Die Berufung der Frau in der Heilsgeschichte
Unsere erste Betrachtung soll sich auf zwei Frauengestalten aus dem Alten Testament richten, um durch sie einen Einblick in das Wirken Gottes an den Menschen zu gewinnen, wie es von den Ursprüngen her sichtbar wird. Wenn auch in der alttestamentlichen Lebenswelt viele Dinge anders liegen als im Christentum, so muß man doch hier die wesentlichen Grundlagen suchen, ohne welche das Erdhafte des menschlichen Daseins allzu leicht verlorengehen würde. Um über die wichtigsten menschlichen Probleme Aufschluß zu erhalten, sieht man sich immer wieder auf das Alte Testament zurückverwiesen. Mit ihm anzufangen bedeutet, von Lebensverhältnissen auszugehen, die bei ihrer vollen naturhaften Kraft von der Transzendenz Gottes gezeichnet sind.
Wir wählen aus den zahlreichen Frauen des Alten Testamentes die Richterin Debora und Hanna, die Mutter Samuels. Es sind zwei Gestalten, von denen die eine in eigener Person, die andere in ihrem Sohne die Geschichte Israels bestimmt hat. An ihnen dürften die Grundzüge des alttestamentlichen Frauenlebens in besonderer Weise deutlich werden. Beiden hat der biblische Schriftsteller einen Lobgesang in den Mund gelegt, wodurch auch eine äußere Ähnlichkeit zwischen ihnen hervorgerufen wird. Das Wirken Deboras gehört in den öffentlichen Bereich, während Hanna uns als Ehefrau und Mutter entgegentritt. Den geschichtlichen Rahmen des Lebens dieser beiden Frauen bildet die Epoche der Richterzeit. Um daher die Eigenart ihres Gottesverhältnisses zu verstehen, müssen wir uns zuvor die besondere religiöse Situation dieser Zeit vergegenwärtigen.
a) Die religiöse Struktur der Richterzeit
Der Geschichtsabschnitt Israels, den man nach dem Wirken der Richter benennt, beginnt mit der Einwanderung in Kanaan unter Josue und endet mit der Errichtung des israelitischen Königtums unter Samuel. Er erstreckt sich vom 15. bzw. 13. Jahrhundert v. Chr. bis zur Königssalbung Sauls im Jahre 1027.[1] Diese Zeit ist gekennzeichnet durch eine wesentliche Umwandlung im Leben des israelitischen Volkes. Es findet in Kanaan eine reichentwickelte bäuerliche Kultur vor.
Wenn Israel sich in den vollen Besitz der Früchte des ihm zugedachten Landes versetzen will, so muß es sich von der Lebensweise des nomadisierenden Hirtenvolkes auf die eines ackerbauenden, seßhaften umstellen. Dabei aber gelangt es notwendig in eine lernende Abhängigkeit von der kanaanitischen Bevölkerung. Diese kann jedoch den israelitischen Einwanderern, die sich unter ihr ansiedeln, nicht anders Zugang zur Fruchtbarkeit des Landes geben als in Verbindung mit ihrer mythischen Erfahrung des Göttlichen. Für die Kanaanäer sind es die erd- und ortsgebundenen Baale und Ascheroth, welche dem Lande den Segen verleihen. Es ist nun schwer für das israelitische Volk, zu erkennen und zu unterscheiden, daß die Gaben des Ackers und des Weinbergs nicht auf diese mythischen Gottheiten zurückgeführt werden dürfen, sondern auch Gaben seines Gottes Jahwe sind.
Bisher hatte Israel eine vorwiegend geschichtliche Gotteserfahrung, begründet in der Befreiung aus Ägypten sowie in der alle früheren Verheißungen besiegelnden Offenbarung am Sinai. In der jahrelangen Führung Gottes durch die Wüste mit dem Ziel des verheißenen Landes hat sich die Erfahrung von Jahwe als dem Lenker der wechselnden Geschicke gefestigt. Die neue Situation in Kanaan stellt Israel in die Spannung, ob sich auch hier Jahwe als der Gott erweisen wird. Wir dürfen uns nicht fürchten, die religiöse Lage Israels in dieser Weise zu beleuchten, sonst würden wir der Heiligen Schrift nicht gerecht, die uns im Richterbuch immer wieder den Abfall des Volkes in eine bloße Naturfrömmigkeit schildert. Israel muß sein Gottesbild dahingehend weiten, daß der Bund mit Jahwe, der sich am Sinai geoffenbart hat, alles das mit umschließt, was echte mythische Frömmigkeit am Naturgeschehen entdecken kann. In der Alternative zwischen der Verwirklichung dieses Anspruchs Gottes und dem seiner vergessenden Abfall ins Mythische steht das Richterbuch.
So erklärt sich auch das durchgehende Schema dieses Buches, das von den großen Richtergestalten in etwa variiert wird. Es wiederholt sich immer wieder von neuem die Erzählung, wie Israel von Jahwe abfällt, wie Gott sein Volk dafür in die Knechtschaft heidnischer Feinde verkauft, bis er auf das Flehen des reuig gewordenen Volkes einen Richter erweckt, der im religiös verstandenen Kampfe die Freiheit wiederherstellt.
Wer sind nun diese Richter? Zuweilen kommt ihnen schon vor der Berufung zum Richteramt die Gabe des Sehertums zu, oder sie sind in besonderer Weise Gott geweiht. Notwendig sind solche Voraussetzungen für die Erweckung zum Richtertum jedoch nicht. Was einen Menschen in der jeweiligen Bedrängnis seines Volkes dazu erhebt, ist einzig und allein das Ergriffenwerden vom Geiste Gottes, von der »ruach Jahwe«. Im Geiste Gottes wird der Richter aus der bisherigen Begrenztheit seiner Existenz herausgehoben und wächst zum charismatisch bestimmten Führer einer oder mehrerer israelitischer Stammeseinheiten, dem zu folgen der Gehorsam gegen Gott verlangt.
Die Taten, die der Richter vollbringt, sind nicht seine, sondern die durch den Geist hervorgebrachten Werke Gottes. Um dies zu demonstrieren, muß z. B. der Richter Gideon den größten Teil seiner Streitmacht entlassen und mit geringen Kräften der Übermacht des Feindes entgegenziehen. So wird den Menschen fühlbar ins Bewußtsein gebracht, daß sie selbst sich ihres Sieges nicht zu rühmen haben. Es gibt deshalb auch kein alt-israelitisches Heldenepos, überhaupt kein menschliches Heldenideal, sondern nur menschliche Größe unter Gott. Die restlose Abhängigkeit des Menschen vom Gottesgeist, der ihn auch wieder verlassen kann, bleibt immer bestehen. Das Ergriffenwerden vom Geiste Gottes setzt nicht unbedingt ein vollkommenes menschliches Leben voraus; deshalb darf es nicht verwundern, wenn bei Gideon nach seinem Sieg Größe und Schuld unmittelbar nebeneinanderstehen. Er weist das ihm und seinen Nachkommen angebotene Königtum mit der Begründung ab, Gott allein stehe die Herrschaft zu, fällt aber dann doch wieder in ein Gemisch von heidnischen Formen der Gottesverehrung ab.
Durch den Geist Gottes wird die Geschichte Israels zur Heilsgeschichte. So erhalten die Kämpfe und Kriege der Richterzeit eine Transparenz auf die Treue Gottes, die er zum Volk seines Bundes in allem Abfall nicht aufgibt. Die Richter, die im Hinblick auf ihre kriegerische Tätigkeit auch Retter heißen, haben in der auf den Sieg folgenden Friedenszeit bis zu ihrem Tode die Funktion des Rechtsprechens im weitesten Sinne und üben eine leitende und ordnende Tätigkeit aus. Es ist also diese Zeit noch in keiner Weise institutionell festgelegt, worin ihre Vorteile, aber auch ihre Bedrohungen liegen.
Ähnlich wie in der Patriarchenzeit wird Gott dort verehrt, wo er sich durch Wort oder Schauung offenbarend kundtut. In den so entstandenen Jahwekultstätten ist immer das bloß Naturhafte transzendiert, und darin liegt der Unterschied zu den kanaanitischen Baalsheiligtümern, zu denen herabzusinken aber die ständige Gefahr bleibt. Neben solchen den einzelnen Stammesgebieten zugeordneten Kultstätten gab es zu jener Zeit auch den gemeinsamen Kultort in Silo, wo die Bundeslade stand. Hier setzt sich die Tradition der mosaischen Stiftung fort, und hier ist der alljährliche Begegnungspunkt der zwölf Stämme.
Insgesamt gesehen, ist die Richterzeit als Geschichte göttlicher Vergeltung und Erbarmung, menschlichen Versagens gegenüber der mythisch-naturhaften Religion Kanaans und ständiger Neubesinnung auf den sich geschichtlich bezeugenden Gott der Väter zu verstehen. Es ist eine Zeit, die in ihrem lebendigen Auf und Nieder die Erfahrung um Gott als den einen, der keine fremden Götter neben sich duldet, in beständigem Ringen durchhält, so daß die geschichtliche Bezeugung Gottes am Sinai sich unter den neuen naturhaften Erfahrungen wiederum bestätigt.
b) Debora, die Künderin des Volkes
In Debora haben wir die einzige Frau unter den Richtern Israels vor uns. Ihre Geschichte ist in zwei verschiedenen Quellen überliefert, einem wohl unmittelbar unter dem Eindruck der Ereignisse entstandenen Lied und einem mit gewisser zeitlicher Distanz verfaßten Prosabericht. Der biblische Schriftsteller, der in der Königszeit das Richterbuch aus mehreren Stoffüberlieferungen zusammenfügte, wie es uns jetzt vorliegt, hat für die Deboraerzählung beide Quellen vereinigt, indem er das Lied der Richterin selbst in den Mund legte und so an den Prosabericht anschloß. Diese Quellenlage muß berücksichtigt werden, wenn man die biblischen Aussagen über die Richterin in ihrer unterschiedlichen literarischen Art erfassen und interpretieren will.[2]
Gehen wir zunächst auf den Inhalt des Prosaberichtes im 4. Kapitel des Richterbuches ein. Israel ist seinem Gott wiederum untreu geworden und deshalb unter die Gewalt des Königs Jabin, eines kanaanitischen Einzelherrschers, gefallen. Nach zwanzigjähriger Bedrückung geht das Volk in sich und ruft Gott um Hilfe an. In dieser Situation wird die Gestalt Deboras folgendermaßen eingeführt:
- »Debora, ein künderisches Weib, das Weib des Lapidot, sie richtete Israel zu jener Trist. Sie hatte Sitz unter der Deborapalme, zwischen Rama und Bet El, im Gebirge Efraim, und die Söhne Israels zogen zu ihr hinaus zum Gericht. Sie sandte und berief Barak, den Sohn Abinoams von Kadesch Naftali, sie sprach zu ihm: ,Hat nicht er, der Gott Israels, geboten: Geh, lenk nach dem Berg Tabor, nimm mit dir zehntausend Mann von den Söhnen Naftalis und von den Söhnen Sebulons, und ich will lenken hin zu dir, zum Bach Kischon, Sisra, den Heerfürsten Jabins, sein Fahrzeug, sein Getümmel, ich gebe ihn in deine Hand.' Barak sprach zu ihr: ,Gehst du mit mir, so gehe ich; gehst du nicht mit mir, gehe ich nicht.' Sie sprach: ,Den Weg will ich mit dir gehn, nur daß der Ruhm nicht dein wird auf dem Weg, den du gehst, denn in eines Weibes Hand wird der Herr Sisra ausliefern/ Debora machte sich auf und ging mit Barak nach Kadesch.«[3]
Was erfahren wir nun in diesem ersten Teil des Prosaberichtes über die Richterin Debora? Sie wird uns vorgestellt als »ischah nebiah«, prophetische Frau. Das ist die Sprache der Königszeit, in welcher der Begriff nabi, Prophet, Ausdruck für die klassische Form des israelitischen Prophetentums ist. Bei Debora handelt es sich aber noch nicht um dieses, sondern um das altisraelitische Sehertum, weshalb Martin Buber, den Anachronismus der Heiligen Schrift beseitigend, die Übersetzung »künderisches Weib« bietet. Dieses Sehertum, das nicht eine Voraussage für die Zukunft bedeutet, sondern eine Tiefenschau in die Dinge des menschlichen Lebens, befähigt Debora zu ihrer ausgedehnten Richtertätigkeit. Ihr Richten darf nicht auf den engen juristischen Sinn dieses Wortes eingeschränkt werden. Die Richterfunktion besagt im allgemeinen eine Neuordnung des israelitischen Gemeinwesens, bei Debora aber wird wegen ihres Sehertums Rat und Entscheidung in allen konkreten Lebensfragen hinzukommen. Diese soziale Tätigkeit kann man als Vorbereitung für den an Debora ergehenden einmaligen Geschichtsauftrag verstehen. Das Andenken an ihr Gerichthalten knüpft sich an den Ort, der durch die »Deborapalme« bezeichnet ist. So hebt sich ihr Richtertum von dem der übrigen Richter ab.
Wie ist es möglich, daß in dem stark patriarchalisch orientierten Israel eine Frau zu diesem Amt gelangt? Religionsgeschichtliche Erwägungen von matriarchalischen Überresten können sicherlich dieses Faktum nicht aufhellen. Auf das Problem, ob sich hier vielleicht eine Frau in eine Stellung drängt, die ihr der alt-testamentlichen Sitte gemäß nicht zukommt, bleibt als Antwort nur die Erwählung Gottes, die der Gewordenheit menschlicher Formen und Überlieferungen frei gegenübersteht. Wenn es wirklich so geschieht, daß Gott einer Frau das Richteramt zukommen läßt, so besagt dies zweierlei: Es steht grundsätzlich nicht im Widerspruch zum Wesen der Frau, sich den öffentlichen Dingen des menschlichen Lebens zu widmen. Was sie aber mit ihrer Tätigkeit betreut, wird notwendig von ihrem Wesen mitgeprägt und unterscheidet sich in der Art der Verwirklichung vom entsprechenden Tun des Mannes.
Debora wird uns zu Beginn des Berichtes nicht nur als prophetische Frau bekannt gemacht, sondern auch als Eheweib des Lapidot. Dies spricht dafür, daß bei ihr die der Frau im Alten Testament zukommende Stellung im Einklang bleibt mit ihrer besonderen Aufgabe und Berufung. Es ergibt sich jedoch die Frage, wie sie als Frau sich zum religiösen Krieg verhält.
Kraft ihres Sehertums gelangt Debora zu der Einsicht, daß Gott wieder für sein Volk gegen die Feinde eintreten will. Sie beruft Barak als Feldherrn für den Befreiungskrieg. Debora bleibt die Trägerin des geschichtsmächtigen Handelns, und Barak ist der ausführende Arm. Ohne sie will Barak nicht in den Kampf ziehen, denn nur in ihrer Nähe ist er des Schutzes Gottes gewiß. Wenn man bei Barak von Schwachheit sprechen könnte, so nur deshalb, weil der Mensch immer ohne die Hilfe Gottes schwach ist.
Nichts anderes tut Debora, als daß sie die augenblickliche Situation ihres Volkes wirklichkeitsgerecht einsieht, deutet und zum Handeln die Initiative gibt. Alles äußere Tun, wie das Zusammenrufen des Heeres und die Bereitstellung zum Kampf, bleibt also in der Hand Baraks. Debora tritt nicht als Kriegerin in Erscheinung wie die oft mit ihr verglichene Jungfrau von Orleans.
Indem die äußere Aktivität des Kampfes von ihr fernbleibt und ihr die um vieles schwerere heilsgeschichtliche Verantwortung zukommt, ist aber das Problem des religiösen Krieges noch nicht gelöst, wie es uns an der Gestalt Deboras so besonders ins Auge fällt. Es wird auch dadurch nicht leichter, daß man etwa meint, der Mann sei seiner Natur nach Kämpfer, während der Kampf dem Wesen der Frau widerspreche. Es ist vielmehr so, daß weder zum Mann noch zur Frau, was ihr ursprüngliches menschliches Wesen betrifft, das Kriegerische hinzugehört, sondern daß man den Krieg und alles, was damit zusammenhängt, als Folge von Schuld und Abfall verstehen muß, als Kompromiß, als unheilvolle Verflechtung von geschichtlicher Notwendigkeit und todbringenden Handlungen.
In diesem Sinne sind auch die religiösen Kriege des Alten Testamentes in der Heiligen Schrift selbst gedeutet, wodurch jedoch ihre immer noch verbleibende Problematik nicht aus der Welt geschafft wird. Sie gehören vielmehr zum Schwersten, was uns das Alte Testament aufgibt. Oftmals ist die vernichtende Tat Gottes an den Feinden Israels auch der Erweis, wie nichtig und eitel die Menschen im Verlaß auf ihre eigenen Kräfte sind, wie vergänglich und kurzlebig.
Der Schutz Gottes dagegen gilt im Alten Testament im allgemeinen denen, die ihm treu sind. Es gibt noch kaum die neutestamentliche Erfahrung des Sieges in der Schwachheit, der Läuterung in der Verfolgung; erst ganz am Ende der alttestamentlichen Zeit entwickelt sich das Martyrium. Während seit dem Todesleiden Jesu die von Gott Erwählten auch gerade die Schutzlosen und Preisgegebenen vor den Mächten des Bösen sein können, ist das irdische Bestehen das Kennzeichen der alttestamentlichen Gerechten, die der Versuchung zum Abfall nicht nachgegeben haben und dem Gott des Bundes ihrer Väter die Treue halten.
Die Verantwortung Deboras für die Heilsgeschichte ist also auch eine Verantwortung für den religiösen Krieg mit seinem Hintergrund an Vernichtung und Gottesgericht. Solange Offenbarung und Heilsbotschaft an die politische Realität des Volkes Israel geknüpft waren, konnte es nicht ausbleiben, daß zu ihrem Bestand die kriegerische Auseinandersetzung und die Selbstbehauptung als das Volk der Erwählung hinzugehörte. Seitdem jedoch die Söhne und Töchter des Glaubens nicht mehr Kinder Abrahams dem Fleische nach zu sein brauchen und der gesamt-menschliche Aspekt der Heilsbotschaft deutlich geworden ist, wird jeder religiös motivierte Krieg mehr oder weniger zur Absurdität.
Debora steht in einer Linie mit jenen Männern des Alten Testamentes, die auf besondere Weise in den Sinnzusammenhang der Geschichte ihres Volkes treten durften und erkannten, daß sie in einem anderen Sinne als die Geschichte der übrigen Völker Heilsgeschichte ist. Die von Gott an Debora übermittelte Aufgabe ist y es, dafür Sorge zu tragen, daß der ihr anvertraute Geschichtsabschnitt nicht zu einer bloß politischen Auseinandersetzung herabsinkt, sondern weiter unter dem Anspruch des sich geschichtlich bezeugenden Gottes der Väter vollzogen wird. Die Außergewöhnlichkeit ihrer Sendung fügt sich ein in die Selbstverständlichkeit des Volkslebens.
Das als ältere Quelle vorliegende Deboralied deckt vollends die heilsgeschichtliche Einordnung des von ihr veranlaßten Befreiungskampfes auf und wird der Bedeutung Deboras gerecht, indem es sie als Mutter in Israel bezeichnet.
- »Da Kriegslocken sich lockten in Israel, da ein Volk sich willig hergab, preiset ihn. Höret, Könige, lauschet, Erlauchte, ich will ihm, ich, singen, Saiten spielen ihm, Israels Gott.
Du, als du ausfuhrst von Seir, schrittest von Edoms Gefild, bebte die Erde, und die Himmel troffen, und die Wolken zertroffen zu Wasser, die Berge wankten vor ihm — der Sinai vor ihm, Israels Gott.
In den Tagen Schamgars, des Sohnes Anats, in den Tagen Jaels stockten die Wanderzüge, die Straßengänger gingen krumme Wanderpfade, das Bauerntum, es stockte in Israel, stockte, bis du aufstandst, Dehora, aufstandst, eine Mutter in Israel...«
Wie aus diesem Anfang des Deboraliedes schon erkannt werden kann, bewegt es sich von Geschehnisgipfel zu Geschehnisgipfel und überspringt die handlungsmäßigen Übergänge. Diese Beschränkung auf die Höhepunkte gehört zur Eigentümlichkeit eines solchen frühen Liedes, wie man es in der archaischen Literatur der verschiedensten Völker beobachten kann. Das Deboralied bekommt durch diesen Szenenwechsel etwas Abruptes, wodurch es möglich wird, die zeitliche Geradlinigkeit zu durchbrechen und Ereignisse, die schon länger zurückliegen, mit eben erst vergangenen zu verknüpfen. So wird nach einem doppelten Liedeingang zunächst das Geschehnis am Sinai heraufbeschworen, das fortan immer in der Geschichte Israels als Gewähr für die Treue Gottes gilt. Dann läßt das Lied sogleich die Trostlosigkeit der Verhältnisse vor der Erweckung Deboras folgen.
Der weitere Verlauf des Deboraliedes schildert den siegreichen Überfall der Israeliten auf das feindliche Heer, den Gott selbst durch kosmische Einwirkungen ermöglicht. In einer zweimaligen Antithese von Fluch und Segen wird Tadel ausgesprochen über die zurückgebliebenen israelitischen Stämme sowie über eine Stadt, die ihre Hilfe verweigerte, Lob und Ruhm aber über die mit Gott im Kampf vereinigten Stämme und Preis für die Tat Jaels, jener Judithgestalt, die nach der Entscheidungsschlacht den fliehenden Feldherrn Sisra in ihrem Zelte durch eine List tötete. Gegen die Furchtbarkeit dieser Niederlage steht als Kontrast die ahnungslose Eitelkeit der sich im Siege wähnenden feindlichen Fürstinnen. Das Deboralied schließt mit der festen Überzeugung, daß alle Feinde Gottes zugrunde gehen und daß die, die ihn lieben, den Glanz Gottes tragen.
Worin besteht nun der Unterschied des Deboraliedes zu einem Heldenliede, und wie kommt es, daß Debora nicht zu einer Heldin im profanen Sinn wird? Was schon der Prosabericht sichtbar machte, daß die Sendung Deboras im Dienst an der Heilsgeschichte Israels besteht, ist hier das eigentliche Thema. Der Anfangsvers »Da Kriegslocken sich lockten in Israel« stellt den Kampf als einen heiligen Krieg hin, in dem alle Männer durch das Wachsenlassen der Haare gleichsam zu Nasiräern, zu Gottgeweihten, werden. Dieser inneren Bereitung des Volkes auf Gott entspricht im folgenden Vers die Aufforderung an die heidnischen Könige, den Gott Israels zu preisen, da er sich in seinen Taten als der Einzige und Mächtige erweist.
Wir müssen uns bei diesen Aussagen des Liedes wieder in Erinnerung rufen, was eingangs über die religiöse Struktur der Richterzeit gesagt wurde. Indem der Blick auf das Ereignis am Sinai gelenkt wurde, kommt zum Ausdruck, daß es derselbe Gott ist, der sich dort offenbarte und der sich auch jetzt in der Tabor-schlacht durchsetzt. Eine solche Erkenntnis enthüllt die Kontinuität und Beständigkeit der Heilsgeschichte. Wenn nach dem Wortlaut des Liedes die heidnischen Könige an den Sternen des Himmels ihre Gegner finden und vom Unwetter weggespült werden, so bedeutet dies, daß Gott nicht nur der Herr der Geschichte ist, sondern auch der Herr der Schöpfung und daß er die kosmischen Kräfte in den Dienst seiner Geschichtsabsicht zu fügen weiß. Damit kommt die Größe des Gottes Israels zum Vorschein, der allen menschlichen und mythischen Kräften überlegen ist.
Vor einer solchen religiösen Wirklichkeit ist es selbstverständlich, daß es von Seiten des Menschen nur den Lobpreis Gottes geben kann und kein eigenherrliches Heldenbewußtsein. Daß aber dabei das Menschliche nicht einfach untergeht, sondern zu seinem wahren Wesen gelangt, erweist die Gestalt Deboras. Auf sie fällt im Gegensatz zu manchen anderen Richtergestalten keinerlei Schatten der Verschuldung. Das in seiner Sprache so eindrucksvolle Deboralied gibt ihr als nicht überbietbaren Ehrennamen den Titel »Mutter in Israel«.
Indem ihr Wirken mit diesem Namen benannt wird, ist es als Erfüllung ihres Wesens verstanden. Das von Debora eingeleitete geschichtliche Ereignis bewirkt eine Neugeburt Israels, da das Volk wiederum dem Anspruch Gottes in Liebe und Treue nachzukommen bereit ist und daher Frieden und Wohlstand erlangt.
Wenn im 9. Kapitel bei Isaias das Messiaskind als Vater bezeichnet wird, darf man dies vielleicht als Parallele heranziehen, um im Muttersein Deboras das Moment des Heilbringenden in seiner vollen Bedeutung zu verstehen. Debora trägt in ihrem Volke die Hoffnung weiter auf das immer von neuem sich im Geiste Gottes an den Menschen ereignende Heil.
c) Hanna, die gesegnete Mutter
Gegenüber Debora, die aufgrund besonderer Sendung den äußeren Rahmen der Heilsgeschichte beeinflußt hat, ersteht in der Gestalt Hannas eine Frau vor uns, deren Leben sich in Haus und Familie vollzieht. In dieser Zurückhaltung ist es aufschlußreich für die Gesamtheit des israelitischen Frauenlebens, das in den religiös verstandenen Bindungen an Mann und Kinder aufgeht. Deshalb ist die Frau aber keineswegs ausgeschlossen vom Gang der Heilsgeschichte, denn sie verhilft durch die Weitergabe des Lebens zu deren Ermöglichung. Sie gliedert sich mit ihrem ganzen Sein in den Ablauf von Geschlechtern zu Geschlechtern ein. Was die Frau des Alten Testamentes uns zuerst und vordringlich zu sagen hat, ist also, daß Kinder ein sichtbares Zeichen für den Segen Gottes sein können.
Aus dieser Überzeugung ergab sich nur allzu leicht die Folgerung, im Ausbleiben des Kindersegens ein Zeichen göttlichen Mißfallens zu erblicken. So versteht man das große Leid der Kinderlosigkeit, wie es an der Gestalt Hannas sichtbar wird. In ihrer lang andauernden Unfruchtbarkeit, von der sie durch die von Gott erflehte Geburt ihres Sohnes endlich befreit wird, erscheint Hanna auf einer Ebene mit jenen alttestamentlichen Frauen, denen Gott erst spät die Gnade der Mutterschaft schenkte, deren Sohn aber jeweils einen Eckstein in der Heilsgeschichte bildet. Es sind Sara, Rahel, das Weib des Manoach, und, an der Grenze zum Neuen Testament, Elisabeth, die Frau des Zacharias.
Das späte Eintreten des Kindersegens hat bei diesen Frauen den Sinn, ihnen das Kind als reines Geschenk Gottes zu erkennen zu geben. Sie sollen nicht in einem naturhaften Verständnis von Empfängnis und Geburt befangen bleiben. Zugleich ist mit dieser Einsicht ein Hellhörigwerden für den künftigen Auftrag des Kindes verbunden.
Die Geschichte Hannas wird uns in den beiden Anfangskapiteln des 1. Samuelbuches berichtet. Dort hören wir von Elkana aus Rama, der jährlich mit seinen beiden Ehefrauen Peninna und Hanna sowie den Kindern der ersteren zum Jahresfest ins Heiligtum nach Silo pilgert. Auf diesem Höhepunkt israelitischen Lebens spürt Hanna das Elend ihrer Kinderlosigkeit in besonders drückender Weise. Weniger ist es der Spott Peninnas über ihre Unfruchtbarkeit, als vielmehr das Erlebnis ihrer Einsamkeit bei dem auf das Opfer folgenden Mahl, das die Tischgemeinschaft mit Gott bedeutet. So fühlt sie sich in ihrem Schmerz hinausgedrängt, vor Gott ihr Geschick zu beklagen.
- »Einst, in Silo, nachdem man gegessen hatte und nach dem Trinken, stand Hanna auf — Eli, der Priester, saß eben auf dem Stuhl am Türpfosten der Halle des Herrn —, verbittert war sie in der Seele, so betete sie zu Gott hin und weinte, weinte. Sie tat ein Gelübde und sprach: Du Umscharter! siehst du her, siehst auf das Elend deiner Magd, bedenkst mich, vergissest nicht deine Magd, gibst deiner Magd Mannessamen, dann gebe ich ihn dir alle seine Lebenstage, nicht komme an sein Haupt ein Schermesser heran. Es geschah aber, da sie viel vor ihm betete: Eli achtete auf ihren Mund, Hanna nämlich, die redete zu ihrem Herzen hin, nur ihre Lippen regten sich, ihre Stimme war nicht zu hören, so hielt Eli sie für eine Berauschte. Eli sprach zu ihr: Bis wann noch willst du dich dem Rausch überlassen? Hanna antwortete, sie sprach: Mitnichten, mein Herr! ich bin ein Weib hart bedrückten Geistes, Wein und Rauschsaft habe ich nicht getrunken — ich schütte vor ihn meine Seele. Gib nimmer deine Magd für eine Tochter der Heillosigkeit aus, denn aus der Fülle meines Jammers, meines Verdrusses habe ich bis nun geredet. Eli antwortete, er sprach: Geh in Frieden, was du von ihm erwünschtest, gebe Israels Gott. Sie sprach: Deine Dienerin finde Gunst in deinen Augen! Dann ging das Weib seines Wegs, sie aß, und ihr Antlitz war wieder froh.«
Diese Begebenheit zeigt Hanna in der Spannung zwischen Trostbedürftigkeit, die auch durch die reiche Liebe ihres Mannes nicht behoben werden kann, und Trostfinden in dem noch ganz anderen Bereich des Heiligen. Damit haben wir das eigentliche Thema vor uns, von welchem die Hannageschichte geprägt ist.
Das Beten Hannas, das dem Priester Eli wie ein Berauschtsein erscheint, ist ein ergriffenes, unmittelbar aus dem Herzen aufsteigendes Sprechen zu Gott. In ihrem Schmerz öffnet sie sich vor ihm, wie sie ist, und überläßt sich ihm ganz mit ihrem Geschick. Dem Gebet eignet eine charismatische Kraft, wodurch die Betende über sich selbst hinausgehoben wird. Es ist eine andere Art der Geisterfahrung, als wir sie zuvor im Sehertum Deboras erkannten. Wenn das Beten Hannas nach außen hin mit Trunkenheit verwechselt werden kann, so ist dies eine Begebenheit, die oft in der Heiligen Schrift wiederkehrt, bis zum Pfingsterlebnis der Apostel. Sie drückt das völlige Überwältigtwerden des Menschen von der Nähe Gottes aus. Die Frucht ihres Gebetes wird darin offenbar, daß Hanna sowohl aus ihrer inneren Erfahrung des Trostes, wie aus dem Segen des Priesters die Gewißheit schöpft, ihre Bitte sei von Gott angenommen und werde erfüllt. Nach der Geburt Samuels spricht sich die Freude über die Erhörung in dem Namen aus, den seine Mutter ihm gibt: Der von Gott Erbetete.
Das Flehen um einen Sohn ist bei Hanna mit dem Versprechen verbunden, das Kind wieder freizugeben für den Dienst Gottes. Darin wird sichtbar, daß sie nicht aus Selbstsucht um einen Nachkommen bittet, sondern nur ihre gottgegebene Bestimmung als Ehefrau in der Mutterschaft erfüllen und so auf die Liebe ihres Mannes Antwort geben will. Sie verzichtet für sich selbst darauf, das Kind bei sich zu haben, aber auch auf jegliche Bindung ihres Sohnes an sie. Wenn sie ihn für alle Tage seines Lebens dem Herrn verspricht, so könnte dies wie ein Eingriff in die Freiheit des Kindes wirken. Aber der Dienst am israelitischen Heiligtum war anderer Art als etwa die »Verlobung« eines Kindes an ein mittelalterliches Kloster. Hanna verspricht für ihr Kind nichts anderes als die höchste Intensivierung dessen, was an sich jeder Angehörige der zwölf Stämme Israels in seinem Leben vor Gott zu verwirklichen hatte.
In der Hanna-Erzählung ist eine weitgehende Selbständigkeit der Frau zu beobachten. Sie erstreckt sich nicht nur auf ihren persönlichen Bereich, sondern äußert sich vor allem in der Bestimmung über das Kind. Im Alten Testament wird nach dem Gebot Gottes von Seiten der Kinder beiden Eltern im wesentlichen die gleiche Ehre geschuldet, und auch die Mutter steht als Autorität über dem Kind. Ist in unserem Falle ein starkes Hervortreten der Mutter zu beobachten, so muß dies auf die besondere Gnade zurückgeführt werden, daß sie als Unfruchtbare den Kindersegen von Gott erfleht hat und daß Samuel von Anfang an in der heilsgeschichtlichen Absicht Gottes steht. Hanna ist durch die Geschehnisse um Samuels Geburt in den Ratschluß Gottes hineingenommen, und wie es uns an vielen Gestalten der Schrift deutlich wird, steht derjenige Mensch immer im Vordergrund, dem die tiefere Einsicht und Erfahrung Gottes zuteil geworden ist. Hanna bestimmt aber nicht ausschließlich über das Kind. Indem sie sich ins Einvernehmen mit ihrem Manne setzt, ordnet sie sich ihm ehelich zu.
Eine ähnlich ergreifende Szene wie die Bitte um die Geburt Samuels ist seine Darbringung im Hause des Herrn gleich nach der Entwöhnung, also zum frühesten Zeitpunkt, der möglich ist. An dieser Stelle erst wird uns berichtet, daß Hanna in einen Lobgesang vor Gott ausbricht, der jetzt nicht mehr nur Dank für die Geburt des Sohnes ist, sondern auch für seine Annahme im Hause des Herrn. Obgleich der Lobgesang in der Form, wie er uns in der Heiligen Schrift vorliegt, nicht von Hanna stammen kann, da deutliche Spuren seine spätere Herkunft aus der Königszeit erweisen, so ist doch die Tatsache, daß ihr ein Lobgesang zugesprochen wird, von großer Bedeutung. Mit ihm schließt sie vor den Augen Gottes ihr Schicksal mit Samuel ab.
Im Alten Testament gibt es ein untrügliches Wissen darum, daß Gott nach einem solchen Erweis seiner Huld und Größe gepriesen werden muß und daß dies die einzig mögliche Antwort des Menschen ist. Das gleiche Wissen begegnet uns noch an der Schwelle des Neuen Testamentes, wenn Zacharias angesichts der Geburt des Johannes und Maria nach der Empfängnis Jesu ihre Freude und ihren Dank in einem Lobgesang zum Ausdruck bringen. Man kann in diesen Lobgesängen den in der Heilsgeschichte immer näherrückenden Messiasgedanken bekundet sehen. So lassen sich auch textlich im Magnificat Marias und im Benedictus des Zacharias deutliche Anklänge an den Lobgesang Hannas feststellen. Die alttestamentlichen Vorgegebenheiten des Neuen Testamentes werden hier besonders spürbar.
- »Auf wogt mein Herz bei dir, auf hebt sich mein Glück bei dir, weit auf tut sich mein Mund über meinen Feinden, ja, ich freue mich deiner Befreiung. Keiner ist heilig wie du, ja, keiner ist da ohne dich, keiner ein Hort wie unser Gott... Um Brot müssen Satte sich dingen, und die hungerten, pflegen der Rast, die unfruchtbar war, gebiert sieben, und die Kinderreiche welkt ab... Ja, sein sind die Säulen der Erde, auf sie hat er den Weltkreis gestellt... Er hält Urteil Über die Enden der Erde, daß er seinem König gebe den Sieg, den Scheitel seines Gesalbten erhebe...«
Bevor Hanna aus dem Erzählungsgang des Samuelbuches entlassen wird, finden wir sie noch einmal mit ihrem Manne Elkana im Heiligtum von Silo. Auf den Segen Gottes wird es zurückgeführt, daß Hanna nach der Darbringung Samuels noch weitere fünf Kinder gebären darf. Sie wird zum Beispiel dafür, wie Gott denen vielfältig vergilt, die ihm ihr Liebstes schenken.
Die Gestalt Hannas, die wir bisher vorwiegend im Hinblick auf ihre Mutterschaft kennengelernt haben, gibt uns aber auch Aufschluß über das alttestamentliche Verständnis der Ehe. Wir haben uns dabei mit dem Problem zu beschäftigen, daß sie nicht die einzige Frau ihres Mannes ist. Die Tatsache, daß zeitweise im Alten Testament ein Mann mehrere Frauen haben konnte, entspricht keineswegs der ursprünglichen Absicht Gottes in der Schöpfungsordnung. Wie die Einrichtung des Scheidebriefes ist dies als Konzession Gottes an die Schwachheit der Menschen zu verstehen. Man muß sich aber vor dem Irrtum hüten, im Alten Testament, abgesehen von sündhaften Auswüchsen, einfachhin von Polygamie zu sprechen. Das Bewußtsein der ursprünglichen Einheit der Ehe als des eigentlich Geforderten ist durchweg erhalten geblieben, was man auch daran sieht, daß immer wieder im Alten Testament auf das Verhältnis Gottes zu seinem auserwählten Volk das Bild der Ehe angewandt wird.
In Hanna haben wir eine Ehefrau vor uns, an der man beobachten kann, wie unmittelbar Gott in den Geschehnisraum der Ehe segnend eingreift. Es ist unverkennbar, daß durch dieses Einwirken das Verhältnis zwischen ihr und Elkana immer wesentlicher wird. Peninna taucht in der Erzählung nicht mehr auf, und von Hanna und Elkana wird ausschließlich gesprochen.
Aufschlußreich ist auch die Bemerkung der Schrift, daß Hanna, ähnlich wie Rahel, die eigentlich geliebte Frau des Mannes sei. Daran kann man sehen, daß sich im Alten Testament die Ehe nicht nur vom Kindersegen verstand, sondern der Raum des Persönlichen offenblieb. Hier deutet sich schon an, daß das eheliche Sein sich nur in der einmaligen Partnerschaft entfalten kann.
d) Das vom Mann bestimmte Frausein im Alten Testament
Nachdem wir uns im einzelnen die Geschichte Deboras und Hannas vergegenwärtigt haben, sollen sie noch einmal vor dem Hintergrund des alttestamentlichen Menschenbildes betrachtet werden. Alle Frauengestalten des Alten Testamentes sind religiös wie philosophisch von der Aussage des ersten Schöpfungsberichtes zu verstehen: Als Mann und Frau erschuf Gott den Menschen sich zum Bilde. In diesem Satz und dem daran anknüpfenden Schöpfungsauftrag ist das anthropologische Grundgesetz des Alten Testamentes ausgesprochen. Hier liegt gleichsam alles beschlossen, was man über die kreatürliche Bestimmung des Menschen wissen kann.
Es geht im Alten Testament kaum darum, etwas Allgemeines über den Menschen zu sagen, da er immer als Mann oder als Frau angesprochen ist. Der Unterschied der Geschlechter wird im Alten Testament nicht bloß biologisch aufgefaßt, als ob das Geistige abseits davon läge. Es ist vielmehr so, daß im Miteinander von Mann und Frau der Mensch in einem erhöhten Maße Bild Gottes auf Erden ist, ausgeprägter, als eine der beiden Lebensformen allein es sein kann. Zur Gottbildlichkeit gehört auch das Leibliche, für die Frau das Mysterium ihrer Hingabe an den Mann und an die Kinder. In der Weitergabe des Lebens von einer Generation auf die andere erfährt der Mensch seine Geschichtlichkeit. Daher ist es in der alttestamentlichen Lebenswelt eine Selbstverständlichkeit, daß das Menschsein sich als eheliches vollzieht. Seit dem Segen über Abraham trägt die Ehe zudem die heilsgeschichtliche Verheißung weiter. So ist der Auftrag der Frau im Alten Testament niemals losgelöst von ihrer Bestimmung in Ehe und Familie.
Wenn man die Texte des Alten Testamentes durchgeht, in denen Frauen vorkommen, so findet man gewöhnlich ein Begriffsfeld von gleichlautenden Wendungen, wie etwa: Er erkannte sein Weib, und sie empfing und gebar ihm einen Sohn. Hierhin gehören auch alle Aussagen über die leibliche Beziehung von Mutter und Kind, wie Stillen und Entwöhnen, oder das Wort über Unfruchtbare: Ihr Schoß, der verschlossen war, wurde aufgetan. Auch in den biblischen Geschlechtsregistern wird die Frau manchmal aus der Verborgenheit geholt: Er zeugte aus der... den... An all diesen Ausdrucksformen sieht man, daß die Frau im Alten Testament zum Mann und zum Kind hin aufgebrochen ist. Sie ist nicht auf Selbstbewahrung und ein unangetastetes leibliches Sein angelegt, sondern auf eine von ihrer ganzen Person getragene Hingabe und Entäußerung im Leiblichen.
Diese Lebenshaltung der Frau wird aber nicht nur als etwas Sinnträchtiges und Heiliges erfahren, sondern zugleich auch als etwas Belastendes und Schweres. In den schöpfungsmäßigen Vorgängen um Empfängnis, Schwangerschaft und Geburt wird die Auswirkung der menschlichen Schuld erfahren (3, 16), ohne daß allerdings im Empfangen und Gebären selbst etwas Entwürdigendes oder Sündhaftes gelegen wäre. Die Belastung und das Leiden an diesen Vorgängen gehören jedoch zur allgemeinen Lebenserfahrung der Frau.
Die bis ins Leibliche greifende Anforderung der Ehe ist jedoch für die alttestamentliche Frau ein deutliches Zeichen der Aufgebrochenheit des Menschen zu Gott. Weil seit Abraham der Ehe die messianische Verheißung geschenkt ist, wodurch seine Nachkommenschaft zum Volk Gottes wurde, macht sich in den Ereignissen um die Geburt nicht mehr nur die menschliche Hinfälligkeit bemerkbar, sondern vor allem auch die heilsgeschichtliche Freude und Hoffnung. Die Entäußerung in der Ehe bleibt deshalb wohl eine Last, aber eine heilvolle.
Neben der ehelichen Belastung und der daraus wachsenden Freude an der Vollzahl und Wohlgeratenheit der Kinder gibt es im Alten Testament aber noch ein ganz anderes Beziehungsfeld zwischen Mann und Frau. Man kann von einem poetisch-religiösen Spielraum der beiden Geschlechter sprechen. Hier ist der Ort des Schönen, des Gefälligen und Anmutigen. Man denke etwa an die Werbungsszenen um Rebekka und Rahel oder an die Rutherzählung. Alles Schöne und Blühende in der Beziehung zwischen Mann und Frau ist gleichsam zusammengetragen im Hohenlied. Dies ist aber nicht nur ein Vorbereich zur Ehe, der durch die Härte der Lebensbelastung später aufgehoben wird, er kann und soll vielmehr immer neu gewonnen, oder — mit anderen Worten — das Bräutliche soll in der Ehe bewahrt werden.
Soviel an der allegorischen Deutung des Hohenliedes auf das Verhältnis Gottes zu seinem Volk berechtigt sein mag, ursprünglich muß das Hohelied als Dichtung verstanden werden, die in der Entäußerung das Schöne und echt Erotische zwischen Mann und Frau wachhält. Die dichterischen Aussagen des Hohenliedes tauchen die Leiblichkeit der Frau in die Schönheit naturhafter Bilder. Es entsteht eine klare sinnenhafte Atmosphäre, die frei ist von allem Schwülen, von allem, was man Liebesverzauberung nennen könnte. Im Beglückenden der Liebe bleibt eine Reinheit des Menschlichen, die nur möglich ist, weil das Gespräch zwischen der Braut und ihrem Vertrauten von einer tiefen Religiosität durchzogen ist. Die in der ehelichen Liebe aufgehobene bräutliche Liebe und die Gottesliebe gehören zusammen. Nur deshalb ist die Deutung des Hohenliedes auf das Verhältnis Gottes zu seinem Volk möglich.
Über die Gestalt Hannas läßt sich nun sagen, daß in ihr diese beiden Aspekte als Einheit aufleuchten: die zur Mutterschaft führende Entäußerung im Leiblichen und die durch die Liebe ins Seelisch-Schöne gehobene Beziehung zum Mann. Hier liegt das Anziehende ihrer Gestalt. Einerseits zeigt sich ihr willentliches Hindrängen zum Auftrag der Mutterschaft, anderseits wird aber in allem, was sie tut, in ihrem Bitten um das Kind, ihrer Aufopferung des Kindes und ihrem ehelichen Sein, eine solche religiöse Innerlichkeit offenbar, daß man sie nicht mehr vergißt, wenn man einmal mit ihrer Gestalt bekannt geworden ist. Auf ihr ruht schon der Schein Samuels, des letzten Richters, des Sehers, des im Umgang mit Gott Vertrauten, der die Richterzeit in die Königszeit überführt. An ihr sieht man die biblische Wahrheit bewährt, daß die Mutter in ihrem Sohn seligzupreisen ist.
Dennoch bleibt Hanna wegen ihrer auf die Kindheit Samuels beschränkten Beziehung zu ihm im Verborgenen. Sie ist ein Erweis dessen, wie ereignisreich und nicht im Alltäglichen aufgehend das Leben einer israelitischen Frau und Mutter sein kann, wenn sie in der Liebe zu Mann und Kindern den Willen Gottes erkennt und erfüllt.
Die Doppelstruktur von ehelicher Beanspruchung und religiös-poetischer Atmosphäre ist dagegen bei De-bora gleichsam ins Monumentale gesteigert. Herb und von vornherein feststehend in der Geschichte der Richterzeit, tritt uns Debora entgegen. Sie durchläuft keine innere Entwicklung, sondern erscheint von Anfang an in der Klarheit und Gewißheit ihrer Sendung. Aber durch ihr geschichtsmächtiges Eingreifen wird sie erst voll zu dem, was sie ihrem Wesen nach sogleich ist, zur Mutter in Israel.
Was Hanna im Kreis ihrer Familie bedeutet, ist Debora für die große Gottesfamilie ihres Volkes. Sofern sie die ihnen jeweils zukommende Aufgabe bewältigen, steht hinter beiden das Wesensbild der Frau als Mutter. An dem Ehrennamen Deboras »Mutter in Israel«, der ihr aufgrund ihrer öffentlichen Wirksamkeit zukommt, ist zu erkennen, daß die Erfüllung der Frau durch das Muttersein in den Bezügen von Fruchtbarkeit und Kindersegen nicht aufgeht. Echte Mutterschaft, ob in der individuellen Familie oder in der Öffentlichkeit des Volkes, ist jedoch nach alttestamentlicher Auffassung nur zu erreichen angesichts des sich im Bunde treu erweisenden Gottes.