Ich habe es schon gesagt und sage es noch einmal: Das beste Geschenk, das man einer schwangeren Frau machen kann, ist, sie mit einer ebenfalls schwangeren Frau bekannt zu machen, die in derselben Straße wohnt. Wir brauchen einander. Das ist keine besonders aufsehenerregende oder viel beschriebene Beziehung. Babygurus beschränken sich für gewöhnlich auf die alte Leier der Bindung zwischen Mutter und Kind oder zwischen Vater und Kind und geben Ratschläge, wie man einen guten Arzt findet. Sie sprechen von Geschwistern, Großeltern und Tagesmüttern, machen sich Gedanken, wie unsere Kinder mit anderen Kindern auskommen.
Doch niemand denkt an die Mutter, daß sie sich vielleicht danach sehnt, auch mal mit Menschen zu sprechen, die über sieben Jahre alt sind. Sie sitzt zu Hause und flitzt jeden Tag in der Früh in die Arbeit - und sie braucht Freundinnen. Nein, mehr als das: Sie braucht begeisterungsfähige Mitstreiter, Menschen, die wirklich Verständnis aufbringen. Sie braucht andere Mütter. Natürlich wird sie so tun, als läge ihr nichts ferner. Das habe ich auch getan. Als ich zum ersten Mal jenen magischen braunen Ring in dem Schwangerschafts-Teströhrchen betrachtete, freute ich mich auf das Baby. Das Drumherum hingegen war mir gar nicht geheuer. Irgendwie ließ mich der Verdacht nicht los, ich müßte dann ständig in irgendeiner Küche über häßliche Plastikspielzeuge steigen und über Sauberkeitserziehung plaudern, während anderer Leute Kleinkinder sich ihre Nase an meinem Knie abwischen. Nein, das konnte ich nicht gebrauchen. Mein Baby und ich, das schwor ich mir, wir würden die gleichen Bekanntschaften pflegen wie vorher auch: Junggesellen, berufstätige Frauen, alte Freunde und Kollegen. Weder diese Kaffecklatschrunden noch eine Stillgruppe konnten mich locken. Diese mamihaften Frauen konnte ich nicht ausstehen, und Kaffee mochte ich auch nicht so besonders gerne. Grau ist alle Theorie, auch meine. Unsere Gesellschaft stellt Mütter und Babys hintan, deshalb müssen wir zusammenhalten. So kommt es, daß wir plötzlich untereinander erstaunlich intim werden.
Wer hätte gedacht, daß Sie, diese zurückhaltende Person, die Hemmungen hat, über ihre Schwangerschaft zu sprechen, innerhalb von neun Monaten freiweg über die Form Ihrer Brustwarzen, Ihre Beziehung zu Ihrer Mutter und die häuslichen Unzulänglichkeiten Ihres Mannes mit einem Mädchen plaudern, das Sie erst im Krankenhaus kennen gelernt haben. Ganz zu schweigen davon, daß Sie Ihr einzigartiges, kostbares Baby in die Obhut dieser »wildfremden Frau« geben, um sich die Haare schneiden zu lassen. Im Laufe der Jahre ändert sich das Bild. Die Auswahl wird größer, es gibt Spielgruppen und Müttertreffs.
Allmählich lernen Sie auch die Nachteile der zwischenmütterlichen Kameradschaft kennen. Die spontane Intimität zwischen zwei Frauen, deren Kinder sich unter dem Küchentisch innig umarmen, kann den Blick auf so manche Unverträglichkeit trüben. Trotzdem: Wenn Sie mit Ihrem Kind den ganzen Tag zu Hause sind, dann ist es besser, Kontakte mit einigen seltsamen Geschöpfen zu haben, als immer alleine zu sein. Jeder Mensch hat irgendwelche gute Seiten, und es hat wenig Sinn, einen Streit vom Zaun zu brechen. Soldaten, die auf engem Raum in Baracken zusammenleben müssen, wissen das ebenso wie Mütter im Gemeindesaal der Pfarrkirche, die ihren herum tobenden Kindern zusehen, während der Regen auf das Blechdach trommelt. Aber wenn die Kinder erst einmal zur Schule gehen, hören diese zweckdienlichen Freundschaften auf hoffentlich - und die echten haben Bestand und entwickeln sich weiter. Aber der Instinkt, jeder Frau mit einem Kind, das im gleichen Alter wie unser eigenes ist, spontan die Hand entgegen zu strecken, bleibt. Und eben dieser Instinkt kann uns manchmal ganz schön in die Irre führen. Hier sind sechs der schlimmsten Beispiele für diese Behauptung. In manchen werden Sie sich wiedererkennen, in anderen mich: Die tränenreiche Trixi ist allen mühselig Beladenen eine wundervolle Labsal. Sie kümmert sich um die Kinder, wechselt besorgt das Schloß an der Wohnungstür zum Schutz gegen den stets betrunkenen Ehemann aus, bereitet Mahlzeiten zu und lauscht mit Tränen in den Augen stundenlang der Schilderung von Katastrophen. Seltsamerweise wird sie sehr unleidig, wenn die Probleme vorüber sind, und erst da fällt Ihnen auf, daß sie in ihrem Schicksal ganz einfach nur ein Fernsehdrama mit vielen Fortsetzungen gesehen hat.
Die Schludertrude liebt man, weil sie noch unordentlicher ist als man selbst. Bei ihr darf der Hund die Eßteller abschlecken, ihre Kinder sind nie frisiert, sie schleppt immer noch einige Pfund Übergewicht aus der Zeit nach der Geburt mit sich herum und vergißt grundsätzlich, an welchem Tag der Elternabend in der Schule ist. Ihr Beispiel steckt an, es ist ein Leichtes, sie zu übertrumpfen. Plötzlich schwenkt das Pendel jedoch um und ehe Sie sich's versehen, landen Sie bei der perfekten Paula, deren Haus makellos ist. Vorhänge und Teppiche sind natürlich weiß, und die Spielsachen werden in Designerkästen aufbewahrt. Ihre Kinder verabscheuen Süßigkeiten, Kartoffelchips und alles, was der Kinderarzt nicht ausdrücklich von der schwarzen Liste genommen hat. So weit, so gut. Schwierig wird es erst, wenn sie zu Ihnen nach Hause kommt und Ihnen - ebenso beiläufig wie treffsicher - Ihre Unzulänglichkeiten an den Kopf knallt. Zum Beispiel: »Hast du vielleicht zufällig eine Nadel und einen weißen Faden bei der Hand?« oder »Gibt es hier auch ein sauberes Taschentuch" das ich mir ausleihen könnte?« Behalten Sie die Nerven, und geben Sie ihr alle angegrauten Taschentücher aus der Schublade. Sie werden sie blütenweiß und frisch gebügelt zurückbekommen.
Die Gluckengerdi ist ein schwieriger Fall. Meistens ist sie lustig, lebhaft und unbeschwert. Aber wehe, es geht um ihr Kind. Wenn es irgendeine Rauferei oder eine zerbrochene Vase gibt, dann war es auf keinen Fall ihr kleiner Liebling, nein wirklich nicht. Schlimmer noch: Es war in jedem Fall allein die Schuld Ihres Kindes. Dieses Urteil fällt sie unbesehen ...
Das Gegenstück dazu ist die Jammerliese. Ihre Kinder sind an allem schuld, an ihrer Figur ebenso wie an ihren prämenstruellen Beschwerden. Sie wirkt wie ein gefangener Vogel, der verzweifelt gegen die Bürde der Mutterschaft anflattert. Die lustig-chaotische Kleinkinderzeit ist ihr eher lästig, wie mag es da aussehen, wenn die Kinder (und die Probleme) erst größer werden? Sie strahlt Mißmut aus, und man macht sich Gedanken um die Kinder. Überflüssig - denn nachdem sie all ihr Leid bei Ihnen abgeladen hat, ist sie zu Hause wieder der reinste Sonnenschein.
Die Schmarotzersuse fällt einem nicht richtig lästig, denn sie gibt immer nur kurze Gastspiele. Sie schaut mal kurz vorbei, dabei fällt ihr ein, daß sie schnell noch etwas einkaufen will, läßt ihren kleinen Timmy nur für »ein paar Minütchen« da, weil er gerade »so süß mit Ihrer Kleinen« spielt, und dann ward sie für dreieinhalb Stunden nicht mehr gesehen. Bei einem knallharten Rachefeldzug versuchen Sie, Ihre kleine Germaine für zwanzig Minuten in ihrer Obhut zu lassen - Pustekuchen. Sie gibt vor, ihre Mutter wäre gerade zu Besuch, die eine panische Angst vor Nicht-Enkeln habe. Wenn Ihr Kind sich jedoch gut mit Schmarotzersuses Sprößling versteht, dann ist sie wahrscheinlich noch die Beste von allen. Sie können stundenlang ungestört Ihrer Beschäftigung nachgehen, während die Kinder friedlich miteinander spielen. Und Sie müssen nicht dauernd Kaffee trinken.
Stimmt, lauter nette Frauen. Genießen Sie ihre Gesellschaft. Es wird nicht lange dauern und Sie werden sich wieder an einem sogenannten »Arbeitsplatz« befinden, als eine von jenen heute so in Mode gekommenen Berufsrückkehrerinnen. Und wenn Sie dann wieder den ganzen Tag nur von Cashflow und Golf hören, werden Sie wehmütig an Gluckengerdi und Jammerliese zurückdenken. Mit einer Ausnahme sie schließt den Reigen und ist mit äußerster Vorsicht zu genießen:
Die konkurrenzlose Klara: Ihr Baby robbte, saß, zahnte, krabbelte, stand, sprach und lief vor allen anderen. Natürlich war es auch früher sauber als alle anderen. Sagt sie. Und es ist erstaunlich sensibel, musikalisch, sportlich und in spe gesellschaftsfähig. Mit unverhohlener Mitleidlosigkeit fiebert die gesamte Nachbarschaft dem Tag entgegen, an dem der junge Viktor in die Hosen macht und seinen Lehrer beißt. Dann wird ein vielkehliger Freudenschrei aus der ganzen Nachbarschaft zu hören sein. Der Zwang, den anderen Mamis immer eine Nasenlänge voraus zu sein, ist eine Analyse wert, besonders da er so viele an sich glückliche Augenblicke und so manche Beziehung trübt.
Zwei große Laster kratzen ein wenig am hehren Bild der Mutterschaft. Das eine ist das Schuldbewußtsein, das andere ist das Konkurrenzdenken. Beide sind schon von Anfang an gegenwärtig. Die Entbindungsstationen sind voll von Frauen, die sich der Tränen nicht erwehren können, weil sie glauben, nicht richtig stillen zu können. Gleichzeitig sind sie jedoch davon überzeugt, daß ihr Baby das schönste und aufgeweckteste auf der ganzen Station ist. Die Tatsache, daß viele von uns darin keinen Widerspruch erkennen, ist der sinnetrübenden Wirkung der vermehrten Hormonausschüttung zuzuschreiben.
Mütterliche Schuldgefühle verlieren sich etwas nach den ersten paar Jahren. Das liegt wahrscheinlich daran, daß unsere Kinder, sobald sie erst einmal selbst sprechen können, ihren Müttern ohnehin so viele Vorwürfe machen, daß wir uns die Selbstvorwürfe getrost sparen können. Aber das Konkurrenzdenken bleibt uns erhalten. Vielleicht liegt das daran, daß unsere westliche Gesellschaft so viel Wert auf Karriere legt und den »Nur-Müttern« so wenig Wertgefühl angedeihen läßt, daß die nicht berufstätige Mutter gar nicht anders kann, als aus ihrem Sprößling ein preisgekröntes Produkt zu machen, und das alles nur, um das Gefühl zu haben, ein ordentliches Mitglied der Gesellschaft zu werden. (Berufstätige Mütter sind meiner Erfahrung nach viel weniger auf dieses Konkurrenzstreben fixiert. Sie sind wahrscheinlich damit schon ausreichend in ihren Büros konfrontiert.)
Bei den meisten von uns treibt das Konkurrenzdenken erstaunliche Blüten. Und während es für kleinere Kinder noch völlig egal ist was kümmert es ein Baby, ob das gleichaltrige Kind in der Nachbarschaft mehr oder weniger Zähne hat als es selbst? - werden die schrecklichen Ellenbogenmamis später wirklich eine Pest. Ganz normale, freundliche Frauen versprühen mit einem Mal wohl dosiertes Gift. »Oh, Jamie geht wirklich in diese Spielgruppe ? Na ja, wir haben uns das auch angesehen, aber das war nichts für Viktor. Natürlich ist die ewige Fahrerei kein reines Vergnügen, aber seit er in der Vor-vor-vorschule von St. Blasius ist, ist er nicht mehr wiederzuerkennen. Das Leseprojekt ist wirklich unglaublich, er kann gar nicht genug davon kriegen.«, Sie schnappen nach Luft, atmen einmal tief durch und holen zum Gegenangriff aus. »Ach wie schön für ihn und wie tröstlich für Sie, besonders wo er doch etwas schüchtern ist.« Viktors Mutter erkennt ihren taktischen Fehler und schwenkt um. »Oh, die Bücher sind nur für die stillen Stunden, die er im Haus verbringen muß. Im übrigen ist er ganz verrückt nach Tennis, und der Trainer für ihn war wirklich eine vernünftige Investition.« Geschlagen sinken Sie in die Seile und sinnen auf Rache wie ein viel geplagter Medienmogul, dessen Auflagen massive Einbußen erlitten haben. Die Kinder selbst sind natürlich nette kleine Jungs, deren Interesse sich spätestens alle vierzehn Tage genau ins Gegenteil verkehren. Wenn sie meinen, sich vor ihren Spielkameraden beweisen zu müssen, dann tun sie das auf ihre kindliche, geradlinige Art und Weise. Für sie ist das alles kein Problem. Für ihre Mütter schon.
Der Leiter einer Volksschule erzählte mir einmal, daß er absichtlich dazu übergegangen sei, mehrere Leselernmethoden quasi parallel im Unterricht zu verwenden. Das hatte keinerlei pädagogischen Grund. Er war einfach den gestrengen Blick ehrgeiziger Mütter leid, die sich ewig bei ihm beklagten, daß ein anderes Mädchen in der Parallelklasse schon eine Lektion weiter sei, und ob er dafür einen triftigen Grund nennen könne. Zumal beide Mädchen der gleiche Geburtsjahrgang seien. Noch während er beruhigend auf die aufgebrachte Mutter einredete, wußte er, daß ihr das Blut noch mehr in den Kopf steigen würde, wenn sie erführe, daß Jackie im Weihnachtsspiel die Jungfrau Maria spielen dürfe, während Rowanne nur ein kleiner Engel im Chor sein würde. Auch zu Hause macht Rowannes Mutter einem Industriespion alle Ehre. Was, Jackie hat keine Stützräder mehr an ihrem Rad? Gut, auch bei Rowanne werden sie daraufhin sofort abmontiert, und die pummelige kleine Rowanne quält sich danach eine ganze tränenreiche Woche mit aufgeschlagenen Knien und Ellenbogen herum. Jackie geht mit den neuen Legwarmers zur Ballettstunde? Rowanne, hol' deinen Mantel. Wir lassen dir ein Tütü anmessen. Und zieh deinen Bauch ein, Liebes. Die beiden Mütter tun so, als wären sie die besten Freundinnen. Und wenn sie sich beim Einkaufen sehen, strahlen sie sich mit blitzenden Zähnen an.
Auch Väter sind von diesem Verhalten nicht ausgenommen, besonders wenn der Schulsporttag naht. Wehe dann dem leicht verwirrten Fünfjährigen, der in die falsche Richtung los spurtet, dem unsportlichen Sechsjährigen, der beim Sackhüpfen nicht schnell genug in den Sack hineinkommt, dem poetischen Träumer, der fasziniert einen Meter vor der Ziellinie stehen bleibt, während die Mitkonkurrenten an ihm vorbei donnern. Innerhalb von Sekunden wird Daddy sich an sein Autotelefon hängen und einen Leichtathletiktrainer für seinen Sohn herbei zitieren. Nun gut, ich übertreibe. Aber nur ein bißchen. Immer wieder begeben sich viele Tausende von uns - aus Unsicherheit oder aus Angst - freiwillig in irgendwelche unsinnige Wettbewerbssituationen. Wir werden niemals gewinnen. Übertriebener Stolz auf die Leistungen unseres eigenen Kindes sind kein Zeichen von Liebe, sondern deuten nur auf mangelnde Liebe.
Anstatt nach Erklärungen zu suchen, warum wir unser Kind so sehr lieben (weil es musikalisch ist, schneller lesen kann, früher Zähne bekommen hat, intelligenter oder stärker ist), sollten wir uns klarmachen, daß wir ihm so sehr zugetan sind, weil er eben unser Kind ist. Sehen Sie sich einmal wirklich bewundernswerte Eltern von schwer behinderten Kindern an. Diese Kinder werden nie mit anderen in einen Wettstreit treten können. Entschuldigen sich etwa diese Eltern ständig für ihre Kinder oder brüsten sie sich damit, daß ihr Kind größere Fortschritte macht als das andere schwer behinderte Kind in der Nachbarschaft? Natürlich tun sie das nicht. Sie lieben sie einfach und helfen ihnen auf ihrem schweren Weg. Sie haben - sicher nicht ohne Schmerzen – gelernt, daß es auf Individualität ankommt. Diese Haltung stünde uns Eltern gesunder Kinder auch nicht schlecht an.