anforderungen an die Frau, und auch diese geraten unter den gegenwärtigen Lebens- und Arbeitsverhältnissen in Widerspruch zueinander. Die Notwendigkeit des Fortbestandes und der Regeneration der Gesellschaft, die der Frau eine relativ größere Verantwortung als dem Manne auferlegt, stellt nämlich zugleich Anforderungen an die Frau, die mit der Notwendigkeit des wirtschaftlichen Fortschritts in Widerspruch stehen. Die Verwirklichung dieses Fortschritts hängt in beträchtlichem, doch oft unterschätztem Maße von der Mitwirkung der Frau ab.
Dieses Zusammentreffen von widerstreitenden Interessen hat in den letzten ein oder zwei Generationen zu einer öffentlichen Diskussion und zu mannigfaltigen Interpretationen der »wahren« Rolle der Frau in der Gesellschaft geführt. Allmählich werden die Frauen es aber müde, die einander ständig widersprechenden Ermahnungen über ihre Pflichten anzuhören. Unterschiedliche kulturelle Traditionen machen ihren Einfluß geltend, und gegensätzliche politische Ideen haben das umstrittene Problem getrübt. Es gibt kein einheitliches Ideal, das für so grundverschiedene Lebensstile oder Familienformen anwendbar wäre, wie jene in einem mitteleuropäischen Dorf und in einer Vorstadt von Los Angeles. Trotzdem gehören auch sie zu unserer heutigen Welt und sind einander erreichbar nahegerückt.
In früheren Zeiten kannte die Frau ihren Platz und verbrachte ihr Leben mit der Betreuung ihrer Familie. Ihre Welt wurde von den Wänden ihres Heims begrenzt. Von dorther drängte eine entschlossene Minderheit in die Welt des Geschäftslebens und der Öffentlichkeit hinaus, und es gelang ihr, dort in dem Maße Zugang zu finden, in dem sie bereit war, Heim und Familie den Rücken zu kehren.
Jene Pioniertage sind jetzt vorbei. Mit ihnen schwand für die Frau die Notwendigkeit, zwischen unvereinbaren Alternativen eine oft verhängnisvolle Entscheidung treffen zu müssen. Der gordische Knoten eines scheinbar unlöslichen weiblichen Dilemmas wurde zerschnitten. Die technische und gesellschaftliche Entwicklung der letzten Jahrzehnte hat der Frau Gelegenheit gegeben, ihr Interesse an Haus und Beruf miteinander zu vereinen, wenn wir die beiden Interessenkreise einmal kurz auf diese Art charakterisieren dürfen. Die Frau braucht nidit mehr auf die Freuden des einen Lebenskreises zu verzichten, um die Befriedigung durch den anderen zu erlangen. Die Vorzüge von beiden Bereichen sind für sie in greifbare Nähe gerü&t, wenn sie nur ihre Hand danach ausstreckt.
Um dies nicht nur für wenige Auserwählte Wirklichkeit werden zu lassen, bedarf es einer Art geistiger Umwälzung. Ohne Zweifel ließe sich die Gesellschaft so organisieren, daß den Frauen ein praktischer Spielraum für Familie und Erwerbsberuf gegeben wird. Doch bevor diese beiden Aufgaben zu einem harmonischen Ganzen verschmolzen sind, wird es nötig sein, weit klarer als bisher über die Ziele und die Mittel zu ihrer Verwirklichung nachzudenken und den Tatsachen mutig ins Auge zu sehen.
Bei der Erörterung dieses heutigen Frauenproblems ist eine Einschränkung zu machen: Wir sprechen hier nur über die Frau in der westlichen Gesellschaft. Wir sind uns völlig darüber klar, daß es kein einheitliches »Frauenproblem« gibt, das in gleicher Weise alle Länder betrifft. Im Rahmen dieser Untersuchung würde es jedoch unmöglich sein, eine vergleichende Betrachtung über die Rolle der Frau in der ganzen Welt mit einzuschließen oder die mannigfaltigen Schwierigkeiten zu erörtern, denen die Frau in anderen Kulturkreisen und in den verschiedenen Stadien der gesellschaftlichen Entwicklung gegenübersteht.
Für die Zwecke dieser Untersuchung wurde das Schwergewicht auf die Situation gelegt, die sich in den meisten hochindustrialisierten Ländern unserer Zeit darbietet. Wir müssen uns aber dennoch der Tatsache bewußt bleiben, daß auf die große Mehrzahl der Frauen in der heutigen Welt - nämlich auf alle jene in den unterentwickelten Ländern mit ihren schnell ansteigenden Bevölkerungsziffern, ihren großen Familien und vorindustriellen Wirtschaftsformen - die hier dargelegten Probleme sich zur Zeit nicht beziehen. Wenngleich sich diese Untersuchung also nur mit einer besonderen Phase in dem fortschreitenden gesellschaftlichen Entwicklungsprozeß befaßt, hat das Thema von der Doppelaufgabe der Frau in der Gesellschaft dennoch universelle Geltung. Denn wahrscheinlich werden sich ähnliche Probleme wie die, mit denen wir es gegenwärtig in den industrialisierten Ländern zu tun haben, später auch anderswo ergeben, wenn nämlich andere Länder industrielle Entwicklungsstufen erreichen, die den unseren im industrialisierten Westen entsprechen.
Es ist zu hoffen, daß die Erfahrung und Einsicht, die in den modernen Industrieländern während eines Jahrhunderts der Experimente und Irrtümer so teuer erkauft wurde, nicht nur der Jugend dieser Länder, sondern ebenso den Menschen aller Altersstufen in den jüngeren Gemeinwesen der Welt zugute kommen wird.

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