Der erste Schultag: Wer? Ich? Neurotisch?

Hin und wieder liest man von einer Familie, in der sich die Eltern entschlossen haben, ihre Kinder nicht zur Schule zu schicken (was in England möglich ist). Sie unterrichten ihre Kinder zu Hause, und manchmal mit erstaunlichem Erfolg. Im besten Fall sind das hingebungsvolle, hervorragende, kluge Leute, im schlechtesten Fall fanatische Spinner. Einige haben sich dazu entschlossen, weil ihr Kind es mit der Schule versucht hat, aber gescheitert ist. Andere, und die faszinieren mich mehr, wollen ihr Kind aus Prinzip nicht in die Schule schicken. In dem Jahr, bevor mein erstes Kind in die Schule kommen Sollte, las ich alles über Privatunterricht, was ich in die Finger kriegen konnte. Wie vielen Eltern von intelligenten, eifrigen, glücklichen, originellen und sensiblen Fünfjährigen (sind sie das nicht alle?) graute es mir bei der Vorstellung, ihn einer Institution übergeben zu müssen. Ich hielt es für puren Wahnsinn ihn in eine Gruppe zu schicken, die viermal, größer war als alles, was er bisher kennen gelernt hatte, und ihn auf den Schulhof zu lassen, wo furchterregende Rangen sich um einen Fußball balgen und dabei »Gib's ihm!« brüllen. Jetzt weiß ich, daß das dumm war, und daß alle diese Kinder eine Mutter haben, die glaubt, ihr Kind sei das einzige feinfühlige, kleine Baby auf der ganzen Welt. Und die rüden Fußballrangeleien spielen sich ohnehin unter größeren Jungen ab. Aber wenn man sein Kind im Buggy an einem Sportplatz mit tobendem Jungvolk vorbeifährt, kann man es schon mit der Angst zu tun kriegen. Eine ernsthafte Überlegung hingegen war schon die endlose Warterei in der Schule, an die ich mich erinnerte. Warum sollte mein Junge seine aufregendsten Lernjahre damit vergeuden, in irgendeiner Registratur zu warten?
Viele Menschen haben ganz verworrene Erinnerungen an die Schule. Da flüsterte eine Gruppe von Schulkameraden in einer Ecke und heckte einen Plan gegen dich aus, da ärgerten einen die Mitschüler mit häßlichen oder grausamen Spitznamen, da wurde man schmerzhaft an den Haaren gezogen und schrie auf, woraufhin der Lehrer ungerechterweise den Falschen bestrafte, weil er nicht genau gesehen hatte, was passiert war. Alte Ängste sind noch immer gegenwärtig: Da gehen wir in die Schule als selbstbewußte, bestimmte Erwachsene, um den Klassenlehrer in die Mangel zu nehmen, und ein Hauch von dem alten, typischen Geruch genügt schon, um uns wieder zu nervösen kleinen Kindern zu machen. Diese Ängste projizieren wir wieder auf unsere Söhne und Töchter. Der kleine Freddie hat sein ganzes Leben bislang im Schoß der Familie zugebracht oder im kleinen Kindergartenkreis. Was soll er mit diesem riesigen, häßlichen Gebäude, in dem alle Stimmen so laut widerhallen, anfangen? Voller Mitgefühl zittern wir beim ersten gemeinsamen Besuch, während wir tapfer versuchen,  dem Kind den netten Lehrer und die vielen schönen Bilder und Spielsachen in süßlichen Tönen anzupreisen. 0 weh, o weh, o weh, wird das mein Baby schaffen? Keine Angst! Das Baby wird damit besser fertig als Sie. Aber vielleicht kennen Sie die oben beschriebenen Ängste ja gar nicht. Das kann gut sein. Ich habe dieses Kapitel absichtlich negativ begonnen, weil meine Karriere als Mutter eines Schulkindes auch negativ begonnen hat. Seither bin ich eines Besseren belehrt worden. Vergeben Sie mir, wenn Sie ein optimistischer Elternteil eines selbstbewußten Kindes sind, der keine Zweifel kennt oder kannte. Diejenigen von uns, die darunter leiden, haben das Bedürfnis, es zuzugeben.
Und so schlecht ist es ja nun auch wieder nicht, wenn wir mit ein wenig Skepsis an die Sache herangehen. Jedes Mittel ist erlaubt, das das Verantwortungsbewußtsein bei der Schulauswahl schärft, das die Schule kritisch betrachtet, das das Einfühlungsvermögen mit dem verwirrten Schulanfänger stärkt. Natürlich ist es schlecht, wenn sich Ihr Unbehagen auf das Kind überträgt, aber das ist nur ein Grund mehr, die Ängste systematisch aufzuarbeiten, ehe es tatsächlich mit der Schule losgeht. Wenn Sie so tun, als wäre alles eitel Sonnenschein, und sich selbst und Ihrem Mann vorlügen, Sie würden sich »schon auf die ruhigen Tage« freuen, während Sie insgeheim der verlorenen Babyzeit nachweinen, dann können Sie sicher sein, daß Ihr Kind den Zwiespalt mitbekommt und richtig deutet. Also arbeiten Sie an Ihren Ängsten und Bedenken! Treffen Sie eine gute Wahl, machen Sie einen guten Anfang, organisieren Sie die Umstellung gut. Bleiben Sie zuversichtlich! Grundschulerziehung bewirkt, generell gesehen, wahre Wunder.
Die Auswahl der Schule: Auch wenn die Schulen in Ihrem Stadtteil oder Landkreis den besten Ruf genießen, statten Sie ihnen vorher (ohne Kind!) einen Besuch ab, und dann sehen Sie sich noch eine andere Schule an. Das ist die beste Methode, ein »Gefühl« für Schulen zu bekommen. Andernfalls besteht die Gefahr, daß Sie überwältigt sind, wie schön das alles ist (alle Erstkläßlerzimmer sind nett, weil eben die Kinder nett sind), oder daß Sie entsetzt sind von Dingen, die wiederum in allen Schulen gleich sind (wie beispielsweise der Radau). Sie sollten bei der Wahl der Schule die folgenden Kriterien beachten:

  • Aus pädagogischen Gründen: Es ist eigentlich selten, eine sehr schlechte Grundschule zu finden, es sei denn, sie ist personell hoffnungslos unterbesetzt und schülermäßig überbelegt. Die meisten sind so Iala. Fragen Sie, wie viele Kinder ungefähr die Lernziele erreichen. Versuchen Sie, Einsicht in die Arbeitsbücher von Lehrern zu nehmen. Stellen Sie beiläufige Fragen wie: »In welchem Alter sollten sie Ihrer Meinung nach fließend alleine lesen können?« und achten Sie auf die Antwort. Betrachten Sie die Zeichnungen an der Wand. Sind sie phantasievoll präsentiert und von Kindern und Lehrern liebevoll und mit Stolz zusammengestellt? Schneien Sie zehn Tage später noch einmal in das Klassenzimmer und prüfen Sie, ob neue Bilder an der Wand hängen. Wenn nicht, gibt es Punkteabzug. Vorsicht vor Privatschulen, die große Versprechungen bezüglich Hausaufgabenplänen und Latein und Französisch für Sechsjährige machen. Ebenso Vorsicht vor staatlichen oder städtischen Schulen, die nur von Lernzielen und Lesealter sprechen. Und Vorsicht vor Schulen, die behaupten, die »offiziellen Schulfächer« wären nicht wichtig, ebenso wenig wie Tests und Noten. Das Ideal liegt wie so oft in der goldenen Mitte. Es gibt zwei mögliche, konträre Katastrophen: Kinder, die sehr früh sehr intensiv zum Lernen angetrieben werden, können zwar Dinge nachplappern und recht ordentlich schreiben, später jedoch werden sie sehr oft zu lustlosen, mürrischen Schülern, die keine nennenswerten Leistungen mehr bringen. Genauso negativ wirkt sich eine Schule aus, die so wenig Wert auf Leistung legt und personell so unterbesetzt ist, daß ein durchschnittlich intelligentes Kind mit neun Jahren noch kaum lesen kann. Versuchen Sie darüber mit dem Rektor der Schule zu sprechen. Wenn Ihnen die Antworten nicht gefallen, überlegen Sie gut.
  • Atmosphäre und Ton sind ebenso wichtig. Ist es eine freundliche Schule? Fühlen Sie sich gut aufgehoben? Machen die Lehrer einen interessierten Eindruck? Lächeln sie? Machen die Kinder einen gelösten Eindruck? Lassen Sie alle pädagogischen Überlegungen hinter sich und vertrauen Sie nur auf Ihren Instinkt. Manche Schulen haben eine trübselige, angespannte Atmosphäre, andere wieder sind wild, rauh und chaotisch. In guten Schulen liegt ein gewisses Summen in der Luft, ein Summen, das man nicht definieren kann, aber das man sofort spürt, wenn es da ist. Immer wenn ich durch die häßlichen Glastüren unserer Schule gehe, fühle ich mich sofort besser, entspannter, lebendiger und der ganzen Welt wohlgesonnen. Diese positive Ausstrahlung wird getragen von den Lehrern, dem übrigen Personal, den Sekretärinnen, dem Elternheirat und natürlich von den Kindern. Versuchen Sie, bei Ihrem ersten Besuch nicht gleich all Ihre eigenen Theorien und Hoffnungen an den Mann oder an die Frau zu bringen. Hören Sie statt dessen den Lehrern zu, hoffen Sie, daß andere Lehrer und Kinder Fragen stellen und achten Sie auf den Umgangston. Werden die Meinungen anderer respektiert, spürt man Zuneigung, Hilfsbereitschaft und Interesse? Horchen Sie so nebenbei, wie die Kinder von Freunden, die schon in der Schule sind, über ihre Lehrer sprechen. In diesem Alter sollten sie sich noch nicht über die Lehrer lustig machen, sondern meist von ihnen wie von geachteten Freunden sprechen. Auch die Religion könnte bei Ihrer Wahl eine Rolle spielen oder der soziale »Ton« (wenn Sie dazu neigen). Aber nichts ist so wichtig wie dieses magische, unbeschreibliche Summen.
  • Bequemlichkeit ist wichtiger als Sie glauben. Nehmen wir an, Sie haben zwei Schulen ausgesucht, die beide fast ideal sind, nur daß Ihr Kind zu der einen Schule eine zusätzliche Stunde - oder länger - mit dem Auto oder dem Bus fahren muß, unter Umständen ewig lang im Stau stecken bleibt oder auf vereisten Straßen eine gefährliche Rutschpartie macht. Wahrscheinlich müssen Sie sich auch um eine Mitfahrgelegenheit kümmern, und Sie selbst werden kaum einmal das lächelnde Gesicht am Schultor sein. Wenn die nähere Schule nicht irgendwelche gravierenden Nachteile hat, sollten Sie wirklich ernsthaft überlegen, ob Sie Ihrem Kind den weiteren Weg und die damit verbundenen Unannehmlichkeiten zumuten wollen. Was ist, wenn Ihr Kind Freunde einladen möchte? Denken Sie an dunkle Wintermorgen, an die Zeitverschwendung an heißen Sommernachmittagen im Auto. Macht die Schule wirklich all das wett ?

Der erste Schultag

In guten Schulen haben Kinder im Einschulalter die Möglichkeit, schon vor dem eigentlichen Schulbeginn ein paar »Schnupperstunden« zu absolvieren. Aus eigener Erfahrung kann ich Ihnen dazu sagen, daß der erste Schultag ganz anders verlaufen kann, auch wenn das Kind den Probeunterricht begeistert genossen hat und ganz in sich zu ruhen schien. Unser Kind war in unserer Schule von Anfang an gut aufgehoben. Die anderen Kinder waren lieb und nett, die Lehrer waren freundlich, der Tagesablauf war locker, und die Schnupperstunden hatten ihm Spaß gemacht. Nichtsdestotrotz - der September kam, und unser Sohn vergoß zwei Wochen lang jeden Morgen bittere Tränen.
Jeden Tag klammerten sich seine kleinen Finger an meine Ärmel, und jeden Tag weinte ich fast mit ihm, fuhr mit falschen Zügen und steckte die Wäsche in den Backofen. Es war hart, sehr hart, seinem tränenreichen Flehen nicht nachzugeben. Ich war entschlossen, nicht weich zu werden, und zitierte sogar das Gesetz, das weder ihm noch mir eine andere Möglichkeit ließ. Das einzige, was ihn aufheiterte, war das Versprechen, daß er schon mit sechzehn von der Schule werde gehen dürfen, und nicht erst mit achtzehn. Nun, es war nicht ganz das einzige. Wir bemerkten ganz deutlich, daß sein Geist auf eine Weise gefordert wurde, wie er das bislang noch nicht kannte. Das half uns, diese schrecklichen vierzehn Tage durchzustehen. Abends in der Badewanne wimmerte er zwar immer noch: »Ich will morgen nicht zur Schule gehen! «, hielt aber dann inne und sagte Sachen wie: »Aber wenn der Mond ganz sandig und trocken ist, wieso scheint er dann?« oder: »Mami, wußtest du, daß Wasser ein Gewicht hat?« Die Schule und ihre Lernmethoden erweiterten seinen Horizont, andere Menschen bekamen die Chance, ihm neue Informationen, Ideen und Weltanschauungen zu vermitteln. Ich hatte das Gefühl, daß die Sache mit der Schule in Ordnung gehen würde, ja, eigentlich schon in Ordnung ging, und daß er das schon bald selbst begreifen würde.
Was dann auch passierte. Ich weiß nicht, wie lange ich den stetigen Zwang, das qualvolle Losreißen am Schultor noch ausgehalten hätte, aber alljählich berichteten die Lehrer, daß er immer weniger weinte, wenn er einmal im Schulgebäude war. Eines Morgens sagte ich zu ihm: »Weine nicht. Das bestürzt die anderen Kinder.« (Seltsamerweise tat es das nicht. Sie schienen es als seine Macke zu akzeptieren und zeigten ihm weiterhin ihre Spielsachen, auch wenn er hysterisch flennte.) »Oh, glauben sie also, daß es mir ernst ist?« Ich hätte ihn schütteln können. Die Heulerei war im Laufe der Tage wirklich zu einer Art Macke geworden. Er gab es auf und ist seither immer gerne zur Schule gegangen. Das muß Ihnen natürlich nicht passieren. Uns ist es mit dem zweiten Kind auch nicht passiert. Aber wenn es passiert seien Sie resolut, und geben Sie sich und dem Kind Zeit. Besprechen Sie die Angelegenheit mit den Lehrern, vertrauen Sie ihnen, bleiben Sie ruhig. Ein nicht unwesentlicher Teil der Panik rührt wahrscheinlich nicht von einer Abneigung gegen die Schule, sondern von einer Abneigung gegen die Veränderung. Schließlich erlebt das Kind einen völlig neuen Lebensabschnitt, und manche Menschen begrüßen neue Lebensabschnitte mit Tränen - denken Sie an Hochzeiten. Und so erleichtern Sie Ihrem Kind den Start:

  • Machen Sie sich über den künftigen Tagesablauf Ihres Kindes kundig. Erklären Sie ihm die Abfolge der Stunden, die Pause, den Sportunterricht, aber alles nur allgemein. Trichtern Sie ihm ein, daß Fragen nie schadet. Niemand wird ihm das übel nehmen.
  • Besprechen Sie im voraus mit dem Kind, was es zu tun hat, wenn es zur Toilette muß. Gehen Sie auch einmal mit ihm in eine ungewohnte öffentliche Bedürfnisanstalt, damit es die Scheu vor fremden Toiletten verliert.
  • Achten Sie darauf, daß es sich seine Kleider richtig an- und ausziehen kann. In manchen Ländern gibt es Schuluniformen - eine Unsitte für Sechsjährige. Die ideale Kleidung für die Schule ist, ganz ehrlich gesagt, ein Trainingsanzug mit bequemen Hals- und Ärmelbündchen und ohne Gummizug an den Knöcheln. Schuhe mit Klettverschluß sind ein Geschenk des Himmels.
  • Erzählen Sie begeistert von Ihrer Schulzeit. Nicholas' erste Schultage wurden einigermaßen erträglich durch eine sehr langweilige, aber beruhigende Geschichte, die ihm sein Vater erzählte, der seinen ersten Schultag damit zubrachte , in einem Schwan aus Holz zu schaukeln. Über meine ersten Schultage hat er nichts erfahren. Ja, Sie haben es sicher schon erraten: Auch ich habe an meinen ersten Schultagen nur geheult.
  • Eine feine Sache, wenn Ihr Kind einen Freund (oder eine Freundin) hat, der zur gleichen Zeit mit der Schule anfängt. Ein älterer Freund in der gleichen Schule ist sogar noch besser. In diesem Zusammenhang ganz offiziell herzlichen Dank an Matthew für alles, was er in jenen ersten Wochen getan hat. Geschwister sind am allerbesten. Dank auch an Nicholas für alles, was er wiederum zwei Jahre später für seine Schwester Rose getan hat.
  • Arbeiten Sie sich selbst auch in den neuen Lebensabschnitt ein. Vereinbaren Sie mit ihrem Kind einen bestimmten Standort vor der Schule, wo Sie es abholen, und erkundigen Sie sich, wie und wo Geld zu überweisen ist oder sonstige Formalitäten zu erledigen sind. KOMMEN SIE MORGENS NIEMALS ZU SPÄT, sonst ist das Ihrem Kind peinlich und es bekommt Schuldgefühle. KOMMEN SIE AUCH NIEMALS ZU SPÄT zum Abholen. Denken Sie daran, daß Sie momentan der einzige Fixpunkt in einem schwankenden Universum sind.
  • Quälen Sie Ihr Kind nicht jeden Tag mit der Frage, was in der Schule passiert ist und was es getan hat. Vielleicht möchte es einfach nur seine Ruhe und alles vergessen. Aber wenn es erzählen möchte, hören Sie zu.

Organisation:

Wie so vieles andere bei der Erziehung von Kindern ist auch Mutter eines Schulkindes zu sein eine Frage der Organisation. Da gibt es viele Dinge zu bedenken:

  • Nicht genug damit, daß Sie an das Essensgeld am Montag, die Sportsachen am Dienstag, das Bibliotheksbuch am Freitag und so weiter denken müssen, Sie müssen die Schultasche Ihres Kindes auch noch nach etwaigen Aufforderungen, Ankündigungen und Notizen der Schulverwaltung oder der Lehrer durchforsten. Das können absolut wichtige Informationen über den letzten Schultag vor den Ferien, über Aufführungen des Schülertheaters oder über Elternabende sein. Vielleicht bittet man Sie um Kostüme für Theateraufführungen, »Requisiten« für den naturwissenschaftlichen Unterricht oder fordert Sie auch nur ganz profan auf, Ihr Kind nach Läusen abzusuchen. Auf jeden Fall sind es meist wichtige Informationen. Manche Kinder vergessen jedoch, diese Mitteilungen an ihre Eltern weiterzugeben. Erst wenn sie sieben oder acht Jahre alt sind, klappt das besser. Deshalb: Schultasche durchsuchen.
  • Versuchen Sie, sich dem neuen Tagesrhythmus anzupassen. Berufstätige Mütter werden mit Mißfallen feststellen, daß es mit einem Schulkind mehr organisatorische Schwierigkeiten gibt als mit einem Kleinkind. Waren Sie beispielsweise einen ganzen Tag oder sogar länger unterwegs und haben Ihr Kleinkind einem Kindermädchen oder einer Tagesmutter überlassen, dann kamen Sie voller Begeisterung und Versprechungen zurück: Für den nächsten Tag wurde ein tolles Programm mit viel Spaß in Szene gesetzt. Ein Schulkind hingegen muß in der Früh aufstehen und zur Schule gehen. Mit einem Kleinkind können Sie spontan einen Einkaufsbummel machen oder mit Freunden zu Mittag essen. Mit einem Schulkind sind Sie an feste Zeiten gebunden und daran, daß Ihr Kind Sie nach der Schule auch noch uneingeschränkt braucht. Ich kenne Frauen, die tatsächlich ihre Arbeit aufgegeben haben, als ihr Kind in die Schule kam. »Die Zeit zu Hause ist so kurz, daß ich einfach da sein muß«, sagte eine Frau. Sie nahm einen Halbtagsjob am Vormittag an.
  • In den ersten beiden Schuljahren Ihres Kindes sollten Sie keinen neuen Job annehmen, wenn es nicht sein muß. Denken Sie daran: Wenn Ihr Kind krank ist - keine Schule. In den Ferien keine Schule. Wenn die Lehrer über die neue Lehrplanreform des Kultusministeriums beraten - keine Schule. Stellen Sie zusammen mit befreundeten Müttern einen Notdienst auf.
  • Elternabende müssen auch erst gelernt sein, vor allem der schmale Grat zwischen entschlossenem und aggressivem Vorgehen gegenüber den Lehrern (»Warum ist Sarah Jane erst auf Seite 20 im Lesebuch - die Parallelklasse ist schon auf Seite 28!«). Sie kennen zwar Ihr Kind am besten, die Lehrer hingegen wissen mehr über den Mechanismus des Lernens. Deshalb ist es sehr wichtig, daß Sie mit den Lehrern zusammenarbeiten. Fragen Sie den Lehrer, ob Sie zu Hause irgendwie helfen können, eine bestimmte Leseübung vielleicht oder Spiele, die das Rechnen erleichtern. Wenn Sie ein bestimmtes Lehrsystem nicht verstehen, dann lassen Sie es sich erklären oder bitten, wenn dazu keine Zeit ist, um eine Kopie des Begleitbuches für Lehrer. Zumindest sollte man Ihnen einen einführenden Text zur Lehrmethode beschaffen können. Bleiben Sie am Ball, wenn Sie etwas beunruhigt. Und verteufeln Sie eine Methode nicht deshalb, weil Sie noch nie etwas darüber gehört haben. Horchen Sie sich um, was in anderen Schulen gemacht wird, aber nicht aus Aggressivität oder falschem Konkurrenzdenken.
  • Eine wirklich dankbare Aufgabe ist es, selbst eine Funktion in der Schule zu übernehmen. So erfahren Sie am meisten über die Schule. Im Umgang mit fremden Kindern verschiedenen Alters werden auch die Perspektiven wieder zurecht gerückt. Viele Schulen sehen es gern, wenn elterliche Helfer im Klassenzimmer miterleben, wie Erstkläßler lesen lernen oder sich im Werkunterricht ereifern. Wenn Sie Ihre Dienste anbieten wollen, dann sollte das möglichst auf regelmäßiger Basis sein. Und seien Sie dabei bescheiden! Vergessen Sie nicht, daß Sie der Amateur sind. Ich habe letztes Jahr einmal pro Woche mit Siebenjährigen gearbeitet, und, glauben Sie mir, noch nie war mir mein Amateurstatus so deutlich bewußt wie in dieser Zeit. Wenn es geht, sollten Sie Ihr eigenes Kind im ersten Schuljahr nie in einer von Ihnen beaufsichtigten Gruppe haben. Das verwirrt! Später dann wird Ihr Kind das vielleicht lustig finden und Sie vielleicht mit »Fräulein« anreden, wie die anderen Kinder das tun.
  • Lesen: Nehmen Sie das Lesen ernst, aber nicht zu ernst. Sie können zum Lesen anregen, indem Sie Bücher in der Wohnung, haben und abends oft und gerne daraus vorlesen. Und Sie können Ihr Kind überschwenglich loben, wenn es versucht, den Text auf der Cornflakes-Packung zu lesen. Manches Kind lernt schneller lesen, manches langsamer, und diesen Prozeß in einem bestimmten Zeitraum erzwingen zu wollen, schafft nur Panik bei den Eltern, deren Kinder etwas langsamer sind. Es gibt nicht den geringsten Beweis dafür, daß ein Kind, das mit dreieinhalb fließend lesen konnte, mit sieben pfiffiger oder intelligenter ist als das Kind, das erst mit sechs lesen gelernt hat. Lassen Sie sich und Ihr Kind niemals verunsichern, nur weil der kleine Racker nebenan angeblich schon längst alleine liest. Wenn die Schule sagt, es wäre alles in Ordnung, glauben Sie es ruhig. Wenn Sie es nicht glauben, dann gehen Sie mit Ihrem Kind zu einem Schulpsychologen und vereinbaren Sie, daß er mit ihrem Kind ein informelles Gespräch führt. Während Ihr Kind lesen lernt, sollten Sie es auch nicht mit irgendwelchen anderen Tests für eine andere Schule belasten. Tests sind sehr starr und lassen meist keinen Raum für individuelle Unterschiede zu. Vor allem - und das ist besonders schwer, wenn man besorgt ist - nörgeln Sie nicht. Lesen ist ein ganz privates Vergnügen, manchmal ein subversives. Lesen sollte eine Tätigkeit sein, in die man sich stürzt, um den nörgelnden Eltern aus dem Weg zu gehen. Der echte Durchbruch ist nicht gekommen, wenn Ihr Kind fehlerlos eine Seite im Lesebuch runterrattern kann, sondern wenn es sich in sein Zimmer schleicht, um sich in ein Buch zu vertiefen. Die ehrgeizigsten neurotischsten Eltern, die ich kenne haben einen Sohn, der wunderbar lesen kann, es aber nie zu seinem Vergnügen tut. Er fährt nur auf Videos ab. Nicht zur Nachahmung empfohlen.

Geschwister:

Der Sprung vom Vorschul- zum Schulkind ist die einschneidendste Veränderung im Leben eines Kindes seit der Geburt - kein Vergleich zu anderen wichtigen Entwicklungsstufen wie Sprechen, Gehen, ja nicht einmal zum Kindergarten. Schule ist so endgültig und allumfassend. Ab dem ersten Schultag dreht sich für lange Zeit das Leben Ihres Kindes Tag für Tag, Woche für Woche hauptsächlich um die Schule und die Schulkameraden. Es gibt neue Disziplinen zu lernen: in einer Reihe aufstellen, warten, bis man dran ist, den Mantel an den richtigen Haken hängen, konzentriert bei einer Sache bleiben. Nach der goldenen Freiheit des Vorschulkindes, das unbehelligt in der Küche oder im Garten herum trödeln darf, ist die Schule ein ziemlicher Schock - wenn auch vielleicht ein angenehmer. Die früheren Freunde und jüngeren Geschwister wissen überhaupt nichts von den Aufgaben und Pflichten eines Schulkindes. Das kann zu Spannungen in ihrer kleinen Welt führen. Gehen Sie behutsam damit um. Bei Geschwistern, die altersmäßig nur zwei Jahre oder weniger auseinander sind, ist es am schwierigsten. Wenn das ältere Kind müde aus der Schule kommt und Ihre ungeteilte Aufmerksamkeit erwartet, ist das jüngere eifersüchtig und kann nicht verstehen, warum so viel Aufhebens um das größere Kind gemacht wird. In diesem Stadium können sich echte Feindseligkeiten entwickeln. Eine kleine Hilfe kann es sein, das größere Kind zu animieren, mit dem kleineren »Schule zu spielen«. Dadurch wird die Neugierde des jüngeren Kindes befriedigt, und das größere Kind hat Gelegenheit, herumzukommandieren (das Kind braucht dieses Ventil, da es sich momentan sehr klein und unbedeutend vorkommt). Da kann es zu sehr unschönen Szenen kommen, wenn das ältere Kind einen Schulfreund mit nach Hause bringt und die beiden ihre ganze vermeintliche Überlegenheit gegenüber dem kleineren Geschwister ausspielen - natürlich nur, um dieses Gefühl der Unterlegenheit loszuwerden. Beißen Sie die Zähne zusammen, das legt sich. Auch die jüngeren Nachbarskinder können mit einem Schlag zum Problem werden.
Wenn Rosamund und Chloe viermal pro Woche miteinander gespielt haben, seit sie Babys waren, aber Rosamund neun Monate älter ist, kann sie unter Umständen schon ein Jahr vor Chloe eingeschult worden sein. Chloe wird den ganzen Tag gelangweilt herumnörgeln, wenn sie nicht genügend andere Freunde hat. Und, was noch schlimmer ist, sie wird nach Schulschluß unbedingt zu Besuch kommen wollen, was die arme kleine Rosamund wiederum nicht begeistert, die sich seit Viertel vor neun der Klassengemeinschaft unterordnen mußte. Chloe möchte spielen, herum tollen und Spaß haben. Rosamund möchte nur auf Mamis Schoß sitzen und ganz ruhig sein. Ergebnis: Mißstimmung bei allen Beteiligten. Wie so oft hilft die Zeit. Nach den ersten Wochen wird Rosamund die Sache lockerer sehen und sich wieder auf das unkomplizierte Beisammensein nach der Schule mit ihrer kleinen Freundin freuen. Aber es kann genausogut sein, daß diese »Kleinkinderfreundschaft« ganz in die Brüche geht. Von jetzt an wird Ihr Kind auch ohne Ihre Hilfe viele Entscheidungen treffen und Freundschaften schließen. Aber schließen Sie die Tür nie ganz zu: Einige Kleinkinderfreundschaften überleben entgegen allen Erwartungen.

Probleme:

Natürlich wird es alle möglichen Probleme in der Schule geben. Da ist vielleicht ein anderes Kind, das Ihres unter Druck setzt, eventuell sogar unbewußt (»lch kann Joanna um die Welt nicht leiden!«). Oder jemand, der sich wirklich in der Klasse aufspielt und andere schikaniert. Vielleicht ist es schwer, Freunde zu finden, weil es nur Cliquen gibt. Es gibt Mißverständnisse mit Lehrern, Ungerechtigkeiten oder ziemlich unbegründete Ängste vor einem speziellen Lehrer. Monatelang flippte unser Sohn jeden Donnerstag früh aus vor Angst vor einer Halbtagslehrerin: Nie habe ich eine sanftere, tolerantere Frau kennen gelernt. Wir glaubten, es war ihre Figur, die ihn an jemanden erinnerte, den er nicht mochte. Alle diese- Probleme müssen besprochen werden - mit dem Kind. Und mit echtem Interesse, aber nicht übertrieben parteiisch: »Ach, das ist ja wirklich eine Schande! Ach! Wie kann sie es wagen!« Auch mit den Lehrern in der Schule! Wenn Sie eine gute Schule ausgesucht haben, dann wird man dort auch bemüht sein, Ihnen zu helfen. Versuchen Sie ganz ruhig zu bleiben.
Nach einer durchwachten Nacht mit einem heulenden Kind werden Sie all Ihre Selbstdisziplin, Ihren Humor und Ihre Objektivität brauchen, aber Sie müssen auch zuhören, was der Lehrer zu sagen hat. Die Geschichte von dem größeren Kind, das Ihres einfach nieder gestoßen hat, hört sich vielleicht aus der Sicht der Lehrer ganz anders an. Unter Umständen hat nach dieser Version Ihr Kind dem anderen gegen die Schienbeine getreten und seine Geburtstagskarte zerrissen. Noch schwieriger wird es, wenn Ihr Kind behauptet, vom Lehrer für etwas gerügt worden zu sein, was es nicht getan hat. Aber mit Takt und Diplomatie kann auch das ins rechte Lot gebracht werden. Wenn nicht, ist es vielleicht doch in der falschen Schule. Denken Sie daran: Wenn Ihr Kind aus irgendeinem Grund unglücklich ist, sollten die Lehrer darüber mindestens so besorgt sein wie Sie. Eine gute Schule erkennt man daran, daß immer die Kinder im Mittelpunkt stehen. Aber es bleiben immer Ihre Kinder, und Sie haben die letzte Entscheidung.