Fernsehen: Gibt es ein Gegengift?

Es gibt kaum eine schrecklichere Vorstellung für engagierte Eltern, als der Anblick eines intelligenten, aufgeweckten, gutherzigen, vielseitig interessierten Kindes, das fasziniert vor der Glotze sitzt und sich einen hanebüchenen Schwachsinn ansieht. Heutzutage sitzen die Kinder viel zu lange vor dem Fernseher, manchmal vier bis fünf Stunden pro Tag, oft sogar länger, und bei dem Gedanken ist uns allen nicht wohl. Resigniert hat man sich inzwischen damit abgefunden, daß Teenager den ganzen Tag vor dem Fernseher lungern und sich jeden Schrott »reinziehen«, während draußen die Sonne vom strahlend blauen Himmel lacht. Das gehört nun einmal zum geheimnisvollen Prozeß der Pubertät in unserer Zeit. Aber ein Fünf oder Sechsjähriger, der wahllos jeden banalen oder gewalttätigen Quatsch über sich ergehen läßt, ist wirklich ganz entsetzlich. Was also ist zu tun? Besonders wenn Sie ein Vater sind.
Sie werden über die Tatenlosigkeit Ihres Sprößlings immer wütender und stürzen schließlich mit den Worten »Schalt' endlich den Schwachsinn ab!« ins Zimmer, worauf sie ein vorwurfsvoll schmollender Blick trifft. Mit Recht werden Sie als verständnisloser Haustyrann bezeichnet. Zu allem Übel sahen Ihre Kinder wahrscheinlich sogar einen exzellent gemachten Dokumentarfilm über Meeresvögel, auch wenn sich zuvor fünfunddreißig Minuten lang amerikanische Superhelden mit obszönen Ausbuchtungen im Namen der intergalaktischen Bruderschaft bekriegten. Bei dieser Sendung haben Sie nicht eingegriffen, weil Sie gerade, ein schwieriges Problem am Telefon erörterten und Ihnen die entfernten Raumschiffgeräusche immer noch lieber waren als ein quengelndes »mir ist langweilig, was soll ich tun?« direkt an ihrem Ohr. Das ist keine Entschuldigung. Was Ihnen fehlte, was uns allen immer fehlte, waren Klare Richtlinien. Hier dazu ein paar Tips. Einige stammen aus Familienbesitz, einige sind geliehen. Suchen Sie sich aus, was Sie brauchen können, und halten Sie sich dran:

  • Akzeptieren Sie zunächst einmal, daß Fernsehen in Grenzen gut ist für Kinder. Es gibt Fernsehfilme, Geschichten, Dokumentarfilme, gut gemachte Zeichentrickfilme und Kindernachrichtenprogramme, die sich durchaus positiv auf die Erziehung Ihrer Kinder auswirken. Teilen Sie Ihren Kindern mit, welche Sendungen Sie gut finden, schauen Sie selbst auch manchmal zu und äußern Sie sich dazu. Es hat wenig Sinn, das Fernsehen nur als Missetäter zu betrachten und es in Grund und Boden zu verdammen. Wenn Sie die guten Seiten anerkennen, haben Sie auch schon den ersten Schritt getan, die schlechten oder banalen abzulehnen.
  • Machen Sie es von Anfang an zu einer unumstößlichen Grundregel, daß die Kinder den Fernseher nach Beendigung des Programms ausschalten und über die Sendung diskutieren. Selbst wenn unsere Kinder zwei aufeinander folgende Programme sehen dürfen, schalten sie dazwischen kurz ab. Auf diese Weise behandeln Sie das Fernsehen wie ein Buch oder eine ordentlich servierte Mahlzeit, als etwas, mit dem man bewußt umgeht, anstatt es gedankenlos und unablässig zu konsumieren.
  • Wenn Sie es irgendwie schaffen, sollten Sie sich einen Videorecorder zulegen. Nehmen Sie Kinderprogramme auf und archivieren Sie sie. Es schadet den Kindern nicht, ein Programm zwei- oder dreimal zu sehen. Das schärft den kritischen Blick. Selbst ein fünfjähriges Kind wird plötzlich darüber nachdenken, wie es kommt, daß sich die Puppen bewegen, oder warum ein Lied an einer ganz bestimmten Stelle des Stücks gespielt wird. Eine neue Generation von kritischen Zuschauern heranzuziehen, ist allemal besser als die Riege der wahllosen Konsumierer zu vergrößern. Mit einem Videogerät wird es auch viel leichter, auf bestimmten Zeitregeln zu bestehen, so zum Beispiel niemals, niemals Fernsehen vor dem Mittagessen. Und Sie können das Fernsehen dann auch gelegentlich als Babysitter einsetzen wenn Sie dringend ein wenig Ruhe brauchen und Ihre Zeitung lesen wollen. So wissen Sie dann wenigstens, daß ihre Kinder etwas anschauen, was Sie ausgesucht haben.
  • Will ein Kind wirklich eine Sendung sehen, die Sie für himmelschreienden Blödsinn halten (»Alle anderen in meiner Klasse dürfen das auch sehen! «), dann bietet sich als guter Kompromiß die Vereinbarung an, das Kind einen kleinen Aufsatz über die Sendung schreiben zu lassen (mindestens vierzig Wörter) und ein Bild dazu zu zeichnen. In vielen Fällen wird das Interesse dann rapide abnehmen.
  • Ermutigen Sie Ihr Kind, zwischen wirklich guten und, von meinen Kindern so getauften, »hirnlosen« Programmen zu unterscheiden. Alle Familienmitglieder haben Anspruch auf ein bis zwei »Hirnlose« pro Woche, aber die Kinder müssen wissen, welche das sind.
  • Setzen Sie sich mindestens einmal pro Woche mit Ihren Kindern vor den Fernseher und versuchen Sie herauszufinden, wieviel sie davon verstehen - auch von der Werbung. Erklären Sie, wofür Werbung da ist, und daß sie versucht, Wünsche zu wecken. Analysieren Sie, wie das gemacht wird (schon bei einem vierjährigen Kind können sie damit anfangen). Kinder brennen darauf, den Erwachsenen eine Nasenlänge voraus zu sein und lehnen die ständig in der Werbung angepriesenen Spielsachen ab, wenn sie erst einmal begriffen haben, daß ihnen jemand anderer etwas aufschwatzen will.
  • Versuchen Sie, Ihr Kind so lange wie möglich davon abzuhalten, den Fernseher selbst einzuschalten. Mich überrascht immer wieder, wenn Drei- und Vierjährige in der Früh nach unten rennen und als erstes das Frühstücksfernsehen einschalten. Ziehen Sie den Stecker raus, plazieren Sie einen Stuhl direkt vor den Einschaltknopf, machen Sie es so schwer wie möglich. Dazu fällt mir noch ein sehr unternehmungslustiges kleines Kind ein, das morgens alleine nach unten kam, den Fernseher einschaltete, die Bilder nicht interessant fand und sie kurzerhand mit selbst gemalten Bildern überklebte. Die Eltern des Kindes fanden, es hätte eine bewundernswerte Unabhängigkeit von der Fernsehindustrie an den Tag gelegt und spendeten ihm Lob.