Der Schritt vom Innen des Hauses in das Außen der Welt
Manche Frau von heute ist sich nicht klar darüber, wieviel Dank sie wie auch die gesamte menschliche Gesellschaft der Frauenbewegung schuldet. Jede Studentin, die sich bei der Universität einschreiben läßt, jede Lehrerin, in welcher Schulart auch immer, jede Ärztin und überhaupt jede Frau, der eine solide Ausbildung zuteil wurde, verdankt dies im Grunde der Frauenbewegung; den mühseligen Anstrengungen, den lange Zeit vergeblichen Petitionen bei amtlichen Stellen und nicht zuletzt einer unverwüstlichen Privatinitiative jener Frauen, welche trotz Enttäuschung, Spott und Verdacht der Vermännlichung, die Frauenbewegung aufgebaut haben. Zusammenschlüsse und Vereinsbildungen waren nötig, um eine Gemeinsamkeit der Interessen vieler zum Ausdruck zu bringen, um eine gewisse Durchschlagskraft zu haben, kraft deren sich ein Stück Kulturgeschichte und Menschheitsentwicklung einleiten konnte.
Es ist äußerst oberflächlich, wenn zuweilen auch von Frauen Begriffe gebraucht werden wie Suffragettentum, Frauenrechtlertum, Emanzipation, die aus dem antifeministischen Lager von ehedem stammen. Man macht sich nicht klar, daß die jahrhundertelange rechtliche Gleichstellung der Frau mit Kindern, Unmündigen und sonstigen ihrer persönlichen Verfügungsmacht beraubten Personen, wie sie noch der Code Civile des Napoleon von neuem sanktioniert hatte, für die Menschheit nicht mehr tragbar war. Mit der Entwicklung der neuzeitlichen Geistesgeschichte und der modernen Gesellschaft, mit dem gewandelten Charakter der Öffentlichkeit, mußte sich aus dem Innern des Menschengeschlechtes eine Dynamik entfachen, die nach gleichmäßiger Entfaltung aller Kräfte strebte. Eine Menschheitsentwicklung ist die Frauenbewegung deshalb, weil durch sie ein gesunder Ausgleich der Lebensgestaltung aus männlichen und weiblichen Kräften unter modernen Verhältnissen angebahnt wurde.
In den angelsächsischen Ländern verlief die Frauenbewegung ganz anders als in Deutschland. Es war von vornherein eine Bewegung auf das Frauenstimmrecht, aber deswegen nicht eine voreilige und unkluge Radikalität, denn die angelsächsischen Frauen erstrebten nur den Rückgewinn dessen, was sie in nicht allzu ferner Vergangenheit besessen hatten.[1] Wenn man das Foto der Emmeline Pankhurst sieht, wie sie bei ihrer elften Verhaftung abgeführt wird, ihr durch Leid gezeichnetes Antlitz, so vergeht einem alles Schmähen über das Suffragettentum, obgleich diesen Frauen von Zeit und Umwelt radikale Methoden aufgezwungen wurden, um ihre berechtigten Ansprüche durchzusetzen.
Helene Lange schreibt in der Einleitung des von ihr und Gertrud Bäumer herausgegebenen fünfbändigen Handbuchs der Frauenbewegung: »Überall zeigt die Geschichte der Frauenbewegung, wie sie zuerst als eine rein geistige Bewegung, als eine Folge moderner Geistesentwicklung, von ihren Führerinnen eingeleitet wurde und daß die wirtschaftlichen Verhältnisse, die man so gern als ihre eigentliche Ursache hinstellt, ihr nur die praktische Bedeutung gaben, nur den Druck auf die Massen ausübten, der sie schließlich zu einem wirtschaftlich nicht mehr zu ignorierenden Faktor machte.«[2]
Einen Unterschied zwischen Frauenbewegung und Frauenrechtlerinnen sieht Helene Lange darin, daß die einen, zu denen sie selbst gehört, die Möglichkeiten der Selbstentfaltung, Ausbildung und beruflichen Tüchtigkeit aufgrund der weiblichen Eigenart erstreben. Sie sind also überzeugt, daß es Aufgaben in der Gesellschaft gibt, welche nur die Frau bzw. die Frau besser verrichten kann als der Mann. Die andern dagegen, von Helene Lange Frauenrechtlerinnen genannt, erstreben dieselben Dinge aufgrund der menschlichen Gleichheit der Frau mit dem Mann. Man wird je nach den verschiedenen Tätigkeitsbereichen der Frau in der menschlichen Gesellschaft beiden Auffassungen Recht geben müssen.
Gertrud Bäumer sieht in ihrer bedeutsamen Abhandlung über die Geschichte der Frauenbewegung in Deutschland [3] den Unterschied zwischen Frauenbewegung und sonstigen emanzipatorischen Bestrebungen der Frau anders und vielleicht richtiger. Alles was auf rein ästhetischer oder literarischer Ebene lag, wie die Ausnahmestellung einer besonders begabten Frau, die es zu allen Zeiten gab, oder auch die Funktion der Frau in den Romantikerkreisen, ist noch nicht Frauenbewegung. Nur wo eine soziale Umschichtung eingeleitet wurde, kann man von Frauenbewegung sprechen.
Deshalb gehören auch die vereinzelten Vorläufer der Frauenbewegung wie Olympe de Gouges in Frankreich mit ihrer enthusiastischen »Erklärung der Frauenrechte« im Jahre 1789, und in England Mary Woll-stonecraft mit ihrer »Verteidigung der Frauenrechte« von 1792 noch nicht eigentlich dazu. Denn so entschieden und grundsätzlich diese Schriften auch waren, die geschichtliche Stunde war noch nicht da für eine Frauenbewegung. Von den Machthabern der Französischen Revolution wurden die Frauen nur so lange geduldet, wie sie keine Kritik übten, und Olympe de Gouges starb auf dem Schafott. Mary Wollstonecraft hatte keine persönlichen Anhängerinnen, starb auch zu früh, als daß von ihr eine Bewegung hätte ausgehen können, und ihre Schrift, übersetzt und viel gelesen, gehörte vorläufig noch zur Gattung der utopischen Literatur.
Die Frauenbewegung in Deutschland hat drei verschiedene Komponenten, die man inbezug auf ihr Ergebnis miteinander sehen muß, obwohl sie aus geschichtlichen Gründen kaum zueinander finden konnten: die Arbeiterinnenbewegung, die liberal-bürgerliche Frauenbewegung interkonfessioneller Art und die später hinzukommende katholische Frauenbewegung.
Der Beginn liegt im geistigen Aufbruch und menschlichen Zusammengehörigkeitsgefühl der Zeit um 1848. Insofern ist die Frauenbewegung aus dem frühen demokratischen Geist erwachsen. Eine Frau machte den Anfang, der es beinahe gelungen wäre, die bürgerlichen Frauen und die Arbeiterfrauen zusammenzuhalten. Es ist Louise Otto aus Meißen. 1844 war sie fünfundzwanzigjährig zuerst hervorgetreten mit ihrer Antwort »eines sächsischen Mädchens« auf einen Artikel in den Vaterlandsblättern: »Haben die Frauen ein Recht zur Teilnahme an den Interessen des Staates ?« 1847 entwarf sie ein Programm, das auf lange Zeit zum Programm der deutschen Frauenbewegung geworden ist. Sie forderte das Recht auf Bildung, Arbeit und Teilnahme am öffentlichen Leben für die Frau. Erschüttert über das Schicksal der sächsischen Heimarbeiterinnen, kämpfte sie mit Zeitschriftenartikeln, Liedern und Romanen,[4] um die Allgemeinheit auf das Schicksal der sozial Benachteiligten aufmerksam zu machen.[5]
»Seht ihr sie sitzen am Klöppelkissen,
Die Wangen bleich und die Augen rot!
Sie mühen sich ab für einen Bissen,
für einen Bissen schwarzes Brot!«
In Sachsen gingen zu jener Zeit die Schneider gegen ihre weibliche Konkurrenz, die »Kleiderverfertigerin-nen« vor, im Vogtland die Weber gegen die Weberinnen. Louise Otto kämpfte bei den Behörden für das Recht der Frauen auf Arbeit. »Glauben Sie nicht, meine Herren, daß Sie die Arbeit genügend organisieren können, wenn Sie nur die Arbeit der Männer und nicht auch die der Frauen mitorganisieren . .. Und wenn man überall vergessen sollte, an diese armen Arbeiterinnen zu denken — ich werde sie nicht vergessen!«[6]
Ihr Wahlspruch war: »Dem Reich der Freiheit werb' ich Bürgerinnen«, und dieses Reich der Freiheit sollte keiner ständischen Begrenzung unterliegen. 1865 gründete Louise Otto-Peters [7] unter Mitwirkung ihrer Freundin Auguste Schmidt in Leipzig den Allgemeinen deutschen Frauenverein. Es war zum erstenmal in Deutschland, daß eine Frau bei einer großen öffentlichen Versammlung sprach. Sie erklärte die Arbeit als Pflicht, Ehre und Recht des weiblichen Geschlechtes. Der Erlebniswert jener Oktobertage von 1865 ist von uns heute kaum noch nachzuvollziehen. Die Presse nahm regen Anteil, wenn ihr auch nicht die wirkliche Bedeutung dieses Ereignisses klar wurde. Man sprach von der »Leipziger Frauenschlacht«.
Anders als der in Berlin um die gleiche Zeit gegründete Lette-Verein zur Förderung und Bereicherung der weiblichen Erwerbsmöglichkeiten, der auch für die Zukunft eine politische Verselbständigung der Frau ablehnte, war bei Louise Otto-Peters das Politische als Fernziel zugleich mit eingeschlossen, aber als Voraussetzung dafür betrachtete sie die Vertiefung und Erweiterung der weiblichen Bildung.
Der Leipziger Allgemeine deutsche Frauenverein begann sogleich mit seiner Arbeit. Er richtete Adressen an verschiedene Tagungen jener Zeit, darunter den Volkswirtschaftlichen Kongreß in Hamburg 1867. Aber nicht nur die weiblichen Erwerbstätigen, auch die Stellung der verheirateten Frau in der Familie lag im Interesse des Vereins. 1877 ging eine erste Petition an das Reichskanzleramt um Änderung des Familienrechts, vor allem in den Fragen des Güterrechts.
Obwohl Louise Otto-Peters in ihrem Verein die Frauen der verschiedenen Stände vereinigte, spürte sie doch, daß unter den damaligen Verhältnissen sie als bürgerliche und dem Proletariat »klassenfremde« Frau nicht das Letzte für die Arbeiterinnen tun könne. Sie wollte den Proletarierinnen den Rücken stärken, damit diese den Weg der Selbsthilfe gehen könnten.
Wenn man sich ein Bild von dieser Frau macht, wie sie mit Strickstrumpf und Katze, Hegel lesend, in ihrem Hause sitzt, dann weiß man, welche Originalität, Gründlichkeit und Urwüchsigkeit die Begründerin der deutschen Frauenbewegung kennzeichnen. Ähnliche Eigenschaften kennzeichnen auch Clara Zetkin, die jahrzehntelang die Mentorin der sozialistischen Frauen war, und ebenso Helene Lange, die in der bürgerlich-liberalen Frauenbewegung eine ähnliche Bedeutung hatte.
Es war jedoch am Anfang des Sozialismus noch keineswegs klar, daß die Frau neben dem Mann eine gleichwertige Rolle einnehmen sollte. Innerhalb des Sozialismus mußte sich zuerst eine Entwicklung abspielen. Wesentlichen Einfluß hatte Bebeis Buch »Die Frau und der Sozialismus«, das sich übrigens keine falsche Gleichmacherei in den äußeren Lebensbedingungen von Mann und Frau zuschulden kommen läßt, sowie die politisch entschiedene Linie von Clara Zetkin. Während für die bürgerlichen Frauen ihr Frausein das größte Hemmnis war und sie ein Interesse hatten, gemeinsam als Frauen sich gegen eine einseitig männlich bestimmte Gesellschaftsordnung durchzusetzen, fühlten die Frauen des Proletariats das Hemmnis aus ihrem Frausein als das geringere Übel gegenüber der sozialen Bedrückung ihrer Klasse. So entschlossen sie sich unter dem Einfluß Clara Zetkins,[8] gemeinsam mit den Männern ihrer Klasse gegen die bürgerliche Gesellschaft zu stehen.
Die Frauenfrage wurde also ganz und gar in die Arbeiterfrage eingegliedert, und jedes aufkommende Gefühl der Schwesterlichkeit unter den Frauen der verschiedenen Stände wurde unterbunden. Clara Zetkin sieht den Klassenunterschied zwischen den Frauen des Hochbürgertums, des Mittelstandes und des Proletariats für trennender an als den Geschlechtsunterschied innerhalb der Arbeiterklasse. »Den Einfluß der Frauenrechtlerei auf die in der Bewegung geschulten Genossinnen fürchte ich keineswegs. Aber es gilt, diesen das Klassenbewußtsein trübenden Einfluß von den noch nicht politisch erzogenen proletarischen Frauenmassen fernzuhalten.[9] Nichts scheint sie mehr zu verletzen als das Mitgefühl der den Arbeiterinnen freundlichen Dame gesellschaftsfähiger Kreise, die den »ärmeren Schwestern« Wohltätigkeit erweisen. An eine Synthese von bürgerlichem und sozialistischem Entwurf des Frauenlebens, wie sie sich seitdem in der Geschichte tatsächlich vollzogen hat, konnte Clara Zetkin damals bei ihrer strengen Entweder-Oder-Haltung nicht denken; vielleicht auch deshalb nicht, weil sie, einseitiger und radikaler als Louise Otto-Peters, ihren bürgerlichen Stand aus Liebe zur arbeitenden Klasse verlassen hatte, um den Proletarierinnen alles sein zu können.
Die Entwicklung innerhalb der bürgerlichen Frauenbewegung, die vor allem ein Kampf um die Frauenbildung war, kann man an den Lebenserinnerungen von Helene Lange verfolgen. Mit Erlebnisnähe und nicht verjährender Lebendigkeit läßt sie ihre Leser an den längst vergessenen Kämpfen von damals teilnehmen. Schon als Kind und als junges Mädchen nahm Helene Lange die menschlichen Bedrückungen wahr, die eine gesunde Selbstentfaltung der Frau verhinderten und die sie später in die Frauenbewegung führten: Sie leidet an der einseitig männlichen Erziehung in der höheren Mädchenschule jener Zeit, sie will sich nicht rezeptfertig präpariertes Wissen vorsetzen lassen, sondern möchte den organischen Vorgang der Erkenntnis erleben. In ihrer Pensionszeit in einem schwäbischen Pfarrhaus bemerkt sie, daß Männer und Frauen eine verschiedene Sprache sprechen, daß jedes geistige Thema unter Männern verstummt, sobald Frauen mit im Räume sind. Sie erzählt von einem Kaplan, der sich über dieses ungeschriebene Gesetz hinwegsetzte und mit ihr und der Frau des Pfarrers theologische Gespräche führte, wobei er beide als gleichwertige Partner ernst nahm. Dieser Mann hat sie bei ihrer späteren Arbeit in der Frauenbewegung lebhaft unterstützt.
Durch private Hauslehrertätigkeit, bei der sie den Mangel einer systematischen Ausbildung spürte und gleichzeitig autodidaktische Studien betrieb, mußte Helene Lange eine Reihe von Jahren überbrücken, um nicht müßig auf die Ehe wartend, mit Stickrahmen und sonstigen sogenannten weiblichen Beschäftigungen ihre Zeit zu verbringen. Denn bevor sie großjährig war, erlaubte ihr der Vormund nicht, das Lehrerinnenexamen abzulegen, weil dies in der ganzen Oldenburger Gegend noch kein Mädchen getan hatte.
1871 verließ sie ihre niederdeutsche Heimat, aus der sie so viel gesunde Lebenstüchtigkeit mitgenommen hat, und wandte sich für die Dauer nach Berlin. Es gab dort schon eine private Einrichtung, das Victoria-Lyzeum, benannt nach der preußischen Kronprinzessin, die der beginnenden Frauenbewegung in Deutschland manche Hilfe bot. Dort wurden Vorlesungen von Universitätslehrern für Frauen gehalten, die aber zu nichts berechtigten. Helene Lange verhalfen diese Studien jedoch dazu, daß sie sich extern zum Lehrerinnenexamen melden konnte und dadurch den Mängeln der damaligen Seminarausbildung entging.
Es war die Zeit, als man in Deutschland das frauenfreundliche Buch von John Stuart Mill »Subjection of Women« mit großem Staunen las. Jedoch die eigene Konzeption von Helene Lange ging nicht ganz in dieser Richtung: »Bei all den Ausführungen, die darauf hinausliefen, daß Frauen die als männlich bezeichnete Sphäre ebenso gut, ja unter Umständen vielleicht einmal besser ausfüllen könnten als der Durchschnittsmann, daß die Frau aufgrund ihres Menschentums befreit werden und zu den männlichen Wirkens Sphären zugelassen werden müsse, fehlte mir das Zwingende, das Primäre. Das lag für mich nur in dem Gedanken, daß es vieles gab, das nur Frauen, das Männer nicht oder nicht so gut ausführen konnten, daß die Gleichberechtigung also nicht verlangt werden müsse um der Gleichheit, sondern um der Ungleichheit der Geschlechter willen, daß die einseitig männliche Kultur durch eine weibliche ergänzt werden müsse. Doch war das noch mehr Gefühl als klare Argumentation. Daß das Ziel der Frauenbewegung die volle kulturelle Ausprägung und die unbeschränkte soziale Auswirkung der weiblichen Persönlichkeit sei, würde ich damals noch nicht so formuliert haben. . . Erst im Laufe der achtziger Jahre bildete sich mir langsam die Überzeugung, daß die Grundanlage der Geschlechter durch gleichartige Vorbildung nicht verschoben werden könne und daß sie für viele Berufe und Wirkenskreise, die die Frau umgestalten und mit ihrer Besonderheit erfüllen müsse, Vorbedingung sei.«[10]
Helene Langes Lebensarbeit galt der Anerkennung und Berechtigung der Lehrerin in der höheren Mädchenbildung. »Die Auffassung, daß die Frau in der Schule nur ein Lückenbüßer sei, daß sie — außer vielleicht bei den Kleinen, die ja allerlei mütterliche Dienste verlangten — durchaus entbehrlich sei, war noch die durchgehende.«[11]
Die Ursache für diese uns heute unverständliche Auffassung liegt darin, daß die Bildung der Mädchen nur als Annehmlichkeit für den Mann gedacht war und nicht einmal der Lebensaufgabe der Frau als Erzieherin ihrer Kinder gerecht wurde. Davon zeugt der groteske, aber damals als Fortschritt empfundene Satz in der Denkschrift der Versammlung der Mädchenschulpädagogen in Weimar 1872: »Es gilt, dem Weibe eine der Geistesbildung des Mannes in der Allgemeinheit, der Art und den Interessen ebenbürtige Bildung zu ermöglichen, damit der deutsche Mann nicht durch die geistige Kurzsichtigkeit und Engherzigkeit seiner Frau an dem häuslichen Herd gelangweilt und in seiner Hingabe an höhere Interessen gelähmt werde, daß ihm vielmehr das Weib mit Verständnis dieser Interessen und der Wärme des Gefühls für dieselben zur Seite steht.[12] Für diese Auffassung der Mädchenbildung waren Männer in der Tat die berufenen Erzieher, und man kann nachvollziehen, wie schwer es war, bis die Lehrerin sich einen berechtigten Platz erwerben konnte.
Helene Lange ist auch die Verfasserin der sogenannten Gelben Broschüre »Die höhere Mädchenschule und ihre Bestimmung«, die 1887 als Begleitschreiben der Petition um Revision der Mädchenbildungsstätten an das Preußische Kultusministerium ging. Ihr war es allmählich aufgegangen, daß die Männer, wenn sie von »weiblicher Eigenart« sprachen, etwas anderes darunter verstanden als die Frauen selbst. Mit diesem Mißverständnis setzt sie sich in der Gelben Broschüre auseinander: »Die Erfahrung lehrt zunächst, daß bei gründlichem Studium sehr häufig die Eigenheiten verschwinden, die Männer als spezifisch weibliche bezeichnen: die Kleinlichkeit, der Mangel an Logik, der enge geistige Horizont, die Unselbständigkeit, die Unentschiedenheit des Urteils; kurz, alle die Eigenschaften, die, so sehr der Mann sie auch verurteilt, ihm doch oft so unendlich bequem sind; wir können ihr Verschwinden nicht bedauern, besonders bei der Lehrerin nicht. Erst wenn diese Schwächen verschwunden sind, kann sich das, was wir Weiblichkeit nennen, voll entwickeln, erst dann vermag die Lehrerin das heilige Amt der Mutter in der Schule zu übernehmen.«[13]
Bekämpft wurde von den Frauen dieser Epoche die Halbbildung der Frau im Beruf und der bewußt unterentwickelt gehaltene Bildungsstand der Frau in der Ehe, was von Marianne Weber treffend herausgestellt worden ist: »Wir verneinen aber auch vor allem das überlieferte Ideal der weltunkundigen, halbkindlichen, unselbständigen, dem Mann prinzipiell untergeordneten Frau, welcher die gewaltigen Probleme des sozialen Lebens verborgen bleiben und die deshalb auch nicht an ihrer Lösung mitarbeiten kann.«[14] Der nächste weiterführende Schritt war die Einrichtung von Realkursen und später Gymnasialkursen für Frauen in Berlin, in denen die bisher der Knabenschule vorbehaltenen Fächer Mathematik, Naturwissenschaften, Latein und Griechisch neben Geschichte, Literatur und den modernen Sprachen gelehrt wurden. Die ersten sechs Teilnehmerinnen stellten sich 1896 extern zur Prüfung und bestanden das Abitur mit gutem Erfolg. Es gab zwar damals schon die Möglichkeit für deutsche Frauen, in England, Amerika oder in der Schweiz zu studieren und die akademischen Grade zu erwerben, aber es dauerte noch mehr als ein Jahrzehnt, bis sich allmählich die Tore der deutschen Universitäten offiziell für die Frauen öffneten.[15]
Ein Höhepunkt der Frauenbewegung war die Gründung des Allgemeinen Deutschen Lehrerinnenvereins im Jahre 1890 durch Helene Lange, des ersten großen weiblichen Berufsverbandes überhaupt. Auguste Schmidt, die einstige Mitarbeiterin von Louise Otto-Peters, war als Seniorin aktiv beteiligt und betonte den sittlichen Wert der Frauenarbeit gerade in der Mädchenerziehung. 1894 schlössen sich verschiedene deutsche Frauenorganisationen zum Bund Deutscher Frauenvereine zusammen und gliederten sich zugleich dem 1888 in Amerika gegründeten International Council of Women an. Später umfaßte der Bund rund 77 Organisationen, bis er sich 1933 selbst auflöste.
Der Bund deutscher Frauenvereine war aus dem inzwischen drei Jahrzehnte alten Allgemeinen deutschen Frauenverein erwachsen, aber bei seiner Gründung im Jahre 1894 stellte sich im Gegensatz zu 1865 das Klassenproblem in einer schmerzlichen Weise. Die Arbeiterinnenvereine wurden zwar vom Vorstand willkommen geheißen, jedoch solche mit unverkennbar politischer Tendenz wurden abgelehnt. Im Hintergrund stand das damalige Vereinsgesetz, das bis 1908 den Frauen die Teilnahme an politischen Vereinigungen verbot. Die bürgerliche Frauenbewegung wollte sich nicht der Gefahr aussetzen, daß ihre Ziele in bezug auf Bildung und Berufstätigkeit der Frau unter dem Vorwand einer politischen Verdächtigung zunichte gemacht wurden. Einige Frauen, darunter auch die Gräfin Schack-Guillaume, die eine Sittlichkeitsbewegung unter den Frauen wachgerufen hatte, gingen um jene Zeit zu den Arbeiterinnen über.
Aber die Frauen des sogenannten vierten Standes hatten sich längst anders entschieden. Ihnen lag nichts an der Aufnahme in den Bund Deutscher Frauenvereine, weil sie die Solidarität mit dem Mann ihrer Klasse gewählt hatten und auf die Betonung der Sonderinteressen der Frau in einer ständeverbindenden Weise keinen Wert legten.[16] So war die ständische Trennung der
Frauen besiegelt und vielleicht in der damaligen Geschichtssituation nicht zu umgehen, obwohl dies immer eine bedauerliche Tatsache bleibt.
Die Jahrzehnte um die Jahrhundertwende waren reich an bedeutenden Frauengestalten. Gertrud Bäumer, die jüngere Mitarbeiterin Helene Langes, war als Historikerin und Schriftstellerin mit einem umfangreichen Opus international anerkannt. Ihren klaren und offenen Stil kann man als typisch frauliche Gegenständlichkeit bezeichnen. Marianne Weber,[17] die Frau von Max Weber, schrieb ihre soziologisch, rechtshistorisch und philosophisch bedeutsamen Frauenbücher, Marie-Elisabeth Lüders bereitete sich auf ihre spätere staatspolitische Wirksamkeit vor, und Agnes von Zahn-Harnack war sowohl theologisch tätig, als auch an den praktischen Problemen der Frauenbewegung interessiert, insbesondere was die Frau als Akademikerin anbelangt.
Diejenige Frau, welche die interkonfessionelle Frauenbewegung mit der katholischen verbindet, ist Elisabeth Gnauck-Kühne. Sie gründete 1894 eine evangelischsoziale Frauengruppe, trat 1900 zum Katholizismus über und wurde Mitbegründerin der katholischen Frauenbewegung.[18] Man hat sich lange Zeit gefragt, ob überhaupt eine katholische Frauenbewegung möglich und notwendig war und warum sie erst so spät zum Zuge kam. Der Grund ist nicht nur die stärkere Traditionsgebundenheit der katholischen Kirche, sondern auch die Tatsache, daß es für die ledige katholische Frau, soweit sie sich zum Ordensstand entschließen konnte, schon immer die Möglichkeit der beruflichen Entfaltung gegeben hat, sowohl in der Sozialarbeit, der Kinder- und Krankenpflege, als auch in der Mädchenerziehung, im Unterricht und in der Katechetik. Die immer wieder entstehenden Schulorden und Kongregationen mit sozialem Dienst bezeugen dies. Die Klosterfrauen als älteste Gruppe der berufstätigen Frauen besaßen die Jahrhunderte hindurch Rechte, welche die interkonfessionelle Frauenbewegung sich gegen viel Verständnislosigkeit in der säkularisierten Gesellschaft erst erkämpfen mußte. In dieser Hinsicht gilt, daß die Frau in der Kirche immer schon »moderner« leben konnte als anderwärts.
Für die unverheiratete Frau in der Welt und auch für die Frau in der Ehe wurde jedoch die katholische Frauenbewegung eine strenge Notwendigkeit. 1903 wurde in Köln der Katholische Deutsche Frauenbund gegründet. Er hat sich nicht wie zeitweilig der Deutsch-Evangelische Frauenbund dem Bund deutscher Frauenvereine angeschlossen, wohl aber von Fall zu Fall mit ihm zusammengearbeitet. Die katholische Frauenbewegung versteht sich im Rahmen der Laienbewegung unseres Jahrhunderts und will dazu beitragen, daß alle im Laienstand gelegenen Möglichkeiten des Apostolats und der karitativen Tätigkeit in der säkularisierten Welt auch wirklich gelebt werden.
Viele praktische Ziele hat die katholische mit der klassischen Frauenbewegung gemeinsam. Daß es dennoch eines katholischen Frauenbundes bedurfte, erklärt Hedwig Dransfeld 1919 mit folgenden Worten: »Die interkonfessionelle Frauenbewegung hat eine Fülle liberaler Gedanken in sich aufgenommen. Der Religion steht sie .. . nicht ablehnend gegenüber, aber sie scheidet sie als Kriterium der Bewegung bewußt aus. Das individualistische Prinzip führt sie vielfach zu einer Überspannung der Frauenrechte.«[19]
Von Anfang an hat die verheiratete Frau mit ihren Erfahrungen aus der Familie in der katholischen Frauenbewegung mitgearbeitet. Die katholischen Lehrerinnen als Vertreterinnen der unverheirateten Frauen hatten schon lange vor der Gründung des Frauenbundes den katholischen Lehrerinnenverein geschaffen und entwik-kelten ein starkes Zusammengehörigkeitsbewußtsein. Großen Erinnerungswert behielten die ersten Generalversammlungen des Frauenbundes mit ihren aktuellen Themen und bedeutsamen Vorträgen. Freilich glaubten die katholischen Frauen damals noch, sich zwar nicht in der Aktivität, wohl aber in ihrem Selb st Verständnis und der Einschätzung ihrer Arbeit manche Schranken auferlegen zu müssen, weil ihnen die biblischen Stellen über die Frau noch nicht in jenem Lichte erklärt wurden, wie die heutige Theologie sie sieht.[20]
In der ersten Epoche der katholischen Frauenbewegung von 1903 bis 1912 wurde für die Erweiterung der Mädchenbildung, das Universitätsstudium und neue Frauenberufe gearbeitet. Die zweite Epoche, von 1912 bis 1924, als Hedwig Dransf eld den Vorsitz des Bundes hatte, gestaltete sich unter ihrem Einfluß zu einer ständeverbindenden Volksbewegung. Damals entstanden die Sozialen Frauenschulen als katholische Studienanstalten, und zahlreiche Arbeitsgruppen beschäftigten sich mit den Belangen der Frauen in Stadt und Land. Der Weltkrieg brachte neue Aufgaben für die Frauen. Die ersten Fabrikpflegerinnen und Werkfürsorgerinnen wurden ausgebildet. Aus dem Jahre 1916 stammt Hedwig Dransfelds Idee von der Frauenfriedenskirche, die 1929 in Frankfurt eingeweiht wurde und den Zweiten Weltkrieg überdauert hat.
Als 1919 den deutschen Frauen das aktive und passive Wahlrecht geschenkt wurde, zogen zahlreiche Frauen aller Parteien und Geistesrichtungen in die Parlamente und auch in den Reichstag ein. Sie hatten Einfluß auf die Sozial- und Kulturgesetzgebung, das Familienrecht, die Jugendwohlfahrt, den Mütterschutz, die religiöse Erziehung.[21]
Der starken Persönlichkeit Helene Webers, deren politische Laufbahn vom Reichstag der Weimarer Zeit bis zum Bonner Bundestag und dem Deutschen Rat der Europäischen Bewegung führte, ist der Zusammenhalt der katholischen Frauen während der nationalsozialistischen Zeit wesentlich zu verdanken. Aus dem Staatsdienst entlassen, reiste sie, wie schon während des Ersten Weltkrieges, unermüdlich und nicht ohne Gefahren von Ort zu Ort, um durch Vorträge und Gespräche den Frauen geistigen Rückhalt und die Kraft des Überdau-erns zu geben. Als sie 1962 starb, verlor die katholische Frauenbewegung diejenige Gestalt, die mit unverwüstlichem Arbeitseifer, parlamentarischer Redegewandtheit, Humor und Originalität ihre ganze bisherige Geschichte wesentlich mitgestaltet und mitgetragen hatte.
Heute sind der Frauenarbeit in der Kirche über den Frauenbund und seine Einrichtungen hinaus weite Gebiete erschlossen. Wesentliche Anstöße für eine moderne Frauenseelsorge und Bildungsarbeit an den Frauen gehen vom Haus der Katholischen Frauen in Düsseldorf aus. Verändert wurde die Situation der Frau in der Kirche vor allem auch dadurch, daß es jetzt kirchliche Frauenberufe gibt. Das Theologiestudium berechtigt die Frau zur Ausübung des Lehramtes an Höheren Schulen und zu freiberuflicher Tätigkeit, auch zur Mitarbeit in der Seelsorge.[22] Die unverheiratete berufstätige Frau, nicht nur in den Sozialberufen, sondern ebenso in den technisch-wirtschaftlichen Berufen, hat im allgemeinen ihr Selbstbewußtsein als Laie in der Kirche gefunden und bejaht ihren Weltauftrag. Die Frau ist sich selbst nicht mehr das Problem, das sie sich einmal war, sie ist aber gewissermaßen noch ein Problem im Bewußtsein der männlichen Welt.
Bevor es die kirchlichen Frauenberufe, wie Katechetin und Seelsorgehelferin, gab, waren die Frauenverbände nahezu die einzige Möglichkeit, sich als Frau kirchlich zu engagieren. Dies zeigt sich noch daran, daß als Laienauditoren beim Konzil außer weiblichen Ordensoberen nur solche Frauen in Frage kommen, die einer internationalen katholischen Frauenorganisation vorstehen.
Die Mütter- und Jungfrauenvereine alter Prägung waren dadurch besonders belastet, daß man die Frauen in gesteigertem Maße als das zu lenkende und zu bevormundende Kirchenvolk ansah. Dies hat sich in unseren heutigen Verbänden grundlegend geändert. Aber noch manche jüngere Frau schreckt aus Angst vor veralteten Vereinsformen vor dem Eintritt zurück. Für Marianne Dirks, die Präsidentin der katholischen Frauen- und Müttergemeinschaften Deutschlands, entscheidet sich die Existenzberechtigung kirchlicher Frauengemeinschaften daran, ob sie die Frauen bildungsmäßig weiterbringen. Es ist also nicht nur die »organisierte« Frau kirchlich existent.
Wenn auch heute die Berechtigung der Frauenbewegung im Sinne des Kampfes für politische, berufliche und bildungsmäßige Ziele erloschen ist, weil diese Ziele im allgemeinen erreicht sind, so bleibt doch immer jener Sonderbereich an Interessen der Frau, der es sinnvoll erscheinen läßt, daß Frauen sich untereinander zusammenfinden, wohl auch zusammenschließen, und nicht ganz und gar in der allgemeinen menschlichen Gesellschaft aufgehen.