Pflaster, Gips und Wundverband: Der erste Weg zur Besserung

Sollten Sie jemals an der Zerbrechlichkeit des menschlichen Körpers zweifeln, dann setzen Sie sich an einem schönen Sonntagabend einmal für eine Stunde in das Wartezimmer einer Unfallstation. Kinder humpeln auf Krücken vorbei und tragen dabei immer noch das bunte Hemd und die Ellbogenschützer, die darauf hinweisen, daß sie noch vor einer halben Stunde das absolute As auf dem Skateboard waren. Bedrückt dreinblickende Kleinkinder drängen sich ängstlich an die Mutter und halten ihr ein Handgelenk entgegen, das bedeutend dicker ist als das andere. Erwachsene haben Wunden von Rasenmähern, Hunden und anderen Taten Gottes vorzuweisen. Ein Teenager hüpft umher und erklärt ihrem Vater, daß sie doch eben dabei gewesen war, beim Korbball den Ausgleich zu schaffen. Und mindestens ein Kind steckt mit dem Finger in irgendeinem Haushaltsutensil oder hat ihn hastig und blutig in etwas eingewickelt, das wohl das Unterhemd des kleinen Bruders sein könnte. Sie alle sitzen da, gehorsam und gefaßt, warten darauf, eine Nummer zu bekommen und zu Patienten mit ordentlichen weißen Verbänden zu werden. Die Erwachsenen unternehmen gelegentlich erfolglose Streifzüge nach etwas Lesbarem. Aber außer einer zehn Jahre alten Ausgabe von Reveille und einem halben Strickmuster gibt's da nichts. Manchmal - bei weitem nicht oft genug - erscheint eine frisch gestärkte weiße Krankenschwester und ruft einen Namen auf. Der Warteraum der Unfallstation ist ein ungewöhnlicher Ort, auch innerhalb des Krankenhauses. In Kliniken herrscht eine ganz andere Atmosphäre, weil die meisten Patienten schon lange einen Termin haben und schon länger von ihrer Krankheit wissen. Sie sind akklimatisiert. Sie haben sich Zeitschriften gekauft oder ihr Strickzeug mitgebracht. Die Kinder sind mit Büchern wie Mary geht ins Krankenhaus ausreichend vorbereitet worden. Alle hatten Zeit, eine positive, vernünftige Haltung einzuüben. Es gab »Familienkriegsrat« und Beraterstunden.
Bei wirklichen Notfällen, wenn es um Leben und Tod geht, ist wieder alles anders: dramatisch und verzweifelt, mit Tragbahren und Eile und Angst vor dem Schlimmsten.
Wenn man das Schlimmste befürchtet, ist man nicht gelangweilt oder peinlich berührt. Nur im Wartezimmer der Unfallstation haben Erwachsene und Kinder gleichermaßen diesen eigenartig verlorenen Blick, wie Kabeljaufische, die an Land gespült wurden. Vor Minuten noch war alles eitel Sonnenschein, jetzt sehen alle seltsam niedergeschlagen aus. Sie ahnen, daß die Unaufmerksamkeit eines Bruchteils einer Sekunde in Wochen von juckendem Gipsverband enden wird. Und die Eltern der verletzten Kinder machen sich unnötigerweise schweigend Vorwürfe oder erzählen allen Anwesenden tränenreich, daß es ein sehr stabiles Baumhaus, wirklich sehr stabil war, doch wer hätte je gedacht, daß er einen Handstand auf dem Sicherheitsgeländer versuchen würde ... Und da kommt unser Auftritt. Genauer gesagt, meine vierjährige Tochter und ich betreten die Unfallstation des Krankenhauses an der Heath Road in Ipswich durch die elektrischen Doppeltüren. Nach einem Besuch beim praktischen Arzt (»vielleicht eine Verstauchung, schwer zu sagen«) wurde uns angeraten, das Handgelenk röntgen zu lassen, weil es nicht besser wurde und vielleicht gebrochen sein könnte. Wir kamen uns ziemlich dumm vor. Nachdem wir ein Jahr zuvor 1700 Meilen gesegelt waren und 45 Hafenleitern, allesamt in irreparablem Zustand, ohne den kleinsten Kratzer erklommen hatten, war das Kind auf der patentierten rutschfreien Umrandung des örtlichen Schwimmbades ausgerutscht. Tröstlich, daß das jedem passieren kann: Einer Freundin von mir passierte es mit ihren zwei Kindern innerhalb von zehn Minuten zweimal, wobei sich jedes der Kinder ein Bein brach.
Sie können der nächste sein. Damit Sie dieses Ereignis mit etwas mehr Würde, Ruhe und Gelassenheit als ich überstehen, hier ein paar Sätze über das Leben auf der Unfallstation. Es handelt sich um die eigenen, bitteren Erfahrungen und diejenigen anderer Eltern.

Regel Nr. 1:

Gehen Sie, wenn möglich, nie in ein Krankenhaus, ohne ein paar persönliche Dinge eingepackt zu haben. Wenn es sich nicht um Bewußtlosigkeit oder eine starke Blutung handelt, dann nehmen Sie sich fünf Minuten Zeit, um nachzudenken und ein paar Sachen zusammenzupacken. Rennen Sie nicht wie ich kopflos zum Wagen, um dann bei der vierzigminütigen Fahrt festzustellen, daß das Kind keine Schuhe und keinen Mantel anhat, Sie keine Handtasche, kein Geld, keine Tempo-Taschentücher, nichts zu trinken und nichts zu lesen haben. Sie werden reichlich Zeit haben, über Ihre Unzulänglichkeiten nachzudenken, wenn Sie erst einmal auf der Plastikbank sitzen und warten, daß Sie aufgerufen werden. Glücklicherweise ist mein Auto ein mobiler Müllwagen, und so fand sich eine Ausgabe von Alice im Wunderland hinter einem der Sitze. Ohne dieses Buch wären die Dinge für Rose (und für mich) unerträglich gewesen - wir warteten eine Stunde, ehe wir drankamen, fünfzehn Minuten vor dem Röntgenraum, noch einmal zwanzig Minuten auf den Arzt, der sich das Röntgenbild ansehen sollte, und dann noch einmal einige Minuten. Schließlich kamen wir in dem Buch bis zum Weißen Ritter, ehe wir wußten, was nun wirklich mit dem Arm war. Meine tiefe Bewunderung galt einer Frau, die mit einem blutverschmierten, hinkenden Neunjährigen mit einem blauen Auge hereinkam, es aber nichtsdestotrotz geschafft hatte, einen Karton mit Apfelsaft, einen Stapel Comics, ihr Strickzeug und seinen Walkman samt einem Stapel Kassetten mitzubringen. »Nun, wir sind ja schon das dritte Mal hier«, sagte sie. »Oder ist es das vierte Mal? Er ist so mutig und tapfer mit seinem BMX-Rad. Wie sein Vater. Er hat sich beim Speedway beide Beine gebrochen. Wir mögen dieses Krankenhaus, hier sind alle so nett.« Ja, Erfahrung ist alles.

Regel Nr. 2:

Wenn Sie mit dem Kind im Krankenhaus sind, versprechen Sie ihm nichts außer: »Der Arzt wird versuchen, dir zu helfen, damit du wieder gesund wirst« und »Mami und Papi lassen dich nicht alleine.« Das zweite Versprechen können Sie aller Wahrscheinlichkeit nach einhalten. Heutzutage dürfen Eltern in den meisten Fällen bei ihren Kindern bleiben. Das ist ein hart erkämpftes Recht, wie Ihnen jede Mutter aus den sechziger Jahren bestätigen wird. Damals übergab man sein Kind einer fremden Person in der Röntgenstelle - in eine fremde Welt mit fremden Maschinen. Und vor nicht allzu langer Zeit wimmelten Krankenschwestern auf Kinderstationen Besucher mit der Begründung ab, Besuch würde die Kinder nur »beunruhigen«. Heutzutage können Sie guten Gewissens sagen: »Mami bleibt bei dir.« Hüten Sie sich vor Versprechungen wie: »Natürlich wird dir der Doktor nicht wehtun. Er wird die Wunde nur anschauen. « (Vielleicht wird er dem Kind wehtun. Vielleicht muß er.) Oder: »Nein, ich bin sicher, daß du keinen so schrecklichen Gips kriegst. « Und keinesfalls sollten Sie sagen: »Sicher sind wir wieder zu Hause, wenn die Sesamstraße anfängt.« Das werden Sie nicht sein.
Aber weiter mit unserer Geschichte. Wir sprachen bei einer reizenden Ärztin vor und gingen dann zur Röntgenstelle, wo Rose einen Skelettanstecker bekam, auf dem stand: ICH BIN EIN RÖNTGENFILMSTAR. Allmählich wurde ich übermütig und verstieß gegen Regel Nr. 2. »Wir werden bald wieder zu Hause sein. Wie wird Papi sich freuen, wenn er deinen Anstecker sieht.« In diesem Augenblick trat ein anderer Arzt hinter dem Vorhang hervor. »Ich fürchte, es ist ein doppelter Knickbruch.« Nun gut, auch nicht schlimm , ich hatte Rose im Auto alles Wissenswerte über Gipsverbände erklärt. Sie freute sich darauf. »0 ja, ich weiß, was ein Knickbruch ist. Wie lange glauben Sie ... « »Wir legen sie auf Station«, sagte er. »jetzt.« Mutter, nahe am Zusammenbruch, tarnt Ihre Panik nur unzulänglich mit einem Lächeln. Der Cleveland-Fall hat aus uns allen Paranoiker gemacht. Glaubten sie, ich würde ihr auch den anderen Arm brechen, lauerten hinter jedem Pfeiler schon die Sozialarbeiter? Sie hatten uns in ihrer Gewalt, wir waren weit weg von der Eingangstür. Um uns herum nur Krücken und Bandagen, eilige Krankenpfleger und viele Ärzte. Wir waren wie Alice hinter den Spiegeln und mußten auf alles gefaßt sein.

Ich hatte Regel Nr. 3 entdeckt:

Gehen Sie nie davon aus, daß Sie nur ein ambulanter Patient sind. Der Arzt beeilte sich, seine Entscheidung zu erklären. Es war Abend, und der Arm mußte vielleicht unter Narkose eingerenkt werden. Deshalb meinte er, Rose wäre auf der Station besser aufgehoben. Wie ein Verdächtiger auf der Polizei bat ich, einen Anruf tätigen zu dürfen: Ich erklärte, wir bräuchten Kleider, Geld, einen Kamm, je eine Zahnbürste für uns beide und Jingle, den Bären. Mein Mann war bei unserem anderen Kind zu Hause, und eine Nachbarin konnte die Aufsicht übernehmen, damit mein Mann zu uns fahren konnte. Mit Schaudern fiel mir ein, daß ich so sicher gewesen war, in ein paar Stunden wieder zurück zu sein, daß ich sicherlich Nicholas, wenn Paul nicht dagewesen wäre, nur schnell bei der Nachbarin gelassen hätte, ohne auch nur den Schlüssel dazulassen, damit sie Pyjama und Teddy holen konnte.

Deshalb Regel Nr. 4:

Nutzen Sie die Zeit im Wartezimmer, um Pläne für den Fall auszuarbeiten, daß Sie über Nacht bleiben müssen. Das ist eine nützliche geistige Übung, auch wenn sie zum Glück nur selten in der Praxis Anwendung finden wird. (Machen Sie es jedoch nicht wie meine Freundin Victoria, die jedesmal, wenn ein Familienmitglied niest, einen Plan für eine eventuelle lebenslange Invalidität ausarbeitet. Sie liest die Gesundheitsseite des Independent zu genau, finde ich.)
Da saßen wir nun, Rose und ich, in diesem weißen Korridor zwischen zwei Welten. Wir waren weder stationäre noch ambulante Patienten, konnten nicht gehen, hatten aber auch noch keinen festen Platz im Krankenhaus zugewiesen bekommen. Irgendwie kam ich mir hier wie verloren vor. Aber zumindest waren wir zusammen verloren. Dann brachte man uns auf die Station, die dank jahrelanger Bemühungen und privater Zuschüsse wirklich sehr angenehm renoviert worden war. Von freundlichen Schwestern, sauberem, zweckdienlichen Mobiliar, Spielsachen und Kinderzeichnungen umgeben, fühlten wir uns gleich weniger verloren. Roses einzige Vertrauenskrise kam, als eine Schwester ihr mit Hilfe eines Buches erklären wollte, was im OP vor sich gehen würde. Das Buch handelte von Herbie dem Igel, der seine Stacheln verloren hatte und deswegen von den Feen eine geheimnisvolle Salbe bekam. Rose warf einen Blick auf das Buch und fing an zu weinen. »Ich will nichts von komischen Igeln wissen«, sagte sie eigentlich ganz verständlicherweise. Deshalb:

Regel Nr. 5:

Erkundigen Sie sich selbst eingehend über die Vorgehensweise der Ärzte, und erklären Sie es Ihrem Kind. Besonders wenn es ein erschöpftes, vierjähriges Kind ist. Ältere Kinder möchten es vielleicht schon mit dem Arzt besprechen und sollten das auch tun. Aber denken Sie doch einmal zurück, wie Sie sich im Kreißsaal fühlten, wie froh Sie waren, Ihren Mann oder sonst jemanden um sich zu haben, der Sie gegenüber den Halbgöttern in Weiß vertrat. Dann können Sie sich ungefähr vorstellen, wie sich Ihr Kind fühlt. Im Krankenhaus unserer Geschichte gibt es Betten für Eltern. Wenn es das in Ihrem Krankenhaus nicht gibt, tun Sie was dagegen. Versuchen Sie Sponsoren zu finden und Geld aufzutreiben. Als die kleine Patientin schon fast schlafend in den OP gerollt wurde und danach fest schlafend wieder herauskam, kam auch ich zu sechs Stunden Schlaf in einem ruhigen Zimmer und war rechtzeitig wieder an Roses Bett, als sie aufwachte, gähnte und sich gleich auf meinen Schoß setzte. Glücklicherweise durften wir zwei Stunden später nach Hause, und drei Wochen später kam der Gips runter. Er wird als Andenken mit allen Unterschriften ihrer Klassenkameraden darauf in einer Plastiktüte aufbewahrt. »Im großen und ganzen«, bemerkte sie, »Ist es nicht so schlimm, wenn man sich den Arm bricht.« Paradoxerweise sind kleine Kinder zwar sehr viel zerbrechlicher, aber auch sehr viel zäher als wir. Nicht sie hat Alpträume von jenem Ereignis, sondern ich.
Seither habe ich mit vielen anderen Eltern gesprochen, deren Kinder mit weitaus dramatischeren Krankheiten oder Unfällen ins Krankenhaus mußten. Sie alle waren sich im Sinne des Wohles ihrer Kinder einig: Man muß ruhig bleiben, sich sachkundig geben, den Fall unter vier Augen mit dem Arzt durchsprechen (ob er nun will oder nicht), dem Kind kindgerecht erklären, was mit ihm passiert und - wenn irgend möglich da sein. Geht das nicht, dann tun Sie eben, was Sie können. Ich verbrachte einmal wegen einer journalistischen Recherche vierundzwanzig Stunden auf einer Kinderstation. Ein kleiner siebenjähriger Junge lag da, hatte ein Bein in einem Streckverband und weinte nach seiner Mami. Von sieben Uhr bis elf Uhr starrte er traurig )*eden neuen Besucher an. Innerlich verwünschte ich diese herzlose Frau, die es nicht einmal für nötig hielt, sich um ihr eigenes Kind zu kümmern. Um elf Uhr kam sie dann schließlich, und in den nächsten Stunden verwünschte ich mich selbst. Sie hatte, so sagte sie mir auf der Toilette, mit drei verschiedenen Bussen herfahren und vorher ihre drei Kinder im Alter von einem, zwei und vier Jahren bei Nachbarn unterbringen müssen. Ihr Mann hatte sie kurz vorher verlassen, und der Unfall des jungen hatte sie gezwungen, ihre Arbeit aufzugeben und von der Sozialhilfe zu leben, die kaum für die Lebensmittel reichte. Aber sie war mit einem kleinen, fröhlichen Picknick gekommen, hatte ein paar selbst gebastelte Spielsachen und Zeichnungen von den kleineren Geschwistern mitgebracht und saß mehrere Stunden singend und plaudernd bei ihrem kleinen jungen, als hätte sie sonst keine Sorgen. Sie lehrte mich eine wichtige Grundregel: Was immer Sie tun können, es ist gut. Schuldbewußtes Weinen und Mitleid hilft keinem.

Aber es gibt noch eine andere Krankenhausregel:

Selbst wenn Sie Tag und Nacht bei Ihrem Kind bleiben können, gehen Sie gelegentlich raus. Kinder schlafen auch mal. Die Krankenschwestern sind zur Stelle, wenn sie aufwachen. Es ist heiß und entnervend in einem Krankenhaus, zu hell und ungemütlich. Die Krankenhausatmosphäre vermittelt jedem Menschen das Gefühl, hilflos einem mächtigen Apparat ausgeliefert zu sein und sein eigenes Leben nicht mehr unter Kontrolle zu haben. Um Ihrem Kinde wieder ein bißchen Normalität vermitteln zu können, müssen Sie mindestens einmal pro Tag aus dem Gebäude raus, und wenn Sie dabei nur im Regen um den Block gehen, eine Zeitschrift am Kiosk an der Ecke kaufen und mit dem Besitzer ein paar belanglose Worte über das Wetter reden.
Die meisten Kinderkrankheiten sind Gott sei Dank nicht mit einem Krankenhausaufenthalt verbunden. Oft braucht es nur ein paar Packungen Tempotaschentücher, einen Tiegel Salbe und viel Geduld. Schlagen Sie zur Beruhigung in Ihrem medizinischen Wörterbuch nach, aber lassen Sie sich von mir gesagt sein, daß Kinderkrankheiten im allgemeinen immer nach folgendem Muster verlaufen:

1. Akt: Auffallendes Verhalten.
Das Kind ist plötzlich zwei Jahre jünger, tausendmal quengeliger und eigentlich unausstehlich. Sie reagieren gereizt, drohen das Taschengeld zu kürzen und schicken das Kind zu Bett. Plötzlich sagt das Kind von sich aus, daß es ins Bett gehen möchte. Das erste Krankheitssymptom: Erbrechen bei Kindern unter sechs oder sieben, »Kopfschmerzen« bei älteren Kindern. Damit geht es ängstlich und liebevoll auf den

2. Akt zu: Krankenpflege.
Abgesehen von dem schrecklich schlechten Gewissen, weil Sie so ungnädig mit Ihrem Kind waren, ist das keine allzu schwere Sache. Sie gehen zum Arzt oder lassen ihn kommen, er macht die üblichen Untersuchungen auf Meningitis oder Mittelohrentzündung, setzt dann seinen optimistischen Blick auf und erzählt Ihnen, daß eben momentan »ein Virus grassiert«. Dann bekommen Sie entweder ein sirupartiges Antibiotikum oder auch nicht. Ihr Kind schluckt ein mildes Schmerzmittel. Es schläft ein, wacht nachts vier- oder fünfmal verschwitzt auf, doch sein Gesundheitszustand bessert sich. Manchmal ist es vernünftig, das Kind in das große Elternbett zu nehmen. Eimer in Reichweite stellen, Handtuch zurecht legen. Vielleicht kommen rote Flecken raus, die sich als Windpocken entpuppen. Vielleicht schwellen die Backen an, und es wird Mumps. Danach folgt jedoch der schlimmste Teil, der

3. Akt: die Genesung.
Natürlich fällt Schule oder Kindergarten flach, aber auch das Bett ist nicht mehr das Richtige. Keine Ablenkung hält länger als fünf Minuten vor. Fernsehen oder Videos sind in solchen Tagen ein Segen, natürlich nur, wenn das Kind normalerweise nicht zu viel fernsieht. Aber ihre Geduld wird auf die härteste aller Proben gestellt. Besonders, da Sie inzwischen selbst den Virus aufgeschnappt haben und sich hundeelend fühlen.
Diese Katastrophe ist sehr wohl einige Betrachtungen wert. Die Pflege von kranken Kindern ist sehr häufig Gegenstand von Büchern, aber niemand hat bislang ernsthaft Überlegungen darüber angestellt, was passiert, wenn in einem wohl geordneten Haushalt die Mami plötzlich Mumps bekommt. Kleine Kinder zu beaufsichtigen ist, besonders wenn sie sehr viel mit anderen Kindern zusammenkommen, wie eine Wanderung durch einen mit Fiebermücken verseuchten Sumpf. Die Viren, die Kinder nach Hause bringen, sind meist eher harmlos für die Kinder, nehmen aber Erwachsene oft ganz schön her. Den Kleinen läuft ein paar Tage die Nase, dann ist alles vorbei. Wir hingegen schleppen uns ewig mit grippeähnlichen Symptomen herum. Sie laufen für kurze Zeit mit einem geschwollenen Gesicht herum, schlecken Eis und sehen Popeye zu. Wir bekommen Mumps und fühlen uns, als hätte uns der große Hammer getroffen. Sie bekommen Windpocken, bei uns äußert sich das in einer schmerzhaften Gürtelrose. Und so weiter.
Sie sind schließlich jung und kräftig. Wir sind alt und ziemlich mitgenommen. Zumindest bin ich es. Berufstätige Mütter haben es besonders schwer. Der Ihnen allen bekannte Familienkrankheitszyklus läuft folgendermaßen ab: Zuerst werden die Kinder krank (nacheinander, versteht sich) und bringen so den ganzen Haushalt durcheinander. Dann wird Mami krank. Wenn sie wieder auf den Beinen ist, ist das Kindermädchen oder der Babysitter an der Reihe. Alle sitzen mürrisch und genesend herum und brüten über die unvermeidliche Tatsache nach, daß in genau einer Woche Papi wie das Phantom der Oper aussehen und sich ein paar Tage nur von Medikamenten ernähren und seine Pflichten vernachlässigen wird.
Kinder werden mit Recht gut umsorgt, wenn sie krank sind. Wollen sie den ganzen Tag schlafen, so dürfen sie das. Schon beim leisesten Wimmern wird ihnen zu Jeder Tages und Nachtzeit frisches Wasser gereicht. Eine spezielle Krankenkost wird zubereitet. Lauwarme Bäder kühlen den kleinen, erhitzten Körper ab. Kein Wunder, daß es ihnen so schnell wieder besser geht. Aber Eltern, besonders Mütter, haben niemanden, der sich um sie kümmert. Ihre Krankheit verläuft bei weitem nicht so zufriedenstellend wie die ihrer Kinder. Gegen sechs Uhr abends geht Mami dann schließlich zittrig und erschöpft mit dem Kind zum Arzt und krächzt heiser: »Ich glaube, ich habe diesen - ah, nein, Liebling, das Stethoskop des Onkel Doktors darf man nicht kaputtmachen - Virus, den die Kinder hatten, aufgeschnappt... Ich habe das Gefühl, mein Kopf zerspringt, ich glaube, ich habe auch Fieber, aber der Hund hat das Fieberthermometer kaputtgemacht - nein, Schätzchen, du bekommst ein Eis, wenn wir zu Hause sind, du sollst das Baby nicht stoßen« Der Arzt antwortet: »Ah, hmhm, nichts Ernstes, Mrs. - Ah - einige Tage Bettruhe und alles ist vorbei. Bleiben Sie im Haus und gönnen Sie sich Ruhe.« Ruhe? Der Arzt meint offensichtlich, diese arme Frau macht Sahnetorten im Dutzend für den örtlichen Kirchenbasar und schwimmt täglich vierzig Runden im Hallenbad. Er meint, sie könnte etwas kürzer treten, die Vorhangschabracken einmal nicht mit der Hand stärken und die neuen Bettbezüge einfach später nähen. Er macht sich nicht klar, daß in einem Haushalt mit Kindern, eventuell auch noch im Vorschulalter, Zeit nicht etwas ist, was man im Überfluß hat. Sehr wenige Dinge in der täglichen Haushaltsroutine sind unnötig.
Mami versucht wahrscheinlich seit etwa achtzehn Monaten ein- und dasselbe Buch fertigzulesen. Auch wenn sie alles schleifen läßt, müssen Kinder angezogen, gewaschen, mit Essen versorgt, unterhalten, zur Schule gebracht oder beaufsichtigt und daran gehindert werden, aus den Fenstern zu klettern. Sie wollen ihre Fragen beantwortet haben. Sie wollen wissen, wie Raketen fliegen. Sie wollen in der frischen Luft spazieren gehen, sonst werden sie unleidlich. Was meinte der Arzt mit »im Hause bleiben«? Was ist, wenn man in einer Wohnung wohnt? Die Kinder müssen gebadet werden und brauchen einen sauberen Pyjama. Und am Morgen etwas Frisches zum Anziehen. Ihr Kopf pocht zum Zerspringen. Der einzige Hoffnungsschimmer besteht in der Möglichkeit, eine halbe Stunde auf der Couch zu liegen, während eine besonders spannende Folge einer Kinderserie läuft. Als strenge Bettruhe kann man das allerdings nicht unbedingt bezeichnen. Was also tun, wenn Sie nicht so krank sind, daß es gerechtfertigt wäre, Ihren Mann von der Arbeit nach Hause zu holen oder eine Haushaltshilfe zu beantragen?
Die kleineren Krankheiten, die Sie in Ihren kinderlosen Tagen mit ein, zwei Tagen Bettruhe und einem tröstlichen Whisky mit Zitrone hinter sich gebracht haben, sind zu einem Alptraum geworden. Niemand kümmert sich um Sie. Wenn eine Mutter altruistisch genug ist, sich durch den Tag zu schleppen, wird sie niemand daran hindern. Es sei denn, Sie bitten um Hilfe. Das sollten Sie, es ist wirklich keine Schande. Eines Morgens, als ich allein war und um acht Uhr früh zum vierten Mal wegen einer Lebensmittelvergiftung erbrechen mußte, bemerkte ich, daß die Kinder allmählich unruhig wurden. Meine pseudo-fröhlichen Aufmunterungen durch die Toilettentür: »Ich bin gleich wieder draußen - macht euch keine Sorgen - hat Teddy schon sein Frühstück bekommen« verloren ganz offensichtlich an Überzeugungskraft. Also stolperte ich mit weichen Knien zu meiner Nachbarin hinüber und sagte: »Ich schaff's nicht. Können Sie mit den Kindern reden, während sie frühstücken?« Dann ging ich schnurstracks ins Bett. Wie gut, daß ich so eine Nachbarin hatte. Keine Mutter sollte je mit den Leuten, die nebenan wohnen, verkracht sein. Liebe und verläßliche Freunde, die in acht Kilometer Entfernung wohnen, tun's nicht immer. Neben Nachbarn kommen auch Freunde, Großmütter und Lieblingsbabysitter in Betracht. Sie müssen nur bitten - schamlos.
Manchmal sind kleine Kinder wirklich sehr mitfühlend und helfen, wenn die Eltern krank sind. Nur müssen Sie auch hier wieder erst einmal erklären, daß es Ihnen schlecht geht. Ich kenne eine alleinerziehende Mutter, die sich mit einer schrecklichen Grippe herumquälte, ohne es jedoch ihren vierjährigen Sohn merken lassen zu wollen, daß sie sich krank fühlte. Er sollte sich um Gottes willen nicht beunruhigen. Das Kind konnte sich nicht erklären, warum die Mutter so aufbrausend und seltsam war und nicht wollte" daß er sie umarmte. Am dritten Tag schließlich brach er in Tränen aus und jammerte: »Mami, liebst du mich denn nicht mehr?« Als sie ihn ihrer Liebe versicherte und ihm erklärte, daß sie sich eben nur krank fühlte, war er so erleichtert, daß er sie begeistert umsorgte und den ganzen Nachmittag Wasser zum Trinken heranschleppte. Mädchen scheint die Vorstellung einer auf der Couch zusammengerollten Mami noch besser zu gefallen. Nur gelegentlich müssen Sie vielleicht aufspringen, um eine Katastrophe zu vermeiden. Es zahlt sich aus, Ihre Schwäche zu zeigen. Wenigstens ein bißchen. Die einzige andere Strategie, die ich noch vorzuschlagen hätte, ist, für den Krankheitsfall etwas Neues, Aufregendes, Ruhiges in petto zu haben. Ich hatte immer so etwas aufgehoben, aber eigentlich war es gedacht, wenn die Kinder einmal krank würden. In einer Schachtel hebe ich Papierpuppen zum Ausschneiden, Puzzles, neue Buntstifte und so weiter auf. Die Realität hat gezeigt, daß Kinder solche Sachen, wenn sie selbst krank sind, gar nicht mögen. Da muß der gute, alte Plüschhase ran, das entsetzliche abgeschmuddelte Baumwolltuch zum Lutschen oder ein total abgespieltes Video von Asterix und Obelix. Erst wenn Sie krank sind, kommt die Überraschungsschachtel zum Einsatz.
Dann können Sie leicht benommen auf der Couch vor sich hindösen, die Kinder aus dem Augenwinkel beobachten und auf bessere Tage hoffen. Schließlich ist jetzt niemand mehr da, der Ihnen das Leben schwer machen kann, nachdem die Kinder den Virus hatten, dann Ihr Mann und zuletzt auch noch die Tagesmutter. Oder? Und ehe Sie den nächsten Virus in Ihr Haus lassen, muß doch etwas Zeit vergehen, nicht wahr? Nehmen Sie brav Ihre Vitamine. Die sollen ja helfen.