Mami verduftet

Dies ist ein subversives Kapitel. Es ist ein Schlag ins Gesicht von Konvention und Tradition. Es paßt nicht in das ordentliche Bild eines glücklichen Familienlebens. Wenn Sie es öffentlich vorlesen, dann sollten Sie lieber den Titel ändern, in etwas, was der Mutterrolle besser entspricht. Beispielsweise in

»FROTTEEWINDELN MACHEN SPASS«
oder in
»MATHEMATIK FÜR DEN FÖTUS IM MUTTERLEIB«.

So wird jeder Sie für eine richtige, pflichtbewußte Ehefrau und Mutter halten, die nicht im Traum auf die Idee käme, auf der Suche nach Abenteuern aus ihrem Nest zu flüchten. Denn hier geht's jetzt um Urlaub: Kurzurlaub, Wochenenden oder auch länger. Aber es geht nicht um Sandelmerchen und Schaufel und Freizeitparks, o nein! Auch nicht um die »zweiten Flitterwochen« oder die Wochenenden unter dem Motto »Entfliehen Sie dem Ehealltag«, während Großmama sich um die Kinder kümmert. Auch die mögen ihre Berechtigung haben, aber nach meiner Erfahrung läuft es immer nach einem bestimmten Schema ab, wenn Eltern von kleinen Kindern miteinander verreisen: Der eine telefoniert schniefend ununterbrochen nach Hause, während der andere aus reinem Schuldgefühl ganze Läden mit Designeroveralls und Spielzeug aufkauft. Die beiden oben genannten Ferienkategorlen erfreuen sich breitester gesellschaftlicher Billigung. Ferien mit Kindern ah! wunderschön! Wochenenden allein mit dem Ehemann ah! wunderschön! Es ist So wichtig, an der Ehe ständig zu arbeiten. Das kommt der ganzen Familie zugute, nicht wahr? Alle sind sich einig. Ich spreche jedoch über etwas Unerhörtes: Ferien für Mütter - alleine! Ich spreche über Frauen, die ganz bewußt, trotz der Schmähungen der Nachbarn und der hochgezogenen Augenbrauen der eigenen Mütter, verkünden, daß sie ein paar Tage ganz alleine wegfahren.
Die Kinder können bei Papi bleiben, bei der Tante oder der Großmama oder ein paar Nächte bei Freunden unterkommen. Mami ist einfach mal nicht da. Das Ding im Korridor ist Mamis Reisetasche. Auf Wiedersehen. Bis zum Montag. Ehe jetzt lauter Protest anhebt, wie man so etwas den armen Kindern antun kann, denken Sie erst mal nach: Mütter gehen ins Krankenhaus, um neue Babys zur Welt zu bringen. Manchmal sind sie deshalb eine Woche oder länger weg. Sie fahren weg, um ihre alten Eltern zu pflegen oder ihren Schwägerinnen mit den Babys zu helfen. Niemand käme auf die Idee, sie deswegen in Grund und Boden zu verdammen. Jeder gibt zu, daß Kinder, sofern sie einmal der Brust entwöhnt sind" kurze Trennungen von der Mutter ausgezeichnet überstehen, wenn die Beziehung an sich gut ist. Und daß sie eventuellen Unmut oder Unruhe sehr schnell wieder ablegen. Keiner verurteilt Sie, wenn Sie ein Familienmitglied pflegen oder ein weiteres Baby bekommen (nicht einmal, wenn Sie mit Ihrem Mann allein wegfahren), weil das alles ja schließlich gute Gründe sind. Solange sich Mütter mit Kindern für andere egal für wen aufopfern, stehen sie über jeder Kritik. Männer stehen immer darüber. Ein Mann braucht schließlich seine Hobbys. Er braucht eine gewisse Zeit abseits von Frau und Kindern. Auch wenn er ohnehin den ganzen Tag nicht zu Hause ist, hat man Verständnis für das Segelwochenende mit seinen Freunden oder das Länderspiel in Italien. Aber die Mütter - das ist doch ganz etwas anderes.
Als Mutter kann man sich doch nicht so einfach zum eigenen Vergnügen davonmachen, wenn man statt dessen Gurken in Hasenform schnippeln oder sich langatmige Geschichten von Roger Rabbit und all den anderen blöden Comics anhören sollte. Auch wenn Sie die übrigen dreihundertsechzig Tage im Jahr Ihren Mutterpflichten gewissenhaft nachkommen - ein Urlaub allein? Nein, da wird man dafür sorgen, daß Sie sich wie ein egoistisches Luder vorkommen. Und wir wollen jetzt diesen Unsinn ganz weit von uns weisen und klar, deutlich und selbstbewußt verkünden, daß ein Urlaub allein der Mutter, und damit auch der Familie gut tut. Schließlich sind wir auch nur Menschen. Unter dieser Schicht von ewig freundlicher Mütterlichkeit und lächelnd beruhigendem Sachwissen in allen Lebenslagen sind wir auch nur die unsicheren, hoffnungsvollen, abenteuerlustigen Mädchen von damals. Wir sind nicht unzufrieden, wir haben nicht vor, die Familie für immer zu verlassen, geschweige denn mit lüsternem Blick einen jungen Mann zu erobern. Nichts läge uns ferner! Es ist einfach nur ein wunderbares Gefühl, einmal für ein paar Tage das Leben, das wir so sorgfältig aufgebaut haben, hinter uns zu lassen.
Auf Wiedersehen Haus, auf Wiedersehen Garten, auf Wiedersehen pädagogisch wertvolle Spielsachen, die zu pädagogisch wertlosen Haufen aufgetürmt sind, auf Wiedersehen Peter Rabbit, auf Wiedersehen Telephon, Babysittergruppe und Schuldgeld in Umschlägen; auf Wiedersehen dem täglichen Kleinkram. Und weil die Kinder klein sind und höchstpersönlich die Verursacher des täglichen Kleinkrams sind, muß es auch ein Abschied von ihnen sein. Für ein paar Tage. Und auf Wiedersehen, Ehemann. Teils weil jemand die Stellung halten muß, und er das wahrscheinlich am besten kann, teils aber auch, weil jede verheiratete Frau gelegentlich aus dem Alltagstrott rauskommen muß, um sich zu erinnern, wer sie war, ehe sie Ehefrau und Mutter wurde. Wohin soll's denn nun gehen? Kommt auf den Geschmack und den Geldbeutel an. Seit mein jüngstes Kind drei Jahre alt wurde, habe ich drei verschiedene Kurzurlaube ausprobiert. Beim ersten Mal startete ich zwei Tage vor dem alljährlichen Urlaub in Irland mit einem Zelt und einem Rucksack. Nachts schlief ich auf dem harten Boden, ganz allein auf einer entlegenen westlichen Insel, über mir nur den weiten Himmel. Der Vollmond erhellte die Nacht, Wolkenfetzen flogen über das Firmament. Tagsüber las ich Pilgrims Progress, wanderte, kaufte mir auf den Bauernhöfen Ziegenmilch und brutzelte meine Würstchen im Regen auf Zeltpflöcken über einem winzigen Campingkocher. Gewaschen habe ich mich nicht viel, sprang aber jeden Tag von einem warmen, flachen Felsen in das eisige Meer und rannte dann so lange herum, bis mich der Wind getrocknet hatte. Es gab keine Spiegel weit und breit. Manchmal kamen andere Camper oder Wanderer vorbei, und wir plauderten ein bißchen. Aber zwei ganze Tage lang hatte ich keinen Zeitplan, niemanden, den ich zufrieden stellen mußte. Ich war nur für mich allein verantwortlich. Danach, ich schwöre es Ihnen, war ich für ganze achtzehn Monate eine bessere Mutter. Ich habe mich an Dinge, Gedanken und Freiheiten erinnert, die ich seit meiner Hippiezeit als Teenager vergessen hatte.
Ich wurde mehr wie eine große Schwester und habe mich lange nicht mehr so über die unvorstellbare Unordnung im Spielzimmer aufgeregt. Bereitwilliger ließ ich mich zu verrückten Spielen überreden, erfand sogar selber welche und war nicht mehr so darauf fixiert, die Kinder pünktlich ins Bett zu bringen. Als die Wirkung nachließ, verbrachte ich ein ausgelassenes Wochenende in Schottland mit einer alten Schulfreundin und dem Versuch, Skilanglauf zu lernen. Wir schliefen in einer Hütte mit ziemlich ernsthaften Teenagern, die Proust lasen, und brachten Schimpf und Schande über uns, indem wir mit dem Royal Pioneer Corps Langlauf-Skiteam ausgiebige Zechgelage veranstalteten. Zu den Skigebieten wurden wir in einem abscheulichen roten alten Lastwagen gekarrt, wobei wir unanständige Lieder sangen und uns wieder wie sechzehn fühlten. Als dieser Ausflug ein Jahr später nur mehr eine wehmütige Erinnerung war, genehmigte ich mir eine ganze Woche, kratzte ein paar Ersparnisse zusammen und heuerte als zahlendes Crewmitglied auf einem 100 Fuß Brixbam Trawler zu den Hebriden an. Obwohl ich auf dieser Fahrt fast täglich eine halbe Flasche Scotch schluckte, mehr schlecht als recht versuchte, einer Pfeife Töne zu entlocken und bis ein Uhr morgens wehmütige Lieder zur gälischen Harfe sang, kam ich klaren Auges und vor Energie und Gesundheit strotzend nach Hause. Eigentlich fühlte ich mich nach all diesen unverantwortlichen Entgleisungen einfach wunderbar, nahm freudig mein ehrbares Leben wieder auf, schlief in einem richtigen Bett, trank brav nur alle vierzehn Tage ein Glas Wein und schnitt als besonderes Samstagabendvergnügen je zwanzig kleine Finger- und Fußnägel. Ich war viel netter zu meiner Familie als zuvor und hatte erwiesenermaßen weniger Wutanfälle. Für das nächste Mal plane ich eine längere Wanderung. Sie müssen es natürlich nicht so extrem treiben. Aber ich rate Ihnen auch nicht, nur faul am Strand zu liegen. Denn dabei werden Sie ständig daran denken, wie sehr das den Kindern gefallen würde. Selbst auf einer Gesundheitsfarm haben Sie vielleicht zu viel Zeit zum Nachdenken und für Schuldgefühle. Ideal. Ist ein Projekt, bei dem Sie etwas tun müssen, etwas lernen, sich einer Herausforderung stellen können, die absolut nichts mit Ihrem normalen Leben zu tun hat. Einen Kletterkurs beispielsweise. Oder Russisch. Es gibt Kurse, in denen man lernt, wie man einen Pferdewagen lenkt, und andere, in denen man zirkusreif werden und jonglieren, Stelzengehen und Einradfahren lernen kann.
Jeder, der mit Kindern unter acht zurechtkommt, kann auch das alles lernen. Wenn es wirklich etwas Besonderes sein soll, dann gibt es Kurse, wo man Ihnen ein Stück Holz und einen Meißel in die Hand drückt. Nach ein paar Tagen haben Sie unter Anleitung eines Lehrers eine Lockente geschnitzt, die Sie als Erinnerung mit nach Hause nehmen können. Fehlt es Ihnen an Geld, dann können Sie einer alleine lebenden Freundin die Wohnung ausmalen und abends mit ihr essen gehen. Sie bekommen viele lange Wochenenden für den Preis von zwei Paar Jeans. Suchen Sie sich einen Kurs für Studenten aus, oder - wenn Sie wirklich gar kein Geld haben - gehen Sie mit einigen Freundinnen oder einer vergessenen Kusine auf eine lange Wanderung. Bei einer Radtour können Sie für ein paar Mark in einem Bauernhof übernachten, einen Zeichenblock mitnehmen und versuchen, ein passables Schwein zu zeichnen. Wenn Sie Wert auf angenehme weibliche Gesellschaft legen, in den Volkshochschulen gibt es Hunderte von Kursen. Viele Klöster bieten Unterkunft und Meditation an. Wollen Sie etwas für die Umwelt tun, dann schließen Sie sich einer Gruppe an, die freiwillige Helfer sucht. Sie können beim Restaurieren von alten Eisenbahnen helfen oder ein Feuchtbiotop anlegen. Normalerweise machen das alles Studenten, aber es gibt absolut keinen Grund, warum eine weggelaufene Mami das nicht tun könnte.
Eine langjährige Freundin von mir ließ ihre sehr anspruchsvolle Familie (fünf Kinder unter acht) ein langes Wochenende allein, um jungen Straffälligen beizubringen, wie man in Kanus über Stromschnellen hinwegschießt. Alle berufsmäßigen Sozialarbeiter waren danach völlig erschöpft, aber sie strahlte, weil es etwas so ganz anderes gewesen war. Was immer Sie tun, es wird um so mehr bringen, je mehr Sie auf zufällig zusammengewürfelte Erwachsene treffen. Wie schrecklich, wenn man in seinem Umkreis nur mehr EItern mit Kleinkindern hat, Erwachsene, die gleich alt sind und im gleichen Viertel wohnen. Schon ein Einradfahrer oder ein Bauer erweitern Ihren Horizont. Eine der schönsten Erfahrungen während meiner Trawler-Woche war, daß ich mit Teenagern und Rentnern an den Tauen stand, mit überflüssig gewordenen Baumwollspinnereiarbeitern und Krankenschwestern, mit Einsamen und Schwachen. Plötzlich wurde mir wieder bewußt, daß es auch noch andere Menschen auf dieser Welt gibt als Mamis, Papis, Onkel, Tanten, Großmamas und Lehrer. Und lassen Sie kein schlechtes Gewissen aufkommen. Schließlich kommen wir nach diesen Ausflügen frisch, fröhlich, aufgeschlossen und entzückt, die Kinder wieder zu sehen, zurück. Nach den paar Tagen Abwesenheit wundern Sie sich, wie nett sie sind, wie klug und schön und originell und liebevoll. Wie sagte doch der Dichter: Was weiß der von England, der nur England kennt? Wie können Sie die Freuden der Elternschaft genießen, wenn Sie jeden Tag mitten drin stecken ?