Die Prostitution - eine notwendige soziale Institution der bürgerlichen Welt

1. Prostitution und Gesellschaft

Die Ehe stellt eine Seite des Geschlechtslebens der bürgerlichen Welt dar, die Prostitution die andere. Die Ehe ist der Avers, die Prostitution der Revers der Medaille. Findet die Männerwelt in der Ehe keine Befriedigung, so sucht sie dieselbe in der Regel bei der Prostitution. Und wer von der Männerwelt aus irgendeinem Grunde auf die Ehe verzichtet, sucht ebenfalls in der Regel Befriedigung bei der Prostitution. Für die freiwillig oder gezwungen in Ehelosigkeit lebenden Männer wie für jene, denen die Ehe das Erwartete nicht bietet, liegen also die Verhältnisse für Befriedigung des Geschlechtstriebs ungleich günstiger als für die Frauen. Die Männerwelt hat stets die Benutzung der Prostitution als ein ihr von »Rechts wegen« zukommendes Privilegium betrachtet. Um so härter und strenger wacht und urteilt sie, wenn eine Frau, die keine Prostituierte ist, einen »Fehltritt« begeht. Daß die Frau die gleichen Triebe hat wie der Mann, ja daß diese in gewissen Zeiten ihres Lebens sich heftiger als sonst geltend machen, beirrt sie nicht. Kraft seiner Herrschaftsstellung zwingt sie der Mann, ihre heftigsten Triebe gewaltsam zu unterdrücken und macht von ihrer Keuschheit ihr gesellschaftliches Ansehen und die Eheschließung abhängig. Durch nichts kann drastischer, aber auch in empörenderer Weise die Abhängigkeit der Frau von dem Manne dargetan werden als durch diese grundverschiedene Auffassung und Beurteilung der Befriedigung desselben Naturtriebs. Die Verhältnisse liegen für den Mann besonders günstig. Die Natur hat die Folgen des Zeugungsaktes der Frau zugewiesen, der Mann hat außer dem Genuß weder Mühe noch Verantwortung. Diese vorteilhafte Stellung gegenüber der Frau hat jene Zügellosigkeit in den geschlechtlichen Anforderungen gefördert, durch die sich ein großer Teil der Männerwelt auszeichnet. Da aber viele Ursachen vorhanden sind, welche die legitime Befriedigung des Geschlechtstriebs verhindern oder ungenügend erreichen lassen, ist die Folge Befriedigung desselben in der Wildnis. Die Prostitution wird also zu einer notwendigen sozialen Institution für die bürgerliche Gesellschaft, ebenso wie Polizei, stehendes Heer, Kirche, Unternehmerschaft. Das ist nicht übertrieben, es soll bewiesen werden. Es wurde dargelegt, wie die alte Welt die Prostitution ansah und für notwendig hielt, ja sie staatlich organisierte, und zwar sowohl in Griechenland als in Rom. Welche Ansichten darüber im christlichen Mittelalter bestanden, ist ebenfalls vorgeführt worden. Sogar der heilige Augustin, der nach Paulus als die bedeutendste Stütze des Christentums gelten muß und die Aszese eifrig predigte, konnte sich nicht enthalten, auszurufen: »Unterdrückt die öffentlichen Dirnen, und die Gewalt der Leidenschaften wird alles über den Haufen werfen.« Und der heilige Thomas Aquin, der bis jetzt als die größte Autorität auf dem Gebiet der Theologie gilt, hat es noch drastischer ausgesprochen: »Die Prostitution in den Städten gleicht der Kloake im Palast; schafft die Kloake ab, und der Palast wird ein unreiner und stinkender Ort werden.«
Das Provinzialkonzil zu Mailand im Jahre 1665 sprach sich im gleichen Sinne aus.
Hören wir, was die Modernen sagen. Dr. F. S. Hügel sagt: »Die fortschreitende Zivilisation wird die Prostitution allmählich in gefälligere Formen hüllen, aber nur mit dem Untergang der Welt wird sie vom Erdball vertilgt werden können.«[22] Das ist eine kühne Behauptung, aber wer nicht über die bürgerliche Form der Gesellschaft hinausdenken kann, nicht anerkennt, daß sich die Gesellschaft umwandeln wird, um zu gesunden und natürlichen Zuständen zu kommen, muß Dr. Hügel zustimmen. Ähnlich äußert sich der berühmte Hygieniker M. Rubner, Professor an der Berliner Universität und Direktor des Hygienischen Instituts: »Die Prostitution beim Weibe hat zu allen Zeiten und bei allen Völkern der Erde bestanden, sie ist etwas Unzerstörbares, weil sie dem Geschlechtsverkehr dient, aus der Natur des Menschen sich ableitet und weil der Trieb zur Prostitution in vielen Fällen sozusagen auf angeborene Fehler mancher Frauen zurückzuführen ist. Gerade wie in einer Bevölkerung das Genie und der Blödsinn, das Riesen-und Zwergwachstum und andere Abweichungen von dem allgemeinen Mittel, dem gewöhnlichen, vertreten zu sein pflegen, ebenso treten durch das Spiel der Geburt auch jene Abnormitäten zutage, welche zur Prostitution führen müssen.«[23]

Keinem der Genannten kommt der Gedanke, daß durch eine andere gesellschaftliche Ordnung die Ursachen für die Prostitution verschwinden könnten, keiner versucht, die Ursachen derselben zu untersuchen. Wohl dämmert diesem und jenem, der sich mit dieser Frage beschäftigt, daß die traurigen sozialen Zustände, unter denen zahlreiche Frauen leiden, die Hauptursache sein möchten, warum so viele ihren Leib verkaufen, aber dieser Gedanke ringt sich nicht zu der Konsequenz durch, daß alsdann notwendig sei, andere soziale Zustände zu schaffen. Zu den wenigen, die erkennen, daß die Hauptursache der Prostitution die wirtschaftlichen Verhältnisse sind, gehört Th. Bade:[24] »Die Ursachen der bodenlosen moralischen Versunkenheit, aus der das prostituierte Mädchen hervorgeht, liegen in den dermaligen sozialen Zuständen ... Es ist namentlich die bürgerliche Auflösung der Mittelklassen und ihrer Existenz, insbesondere des Handwerkerstandes, der heute nur noch zu einem kleinen Bruchteil eine selbständige, gewerbsmäßige Arbeit betreibt.« Bade schließt seine Betrachtungen damit, daß er sagt: »Die Not der materiellen Existenz, welche die Familien der Mittelklasse teils schon aufgerieben hat, teils noch aufreiben wird, führt auch zur moralischen Zerrüttung der Familie und im besonderen zu der des weiblichen Geschlechts.«[25] Aber die Prostitution ist nicht nur eine von der Natur geschaffene Institution, die, wie sich R. Schmölder ausdrückt, »nach menschlichem Ermessen ein steter Begleiter der Menschheit bleiben wird«.[26] Sie ist auch eine soziale Institution, ohne welche die bürgerliche Gesellschaft undenkbar wäre. Der Leipziger Polizeiarzt Dr. J. Kühn sagt: »Die Prostitution ist nicht bloß ein zu duldendes, sondern ein notwendiges Übel, denn sie schützt die Weiber vor Untreue (die nur die Männer zu begehen ein Recht haben. d. Verf.) und die Tugend (natürlich die weibliche, die Männer bedürfen derselben nicht. D. Verf.) vor Angriffen (sic!) und somit vor dem Falle.«[27]

Diese Worte charakterisieren in der unverhülltesten Form den krassen Egoismus der Männerwelt. Kühn nimmt den korrekten Standpunkt eines Polizeiarztes ein, der die Aufgabe hat, durch Überwachung der Prostitution die Männerwelt vor unangenehmen Krankheiten zu retten. Man denkt nur an den Mann, dem das zölibatäre Leben ein Greuel und eine Marter ist; aber die Millionen zölibatärer Frauen haben sich zu bescheiden. Was bei den Männern Recht ist, ist bei den Frauen Unrecht, Unmoralität und Verbrechen. Ein anderer interessanter Herr ist Dr. Fock, der die Prostitution als »ein notwendiges Korrelat unserer zivilisierten Einrichtungen«[28] betrachtet. Er fürchtet Überproduktion an Menschen, wenn nach Erlangung der Zeugungsfähigkeit alle heirateten, und darum hält er für wichtig, die Prostitution staatlich zu »regulieren«. Er findet es gerechtfertigt, daß der Staat die Prostitution regelt und überwacht und die Sorge für Lieferung syphilisfreier Dirnen an die Männer übernimmt. Er erklärt sich für schärfste Überwachung aller Frauenzimmer, denen ein liederlicher Lebenswandel nachgewiesen wird. Auch dann, wenn die Damen mit »liederlichem Lebenswandel« den vornehmen Klassen angehören? Es ist das alte Lied. Dr. Fock verlangt auch die Besteuerung der Prostituierten und die Konzentration der Prostituierten in bestimmten Straßen. Mit anderen Worten, der christliche Staat soll sich aus der Prostitution eine Geldeinnahme schaffen, indem er zum Besten der Männerwelt die Prostitution staatlich organisiert und schützt. Wie sagte Kaiser Vespasian in einem ähnlichen Falle? Non olet! (Es riecht nicht.) Einen eigenartigen Standpunkt nimmt ein Dr. Heinrich Severus[29] ein, der sich ebenfalls für die gesetzliche Anerkennung der Prostitution erklärt. Er sieht eben in dieser eine sehr nützliche Einrichtung, weil sie eine notwendige Begleiterscheinung der Ehe sei, ohne welche die Freiheit der Entschließung zur Ehe verkümmern würde. Die Prostitution ist ihm zufolge eine Art Sicherheitsventil für die bürgerliche Gesellschaft. Er behauptet: »Ein großer Teil der Not, deren Vorhandensein heute so mißliche soziale Zustände schafft, ist darauf zurückzuführen, daß Ehen unüberlegt, ohne Prüfung der Frage, woher der nötige Lebensunterhalt beschafft werden soll, geschlossen worden sind. Der Staat hat ein Interesse daran, daß derartige Ehen nicht zustande kommen, denn die daraus hervorgehenden Kinder, für deren Unterhalt von den Eltern nicht genügend gesorgt werden kann, die aber als eheliche auch nicht ins Findelhaus gehören, bedrohen die Sicherheit der Gesellschaft.« Die Prostitution verhüte aber, daß »unter dem Zwange des Naturgesetzes Ehen geschlossen werden, die zu einer Vermehrung des Volkes um Elemente führen, deren aus Not unterbliebene Erziehung und aus einer freudlosen Jugend entspringende staatsfeindliche Gesinnung sie zu Gegnern der Gesellschaft macht«. Damit wäre also in der staatlich regulierten Prostitution sogar ein Heil- und Schutzmittel gegen die Sozialdemokratie gefunden, eine Ansicht, die wenigstens Originalität beanspruchen kann. Also! Es bleibt dabei: Die Prostitution ist eine notwendige soziale Institution der bürgerlichen Welt, ebenso wie Polizei, stehendes Heer, Kirche und Unternehmerschaft!
(...)

2. Das Wachstum der Prostitution, Uneheliche Mütter

Die Zahl der Prostituierten läßt sich schwer schätzen, genau gar nicht angeben. Die Polizei kann annähernd die Zahl derjenigen feststellen, deren hauptsächlichster Erwerb die Prostitution ist, sie vermag dies aber nicht von der viel größeren Zahl jener, die sie als teilweisen Erwerb benutzen. Immerhin sind die annähernd bekannten Zahlen erschreckend hoch. Nach v. Öttingen wurde schon Ende der sechziger Jahre die Zahl der Prostituierten in London auf 80 000 geschätzt. In Paris belief sich die Zahl der eingeschriebenen Prostituierten am 1. Januar 1906 auf 6196, aber von diesen entzieht sich mehr als ein Drittel der polizeiärztlichen Kontrolle.
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Die Zahl der Prostituierten wächst in dem Maße, wie die Zahl der Frauen wächst, die in den verschiedensten Industrie- und Gewerbezweigen als Arbeiterinnen beschäftigt und oft mit Löhnen abgefunden werden, die zum Sterben zu hoch, zum Leben zu niedrig sind. Die Prostitution wird gefördert durch die in der bürgerlichen Welt zur Notwendigkeit gewordenen industriellen Krisen, die Not und Elend in Hunderttausende von Familien tragen.
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Mrs. Butler, die so eifrige Vorkämpferin für die Ärmsten und Elendesten ihres Geschlechts, sagt: »Zufällige Umstände, der Tod eines Vaters, einer Mutter, Arbeitslosigkeit, unzulänglicher Lohn, Elend, trügerische Versprechungen, Verführung, gestellte Netze haben sie ins Verderben geführt.« Sehr lehrreich sind die Mitteilungen, die Karl Schneidt in einer Broschüre »Das Kellnerinnenelend[30] in Berlin« über die Ursachen macht, die jene der Prostitution so häufig in die Arme führen. Auffallend sei die große Zahl der Dienstmädchen, die Kellnerinnen, und das heiße fast immer Prostituierte, würden. In den Antworten, die Schneidt auf seine Fragebogen an die Kellnerinnen empfing, heißt es zum Beispiel: »Weil ich von meinem Herrn ein Kind bekam und verdienen mußte.« Andere geben an: »Weil mir mein Bauch verdorben wurde«, wieder andere: »Weil mit Hemdennähen und dergleichen zu wenig verdient wird«, oder: »Weil ich, als Arbeiterin aus der Fabrik entlassen, keine Arbeit mehr bekam«, oder: »Weil der Vater gestorben und noch vier kleine Geschwister da waren.« Daß besonders Dienstmädchen, nachdem sie der Verführung ihrer Dienstherren zum Opfer fielen, ein großes Kontingent zu den Prostituierten stellen, ist bekannt. Über die auffällig große Zahl der Verführungen von Dienstmädchen durch ihre Dienstherren oder deren Söhne äußert sich sehr anklagend Dr. Max Taube in einer Schrift.[31] Aber auch die höheren Klassen liefern ihr Kontingent zur Prostitution, nur ist es nicht die Not, sondern Verführung und Neigung zu einem leichtfertigen Leben, zu Putz und Vergnügungen. Darüber heißt es in einer Schrift »Die gefallenen Mädchen und die Sittenpolizei«:[32]
»Starr vor Schreck, vor Entsetzen, hört so mancher brave Bürger, so mancher Pastor, Lehrer, hochgestellte Beamte und hochgestellte Militär unter anderem, daß seine Tochter heimlich sich der Prostitution ergeben hat, und wäre es statthaft, alle diese Töchter namhaft zu machen, es müßte dann entweder eine soziale Revolution vor sich gehen, oder die Begriffe von Ehre und Tugend im Volke würden schweren Schaden leiden.«

Es sind namentlich die feineren Prostituierten, die Hautevolee unter ihnen, die sich aus diesen Kreisen rekrutieren. Auch ein großer Teil der Schauspielerinnen, deren Garderobekosten zu ihrem Gehalt im krassesten Mißverhältnis stehen,[33] ist auf eine solche schmutzige Erwerbsquelle angewiesen. Das gleiche gilt von zahlreichen Mädchen, die sich als Verkäuferinnen und dergleichen vermieten. Es gibt auch Unternehmer in Menge, die ehrlos genug sind, mit dem Hinweis auf die Unterstützung durch »Freunde« die Niedrigkeit des Lohnes zu rechtfertigen. Wir sehen also, wie infolge unserer sozialen Zustände Laster, Ausschweifungen, Vergehen und Verbrechen aller Art erzeugt werden und zunehmen. Die ganze Gesellschaft kommt in einen Zustand der Unruhe, unter dem die Frauen am meisten leiden. Die Frauen fühlen dieses immer mehr und suchen Abhilfe. Sie verlangen in erster Linie ökonomische Selbständigkeit und Unabhängigkeit, die Frau soll wie der Mann zu allen Tätigkeiten zugelassen werden, zu denen sich ihre Kräfte und Fähigkeiten eignen; sie verlangen insbesondere auch die Zulassung zu den mit dem Namen der »liberalen Berufe« bezeichneten Gewerben. Sind diese Bestrebungen berechtigt? Sind sie ausführbar? Helfen sie? Das sind Fragen, deren Beantwortung sich aufdrängt.

Nachbemerkung (Monika Seifert):

Weibliche Prostitution war für Bebel ein wichtiges Indiz dafür, daß die Frauen einer Gesellschaft unterdrückt seien. Die Ursache für die Prostitution sah er in der herrschenden Sexualmoral und besonders in der materiellen Notlage vieler Frauen. Die Sexualmoral ist freier geworden, keine Frau befindet sich in einer solchen materiellen Situation, daß nur Prostitution ihr das Oberleben garantieren würde. Trotzdem gibt es weiterhin weibliche Prostitution. Ist sie immer noch lndikator für weibliches Unterdrücktsein, oder muß man sie als individuelles psychisches Problem ansehen - Relikt einer noch nicht ganz beendeten Vergangenheit, auch was die Kunden der Prostituierten angeht? Finden sich hier Individuen, die für die gesellschaftliche Situation nicht mehr repräsentativ sind? Nach der Untersuchung von Dorothea Röhr kann man dies von den Prostituierten nicht sagen.* (Anm. Seifert: Dorothea Röhr: Prostitution. Ffm. 1972.)
Prostituierte sind heute Frauen, die die traditionelle Frauenrolle, Kinder, Küche, Kirche, ablehnen und durchschnittlich eine bessere Ausbildung als der Durchschnitt der weiblichen Bevölkerung haben. Nur ein Fünftel der Befragten gab für ihre Entscheidung Gründe an, die außerhalb ihrer Kompetenz lagen. Die Sozialisation der Prostituierten verweigert ihnen aber zwei wichtige Eigenschaften, die ihren Protest positiv, z. B. in eine berufliche Karriere, verwandeln könnten: Bindungsfähigkeit und Leistungsmotivation. Mangelnde Leistungsmotivation ist für die Frauen unserer Gesellschaft immer noch normal; meistens ist damit die Aufgabe des Anspruchs nach Unabhängigkeit verbunden. Prostituierte sind Frauen, die diesen Anspruch nicht aufgegeben haben, aber unfähig sind, ihn zu realisieren. Prostitution ermöglicht ihnen, den Konflikt scheinbar zu lösen. Die große Mehrheit der Frauen unterscheidet sich von Prostituierten also dadurch, daß sie ihren in der Kindheit vorhandenen Anspruch auf Unabhängigkeit aus »Liebe« (Bindungsfähigkeit) verdrängten, um selbst liebenswert zu bleiben. Der Vergleich der psychischen Struktur von Prostituierten mit der von »normalen« Frauen zeigt sehr genau, wie unterdrückt alle Frauen dieser Gesellschaft immer noch sind, weil der Anspruch auf Unabhängigkeit nicht einlösbar ist und deshalb ldentitätszerstörung bedeutet. An dieser Stelle müssen wir uns fragen, ob es der Ausweg aus unserem Dilemma sein könnte, wenn wir uns dafür einsetzten, daß auch die Frauen Leistungsmotivation lernen. (Wem diese Formulierung fremd klingt: Die neueren Untersuchungen zeigen, daß man mit Motivationen nicht geboren oder begabt zur Welt kommt, sondern begabt wird durch die Chance zu lernen.)
Müssen wir uns den Leistungsstandards der Männer anpassen, um unabhängig von ihnen zu werden, oder könnten unter kapitalistischen Verhältnissen Formen des Kampfes für weibliche Unabhängigkeit entwickelt werden, die sich nicht an den Normen dieser Gesellschaft orientieren? Müssen wir erst wie die Männer werden und mit deren Mitteln unseren Beitrag für den Sieg des Sozialismus (unserer Befreiung) leisten, um nach diesem Sieg wieder Frauen sein zu dürfen? Bloß, woher wissen wir dann, was es heißen könnte, ein weiblicher Mensch zu sein?