In den ersten vier Jahren müssen Ihre Kinder mit Ihren Freunden vorlieb nehmen In den nächsten vierzehn Jahren müssen Sie mit den Freunden Ihrer Kinder zurechtkommen. Krabbelkinder lieben es, mit Altersgenossen über den Fußboden zu robben, während ihre Mütter sich den neuesten Klatsch erzählen. Ein zweijähriges Kind wird sich, wenn auch manchmal widerwillig, mit den Gleichaltrigen beschäftigen, die ihm von den Eltern präsentiert werden. Ist aber ein Kind erst einmal im Kindergartenalter und trifft auf eine »Bezugsgruppe«, wie die Psychologen das im Fachjargon zu nennen pflegen, dann ist es mit Ihrem Einfluß vorbei. »Gillie ist meine beste Freundin«, wird Ihr Kind dann mit Bestimmtheit sagen. Und wie sehr Sie auch das leere Geschwätz von Gillies Mutter nervt, Sie müssen gute Miene zum bösen Spiel machen und Mutter samt Kind zum Kaffee einladen. Das ist nun mal so. (Und vielleicht finden Sie ja auch ein paar liebenswerte Seiten an Gillies Mutter.
Einige der nettesten Ehepaare habe ich durch die Spielgefährten meiner Kinder kennen gelernt Aber auch wenn es nicht so ist, können Sie nichts dagegen tun.) Niemals dürfen Sie es wagen, eine Freundschaft irgendwie zu behindern, denn Sie können sich nichts Schlimmeres vorstellen als daß Ihr Kind keine Freunde hat. Ihr Kind alleine abseits in der Spielgruppe oder am Spielplatz! Schon bei dem Gedanken bricht Ihnen (las Herz. Eltern trifft es äußerst schmerzlich, wenn ihr Kind allein am Rand steht oder als letztes in eine Mannschaft gerufen wird. Ich halte mich für ziemlich selbstbewußt, und doch verging kein Kindergeburtstag, bei dessen Planung mich nicht die wahnwitzige Vorstellung gequält hätte, es würde niemand kommen. Deshalb lade ich eigentlich immer viel zu viele Kinder ein und verbringe die halbe Nacht vorher damit, zwanzig Überraschungspäckchen zu packen und den Wackelpudding zu beschwören, er möge doch endlich fest werden. Natürlich kommen sie alle, und wir haben wieder einmal nicht genügend Stühle. Aber die Angst, das Kind ohne Freunde aufwachsen sehen zu müssen, ist tief verwurzelt. Denn was hat man schließlich sonst im Leben? Was nützt es, wenn man reich, schön und intelligent aber einsam ist? Und die verläßlichste, am wenigsten schmerzhafte menschliche Beziehung ist echte Freundschaft.
Auch gute Ehen gründen zu einem großen Teil darauf. Was immer meinen Kindern in den nächsten siebzig Jahren widerfahren wird: Wenn ich bei einer Fee einen Wunsch frei hätte, würde ich darum bitten, meinen Kindern zuzugestehen, daß sie am Ende jedes problembeladenen Tages ein paar Freunde anrufen können und im Notfall dort auch eine Couch haben, auf der sie schlafen können. Erst dann, und nur dann, kann ich mich mit der Tatsache abfinden, daß ich einmal nicht mehr da sein werde. Mit dem Augenblick, in dem Ihr Kind einem anderen zum ersten Mal seine Spielzeuglokomotive unter die Nase hält, um sein Gegenüber damit zu einer Reaktion »Nimm« oder »schau« - aufzufordern, nimmt alles seinen Anfang. Versuchen Sie sich diesen Augenblick zu merken. Denn er wird nicht lange vorhalten. Nur allzu oft folgt dieser ersten Annäherung ein plötzlicher Sinneswandel. Dieselbe eben noch freundlich angebotene Spielzeuglokomotive landet krachend auf dem Kopf des Spielgenossen. Aber es ist ein Anfang der Annäherung und sollte gefördert werden. Aus meiner Erfahrung, meinen Fehlern und stichprobenartigen Nachfragen bei einigen, mit gesundem Menschenverstand ausgerüsteten Psychologen, hier ein paar Tips:
Erzwingen Sie nichts. Wenn Ihre älteste, liebste Freundin mit ihrem fünfjährigen Kind über das Wochenende zu Besuch kommt und sich die beiden nicht gesehen haben, seit sie in utero waren, können Sie fast darauf wetten, daß sich die beiden erst einmal ganz und gar nicht grün sind. Die Spannung ist einfach zu groß. Bestehen Sie auf den Grundregeln der Höflichkeit, fordern Sie Ihr Kind beispielsweise auf, den kleinen Gast im Haus herumzuführen, aber lassen Sie die beiden dann in Ruhe. Gehen Sie keinesfalls von vornherein davon aus, daß Ihr Kind sein Zimmer mit einem fremden Kind teilen möchte. Stellen Sie sich vor, zu Ihnen sagt jemand: »Da kommt noch ein zweiunddreißig jähriges Mädchen mit, das wird lustig, ihr könnt den ganzen Tag miteinander verbringen und abends zusammen schlafen.« Auch Sie würden ein solches Ansinnen entsetzt von sich weisen oder glauben, Sie wären bei »Billigtours-Reisen« gelandet.
Zeigen Sie, daß Freundschaft etwas Gutes ist. Zeigen Sie Freude, wenn Sie Ihre Freunde besuchen gehen. Sprechen Sie herzlich von ihnen. Sagen Sie Ihrem Kind, wenn Sie für Freunde eine Besorgung machen, daß Sie ihnen gerne einen Gefallen tun. Bemühen Sie sich ernsthaft, nie über »Daddys Freunde vom Golfclub« mit abfälligem Unterton zu sprechen, als wären sie ein echtes Ärgernis. Auch wenn sie es sind.
Je früher Ihr Kind das Gefühl hat, sich frei und unbeschwert einen Freund aussuchen zu können, desto besser. Beißen Sie die Zähne zusammen. Bieten Sie Ihrem Kind eine Auswahl - Kinder im ungefähr gleichen Alter, die es ziemlich regelmäßig sehen kann. Vor der Schulzeit ist das nur im Rahmen einer Spielgruppe oder ziemlich häufigen Kaffeeklatschrunden in diversen Küchen zu bewerkstelligen. Wenn Sie nicht gerade auf einem Einödhof wohnen oder versehentlich in einer Seniorenwohnanlage gelandet sind, dann wird es in der Nachbarschaft immer irgendwelche Kinder geben. Es ist verführerisch, sich nur an die eigenen Freunde und deren Kinder zu halten, aber der Kreis sollte größer sein, mehr Möglichkeiten bieten. Nicht jeder mag den Nachbarsjungen. In meiner Jugend gab es nur einen, und den konnte ich nicht ausstehen. Problematisch wird es, wenn Ihnen die Kinder in der Nachbarschaft rowdyhaft und »ungeeignet« erscheinen. Es liegt nicht an mir zu entscheiden, ob Sie in diesem Fall ein Snob sind oder nicht. Heutzutage gibt es ziemlich schlimme Familienverhältnisse, und es ist sehr ärgerlich, wenn Ihr vernünftig ernährter, kindlich unschuldiger Sprößling nach Hause kommt und mit unabdingbarem Nachdruck die neonbunt leuchtenden Süßigkeiten und das ebenso neonbunt leuchtende Plastikpony haben muß oder aber einen beängstigenden Wortschatz im Kittchenjargon an den Tag legt, den es bei dem großen Bruder seines Freundes, der gerade zwei Jahre auf Bewährung hat, aufgeschnappt hat.
Es bleibt Ihnen nichts anderes übrig, als immer wieder geduldig und ruhig Ihre eigenen Wertvorstellungen zu wiederholen und aufzupassen, daß das kleine, frühreife Biest von nebenan mit dem kurzen Lambadaröckchen wirklich mit Ihrem Kind Mikado spielt, auch wenn sie noch so laut nach einem Rockvideo schreit. Andererseits, wenn die Freundschaft gut geht, sollten Sie sich nicht einmischen. Im Alter von vier bis sieben Jahren spielen Kinder viele ganz seltsame Spiele. Man sollte sie dabei sich selbst überlassen, es sei denn, es droht ein Blutvergießen. Achten Sie darauf, nicht unbewußt die Bereitschaft Ihres Kindes zu sozialen Kontakten zu unterminieren. Ist Ihr Kind anderen Kindern gegenüber zurückhaltend, dann unterstützen Sie das besser nicht mit den Worten: »oh, wo ist denn mein Junge, bleib schön bei deiner Mami, nicht wahr, mein Kleiner?« Machen Sie nie anderen Erwachsenen gegenüber Bemerkungen, die den Eindruck erwecken könnten, soziale Kontakte seien etwas Unerwünschtes (»Ist es nicht gleich verdammt laut, wenn sie zu zweit sind?«). ja, natürlich stimmt es, aber behalten Sie es für sich. Martin Herbert, der beste Kinderpsychologe aller Zeiten, schrieb einmal, eine »freundliche Beziehung erfordert ein gewisses Maß an Selbstbewußtsein und sozialer Sensitivität«. Babys haben diese Eigenschaften noch nicht, sie wissen nicht, ob sie nett oder lästig sind, und es ist ihnen auch egal. Allmählich lernen sie es von uns. »Ist die unmittelbare Umgebung des Kindes glücklich, entspannt und aufgeschlossen, wird das Baby geliebt und bewundert, dann wird es auch selbst zufrieden sein und gut mit anderen auskommen.« Sind Sie kalt, steif, kritisieren und mäkeln ständig herum, dann wird auch Ihr Kind ängstlich und abwehrend sein und Schwierigkeiten haben, eine unbeschwerte, vorurteilsfreie Freundschaft einzugehen.
Aggressive Kinder, Ihre eigenen und andere, brauchen oftmals nur eine Anleitung, wie sie es besser machen können. Sie wissen vielleicht gar nicht, daß man »teilen« und »sich abwechseln« muß, weil es ihnen niemand gesagt hat. Sagen Sie es - mit Gefühl. Sagen Sie es noch einmal. Und noch einmal. Und zeigen Sie es. Teilen Sie mit anderen. Lassen Sie die Katze mit Ihrem Wollknäuel spielen und Ihre Tochter mit Ihrem Lippenstift. Eines Tages wird der Funke überspringen.
Wenn das Schulzeitalter beginnt, sollten Sie darauf achten, daß Ihr Kind weiterhin Kontakte mit Kindern aus anderen Schulen hat oder Verwandtschaftsbesuche pflegt. Es kann eine große Erleichterung sein - für alle Beteiligten - aus dem Treibhaus von Schulfreundschaften auszubrechen in etwas Beruhigendes, Dauerhaftes. Ein Kind, das die Welt nicht mehr versteht, weil sich sein Schulfreund George nicht mehr um ihn kümmert, wird sich unendlich gebauchpinselt fühlen, daß Jeremy, der an diesem Wochenende aus dem Internat nach Hause kommt, geradezu darauf brennt, mit ihm neue Abenteuer zu bestehen.
Für den Fall, daß Sie in oben genanntem Beispiel Georges Mutter sind, sollten Sie sich von seiner Launenhaftigkeit nicht aus der Ruhe bringen lassen. Kinderfreundschaften können so kurzlebig wie Seifenblasen sein, müssen aber nicht oberflächlich sein. Erzwingen Sie nichts. Unfreundlichkeit ist tabu, Launenhaftigkeit ist erlaubt. Wenn Laura nicht mehr mit Becky spielt, dann muß sie zwar freundlich zu ihr sein, wenn sie sie trifft, aber sie muß sie nicht nach Hause einladen. Sie müssen sich derweil mit Beckys Mutter arrangieren. Ganz besonders deshalb, weil die beiden jungen Damen schon nächste Woche wieder unzertrennliche Freundinnen sein können. Mädchen, so scheint mir, sind anfälliger für diese Burton-Taylor-Beziehungen als Jungen. Jungen raufen entweder, ignorieren sich oder kommen prächtig miteinander aus. Mädchen scheinen nur so zum Spaß alle Nuancen einer Beziehung durchkosten zu wollen. »Ich hasse dich, Zoe. Mamie, ich hasse Zoe. Sie ist meine beste Freundin, ich hasse sie. Sie wird jetzt nur mehr meine zweitbeste Freundin nach Sarah. Sarah, ich hasse dich.« Einen Haufen kleiner Mädchen am Nachmittag zu Besuch zu haben, ist ungefähr so wie die Atmosphäre in der Garderobe bei der Miss World-Wahl. Es tut mir leid, wenn das sexistisch klingt, doch so ist es. Aber das wächst sich aus - weitgehend.
Dabei fällt mir ein: Wie steht's denn mit unserer eigenen Beziehung zu den Kindern anderer Leute? Sie kann ausgesprochen unerfreulich sein. Alle frisch gebackenen Mütter kennen das Gefühl, das Pam Avres so wundervoll ausgedrückt hat: »Wenn ich mir deinen Wayne anschaue, frage ich mich, warum ausgerechnet du dir die Mühe gemacht hast, ein Kind zu bekommen.« Und wer von uns hat Hand aufs Herz - beim Anblick des weinerlichen, kleinen Dickerchens von nebenan nicht schon einmal innerlich tief aufgeseufzt und gedacht: »Oh je!« Und doch ist es reizvoll, eine Rasselbande Kinder im Haus zu haben, die in enger Nachbarschaft miteinander aufwachsen. Die Großfamilie gibt es nicht mehr in unseren westlichen Kulturen, und das ist eigentlich zu bedauern. Die Kinder anderer Leute machen Spaß, weil man nicht direkt verantwortlich für sie ist und sie einen nie so auf die Palme bringen können wie die eigenen Kinder.
Wenn sie zum Spielen kommen, achten Sie zwar darauf, daß nichts passiert, es ist Ihnen aber ziemlich egal, wenn sie ihre Nasen am Ärmel abputzen. Wenn Sie andererseits auf der Suche nach den richtigen Gummistiefeln für zehn Kinder schier durchdrehen, finden die eigenen Kinder ihre Mutter ziemlich übertrieben, während die fremden die Panik eher gelassen hinnehmen. Es macht Spaß, andere Kinder zu beschenken - mit dem offenen Blick des Unbeteiligten herauszufinden, was dem kleinen Racker Spaß machen könnte. Und wenn sich die Kinder wirklich einmal gehörig daneben benehmen, fällt es Ihnen erstaunlich leicht, sie in ihre Schranken zu verweisen. Von Nicht-Eltern lassen sie sich eben leichter etwas sagen. In diesem Augenblick dämmert Ihnen auch ein leiser Schimmer der Erkenntnis, wie es einem Grundschullehrer gelingt, fünf und zwanzig brav da sitzende Erstklässler dazu zu bringen, »Hoch auf dem Gelben Wagen« zu singen, während Sie schon mit einem Kind Ihre liebe Not haben. Doch ganz so einfach läuft die Sache nicht mit anderer Leute Kinder.
Jede Mutter, mit der ich sprach, versicherte mir, sie hoffe sehr, andere Eltern würden ihr Kind ordentlich zusammenschimpfen, wenn es aus der Rolle fällt oder sich auch nur schlecht benimmt, sie selbst hingegen könne es bei anderen Kindern nicht tun. Früher, als ich noch unsicherer war, faßte ich auch die Sprößlinge anderer Leute mit Samthandschuhen an und übte mich in Langmut, anstatt die lieben Kleinen anzuschreien und ihnen den Nachtisch zu streichen. Allmählich aber habe ich meine Hemmungen abgelegt. Einmal machten wir, drei Familien mit insgesamt neun Kindern im Alter zwischen zwei und zehn Jahren, zusammen Urlaub in Norfolk. Am ersten Abend nahmen sich die drei Mütter bei einem doppelten Gin gegenseitig das Versprechen ab, jede dürfe die Kinder der anderen anschreien und ihnen in Extremfällen auch mal eine Ohrfeige verpassen. Es funktionierte ausgezeichnet. Dabei fiel mir allerdings eine Art Naturgesetz auf: Wenn vier kleine Jungs sich streiten und einer aus der Gruppe ausgeschlossen wird, dann sind es immer die Mütter der drei Jungs, die noch in der Gruppe sind, die sagen: »Das sollen sie mal untereinander ausmachen. Wir mischen uns da nicht ein.«
Die Mutter des Augestoßenen ist da beileibe nicht so sicher. Doch im Prinzip funktioniert das System. Wir, und auch unsere Söhne, sind Freunde geblieben. Bis auf den heutigen Tag. Wenn Ihnen das momentan noch nicht so recht gelingen mag, wenn Sie noch ein wenig befangen sind im Umgang mit den Spielkameraden Ihrer Kinder, dann werfen Sie nicht gleich die Flinte ins Korn. Das kann jeder lernen. Gelegentlich wird einem bewußt, daß wir im Grunde genommen alle zu einer großen Familie gehören - alle Kinder gehören allen Eltern. Als ihr Vater auf einer langen Reise war, beobachtete meine Tochter eingehend, wie ein zu Besuch weilender Vater seine kleine Tochter umarmte. »Kann ich da auch mitmachen?« fragte sie und tat es dann auch. Sie hatte keinesfalls die Absicht, ihren eigenen Vater damit in Mißkredit zu bringen. Die Umarmung war einfach eine Geste, die beiden Seiten willkommen war. Tränen stiegen mir in die Augen. Später stand ich vor dem Chaos, das die Kinder in dem wunderschön aufgeräumten Spielzimmer angerichtet hatten. Aber es machte mir nicht mehr so viel aus.