Die lieben Tierchen

Zweifelsohne gibt es eine ganz besondere Beziehung zwischen Tieren und Kindern. Sehen Sie zu, wie ein Kind ein Pferd streichelt oder eine freundliche Katze hoch nimmt, und Sie wissen, wovon ich spreche. Beobachten Sie ein noch kleineres Kind, das versucht, die weißen Flecken im Fell des Familenhundes zu kolorieren, oder ein Krabbelkind, das, mit dem Labradorhund als Stütze, die ersten Gehversuche wagt. Erwachsene Männer werden sentimental, wenn sie von der Katze in ihrer Kindheit erzählen, und ich selbst trug in einem Medaillon ein Büschel Bulldoggenhaare durch die Seelenpein meiner Jungendjahre hindurch herum. (Immer wieder mußte ich das Medaillon öffnen und die roten, schwarzen oder brauen Locken der Verehrer, die nicht den Erwartungen entsprachen, raus schmeißen. Aber das sandfarbene Hundehaarbüschel blieb unbehelligt immer an seinem Platz.) Als ich einmal für einen Wohltätigkeitszweck über eine mir heilige, frühe Kindheitserinnerung schreiben sollte, kamen aus der Schreibmaschine Dinge heraus, an die ich schon jahrelang nicht mehr gedacht hatte: die Geschichte von Birdie, dem Käfigvogel, dessen bemerkenswert langes Leben meine Kindheit begleitete.
Oh ja, Tiere sind sehr wichtig für Kinder. Philosophisch betrachtet könnte man sagen, daß kleine Kreaturen dem Kind das Gefühl vermitteln, selbst nicht die kleinste Kreatur zu sein, während größere Tiere die wohlwollende Stärke der Natur versinnbildlichen. Oder Sie könnten einfach nur tief und resigniert aufseufzen und zugeben, daß Sie endlich die Zustimmung für ein Haustier gegeben haben. Jedoch muß die Sache nüchtern und unsentimental angegangen werden, ansonsten ist Ihr Kind entweder gelangweilt oder gebissen worden. Im besten Fall stehen Sie mit einer neurotischen Katze, einem zerbissenen Teppich und einem Aquarium voller toter Fische da. Wenn Sie ohnehin schon immer für Haustiere waren, dann brauchen Sie diese Kapitel nicht. Außer einer ernsthaften Warnung, die sich alle hinter die Ohren schreiben sollen. Ein Haustier, das immer lieb war, kann über ein Kind ganz schön böse werden. Besonders Hunde sind sehr eifersüchtig. Lassen Sie nie, nie, ein kleines Kind mit einem Hund allein, wenn Sie seiner Gutmütigkeit nicht absolut sicher sind.
Denken Sie auch daran, daß ein Hund, der nichts gegen das Baby oder ein vergleichsweise langsames Krabbelkind hatte, sich plötzlich anders verhalten kann, wenn das Kind größer wird. Das kommt selten vor - meistens ist es umgekehrt -, aber es passiert. Das gilt auch, wenn Sie Leute mit Hund besuchen. Das Gesicht eines kleinen Kindes ist einfach auf zu gefährlicher Höhe, als daß man auch nur einen einzigen übel gelaunten Schnapper riskieren könnte. Und denken Sie an Katzenkrallen. Die meisten Katzen gehen jeder Form von Konfrontation aus dem Weg, aber wenn sie am Schwanz gezogen werden, können sie durchaus in Panik geraten. Bringen Sie Ihren Kindern bei, Katzen mit gebotener Ehrerbietung zu behandeln. Bleuen Sie den Kindern ein, daß auch Katzen sich nicht von jedermann umarmen und abknutschen lassen, wenn sie nicht wollen, genauso wie sie selbst (aller oberster Grundsatz gegen Kindesmißbrauch, der heutzutage in allen guten Schulen gelehrt werden sollte). Wenn Sie selbst noch nie etwas mit Haustieren zu tun gehabt haben, aber glauben, daß Ihr Kind von einem profitieren würde, dann lesen Sie nachfolgende Grundregeln. Ich habe sie so negativ wie möglich gestaltet, um gegen das streichelweiche, pelzige treuherzige Etwas anzukämpfen, das sich in Ihr Herz schleichen will. Während ich diese Zeilen schreibe, sitzt ein Kätzchen auf meiner Schulter, ein anderes knabbert an meinem linken Schuh draußen vor dem Fenster grunzt ein Schwein, und vor dem Küchenherd kämpft ein untergewichtiger kleiner Igel ums Überleben.

HUNDE

Jeder kennt ihre positiven Seiten. Man kann ihnen nicht böse sein, denn sie sind so hingebungsvoll treu und nehmen nichts übel. Aber das Kind muß mindestens zehn Jahre alt und in der Lage (je nach Wohngebiet) sein, den Hund selbst spazierenzuführen. Alles andere ist purer Wahnsinn, es sei denn, Sie wollen selbst für sich einen Hund. Hunde brauchen viel und teures Futter, müssen täglich Gassi geführt und regelmäßig entwurmt werden, besonders wenn Kinder im Haus sind. Der Toxicara canis Wurm ist eine ernstzunehmende Gefahr, die zu Blindheit führen kann. Auch wird man in vielen Städten zu recht von Ihnen erwarten, daß Sie die Hinterlassenschaft des Hundes beseitigen. Bei jedem Spaziergang ein kleines Schäufelchen und einen Plastikbeutel mitzutragen, ist nicht jedermanns Vorstellung eines spontanen Naturerlebnisses. Wenn Sie sich zu einem Hund entschließen, achten Sie auf die Rasse. Große Rassen sind seltsamerweise oft viel gutmütiger als die kleinen, überzüchteten »Toy«-Rassen, und Mischlinge sind eigentlich immer viel unproblematischer als Rassehunde. Viele sehr schöne Rassen werden ausschließlich nach Aussehen gezüchtet, nicht nach Temperament. Folglich wird eine vom Charakter her hinterhältige, unberechenbare Hündin durchaus zur Zucht verwendet, wenn sie nur schön genug ist. Mischlinge hingegen entstehen durch Zufall oder weil man sich einen netten Hausgenossen wünscht. Diese Hunde sind viel friedlicher und. unerschütterlich treu. Fragen Sie mehrere Leute, wenn Sie noch keinen Hund hatten. Und geben Sie ihn in eine Hundeschule. Vielleicht kommt Ihnen die gestrenge Dame in der Hundeschule und auch die gesamte Gehorsamkeitserziehung komisch vor, aber Hunde, die nie gelernt haben zu folgen, sind eine durchaus ernstzunehmende Gefahr. Dazu noch ein wirklich gut gemeinter, eventuell lebensrettender Rat: Lassen Sie sich unter keinen Umständen dazu verleiten, ein süßes, tollpatschiges Hundebaby einer »Angriffsrasse« zu kaufen. Rottweiler, Dobermänner und Schäferhunde haben einen traurigen Rekord im Angreifen von Kindern ohne Vorwarnung aufgestellt. Manchmal töten sie sie auch. In Sekunden.

KATZEN

Katzen sind eigenwillige, freiheitsliebende Tiere. Das kann für Kinder sehr enttäuschend sein, weil Katzen sich ihren Menschen, auf dessen Schoß sie zu sitzen geruhen, immer selbst aussuchen. Und sie ziehen Menschen vor, die nicht ständig in Bewegung sind. Wenn Sie sich ein Kätzchen aussuchen, nehmen Sie die aufgeweckteste und frechste des Wurfes. Zwei sind lustiger als eine, weil sie gerne miteinander herum tollen und sich gegenseitig Mut machen vor den für sie riesig erscheinenden Kindern. Hauskatzen müssen nicht spazieren geführt werden, aber eine Öffnung in der Haustür erspart viel Ärger. Soll das Tier nur in der Wohnung bleiben, müssen Sie sich ernsthaft mit dem Problem Katzenklo auseinandersetzen. Und das ist vor allem bei erwachsenen Katzen. NICHTS SCHÖNES. Besonders NICHT, wenn Sie ein Krabbelkind haben oder selber schwanger sind (Katzenklos sind ein Gesundheitsrisiko für Schwangere). Katzenstreu kostet viel Geld. Katzenfutter ebenso. Andererseits können Kinder wirklich eine schöne Beziehung zu Katzen aufbauen. Nicholas und Rose sangen unserer inzwischen verstorbenen Katze im Advent Weihnachtslieder vor und sagten dann zu ihr: »Wenn du Plätzchen oder etwas Geld hättest, würdest du es uns geben, nicht wahr, Nellie?«

KANINCHEN UND MEERSCHWEINCHEN

Diese Nager sind klein, wuschelig weich, man kann sie herum tragen, und sie sind Vegetarier (das heißt, ihre Hinterlassenschaft ist nicht so unappetitlich). Man kann sie draußen in Käfigen halten. Folglich haben Sie den Geruch nicht in der Küche. Also alles ideal? Ganz ideal wäre es, wenn da nicht ständig das Schuldgefühl wäre. Diese Tiere langweilen sich ganz offensichtlich in ihren Verschlägen. Sie wollen auf dem Gras herum hüpfen. Sie lassen sie raus, der Nachbarhund macht einen Satz und bringt sie um. Oder sie buddeln sich unter der Hecke durch, und Sie verbringen ein paar Stunden damit, in der Hecke herumzukriechen, weil sie umkommen könnten, wenn sie die Nacht ungeschützt im Freien verbringen.
Außerdem muß man sich - und hier wird es wirklich kritisch - täglich mit ihnen beschäftigen, um sie handzahm zu machen. Sowohl Kaninchen als auch Meerschweinchen »strampeln« ganz wild, wenn man sie auf den Arm nimmt, wodurch ängstliche Kinder schnell in Panik geraten und das Tier fallen lassen (und es möglicherweise dabei schwer verletzen). Hat sich die erste Begeisterung erst einmal gelegt, verlieren die Kinder oft das Interesse, und dann müssen Sie sich mit den Tieren befassen. Um ein wenig Fachlektüre werden Sie nicht rumkommen,  denn es gibt alle möglichen Dinge zu bedenken, die man nicht unbedingt ohnehin weiß: Wußten Sie beispielsweise, daß Meerschweinchen täglich eine Ration Vitamin C brauchen?
Oder daß Zwergkaninchen nicht zu viel Salat bekommen sollten? Sind Sie wirklich gewillt, sich mit diesen Dingen zu befassen? Nachdem alles gesagt ist, soll jedoch nicht unerwähnt bleiben, daß es durchaus für eine Familie mit Garten möglich ist, ein Kaninchen von klein auf in der Küche herum hoppeln zu lassen, es ganz handzahm zu bekommen und es dann in den Garten zu lassen. Ich kenne eine Familie, bei der das funktioniert hat. Das Kaninchen hat nacheinander andere wilde Kaninchen in den Garten gelockt, die ebenfalls zahm geworden sind. Die Familie spielt und gartelt, umgeben von freundlichen Häschen, die sich streicheln lassen - ein Idyll. Sheridan hat es meisterhaft geschafft. Mir ist es nicht gelungen. Und nur Sie können entscheiden, ob Sie das Wagnis eingehen wollen. Meerschweinchen können nicht längere Zeit im Freien leben und sind ehrlich gesagt die langweiligsten Tiere, die ich je gesehen habe.

RENNMÄUSE UND HAMSTER

Jetzt wird's noch kleiner. Auch diese Tiere kann man herumtragen, und man hat ein weniger schlechtes Gewissen, weil sie zumindest ein Rad haben, mit dem sie sich die Zeit vertreiben können. Aber besonders Rennmäuse müssen immer im Haus untergebracht sein. Haben Sie eine Ecke frei, wo der Käfig nicht umgeworfen wird und wo keiner drauftritt? Werden Ihre Kinder ihn sauberhalten und das Wasser regelmäßig wechseln? Für die Kinder sind diese Nager eine bessere Winterunterhaltung als Kaninchen, weil sie im Haus und, deshalb ständig sichtbar sind. Sie sind jedoch sehr heikel und sterben schnell, was für Kinder sehr schmerzlich ist. Kinder haben gewiß Spaß an diesen kleinen Geschöpfen, aber sie lassen sie auch gerne laufen, und dann können sie das ganze Haus auf der Suche nach Hamster Fridolin auseinander nehmen. Das gleiche gilt für weiße Mäuse, obwohl die meiner Erfahrung nach oft auch wegbleiben. Manchmal paaren sie sich mit ihren Brüdern oder Schwestern aus der freien Wildbahn, und sie haben jahrelang scheckige Gesellen in der Speisekammer. Vergiften? Ausgeschlossen! Irgendwie fühlen Sie sich immer noch als ihre Ziehgroßmutter.

RATTEN

Vielen Müttern stellen sich die Haare auf bei dem Gedanken an Ratten. Aber sie haben all die guten Eigenschaften der oben erwähnten Tiergruppe und sind dabei noch viel intelligenter. Zumindest kann man einer Ratte Kunststücke beibringen. Trotzdem würde ich sie nicht mit gutem Gewissen für Kinder unter zehn empfehlen.

FISCHE

Kaufen Sie Goldfische oder tropische Fische erst, auch wenn Ihr Kind noch so bettelt, wenn Sie sich mit dem Gedanken eines großen, schönen Aquariums im Haus abgefunden haben. Ein einsamer, trauriger Goldfisch in einer Kugelvase ohne Sauerstoffzufuhr ist wahrlich ein trister Anblick, außerdem ein schlechtes Beispiel für ein Kind, wie man mit einem lebenden Geschöpf umgeht. Deshalb müssen Sie also zuerst ein großes Aquarium mit allem Drum und Dran samt einigen Wasserpflanzen kaufen. Das Problem ist, daß ein kleines Kind inzwischen vielleicht schon wieder das Interesse daran verloren hat. Wir kauften Fische, weil die Kinder es unbedingt wollten, und stießen dabei auf eine sehr seltsame Sache. Alle Fische starben, außer Albert. Jedes Mal, wenn wir neue Fische kauften und zu Albert ins Aquarium ließen, starben sie auch. Albert hingegen gedieh prächtig. Wir kamen zu dem Schluß, Albert müsse entweder so etwas wie AIDS haben oder aber ein Mörder sein. Also verbrachten wir ein ganzes Jahr mit einem einzigen Killerfisch in einem riesigen Aquarium und verschwendeten viel Elektrizität. Schließlich setzen wir ihn kurzentschlossen in den Gartenteich. Dort lebte er bis zur großen Dürre 1989. Da muß er umgekommen sein. Die Kinder hatten ihn inzwischen vergessen, also haben wir zumindest die Schreinerarbeit für eine Albert-Gedenkstätte gespart.

VÖGEL

Hier meldet sich wieder das schlechte Gewissen. Niemand hat je die Behauptung aufgestellt, daß es Vögeln nichts ausmacht, in Käfigen zu leben. Ich meine, es macht ihnen sehr wohl etwas aus. Wenn der Käfig groß genug ist und im Fenster hängt, der Vogel genug Hirse, ein Glöckchen und Musik im Radio hat, so daß er mitsingen kann, dann ist es vielleicht kein gar so schlechtes Leben. Achten Sie darauf, keinen Vogel zu kaufen, der unter die Artenschutzbestimmungen fällt. Vögel machen Kindern Spaß, zumindest auf halbherzige Weise.

PONYS

Wenn Sie nicht selbst ein ausgesprochener Pferdenarr sind, sollten Sie sich das sehr genau überlegen. In England sind verwahrloste Hinterhofponys schon zu einem Problem geworden. Ein Pony bedeutet viel Futter, Stall, Sattelzeug, Hufeisen (teurer als das Schuhwerk für ein Kind) und nicht vorhersehbare Tierarztrechnungen. Nur ein Kind, das ein begeisterter Reiter ist, sollte ein Pony bekommen. Hat das Tier keine ausreichend große Koppel, dann muß es jeden Tag bewegt werden. Selbst wenn es sich im Lauf der Zeit nur mehr als Bürde erweist, wird das Kind es so sehr ins Herz geschlossen haben, daß es ein schreckliches Theater geben wird, wenn Sie es verkaufen oder hergeben.

BAUERNHOFTIERE

Penelope Leach hat darauf hingewiesen, das einem Kind die sechsmonatige Aufzucht eines Kälbchens oder Lämmchens eher ein Leben lang im Gedächtnis bleibt als die jahrelange Reinigung des Kaninchenstalls. Diese Möglichkeit haben Sie natürlich nicht in einer Stadtwohnung im dritten Stock. Als Erwachsener muß man auch wirklich sehr gut informiert und einsatzfreudig sein, wenn man sich auf Bauernhoftiere einläßt, besonders wenn sich ein halb erwachsenes Schaf unbedingt auf Ihren Schoß setzen möchte. Vielleicht ist da ein gelegentlicher Besuch auf einem Bauernhof eine bessere Idee. Aber wer im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen werfen. Die Ferkel können jetzt jeden Tag kommen. Alles in allem, 1:0 für Haustiere. Sie lehren Kindern Respekt vor lebenden Kreaturen und Vorsicht im Umgang mit ihnen.
Haustiere sind angenehme, unkomplizierte Lebensgenossen in einer Welt voller Obrigkeit. Durch ihre kurze Lebensspanne lernen Kinder auch, mit dem Tod umzugehen. Nur allzu oft erlebt das Kind den Tod im Fernsehen und in Spielen als eine Folge von Gewalt. Ein Kind, das sein Kaninchen begräbt und ihm ein hölzernes Kreuz aufstellt oder ein letztes Mal die tote Katze streichelt und spürt, wie leblos sie unter dem Fell ist, sieht den Tod klarer und ruhiger. An einem Tag im Januar saßen wir alle um ein krankes, verwaistes Lämmchen, das friedlich seinen letzten Atemzug tat. Es war traurig, aber es war ein Teil einer Wirklichkeit, die wir mit unseren Kindern teilten. Obgleich - dachten Sie sich's schon? - kaum eine Woche später das nächste bei uns auftauchte.