Eine Warnung vorab: In diesem Kapitel kommen Worte und Sprüche vor, die über acht Jahre alte Leser verwirren, ja sogar schockieren können. Nehmen Sie also all Ihren Mut zusammen. Es kommen Popos vor. Und Töpfchen. Es wird von Pimmel gesprochen, und Winde werden abgelassen. Schon jetzt kann ich Ihnen versprechen, daß Sie wirklich erleichtert sein werden, wenn es wieder auf das sichere Erwachsenenterrain von Sex und Fortpflanzung zugeht. Zuvor aber wird es erst mal richtig anstößig. Nicht, weil ich das möchte, sondern weil das Thema eben auch angesprochen werden muß. Denn hier gibt es ein Phänomen zu beobachten: Vor Jahren hatte das Gesangsduo Flanders and Sann einen großen Erfolg mit einem Song, der mit imitierten Kinderstimmen folgendermaßen begann: »Vater und Mutter sind aus dem Haus, jetzt lassen wir die Sau mal raus.« Der Chor stimmte dann ein mit: »Pinkel, Po, Hintern, Furz, da wird uns leicht die Zeit zu kurz!« Sie trafen den Nagel auf den Kopf. Nichts ist so verführerisch für kleine Kinder wie Gespräche über stinkende Furze, Pinkeln, Fäkalien - wie immer Sie es nennen wollen. Das Thema war immer faszinierend und wird es wohl immer sein. Ganz offensichtlich war auch den aufgeklärten, ernsthaft bemühten Eltern der sechziger Jahre, die dachten, eine offene, ungezwungene Atmosphäre würde dem albernen Kichern den Wind aus den Segeln nehmen, kein Erfolg beschieden. Die ungezwungene Familie, die ich kannte, hielt es folgendermaßen: Die Eltern liefen nackt in der Wohnung herum, sprachen offen von den Vorgängen in ihren Gedärmen und ihren Ausscheidungen und beschrieben ihren Kindern den Geburtsvorgang in allen Einzelheiten. Eines Tages, als ich zu Besuch war, tanzte die kleine Nellie in der Küche herum und sang: »~Pipi dampft im Topf, Pipi dampft im Topf!« Ihre Mutter versuchte verzweifelt, ihr Entsetzen zu verbergen. »Ich weiß nicht, warum sie das tut«, sagte sie mit kläglichem Ton in der Stimme. »Wir haben das Urinieren immer als etwas ganz Natürliches betrachtet, und ich habe nicht die leiseste Ahnung, wer ihr das Wort« - sie spuckte es förmlich aus »Pipi beigebracht hat. Also wirklich, das ist so dumm und so vulgär.« Höflich stimmte ich ihr zu, während Nellie weiter fröhlich ihren Spruch krähte. Aber tief in meinem Innern vermutete ich, daß Nellies Mutter den Kampf verloren hatte. jetzt, da ich eigene Kinder habe, weiß ich es. In jedem Kind steckt etwas unabänderlich Albernes und Unanständiges. Wir Erwachsene tun schließlich unanständige Witze als »kindisch« oder »lnfantil« ab, und wenn Kinder nicht kindisch sein dürfen, wer dann? Ich bin ganz und gar nicht sicher, daß wir versuchen sollten, das unseren Kindern abzugewöhnen. Irgendwo und irgendwie kommt das »Unanständige« doch wieder ans Tageslicht. Wenn die Kinder zu Hause nicht darüber reden dürfen, dann heißt das noch lange nicht, daß wir es aus der Welt geschafft haben. Wir haben sie nur gelehrt, es nicht auszusprechen. Aber dann sollten Sie mal Ihre Kinder auf dem Spielplatz oder im Schulhof hören, wenn sie lauthals »Pup dir 'nen Furz, pup ihn ab, pup ihn ab!« grölen. Oder Sie hören bei den Freunden den fröhlichen Chor: »Mami, ich hab die Hose voll, das finde ich nun gar nicht toll.« Wir persönlich haben diese »Fäkaliensprüche« immer auf die leichte Schulter genommen. So kam es, daß unser Haus schon bald als das »Pupszentrum« in ganz East Suffolk bekannt wurde. Die in strengen Elternhäusern aufgezogenen Kinder kommen nur allzu gern bei uns vorbei, ziehen unsere Kinder in eine Ecke, stecken die Köpfe zusammen und flüstern: »Erwin macht sich in sein Hemd. Der Geruch bald keine Grenzen kennt. « Dann kichern alle los und können sich überhaupt nicht mehr beruhigen. Wenn Sie darüber hinweg gehen, hören sie irgendwann damit auf, aber das kann sehr lange dauern. Einige Sprüche sind sogar ganz interessant:
»Fatty und Skinny gingen in den Zoo
Fatty fiel in den Elefantenkot
Skinny lachte sich darüber halbtot
Dafür bekam er einen Klaps auf den Po.«
Das ist zwar nicht besonders erbaulich und hat auch wenig erzieherischen Wert, aber es reimt sich irgendwie und läßt sich skandieren. Die freche Kombination von Groteskem, Blödsinn und Anarchie bringt es in die Nähe der Rabelaisschen Tradition. Es ist eine Art Satire, also eigentlich eine ziemlich respektable literarische Form. Zumindest rede ich mir das ein und unterdrücke ein Kichern mit dem Küchenhandtuch. Beim Spazierengehen erzählte mir mein Sohn neulich:
»Mein Freund Peter hat 'nen
Pimmel von 'nem Meter,
den zeigte er der Nachbarin.
Sie hielt ihn für'ne Schlange,
Und schlug ihn mit 'ner Stange,
jetzt ist es mit der Länge hin.«
Warum Kinder das so fasziniert, ist eigentlich klar. Psychologen erzählen uns mit ernstern Blick, daß Kinder die Macht ihrer Körperfunktion erschreckt und mit Ehrfurcht erfüllt. Seit Freud wird den Themen Sauberkeitserziehung und so weiter sehr große Bedeutung beigemessen. Vielleicht sind diese Witze einfach nur ein Weg, wie die Kinder selbst mit Ihrer Haß-Liebe-Beziehung zu der Toilette umgehen. Sehen Sie es so, wenn Ihnen das hilft. Oder es könnte ja auch sein, daß - Gott behüte! - alle diese Dinge tatsächlich lustig sind. So wie es mit dem Sex ist. Schließlich erinnern sie uns inmitten unserer menschlichen Aufgeblasenheit und Wichtigtuerei, daß wir unsere animalische Natur doch nicht verleugnen können. Wer kann Kindern einen Vorwurf daraus machen, daß sie kichern, wenn sie sich vorstellen, daß auch die Königin einen fahren läßt? Deshalb sollte man die Sache locker sehen. Es gibt jedoch Grenzen. Kaum etwas ist lächerlicher als eine freisinnige, weltoffene Familie, die ihren Kindern immer eingebleut hat, der nackte Körper wäre etwas ganz Natürliches, aber dann plötzlich eine Erklärung dafür finden muß, warum es nicht richtig war, den Pimmel aus der Hose zu holen und Großtante Florence damit zuzuwinken. Die beste Methode ist die, die auch gegen Kindesmißbrauch hilft: »Popo, Penis und Scheide sind nicht für die Öffentlichkeit bestimmt.« Bei dieser Gelegenheit sollten Sie sich dann auch gleich überlegen, welche Worte Sie Ihre Kinder lehren. Sind die Kinder sieben oder acht Jahre alt, sollten sie die richtigen Begriffe kennen: Penis, Vagina, After usw. Aber vorher - was ist vorher? Ist es nicht besser, aus rein gesellschaftlichen Gründen die kindlichen Begriffe, die meist nur innerhalb der Familie von Generation zu Generation »weitergereicht« werden, zu verwenden? Hier komme ich sicher mit den meisten Kindererziehungsgurus über Kreuz, aber da kleine Kinder diesen Wortschatz ohnehin nur für Beleidigungen anwenden, wäre es Ihnen nicht lieber, »Popogesicht« genannt zu werden statt »Sch ... kopf«? Und wird Großmama nicht eher den Aufschrei »Ich hasse deinen stinkenden Po« verkraften als »Ich hasse deine vertrocknete, alte Vagina!« ? (Das Beispiel ist aus dem Leben gegriffen. Das Kind wollte lediglich etwas unter der Gürtellinie als Schimpfwort hernehmen. Aber die Schwiegertochter brauchte zwei Jahre, um das wiedergutzumachen.) Denken Sie darüber nach. Ein weiteres nützliches Motto ist: »Unanständige Witze sind nur im Familienkreis erlaubt.« Das kann natürlich zu Haarspaltereien bezüglich Großmüttern und Tanten mit unterschiedlicher Feinfühligkeit führen. Und ist es in Ordnung, einem angeheirateten Onkel etwas von »Pipimachen« zu erzählen? Und jetzt kommen wir zum Sex. Früher hat man an dem Thema tunlichst bis zur Pubertät nicht gerührt und später etwas von den Blumen und den Bienen und einigen unreinen Gedanken gemurmelt. Das funktioniert schon lange nicht mehr, aus dem einfachen Grund, weil, wenn Sie eine Frage übergehen, dann wird sie der Lehrer beantworten, oder das Fernsehen wird die verwirrende Vorstellung vermitteln, Babys entstünden, wenn man jemanden küßt. Oder eine Schulfreundin wird Ihrer kleinen Tochter eine so verworrene Darstellung der Fortpflanzung bieten, daß sie schwört (so wie ich es mit acht Jahren getan habe), für immer und ewig Jungfrau zu bleiben. Im Gegensatz dazu hat man seit den sechziger Jahren die Kinder schon von klein auf mit technischen Einzelheiten, medizinischen Fachbegriffen und spaßigen kleinen Büchern bombardiert, in denen der Orgasmus »wie ein ganz starkes Niesen« beschrieben wird (was sagen Sie dazu?). Diese Methode hat den Nachteil, daß das Kind sich sehr schnell langwellt und nicht mehr zuhört oder aber ziemlich peinliche Situationen heraufbeschwört, indem es mit ungeeigneten Erwachsenen über »starkes sexuelles Niesen« diskutiert. Die dritte Methode ist, die Fragen des Kindes einfach in einer freundlichen,' natürlichen, direkten Form zu beantworten. Leider tritt der kindliche Wissensdurst im allgemeinen immer zur Unzeit auf, etwa mitten in der Schlange vor der Supermarktkasse, in der Drogerie in Gegenwart von einigen mürrischen alten Damen, im Wartezimmer des Arztes oder im Bus. Der Versuch »Das erkläre ich dir, wenn wir zu Hause sind« funktioniert nicht immer. Die einzig sichere Vorsichtsmaßnahme gegen wenig überzeugendes Herumgestottere ist, sich alle Fakten kindgerecht zurechtzulegen, noch ehe die Fragen aufgetaucht sind. Kann's losgehen? »Frauen haben in ihrem Bauch ein kleines Haus, in dem das Baby heranwächst. Das ist die Gebärmutter. Und dann haben sie noch so kleine Dinger, die man Eierstöcke nennt, und einmal im Monat kommt ein winzig kleines Ei ... « »Männer haben spezielle Samen in ihrem Körper, und der Samen kann aus dem Pimmel herauskommen und mit dem Ei in der Mami zusammentreffen...« »Wenn ein Baby groß genug ist, auf die Welt zu kommen, muß es aus der Mami herauskommen. Es kommt aus einem speziellen Loch ... « Schwierig, oder? Meine Version klingt albern, zugegeben. Ich möchte keinesfalls irgend jemandem irgend etwas vorschreiben. Aber wenn Sie einmal im stillen Kämmerlein geübt haben, ersparen Sie sich viel peinliches Herumgestammele. Beantworten Sie nur die Fragen! Heben Sie sich Eileiter, Eisprung und Hoden für später auf, und konzentrieren Sie sich auf Babys, die im Bauch der Mutter wachsen, auf Samen, der vom Papi kommt, und die Tatsache, daß Mamis und Papis sich lieben und deshalb ein Baby wollen (Erstaunlicherweise wird das von allen Kindern, die ich kenne, akzeptiert, auch wenn ein Papi weit und breit nicht in Sicht ist). Was nun den Geschlechtsakt an sich angeht, so werden mich die Sexualwissenschaftler jetzt sicherlich steinigen, wenn sie hören, daß ich nach einer langweiligen Erklärung der technischen Grundbegriffe (Der Samen kommt in die Mami durch eine spezielle Umarmung, die nur Erwachsene können) immer versucht habe, den Kindern den Eindruck zu vermitteln, daß Sex etwas ist, das erwachsene Mamis und Papis tun, das aber für Kinder nicht besonders interessant ist. Schließlich gibt es viele Dinge, die Erwachsene tun, die aber ihre Kinder überhaupt nicht interessieren - wie bitteren Kaffee trinken, mit anderen Frauen im Supermarkt quasseln, Schecks ausschreiben, Fernsehnachrichten gucken. Da kommt es auf eine seltsame Tätigkeit mehr oder weniger auch nicht mehr an. Noch etwas: Wenn Sie sexuell gehemmt, unzufrieden oder sonst wie in dieser Richtung belastet sind, wenn Sie Zweifel haben oder wütend darüber sind, was der Sex aus Ihrem Leben gemacht hat, oder auch wenn Sie den ganzen Tag nur an Sex denken - dann ist das Ihr Problem und Ihre Last. Nicht die Ihres Kindes! Dies dem Kind aufzubürden oder es in einer sexuell aufgeheizten Treibhausatmosphäre aufwachsen zu lassen, ist ebenfalls eine Form der Kindesmißhandlung. Und das kann zu anderen Formen von Kindesmißbrauch führen. Alle Kinder sind in Gefahr, sexuell mißbraucht zu werden, aber »wissende« Kinder haben ein größeres Risiko. Sehen Sie sich jeden - auch einen Therapeuten - genau an, der zu viel von der »erwachenden Sexualität« kleiner Kinder spricht. Es ist viel sicherer, sich an die langweiligen alten Ratschläge zu halten: Du gehörst nur dir allein, du mußt niemanden umarmen, den du nicht umarmen willst, und Popo, Penis und Scheide sind nicht für die Öffenlichkeit bestimmt. Und manchmal darf man darüber auch Witze machen.