Aus den vorhergehenden Kapiteln wird klar ersichtlich, daß die zunehmende Erwerbstätigkeit der Frau in allen fortgeschrittenen westlichen Ländern eine Entwicklung ist, die sich über viele Jahre hin erstreckt und nicht bloß ein vorübergehender Notbehelf, der sich aus den Kriegsereignissen oder aus anderen unglücklichen Umständen ergeben hätte. Aber abgesehen von den gelegentlichen Angleichungen, die wir im letzten Kapitel erörterten, ist eine grundlegende Neuordnung unserer Gesellschaft, die diese Entwicklung für alle Betroffenen erst nutzbar machen würde, nicht erfolgt.
Wirtschaftliche Konsequenzen aus der zunehmenden
weiblichen Erwerbstätigkeit
Als Folge der bevölkerungspolitischen, technischen und wirtschaftlichen Entwicklungen ist ein relativer Mangel an Arbeitskräften in den Industrieländern zu einem chronischen Zustand geworden. Die allmähliche Zunahme der Arbeitskräfte, die sich in der Vergangenheit hauptsächlich aus dem Wachstum der Bevölkerung ergab, hat sich während der letzten Jahrzehnte verlangsamt, weil der Anteil der jungen Leute am Arbeitsmarkt durch ausgedehnte Erziehungs- und Ausbildungsperioden abnimmt, während der Anteil der alten Leute an der Gesamtbevölkerung im Steigen begriffen ist. Es liegt mehr und mehr an den Frauen, in der Industrie, im Geschäftsleben und in den akademischen Berufen in die Bresche zu springen, ebenso wie in dem ständig wachsenden Verwaltungsapparat, der das Räderwerk unserer komplizierten modernen Gesellschaft in Gang zu halten hat.
Diese langfristige Entwicklung, die ihren Ausgang von der Beschäftigung der, vom Standpunkt der Familie gesehen, »überschüssigen« Frauen nahm, hat mit den Jahren an Triebkraft gewonnen und jetzt den Punkt erreicht, wo praktisch alle unverheirateten Frauen entweder berufstätig sind oder sich für einen Beruf ausbilden lassen. Eine weitere Zunahme der weiblichen Berufstätigen kann daher nur aus den Reihen der verheirateten Frauen kommen und kommt tatsächlich auch schon seit geraumer Zeit dort her. Ermöglicht wurde dies dadurch, daß die Familie kleiner geworden ist und die häuslichen Tätigkeiten sich vermindert haben.
Der Lebensstandard eines Landes hängt in hohem Maße von dem Anteil der. Erwerbstätigen an der Gesamtbevölkerung ab, oder anders ausgedrückt, von dem Verhältnis der produktiven zu der konsumptiven Bevölkerung. Es würde daher offensichtlich im allgemeinen Interesse liegen, einen besseren Gebrauch von dem weiblichen Arbeitskräftepotential zu machen immer vorausgesetzt, daß dies ohne ernstlichen Schaden für andere menschliche Werte geschehen kann. Wir können uns den Ausfall einer so großen Zahl von möglicherweise produktiven Arbeitskräften einfach nicht leisten.
Die Tatsache, daß es auch heute noch in einigen Ländern viele Tausende von Männern gibt, die arbeitswillig sind, aber keine Arbeit findeZusammenfassung und Schlußfolgerungenmehrn können, entkräftet unsere Behauptung nicht. Der soziale Mißstand, für den die Massenarbeitslosigkeit ein Symptom ist, rührt nicht von einem Mißverhältnis zwischen einer gegebenen Arbeitsmenge und einem Überschuß an verfügbaren Arbeitskräften her. Es handelt sich hier nicht um einen Fehler in der Struktur, sondern in der Organisation der Gesellschaft, wenn sie es zuläßt, daß der wichtigste Aktivposten jeder Gemeinschaft - das produktive Leistungsvermögen ihrer Mitglieder - ungenutzt bleibt. Die verheerenden Folgen der Massenarbeitslosigkeit, wie wir sie in der Vergangenheit erlebt haben und heute in einigen Teilen der Welt wieder miterleben, widerlegen das wirtschaftliche Argument nicht, daß die Wohlfahrt einer Gesellschaft davon abhängt, daß sie ihre werktätige Bevölkerung mit dem denkbar besten Nutzen einsetzt, und daß der Lebensstandard, dessen sich die Gemeinschaft als Ganzes erfreuen kann, um so höher ist, je mehr Menschen am Produktionsprozeß beteiligt sind; im Gegenteil, sie geben ihm noch mehr Beweiskraft.
Das Bedürfnis der Gesellschaft, alle verfügbaren Arbeitskraftreserven - ob männlich oderweiblich - bis zum letzten auszuschöpfen, trifft zusammen mit der Unterbeschäftigung der Frau. Die Verbindung dieser zwei Gegebenheit . en verlangt nach einer Revision der althergebrachten, doch immer noch weitverbreiteten Ansicht, für die Frau sei die Ehe ein Beruf. Der Ausdruck »Unterbeschäftigung der Frau« bedarf einer Einschränkung: Natürlich sind nicht alle Frauen ständig unterbeschäftigt. Viele Hausfrauen werden sicherlich beteuern und zwar mit Recht - daß die Betreuung eines Haushalts mit Kindern unter den gegenwärtigen Verhältnissen sehr wohl eine Vollbeschäftigung ist. Das läßt sich nicht bestreiten. Sieht man es jedoch im Blick auf die gesamte Lebensdauer, dann ist die Zeit der Vollbeschäftigung im Haushalt verhältnismäßig kurz. Wie wir bereits sahen, haben viele Frauen selber das Gefühl, ihre Kräfte zu vergeuden, und dies ist weitgehend der Grund für die gegenwärtige Unzufriedenheit vieler Hausfrauen. Auch wenn die meisten Frauen nicht über die Konsequenzen ihrer beträchtlich erhöhten Lebens- und Gesundheitserwartung nachdenken, ist es so.
Nur etwa ein Drittel aller Arbeitskräfte sind Frauen, obwohl sie mehr als die Hälfte der Bevölkerung bilden. Wenn gut geschätzt ein Viertel der verheirateten Frauen aktive Mutterpflichten hat oder im eigenen Haushalt ebenso produktiv tätig ist wie in früheren Zeiten, während ein Drittel von ihnen eine Erwerbsarbeit angenommen hat, so bleibt immer noch eine große Reserve an Frauen meist mittlerer Jahrgänge, und zwar etwa 4 von 10 verheirateten Frauen, deren Arbeitskraft gegenwärtig nicht von Nutzen für die Gesellschaft ist.Wenn dieser Anteil am Erwerbsleben (wie er hier für die USA, Frankreich, England und Schweden belegt ist) beträchtlich vergrößert werden könnte, dann wären ohne Zweifel die Menschen allgemein sowohl wirtschaftlich besser gestellt, als auch sozial und psychologisch mehr im Gleichgewicht.
Es muß etwas falsch sein an einer Gesellschaftsordnung, in der die Männer vor Überarbeitung und Sorgen eines frühen Todes durch Herzinfarkt sterben, während ihre Frauen und Witwen sich zusammenschließen und dagegen Einspruch erheben, daß es für sie keine Arbeitsmöglichkeiten gibt.
Eine kleine Rechnung, die von vorhandenen statistischen Unterlagen ausgeht, wird schnell verdeutlichen, welche großen Wirkungen mit vergleichsweise geringen Anstrengungen erzielt werden könnten. Angenommen, das durchschnittliche Heiratsalter - etwas höher angesetzt, als es sich aus den neuesten Statistiken ergibt - ist 2 5, und das Ruhestandsalter 65 Jahre, was bei der allgemein längeren Lebensdauer und besseren Gesundheit angemessen erscheint, dann hat die Durchschnittsfrau, wenn sie heiratet, 40 Jahre vor sich, in denen sie voll arbeitsfähig ist. Während dieser 40 Jahre sind 1/3 aller verheirateten Frauen nicht erwerbstätig. Demnach entfallen im Durchschnitt auf jede verheiratete Frau 13 Arbeitsjahre gegenüber 26 Ehejahren, in denen sie nicht außerhäuslich arbeitet.
Wenn sich die letztere Periode um weitere 6 Jahre verkürzen ließe, wäre das Ergebnis erstaunlich. Die verheiratete Frau hätte immer noch durchschnittlich 20 Jahre Zeit, um ihre Kinder großzuziehen, was reichlich genug erscheint. Gleichzeitig würde der Anteil der verheirateten erwerbstätigen Frauen von 33 auf 50 vH der erwerbstätigen Frauen insgesamt anwachsen, wodurch in Großbritannien 3 Millionen und in den Vereinigten Staaten 8,5 Millionen Menschen zusätzlich dem Arbeitsmarkt zugeführt würden. Die erwerbstätige Bevölkerung würde tatsächlich in jedem Lande, in dem der Stand der industriellen und sozialen Entwicklung ungefähr dem dieser beiden entspricht, um etwa 12,5 vH anwachsen.
Wir hätten in unserer Berechnung noch weitergehen und unterstellen können, daß die verheirateten Frauen ihren Kindern durchschnittlich 15 oder sogar nur 10 an Stelle Von 20 Jahren widmen können. Die entsprechend größere Zunahme der Erwerbstätigen und die damit verbundene Steigerung der Produktions- und Dienstleistungen wäre gewaltig und würde eine beträchtliche Hebung des Lebensstandards ermöglichen. Wenn wir von dieser Annahme absehen, so deshalb, weil es weder durchführbar noch wünschenswert erscheint, daß Mütter von sehr kleinen Kindern außerhalb ihres Heims arbeiten. Wenn jedoch einige dieser Mütter außerhäuslich eine Stellung annähmen, dann würden die dadurch bewirkte zusätzliche Produktion und die vermehrten Dienstleistungen das gleichfalls wachsende Bedürfnis nach Waschanstalten, Tageskrippen, Kinder-Fertigkleidung (an Stelle der selbstgenähten) usw. mehr als aufwiegen. Gleichzeitig hätten die Frauen mehr Gelegenheit, sich in den Berufen zu spezialisieren, an denen sie interessiert sind und für die sie sich besonders eignen - sei es Kochen, Unterrichten, die Leitung eines Geschäftes oder das Dirigieren eines Orchesters.
Psychologische Auswirkungen zunehmender
weiblicher Erwerbstätigkeit
Die soziologischen und psychologischen Auswirkungen einer stärkeren Beteiligung der Frau am Wirtschaftsleben würden nicht weniger weittragend sein als die damit einhergehenden materiellen Veränderungen; sie könnten sehr wohl das gesamte geistige Klima unserer Gesellschaft beeinflussen.
Wenn die Entwicklung in Richtung außerhäuslicher Erwerbstätigkeit der verheirateten Frau in manchen ihrer Ergebnisse auch revolutionär erscheinen mag, so ist sie doch nur unter veränderten Verhältnissen die Wiederherstellung einer gerechteren Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern, wie sie vor Beginn der Industrialisierung bestand. Wenn die Frauen daher heute ihren Haushalt verlassen und einen neuen Weg zur Arbeit einschlagen, dann wird sie in gewissem Sinne eben dieser Weg wieder »nach Hause« in die gebührende Stellung innerhalb der Gemeinschaft führen.
Diese »Rückkehr der verlorenen Tochter« ist durchaus zu begrüßen und liegt nicht nur im Interesse der Frau, sondern der Gemeinschaft als Ganzes. Denn der Ausschluß der Frauen von den meisten wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Berufen und von vielen sozialen und kulturellen Betätigungen ist ein Faktor, der zu dem Mangel an sozialer Integrierung und zu der sich daraus ergebenden Isolierung des Individuums, die für die heutige Gesellschaft so charakteristisch sind, beigetragen hat. Es ist gut möglich, daß die Nicht-Beteiligung der Frau, wie A. M. Rose in einer Erörterung der Probleme der Massengesellschaft [1] vermutet, zu den Gefühlen der Unsicherheit und gegenseitigen Entfremdung, die in unserer modernen Gesellschaft so weitverbreitet sind, in hohem Maße beiträgt. Nachdem die Frau, wie Prof. Rose sagt, ihrer ehemaligen Aufgabe als Gefährtin ihres Mannes beim Broterwerb und als Haupterzieherin einer großen Kinderschar verlustig gegangen ist, »macht es ihr die Gesellschaft nicht zur Pflicht, sich Ersatzaufgaben zu suchen. Sie kann sich in einer bezahlten Arbeit oder im sozialen Wohlfahrtswesen versuchen, aber gewöhnlich sagt ihr niemand, daß sie es tun muß. Und so ist die moderne Ehefrau, sobald ihr jüngstes Kind zur Schule geht, zum Teil ohne Aufgaben, was bedeutet, daß sie sich wahrscheinlich nach dem eigentlichen Sinn ihres Lebens fragt und eine unklare, aber bohrende Unzufriedenheit empfindet. Da sie nur rein äußerlich mit anderen Menschen Berührungspunkte hat und sich über ihre Aufgabe in der Gesellschaft nicht klar ist, ist sie ein Glied einer Masse, nicht aber einer gestalteten (d. h. integrierten) Gesellschaft.«
Die Teilnahme am Leben und an der Arbeit der (Gemeinschaft bewirkt das Gefühl, zu etwas nütze zu sein, das für ein erfülltes Dasein so wesentlich ist. Dies ist besonders in einer Gesellschaft wie der unsrigen der Fall, wo die Verpflichtung, einen positiven Beitrag zu den gesellschaftlichen Bestrebungen zu leisten, ein allgemein anerkanntes Ethos geworden ist, und wo dieser Beitrag mit beruflichen Maßstäben und an greifbaren Erfolgen gemessen wird. »Unsere Definitionen der Arbeit«, schreibt David Riesman,[2] »bedeuten auch, daß die Hausfrau, die, sozial gesehen, ein Arbeitsprodukt erzeugt, ihre Arbeit weder in Stunden noch in Dollar ausgedrückt in der Volkszählungsstatistik oder in der Vorstellung der Menschen klar umrissen und errechnet finden kann. Und weil ihre Arbeit nicht als Arbeit gilt, ist sie am Ende des Tages erschöpft, ohne zu wissen, ob sie ein Recht dazu hat, wodurch zum Schaden noch der Spott hinzugefügt wird.«
In Zukunft wird es ebenso unmöglich sein, Frauen reiferen Alters von der praktischen Anwendung jener Ideologie auszuschließen, die von jedermann einen sozialen Beitrag im Sinne der anerkannten Definition der Arbeit verlangt, wie es unmöglich war, sie von den Auswirkungen der demokratischen Ideen gleichen Rechts und gleicher Chancen auszuschließen.
Ein unbewußter Anpassungsprozeß an diese neue Lage geht bereits im Denken vieler Frauen vor sich. Um noch einmal David Riesman zu zitieren: »... Frauen des Mittelstandes und der gehobenen Schichten sind nicht mehr als Wohltäterinnen willkommen; die Sozialarbeiter haben ... dieses Tätigkeitsfeld in Berufe aufgeteilt ... Dilettanten können den Kranken nicht mehr helfen, sofern sie nicht bereit sind, den geprüften Krankenschwestern als Hilfskräfte bei der Ausübung ihres Berufes zu dienen und für sie alle schmutzige Arbeit zu tun. Sie können anderen nicht helfen, sich zu vergnügen, denn auch die mit der organisierten Geselligkeit und Freizeitgestaltung zusammenhängenden Tätigkeiten sind zu Berufen geworden. Wen sie auch Politik und Rassenfragen in der Weiblichen Wählerliga (League of Women Voters) und im YMCA (CVJM) erörtern, so können sie dies nur im Rahmen eines der fertigen und wirklich ausgezeichneten Programme tun, die ihnen von einer Zentralstelle geliefert werden ... Auf diese Lage reagieren die Frauen, indem sie entweder wieder in Gleichgültigkeit versinken oder daraus wie ihre Schwestern aus der Arbeiterklasse den Schluß ziehen, daß sie nur durch einen Beruf, durch einen kulturell umrissenen Beruf ihre Befreiung erlangen werden.«[3]
Es ist ein schon oft wiederholter Gemeinplatz, daß die moderne Massengesellschaft unter dem Verlust des Gemeinschaftsgefühls leidet, das in der Vergangenheit die Menschen miteinander verband, ihre gemeinsamen Ziele zum Ausdruck brachte und ihnen die Sicherheit eines festen Standortes in einem organischen Ganzen bot. Es ist nicht unmöglich, daß dieser Verlust dadurch wieder ausgeglichen werden kann und wird, daß die Menschen sich mehr an dem Arbeitsleben der Gesellschaft beteiligen und dadurch den Sinn für ein gemeinsames Ziel wiedererlangen. Durch seinen Beruf erwachsen dem Menschen neue Bindungen und neue Treueverhältnisse, die die mehr unmittelbaren Berührungen in den kleinen Gemeinschaften der Vergangenheit ersetzen und sich als der Mörtel erweisen mögen, der die Menschen von neuem zu einem organischen Ganzen verbindet.
Die Hausfrauen im allgemeinen leiden heute unter der gesellschaftlichen Isolierung und dem Gefühl der Nutzlosigkeit, mehr als jede andere Gruppe der Gesellschaft, vielleicht mit der Ausnahme der alten Leute. Im Gegensatz zu diesen jedoch können sie nicht auf ein erfülltes Leben zurückblicken, und in der Regel haben sie keine Gelegenheit gehabt, außerhalb ihrer Familie Verbindungen anzuknüpfen, die ihnen das Gefühl der Zusammengehörigkeit geben könnten.
Wenn für die verheiratete Frau die Wiederaufnahme ihrer unterbrochenen Berufstätigkeit in reiferen Lebensjahren eher zur Regel als zu einer Ausnahme würde, dann würden auch die Aussichten und die Stellung aller Frauen - ob jung oder alt, verheiratet oder ledig - eine Wendung zum Besseren erfahren.
Die jüngeren würden von dem psychologischen Druck und den Spannungen befreit, die wir in einem früheren Kapitel erörtert haben. Sie wären endlich in der Lage, ihrem Leben auf weite Sicht einen festen Plan zugrunde zu legen und das zu ernten, was in Jahren der Ausbildung und des Studiums gesät wurde.
Schließlich - und das wäre keinesfalls das unwichtigste Ergebnis - würden viele Ursachen von ehelichem Unglück und Reibungen beseitigt, wenn die außerhäuslichen Kontakte und geistigen Anregungen wie auch das Verdienen des Lebensunterhalts nicht praktisch das Monopol eines der Ehegatten darstellten, und wenn zwischen Mann und Frau in ihren Interessen innerhalb wie auch außerhalb ihres gemeinsamen Heims ein größeres Gleichgewicht hergestellt werden könnte.
Die Gleichberechtigung der Frau schreitet langsam voran und ist reich an inneren Konflikten. Die traditionellen Normen der Lebensführung existieren nicht mehr und sind noch nicht durch neue ersetzt worden. Die Frau kann heute nicht mehr sicher sein, was man von ihr erwartet. Es gibt nicht mehr eine anerkannte weibliche Rolle, nach der man leben kann, sondern eine Anzahl widersprechender Modelle, die nur schwer nebeneinander bestehen. Bei einer Reihe von Stichproben-Befragungen ist z. B. zutage getreten, daß überraschend viele Frauen aus höheren Berufsgruppen und aus dem Geschäftsleben von Zweifeln an ihrer echten Weiblichkeit gepeinigt werden. Aber der Frau, die ihr Leben in der herkömmlichen Weise zu Hause verbringt, geht es nicht besser: auch sie möchte gern wissen, ob sie die richtige Wahl getroffen hat, und ob sie nicht verborgene Talente vernachlässigt oder ihre Energien vergeudet. Dieser Zustand weit verbreiteter innerer Konflikte und Unsicherheiten wird jedoch im Laufe der gesellschaftlichen Entwicklung überwunden werden. Diese hat, zusammen mit dem technischen Fortschritt, den Weg »zurück an den Herd« versperrt. Es scheint daher im wesentlichen für die weitere Entwicklung nur ein Weg offen zu sein, und man tut gut daran, diesen Tatsachen ins Auge zu sehen und das Beste aus ihnen zu machen.
Neubelebung des Familienlebens
Man könnte einwenden, daß der Gewinn an Produktivität von geringem Nutzen ist, verglichen mit dem Verlust an Freizeit, deren sich zu erfreuen die Frau heute das Vorrecht hat. Viele Menschen glauben auch, daß manche unantastbaren Werte verlorengehen, indem das Familienleben sich nicht in einer Atmosphäre der Muße abspielen kann. Ist aber die Voraussetzung, von der dieses Argument ausgeht, richtig? Würde die Berufstätigkeit der verheirateten Frau für die Familie wirklich den Verlust der Muße bedeuten?
Befassen wir uns näher mit diesem Argument und kehren wir zu unserer Annahme zurück, daß die verheiratete Frau ihrer Familie durchschnittlich 20 statt der bisherigen 26 Jahre widmen und im Anschluß an diese Periode außerhalb des Hauses eine Arbeit übernehmen könnte. Der Zuwachs an Arbeitskräften, der daraus resultiert, würde die Gemeinschaft in die Lage versetzen, an Gütern und Dienstleistungen 12,5 vH mehr zu produzieren, oder dieselbe Menge in 12,5 vH weniger Zeit herzustellen. Das würde je Arbeitswoche für alle Männer und Frauen eine Verkürzung der Arbeitszeit von 48 auf 42 oder von 40 auf 35 Stunden bedeuten.
Diese Möglichkeiten sind auf lange Sicht vorhanden. Sie werden jedoch nie erörtert. Bis jetzt scheinen sich alle Länder damit zu begnügen, der Entwicklung ihren Lauf zu lassen, die Zahl der Arbeitskräfte zu vermehren, wenn die Frauen auf gebotene finanzielle Vorteile reagieren, und - gewöhnlich zu wenig und zu spät - ad hoc-Regelungen zu treffen, wie wir sie im letzten Kapitel beschrieben haben, um eine gewisse Anpassung an die neue Situation zu erreichen.
Obgleich man, wie wir oben sagten, wählen könnte zwischen einem Mehr an Produktion (und der Zuwachs an weiblichen Arbeitskräften ist bis jetzt hauptsächlich dafür benutzt worden) und einem Weniger an Arbeitszeit, kann es keinen Zweifel geben, daß die Frauen, wenn sie in dieser Frage von oft sehr persönlicher Bedeutung etwas zu sagen hätten, für eine Verkürzung der langen Zeit eintreten würden, die der moderne Mann fern von seinem Heim und seinen privaten Interessen zubringt. Selbst bei der hier angeregten stärkeren Berufstätigkeit verheirateter Frauen bliebe ihnen wie bisher die Hauptverantwortung für das Aufziehen der Kinder.
Man kann leicht eine Zeittafel aufstellen und damit nachweisen, daß die von uns angenommenen 20 Jahre für das Aufziehen der heutigen Durchschnitts-Kinderzahl völlig ausreichen. Geht man davon aus, daß die Kinder bis zum Schulalter die ganztägige Betreuung durch die Mutter brauchen und bis zum Alter von 15 Jahren ihre halbtägige Anwesenheit, so ist eine Periode von 20 Jahren eine großzügig geschätzte Zeit, um 2 bis 3 Kinder, wie sie die Familie heute im Durchschnitt hat, aufzuziehen.
Diese Berechnung mag nicht für jede einzelne Familie zutreffen, aber als Denkschema ist sie ebenso realistisch wie Statistiken. Abweichungen von der Regel in der einen Richtung werden durch eine Zahl von Abweichungen in der entgegengesetzten Richtung ausgeglichen. Denn den Familien, die mehr Kinder haben oder sie in größerem Abstand bekommen als der Durchschnitt, stehen solche gegenüber, die weniger Kinder haben oder kinderlos bleiben.
Wenn die Berufstätigkeit der verheirateten Frau im Anschluß an die dem Aufziehen der Kinder gewidmeten Jahre zu einer weitverbreiteten Gewohnheit wird, dann würde die damit mögliche Arbeitszeitverkürzung eine Veränderung des häuslichen und familiären Lebens mit sich bringen, die nur erwünscht sein kann. Sowohl die Frau als auch der Mann würden mehr Zeit und Energie übrig haben, sich um ihr Heim zu kümmern - was eine schöpferische Verbindung von Arbeit und Muße sein kann, wenn man weder zu viel noch zu wenig Zeit dafür hat. Ein Sechsstundentag für Mann und Frau dürfte dann nicht unerreichbar sein und entspräche mehr oder weniger der Zeit, die die Kinder in der Schule verbringen. Dies würde eine vollständige Erneuerung des Familienlebens ermöglichen. Aber schon eine Verkürzung des Arbeitstages um eine Stunde würde dazu verhelfen, die Väter ins Haus zurückzubringen. Gegenwärtig ist die Beteiligung des Mannes am Leben seiner Familie zumeist auf das Wochenende und im übrigen darauf beschränkt, daß er den Bericht seiner Frau über das, was sich während seiner Abwesenheit zugetragen hat, entgegennimmt. Diese Art der »Anteilnahme« mag vielleicht für das Verhältnis eines Chefs zu seinen Mitarbeitern angemessen sein; sie reicht aber gewiß nicht aus, um eine Familie für alle ihre Mitglieder zu einer lebendigen Gemeinschaft werden zu lassen.
Es erscheint uns in so hohem Maße wünschenswert, aus Ehemännern und Vätern vollwertige Partner in den Angelegenheiten ihrer Familie - statt bloße Abendbesucher (»visiteurs du soir«) - zu machen, daß wir mit dem Ziel einer generellen Arbeitszeitverkürzung, die ganztägige Beschäftigung der verheirateten Frau einer Teilzeittätigkeit vorziehen möchten obgleich während einer Übergangsperiode die Teilzeitarbeit möglicherweise leichter getan werden kann (leichter zu finden ist sie gewiß nicht). In einer Erörterung ähnlicher Probleme, nämlich daß es wünschenswert wäre, wenn die Männer an dem Leben ihrer Familie größeren Anteil nähmen und die Frauen sich an dem außerhäuslichen Berufsleben beteiligten, regt ein amerikanischer Autor, Ashley Montague,[4] eine radikale Verbesserung unseres Arbeitssystems an. Er legt einen Plan vor, nach dem alle ledigen Personen beiderlei Geschlechts 8 Stunden, alle verheirateten Männer und Frauen hingegen nur 4 Stunden pro Tag arbeiten sollten. An Stelle der üblichen Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern befürwortet er eine Differenzierung der Arbeitszeit (aber nicht der Arbeitsarten) nach dem Familienstand. Dies würde, meint er, dazu verhelfen, durch die Schaffung völliger Gleichheit zwischen Mann und Frau ein harmonisches Verhältnis der Ehegatten zueinander herzustellen: gleicher Anteil an der beruflichen wie an der häuslichen Arbeit, und gleiche Pflichten beim Aufziehen der Kinder, wobei beide genügend Zeit hätten, sich dem Heim, der Familie und anderen gemeinsamen Interessen zu widmen.
So wünschenswert diese Ziele auch sind, erscheint es uns doch äußerst unrealistisch, einen Zustand zu schaffen, wo auf Junggesellen Prämien stehen, und zu erwarten, daß Arbeitgeber statt einer vollen Kraft zwei Halbtagskräfte beschäftigen oder die personelle Organisation des Betriebes einer jeden Veränderung im Familienstand ihrer Mitarbeiter anpassen; ganz zu schweigen von den Arbeitgebern selbst oder den vielen Menschen in freien Berufen wie Ärzten, Rechtsanwälten, Architekten usw. und den unabhängigen Geschäftsleuten, deren Arbeit ganz an ihre Person gebunden ist und weder auf die Hälfte reduziert noch zur Hälfte auf eine andere Person übertragen werden kann.
Im Gegensatz dazu bringt unsere Anregung, die Zahl der Erwerbstätigen durch Einbeziehung verheirateter Frauen, die entweder kinderlos sind oder keine kleinen Kinder mehr betreuen müssen, zu erhöhen, keine größeren Veränderungen des Arbeitsgefüges mit sich. Der Vorschlag beruht hauptsächlich auf einer veränderten Einstellung der Frauen selbst und auf der Schaffung von besseren Möglichkeiten, den Umfang der Hausarbeit zu verringern. Beide Bedingungen sind bereits auf dem Wege zu ihrer Erfüllung, und alles, was wir brauchen, ist eine allmähliche Beschleunigung dieser Entwicklung und ihre Ausdehnung auf einen größeren Teil der Bevölkerung.
Es ist möglich, daß sich ein Interessenkonflikt zwischen beiden Geschlechtern ergibt, wenn man eine Verringerung der durchschnittlichen Arbeitszeit pro Woche zu planen beginnt. Die Kürzung der täglichen Arbeitszeit mag für jene Frauen verlockend sein, die gern zu Hause sind, wenn ihre Kinder aus der Schule kommen; eine Verringerung der Arbeitstage mag dagegen den Männern, die an sportlichen Veranstaltungen interessiert sind, und auch den Gewerkschaften vorteilhafter erscheinen. Tatsächlich könnte eine Erhebung interessant sein, die die Vorteile eines kürzeren Arbeitstages - die sich in geringerer täglicher Ermüdung und vermehrter Teilnahme am Familienleben ausdrücken - der kürzeren Arbeitswoche - die sich im besseren Erholungseffekt eines »verlängerten Wochenendes« ausdrückt gegenüberstellt. Der Reiz wird offensichtlich viel größer für solche Arbeitskräfte sein, die wie in London und anderen Großstädten viel Zeit auf die Fahrt vom und zum Arbeitsplatz verwenden müssen.
Die mit der Sozialpolitik befaßten Stellen sind in wachsendem Maße zu der Einsicht gekommen, daß die berufstätigen Männer und Frauen nicht isolierte Einzelwesen, sondern Mitglieder von Familien sind, und daß man dieser Tatsache nicht nur im Heim, sondern auch bei der Organisation der Arbeit und der Freizeitgestaltung Rechnung tragen sollte. Das Problem besteht darin, wie man das Interesse der Wirtschaft an steigender Produktivität und das soziale Streben nach Zufriedenheit unter den Werktätigen und ihren Familien am besten ins Gleichgewicht bringt.
Die Richtung, in der sich die wohlerwogene amtliche Politik bewegt, kommt sowohl in Schweden als auch in Großbritannien am deutlichsten in den Berichten der Königlichen Kommissionen für Bevölkerungsfragen zum Ausdruck. Ihr Ausgangspunkt war bemerkenswerterweise nicht die Besorgnis um die Stellung der Frau, sondern um die Mittel und Wege zum Schutz der Interessen der Familie. Nichtsdestoweniger kamen beide zu einer entschiedenen Befürwortung der Berufstätigkeit verheirateter Frauen.
Die schwedische Kommission von 1955 beschuldigte die Arbeitgeber des »sozialen Mißbrauchs ihrer Macht«, wenn sie es verheirateten Frauen erschwerten, eine Stellung zu finden. Es wurde vorgeschlagen, ein Gesetz zu schaffen für den Fall, daß sich die Verhältnisse auf dem Arbeitsmarkt innerhalb eines angemessenen Zeitraums in dieser Hinsicht nicht änderten. Im Jahre 1938 legte die Königliche Kommission den Entwurf eines im folgenden Jahr verkündeten Gesetzes vor, nach dem »Berufstätige nicht wegen einer Heirat, einer Schwangerschaft oder der Geburt eines Kindes entlassen werden dürfen«.[5]
Die britische Königliche Kommission für Bevölkerungsfragen (Royal Commission on Population)[6] äußerte ihre Ansicht zu diesem Problem wie folgt: »Es wäre ganz allgemein für die Frau, die Familie und die Gemeinschaft von Schaden, versuchte man, den Beitrag, den die Frau zum Kultur- und Wirtschaftsleben der Nation beisteuern kann, einzuschränken. Es ist richtig, daß Mutterschaft und berufliche Vollbeschäftigung oft in Konflikt geraten. Dieser Konflikt ergibt sich zum Teil aus der biologischen Funktion der Frau, wird zum Teil aber auch künstlich erzeugt, und das Fortbestehen dieses künstlichen Elements führt dazu, den Stand der Mutterschaft zu einer untergeordneten Alternative gegenüber der außerhäuslichen Erwerbstätigkeit und der Teilnahme am öffentlichen Leben werden zu lassen. Wir begrüßen daher die Beseitigung des Eheverbotes in Berufen wie im Lehramt und dem öffentlichen Dienst, und wir sind der Meinung, man sollte sich um eine Regelung bemühen, die es den Frauen erleichtert, ihre Mutterschaft und die Betreuung des Haushalts mit Tätigkeiten außerhalb des Hauses zu verbinden .«[7]
Man könnte hinzufügen, daß die erforderlichen Maßnahmen sich nicht auf eine technische und soziale Reorganisation beschränken. Was diese betrifft, so können Mittel für eine Verbesserung gefunden werden, und wir haben einige ihnen erwähnt. Von gleicher Wichtigkeit jedoch ist ein Wandel in der gesellschaftlichen Einstellung. Dies ist ein Prozeß, der unvermeidlich langsamer vonstatten geht und nicht durch rein administrative Maßnahmen bewirkt werden kann.
Ein solcher Wandel in der Einstellung kann Folgen haben, von denen einige gegen tiefverwurzelte, gesellschaftliche Traditionen und wohlerworbene Rechte verstoßen mögen und die darum bei vielen Menschen - bei Frauen nicht weniger als bei Männern - unpopulär sein werden.
Um nur ein Beispiel zu nennen: Hat sich erst einmal der Gedanke durchgesetzt, daß es gleichermaßen die Pflicht von Männern und Frauen ist, einen positiven Beitrag zur Volkswirtschaft zu leisten, so ist schwerlich einzusehen, wieso ein Mann weiterhin seine geschiedene Frau bis zum Ende ihres Lebens unterhalten soll, wenn sie in der Lage ist, für sich selbst aufzukommen- Oder - während es bisher für eine Frau üblich ist, ihre Stellung aufzugeben, wenn der Beruf ihres Mannes einen Wechsel des Wohnsitzes erfordert -, es sind Situationen denkbar, in denen es sich für einen Mann günstiger erweist, seine Stellung zu wechseln, damit die Frau die ihre behalten kann. Gegenwärtig besteht ein starkes Vorurteil gegenüber einer solchen »Vertauschung der Rollen«; es kann nur allmählich beseitigt werden, indem Menschen bei gegebener Gelegenheit ein Exempel statuieren.
Die Befürchtung weitreichender Rückwirkungen, von denen manche vielleicht unvorhersehbar sind, darf jedoch nicht gesellschaftlichen Reformen im Wege stehen, die im heutigen Stadium der technischen und wirtschaftlichen Entwicklung längst überfällig sind und für die Gemeinschaft von allgemeinem Nutzen sein würden.
Der soziale Fortschritt dringt immer nur ungleichmäßig auf den verschiedenen Gebieten menschlicher Betätigung vor. In der Regel aber hat er sich immer etwa so vollzogen, daß neue wissenschaftliche Erfindungen zu technischen Fortschritten führten, denen wiederum soziale Angleichungen und Reorganisationen folgten; Veränderungen der allgemeinen Einstellung und Meinung bilden gewöhnlich den schluß. Es besteht kein Grund zu der Annahme, auf dem Gebiet der Beschäftigung von Frauen, die heute durch die neuesten technischen Entwicklungen erleichtert und notwendig geworden ist, könne der Phasenablauf anders vor sich gehen - oder es werde Vorurteilen erlaubt sein, den Weg zum sozialen Fortschritt zu versperren.
So langsam die notwendige geistige Anpassung auch vor sich geht, sie muß sich schließlich vollziehen, und es gibt gewisse Symptome, die deutlich zeigen, daß solche Veränderungen in der sozialen Einstellung im Vordringen begriffen sind. Obwohl es zur Zeit beispielsweise keine Ideologie gibt, die verlangt, daß kinderlose verheiratete Frauen einen Beruf ergreifen (die Kriegszeit ausgenommen, wo dies in allen Ländern üblich war und in manchen zur Pflicht erhoben wurde), gibt es doch selbst in den mittleren und oberen Schichten keine Vorurteile mehr dagegen.
Dies steht in betontem Gegensatz zu den Ansichten und Gepflogenheiten früherer Generationen, und es weist auf die Richtung hin, in der die Entwicklung sich vollzieht. Die Ansichten und Vorstellungen werden mehr und mehr mit den technischen und gesellschaftlichen Entwicklungen in Einklang gebracht und wirken in Richtung einer stärkeren Beteiligung der verheirateten Frauen an den wirtschaftlichen, politischen, administrativen und kulturellen Tätigkeitsbereichen der Gesellschaft.