a) Die gewandelte Öffentlichkeit
Der Auftriebwille innerhalb der heutigen Menschheit, das Streben nach Steigerung des Lebensstandards, nach technischem und zivilisatorischem Fortschritt, nach politischer Eigenständigkeit, wirtschaftlichem und kulturellem Austausch, darf nicht als etwas religiös Bedeutungsloses angesehen werden, nicht bloß als äußere Betriebsamkeit und praktischer Materialismus, so sehr dies auch bei einer vordergründigen Betrachtung der Dinge stimmen mag. Im Hunger nach der Materie, auch nach der geistigen Materie, dem zu bewältigenden Lebensstoff, verbirgt sich ein ungeheurer religiöser Hunger der Menschen. In vielen indifferent oder negativ wirkenden Erscheinungen des heutigen Lebens verrät sich eine anonyme Religiosität, gerade bei denen, die sich als antireligiös oder religiös uninteressiert bezeichnen.
Es ist daher nötig, daß die auf der ganzen Welt heute durch Technik und Zivilisation, durch Kommunikationsmittel und Hebung des Bildungsstandes hervorgerufene Gleichförmigkeit nicht links liegengelassen wird wie etwas, das mit der Heilsexistenz des Menschen nichts zu tun hat, sondern daß man bei der Verkündigung der christlichen Botschaft diese Realitäten als Ausgangspunkt nimmt und über den vordergründig bloß materiellen Nutzwert hinaus ihre menschheitliche Bedeutung ins Bewußtsein ruft.
Warum drängt heutzutage alles in die Öffentlichkeit und Berufswelt? Warum genügt es so vielen Menschen nicht, in der Verborgenheit von Haus und Familie ihre Arbeit zu tun? Ist das alles nur Verrat an der Schöpfungsordnung, oder kündigt sich dahinter noch etwas anderes an? Die Öffentlichkeit bekommt heute eine ganz neue Bedeutung für den Menschen. Sie verlockt nicht nur zu Managertum, Karrieresucht und Erfolgsstreben, die für die menschliche Heilsexistenz eher Abfall als Erfüllung bedeuten, sondern in der Öffentlichkeit steckt eine ganz bestimmte heilvolle Erwartung und Verheißung. Bewußt oder unbewußt vermutet der heutige Mensch hier den Ort, wo die in ihm gelegenen Möglichkeiten und Fähigkeiten entdeckt werden, wo er geweckt und gefördert wird und seine Kräfte offensichtlich im Gefüge der menschlichen Gesellschaft entfalten darf.
Öffentlichkeit vor und nach der Industrialisierung, Öffentlichkeit in einem patriarchalisch-monarchischen Gemeinwesen und in einem demokratisch gelenkten Sozialgefüge sind ganz verschiedene Wirklichkeiten. Auch der Mann, nicht bloß die Frau, war vor der Industrialisierung viel »häuslicher«, als er es heute ist. Ein wesentlicher Lebensbereich ist von der Häuslichkeit weitgehend an die Öffentlichkeit abgewandert, und das ist die Arbeitswelt in Fabriken, Büros, Betrieben und Ausbildungsstätten. Jedenfalls ist es so, daß die Bereiche des menschlichen Lebens, die heute die häusliche Welt übersteigen, viel breiter und entscheidender für den Menschen sind als je zuvor.
Zur Zeit der häuslichen Betriebe spielte sich auch der größte Teil von Leben und Wirken des Mannes in der Familienatmosphäre ab, er transzendierte diesen Bereich gleichsam nur durch eine schmale Schicht von öffentlichen Belangen und Interessen, wenn nicht das politische Leben eine solche Absolutheit gewann wie in der Antike, im griechischen Stadtstaat, wo der Aristokrat überhaupt nicht arbeitete, sondern die Arbeit dem Sklaven überließ.
Sonst jedoch war der Lebensbereich Öffentlichkeit bis zur Industrialisierung für den Menschen schlechthin sehr schmal, und heutzutage wird er immer breiter. Wie viele Funktionen, die früher der Familie zukamen, sind heute auf die Öffentlichkeit übergegangen. Es ist daher äußerst naiv, wenn man nach wie vor behauptet, dem Mann gehöre die Öffentlichkeit, der Frau komme die Verborgenheit von Häuslichkeit und Familie zu. Bei der großen Bedeutung der Öffentlichkeit für das gegenwärtige Leben braucht sie menschlichen Einsatz, geistige und religiöse Verantwortung von Mann und Frau miteinander. Wie verhängnisvoll ist es, wenn der Öffentlichkeitsbereich ideologisch dirigiert wird, wie schwierig und beinahe hilflos ist die Position der Familie, dagegen aufzukommen!
Die Bedeutung der Familie liegt heute darin, sich nicht gegenüber der Öffentlichkeit als etwas Indifferentem abzukapseln, sondern dafür zu sorgen, daß es zu einem lebendigen Kontakt und Austausch zwischen Familie und Öffentlichkeit kommt. Die Familie steht jetzt ganz anders da als früher. Ihre Festigkeit beruht nicht mehr auf einem großen Sippenverband, auf Hausbesitz, Liegenschaften und eigenem, wenn auch noch so kleinem Betrieb, sondern sie findet sich als Kleinfamilie von zwei Generationen in der modernen Mietwohnung vor und lebt gewöhnlich vom Monatseinkommen. Die materielle Basis ist schwächer geworden, die personalen Beziehungen innerhalb der Ehe und Familie werden daher wesentlicher und stärker angespannt. Dies ist Bedrohung und Chance zugleich. Die Familie hat heute den besonderen Auftrag, menschliche Impulse und Neuansätze, die sich vielleicht in der Öffentlichkeit zeigen, wahrzunehmen, in ihrem eigenen Innenraum zu vertiefen und wiederum an die Öffentlichkeit auszustrahlen.
Dies ist dort schon der Fall, wo sich Familien untereinander und auch verheiratete und unverheiratete Personen in einem familienähnlichen freundschaftlichen Beisammensein finden, ihre Lebenserfahrungen austauschen, ihr Schicksal gemeinsam tragen, die Ursachen für Fehlerscheinungen zu entdecken versuchen und einander neue Impulse geben, aus denen das Leben bestanden wird. Ob arbeitsmäßig durch ihren Beruf, wie heute fast jede unverheiratete Frau, oder ob interessemäßig durch zeitgemäße Welteinstellung, wie die verheiratete Frau als Erzieherin ihrer Kinder, die Frau ist auf die heutige Öffentlichkeit ebenso hingeordnet wie der Mann und schuldet ihr ihre Gedanken und ihre Kraft.
Es wäre jedoch falsch zu behaupten, die Frau habe die Öffentlichkeit wieder zu vermenschlichen, weil der Mann allein sie zu stark versachlicht habe. Das wäre eine übertriebene Belastung des Mannes. Es ist vielmehr so, daß Mann und Frau gemeinsam im heutigen Leben, welches so weitgehend ein öffentliches geworden ist, das Menschliche hochzuhalten haben. Wenn man daher der Frau fernerhin das schlechte Gewissen einimpft, die Öffentlichkeit sei ihr wesensfremd, so hindert man die heutige Lebensentfaltung und schadet der Menschheit.
Alle diese Dinge betreffen Mann und Frau miteinander. Die moderne Gleichförmigkeit und der Einbruch der Öffentlichkeit in das menschliche Leben bringt es mit sich, daß man die früher für das Wesen und den Wirkungsbereich von Mann und Frau aufgestellten Gegensätze nicht mehr in der gleichen Weise aufrechterhalten kann.
b) Revision des Frauenbildes
Es gilt nun zu erkennen, daß die Unterschiede von Mann und Frau nicht aufgehoben werden, daß ihre Verschiedenheit gewahrt bleibt, auch wenn sie sich sachlich immer mehr den gleichen Aufgabengebieten zuwenden. Selbst wenn sie in Familie und Öffentlichkeit weniger in Über- und Unterordnung, sondern in partnerschaftlicher Ergänzung einander begegnen, braucht die Polarität von Mann und Frau nicht ihre Spannung zu verlieren. Trotz aller staatsbürgerlichen und rechtlichen Gleichstellung in den modernen Staaten ist es theoretisch und praktisch noch nicht zur Selbstverständlichkeit geworden, daß das Menschsein in den beiden verschiedenen Seinsformen des Mannes und der Frau auf gleich ursprüngliche und gleich intensive Weise existent ist. Unklarheiten im Menschenbild belasten uns und halten überlebte Gesellschaftsformen über die Zeit hinaus fest, weil man nicht zu unterscheiden weiß, was unveräußerlicher Wesensbestand ist und wo geschichtlicher Wandel, individuell erworbene Eigenschaften und Fähigkeiten sich Bahn brechen dürfen.
Es gibt eine gegenseitige Verketzerung der beiden Geschlechter, wobei das eine dem anderen das volle Menschsein abspricht. Allgemein bekannt ist die »dis-qualification of sex« bei der Frau, die aus dem patriarchalisch-männlichen Selbstbewußtsein entstand und der Frau gewisse Eigenschaften, Fähigkeiten und Zuständigkeiten absprach. Diese Disqualifikation besteht immer noch auf der Bewußtseinsebene und macht sich überall als handicap bemerkbar. Man achte nur einmal darauf, was alles unter der Wendung »als Frau« zum Vorschein kommt, etwa wie: Als Frau kann Ihnen diese Arbeit wirklich nicht zugemutet werden. Oder: Als Frau können Sie auf diese Position nicht rechnen. Oder: Als Frau dürfen Sie in diesem oder jenem Ausland nicht allein im Auto reisen. Oder auch: Als Frau müssen Sie dankbar sein, diese verantwortungsvolle Aufgabe ausüben zu können, auch wenn Sie nicht danach bezahlt werden.[1] Besonders schmerzlich wird oft von Seiten der Frauen die taktlose Frage empfunden: »Warum sind Sie als Frau denn nicht verheiratet?"
Verhältnismäßig am freiesten bewegt man sich in jenen Öffentlichkeitsbereichen, die nicht kirchlich beeinflußt sind, obwohl es auch im betont indifferenten Bereich heute noch zuweilen einen Schopenhauerschen Antifeminismus gibt. In irgendeiner Weise aber wirkt überall die untergründige Meinung mit, daß Frausein gemindertes Menschsein bedeute, Verringerung des Anspruchs auf Selbstentfaltung, in einem gewissen Sinne krankes Sein. Insofern sind wir heute noch nicht über das aristotelische Menschenbild hinausgelangt.
Schauen wir uns nun die weniger bekannte Form der Verketzerung an, nämlich die Disqualifizierung des Mannes durch die Frau. Auch diese gibt es. Sie hängt zusammen mit jenem älteren Frauenbild des ewig Weiblichen und wird sowohl von männlichen wie weiblichen Anhängern dieses Frauenbildes betrieben. Es ist die Überbetonung und Überschätzung des Menschlichen in der Frau zuungunsten des Mannes, etwa in dem Sinne, daß man sagt, die Frau würde in ihrem Werk leben, müsse es durchseelen, mit der ganzen Kraft ihrer Persönlichkeit darin eingehen, oder sie verkümmere, während der Mann sein Werk nur mit dem kalten Verstand oder gleichsam mit den Fingerspitzen seiner Person anpacke und nicht allzuviel Menschlichkeit hineingebe.
Diese Theorien, auf männlicher Seite eine Mythisierung der Frau, auf weiblicher Seite aber eine Selbstver-himmelung, widersprechen der gemeinsamen Verantwortung von Mann und Frau für das Menschliche. Der Mann wird menschlich abgewertet; gleichsam als eine belanglose Konzession werden die Sachbereiche der modernen Weltgestaltung und der Öffentlichkeit ihm allein zugesprochen, als ob es sich da nicht um etwas Menschliches handele. Die Frau aber wird menschlich überbewertet und zugleich von der Öffentlichkeit und den sachlichen Bereichen ferngehalten. Man kann an der Ehrlichkeit solcher Motivierungen berechtigte Zweifel haben.
Weil so manche Frau dabei gescheitert ist, ihre Kräfte normal und selbstverständlich in die menschliche Gesellschaft zu integrieren, weil vielleicht von männlichen Kollegen ihre Partnerschaft nicht angenommen wurde, sie nur immer als das »andere Geschlecht« ausgeschlossen worden ist, deshalb gibt es heute eine gewisse Resignation. Die Frau flüchtet zurück unter den Schleier, ins Numinose, in ihr Geheimnis, ihren Charme, weil sie nur so auf sich aufmerksam machen und in der menschlichen Gesellschaft irgend etwas bedeuten kann.
Aber sicher ist dies nicht die richtige Reaktion. Es hat keinen Zweck, sich zu ärgern, eine lange Kette von Beispielen zu sammeln, wo man »als Frau« übergangen, beleidigt oder ungerecht behandelt worden ist, und daraus gleichsam die Berechtigung zu ziehen, nicht mehr weiterzumachen. Es hat auch keinen Sinn, einen Generalstreik der weiblichen Kräfte zu organisieren, um durch ihren Ausfall auf ihre tatsächliche, aber immer unterschätzte Bedeutung hinzuweisen. Ob es sich um Kirche oder menschliche Gesellschaft im allgemeinen handelt, die Frau wächst nur voll in die ihr zukommenden Verantwortungen hinein, wenn sie gewisse Dinge auf sich nimmt, wenn sie sich manches gefallen läßt und doch zielbewußt ihre Aufgabengebiete und Zuständigkeitsbereiche erfüllt und erweitert.
Je mehr sich das heutige Leben des Menschen durch eine gut bewältigte Praxis rechtfertigt und von der Frau die Spannung zwischen alten und neuen Aufgabenbereichen vereinbart wird, desto mehr korrigiert sich auch das Bild des Menschen als Mann und Frau im allgemeinen Bewußtsein. Denn das Menschenbild kann sich wandeln und hat sich in den einzelnen Geschichts- und Kulturepochen schon mehr gewandelt, als wir im allgemeinen vermuten. Wesen und Bild des Menschen sind ja nicht dasselbe. Wenn wir sagen, daß das Wesen des Menschen als Mann und Frau unwandelbar sei, so meinen wir damit den Menschen in der Schöpfungsidee Gottes und in der endgültigen Vollendung seiner Natur jenseits der menschlichen Geschichte. Aber hier in diesem irdischen Dasein kann der Mensch zu verschiedenen Zeiten jeweils verschiedene Wesenszüge hervorkehren und sich wandeln. Das hängt keineswegs bloß mit der Schuld zusammen, sondern vor allem mit der Geschichtlichkeit des Menschen.
Das jeweilige Bild des Menschen sammelt in sich diejenigen Wesenszüge, die gerade besonders wirksam sind. Wenn also das, was die Frau innerhalb der menschlichen Gesellschaft tut, sich ändert, wenn das gegenseitige Verhältnis von Mann und Frau sich ändert, so wandelt sich damit auch allmählich das Bild des Menschen als Mann und als Frau. Es gibt aber immer noch die von vornherein feststehende und niemals ernstlich kritisierte Vorstellung dessen, was als männlich und was als weiblich gilt.
Vielleicht müssen heutzutage diese »Apriori« oder auch »Tabus«, wie man sagen könnte, einem gewissen methodischen Zweifel unterzogen werden. Es besteht wohl nicht nur ein logischer, sondern auch ein methaphysischer Fehler darin, entweder von Vermännlichung der Frau oder von Aufhebung der Geschlechterdifferenz zu sprechen, sobald oder bloß weil man in der Frau auf etwas stößt, das auch im Manne ist, sei es rationelles Planen oder zielgerichtetes Wollen oder eine klare Einsicht und Gegenstandsbezogenheit. Was heute in Gefahr ist, ist das Menschliche, sowohl im Mann wie in der Frau.
Vielleicht wäre es besser, nicht mehr so sehr den Unterschied von Mann und Frau in Verstandeskräften einerseits und Kräften des Herzens anderseits zu erblicken, sondern man müßte mit der jeweils männlichen Rationalität und Emotionalität bzw. der weiblichen Rationalität und Emotionalität rechnen und diese allmählich besser zu verstehen suchen. Während man im leiblichen und auch noch im seelischen Bereich die Unterschiede von Mann und Frau inhaltlich benennen kann, ist dies doch auf geistiger Ebene kaum möglich, obwohl es gerade hier belangvoll ist, ob es sich um einen Mann oder eine Frau handelt. Das Geistige ist nicht, wie man bis zum Mittelalter geglaubt hat, eine über die geschlechtliche Differenzierung des Menschen ganz und gar erhabene Sphäre. Im Geistigen ist aber der Unterschied von Mann und Frau nicht mehr inhaltlich, sondern nur formal zu bestimmen, er liegt in der Art und Weise, wie bestimmte geistige Haltungen von einer männlichen oder weiblichen Person jeweils anders verwirklicht werden. Wenn man also im geistigen Bereich den Unterschied von Mann und Frau im Formalen beläßt, dann ist es nicht mehr nötig, etwa bei der Rationalität der Frau von einer männlichen Eigenschaft in ihr zu sprechen.
Oft liest man in der Zeitung, daß die über den Grund ihrer Erwerbstätigkeit befragten Frauen angeben: die Umstände haben sie dazu gezwungen, vor allem die materielle Not, bei Witwen der Tod des Mannes oder die Notwendigkeit, einen Familienbetrieb zu erhalten, bis er wieder in männliche Hände übergehen kann. Aber steckt nicht uneingestandenermaßen bei den zahlenmäßig wohl am meisten ausgeübten Tätigkeiten des Gelderwerbs in Geschäft, Fabrik oder Büro oft mehr als die materielle Bedürftigkeit dahinter, mehr als die auch nicht schlechthin abzulehnende Steigerung des Lebensstandards? Spielt nicht doch ein gewisses, vielleicht unbewußtes Auftragsgefühl eine Rolle? Und wenn es nur in der schwachen Form vorhanden ist, daß die Frau sich darüber freut, für sich selbst und vielleicht noch andere den Lebensunterhalt zu verdienen; nicht einmal in der Weise, daß sie sich bewußt wird, die menschliche Gesellschaft mitzutragen, was sie doch durch ihre Berufsarbeit tatsächlich tut.
Die gefühlsmäßige Scheu, gerade bei den einfacheren Frauen, einen anderen als den erwerbsmäßigen Grund für ihre Arbeit zuzugeben, beruht darauf, daß im Allgemeinbewußtsein nur dieser oder höchstens noch der des subsidiären Einspringens für den Mann Anerkennung findet. Dies sind die Auswirkungen des alten Frauenbildes, das keine eigenständige wirtschaftliche Betätigung für die Frau vorsah. Die meisten Frauen hüten sich, in ihrer Selbstdeutung gegen dieses Frauenbild zu verstoßen, auch wenn ihr wirkliches Leben schon längst nicht mehr damit übereinstimmt.
Ganz anders die Frauen der Frauenbewegung. Als sie zuerst die geistig selbständigen Berufe erstrebten, ging es ihnen um Selbstentfaltung im Dienste der Allgemeinheit, was sie auch klar zum Ausdruck brachten. Damals glaubte aber die ganze übrige Gesellschaft, daß diese Frauen ihr Frausein hinter sich lassen und in die Welt des Mannes gehoben würden. Berufswelt galt zunächst einmal und gilt oft auch heute noch als Welt des Mannes. Wir müssen aber bedenken, daß es falsch ist, von männlichen Berufen zu reden, nur weil diese Berufe bisher von Männern ausgeübt wurden.
Jedenfalls war es so, daß die zum eigenständigen Beruf strebende Frau zunächst einmal aus dem gängigen Frauenbild herausfiel, und man kann sich vorstellen, wie schwer es war und wieviel inzwischen schon geschehen ist, daß die berufstätige Frau im Urteil der menschlichen Gesellschaft einigermaßen zu ihrem Frausein zurückfinden konnte.
Wenn aber das Frauenbild als solches nicht revidiert und erweitert wird, dann bleiben immer jene Unsicherheiten, die es auf der ganzen W^elt der Frau so schwer machen, eine klare und eindeutige Haltung im modernen Leben einzunehmen. Wird das alte Frauenbild, sei es religiöser oder bloß gesellschaftlicher Prägung, ein-f achhin auf die Frau im Beruf angewandt, so setzt eine falsche Bescheidung ein, und die Frau wagt es nicht, nach verantwortungsvollen Aufgaben zu streben. So ist es eigentlich gut, daß das alte Bild von der Frau im großen und ganzen nicht auf die Frau in Beruf und Öffentlichkeit zugeschnitten war, daß sie, kraß gesagt, aus dem Frauenbild herausgefallen ist und ruhig auch als unweiblich angesehen wurde, bis sie genügend Zeit und Gelegenheit hatte, sich in der neuen Situation zurechtzufinden, falsche Vorstellungen im praktischen Leben zu korrigieren und zu zeigen, daß auch sie wirklich Frau ist.
Wie kommen wir nun zu einem für die heutige Zeit zutreffenden Bild der Frau, bei dem das Alte nicht einfach abgebrochen ist, wohl aber falsche retardierende Momente ausgeschaltet sind? Es geht dabei wesentlich um eine Erweiterung des Frauenbildes, die nicht vollzogen werden kann ohne Blick auf das Wesen der Frau. Denn jedes Frauenbild ist notwendig einseitig, weil es immer bestimmte Eigenarten besonders hervorhebt. Wenn sich das Frauenbild für eine neu anhebende Epoche konstituieren soll, so darf es nicht nur die Summe der soziologischen Erscheinungen sein, sondern muß denkend am Wesen der Frau gewonnen werden.
Zur Revision des Frauenbildes gehört die philosophische Grundeinsicht, daß das Frausein vom Mannsein nicht abgeleitet werden kann, daß jede der beiden Seinsformen des Menschen aus sich selber verstanden werden muß, da das Menschsein in der Frau wie im Mann mit gleicher Unmittelbarkeit und Ursprünglichkeit anwesend ist. Nur deshalb können Mann und Frau einander auch so viel bedeuten. Das Menschsein der Frau läßt sich keinesfalls als Abschwächung oder Verminderung gegenüber dem Menschsein des Mannes verstehen, wie die antike und mittelalterliche Anthropologie geglaubt hat.[2]
Zu der Erkenntnis dieser Seinsursprünglichkeit der Frau, die aufs engste verbunden ist mit der inneren Freiheit, der Eigenständigkeit und dem Schöpferischen in ihr, kann man auf meditative Weise kommen, indem man sich in das eigene Innere versenkt. Das Abhängigkeitsgefühl vom Mann, das einseitige Bedürfnis nach Schutz und Geborgenheit mag in der jugendlichen Seinsform der Frau noch stark ausgeprägt sein, es wird allmählich durchpulst und überformt von den Kräften der Eigenständigkeit. Hier liegt kein falsches Aufbegehren vor, sondern der weibliche Mensch wächst in die Wesensform des Frauseins hinein.
Damit haben wir den zweiten Begriff an der Hand, der uns neben der Unableitbarkeit des Frauseins vom Mannsein zur Revision des Frauenbildes führen kann. In jedem menschlichen Individuum,ob Mann oder Frau, ist es doch so, daß die Kräfte der Eigenständigkeit und die Kräfte der Mitmenschlichkeit einander die Waage halten müssen. Solange nicht eines von beiden vereinseitigt wird und das andere aus der Spannung entläßt, ist das betreffende Individuum in seinem Menschsein intakt. Beim Mann heißen die Kräfte der Mitmenschlichkeit Güte und Väterlichkeit. Es gibt auch eine spezifisch männliche Güte. Sicher wäre es unberechtigt, einen Mann, der in sich den Wesenszug der Güte besonders entfaltet, weniger männlich zu nennen, als einen anderen, dessen geistiges Profil die Herrscherlichkeit ist. Hier ist unser Begriff der Männlichkeit revisionsbedürftig.
Auch das Wesen der Frau enthält in sich die Spannung von Kräften der Eigenständigkeit und Kräften der Mitmenschlichkeit. Es ist daher nicht nur zu bestimmen von den Eigenschaften des Sorgens, Bergens und Behü-tens, welche miteinander die Wesensform des Mutterseins ausmachen, sondern auch von den Kräften der geistigen Planung, objektiven Bewältigung der Welt und der rationellen Klarheit, die sich alle unter der Wesensform des Frauseins zusammenfassen lassen. Wenngleich in der einzelnen Frau die eine dieser Wesensformen stärker ausgeprägt sein kann als die andere, ganz darf das SpannungsVerhältnis beider nicht fehlen. Es ist aber wiederum unberechtigt, eine Frau, bei der die Wesensform des Frauseins dominiert, weniger fraulich zu nennen, als eine andere, bei der die Mütterlichkeit stärker hervortritt.
Man hat bisher das Wesen des Mannes zu sehr aus den Kräften der Eigenständigkeit zu definieren versucht und die Kräfte der Mitmenschlichkeit nicht genügend beachtet. Bei der Frau war es gerade umgekehrt. Es ist also heute beides ergänzungsbedürftig, sowohl das Bild des Mannes wie auch das der Frau, aber in umgekehrter Richtung. Die Wesensform des Frauseins ist keineswegs abhängig vom Beruf. Weil heute jeder Mensch eine direkte Hinordnung zur Öffentlichkeit besitzt, wird sie aber stärker entfaltet als in früheren Zeiten. Solange sie jedoch nicht einseitig verabsolutiert wird, wäre es falsch, von einer Vermännlichung der Frau zu reden.
Was man oft mit Recht negativ an der modernen Frau kritisiert, ist nicht die Wesensform des Frauseins als solche, sondern deren falsche Verwirklichung, also eine Abfallserscheinung. Wenn die Spannung zu den Kräften der Mütterlichkeit aufgegeben wird, dann entsteht aus der an sich positiven Distanz der Frau zu den Menschen und Dingen ihrer Umwelt eine Sucht, alles zu objektivieren, einzuschachteln und dem freien Fluß der Dinge einen Damm entgegenzusetzen. Eine solche Frau ist auch nicht mehr gesprächsfähig. Aus ihrer sich selbst in gebührender Weise betonenden Eigenständigkeit wird dann eine Spröde und Härte, in der sie nicht mehr hinhören kann auf die anderen.
So kommen wir bei dieser Erweiterung des Frauenbildes zuletzt auf eine strenge und schlichte Form der Menschlichkeit, die so zu den menschlichen Geheimnissen des christlichen Glaubens eine Brücke schlägt. Nicht gegenseitige Absetzung des einen Geschlechtes vom anderen ist heute das Gebotene, sondern selbst- verständliche Zusammengehörigkeit. Jede der beiden menschlichen Seinsformen schließt in sich das Erlebnis der Freiheit, der Seinsursprünglichkeit, der schöpferischen Frische und verdankt dies nicht erst einer Absetzung gegenüber dem Andersartigen und Fremden. Jede der beiden menschlichen Seinsweisen, der Mann wie die Frau, soll dem anderen Zuflucht, Zuhören und Geborgenheit bieten.
Die Frau muß heute den Mut dazu haben, dasjenige zu tun, was sich in ihr wesensgemäß anmeldet. Weder das überkommene Frauenbild und Bildungsideal noch die äußeren Erfordernisse der heutigen Zeit, etwa der Bedarf an Arbeitskräften, haben die Frau einseitig zu prägen, sondern sie muß aus sich das Gesetz ihres Seins und Wirkens erkennen und es so leben, daß es im Allgemeinbewußtsein glaubhaft und überzeugend wird.
Aus der Relation zum Mann rührt das Weibliche, aus der ebenso ursprünglichen Relation zum Kind das Mütterliche und aus der Relation zur Welt und zur Öffentlichkeit das Frausein. Hinzu muß man noch rechnen, daß aus der individuellen Geschichtlichkeit das Mädchenhafte nachwirkt. Aus der Relation zu Gott entsteht das Magdhafte, das man aber im christlichen Sinne korrigieren muß als Jüngerschaft zu Jesus Christus.
So bewegt sich die Frau in einem personalen Gefüge. Alle Relationen greifen ineinander. Vor einseitigen Verabsolutierungen muß man sich immer hüten. Die Gefahr der heutigen Frau ist es, daß sie zur Funktionärin wird, während die Gefahr des älteren Frauenbildes darin liegt, daß die Frau sich in der Nur-Mütter-lichkeit selber auslöscht.
c) Retardierende Momente
Der größte Gegensatz, der sich bisher im Frauenbild unserer Zeit abgezeichnet hat, besteht zwischen der Konzeption Gertrud von le Forts und derjenigen Simone de Beauvoirs. Es mag herausfordernd erscheinen zwei so »inkommensurable Größen« wie diese beiden Frauen miteinander zu vergleichen, aber es ist notwendig, um bestimmte Dinge zu erkennen. Beide sind vor allem bekannt als Dichterin, beide haben aber auch in einem Buch über die Frau nicht nur ihr eigenes, sondern das Selbstverständnis einer großen Gruppe von Frauen zum Ausdruck gebracht.
Gertrud von le Fort vertritt in ihrem Buch »Die ewige Frau«[3] den christlichen Standpunkt mit einer ausgesprochen katholischen Akzentuierung, Simone de Beauvoir den existentialistischen mit ironischen Spitzen gegen das Christentum. Ihr Werk »Das andere Geschlecht«[4] ist äußerst umfangreich, bringt eine geistreiche Materialsammlung über »Sitte und Sexus der Frau« vom biologischen, soziologischen, kulturhistorischen, literarischen und philosophischen Standpunkt aus. Gertrud von le Fort dagegen denkt symbolhaft, dichterisch-religiös, versucht die Idee des Ewig-Weiblichen neu zu begründen, während Simone de Beauvoir alles irgendwie Mythische oder Poetische am Frauenbild schonungslos abbaut.
Gertrud von le Fort entwirft unter den drei Lebensformen der Jungfrau, Gefährtin und Mutter das Frauenbild des Dienens und der Hingabe aller schöpferischen Kräfte an den Mann oder an das Kind bzw. im religiösen Verzicht direkt an Gott. Dagegen ruft Simone de Beauvoir das Gewissen der Frauen auf, sich selbst zum schöpferischen Menschsein zu entfalten.
Formkritisch betrachtet, ist die Konzeption Gertrud von le Forts aus dem marianischen Grundbild der Frau und der humanistischen Idee des Ewig-Weiblichen entstanden. Aber es findet sich von da nur schwer eine Brücke, um dem konkreten Frauenleben von heute gerecht zu werden und seinen Sinn zu entdecken. Viele Frauen haben eine Berufsarbeit, wo die mütterlichen Kräfte und die Kräfte der Hingabe nicht oder nur sehr mittelbar einsetzbar sind, und warten auf eine Lebensdeutung. Man muß ihnen dazu verhelfen, in sich die Wesensform des Frauseins zu entdecken und sie auch mit gutem Gewissen zu leben, ohne falsche Furcht vor Vermännlichung.
Simone de Beauvoir spricht eine Absage an alle weiblichen Tugenden und Werte im herkömmlichen Sinne aus. Sie gibt eine desillusionierende Schilderung des »Schmarotzerdaseins« der Frau in der bürgerlichen Schicht. Die Erscheinungen im weiblichen Lebensrhythmus, sei es das Leibliche oder seien es die immer gleichbleibenden häuslichen und familienhaften Betätigungen, werden im Zeichen des Ekels und Abscheus beschrieben. Verkündet wird eine existentialistische Form der Freiheit, die aber mehr eine »Freiheit wovon« als eine »Freiheit wozu« ist. Unüberhörbar bleibt jedoch trotz allem der Aufruf zum schöpferischen Frausein: Die Frau darf nicht ihre Existenz verfehlen, indem sie sich in Banalitäten und Belanglosigkeiten verschachtelt und diesen einen Sinn beimißt, den sie nicht haben.
Während also die Neuformulierung des traditionell christlichen Frauenbildes durch Gertrud von le Fort daran leidet, daß die Umgestaltungen im gegenwärtigen Frauenleben nicht in positiver Weise einbezogen werden können, krankt umgekehrt das existentialisti-sche Frauenbild der Simone de Beauvoir daran, daß die Funktionen der Lebensermöglichung und überhaupt das Frauendasein im traditionellen Sinne keine echte Deutung erfahren. Wie verschieden also das Frauenbild auch jeweils konzipiert ist, beide Male werden extreme Positionen eingenommen, vor denen wir uns hüten müssen.
Ein Zwischenglied von alter und neuer Auffassung ist das viel beachtete Buch »Die Frau« von Buytendijk,[5] das von der biologischen Grundlage ausgeht. Der Verfasser ist für das praktische Leben der Frau äußerst aufgeschlossen, indem er sagt, daß grundsätzlich die Frau jeden Beruf ausüben könne, wie auch der Mann die als typisch weiblich geltenden Tätigkeiten auszuführen vermöge. Theoretisch aber kommt Buytendijk auch mit seiner modernen, an der Phänomenologie geschulten Methode wieder zu den nahezu gleichen Ergebnissen, die das traditionelle Frauenbild festhielt. Er rechnet, die biologische Gegebenheit der männlichen und weiblichen Hormone in jedem einzelnen Menschen berücksichtigend, auch im geistigen Bereich mit einem bestimmten Potential an Männlichkeit und Weiblichkeit, das im je konkreten Menschen verschieden verteilt ist. So kann ein bestimmter Mann soundsoviel weibliche und eine Frau soundsoviel männliche Eigenschaften haben. Obwohl Buytendijk um die Unzulänglichkeit der amerikanischen Male-Female-Tests weiß, bei denen die Fragen immer schon die Antwort in eine bestimmte Richtung treiben, kommt er doch grundsätzlich nicht zu neuen Erkenntnissen dessen, was das Männliche und das Weibliche eigentlich besagt.
So bezeichnet er den scharfen, durchdringenden Blick als männlich, den weichen, ruhenden Blick als weiblich, gleich ob er sich beim Mann oder bei der Frau findet. Bei der Erscheinung und Haltung wird das Symmetrische, das Weiche und Gleitende als weiblich, das Asymmetrische, Harte und Scharfe als männlich bezeichnet. Das Ewig-Weibliche an der Frau erklärt Buytendijk als das Geheimnis der Immanenz. Er versteht darunter die nicht rational berechenbare, spielerischfreizügige Kundgabe menschlicher Innerlichkeit. Das Fehlen einer bestimmten Zielgerichtetheit, der demonstrative Seinswert und der Luxus als Prinzip der Natur in der Frau werden von Buytendijk stark betont.
Umsorgen, »sorgend in der Welt sein«, zirkuläre Seinsrhythmik der Frau im Gegensatz zum intentiona-len »arbeitend in der Welt sein« des Mannes — das sind die von Buytendijk mit moderner Begriff lichkeit herausgestellten, aber immerhin nicht neuen Anschauungen über die Eigenart der Frau. Für ihn ist das Mütterliche das Entscheidende, und die Züge aus der Wesensform des Frauseins werden nicht als fraulich wahrgenommen.
Das Persongeheimnis des Menschen läßt sich aber nicht adäquat beschreiben durch das Addieren von so oder anders bestimmten Eigenschaften zur Errechnung des Verhältnisses von Männlichkeit und Weiblichkeit im einzelnen Menschen. Die menschliche Person ist mehr als nur die Summe ihrer Äußerungen. Was einen Menschen zum Mann oder zur Frau macht, ist das Per-songefüge als solches, und weil die Person ein Geheimnis ist, auch weitgehend etwas, das sich der genauen Definition entzieht. Wir haben heute mehr von der Innenerfahrung des Menschen auszugehen und dieser auch für die Anthropologie Glauben zu schenken. Wenn die Frau ihre Rationalität oder Willensbetontheit als echte Ingredienz ihres Wesens erfährt und wahrnimmt, so handelt es sich um weibliche Eigenschaften. Der psychologische Personbegriff muß als vordergründig erkannt und sowohl aufgrund der Innenerfahrung des Menschen wie aufgrund einer sachlichen Analyse der heutigen Art der Weltbegegnung geprüft und berichtigt werden.
In diesem Zusammenhang möge auch ein offenes Wort darüber erlaubt sein, daß das alte Frauenbild in der Form, wie es uns heute neu aufgelegt wird, manches Kitschige in sich enthält. Wenn Ursula von Mangoldt [6] die Frau als Magna Mater darstellt, als die gebärende und auch verschlingende Urkraft des Seins, dann entsteht eine ausgesprochen schwüle Atmosphäre, die alle klaren Konturen verschwimmen läßt. Der Tempel der Magna Mater in Ephesus, mitten im Sumpf gelegen, ist für die Autorin das Gleichbild des weiblichen Wesens.
Kitsch ist immer zuerst ein Problem der Form oder besser ein Mangel an Geformtsein. Der mythischen Aufweichung des Frauenbildes entspricht es, daß eine pessimistische Sicht der Technik mit der negativen Deutung der nüchterner und sachlicher gewordenen modernen Frau Hand in Hand geht. Das mythisierende Frauenbild legt Wert darauf, die Frau auf das Gefühl der Innerlichkeit und des Innerseelischen festzulegen. Es rät ihr davon ab, sich in sachlicher Haltung auf die Welt einzustellen, weil dies angeblich zur Vermänn-lichung führe.
Die Betonung der Innerlichkeit verliert aber dann ihre Berechtigung, wenn diese nicht in Spannung bleibt zur Distanz. Alle großen Kunstwerke sprechen unsere Innerlichkeit an, indem sie zugleich das Moment der Distanz setzen. Die einschmeichelnde Wirkung des Kitsches dagegen beruht darauf, daß es an Distanz fehlt. Wo Innerlichkeit nicht zugleich die Distanz ruft, wird sie kitschig. Dies ist der Grund dafür, daß eine wesensgerechte Darstellung des Mütterlichen so schwer ist. Auch bei vielen Madonnenbildern berühmter Meister meldet sich das Kitschige an, weil die Mutter-Kind-Beziehung nicht sauber genug, sondern ineinander verfließend dargestellt ist. Theologisch einwandfrei sind die frühmittelalterlichen Bilder, die von einer geläuterten Innerlichkeit zeugen, wo die Distanz zwischen Mutter und Kind mitgefaßt ist. Höchst mißverständlich und bedenklich ist es daher, wenn Gertrud von le Fort sagt: »Die Gestalt der Mutter ist keine fest umrissene, sie fließt zusammen mit der Gestalt des Kindes.[7]
Wenn die Frau auf eine rein seelisch verstandene Mütterlichkeit eingeengt werden soll — echte Mütterlichkeit ist aber immer zugleich etwas Geistiges — so wird sie damit zurückgedrängt auf die nicht vom Geist bewältigte und nicht durch den Geist erlöste Materie. Dies aber ist die Gefahr des mythischen Frauenbildes. Auch für Alfons Rosenberg [8] ist das Weibliche »der im Grunde ruhende, duldende, empfangende Stoff«, während das Männliche als »impulsgebender, zur Ausgestaltung treibender Geist und auf Zukunft gerichteter Wille« beschrieben wird.[9] Was ist das anders als der auf Mann und Frau angewandte Hylemorphismus des Aristoteles! Der größte theologische Irrtum dieser Konzeption ist der, daß der Festlegung der Frau auf die sogenannten Wurzelbereiche die Verherrlichung des Mannes als Krieger entspricht. Kämpfen und sich durchsetzen, heißt es, sei sein göttlicher Auftrag. Dagegen muß man sagen, daß kriegerische Betätigung des Menschen, gleich welcher Art auch immer, nicht Schöpfungsordnung sein kann, sondern Folge von Schuld und Abfall und damit der denkbar größte Kompromiß. Was man dagegen mit dem englischen Wort challenge bezeichnet, bleibt dem Mann immer aufgegeben. Mit diesem Elan zur Weltgestaltung kann die Zivilisierung und Befriedung des Erdkreises gewährleistet werden. Zu einem solchen Auftrag aber darf der Mann sich nicht von der Frau absetzen, sondern braucht sie als Partnerin.
Der Aufstand des Weiblichen besteht nun nach Rosenberg darin, daß in heutiger Zeit gleich dem Bruch einer Talsperre die weiblichen Kräfte des Daseins, das sind die Frauen, die naturhaft jungen Völker und die sozial breiteren Unterschichten der Gesellschaft, aus ihren bisherigen Begrenzungen herausdrängen und die Ordnung verlassen. Wenn der Mann heute in den Kosmos vorstößt oder in die Mikroweit der Materie hinabsteigt, so bleibt er nach Rosenberg durchaus dem Grundsatz seines Wirkens treu. Die Frau aber hat, wie er sagt, durch ihre wider die Ordnung des Geistes gerichtete Emanzipation, sich an den Werken des Mannes zu beteiligen und in die Welt hinauszulangen, den Schleier von sich geworfen und ihr Wesen verletzt.
Darin wird aber weniger eine Vermännlichung der Frau gesehen als vielmehr eine Versachlichung, eine leiblich-seelische Neutralisierung. Rosenberg bleibt jedoch bei der negativen Kritik nicht stehen. Für die Zukunft sieht er einen Menschentyp voraus, wo die Geschlechter einander stärker angeglichen sind und in gegenseitigem helfendem Austausch stehen. Dennoch entwickelt er seine Idee von der Erhebung des Weiblichen ganz nach alten Maßstäben. Aus den im mythischen und traditionell-christlichen Sinne weiblichen Qualitäten erwartet er eine Erneuerung des menschlichen Daseins. Der Begriff des Weiblichen bleibt also auch hier unverändert. So rechnet Rosenberg besonders mit dem weiblichen Ahnungsvermögen, mit der prophetischen Deutung der Zeitsituation durch die Frau, mit heilenden Kräften des Weiblichen innerhalb der menschlichen Gesellschaft, mit der gemeinschaftsbildenden Begabung der Frau, vor allem aber mit einer neuen weiblichen Grundkraft der Religiosität.
Diese Konzeption geht zwar einen Schritt weiter als die übrigen am Mythos orientierten Variationen des Menschenbildes, aber sie hält einer nüchternen Analyse der Wesensäußerungen der Frau nicht stand. Die Zuständigkeit der Frau für das Sachliche und für die Gegenstandsbereiche ist wohl irgendwie gesehen, jedoch sind keine Konsequenzen für das Frausein daraus gezogen.
Jeder Mensch, ob Mann oder Frau, hat den Auftrag, in sich das Natursein und die Verhaftung in der Materie zu transzendieren durch eine klare Geistigkeit und nicht ! bloß durch innerseelische Bezüge. Es ist doch so, daß der volle Begriff der natura humana die Geistigkeit und Freiheit jedes menschlichen Individuums in sich schließt. In dieser Hinsicht besteht kein Unterschied zwischen Mann und Frau. Den Mann als Repräsentanten des Geistes und die Frau als naturhaft verwurzeltes Wesen zu sehen, ist dagegen eine Auffassung, welche die Verpflichtung jedes Individuums zur Menschlichkeit und beider Seinsformen des Menschen miteinander für das Menschliche leugnet. Wenn ein Mensch bei der seelischen Sphäre stehenbleibt und diesen letzten geistigen Selbstbesitz nicht realisiert, so liegt ein Zurückbleiben hinter dem vollen menschlichen Auftrag vor.
Dieser geistige Selbstbesitz, der das Seelische noch transzendiert, setzt keineswegs eine hohe intellektuelle oder rationelle Begabung voraus und darf nicht mit dieser verwechselt werden. Es gibt hochbegabte Logistiker, die auf menschlicher Ebene im Seelischen stecken bleiben, und es gibt ganz einfache Menschen, die kaum eines philosophischen Gedankenganges fähig sind, aber den geistigen Selbstbesitz verwirklichen.
Die Korrektur des Menschenbildes im Sinne des gleichwesentlichen und geistig bestimmten Menschseins von Mann und Frau hat auch Konsequenzen für das gegenseitige Benehmen der beiden Geschlechter. Aus dem alten Frauenbild, wonach die Frau Schönheit und ästhetische Anmut zu repräsentieren hat, ergab sich allzu leicht ein Puppendasein der Frau gegenüber dem Mann, wie es die ostasiatischen Frauen in den höheren Ständen nahezu Jahrtausende lang leben mußten. Dieses Puppendasein, zu dem der Glaskasten gehört, macht zweierlei unmöglich: Die Frau kann nicht arbeiten, und die Frau kann nicht altern. Für die Frau als Puppe gibt es nur eine ästhetische, nicht wirklich sinnspendende Betätigung zur Unterhaltung des Mannes. Wenn sie altert, wird sie unglücklich, denn sie verliert die Existenzberechtigung. Das Benehmen zum Mann ist aus diesem Puppendasein festgelegt auf Kokettieren, Faszinieren und Verführen. Es gibt keine klare und offene Begegnung aufgrund der Freude am Menschsein des anderen, kein freies Gegenüber Aug' in Auge, sondern nur den Augenaufschlag und das Besitzergreifen.
Wo sich heutzutage noch ein solches kitschiges Benehmen der Frau zum Mann anbahnt, soll man in der Mädchenerziehung und in der weiblichen Selbsterziehung diese Dinge schonungslos bewußt machen und dadurch abbauen. Aber es gehört auch zur Selbstkritik des Mannes, sein Frauenbild von der Festlegung auf das Puppendasein und die daraus resultierenden Abfallserscheinungen bei der Frau zu befreien. Die Frau ist nicht die Verführerin von Natur, sie kann es aber unter Umständen werden, wie auch der Mann zum Verführer werden kann.
Es geht heute darum, daß jeder, ob Mann oder Frau, einen individuellen Lebensstil gewinnt, woraus wir das Verhältnis zu uns selbst, die Begegnung mit andern Männern oder Frauen bestehen. Daraus ergibt sich geistige Freiheit, Sicherheit im Auftreten, Sauberkeit bei der Zusammenarbeit mit andersgeschlechtlichen Menschen, mit denen man nicht verwandt oder verheiratet ist.
Die andere Gefahr der Frau nach dem alten Frauenbilde war die, sich in die Kinder zu verströmen, sich in den Kindern nahezu auszulöschen, aus den Kindern die eigene Existenzberechtigung zu ziehen, sie nicht freigeben zu können und auch die Beziehung zum Mann in eine zu stark mütterliche Fürsorge zu verwandeln. Hierbei ergibt sich nicht das Problem des Alterns für die Frau, aber die Gefahr ist, daß sie sich geistig selbst aufgibt und die Ehe neben der Mutterschaft keine eigene Bedeutung mehr hat.
Außerdem wird der Typ der Frau als Puppe wie der Typ der Frau als Magna Mater aber auch dadurch entlarvt, daß sich von hier aus keinerlei Ansatzpunkte oder echte Möglichkeiten für die unverheiratete Frau zeigen. Die Frau kann nicht die ganze Welt annehmen wie ein armes trostbedürftiges Kind. Denn das liefe auf eine Festlegung auf die sogenannten Frauenberufe hinaus, was Edith Stein seinerzeit längst überwunden hat, oder aber auf eine Verschleuderung der mütterlichen Kräfte an Sachbereiche, die sie nicht aufnehmen können. Mit diesen Sachbereichen der modernen Welt aber kommt die Frau zurecht kraft ihrer Eigenschaften aus der Wesensform des Frauseins.
Es gibt heute schon viele Frauen, die in sich diese schöpferische Freiheit wahrnehmen, die ihre Kräfte spüren und eine über die Familie hinausgreifende Verantwortung für die menschliche Gesellschaft verwirklichen möchten. Aber es fehlt an Männern, die bereits durchgestoßen sind zu diesem neuen und im Grunde doch so alten Menschenbild, das ebenso alt ist wie das erste Kapitel der Genesis. Was fehlt, ist die männliche Bereitschaft, das Angebot der Frau zur gemeinsamen Arbeit auch in der Öffentlichkeit anzunehmen. Vielleicht ist dies nur eine Frage der Zeit. Mann und Frau müssen mehr voneinander wissen, einander besser kennenlernen, sich aneinander gewöhnen. Wenn das heutige Frauenbild in seiner Fülle gelebt wird, dann führt es keineswegs zu rationalistischer Auflösung alles Geheimnisvollen und Schönen am menschlichen Dasein, sondern zu einer vollen Entdeckung der Ebenbürtigkeit von Mann und Frau.